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Lebensansichten des Katers Murr - 31

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  Ihr seid, lieber Johannes, erwiderte der Abt, in ein Geheimnis
  verflochten ohne es zur Zeit ganz zu kennen. Doch bald erfahrt Ihr mehr,
  vielleicht mehr als ich selbst davon weiß, und zwar durch den Meister
  Abraham. -- Cyprianus, den wir noch jetzt unsern Bruder nennen, ist
  einer der Erkornen. Er wurde gewürdigt, mit den ewigen Mächten des
  Himmels in unmittelbare Berührung zu treten, und wir müssen schon jetzt
  in ihm den Heiligen verehren. -- Was jenen verwogenen Burschen betrifft,
  der sich während der Exequien in die Kirche geschlichen hatte und Euch
  mörderisch anpackte, so ist er ein verlaufener halb wahnsinniger
  Zigeunerbube, den unser Vogt schon einigemal hat derb auspeitschen
  lassen, weil er den Leuten im Dorfe die fetten Hühner aus den Ställen
  gestohlen. Um den zu vertreiben, bedurfte es eben nicht eines besondern
  Mirakels. -- Indem der Abt die letzten Worte sprach, zuckte ein leises
  ironisches Lächeln in den Mundwinkeln, und verschwand ebenso schnell.
  Kreislern erfüllte der tiefste bitterste Unmut; er sah ein, daß der Abt
  bei allen Vorzügen seines Geistes, seines Verstandes, lügnerische
  Gaukelei trieb, und daß alle Gründe, die er damals anführte, um ihn zum
  Eintritt ins Kloster zu bewegen, ebenso nur einer versteckten Absicht
  zum Vorwand dienen sollten, als diejenigen, die er nun für das Gegenteil
  aufstellte. -- Kreisler beschloß, die Abtei zu verlassen, und sich aller
  bedrohlichen Geheimnisse, die ihn bei längerem Bleiben noch verstricken
  konnten in ein Gewebe, dem nicht mehr zu entrinnen, völlig zu
  entschlagen. Als er aber nun gedachte, wie er ja gleich zurückkehren
  könne nach Sieghartshof zum Meister Abraham, wie er =sie= ja wiedersehen,
  wieder hören könne, sie, seinen einzigen Gedanken, da fühlte er in der
  Brust jene süße Beklemmung, in der sich die glühendste Liebessehnsucht
  kundtut. --
  Ganz vertieft wandelte Kreisler den Hauptgang des Parks hinab, als ihn
  der Pater Hilarius ereilte, und sogleich begann: Ihr wart beim Abt,
  Kreisler, er sagt Euch alles! -- Nun hatte ich recht? -- Wir sind alle
  verloren! -- Dieser geistliche Komödiant -- es ist heraus, das Wort, wir
  sind unter uns! -- Als er -- Ihr wißt, wen ich meine -- in der Kutte
  nach Rom kam, ließ ihn die päpstliche Heiligkeit sogleich zur Audienz.
  Er fiel nieder auf die Knie und küßte den Pantoffel. Ohne einen Wink,
  aufzustehen, ließ ihn aber die päpstliche Heiligkeit eine ganze Stunde
  lang liegen. »Das sei deine erste kirchliche Strafe«, fuhr die
  Heiligkeit ihn an, als er sich endlich erheben durfte, und hielt nun
  eine lange Predigt über die sündlichen Irrtümer, in die Cyprianus
  verfallen. -- Nachher erhielt er langen Unterricht in gewissen geheimen
  Gemächern und zog dann aus! -- Es hat lange keinen Heiligen gegeben!
  -- Das Mirakel -- nun Ihr habt das Bild gesehen, Kreisler -- das Mirakel,
  sage ich, hat erst in Rom seine wahre Gestalt erhalten. -- Ich bin
  nichts als ein ehrlicher Benediktiner Mönch, ein tüchtiger _praefectus
  chori,_ wie Ihr mir einräumen werdet, und trinke der allein selig
  machenden Kirche zu Ehren gern ein Gläschen Nierensteiner oder
  Bocksbeutel, aber! -- Mein Trost ist, daß er nicht lange hier bleiben
  wird. -- Herumziehen muß er. _Monachus in claustro non valet ova duo: sed
  quando est extra bene valet triginta._ -- Er wird denn auch wohl Wunder
  tun. -- Seht, Kreisler, seht, da kommt er den Gang herauf. -- Er hat uns
  erblickt und weiß wie er sich gebärden muß. --
  Kreisler erblickte den Mönch Cyprianus, der langsam feierlichen
  Schrittes, den stieren Blick zum Himmel gerichtet, die Hände gefaltet
  wie in einer frommen Extase begriffen, den Laubgang herauf kam.
  Hilarius entfernte sich schnell, Kreisler blieb aber verloren in den
  Anblick des Mönchs, der in seinem Antlitz, in seinem Wesen etwas
  Seltsames, Fremdartiges trug, das ihn unter allen übrigen Menschen
  auszuzeichnen schien. Ein großes ungewöhnliches Verhängnis läßt lesbare
  Spuren zurück, und so mocht' es auch sein, daß ein wunderbares Geschick
  des Mönchs äußere Erscheinung gestaltet hatte, wie sie sich nun eben
  zeigte.
  Der Mönch wollte vorüberschreiten, ohne in seiner Verzückung Kreislern
  zu bemerken, der fühlte sich aber aufgelegt, dem strengen Abgesandten
  des Oberhaupts der Kirche, dem feindlichen Verfolger der herrlichsten
  Kunst in den Weg zu treten.
  Er tat es mit den Worten: Erlaubt, ehrwürdiger Herr, daß ich Euch meinen
  Dank abstatte. Ihr befreitet mich durch Euer kräftiges Wort zur rechten
  Zeit aus den Händen des groben Lümmels von Zigeunerbuben; er hätte mich
  erwürgt, wie ein gestohlnes Huhn! --
  Der Mönch schien aus einem Traume zu erwachen, er fuhr mit der Hand über
  die Stirne und blickte Kreislern lange starr an, als müsse er sich auf
  ihn besinnen. Dann verzog sich aber sein Antlitz zum furchtbaren
  durchbohrenden Ernst, und Flammen des Zorns in den Augen, rief er mit
  starker Stimme: Verwegener frevelhafter Mensch, Ihr hättet verdient, daß
  ich Euch hinfahren ließ in Euern Sünden! Seid Ihr nicht der, der den
  heiligen Kultus der Kirche, die vornehmste Stütze der Religion
  profaniert durch weltlichen Klingklang? Seid Ihr es nicht, der hier
  durch eitle Kunststücke die frömmsten Gemüter betörte, daß sie sich
  abwandten von dem Heiligen und weltlicher Lust frönten in üppigen
  Liedern? Kreisler fühlte sich durch diese wahnsinnigen Vorwürfe ebenso
  verletzt, als erhoben durch den albernen Hochmut des fanatischen Mönchs,
  der mit solchen leichten Waffen zu bekämpfen.
  Ist es sündhaft, sprach Kreisler sehr ruhig und dem Mönch fest ins Auge
  blickend, die ewige Macht zu preisen in der Sprache, die sie uns selbst
  gab, damit das Himmelsgeschenk die Begeisterung der brünstigsten
  Andacht, ja die Erkenntnis des Jenseits in unserer Brust erwecke, ist es
  sündhaft sich auf den Seraphsfittichen des Gesanges hinwegzuschwingen
  über alles Irdische, und in frommer Sehnsucht und Liebe hinaufzustreben
  nach dem Höchsten, so habt Ihr recht, ehrwürdiger Herr, so bin ich ein
  arger Sünder. Erlaubt aber, daß ich der entgegengesetzten Meinung bin,
  und fest glaube, daß dem Kultus der Kirche die wahrhafte Glorie der
  heiligsten Begeisterung fehlen würde, wenn der Gesang schweigen sollte.
  So flehet zur heiligen Jungfrau, erwiderte der Mönch streng und kalt,
  daß sie die Decke von Euern Augen nehmen und Euch den verdammlichen
  Irrtum erkennen lassen möge.
  Ein Komponist wurde von jemanden gefragt, sprach Kreisler sanft
  lächelnd, wie er es denn anfange, daß seine geistlichen Kompositionen
  durchaus andächtige Begeisterung atmeten. Wenn es, erwiderte darauf der
  fromme kindliche Meister, mit dem Komponieren nicht so recht fort will,
  so bete ich im Zimmer auf und ab gehend einige Ave und dann kommen mir
  die Ideen wieder. Derselbe Meister sagte von einem andern großen
  geistlichen Werk: Erst als ich zur Hälfte in meiner Komposition
  vorgerückt war, merkte ich, daß sie geraten wäre; ich war auch nie so
  fromm als während der Zeit, da ich daran arbeitete; täglich fiel ich auf
  meine Knie nieder, und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen
  Ausführung dieses Werkes verleihen möge. -- Mich will bedünken,
  ehrwürdiger Herr, als wenn weder dieser Meister noch der alte Palästrina
  sich um Sündhaftes bemüht, und daß nur ein in aszetischer Verstocktheit
  erkaltetes Herz nicht zu der höchsten Frömmigkeit des Gesanges entflammt
  werden kann.
  Menschlein, wer bist Du denn, fuhr der Mönch zornig auf, daß ich mit
  Dir, der Du Dich hinwerfen müßtest in den Staub, rechten soll? -- Fort
  aus der Abtei, damit Du nicht länger das Heilige verstörst! --
  Tief empört über des Mönchs gebieterischen Ton, rief Kreisler heftig:
  Und wer bist Du denn, wahnsinniger Mönch, daß Du Dich erheben willst
  über alles was menschlich? -- Bist Du frei geboren von der Sünde? -- Hast
  Du nie über Gedanken der Hölle gebrütet? Bist Du nie ausgewichen auf dem
  schlüpfrigen Pfad, den Du wandeltest? Und wenn die heilige Jungfrau Dich
  wirklich gnadenvoll dem Tode entriß, den Du vielleicht irgendeiner
  grauenvollen Tat verdanktest, so geschah es, daß Du in Demut Deine Sünde
  erkennen und sie büßen, nicht aber mit freveliger Prahlerei Dich der
  Gnade des Himmels, ja der heiligen Krone rühmen solltest, die Du niemals
  erwerben wirst.
  Der Mönch stierte Kreislern an mit Tod und Verderben sprühenden Blicken,
  indem er unverständliche Worte lallte.
  Und stolzer Mönch, fuhr Kreisler fort mit steigendem Affekt, als Du noch
  diesen Rock trugst -- --
  Damit hielt Kreisler das Bild, das er vom Meister Abraham erhalten, dem
  Mönch vor Augen; doch sowie dieser es erblickte, schlug er sich wie in
  wilder Verzweiflung mit beiden Fäusten vor die Stirn, und stieß einen
  herzzermalmenden Schmerzenslaut aus, als träfe ihn ein Todesstreich.
  Fort mit =Dir= aus der Abtei, Du verbrecherischer Mönch! -- rief nun
  Kreisler. -- Hoho mein Heiliger, wenn Du vielleicht auf den Hühnerdieb
  stößest, mit dem Du in Gemeinschaft, so sage ihm, Du könntest und
  wolltest ein andermal mich nicht wieder schützen, doch solle er sich in
  acht nehmen, und von meiner Kehle wegbleiben, sonst würde ich ihn
  spießen wie eine Lerche oder wie seinen Bruder, denn aufs Spießen
  -- Kreisler entsetzte sich in diesem Augenblick vor sich selber; der
  Mönch stand vor ihm starr, regungslos, noch immer beide Fäuste vor die
  Stirn gedrückt, keines Wortes, keines Lautes mächtig, es war Kreislern,
  als rausche es im nahen Gebüsch, als werde gleich der wilde Giuseppo auf
  ihn losstürzen. Er rannte von dannen, die Mönche sangen eben im Chor die
  Abendhora, und Kreisler begab sich in die Kirche, weil er hoffte, dort
  sein tief aufgeregtes, tief verletztes Gemüt zu beruhigen.
  Die Hora war geendet, die Mönche verließen den Chor, die Lichter
  verlöschten. Kreislers Sinn hatte sich zu den alten frommen Meistern
  gewendet, deren er in dem Streit mit dem Mönch Cyprianus gedacht.
  -- Musik -- fromme Musik war aufgegangen in ihm, Julia hatte gesungen und
  nicht mehr brauste der Sturm in seinem Innern. Er wollte fort durch eine
  Seitenkapelle, deren Türe in den langen Gang ging, welcher zu einer
  Treppe und hinauf in sein Zimmer führte.
  Als Kreisler in die Kapelle trat, erhob sich ein Mönch mühsam vom Boden,
  auf dem er ausgestreckt vor dem wundertätigen Marienbilde gelegen hatte,
  das dort aufgestellt war. In dem Schein der ewigen Lampe erkannte
  Kreisler den Mönch Cyprianus, aber matt und elend schien er eben aus
  einer Ohnmacht zu sich selbst gekommen. Kreisler leistete ihm hülfreiche
  Hand, da sprach der Mönch mit leiser wimmernder Stimme: »Ich erkenne
  Euch -- Ihr seid Kreisler! Habt Barmherzigkeit, verlaßt mich nicht,
  helft mir zu jenen Stufen, ich will mich dort niederlassen, aber setzt
  Euch zu mir, dicht zu mir, denn nur die Gebenedeite darf uns hören.
  -- Übt Mitleiden, Gnade, fuhr nun der Mönch fort, als beide auf den
  Stufen des Altars saßen, vertraut mir, ob Ihr nicht das verhängnisvolle
  Bildnis von dem alten Severino erhieltet, ob Ihr um alles, um das ganze
  furchtbare Geheimnis wisset?
  Frei und offen versicherte Kreisler, daß er das Bildnis vom Meister
  Abraham Liscov erhalten und erzählte ohne Scheu alles, was sich in
  Sieghartshof begeben, und wie er nur aus mancherlei Kombinationen auf
  irgendeine Greueltat schließe, deren lebhafte Erinnerung sowie die
  Furcht des Verrats das Bildnis wecke. Der Mönch, der bei einigen
  Momenten in Kreislers Erzählung tief erschüttert geschienen, schwieg
  jetzt einige Augenblicke. Dann begann er ermutigt mit festerer Stimme:
  Ihr wißt zu viel, Kreisler, um nicht alles erfahren zu müssen. Vernehmt,
  Kreisler, jener Prinz Hektor, der Euch auf den Tod verfolgte, es ist
  mein jüngerer Bruder. Wir sind Söhne eines fürstlichen Vaters, dessen
  Thron ich geerbt haben würde, hätte ihn nicht der Sturm der Zeit
  umgeworfen. Wir nahmen, da eben der Krieg ausgebrochen, beide Dienste,
  und der Dienst war es, der zuerst mich und dann auch meinen Bruder nach
  Neapel brachte. -- Ich hatte mich damals aller bösen Lust der Welt
  hingegeben, und vorzüglich die wilde Leidenschaft zu den Weibern riß
  mich ganz und gar hin. Eine Tänzerin, ebenso schön als verrucht, war
  meine Geliebte, und überdem lief ich den liederlichen Dirnen nach, wo
  ich sie fand.
  So geschah es, daß ich eines Tages, als es schon zu dunkeln begann,
  auf dem Molo ein paar Geschöpfe dieser Art verfolgte. Beinahe hatte ich
  sie erreicht, als dicht neben mir eine Stimme gellend rief: Was das
  Prinzchen doch für ein allerliebster Taugenichts ist! -- Da läuft er
  gemeinen Dirnen nach und könnte in den Armen der schönsten Prinzessin
  liegen! -- Mein Blick fiel auf ein altes abgelumptes Zigeunerweib, die
  ich vor wenigen Tagen in der Straße Toledo von den Sbirren wegführen
  gesehen, weil sie einen Wasserverkäufer, so kräftig er schien, im Zank
  mit ihrer Krücke zu Boden geschlagen. -- Was willst du von mir alte Hexe?
  So rief ich das Weib an, die mich aber in dem Augenblick mit einem Strom
  der abscheulichsten niedrigsten Schimpfreden überschüttete, so daß das
  müßige Volk bald sich um uns versammelte und über meine Verlegenheit
  ausbrach in ein tolles Gelächter. -- Ich wollte fort, da hielt mich aber
  das Weib beim Kleide fest, ohne vom Boden aufzustehen, und sprach,
  plötzlich mit den Schimpfreden einhaltend leise, indem sich ihr
  abscheuliches Antlitz zum grinsenden Lächeln verzog: Ei, mein süßes
  Prinzlein, willst du denn nicht bei mir bleiben? Willst du nichts hören
  von dem schönsten Engelskinde, das in dich vernarrt ist? -- Damit erhob
  sich das Weib mühsam, indem sie sich an meinen Armen festklammerte, und
  zischelte mir von einem jungen Mädchen in die Ohren, das schön und
  anmutig wie der Tag und noch unschuldig sei. -- Ich hielt das Weib für
  eine gemeine Kupplerin und wollte mich, da gerade mein Sinn nicht dahin
  stand, ein neues Abenteuer anzuknüpfen, mit ein paar Dukaten von ihr
  losmachen. Sie nahm aber das Geld nicht, und rief, als ich mich
  entfernte, mir laut lachend nach: Geht nur, geht, mein feiner Herr, Ihr
  werdet mich bald aufsuchen mit großem Kummer und Weh im Herzen! -- Einige
  Zeit war vergangen, ich hatte nicht mehr an das Zigeunerweib gedacht,
  als eines Tages auf dem Spaziergange Villa Reale genannt, eine Dame vor
  mir herging, die mir in ihrem Wesen so wunderbar anmutig schien, wie ich
  noch keine gesehen. Ich eilte ihr voraus, und als ich ihr Antlitz
  erblickte, war es mir, als öffne sich der leuchtende Himmel aller
  Schönheit. -- So dachte ich nämlich damals als ein sündiger Mensch, und
  daß ich den frevelhaften Gedanken wiederhole, mag Euch statt aller
  Beschreibung des Liebreizes mit dem die ewige Macht die holde Angela
  geschmückt hatte um so mehr dienen, als es mir jetzt nicht geziemen und
  auch wohl nicht gelingen würde viel zu reden über irdische Schönheit.
  Zur Seite der Dame ging oder hinkte vielmehr an einem Stabe eine sehr
  alte, ehrbar gekleidete Frau, die nur durch ihre ganz ungewöhnliche
  Größe und seltsame Unbehülflichkeit auffiel. Trotz des völlig
  veränderten Anzuges, trotz der tiefen Haube, die einen Teil des
  Antlitzes verhüllte, erkannte ich in der alten Frau doch augenblicklich
  das Zigeunerweib vom Molo. Das fratzenhafte Lächeln der Alten, ihr
  leises Kopfnicken bewies mir, daß ich mich nicht irre. -- Ich konnte den
  Blick nicht abwenden von dem anmutigen Wunder; die Holde schlug die
  Augen nieder; der Fächer entfiel ihrer Hand. Schnell hob ich ihn auf;
  indem sie ihn nahm berührte ich ihre Finger; sie zitterten, da loderte
  das Feuer meiner verdammlichen Leidenschaft in mir auf, und ich ahnte
  nicht, daß die erste Minute der schrecklichen Prüfung gekommen, die mir
  der Himmel auferlegt. Ganz betäubt, ganz im Sinn verwirrt stand ich da
  und bemerkte kaum, daß die Dame mit ihrer alten Begleiterin in eine
  Kutsche stieg, die am Ende der Allee gehalten hatte. Erst als der Wagen
  fortrollte, kam ich zur Besinnung, und stürzte nach wie ein Rasender.
  Ich kam noch zu rechter Zeit, um zu sehen, daß der Wagen vor einem Hause
  in der engen kurzen Straße hielt, die nach dem großen Platz Largo delle
  Piane führt. Beide, die Dame und ihre Begleiterin stiegen aus, und da
  der Wagen sogleich fortfuhr als sie in das Haus getreten, konnte ich mit
  Recht vermuten, daß dort ihre Wohnung. Auf dem Platz Largo delle Piane
  wohnte mein Bankier, Signore Alessandro Sperzi, und selbst weiß ich
  nicht, wie ich auf den Einfall geriet, diesen Mann jetzt gerade
  heimzusuchen. Er glaubte, ich käme Geschäfte halber, und begann sehr
  weitläuftig über mein Verhältnis zu reden. Mein ganzer Kopf war aber
  erfüllt von der Dame, ich dachte, ich hörte nichts anders und so kam es,
  daß ich dem Signor Sperzi statt aller Antwort das anmutige Abenteuer des
  Augenblicks erzählte. Signor Sperzi wußte mir mehr von meiner Schönen zu
  sagen, als ich hatte ahnen können. Er war es, der jedes halbe Jahr von
  einem Handelshause in Augsburg eine ansehnliche Rimesse für eben jene
  Dame erhielt. Sie wurde Angela Benzoni genannt, die Alte aber mit dem
  Namen Frau Magdala Sigrun bezeichnet. Signor Sperzi mußte dagegen dem
  Augsburger Handelshause über das ganze Leben des Mädchens die genaueste
  Nachricht geben, so daß er, da es ihm auch früher obgelegen, ihre ganze
  Erziehung sowie jetzt ihren Haushalt zu leiten, in gewisser Art als ihr
  Vormund anzusehen. Der Bankier hielt das Mädchen für die Frucht eines
  verbotenen Verhältnisses unter Personen des vornehmsten Standes. -- Ich
  bezeigte dem Signor Sperzi meine Verwunderung darüber, daß man ein
  solches Kleinod einem so zweideutigen Weibe anvertraue, als die Alte
  sei, die sich in schmutzigen zerlumpten Zigeunerkleidern auf den Straßen
  herumtreibe und vielleicht gar die Kupplerin spielen wollte. Der Bankier
  versicherte dagegen, daß es keine treuere sorgsamere Pflegerin gebe, als
  die Alte, die mit dem Mädchen hergekommen, als es erst zwei Jahre alt
  gewesen. Daß die Alte sich zuweilen als Zigeunerin vermumme, sei eine
  wunderliche Grille, die man ihr wohl in diesem Lande der Maskenfreiheit
  nachsehen könne. -- Ich darf, ich muß kurz sein. Die Alte suchte mich
  bald auf in ihrem Zigeunerhabit und führte mich selbst zu Angela, die
  mir in holder jungfräulicher Scham hocherrötend ihre Liebe gestand. Noch
  immer hatte ich in meinem verirrten Wesen geglaubt, die Alte sei eine
  ruchlose Nährerin der Sünde, aber bald wurde ich des Gegenteils
  überführt. Angela war keusch und rein wie Schnee, und da wo ich sündhaft
  zu schwelgen gedachte, lernte ich an eine Tugend glauben, die ich
  freilich jetzt für ein höllisches Blendwerk des Teufels erkennen muß. In
  eben dem Grade als meine Leidenschaft höher und höher stieg, neigte ich
  mich auch mehr und mehr der Alten hin, die mir unaufhörlich in die Ohren
  raunte, daß ich mich mit Angela vermählen solle. Müßte dies auch zur
  Zeit heimlich geschehen so komme doch wohl der Tag, an dem ich
  öffentlich der Gemahlin das fürstliche Diadem auf die Stirn drücken
  werde. -- Angelas Geburt sei der meinigen gleich.
  -- Wir wurden in einer Kapelle der Kirche San Filippo getraut. -- Ich
  glaubte den Himmel gefunden zu haben, ich entzog mich allen
  Verbindungen, ich gab den Dienst auf, man sah mich nicht mehr in jenen
  Kreisen, in denen ich sonst frevelnd allen Lüsten gefrönt. -- Eben diese
  veränderte Lebensweise verriet mich. Jene Tänzerin, von der ich mich
  losgesagt, forschte aus, wohin ich mich jeden Abend begab, und ahnend,
  daß daraus sich vielleicht der Keim ihrer Rache entwickeln könne,
  entdeckte sie meinem Bruder das Geheimnis meiner Liebe. -- Mein Bruder
  schlich mir nach, überraschte mich in Angela's Armen. -- Mit einer
  scherzhaften Wendung entschuldigte Hektor seine Zudringlichkeit und
  machte mir Vorwürfe daß ich gar zu selbstsüchtig, ihm nicht einmal das
  Vertrauen eines aufrichtigen Freundes geschenkt; doch ich merkte nur zu
  deutlich, wie betroffen er war über Angela's hohe Schönheit. Der Funke
  war gefallen, die Flamme der wütendsten Leidenschaft angefacht in seinem
  Innern. -- Er kam oft, wiewohl nur in den Stunden, wenn er mich zu
  finden wußte. -- Ich glaubte zu bemerken, daß Hektors wahnsinnige Liebe
  erwidert wurde, und alle Furien der Eifersucht zerfleischten meine
  Brust. -- Da war ich dem Graus der Hölle verfallen! -- Einst, als ich
  eintrat in Angelas Gemach, glaubte ich Hektors Stimme im Nebenzimmer zu
  vernehmen. -- Den Tod im Herzen blieb ich eingewurzelt stehen. Doch
  plötzlich stürzte Hektor aus dem Nebengemach hinein mit glutrotem
  Antlitz und wildrollenden Augen wie ein Rasender. Verdammter, du sollst
  mir fernerhin nicht in den Weg treten! so rief er schäumend vor Wut und
  stieß mir den Dolch, den er schnell hervorgezogen, in die Brust bis an
  das Heft. -- Der herbeigerufene Chirurgus fand, daß der Stoß durch das
  Herz gegangen. -- Die Hochgebenedeite hat mich gewürdigt, mir das Leben
  wieder zu schenken durch ein Mirakel. --
  Die letzten Worte sprach der Mönch mit leiser zitternder Stimme, und
  schien dann in trübes Sinnen verloren.
  Und was wurde aus Angela? fragte Kreisler.
  Als der Mörder die Früchte seiner Greueltat genießen wollte, erwiderte
  der Mönch mit hohler, geisterartiger Stimme, da erfaßte die Geliebte der
  Todeskrampf und sie verschied in seinen Armen. -- Gift. --
  Dies Wort gesprochen, fiel der Mönch nieder aufs Gesicht und röchelte
  wie ein Sterbender. -- Kreisler setzte durch die Glocke, die er anzog,
  das Kloster in Bewegung. Man eilte herbei und schaffte den ohnmächtigen
  Cyprianus in den Krankensaal.
  Kreisler fand am andern Morgen den Abt in ganz besonders heitrer Laune.
  -- Ha ha, mein Johannes, rief er ihm entgegen, Ihr wollt an kein Mirakel
  der neuesten Zeit glauben, und Ihr habt gestern in der Kirche selbst das
  wunderbarste Mirakel bewirkt, das es nur geben mag. -- Sagt, was habt
  Ihr mit unserm stolzen Heiligen gemacht, der daliegt wie ein reuiger
  zerknirschter Sünder und uns alle in kindischer Todesangst höchlich um
  Verzeihung gebeten hat, daß er sich über uns erheben wollen! -- Habt Ihr
  ihn, der von Euch nun Beichte verlangte, vielleicht selbst beichten
  lassen? --
  Kreisler fand gar keine Ursache, auch nur das mindeste von dem zu
  verschweigen, was sich mit ihm und dem Mönch Cyprianus begeben. Er
  erzählte daher umständlich alles, von der freimütigen Strafpredigt an,
  die er dem einbildischen Mönch gehalten, als er die heilige Tonkunst
  herabgewürdigt, bis auf den schrecklichen Zustand, in den er verfallen,
  als er das Wort: Gift! ausgesprochen. Dann erklärte Kreisler, daß er
  eigentlich doch noch immer nicht wisse, warum das Bild, habe sich auch
  Prinz Hektor davor entsetzt, gleiche Wirkung auf den Mönch Cyprianus
  hervorgebracht. Ebenso sei er darüber noch ganz im Dunkeln geblieben,
  auf welche Weise Meister Abraham in jene grauenvolle Begebenheiten
  verflochten.
  In der Tat, mein lieber Sohn Johannes, sprach der Abt anmutig lächelnd,
  wir stehen jetzt ganz anders gegenüber, als noch vor wenigen Stunden.
  Ein standhaftes Gemüt, ein fester Sinn, vorzüglich aber wohl ein tiefes
  richtiges Gefühl, das wie eine wunderbar wahrsagende Erkenntnis in
  unserer Brust verborgen, richtet vereint mehr aus, als der schärfste
  Verstand, der geübteste alles scheidende Blick. Du hast es bewiesen,
  mein Johannes, indem Du die Waffe, die man Dir in die Hand gab, ohne
  Dich ganz über ihre Wirkung zu belehren, so geschickt in dem richtigen
  Moment zu gebrauchen wußtest, daß Du auf der Stelle den Feind zu Boden
  schlugst, den vielleicht der durchdachteste Plan nicht so leicht aus dem
  Felde getrieben haben würde. Ohne es zu wissen, hast Du mir, dem
  Kloster, vielleicht auch der Kirche überhaupt, einen Dienst erwiesen,
  dessen ersprießliche Folgen nicht zu übersehen sind. Ich will, ich darf
  jetzt gegen Dich ganz aufrichtig sein, ich wende mich ab von denen, die
  mir Falsches vorspiegeln wollten zu Deinem Nachteil, Du kannst auf mich
  rechnen, Johannes! -- Daß der schönste Wunsch, der in Deiner Brust ruht,
  erfüllt werde, dafür laß mich sorgen! Deine Cäcilia, Du weißt, welches
  holde Wesen ich meine -- doch still jetzt davon! -- Das was Du noch von
  jener entsetzlichen Begebenheit in Neapel zu wissen verlangst, ist mit
  wenigen Worten gesagt. -- Fürs erste hat es unserm würdigen Bruder
  Cyprianus beliebt, in seiner Erzählung einen kleinen Umstand zu
  übergehen. -- Angela starb an dem Gift, das er ihr beigebracht in dem
  höllischen Wahnsinn der Eifersucht. -- Meister Abraham befand sich
  damals in Neapel unter dem Namen Severino. Er glaubte Spuren seiner
  verlornen Chiara zu finden, und fand sie wirklich, da ihm jene alte
  Zigeunerin in den Weg kam, Magdala Sigrun geheißen, die Du schon kennst.
  An den Meister wandte sich die Alte, als das Schrecklichste geschehen,
  und ihm vertraute sie, ehe sie Neapel verließ jenes Bildnis, dessen
  Geheimnisse Du noch nicht kennst. Drücke den stählernen Knopf an dem
  Rande, dann springt Antonio's Bildnis, das nur an einer Kapsel zum
  Deckel dient auf, und Du erblickst nicht allein Angela's Bildnis,
  sondern Dir fallen auch noch ein paar Blättchen in die Hände, die von
  der äußersten Wichtigkeit sind, da sie Dir den Beweis des doppelten
  Mordes liefern. -- Du siehst nun, warum Dein Talisman so kraftvoll
  wirkt. -- Meister Abraham soll noch mit dem Bruderpaar in mancherlei
  Berührung gekommen sein, doch davon wird er Dir selbst noch besser
  erzählen können als ich. -- Laß uns jetzt hören, Johannes, wie es mit
  dem kranken Bruder Cyprianus steht. --
  Und das Mirakel? So fragte Kreisler, indem er den Blick auf die Stelle
  der Wand über dem kleinen Altar warf, wo er selbst mit dem Abt das Bild,
  dessen sich der geneigte Leser wohl noch erinnert, befestigt hatte.
  Nicht wenig verwunderte er sich aber, als er statt dieses Bildes wieder
  Leonardo da Vinci's heilige Familie erblickte, die ihren alten Platz
  eingenommen. -- Und das Mirakel? -- fragte Kreisler zum zweiten Mal. Ihr
  meint das schöne Bild, erwiderte der Abt mit seltsamem Blick, welches
  sonst hier aufgehängt war? -- Ich habe es unterdessen in dem Krankensaal
  aufstellen lassen. Vielleicht stärkt der Anblick unsern armen Bruder
  Cyprianus, vielleicht hilft ihm die Hochgebenedeite zum zweiten Mal. --
  Kreisler fand auf seinem Zimmer ein Schreiben des Meisters Abraham, des
  Inhalts:
   Mein Johannes!
  Auf! auf! -- verlaßt die Abtei, eilt her so schnell Ihr könnt! -- Der
  Teufel hat hier zu seiner Lust eine ganz besondere Hetzjagd angestellt!
  -- Mündlich mehr, das Schreiben wird mir blutsauer, denn es steckt mir
  alles im Halse und droht mich zu ersticken. Von mir, von dem
  Hoffnungsstern, der mir aufgegangen, nicht ein Wort! Nur so viel in
  aller Eil. -- Die Rätin Benzon findet Ihr nicht mehr, wohl aber die
  Reichsgräfin von Eschenau. Das Diplom aus Wien ist angekommen und die
  künftige Heirat Julias mit dem würdigen Prinzen Ignaz so gut wie
  erklärt. Fürst Irenäus beschäftigt sich mit der Idee des neuen Throns,
  auf dem er sitzen wird als regierender Herr. Die Benzon, oder vielmehr
  die Gräfin von Eschenau hat ihm das versprochen. Prinz Hektor hat
  indessen Versteckens gespielt, bis er nun wirklich fort mußte zur Armee.
  -- Bald kehrt er wieder und dann soll eine Doppelhochzeit gefeiert
  werden. -- Es wird lustig sein. Die Trompeter spülen sich schon die
  Gurgeln aus, die Fiedler schmieren die Bogen, die Lichtzieher in
  Sieghartsweiler gießen die Fackeln -- aber? -- Nächstens ist der
  Namenstag der Fürstin, da unternehm ich Großes aber Ihr müßt hier sein.
  Kommt nur lieber gleich auf der Stelle, wenn Ihr dies gelesen habt!
  Lauft was Ihr könnt! Bald seh' ich Euch. -- Apropos! Nehmt Euch vor den
  Pfaffen in acht, aber den Abt lieb' ich sehr. -- Adieu!
  So kurz und so inhaltsreich war dies Brieflein des alten Meisters,
  daß --
  
  
  Nachschrift des Herausgebers.
  
  Am Schluß des zweiten Bandes ist der Herausgeber genötigt, dem geneigten
  Leser eine sehr betrübte Nachricht mitzuteilen. -- Den klugen,
  wohlunterrichteten philosophischen, dichterischen Kater Murr hat der
  bittre Tod dahingerafft mitten in seiner schönen Laufbahn. Er schied in
  der Nacht vom neunundzwanzigsten bis zum dreißigsten November nach
  kurzen aber schweren Leiden mit der Ruhe und Fassung eines Weisen dahin.
  -- So gibt es wieder einen Beweis, daß es mit den frühreifen Genies
  immer nicht recht fort will; entweder sie steigen in einem Antiklimax
  hinab zur charakter- und geistlosen Gleichgültigkeit und verlieren sich
  in der Masse, oder sie bringen es in Jahren nicht hoch. -- Armer Murr!
  der Tod deines Freundes Muzius war der Vorbote deines eignen, und soll't
  ich dir den Trauersermon halten, er würde mir ganz anders aus dem Herzen
  
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