Lebensansichten des Katers Murr - 29
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Ursache meines geheimnisvollen Beginnens. Ich glaubte mich nicht geliebt
von der, die ich anbete, die mein Leben ist, all mein Sehnen und Hoffen,
für die alle brünstige Glut lodert in der entflammten Brust. Wohl mir!
-- ich habe mich eines Bessern überzeugt, ich weiß seit wenigen Stunden,
daß ich geliebt bin, und trete aus meinem Schlupfwinkel hervor. -- Liebe
und Glück, das sei das Losungswort, das mich ankündigt. -- Bald begrüße
ich Sie, mein Fürst! mit der Ehrfurcht des Sohnes.
=Hektor.=
Vielleicht ist es dem geneigten Leser nicht ganz unlieb, wenn der
Biograph hier auf zwei Sekunden die Geschichte ruhen läßt und den
Versuch einer Übersetzung jener italienischen Verse einschiebt. -- Sie
könnten ungefähr also lauten:
»Gäb's süßres noch, gäb's höheres Entzücken,
Als wenn das Herz entbrannt in brünst'ger Liebe?
Könnt' den ein sel'gres Himmelslos beglücken,
Der in des mächt'gen Gottes Fesseln bliebe?
Vermöchte nicht den Menschen zu berücken
Der finstre Geist, Verdacht! der Furcht Getriebe,
Trostlose Qual, Wahnsinns wuchernder Samen,
Der Hölle Furie, Eifersucht ihr Namen!
Der Fürst las das Billett zwei-, dreimal sehr aufmerksam durch und je
öfter er es las, desto finstrer zogen sich die Falten auf seiner Stirne
zusammen. Benzon! was ist das mit dem Prinzen? sprach er endlich. Verse,
italienische Verse an ein fürstliches Haupt, an einen gekrönten
Schwiegervater, statt deutlicher vernünftiger Erklärung? -- Was soll
das! -- Es ist kein Verstand darin. -- Der Prinz scheint überspannt zu
sein auf ganz ungebührliche Weise. Die Verse sprechen, soviel ich davon
verstehe, von dem Glück der Liebe und von den Qualen der Eifersucht. Was
will der Prinz mit der Eifersucht, auf wen, um tausend Himmels willen
kann er hier eifersüchtig sein? -- Sagen Sie mir gute Benzon, finden Sie
in diesem Billett des Prinzen auch nur ein Fünkchen gesunden
Menschenverstand? --
Die Benzon entsetzte sich über den tiefern Sinn, der in den Worten des
Prinzen lag, und den sie nach dem, was sich gestern in ihrem Hause
begeben, leicht erraten konnte. Zugleich mußte sie aber die feine
Wendung bewundern, die der Prinz ersonnen, um ohne weitern Anstoß aus
seinem Versteck hervortreten zu dürfen. Weit entfernt, sich auch nur
leise darüber gegen den Fürsten zu äußern, mühte sie sich aber aus der
Lage der Dinge so viel Vorteil zu ziehen als nur möglich. Kreisler und
Meister Abraham, das waren die Personen, von denen sie Verwirrungen
ihrer geheimen Pläne befürchtete, und gegen diese glaubte sie jede Waffe
brauchen zu müssen, die ihr der Zufall in die Hand spielte. Sie
erinnerte den Fürsten daran, was sie ihm über die Leidenschaft gesagt
hatte, die in der Prinzessin Brust empor gelodert. Dem Scharfblick des
Prinzen, führte sie ferner an, könne die Stimmung der Prinzessin
ebensowenig entgangen sein, als Kreislers seltsames überspanntes
Betragen ihm Anlaß genug gegeben haben müsse, irgendein wahnsinniges
Verhältnis zwischen beiden zu vermuten. So sei hinlänglich erklärt,
warum der Prinz den Kreisler auf den Tod verfolgt, warum er, da er den
Kreisler getötet zu haben geglaubt, dem Schmerz, der Verzweiflung der
Prinzessin aus dem Wege gegangen, dann aber, als er von Kreislers Leben
unterrichtet, von Liebe und Sehnsucht getrieben zurückgekehrt sei und
die Prinzessin heimlich beobachtet habe. Niemanden anders als Kreislern
habe daher die Eifersucht gegolten, von der die Verse des Prinzen
sprächen, und es sei um so nötiger und ratsamer, dem Kreisler forthin
keinen Aufenthalt in Sieghartshof zu gestatten, als er mit dem Meister
Abraham ein gegen alle Verhältnisse des Hofes gerichtetes Komplott
geschmiedet zu haben scheine.
Benzon, sprach der Fürst sehr ernsthaft, ich habe darüber nachgedacht,
was Sie mir über die unwürdige Neigung der Prinzessin gesagt haben, und
glaube jetzt von allem auch nicht ein Wort. Fürstliches Blut wallt in
den Adern der Prinzessin. --
Glauben Sie, gnädigster Herr, fuhr die Benzon heftig auf, indem sie bis
unter die Augen errötete, daß das fürstliche Weib über den Pulsschlag,
über die innere Ader des Lebens gebieten könne wie kein anderes?
Sie sind heute in sehr seltsamer Stimmung, Rätin! sprach der Fürst
verdrießlich. -- Ich wiederhole es, entstand in dem Herzen der
Prinzessin irgendeine abgeschmackte Leidenschaft, so war das nur ein
krankhafter Zufall -- ein Krampf sozusagen -- sie leidet ja an Spasmen
-- von dem sie sich sehr bald ganz erholt haben würde. Was aber den
Kreisler betrifft, so ist das ein ganz amüsanter Mensch, dem nur
gehörige Kultur fehlt. Ich kann ihm gar nicht solche übermütige Keckheit
zutrauen, sich der Prinzessin annähern zu wollen. Keck ist er, aber auf
ganz andere Weise. Glauben Sie wohl, Benzon, daß nach seiner
wunderlichen Art gerade eine Prinzessin bei ihm gar kein Glück machen
würde, sollt' es denkbar sein, daß eine dergleichen hohe Person sich
herablassen könnte, in ihn verliebt zu werden. Denn -- Benzon, _entre
nous soit dit_ -- er macht sich gar nicht sonderlich viel aus uns hohen
Häuptern, und das ist eben die lächerliche abgeschmackte Torheit, die
ihn unfähig macht am Hofe zu verweilen. Mag er daher entfernt bleiben:
kehrt er aber zurück, so sei er mir herzlich willkommen. Denn nicht
genug, daß er denn doch, wie ich vom Meister Abraham -- ja den Meister
Abraham, den lassen Sie mir aus dem Spiele, Benzon, die Komplotte, die
er geschmiedet, haben immer zum Wohl des fürstlichen Hauses gereicht.
-- Wie ich doch sagen wollte! Ja! -- -- Nicht genug, daß der
Kapellmeister, wie mir Meister Abraham gesagt, fliehen müssen auf
ungebührliche Weise, unerachtet er von mir freundlich aufgenommen, so
ist und bleibt er ein ganz gescheiter Mensch, der mich amüsiert trotz
seines närrischen Wesens, _et cela suffit!_
Die Rätin erstarrte vor innerer Wut, sich so kalt abgefertigt zu sehen.
Ohne es zu ahnen war sie, als sie fröhlich den Strom hinabschwimmen
wollte, auf eine verborgene Klippe gestoßen. --
Es entstand auf dem Schloßhofe ein großes Geräusch. Eine lange Reihe
Wagen rasselte heran, begleitet von einem starken Kommando
großherzoglicher Husaren. Der Oberhofmarschall, der Präsident, die Räte
des Fürsten, mehrere von der vornehmen Welt aus Sieghartsweiler stiegen
aus. Dorthin war die Nachricht gekommen, daß in Sieghartshof eine wider
das Leben des Fürsten gerichtete Revolution ausgebrochen, und nun kamen
die Getreuen nebst andern Verehrern des Hofes, sich um die Person des
Fürsten zu stellen, und brachten die Verteidiger des Vaterlandes mit,
die sie sich vom Gouverneur mit vieler Mühe erbeten.
Vor lauter Beteurungen der Versammelten, daß sie Leib und Leben für den
gnädigsten Herrn zu opfern bereit seien, kam der Fürst gar nicht zu
Worte. Eben wollt' er endlich beginnen, als der Offizier, der das
Kommando führte, hineintrat und den Fürsten nach dem Operationsplan
fragte.
Es liegt in der menschlichen Natur, daß, wenn die Gefahr, die uns Furcht
einjagte, sich vor unsern Augen auflöst in einen eitlen nichtigen
Popanz, uns dies immer mit großem Unmut erfüllt. Der Gedanke der
wirklichen Gefahr glücklich entgangen zu sein, nicht, daß gar keine
vorhanden, erregt uns Freude.
So geschah es denn auch, daß der Fürst seinen Unmut, seinen Verdruß über
den unnötigen Tumult kaum unterdrücken konnte.
Daß der ganze Lärm über ein Stelldichein eines Kammerdieners mit einer
Zofe, über die romanhafte Eifersüchtelei eines verliebten Prinzen
entstanden, sollte, konnte er das sagen? Er sann hin und her, die
ahnungsvolle Stille im Saal, nur unterbrochen von dem mutigen Sieg
versprechenden Wiehern der Husarenpferde, die draußen hielten, drückte
ihn bleiern nieder.
Endlich räusperte er sich und begann sehr pathetisch: Meine Herren! Die
wunderbare Fügung des Himmels ... -- Was wollen Sie _mon ami?_
Mit dieser an den Hofmarschall gerichteten Frage unterbrach der Fürst
sich selbst. Wirklich hatte der Hofmarschall sich mehrmals gebückt und
durch Blicke zu verstehen gegeben, daß er was Wichtiges zu
hinterbringen. Es kam heraus, daß soeben sich Prinz Hektor melden
lassen.
Des Fürsten Gesicht heiterte sich auf, er sah, daß er über die
vermeintliche Gefahr, in der sein Thron geschwebt, sehr kurz sein und
die ehrwürdige Versammlung wie mit einem Zauberschlage in eine
Bewillkommnungs-Cour umsetzen könne. Er tat dies! --
Nicht lange dauerte es so trat Prinz Hektor herein, in Gala-Uniform
glänzend gekleidet, schön, kräftig, stolz wie der fernhintreffende
Götter-Jüngling. Der Fürst machte ein paar Schritte vorwärts ihm
entgegen, fuhr aber auch gleich zurück, als träfe ihn der Blitz. Dicht
hinter dem Prinzen Hektor her sprang Prinz Ignatius in den Saal. Der
fürstliche Herr wurde leider mit jedem Tage dämischer und
abgeschmackter. Die Husaren auf dem Schloßhofe mußten ihm ganz
ausnehmend gefallen haben, denn er hatte einen Husaren vermocht ihm
Säbel, Tasche und Tschako zu geben, und sich in diese Herrlichkeiten
geputzt. -- So kurbettierte er, als säße er zu Pferde, in kurzen
Sprüngen, mit dem blanken Säbel in der Faust im Saal umher, indem er die
eiserne Scheide tüchtig auf dem Boden nachklirren ließ, und lachte und
kicherte dabei ganz ungemein anmutig. _Partez -- décampez! Allez vous en
-- tout de suite._ So rief der Fürst mit glühenden Augen und donnernder
Stimme dem erschrockenen Ignaz entgegen, der sich ganz geschwind davon
machte.
Keiner von den Anwesenden hatte so wenig Takt, den Prinzen Ignaz, die
ganze Szene zu bemerken. --
Der Fürst, im vollsten Sonnenglanz der vorigen Milde und Freundlichkeit,
sprach nun mit dem Prinzen einige Worte und dann gingen beide, der Fürst
und der Prinz, im Kreise der Versammelten umher und redeten mit diesem,
jenem ein paar Worte. Die Cour war beendigt, d. h. die geistreichen,
tiefsinnigen Redensarten, deren man sich bei solcher Gelegenheit zu
bedienen pflegt, waren gehörig verspendet, und der Fürst begab sich mit
dem Prinzen in die Gemächer der Fürstin, dann aber, da der Prinz darauf
bestand die geliebte Braut zu überraschen, in das Gemach der Prinzessin.
Sie fanden Julia bei ihr.
Mit der Hast des feurigsten Liebhabers flog der Prinz hin zur
Prinzessin, drückte ihre Hand hundertmal zärtlich an die Lippen, schwur,
daß er nur in dem Gedanken an sie gelebt, daß ein unglückliches
Mißverständnis ihm die Qualen der Hölle bereitet, daß er die Trennung
von der, die er anbete, nicht länger ertrage könne, daß nun ihm alle
Seligkeit des Himmels aufgegangen. --
Hedwiga empfing den Prinzen mit unbefangener Heiterkeit, die ihr sonst
eben nicht eigen. Sie begegnete den zärtlichen Liebkosungen des Prinzen
geradeso, wie es eine Braut wohl tun mag, ohne sich im voraus zu viel zu
vergeben; ja sie verschmähte es nicht, den Prinzen mit seinem Versteck
ein wenig aufzuziehn und zu versichern, daß sie keine Verwandlung
hübscher und anmutiger sich denken könne, als die eines Haubenstocks in
einen Prinzenkopf. Denn für einen Haubenstock habe sie den Kopf
gehalten, der sich in dem Giebelfenster des Pavillons blicken lassen.
Dies gab Anlaß zu allerlei artigen Neckereien des glücklichen Paars, die
selbst den Fürsten zu ergötzen schienen. Nun glaubte er den großen
Irrtum der Benzon rücksichts des Kreisler erst recht einzusehen, da nach
seiner Meinung Hedwiga's Liebe zu dem schönsten der Männer sich deutlich
genug aussprach. Geist und Körper der Prinzessin schienen in der
seltenen hohen Blüte zu stehen, wie sie glücklichen Bräuten ganz
besonders eigen. -- Gerade entgegengesetzt verhielt es sich mit Julien.
Sowie sie den Prinzen erblickte, bebte sie zusammen von innerm Schauer
erfaßt. Blaß wie der Tod stand sie da mit tief zu Boden gesenkten Augen,
keiner Bewegung mächtig, kaum fähig, sich aufrecht zu erhalten. --
Nach einer guten Weile wandte sich der Prinz zu Julien mit den
Worten: Fräulein Benzon, wenn ich nicht irre?
Eine Freundin der Prinzessin von der frühsten Kindheit her, gleichsam
ein Schwesternpaar. Während der Fürst diese Worte sprach, hatte der
Prinz Julia's Hand gefaßt und ihr leise, leise zugehaucht: Nur du
bist's, die ich meine! -- Julia schwankte, Tränen der bittersten Angst
drängten sich unter den Wimpern hervor; sie wäre niedergestürzt, hätte
die Prinzessin nicht schnell einen Sessel herbeigeschoben.
Julia, sprach die Prinzessin leise, indem sie sich über die Ärmste
hinüberbeugte, Julia, fasse Dich doch nur! -- Ahnest Du denn nicht den
harten Kampf, den ich kämpfe. -- Der Fürst öffnete die Türe und rief
nach Eau de Luce. Solches führe ich nicht bei mir, sprach der ihm
entgegentretende Meister Abraham, aber guten Äther. Ist jemand
ohnmächtig geworden? -- Äther hilft auch! --
So kommt schnell herein, Meister Abraham, erwiderte der Fürst, und helft
Fräulein Julien.
Doch sowie Meister Abraham in den Saal trat, sollte sich das Unerwartete
begeben.
Geisterbleich starrte Prinz Hektor den Meister an, sein Haar schien
sich zu sträuben, kalter Angstschweiß ihm auf der Stirne zu stehen.
Einen Schritt vorwärts, den Leib zurückgebogen, die Arme dem Meister
entgegengestreckt, war er dem Macbeth zu vergleichen, wenn plötzlich
Banko's entsetzliches blutiges Gespenst den leeren Platz der Tafel
füllt. -- Ruhig holte der Meister sein Fläschchen hervor und wollte sich
Julien nahen.
Da war es, als ermanne sich der Prinz wieder zum Leben. Severino, seid
Ihr's selbst? So rief der Prinz mit dem dumpfen Ton des tiefsten
Entsetzens. Allerdings, erwiderte Meister Abraham, ohne im mindesten aus
seiner Ruhe zu kommen, ohne nur die Miene zu verändern, allerdings. Es
ist mir sehr lieb, daß Ihr Euch meiner erinnert, gnädigster Herr; ich
hatte die Ehre Euch vor etlichen Jahren in Neapel einen kleinen Dienst
zu erzeigen.
Der Meister trat noch einen Schritt vorwärts da faßte ihn der Prinz beim
Arm, zog ihn mit Gewalt auf die Seite, und nun erfolgte ein kurzes
Gespräch, von dem niemand der im Saal Befindlichen etwas verstand, da es
zu schnell und im neapolitanischen Dialekt geführt wurde.
Severino! -- wie kam der Mensch zu dem Bildnis?
Ich gab es ihm zur Schutzwehr gegen Euch.
Weiß er?
Nein!
Werdet Ihr schweigen?
Zur Zeit -- ja!
Severino! -- alle Teufel sind mir auf den Hals gehetzt! Was nennt Ihr
zur Zeit?
Solange Ihr artig seid und den Kreisler in Ruhe laßt und auch jene da!
-- Nun ließ der Prinz den Meister los und trat an ein Fenster. -- Julia
hatte sich indessen erholt. Mit dem unbeschreiblichen Ausdruck
herzzerreißender Wehmut den Meister Abraham anschauend, lispelte sie
mehr als daß sie sprach: O mein guter, lieber Meister, Ihr könnt mich
wohl retten! -- Nicht wahr, Ihr gebietet über so manches? -- Eure
Wissenschaft kann noch alles zum Guten lenken! -- Der Meister gewahrte
in Julia's Worten den wunderbarsten Zusammenhang mit jenem Gespräch, als
habe sie in der höhern Erkenntnis des Traums alles verstanden und wisse
um das ganze Geheimnis!
Du bist ein frommer Engel, sprach der Meister Julien leise ins Ohr, und
darum hat der finstre Höllengeist der Sünde keine Macht über Dich.
Vertraue Dich mir ganz; fürchte nichts und fasse Dich mit aller Kraft
des Geistes. -- Denke auch an unsern Johannes.
Ach, rief Julia schmerzlich, ach Johannes! -- er kehrt zurück, nicht
wahr, Meister? ich werde ihn wiedersehen!
Gewiß, erwiderte der Meister und legte den Finger auf den Mund; Julia
verstand ihn. --
Der Prinz mühte sich, unbefangen zu scheinen; er erzählte, daß der Mann,
den man hier, wie er vernehme, Meister Abraham nenne, vor mehreren
Jahren in Neapel Zeuge einer sehr tragischen Begebenheit gewesen sei, in
die er, der Prinz, selbst verflochten, wie er gestehen müsse. -- Diese
Begebenheit zu erzählen sei jetzt nicht an der Zeit, doch wolle er
künftig nicht damit zurückhalten. --
Der Sturm im Innern war zu heftig, als daß sein Tosen nicht auf der
Oberfläche hätte sichtbar sein sollen, und so stimmte des Prinzen
verstörtes Antlitz, dem jeder Blutstropfen entschwunden schien, sehr
schlecht überein mit dem gleichgültigen Gespräch, zu dem er sich nun
zwang, um nur über den kritischen Moment hinwegzukommen. Besser als dem
Prinzen gelang es der Prinzessin, die Spannung des Augenblicks zu
besiegen. Mit der Ironie, die selbst den Argwohn, die Verbittrung
verflüchtigt zum feinsten Hohn, neckte Hedwiga den Prinzen umher in dem
Labyrinth seiner eignen Gedanken. Er, der gewandteste Weltmann, noch
mehr, ausgerüstet mit allen Waffen einer Ruchlosigkeit, die alles
Wahrhafte, jede Gestaltung des Lebens vernichtet, vermochte nicht diesem
seltsamen Wesen zu widerstehen. Je lebhafter Hedwiga sprach, je feuriger
und zündender die Blitze des geistreichen Spottes einschlugen, desto
verwirrter, beängstigter schien sich der Prinz zu fühlen, bis dies
Gefühl zum Unerträglichen stieg und er sich schnell entfernte.
Dem Fürsten geschah das, was ihm bei solchen Anstößen jedesmal zu
geschehen pflegte; er wußte gar nicht, was er von dem allen denken
sollte. Er begnügte sich mit einigen französischen Brocken ohne
sonderliche Bedeutung, die er dem Prinzen zuwarf und die dieser mit
ebensolchen erwiderte.
Der Prinz war schon zur Türe heraus, als Hedwiga plötzlich, im ganzen
Wesen verändert zum Fußboden niederstarrte und mit einem seltsamen das
Herz durchschneidenden Ton laut rief: Ich sehe die blutige Spur des
Mörders! -- Dann schien sie aus dem Traum zu erwachen, drückte Julien
stürmisch an ihre Brust und lispelte ihr zu: Kind, mein armes Kind, laß
Dich nicht betören!
Geheimnisse, Einbildungen, Albernheiten, Romanenstreiche, sprach der
Fürst verdrießlich. _Ma foi,_ ich kenne meinen Hof nicht mehr! Meister
Abraham! Ihr bringt meine Uhren in Ordnung, wenn sie nicht richtig
gehen; ich wollt', Ihr könntet hier nachsehen, was für Schaden das
Räderwerk genommen, das sonst niemals stockte. -- Doch was ist das mit
dem Severino?
Unter diesem Namen, erwiderte der Meister, ließ ich in Neapel meine
optische und mechanische Kunststücke sehen.
So -- so, sprach der Fürst, sah den Meister starr an, als schwebe ihm
eine Frage auf den Lippen, drehte sich aber dann schnell um und verließ
schweigend das Zimmer. --
Man hatte geglaubt, die Benzon befinde sich bei der Fürstin, dem war
aber nicht so; sie hatte sich in ihre Wohnung begeben.
Julia sehnte sich nach der freien Luft; der Meister führte sie in den
Park und lustwandelnd durch die halbentlaubten Gänge sprachen sie von
Kreisler und seinem Aufenthalt in der Abtei. Sie waren an das
Fischerhäuschen gekommen. Julia trat hinein, um sich zu erholen;
Kreislers Brief lag auf dem Tisch; der Meister meinte, es sei gar nichts
darin, das Julia Scheu tragen dürfe zu erfahren.
Während Julia den Brief gelesen, hatten sich ihre Wangen höher gefärbt,
und sanftes Feuer, Abglanz des erheiterten Gemüts, strahlte aus ihren
Augen.
Siehst du wohl, mein liebes Kind, sprach der Meister freundlich, wie der
gute Geist meines Johannes auch aus der Ferne tröstend zu Dir spricht?
Was hast Du von bedrohlichen Anschlägen zu fürchten, wenn
Standhaftigkeit, Liebe und Mut Dich schützen vor den Bösen, die Dir
nachstellen.
Barmherziger Himmel, rief Julia mit emporgerichtetem Blick, schütze mich
nur vor mir selber! Sie erbebte wie im jähen Schreck über die Worte, die
sie willenlos ausgestoßen. Halb ohnmächtig sank sie in den Sessel und
bedeckte mit beiden Händen ihr glühendes Antlitz.
Ich verstehe dich nicht Mädchen, sprach der Meister, du verstehst Dich
vielleicht selbst nicht und darum magst Du Dein eignes Inneres recht auf
den Grund erforschen und Dir nichts etwa verschweigen aus weichlicher
Schonung. --
Der Meister überließ Julien dem tiefen Nachsinnen, in das sie versunken,
und schaute mit übereinander geschlagenen Armen zu der geheimnisvollen
Glaskugel. Da schwoll ihm die Brust vor Sehnsucht und wunderbarer
Ahnung.
Dich muß ich ja fragen, sprach er, mit dir muß ich mich ja beraten, mit
dir, du meines Lebens schönes, herrliches Geheimnis! Schweige nicht, laß
deine Stimme hören! -- Du weißt es ja, niemals war ich ein gemeiner
Mensch, unerachtet mich manche dafür hielten. Denn in mir glühte alle
Liebe, die der ewige Weltgeist selbst ist und der Funke glimmte in
meiner Brust, den der Hauch deines Wesens anfachte zur hellen fröhlichen
Flamme! -- Glaube nicht, Chiara, daß dies Herz darum, weil es älter
worden, vereiset ist und nicht mehr so rasch zu schlagen vermag als
damals, da ich dich dem unmenschlichen Severino entriß; glaube nicht,
daß ich jetzt weniger deiner wert geworden, als ich es damals war, da du
selbst mich aufsuchtest! -- Ja! -- laß nur deine Stimme hören, und ich
will mit der Hast des Jünglings dem Ton so lange nachrennen, bis ich
dich gefunden, und dann wohnen wir wieder zusammen und treiben in
zauberischer Gemeinschaft die höhere Magie, welche alle Menschen, selbst
die allgemeinsten, notgedrungen erkennen ohne daran zu glauben. -- Und
wandelst du nicht mehr leiblich hier auf Erden, spricht deine Stimme aus
der Geisterwelt zu mir herab, so bin ich auch damit zufrieden und werde
auch dann wohl noch ein tüchtigerer Kerl, als ich jemals gewesen. -- Doch
nein nein! Wie lauteten die tröstenden Worte, die du zu mir sprachst?
Nicht erfaßt der bleiche Tod,
Die im Herzen Liebe tragen;
Dem glänzt noch das Abendrot,
Der am Morgen wollt' verzagen!
Meister, rief Julia, die sich aus dem Sessel erhoben und dem Alten in
tiefstem Erstaunen zugehorcht hatte, Meister! mit wem redet Ihr? was
wollt Ihr beginnen? -- Ihr nanntet den Namen: Severino, güt'ger Himmel!
redete der Prinz, als er sich von seinem Entsetzen erholt hatte, Euch
nicht selbst an mit diesem Namen? Welches furchtbare Geheimnis liegt
hier verborgen?
Der Alte kam bei diesen Worten Julia's augenblicklich aus dem erhöhten
Zustande zurück, und auf seinem Gesicht verbreitete sich, wie es schon
lange nicht mehr geschehen, jene seltsame beinahe grinsende
Freundlichkeit, die mit seinem übrigens treuherzigen Wesen in dem
wunderlichsten Zwiespalt stand und seiner ganzen Erscheinung den
Anstrich einer etwas unheimlichen Karikatur gab.
Mein schönes Fräulein, sprach er mit dem grellen Ton, in dem
aufschneiderische Geheimniskrämer gewöhnlich ihre Wunder anzupreisen
pflegen, mein schönes Fräulein, nur ein wenig Geduld, ich werde bald die
Ehre haben Ihnen hier im Fischerhäuschen die allerwunderbarsten Dinge zu
zeigen. -- Diese tanzenden Männlein, dieser kleine Türke, welcher weiß,
wie alt jeder in der Gesellschaft ist, diese Automate, diese
Palingenesien, diese deformierten Bilder, diese optischen Spiegel
-- alles hübsches magisches Spielzeug, aber das Beste fehlt mir noch.
Mein unsichtbares Mädchen ist da! -- Bemerken Sie, dort oben sitzt sie
bereits in der Glaskugel. Sie spricht aber noch nicht, sie ist noch müde
von der weiten Reise, denn sie kommt gerades Weges aus dem fernen
Indien. -- In einigen Tagen, mein schönes Fräulein, kommt meine
Unsichtbare und dann wollen wir sie befragen wegen des Prinzen Hektor,
wegen Severino und anderer Begebnisse der Vergangenheit und Zukunft!
-- Für jetzt nur etwas weniges schlichtes Amüsement.
Damit sprang der Meister mit der Schnelle und Lebendigkeit eines
Jünglings im Zimmer umher, zog die Maschine an, ordnete die magischen
Spiegel. Und in allen Winkeln wurde es rege und lebendig; die Automaten
schritten daher und drehten die Köpfe, und ein künstlicher Hahn
schlug mit den Flügeln und krähte, während Papageien gellend
dazwischenkreischten, und Julia selbst und der Meister standen draußen
so gut wie im Zimmer. Julien wollte, unerachtet sie an dergleichen
Possen genugsam gewöhnt, dennoch bei der seltsamen Stimmung des Meisters
ein Grauen anwandeln. Meister, sprach sie ganz erschrocken, was ist Euch
widerfahren?
Kind, erwiderte der Meister in seiner ernsten Manier, Kind etwas Schönes
und Wunderbares, aber es taugt nicht recht, daß Du es erfährst. Doch!
-- laß die lebendigtoten Dinger hier ihre Faxen ausspielen, während ich
Dir von manchem so viel vertraue, als Dir zu wissen nötig und nützlich.
-- Meine liebe Julia, Deine eigne Mutter hat Dir ihr mütterliches Herz
verschlossen, ich will es Dir öffnen, daß Du hinein zu blicken, daß Du
die Gefahr, in der Du schwebst, zu erkennen und Dich ihr zu entziehen
vermagst. -- Erfahre also fürs erste ohne weitere Umschweife, daß Deine
Mutter nichts Geringeres fest in ihrem Sinn beschlossen hat, als
Dich ----
=(M. f. f.)= -- es indessen lieber bleiben lassen. -- Katerjüngling, sei
bescheiden wie ich, und nicht gleich überall bei der Hand mit deinen
Versen, wenn die schlichte, ehrliche Prosa hinreicht, deine Gedanken
auszuspinnen. -- Verse sollen in dem in Prosa geschriebenen Buche das
leisten was der Speck in der Wurst, nämlich hin und wieder in kleinen
Stückchen eingestreut, dem ganzen Gemengsel mehr Glanz der Fettigkeit,
mehr süße Anmut des Geschmacks verleihen. Ich fürchte nicht, daß
dichterische Kollegen dies Gleichnis zu gemein und unedel finden werden,
da es von unsrer Lieblingsspeise entnommen und in der Tat manchmal ein
guter Vers einem mittelmäßigen Roman ebenso dienlich sein kann, als ein
fetter Speck einer magern Wurst. Ich sage das als ein Kater von
ästhetischer Bildung und Erfahrung. So sehr es nach meinen bisherigen
philosophischen und moralischen Grundsätzen Ponto's ganzes Verhältnis,
seine Lebensweise, seine Art sich in der Gunst des Herrn zu erhalten mir
unwürdig, ja ein wenig miserabel vorkommen mochte, doch hatte mich sein
ungezwungener Anstand, seine Eleganz, seine anmutige Leichtigkeit im
sozialen Umgange gar sehr bestochen. Mit aller Gewalt wollte ich mich
selbst überreden, daß ich bei meiner wissenschaftlichen Bildung, bei
meinem Ernst in allem Tun und Treiben auf einer viel höheren Stufe stehe
als der unwissende Ponto, der nur hier und da etwas von den
Wissenschaften aufgeschnappt. Ein gewisses gar nicht zu unterdrückendes
Gefühl sagte mir aber ganz unverhohlen, daß Ponto überall mich in den
Schatten stellen würde; ich fühlte mich gedrungen, einen vornehmern
Stand anzuerkennen und den Pudel Ponto zu diesem Stande zu rechnen. --
Ein genialer Kopf wie der meinige hat bei jedem Anlaß, bei jeder
Lebenserfahrung immer seine besonderen eigentümlichen Gedanken, und so
geriet ich auch, meine innere Seelenstimmung, mein ganzes Verhältnis mit
Ponto wohl überlegend, in allerlei sehr artige Betrachtungen, die der
ferneren Mitteilung wohl wert sind. -- Wie kommt es, sprach ich zu mir
selbst, indem ich sinnig die Pfote an die Stirn legte, wie kommt es, daß
große Dichter, große Philosophen, sonst geistreich, sich im sozialen
Verhältnis mit der sogenannten vornehmeren Welt so unbehilflich zeigen?
Sie stehen jederzeit da, wo sie eben in dem Augenblick nicht hingehören,
sie sprechen wenn sie gerade schweigen sollten, und schweigen umgekehrt
da, wo gerade Worte nötig, sie stoßen in -- der Form der Gesellschaft,
wie sie sich nun eben gestaltet hat, entgegengesetztem -- Streben
überall an und verletzen sich selbst und andere; genug sie gleichen dem,
der, wenn eben eine ganze Reihe muntrer Spaziergänger einträchtig
hinauswandelt, sich allein zum Tore hineindrängt und nun, mit Ungestüm
seinen Weg verfolgend, diese ganze Reihe verstört. Man schreibt, ich
weiß es, dies dem Mangel gesellschaftlicher Kultur zu, die am
Schreibtische nicht zu erlangen, ich meine indessen, daß diese Kultur
gar leicht zu erlangen sei, und daß jene unbesiegbare Unbehülflichkeit
wohl noch einen andern Grund haben müsse. -- Der große Dichter oder
Philosoph müßte es nicht sein, wenn er seine geistige Überlegenheit
nicht fühlen sollte; aber ebenso müßte er nicht das jedem geistreichen
Menschen eigne tiefe Gefühl besitzen, um nicht einzusehen, daß jene
Überlegenheit deshalb nicht anerkannt werden darf, weil sie das
Gleichgewicht aufhebt, das stets zu erhalten die Haupttendenz der
sogenannten vornehmeren Gesellschaft ist. Jede Stimme darf nur
eingreifen in den vollkommenen Akkord des Ganzen, aber des Dichters Ton
dissoniert, und ist, kann er unter Umständen auch ein sehr guter sein,
dennoch in dem Augenblick ein schlechter Ton, weil er nicht zum Ganzen
paßt. -- Der gute Ton besteht aber so wie der gute Geschmack in der
Unterlassung alles Ungehörigen. Nun meine ich ferner, daß der Unmut, der
von der, die ich anbete, die mein Leben ist, all mein Sehnen und Hoffen,
für die alle brünstige Glut lodert in der entflammten Brust. Wohl mir!
-- ich habe mich eines Bessern überzeugt, ich weiß seit wenigen Stunden,
daß ich geliebt bin, und trete aus meinem Schlupfwinkel hervor. -- Liebe
und Glück, das sei das Losungswort, das mich ankündigt. -- Bald begrüße
ich Sie, mein Fürst! mit der Ehrfurcht des Sohnes.
=Hektor.=
Vielleicht ist es dem geneigten Leser nicht ganz unlieb, wenn der
Biograph hier auf zwei Sekunden die Geschichte ruhen läßt und den
Versuch einer Übersetzung jener italienischen Verse einschiebt. -- Sie
könnten ungefähr also lauten:
»Gäb's süßres noch, gäb's höheres Entzücken,
Als wenn das Herz entbrannt in brünst'ger Liebe?
Könnt' den ein sel'gres Himmelslos beglücken,
Der in des mächt'gen Gottes Fesseln bliebe?
Vermöchte nicht den Menschen zu berücken
Der finstre Geist, Verdacht! der Furcht Getriebe,
Trostlose Qual, Wahnsinns wuchernder Samen,
Der Hölle Furie, Eifersucht ihr Namen!
Der Fürst las das Billett zwei-, dreimal sehr aufmerksam durch und je
öfter er es las, desto finstrer zogen sich die Falten auf seiner Stirne
zusammen. Benzon! was ist das mit dem Prinzen? sprach er endlich. Verse,
italienische Verse an ein fürstliches Haupt, an einen gekrönten
Schwiegervater, statt deutlicher vernünftiger Erklärung? -- Was soll
das! -- Es ist kein Verstand darin. -- Der Prinz scheint überspannt zu
sein auf ganz ungebührliche Weise. Die Verse sprechen, soviel ich davon
verstehe, von dem Glück der Liebe und von den Qualen der Eifersucht. Was
will der Prinz mit der Eifersucht, auf wen, um tausend Himmels willen
kann er hier eifersüchtig sein? -- Sagen Sie mir gute Benzon, finden Sie
in diesem Billett des Prinzen auch nur ein Fünkchen gesunden
Menschenverstand? --
Die Benzon entsetzte sich über den tiefern Sinn, der in den Worten des
Prinzen lag, und den sie nach dem, was sich gestern in ihrem Hause
begeben, leicht erraten konnte. Zugleich mußte sie aber die feine
Wendung bewundern, die der Prinz ersonnen, um ohne weitern Anstoß aus
seinem Versteck hervortreten zu dürfen. Weit entfernt, sich auch nur
leise darüber gegen den Fürsten zu äußern, mühte sie sich aber aus der
Lage der Dinge so viel Vorteil zu ziehen als nur möglich. Kreisler und
Meister Abraham, das waren die Personen, von denen sie Verwirrungen
ihrer geheimen Pläne befürchtete, und gegen diese glaubte sie jede Waffe
brauchen zu müssen, die ihr der Zufall in die Hand spielte. Sie
erinnerte den Fürsten daran, was sie ihm über die Leidenschaft gesagt
hatte, die in der Prinzessin Brust empor gelodert. Dem Scharfblick des
Prinzen, führte sie ferner an, könne die Stimmung der Prinzessin
ebensowenig entgangen sein, als Kreislers seltsames überspanntes
Betragen ihm Anlaß genug gegeben haben müsse, irgendein wahnsinniges
Verhältnis zwischen beiden zu vermuten. So sei hinlänglich erklärt,
warum der Prinz den Kreisler auf den Tod verfolgt, warum er, da er den
Kreisler getötet zu haben geglaubt, dem Schmerz, der Verzweiflung der
Prinzessin aus dem Wege gegangen, dann aber, als er von Kreislers Leben
unterrichtet, von Liebe und Sehnsucht getrieben zurückgekehrt sei und
die Prinzessin heimlich beobachtet habe. Niemanden anders als Kreislern
habe daher die Eifersucht gegolten, von der die Verse des Prinzen
sprächen, und es sei um so nötiger und ratsamer, dem Kreisler forthin
keinen Aufenthalt in Sieghartshof zu gestatten, als er mit dem Meister
Abraham ein gegen alle Verhältnisse des Hofes gerichtetes Komplott
geschmiedet zu haben scheine.
Benzon, sprach der Fürst sehr ernsthaft, ich habe darüber nachgedacht,
was Sie mir über die unwürdige Neigung der Prinzessin gesagt haben, und
glaube jetzt von allem auch nicht ein Wort. Fürstliches Blut wallt in
den Adern der Prinzessin. --
Glauben Sie, gnädigster Herr, fuhr die Benzon heftig auf, indem sie bis
unter die Augen errötete, daß das fürstliche Weib über den Pulsschlag,
über die innere Ader des Lebens gebieten könne wie kein anderes?
Sie sind heute in sehr seltsamer Stimmung, Rätin! sprach der Fürst
verdrießlich. -- Ich wiederhole es, entstand in dem Herzen der
Prinzessin irgendeine abgeschmackte Leidenschaft, so war das nur ein
krankhafter Zufall -- ein Krampf sozusagen -- sie leidet ja an Spasmen
-- von dem sie sich sehr bald ganz erholt haben würde. Was aber den
Kreisler betrifft, so ist das ein ganz amüsanter Mensch, dem nur
gehörige Kultur fehlt. Ich kann ihm gar nicht solche übermütige Keckheit
zutrauen, sich der Prinzessin annähern zu wollen. Keck ist er, aber auf
ganz andere Weise. Glauben Sie wohl, Benzon, daß nach seiner
wunderlichen Art gerade eine Prinzessin bei ihm gar kein Glück machen
würde, sollt' es denkbar sein, daß eine dergleichen hohe Person sich
herablassen könnte, in ihn verliebt zu werden. Denn -- Benzon, _entre
nous soit dit_ -- er macht sich gar nicht sonderlich viel aus uns hohen
Häuptern, und das ist eben die lächerliche abgeschmackte Torheit, die
ihn unfähig macht am Hofe zu verweilen. Mag er daher entfernt bleiben:
kehrt er aber zurück, so sei er mir herzlich willkommen. Denn nicht
genug, daß er denn doch, wie ich vom Meister Abraham -- ja den Meister
Abraham, den lassen Sie mir aus dem Spiele, Benzon, die Komplotte, die
er geschmiedet, haben immer zum Wohl des fürstlichen Hauses gereicht.
-- Wie ich doch sagen wollte! Ja! -- -- Nicht genug, daß der
Kapellmeister, wie mir Meister Abraham gesagt, fliehen müssen auf
ungebührliche Weise, unerachtet er von mir freundlich aufgenommen, so
ist und bleibt er ein ganz gescheiter Mensch, der mich amüsiert trotz
seines närrischen Wesens, _et cela suffit!_
Die Rätin erstarrte vor innerer Wut, sich so kalt abgefertigt zu sehen.
Ohne es zu ahnen war sie, als sie fröhlich den Strom hinabschwimmen
wollte, auf eine verborgene Klippe gestoßen. --
Es entstand auf dem Schloßhofe ein großes Geräusch. Eine lange Reihe
Wagen rasselte heran, begleitet von einem starken Kommando
großherzoglicher Husaren. Der Oberhofmarschall, der Präsident, die Räte
des Fürsten, mehrere von der vornehmen Welt aus Sieghartsweiler stiegen
aus. Dorthin war die Nachricht gekommen, daß in Sieghartshof eine wider
das Leben des Fürsten gerichtete Revolution ausgebrochen, und nun kamen
die Getreuen nebst andern Verehrern des Hofes, sich um die Person des
Fürsten zu stellen, und brachten die Verteidiger des Vaterlandes mit,
die sie sich vom Gouverneur mit vieler Mühe erbeten.
Vor lauter Beteurungen der Versammelten, daß sie Leib und Leben für den
gnädigsten Herrn zu opfern bereit seien, kam der Fürst gar nicht zu
Worte. Eben wollt' er endlich beginnen, als der Offizier, der das
Kommando führte, hineintrat und den Fürsten nach dem Operationsplan
fragte.
Es liegt in der menschlichen Natur, daß, wenn die Gefahr, die uns Furcht
einjagte, sich vor unsern Augen auflöst in einen eitlen nichtigen
Popanz, uns dies immer mit großem Unmut erfüllt. Der Gedanke der
wirklichen Gefahr glücklich entgangen zu sein, nicht, daß gar keine
vorhanden, erregt uns Freude.
So geschah es denn auch, daß der Fürst seinen Unmut, seinen Verdruß über
den unnötigen Tumult kaum unterdrücken konnte.
Daß der ganze Lärm über ein Stelldichein eines Kammerdieners mit einer
Zofe, über die romanhafte Eifersüchtelei eines verliebten Prinzen
entstanden, sollte, konnte er das sagen? Er sann hin und her, die
ahnungsvolle Stille im Saal, nur unterbrochen von dem mutigen Sieg
versprechenden Wiehern der Husarenpferde, die draußen hielten, drückte
ihn bleiern nieder.
Endlich räusperte er sich und begann sehr pathetisch: Meine Herren! Die
wunderbare Fügung des Himmels ... -- Was wollen Sie _mon ami?_
Mit dieser an den Hofmarschall gerichteten Frage unterbrach der Fürst
sich selbst. Wirklich hatte der Hofmarschall sich mehrmals gebückt und
durch Blicke zu verstehen gegeben, daß er was Wichtiges zu
hinterbringen. Es kam heraus, daß soeben sich Prinz Hektor melden
lassen.
Des Fürsten Gesicht heiterte sich auf, er sah, daß er über die
vermeintliche Gefahr, in der sein Thron geschwebt, sehr kurz sein und
die ehrwürdige Versammlung wie mit einem Zauberschlage in eine
Bewillkommnungs-Cour umsetzen könne. Er tat dies! --
Nicht lange dauerte es so trat Prinz Hektor herein, in Gala-Uniform
glänzend gekleidet, schön, kräftig, stolz wie der fernhintreffende
Götter-Jüngling. Der Fürst machte ein paar Schritte vorwärts ihm
entgegen, fuhr aber auch gleich zurück, als träfe ihn der Blitz. Dicht
hinter dem Prinzen Hektor her sprang Prinz Ignatius in den Saal. Der
fürstliche Herr wurde leider mit jedem Tage dämischer und
abgeschmackter. Die Husaren auf dem Schloßhofe mußten ihm ganz
ausnehmend gefallen haben, denn er hatte einen Husaren vermocht ihm
Säbel, Tasche und Tschako zu geben, und sich in diese Herrlichkeiten
geputzt. -- So kurbettierte er, als säße er zu Pferde, in kurzen
Sprüngen, mit dem blanken Säbel in der Faust im Saal umher, indem er die
eiserne Scheide tüchtig auf dem Boden nachklirren ließ, und lachte und
kicherte dabei ganz ungemein anmutig. _Partez -- décampez! Allez vous en
-- tout de suite._ So rief der Fürst mit glühenden Augen und donnernder
Stimme dem erschrockenen Ignaz entgegen, der sich ganz geschwind davon
machte.
Keiner von den Anwesenden hatte so wenig Takt, den Prinzen Ignaz, die
ganze Szene zu bemerken. --
Der Fürst, im vollsten Sonnenglanz der vorigen Milde und Freundlichkeit,
sprach nun mit dem Prinzen einige Worte und dann gingen beide, der Fürst
und der Prinz, im Kreise der Versammelten umher und redeten mit diesem,
jenem ein paar Worte. Die Cour war beendigt, d. h. die geistreichen,
tiefsinnigen Redensarten, deren man sich bei solcher Gelegenheit zu
bedienen pflegt, waren gehörig verspendet, und der Fürst begab sich mit
dem Prinzen in die Gemächer der Fürstin, dann aber, da der Prinz darauf
bestand die geliebte Braut zu überraschen, in das Gemach der Prinzessin.
Sie fanden Julia bei ihr.
Mit der Hast des feurigsten Liebhabers flog der Prinz hin zur
Prinzessin, drückte ihre Hand hundertmal zärtlich an die Lippen, schwur,
daß er nur in dem Gedanken an sie gelebt, daß ein unglückliches
Mißverständnis ihm die Qualen der Hölle bereitet, daß er die Trennung
von der, die er anbete, nicht länger ertrage könne, daß nun ihm alle
Seligkeit des Himmels aufgegangen. --
Hedwiga empfing den Prinzen mit unbefangener Heiterkeit, die ihr sonst
eben nicht eigen. Sie begegnete den zärtlichen Liebkosungen des Prinzen
geradeso, wie es eine Braut wohl tun mag, ohne sich im voraus zu viel zu
vergeben; ja sie verschmähte es nicht, den Prinzen mit seinem Versteck
ein wenig aufzuziehn und zu versichern, daß sie keine Verwandlung
hübscher und anmutiger sich denken könne, als die eines Haubenstocks in
einen Prinzenkopf. Denn für einen Haubenstock habe sie den Kopf
gehalten, der sich in dem Giebelfenster des Pavillons blicken lassen.
Dies gab Anlaß zu allerlei artigen Neckereien des glücklichen Paars, die
selbst den Fürsten zu ergötzen schienen. Nun glaubte er den großen
Irrtum der Benzon rücksichts des Kreisler erst recht einzusehen, da nach
seiner Meinung Hedwiga's Liebe zu dem schönsten der Männer sich deutlich
genug aussprach. Geist und Körper der Prinzessin schienen in der
seltenen hohen Blüte zu stehen, wie sie glücklichen Bräuten ganz
besonders eigen. -- Gerade entgegengesetzt verhielt es sich mit Julien.
Sowie sie den Prinzen erblickte, bebte sie zusammen von innerm Schauer
erfaßt. Blaß wie der Tod stand sie da mit tief zu Boden gesenkten Augen,
keiner Bewegung mächtig, kaum fähig, sich aufrecht zu erhalten. --
Nach einer guten Weile wandte sich der Prinz zu Julien mit den
Worten: Fräulein Benzon, wenn ich nicht irre?
Eine Freundin der Prinzessin von der frühsten Kindheit her, gleichsam
ein Schwesternpaar. Während der Fürst diese Worte sprach, hatte der
Prinz Julia's Hand gefaßt und ihr leise, leise zugehaucht: Nur du
bist's, die ich meine! -- Julia schwankte, Tränen der bittersten Angst
drängten sich unter den Wimpern hervor; sie wäre niedergestürzt, hätte
die Prinzessin nicht schnell einen Sessel herbeigeschoben.
Julia, sprach die Prinzessin leise, indem sie sich über die Ärmste
hinüberbeugte, Julia, fasse Dich doch nur! -- Ahnest Du denn nicht den
harten Kampf, den ich kämpfe. -- Der Fürst öffnete die Türe und rief
nach Eau de Luce. Solches führe ich nicht bei mir, sprach der ihm
entgegentretende Meister Abraham, aber guten Äther. Ist jemand
ohnmächtig geworden? -- Äther hilft auch! --
So kommt schnell herein, Meister Abraham, erwiderte der Fürst, und helft
Fräulein Julien.
Doch sowie Meister Abraham in den Saal trat, sollte sich das Unerwartete
begeben.
Geisterbleich starrte Prinz Hektor den Meister an, sein Haar schien
sich zu sträuben, kalter Angstschweiß ihm auf der Stirne zu stehen.
Einen Schritt vorwärts, den Leib zurückgebogen, die Arme dem Meister
entgegengestreckt, war er dem Macbeth zu vergleichen, wenn plötzlich
Banko's entsetzliches blutiges Gespenst den leeren Platz der Tafel
füllt. -- Ruhig holte der Meister sein Fläschchen hervor und wollte sich
Julien nahen.
Da war es, als ermanne sich der Prinz wieder zum Leben. Severino, seid
Ihr's selbst? So rief der Prinz mit dem dumpfen Ton des tiefsten
Entsetzens. Allerdings, erwiderte Meister Abraham, ohne im mindesten aus
seiner Ruhe zu kommen, ohne nur die Miene zu verändern, allerdings. Es
ist mir sehr lieb, daß Ihr Euch meiner erinnert, gnädigster Herr; ich
hatte die Ehre Euch vor etlichen Jahren in Neapel einen kleinen Dienst
zu erzeigen.
Der Meister trat noch einen Schritt vorwärts da faßte ihn der Prinz beim
Arm, zog ihn mit Gewalt auf die Seite, und nun erfolgte ein kurzes
Gespräch, von dem niemand der im Saal Befindlichen etwas verstand, da es
zu schnell und im neapolitanischen Dialekt geführt wurde.
Severino! -- wie kam der Mensch zu dem Bildnis?
Ich gab es ihm zur Schutzwehr gegen Euch.
Weiß er?
Nein!
Werdet Ihr schweigen?
Zur Zeit -- ja!
Severino! -- alle Teufel sind mir auf den Hals gehetzt! Was nennt Ihr
zur Zeit?
Solange Ihr artig seid und den Kreisler in Ruhe laßt und auch jene da!
-- Nun ließ der Prinz den Meister los und trat an ein Fenster. -- Julia
hatte sich indessen erholt. Mit dem unbeschreiblichen Ausdruck
herzzerreißender Wehmut den Meister Abraham anschauend, lispelte sie
mehr als daß sie sprach: O mein guter, lieber Meister, Ihr könnt mich
wohl retten! -- Nicht wahr, Ihr gebietet über so manches? -- Eure
Wissenschaft kann noch alles zum Guten lenken! -- Der Meister gewahrte
in Julia's Worten den wunderbarsten Zusammenhang mit jenem Gespräch, als
habe sie in der höhern Erkenntnis des Traums alles verstanden und wisse
um das ganze Geheimnis!
Du bist ein frommer Engel, sprach der Meister Julien leise ins Ohr, und
darum hat der finstre Höllengeist der Sünde keine Macht über Dich.
Vertraue Dich mir ganz; fürchte nichts und fasse Dich mit aller Kraft
des Geistes. -- Denke auch an unsern Johannes.
Ach, rief Julia schmerzlich, ach Johannes! -- er kehrt zurück, nicht
wahr, Meister? ich werde ihn wiedersehen!
Gewiß, erwiderte der Meister und legte den Finger auf den Mund; Julia
verstand ihn. --
Der Prinz mühte sich, unbefangen zu scheinen; er erzählte, daß der Mann,
den man hier, wie er vernehme, Meister Abraham nenne, vor mehreren
Jahren in Neapel Zeuge einer sehr tragischen Begebenheit gewesen sei, in
die er, der Prinz, selbst verflochten, wie er gestehen müsse. -- Diese
Begebenheit zu erzählen sei jetzt nicht an der Zeit, doch wolle er
künftig nicht damit zurückhalten. --
Der Sturm im Innern war zu heftig, als daß sein Tosen nicht auf der
Oberfläche hätte sichtbar sein sollen, und so stimmte des Prinzen
verstörtes Antlitz, dem jeder Blutstropfen entschwunden schien, sehr
schlecht überein mit dem gleichgültigen Gespräch, zu dem er sich nun
zwang, um nur über den kritischen Moment hinwegzukommen. Besser als dem
Prinzen gelang es der Prinzessin, die Spannung des Augenblicks zu
besiegen. Mit der Ironie, die selbst den Argwohn, die Verbittrung
verflüchtigt zum feinsten Hohn, neckte Hedwiga den Prinzen umher in dem
Labyrinth seiner eignen Gedanken. Er, der gewandteste Weltmann, noch
mehr, ausgerüstet mit allen Waffen einer Ruchlosigkeit, die alles
Wahrhafte, jede Gestaltung des Lebens vernichtet, vermochte nicht diesem
seltsamen Wesen zu widerstehen. Je lebhafter Hedwiga sprach, je feuriger
und zündender die Blitze des geistreichen Spottes einschlugen, desto
verwirrter, beängstigter schien sich der Prinz zu fühlen, bis dies
Gefühl zum Unerträglichen stieg und er sich schnell entfernte.
Dem Fürsten geschah das, was ihm bei solchen Anstößen jedesmal zu
geschehen pflegte; er wußte gar nicht, was er von dem allen denken
sollte. Er begnügte sich mit einigen französischen Brocken ohne
sonderliche Bedeutung, die er dem Prinzen zuwarf und die dieser mit
ebensolchen erwiderte.
Der Prinz war schon zur Türe heraus, als Hedwiga plötzlich, im ganzen
Wesen verändert zum Fußboden niederstarrte und mit einem seltsamen das
Herz durchschneidenden Ton laut rief: Ich sehe die blutige Spur des
Mörders! -- Dann schien sie aus dem Traum zu erwachen, drückte Julien
stürmisch an ihre Brust und lispelte ihr zu: Kind, mein armes Kind, laß
Dich nicht betören!
Geheimnisse, Einbildungen, Albernheiten, Romanenstreiche, sprach der
Fürst verdrießlich. _Ma foi,_ ich kenne meinen Hof nicht mehr! Meister
Abraham! Ihr bringt meine Uhren in Ordnung, wenn sie nicht richtig
gehen; ich wollt', Ihr könntet hier nachsehen, was für Schaden das
Räderwerk genommen, das sonst niemals stockte. -- Doch was ist das mit
dem Severino?
Unter diesem Namen, erwiderte der Meister, ließ ich in Neapel meine
optische und mechanische Kunststücke sehen.
So -- so, sprach der Fürst, sah den Meister starr an, als schwebe ihm
eine Frage auf den Lippen, drehte sich aber dann schnell um und verließ
schweigend das Zimmer. --
Man hatte geglaubt, die Benzon befinde sich bei der Fürstin, dem war
aber nicht so; sie hatte sich in ihre Wohnung begeben.
Julia sehnte sich nach der freien Luft; der Meister führte sie in den
Park und lustwandelnd durch die halbentlaubten Gänge sprachen sie von
Kreisler und seinem Aufenthalt in der Abtei. Sie waren an das
Fischerhäuschen gekommen. Julia trat hinein, um sich zu erholen;
Kreislers Brief lag auf dem Tisch; der Meister meinte, es sei gar nichts
darin, das Julia Scheu tragen dürfe zu erfahren.
Während Julia den Brief gelesen, hatten sich ihre Wangen höher gefärbt,
und sanftes Feuer, Abglanz des erheiterten Gemüts, strahlte aus ihren
Augen.
Siehst du wohl, mein liebes Kind, sprach der Meister freundlich, wie der
gute Geist meines Johannes auch aus der Ferne tröstend zu Dir spricht?
Was hast Du von bedrohlichen Anschlägen zu fürchten, wenn
Standhaftigkeit, Liebe und Mut Dich schützen vor den Bösen, die Dir
nachstellen.
Barmherziger Himmel, rief Julia mit emporgerichtetem Blick, schütze mich
nur vor mir selber! Sie erbebte wie im jähen Schreck über die Worte, die
sie willenlos ausgestoßen. Halb ohnmächtig sank sie in den Sessel und
bedeckte mit beiden Händen ihr glühendes Antlitz.
Ich verstehe dich nicht Mädchen, sprach der Meister, du verstehst Dich
vielleicht selbst nicht und darum magst Du Dein eignes Inneres recht auf
den Grund erforschen und Dir nichts etwa verschweigen aus weichlicher
Schonung. --
Der Meister überließ Julien dem tiefen Nachsinnen, in das sie versunken,
und schaute mit übereinander geschlagenen Armen zu der geheimnisvollen
Glaskugel. Da schwoll ihm die Brust vor Sehnsucht und wunderbarer
Ahnung.
Dich muß ich ja fragen, sprach er, mit dir muß ich mich ja beraten, mit
dir, du meines Lebens schönes, herrliches Geheimnis! Schweige nicht, laß
deine Stimme hören! -- Du weißt es ja, niemals war ich ein gemeiner
Mensch, unerachtet mich manche dafür hielten. Denn in mir glühte alle
Liebe, die der ewige Weltgeist selbst ist und der Funke glimmte in
meiner Brust, den der Hauch deines Wesens anfachte zur hellen fröhlichen
Flamme! -- Glaube nicht, Chiara, daß dies Herz darum, weil es älter
worden, vereiset ist und nicht mehr so rasch zu schlagen vermag als
damals, da ich dich dem unmenschlichen Severino entriß; glaube nicht,
daß ich jetzt weniger deiner wert geworden, als ich es damals war, da du
selbst mich aufsuchtest! -- Ja! -- laß nur deine Stimme hören, und ich
will mit der Hast des Jünglings dem Ton so lange nachrennen, bis ich
dich gefunden, und dann wohnen wir wieder zusammen und treiben in
zauberischer Gemeinschaft die höhere Magie, welche alle Menschen, selbst
die allgemeinsten, notgedrungen erkennen ohne daran zu glauben. -- Und
wandelst du nicht mehr leiblich hier auf Erden, spricht deine Stimme aus
der Geisterwelt zu mir herab, so bin ich auch damit zufrieden und werde
auch dann wohl noch ein tüchtigerer Kerl, als ich jemals gewesen. -- Doch
nein nein! Wie lauteten die tröstenden Worte, die du zu mir sprachst?
Nicht erfaßt der bleiche Tod,
Die im Herzen Liebe tragen;
Dem glänzt noch das Abendrot,
Der am Morgen wollt' verzagen!
Meister, rief Julia, die sich aus dem Sessel erhoben und dem Alten in
tiefstem Erstaunen zugehorcht hatte, Meister! mit wem redet Ihr? was
wollt Ihr beginnen? -- Ihr nanntet den Namen: Severino, güt'ger Himmel!
redete der Prinz, als er sich von seinem Entsetzen erholt hatte, Euch
nicht selbst an mit diesem Namen? Welches furchtbare Geheimnis liegt
hier verborgen?
Der Alte kam bei diesen Worten Julia's augenblicklich aus dem erhöhten
Zustande zurück, und auf seinem Gesicht verbreitete sich, wie es schon
lange nicht mehr geschehen, jene seltsame beinahe grinsende
Freundlichkeit, die mit seinem übrigens treuherzigen Wesen in dem
wunderlichsten Zwiespalt stand und seiner ganzen Erscheinung den
Anstrich einer etwas unheimlichen Karikatur gab.
Mein schönes Fräulein, sprach er mit dem grellen Ton, in dem
aufschneiderische Geheimniskrämer gewöhnlich ihre Wunder anzupreisen
pflegen, mein schönes Fräulein, nur ein wenig Geduld, ich werde bald die
Ehre haben Ihnen hier im Fischerhäuschen die allerwunderbarsten Dinge zu
zeigen. -- Diese tanzenden Männlein, dieser kleine Türke, welcher weiß,
wie alt jeder in der Gesellschaft ist, diese Automate, diese
Palingenesien, diese deformierten Bilder, diese optischen Spiegel
-- alles hübsches magisches Spielzeug, aber das Beste fehlt mir noch.
Mein unsichtbares Mädchen ist da! -- Bemerken Sie, dort oben sitzt sie
bereits in der Glaskugel. Sie spricht aber noch nicht, sie ist noch müde
von der weiten Reise, denn sie kommt gerades Weges aus dem fernen
Indien. -- In einigen Tagen, mein schönes Fräulein, kommt meine
Unsichtbare und dann wollen wir sie befragen wegen des Prinzen Hektor,
wegen Severino und anderer Begebnisse der Vergangenheit und Zukunft!
-- Für jetzt nur etwas weniges schlichtes Amüsement.
Damit sprang der Meister mit der Schnelle und Lebendigkeit eines
Jünglings im Zimmer umher, zog die Maschine an, ordnete die magischen
Spiegel. Und in allen Winkeln wurde es rege und lebendig; die Automaten
schritten daher und drehten die Köpfe, und ein künstlicher Hahn
schlug mit den Flügeln und krähte, während Papageien gellend
dazwischenkreischten, und Julia selbst und der Meister standen draußen
so gut wie im Zimmer. Julien wollte, unerachtet sie an dergleichen
Possen genugsam gewöhnt, dennoch bei der seltsamen Stimmung des Meisters
ein Grauen anwandeln. Meister, sprach sie ganz erschrocken, was ist Euch
widerfahren?
Kind, erwiderte der Meister in seiner ernsten Manier, Kind etwas Schönes
und Wunderbares, aber es taugt nicht recht, daß Du es erfährst. Doch!
-- laß die lebendigtoten Dinger hier ihre Faxen ausspielen, während ich
Dir von manchem so viel vertraue, als Dir zu wissen nötig und nützlich.
-- Meine liebe Julia, Deine eigne Mutter hat Dir ihr mütterliches Herz
verschlossen, ich will es Dir öffnen, daß Du hinein zu blicken, daß Du
die Gefahr, in der Du schwebst, zu erkennen und Dich ihr zu entziehen
vermagst. -- Erfahre also fürs erste ohne weitere Umschweife, daß Deine
Mutter nichts Geringeres fest in ihrem Sinn beschlossen hat, als
Dich ----
=(M. f. f.)= -- es indessen lieber bleiben lassen. -- Katerjüngling, sei
bescheiden wie ich, und nicht gleich überall bei der Hand mit deinen
Versen, wenn die schlichte, ehrliche Prosa hinreicht, deine Gedanken
auszuspinnen. -- Verse sollen in dem in Prosa geschriebenen Buche das
leisten was der Speck in der Wurst, nämlich hin und wieder in kleinen
Stückchen eingestreut, dem ganzen Gemengsel mehr Glanz der Fettigkeit,
mehr süße Anmut des Geschmacks verleihen. Ich fürchte nicht, daß
dichterische Kollegen dies Gleichnis zu gemein und unedel finden werden,
da es von unsrer Lieblingsspeise entnommen und in der Tat manchmal ein
guter Vers einem mittelmäßigen Roman ebenso dienlich sein kann, als ein
fetter Speck einer magern Wurst. Ich sage das als ein Kater von
ästhetischer Bildung und Erfahrung. So sehr es nach meinen bisherigen
philosophischen und moralischen Grundsätzen Ponto's ganzes Verhältnis,
seine Lebensweise, seine Art sich in der Gunst des Herrn zu erhalten mir
unwürdig, ja ein wenig miserabel vorkommen mochte, doch hatte mich sein
ungezwungener Anstand, seine Eleganz, seine anmutige Leichtigkeit im
sozialen Umgange gar sehr bestochen. Mit aller Gewalt wollte ich mich
selbst überreden, daß ich bei meiner wissenschaftlichen Bildung, bei
meinem Ernst in allem Tun und Treiben auf einer viel höheren Stufe stehe
als der unwissende Ponto, der nur hier und da etwas von den
Wissenschaften aufgeschnappt. Ein gewisses gar nicht zu unterdrückendes
Gefühl sagte mir aber ganz unverhohlen, daß Ponto überall mich in den
Schatten stellen würde; ich fühlte mich gedrungen, einen vornehmern
Stand anzuerkennen und den Pudel Ponto zu diesem Stande zu rechnen. --
Ein genialer Kopf wie der meinige hat bei jedem Anlaß, bei jeder
Lebenserfahrung immer seine besonderen eigentümlichen Gedanken, und so
geriet ich auch, meine innere Seelenstimmung, mein ganzes Verhältnis mit
Ponto wohl überlegend, in allerlei sehr artige Betrachtungen, die der
ferneren Mitteilung wohl wert sind. -- Wie kommt es, sprach ich zu mir
selbst, indem ich sinnig die Pfote an die Stirn legte, wie kommt es, daß
große Dichter, große Philosophen, sonst geistreich, sich im sozialen
Verhältnis mit der sogenannten vornehmeren Welt so unbehilflich zeigen?
Sie stehen jederzeit da, wo sie eben in dem Augenblick nicht hingehören,
sie sprechen wenn sie gerade schweigen sollten, und schweigen umgekehrt
da, wo gerade Worte nötig, sie stoßen in -- der Form der Gesellschaft,
wie sie sich nun eben gestaltet hat, entgegengesetztem -- Streben
überall an und verletzen sich selbst und andere; genug sie gleichen dem,
der, wenn eben eine ganze Reihe muntrer Spaziergänger einträchtig
hinauswandelt, sich allein zum Tore hineindrängt und nun, mit Ungestüm
seinen Weg verfolgend, diese ganze Reihe verstört. Man schreibt, ich
weiß es, dies dem Mangel gesellschaftlicher Kultur zu, die am
Schreibtische nicht zu erlangen, ich meine indessen, daß diese Kultur
gar leicht zu erlangen sei, und daß jene unbesiegbare Unbehülflichkeit
wohl noch einen andern Grund haben müsse. -- Der große Dichter oder
Philosoph müßte es nicht sein, wenn er seine geistige Überlegenheit
nicht fühlen sollte; aber ebenso müßte er nicht das jedem geistreichen
Menschen eigne tiefe Gefühl besitzen, um nicht einzusehen, daß jene
Überlegenheit deshalb nicht anerkannt werden darf, weil sie das
Gleichgewicht aufhebt, das stets zu erhalten die Haupttendenz der
sogenannten vornehmeren Gesellschaft ist. Jede Stimme darf nur
eingreifen in den vollkommenen Akkord des Ganzen, aber des Dichters Ton
dissoniert, und ist, kann er unter Umständen auch ein sehr guter sein,
dennoch in dem Augenblick ein schlechter Ton, weil er nicht zum Ganzen
paßt. -- Der gute Ton besteht aber so wie der gute Geschmack in der
Unterlassung alles Ungehörigen. Nun meine ich ferner, daß der Unmut, der
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