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Lebensansichten des Katers Murr - 24

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  Art beeigenschaftet ihr Wesen trieben, nicht geduldet werden dürften und
  Sicherheits halber ein wenig eingesperrt werden müßten? Geschah es nicht
  aus purer Schonung gegen den Meister Abraham, daß der mysteriösen Chiara
  nicht der offne Prozeß gemacht, sondern daß sie in aller Stille
  aufgegriffen und fortgeschafft wurde, wohin weiß ich nicht einmal, da
  ich mich darum nicht weiter bekümmert? -- Welch' ein Vorwurf kann mich
  hier treffen?
  Verzeihung, gnädigster Herr, erwiderte die Benzon, aber es ist doch in
  der Tat der Vorwurf des wenigstens übereilten Verfahrens, der Sie wohl
  mit Recht trifft. -- Aber! -- erfahren Sie es gnädigster Herr! Meister
  Abraham ist davon unterrichtet, daß seine Chiara weggeschafft wurde auf
  Ihren Anlaß. Er ist still, er ist freundlich, aber glauben Sie nicht,
  gnädigster Herr, daß Haß und Rache brütet in seinem Innern, gegen den,
  der ihm sein Liebstes raubte auf Erden! Und diesem Mann wollen Sie
  vertrauen, wollen ihm Ihr Inneres erschließen? -- Benzon, sprach der
  Fürst, indem er sich die Schweißtropfen von der Stirne wegtrocknete,
  Benzon! Sie alterieren mich sehr -- ganz unbeschreiblich möcht' ich
  sagen! -- Barmherziger! Kann ein Fürst so aus der Contenance gebracht
  werden? Muß beim Teufel -- Gott ich glaube gar, ich fluche, wie ein
  Dragoner hier beim Tee! -- Benzon! warum sprachen Sie nicht früher! -- Er
  weiß schon alles! -- Im Fischerhäuschen, gerade als ich ganz außer mir
  war über der Prinzessin Zustand, da floß mir das Herz, der Mund über.
  Ich sprach von Angela, entdeckte ihm -- Benzon, schrecklich ist es! --
  _j'étois -- un_ -- Esel! -- _Voilà tout!_ --
  Und er erwiderte? So fragte die Benzon gespannt.
  Beinahe ist es mir so, sprach der Fürst weiter, als habe der Meister
  Abraham zuerst angefangen von unserm früheren Attachement zu sprechen,
  und wie ich ein glücklicher Vater sein können, statt daß ich nun ein
  malheureuser sei. -- So viel ist aber richtig, daß, als ich meine
  Beichte geendet, er lächelnd erklärte, wie er schon längst alles wisse
  und hoffe, daß sich vielleicht in ganz kurzer Zeit aufklären werde, wo
  Angela geblieben. -- Mancher Trug würde dann vernichtet werden, manche
  Täuschung zerrinnen. --
  Das sagte der Meister? sprach die Benzon mit bebenden Lippen.
  _Sur mon honneur,_ erwiderte der Fürst, das sprach er. -- Tausend
  Sapperment -- pardonieren Sie Benzon, aber ich bin im Zorn -- wenn der
  Alte es mir nachtragen sollte? -- Benzon, _que faire?_
  Beide, der Fürst und die Benzon, starrten sich sprachlos an.
  Durchlauchtigster Herr! lispelte leise ein Kammerlakai, indem er dem
  Fürsten Tee präsentierte. _Bête!_ schrie aber der Fürst, im hastigen
  Aufspringen dem Lakai Präsentierteller samt der Tasse aus den Händen
  schleudernd; alles fuhr entsetzt von den Spieltischen in die Höhe, das
  Spiel war geendet, der Fürst, sich mit Macht bezwingend, lächelte ein
  freundliches Adieu den Erschrockenen zu und begab sich mit der Fürstin
  in die inneren Gemächer. Auf jedem Gesicht las man aber ganz deutlich:
  Gott was ist das, was bedeutet das? -- Der Fürst spielte nicht, sprach
  so lange, so angelegentlich mit der Rätin und geriet dann in solch
  entsetzlichen Zorn! --
  Unmöglich konnte die Benzon auch nur entfernt ahnen, was sie in ihrer
  Wohnung, die in einem Seitengebäude dicht neben dem Schlosse belegen,
  für ein Auftritt erwartete. -- Kaum eingetreten, stürzte ihr nämlich
  ganz außer sich Julia entgegen und -- Doch! gegenwärtiger Biograph ist
  sehr zufrieden, daß er diesmal das, was sich mit Julia während des
  fürstlichen Tees begeben, viel besser und deutlicher zu erzählen vermag,
  als manches andere Faktum der bis jetzt wenigstens etwas verworrenen
  Geschichte. -- Also! -- Wir wissen, daß Julien erlaubt wurde, früher
  nach Hause zurückzukehren. Ein Leibjäger leuchtete ihr mit einer Fackel
  vor. Kaum waren sie aber einige Schritte von dem Schlosse entfernt, als
  der Leibjäger plötzlich stillstand und die Fackel hoch emporhob. Was
  gibt es, fragte Julia. Ei, erwiderte der Leibjäger, ei Fräulein Julia,
  haben Sie wohl die Gestalt bemerkt, die dort vor uns so schnell
  forthuschte? Ich weiß gar nicht, was ich davon denken soll, seit
  mehreren Abenden schleicht hier ein Mensch umher, der bei seiner
  Heimlichkeit was Böses im Schilde führen muß. Wir haben ihm schon
  nachgestellt auf alle nur mögliche Weise, aber er entwischt uns unter
  den Händen, ja er wird vor unsern Augen unsichtbar, wie ein Gespenst
  oder wie der, Gott sei bei uns! selbst. --
  Julia dachte an die Erscheinung im Giebelfenster des Pavillons und
  fühlte sich von unheimlichen Schauern durchbebt. Fort, ach nur schnell
  fort, rief sie dem Jäger zu, der meinte aber lachend, das liebe Fräulein
  möge sich nur nicht fürchten, denn ehe ihr etwas geschehe, müsse ihm
  erst das Gespenst den Hals umdrehen, überdem habe aber wohl das
  unbekannte Ding, was sich in der Gegend des Schlosses blicken lasse,
  Fleisch und Bein wie andere ehrliche Leute und sei ein furchtsamer,
  lichtscheuer Hase.
  Julia schickte ihr Mädchen, das über Kopfschmerz und Fieberfrost klagte,
  zu Bette und legte ohne ihre Beihilfe die Nachtkleider an.
  Nun, als sie einsam auf ihrem Zimmer, ging noch einmal alles in ihrer
  Seele auf, was Hedwiga in einem Zustande zu ihr gesprochen, den sie nur
  krankhafter Überspannung zuschreiben wollte. Und doch war es gewiß, daß
  eben jene krankhafte Überspannung nur eine psychische Ursache haben
  konnte. -- Mädchen von solch unbefangenem reinem Gemüt, wie Julia,
  erraten in derlei intrikaten Fällen wohl selten das Richtige. So glaubte
  auch Julia, als sie sich alles nochmals in den Sinn gerufen, nichts
  anderes, als daß Hedwiga von jener entsetzlichen Leidenschaft ergriffen,
  die sie selbst ihr so furchtbar, als die Ahnung davon in ihrer eignen
  Seele lag, geschildert, und daß Prinz Hektor der Mann sei, dem sie ihr
  eignes Selbst geopfert. -- Nun, schloß sie ferner, sei, der Himmel wisse
  wie, der Wahn in Hedwiga aufgestiegen, daß der Prinz in anderer Liebe
  befangen, und habe sie gequält wie ein fürchterliches, rastlos sie
  verfolgendes Gespenst, so daß daraus sich die heillose Zerrüttung im
  Innern erzeugt. Ach, sprach Julia zu sich selbst, ach du gute liebe
  Hedwiga, kehrte Prinz Hektor zurück, wie bald würdest du dich
  überzeugen, daß du von deiner Freundin nichts zu befürchten! Doch in dem
  Augenblick, als Julia diese Worte sprach, trat der Gedanke, daß der
  Prinz sie liebe, so aus dem Innersten hervor, daß sie vor seiner Macht
  und Lebendigkeit erschrak, daß sie sich von unnennbarer Angst erfaßt
  fühlte, es könne doch wahr, was die Prinzessin glaube, und ihr Verderben
  gewiß sein. Jener seltsame fremdartige Eindruck, den des Prinzen Blick,
  sein ganzes Wesen auf sie gemacht, kam ihr wieder zu Sinn, jenes
  Entsetzen durchbebte aufs neue ihre Glieder. Sie gedachte jenes Momentes
  auf der Brücke, als der Prinz sie umschlingend, den Schwan fütterte,
  all' der verfänglichen Worte, die er damals sprach und die, so harmlos
  ihr damals alles vorgekommen, ihr jetzt von tieferer Bedeutung schienen.
  Aber auch des verhängnisvollen Traumes gedachte sie, als sie sich von
  eisernen Armen fest umschlungen gefühlt und es der Prinz gewesen, der
  sie festgehalten, als sie dann erwacht den Kapellmeister im Garten
  erblickt und sein ganzes Wesen ihr klar geworden und sie daran geglaubt,
  daß er sie schützen werde vor dem Prinzen.
  Nein, rief Julia laut, nein es ist nicht so, es kann dem nicht so sein,
  es ist nicht möglich! Es ist der böse Geist der Hölle selbst, der diese
  sündhaften Zweifel in mir Ärmsten aufregt! -- Nein er soll nicht Macht
  haben über mich! --
  Mit dem Gedanken an den Prinzen, an jene gefahrvollen Augenblicke regte
  sich in Julia's tiefster Brust eine Empfindung, deren Bedrohlichkeit nur
  daran zu erkennen, daß sie die Scham weckte, die das wallende Blut ihr
  in die Wangen, heiße Tränen in die Augen trieb. Wohl der holden, frommen
  Julia, daß sie Kraft genug besaß den bösen Geist zu beschwören, ihm
  keinen Raum zu verstatten, in dem er fest fußen können. Es ist hier noch
  wiederholt zu bemerken, daß Prinz Hektor der schönste liebenswürdigste
  Mann war, den man nur sehen konnte, daß seine Kunst zu gefallen auf die
  tiefe Weiberkenntnis gegründet war, die ihm das Leben voll glücklicher
  Abenteuer erworben und daß eben ein junges unbefangenes Mädchen wohl
  erschrecken mochte vor der siegenden Kraft seines Blicks, seines ganzen
  Wesens.
  O Johannes, sprach sie sanft, du guter herrlicher Mann, kann ich denn
  nicht bei dir den Schutz suchen, den du mir versprochen? Kannst du nicht
  selbst zu mir tröstend reden mit den Himmelstönen, die recht widerhallen
  in meiner Brust?
  Damit öffnete Julia das Pianoforte und begann die Kompositionen
  Kreislers, die ihr die liebsten waren, zu spielen und zu singen. In der
  Tat fühlte sie sich bald getröstet, erheitert, der Gesang trug sie fort
  in eine andere Welt, es gab keinen Prinzen, ja keine Hedwiga mehr, deren
  krankhafte Phantome sie verstören durften!
  -- Nun noch meine liebste Kanzonetta! -- So sprach Julia und begann das
  von so vielen Komponisten gesetzte: _Mi lagnero tacendo etc._ In der Tat
  war Kreislern dieses Lied vor allen übrigen gelungen. Der süße Schmerz
  der brünstigsten Liebessehnsucht war darin in einfacher Melodie, mit
  einer Wahrheit, mit einer Stärke ausgedrückt, die jedes fühlende Gemüt
  unwiderstehlich ergreifen mußte. Julia hatte geendet, in das Andenken an
  Kreisler ganz und gar versunken, schlug sie noch einzelne Akkorde an,
  die ein Echo schienen ihrer innern Gefühle. Da ging die Türe auf, sie
  schaute hin und ehe sie sich vom Sitz erheben konnte, lag Prinz Hektor
  ihr zu Füßen und hielt sie fest, beide Hände erfassend. Laut schrie sie
  auf vor jähem Schreck, doch der Prinz beschwor sie bei der Jungfrau und
  allen Heiligen ruhig zu sein, ihm nur zwei Minuten den Himmel ihres
  Anblicks, ihres Worts zu gönnen. Mit Ausdrücken wie sie nur die Raserei
  der heftigsten Leidenschaft einzugeben vermag, sagte er ihr dann, daß er
  nur sie, nur sie anbete, daß der Gedanke der Vermählung mit Hedwiga ihm
  schrecklich, todbringend sei. Daß er deshalb fliehen wollen, doch bald,
  von der Macht einer Leidenschaft, die erst mit seinem Tode enden könne,
  getrieben, zurückgekehrt sei, nur um Julien zu sehen, zu sprechen, ihr
  zu sagen, daß nur sie allein sein Leben, sein Alles sei! --
  Fort, rief Julia in trostloser Herzensangst, -- Sie töten mich Prinz!
  Nimmermehr, schrie der Prinz, indem er in Liebeswut Julia's Hände an die
  Lippen drückte, der Moment ist da, der Leben über mich bringt oder Tod!
  -- Julia! Kind des Himmels! Kannst Du mich, kannst Du den verwerfen,
  dessen ganzes Sein, dessen Seligkeit Du bist? -- Nein Du liebst mich
  Julia, ich weiß es, o sprich es aus, daß Du mich liebst, und alle Himmel
  überschwenglichen Entzückens sind mir geöffnet.
  Damit umschlang der Prinz die vor Entsetzen und Angst halb ohnmächtige
  Julia und drückte sie heftig an seine Brust.
  Weh mir -- erbarmt sich niemand meiner, rief sie mit halberstickter
  Stimme.
  Da erhellte Fackelglanz die Fenster und mehrere Stimmen ließen sich vor
  der Türe hören. Julia fühlte einen glühenden Kuß auf den Lippen brennen
  und schnell war der Prinz entflohen.
  Also -- ganz außer sich, stürzte, wie gesagt Julia der eintretenden
  Mutter entgegen und mit Entsetzen vernahm diese, was sich begeben. Sie
  begann damit die arme Julia zu trösten, wie sie nur vermochte, ihr zu
  versichern, daß sie den Prinzen zu seiner Scham aus dem Versteck, in dem
  er sich befinden müsse, hervorziehen werde.
  O tue das nicht Mutter, sprach Julia, ich muß vergehen, wenn der Fürst,
  wenn Hedwiga erfährt -- Sie fiel schluchzend an der Mutter Brust ihr
  Antlitz verbergend.
  Du hast recht, mein liebes gutes Kind, erwiderte die Rätin, niemand darf
  zur Zeit wissen, ahnen, daß der Prinz sich hier befindet, daß er Dir
  nachstellt, Du liebe fromme Julia! -- Die im Komplott sind müssen
  schweigen. Denn daß es deren gibt, die im Bunde sind mit dem Prinzen,
  hat nicht den mindesten Zweifel, da er sonst ebensowenig unbemerkt hier
  in Sieghartshof sich hätte aufhalten, als in unsre Wohnung schleichen
  können. -- Unbegreiflich ist es mir, wie es den Prinzen möglich wurde
  aus dem Hause zu entfliehen, ohne mir und Friedrich, der mir
  vorleuchtete, zu begegnen? Den alten Georg fanden wir im tiefen
  unnatürlichen Schlaf, aber wo ist Nanny? Weh mir, lispelte Julia, weh
  mir, daß sie krank war und ich sie fortschicken mußte.
  Vielleicht kann ich ihr Arzt sein, sprach die Benzon, und stieß rasch
  die Türe des Nebenzimmers auf. Da stand die kranke Nanny völlig
  angekleidet; sie hatte gelauscht und sank nun vor Schreck und Furcht
  nieder der Benzon zu Füßen.
  Wenige Fragen der Benzon reichten hin, um zu erfahren, daß der Prinz
  durch den alten für so treu gehaltenen Kastellan --
  =(M. f. f.)= -- mußt ich erfahren! -- Muzius mein treuer Freund, mein
  herziger Bruder war an den Folgen der bösen Verwundung am Hinterbeine
  Todes verblichen. -- Die Trauerpost traf mich sehr hart, nun erst fühlte
  ich, was mir Muzius gewesen! -- In künftiger Nacht sollte, wie mir Puff
  sagte, in dem Keller desselben Hauses, wo der Meister wohnte und wo man
  die Leiche hingeschafft, die Totenfeier gehalten werden. Ich versprach,
  mich nicht allein zu gehöriger Zeit einzufinden, sondern auch für Speise
  und Trank zu sorgen, damit nach alter edler Sitte auch das Trauermahl
  gehalten werden könne. Ich besorgte dies auch wirklich, indem ich den
  Tag über nach und nach meinen reichlichen Vorrat an Fischen,
  Hühnerknochen und Gemüse hinabtrug. -- Für Leser die alles gern auf das
  genaueste erklärt haben und daher auch wohl wissen möchten, wie ich es
  angefangen, das Getränk hinabzutransportieren bemerke ich, daß ohne
  weiteres Mühen mir eine freundliche Hausmagd dazu verhalf. Die Hausmagd,
  welche ich gar oft im Keller zu treffen und auch wohl in der Küche zu
  besuchen pflegte, schien meinem Geschlecht und insonderheit mir ganz
  vorzüglich gewogen, so daß wir uns nie sahen, ohne auf anmutige Weise
  miteinander zu spielen. Sie reichte mir manchen Bissen, der eigentlich
  schlechter war als wie ich ihn von meinem Meister empfing, den ich aber
  doch verzehrte und dabei tat, als wenn er mir ganz vorzüglich schmeckte,
  aus purer Galanterie. So was rührt wohl das Herz einer Hausmagd und sie
  tat worauf es eigentlich abgesehen war. Ich sprang ihr nämlich auf den
  Schoß und sie kratzte mir so lieblich Kopf und Ohren, daß ich ganz Wonne
  und Seligkeit war und an die Hand mich gar sehr gewöhnte, die: Wochtags
  ihren Besen führt, und Sonntags dann am besten karessiert! -- An diese
  freundliche Person wandte ich mich nun in dem Augenblick, als sie aus
  dem Keller, in dem ich mich gerade befand, einen großen Topf voll süßer
  Milch herauftragen wollte und äußerte auf ihr verständliche Weise, den
  lebhaften Wunsch, die Milch für mich zu behalten. »Närrischer Murr,«
  sprach das Mädchen, die ebensogut wie alle übrigen Leute im Hause, ja
  wie die ganze Nachbarschaft meinen Namen wußte, du willst gewiß die
  Milch nicht für dich allein, du willst gewiß traktieren! Nun, behalt nur
  die Milch, kleiner Graukittel, ich muß oben schon für andere sorgen!
  Damit setzte sie den Topf mit Milch auf den Boden nieder, streichelte
  mir, der ich in den zierlichsten Purzelbäumen meine Freude und meinen
  Dank zu erkennen gab, noch was weniges den Rücken und stieg dann die
  Kellertreppe hinauf. -- Merke dir o Katerjüngling hiebei, daß die
  Bekanntschaft, ja ein gewisses sentimentell gemütliches Verhältnis mit
  einer freundlichen Köchin für junge Leute unseres Standes und
  Geschlechts ebenso angenehm ist als ersprießlich.
  Um die Mitternachtsstunde begab ich mich hinab in den Keller.
  Trauriger, herzzerreißender Anblick! Da lag in der Mitte auf einem
  Katafalk, der freilich dem einfachen Sinn, den der Verstorbene stets in
  sich trug, gemäß nur in einem Bündel Stroh bestand, die Leiche des
  teuern geliebten Freundes! -- Alle Kater waren schon versammelt, wir
  drückten uns, keines Wortes mächtig, die Pfoten, setzten uns, heiße
  Tränen in den Augen, in einen Kreis rings um den Katafalk umher und
  stimmten einen Klagegesang an, dessen die Brust durchschneidende Töne
  furchtbar in den Kellergewölben widerhallten. Es war der trostloseste,
  entsetzlichste Jammer, der jemals gehört worden, kein menschliches Organ
  vermag ihn herauszubringen.
  Nachdem der Gesang geendet, trat ein sehr hübscher, anständig in Weiß
  und Schwarz gekleideter Jüngling aus dem Kreise, stellte sich an das
  Kopfende der Leiche und hielt nachfolgende Standrede, welche er mir,
  unerachtet er sie aus dem Stegreif gesprochen, schriftlich mitteilte.
   =Trauerrede=
   am Grabe des zu früh verblichenen Katers
   =Muzius,=
   der Phil. und Gesch. Befliss.
   gehalten von seinem treuen Freunde und Bruder,
   dem Kater =Hinzmann,=
   der Poes. und Bereds. Befliss.
   Teure in Betrübnis versammelte Brüder!
   Wackre hochherzige Bursche!
  Was ist der Kater! -- ein gebrechliches, vergängliches Ding wie alles,
  was geboren auf Erden! -- Ist es wahr, was die berühmtesten Ärzte und
  Physiologen behaupten, daß der Tod, dem alle Kreatur unterworfen,
  hauptsächlich in dem gänzlichen Aufhören alles Atmens bestehe, o so ist
  unser biederer Freund, unser wackerer Bruder, dieser treue, tapfere
  Genosse in Freud und Leid, o so ist unser edler Muzius gewiß tot! -- Seht
  da liegt der Edle auf dem kalten Stroh und hat alle viere von sich
  gestreckt! -- Nicht der leiseste Atemzug stiehlt sich durch die auf ewig
  geschlossenen Lippen! Eingefallen sind die Augen, die sonst bald sanftes
  Liebesfeuer, bald vernichtenden Zorn strahlten in grüngleißendem Gold!
  Totenblässe überzieht das Antlitz, schlaff hängen die Ohren, hängt der
  Schweif herab! -- O Bruder Muzius, wo sind nun deine lustigen Sprünge,
  wo ist deine Heiterkeit, deine gute Laune, dein klares fröhliches: Miau!
  das alle Herzen erfreute, dein Mut, deine Standhaftigkeit, deine
  Klugheit, dein Witz? -- Alles, alles hat dir der bittre Tod geraubt und
  du weißt vielleicht nun nicht einmal genau, ob du gelebt hast? -- Und
  doch warst du die Gesundheit, die Kraft selbst, gerüstet gegen alles
  körperliche Weh, als solltest du ewig leben! Kein Rädchen des Uhrwerks,
  das dein Inneres trieb, war ja auch schadhaft, und der Todesengel hatte
  sein Schwert nicht über dein Haupt geschwungen, weil das Räderwerk
  abgelaufen und nicht mehr wieder aufgezogen werden konnte. -- Nein! ein
  feindliches Prinzip griff gewaltsam hinein in den Organismus und
  zerstörte frevelnd, was noch lange hätte bestehen können. -- Ja! -- Noch
  oft hätten diese Augen freundlich gestrahlt, noch oft wären lustige
  Einfälle, fröhliche Lieder diesen Lippen, dieser erstarrten Brust
  entströmt, noch oft hätte dieser Schweif, frohen Mutes innere Kraft
  verkündend, sich in Wellenlinien geringelt, noch oft hätten diese Pfoten
  Stärke und Gewandtheit bewiesen in den mächtigsten gewagtesten Sprüngen
  -- und nun. -- -- O kann es die Natur zulassen, daß das, was sie auf
  lange Dauer mühsam konstruiert hat, vor der Zeit zerstört werde, oder
  gibt es wirklich einen finstern Geist, Zufall genannt, der in
  despotischer frevelnder Willkür hineingreifen darf in die Schwingungen,
  die alles Sein dem ewigen Naturprinzip gemäß zu bedingen scheinen? -- O
  du Toter, könntest du das hier der betrübten, jedoch lebendigen
  Versammlung sagen! -- Doch werte Anwesende, wackre Brüder, laßt uns
  solchen tiefsinnigen Betrachtungen nicht nachhängen, sondern uns ganz
  der Klage um den viel zu früh verlornen Freund Muzius zuwenden. -- Es
  ist gebräuchlich, daß der Trauerredner den Anwesenden die ganze
  vollständige Biographie mit lobpreisenden Zusätzen und Anmerkungen
  vorträgt, und dieser Gebrauch ist sehr gut, da durch einen solchen
  Vortrag auch in dem betrübtesten Zuhörer der Ekel der Langeweile erregt
  werden muß, dieser Ekel aber nach der Erfahrung und dem Ausspruch
  bewährter Psychologen am besten jede Betrübnis zerstört, weshalb denn
  auf jene Weise der Trauerredner beide Pflichten, die, dem Verewigten die
  gehörige Ehre zu erweisen und die, die Hinterlassenen zu trösten, auf
  einmal erfüllt. Man hat Beispiele, und die sind natürlich, daß der
  Gebeugteste nach solcher Rede ganz vergnügt und munter von hinnen
  gegangen ist; über der Freude erlöst zu sein von der Qual des Vortrags,
  verschmerzte er den Verlust des Hingeschiedenen. -- Teure, versammelte
  Brüder! wie gern folgte auch ich dem löblichen bewährten Gebrauch, wie
  gern trüge ich euch die ganze ausführliche Biographie des erblaßten
  Freundes und Bruders vor und setzte euch um aus betrübten Katern in
  vergnügte, aber es geht nicht, es geht wahrhaftig nicht. -- Seht das
  ein, teure, geliebte Brüder, wenn ich euch sage, daß ich von dem
  eigentlichen Leben des Verblichenen, was Geburt, Erziehung, weiteres
  Fortkommen betrifft, beinahe gar nichts weiß, daß ich daher euch lauter
  Fabeln auftischen müßte, wozu der Ort hier bei der Leiche des Erblaßten
  viel zu ernst und unsere Stimmung viel zu feierlich ist. -- Nichts für
  ungut, Bursche, aber ich will statt alles weitern langweiligen Sermons
  nur mit wenigen schlichten Worten sagen, was für ein schmähliches Ende
  der arme Teufel, der hier starr und tot vor uns liegt, nehmen mußte und
  was es für ein wackrer, tüchtiger Kerl im Leben war! -- Doch o Himmel!
  ich falle aus dem Ton der Beredsamkeit, unerachtet ich derselben
  beflissen und, will es das Schicksal, _Professor poeseos et eloquentiae_
  zu werden hoffe! --
   (Hinzmann schwieg, putzte sich mit der rechten Pfote Ohren, Stirn,
   Nase und Bart, betrachtete lange unverwandten Blicks die Leiche,
   räusperte sich aus, fuhr nochmals mit der Pfote übers Gesicht und
   sprach dann mit erhöhtem Tone weiter.)
  O bittres Verhängnis! -- o grauser Tod! mußtest du auf solch' grausame
  Weise den verewigten Jüngling hinraffen in der Blüte seiner Jahre?
  -- Brüder! ein Redner darf dem Zuhörer nochmals sagen, was dieser schon
  erfahren bis zum Überdruß, darum wiederhole ich, was ihr schon alle
  wißt, daß nämlich der dahingeschiedene Bruder fiel, als ein Opfer des
  wütenden Hasses der Spitzphilister. -- Dorthin auf jenes Dach, wo sonst
  wir uns ergötzten in Friede und Freude, wo fröhliche Lieder schallten,
  wo Pfot in Pfot und Brust an Brust wir =ein= Herz, =eine= Seele waren,
  wollte er hinaufschleichen, um in stiller Einsamkeit mit dem Senior Puff
  das Andenken jener schönen Tage, wahrer Tage in Aranjuez, die nun
  vorüber, zu feiern, da hatten die Spitzphilister, die auf jede Weise
  jede Erneuerung unsers frohen Katerbundes hintertreiben wollten, in die
  dunklen Winkel des Bodens Fuchseisen hingestellt; in eins derselben
  geriet der unglückliche Muzius, zerquetschte sich das Hinterbein und
  -- mußte sterben! -- Schmerzhaft und gefährlich sind die Wunden, die
  Philister schlagen, denn sie bedienen sich jederzeit stumpfer,
  schartiger Waffen, doch stark und kräftig von Natur hätte der
  Dahingeschiedene der bedrohlichen Verletzung unerachtet wieder aufkommen
  können, aber der Gram, der tiefe Gram sich von schnöden Spitzen
  überwunden, in seiner schönen glanzvollen Laufbahn ganz zerstört zu
  sehen, der stete Gedanke an die Schmach, die wir alle erlitten, das war
  es, was an seinem Leben zehrte. -- Er litt keinen gehörigen Verband,
  nahm keine Arzenei -- man sagt, er wollte sterben! --
   (Ich, wir alle konnten uns bei diesen letzten Worten Hinzmanns
   nicht lassen vor grimmem Schmerz, sondern brachen alle in solch ein
   klägliches Geheul und Jammergeschrei aus, daß ein Felsen hätte
   erweicht werden können. Als wir uns nur einigermaßen beruhigt
   hatten, so daß wir zu hören vermochten, sprach Hinzmann mit Pathos
   weiter.)
  O Muzius! o schau herab! schau die Tränen, die wir um dich vergießen,
  höre die trostlose Klage, die wir um dich erheben verewigter Kater!
  -- Ja, schau auf uns herab oder hinauf, wie es du nun eben vermagst, sei
  im Geiste unter uns, wenn du noch überhaupt eines Geistes mächtig und
  derselbige, der dir innegewohnt, nicht schon anderweitig verbraucht
  worden! -- Brüder! -- wie gesagt, ich halte das Maul über die Biographie
  des Erblaßten, weil ich nichts davon weiß, aber desto lebhafter sind mir
  die vortrefflichen Eigenschaften des Verewigten im Gedächtnis und die
  will ich euch, meine teuersten, geliebtesten Freunde, vor die Nase
  rücken, damit ihr den entsetzlichen Verlust, den ihr durch den Tod des
  herrlichen Katers erlitten im ganzen Umfange fühlen möget! Vernehmt es,
  o Jünglinge! die ihr geneigt seid nie abzuweichen von dem Pfade der
  Tugend, vernehmt es! -- Muzius war, was wenige im Leben sind, ein
  würdiges Glied der Katzengesellschaft, ein guter treuer Gatte, ein
  vortrefflicher liebender Vater, ein eifriger Verfechter der Wahrheit und
  des Rechts, ein unermüdlicher Wohltäter, eine Stütze der Armen, ein
  treuer Freund in der Not! -- Ein würdiges Glied der Katzengesellschaft?
  -- Ja! denn immer äußerte er die besten Gesinnungen und war sogar zu
  einiger Aufopferung bereit, wenn geschah was er wollte, feindete auch
  nur ausschließlich diejenigen an, die ihm widersprachen und seinem
  Willen sich nicht fügten. -- Ein guter treuer Gatte? -- Ja! -- denn er
  lief andern Kätzchen nur dann nach, wenn sie jünger und hübscher waren
  als sein Gemahl und unwiderstehliche Lust ihn dazu trieb. Ein
  vortrefflicher liebender Vater? Ja! denn niemals hat man vernommen, daß
  er, wie es wohl von rohen lieblosen Vätern unsers Geschlechts zu
  geschehen pflegt, im Anfall eines besonderen Appetits eines seiner
  erzielten Kleinen verspeiset; es war ihm vielmehr ganz recht, wenn die
  Mutter sie sämtlich forttrug und er von ihrem dermaligen Aufenthalt
  weiter nichts erfuhr. Ein eifriger Verfechter der Wahrheit und des
  Rechts? Ja! -- denn sein Leben hätte er gelassen dafür, weshalb er, da
  man nur einmal lebt, sich um beides nicht viel kümmerte, welches ihm
  auch nicht zu verargen. Ein unermüdlicher Wohltäter, eine Stütze der
  Armen? Ja! denn Jahr aus Jahr ein trug er am Neujahrstage ein kleines
  Heringsschwänzlein oder ein paar subtile Knöchelchen hinab in den Hof,
  für die armen Brüder, die der Speisung bedurften und konnte wohl, da er
  auf diese Weise seine Pflicht als würdiger Katzenfreund erfüllte,
  diejenigen bedürftigen Kater mürrisch anknurren, die außerdem noch etwas
  von ihm verlangten. Ein treuer Freund in der Not? Ja! denn geriet er in
  Not, so ließ er nicht ab selbst von denjenigen Freunden, die er sonst
  ganz vernachlässigt, ganz vergessen hatte. -- Verewigter! was soll ich
  noch sagen von deinem Heldenmut, von deinem hohen geläuterten Sinn für
  alles Schöne und Edle, von deiner Gelehrsamkeit, von deiner
  Kunst-Kultur, von all' den tausend Tugenden, die sich in dir vereinten!
  Was, sag' ich, soll ich sagen davon, ohne unsern gerechten Schmerz über
  dein klägliches Hinscheiden nicht noch um vieles zu vermehren!
  -- Freunde, gerührte Brüder! -- denn in der Tat an einigen unzweideutigen
  Bewegungen bemerke ich zu meiner nicht geringen Befriedigung, daß es mir
  gelang euch zu rühren. -- Also! gerührte Brüder! -- laßt uns ein
  Beispiel nehmen an diesem Verstorbenen, laßt uns alle Mühe anwenden,
  ganz in seine würdige Fußtapfen zu treten, laßt uns ganz das sein, was
  der Vollendete war, und auch wir werden im Tode die Ruhe des wahrhaft
  weisen, des durch Tugenden jeder Art und Gattung geläuterten Katers
  genießen, wie dieser Vollendete! --
  Seht nur selbst wie er so still daliegt, wie er keine Pfote rührt, wie
  ihm all' mein Lob seiner Vortrefflichkeit auch nicht ein leises Lächeln
  des Wohlgefallens abgewonnen! -- Glaubt ihr wohl, Traurige! daß der
  bitterste Tadel, die gröbsten beleidigendsten Schmähungen ebenso jeden
  Eindruck auf den Verewigten verfehlt haben würden? Glaubt ihr wohl, daß
  selbst der dämonische Spitzphilister, träte er hinein in diesen Kreis,
  dem er sonst unmaßgeblich beide Augen ausgekratzt haben würde, jetzt ihn
  nur im mindesten in Harnisch bringen, seine sanfte süße Ruhe verstören
  dürfte?
  Über Lob und Tadel, über alle Anfeindungen, alle Foppereien, allen
  neckhaften Spott und Hohn, über allen wirrigen Spuk des Lebens ist unser
  herrlicher Muzius erhaben, er hat kein anmutiges Lächeln, keine feurige
  Umarmung, keinen biedern Pfotendruck mehr für den Freund, aber auch
  keine Krallen, keine Zähne mehr für den Feind! -- Er ist vermöge seiner
  Tugenden zu der Ruhe gelangt, der er im Leben vergebens nachgestrebt!
  
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