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Lebensansichten des Katers Murr - 17

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  Nachdem ich mich bei dem erzürnten Freunde zu entschuldigen gesucht,
  fuhr er sanfter fort: Also wie gesagt, Eure Lebensart taugt nichts,
  Bruder Murr. Ihr müßt heraus, Ihr müßt heraus in die Welt. --
  Himmel! rief ich voll Schreck, was sprecht Ihr, Bruder Muzius! in die
  Welt soll ich? -- Habt Ihr vergessen, was ich Euch vor einigen Monaten
  im Keller davon erzählte, wie ich einst hinaussprang aus einem
  englischen Halbwagen in die Welt? Welche Gefahren mir von allen Seiten
  drohten? wie mich endlich der gute Ponto rettete und zurückbrachte zu
  meinem Meister? Muzius lachte hämisch. -- Ja, sprach er dann, ja, das
  ist es eben, darin liegt es eben, der gute Ponto! -- Der stutzerische,
  superkluge, narrenhafte, stolze Heuchler, der sich eurer annahm, weil er
  gerade nichts Besseres zu tun wußte, weil es ihn gerade belustigte, der,
  suchtet Ihr ihn auf in seinen Assembleen und Koterien, Euch gar nicht
  wiederkennen, ja Euch, weil Ihr nicht seinesgleichen seid, herausbeißen
  würde! der gute Ponto, der statt Euch einzuführen in das wahre
  Weltleben, Euch unterhielt mit albernen, menschlichen Geschichten!
  -- Nein, guter Murr, jenes Ereignis hat Euch eine ganz andere Welt
  gezeigt, als die ist, in welche Ihr hineingehört! Glaubt mir auf's Wort,
  all Euer einsames Studieren hilft Euch ganz und gar nichts, und ist Euch
  vielmehr noch schädlich. Denn Ihr bleibt dennoch ein Philister, und es
  gibt auf der ganzen weiten Erde nichts langweiligeres und
  abgeschmackteres als einen gelehrten Philister!
  Aufrichtig gestand ich dem Freunde Muzius, daß ich den Ausdruck
  Philister, sowie seine eigentliche Meinung nicht ganz fasse. »O mein
  Bruder, erwiderte Muzius, indem er anmutig lächelte, so daß er in dem
  Augenblick sehr hübsch aussah, und wieder ganz der alte propre Muzius
  schien, o mein Bruder Murr, ganz vergeblich würde der Versuch sein, Euch
  dieses alles zu erklären, denn nimmermehr könnt Ihr begreifen, was ein
  Philister ist, solange Ihr selber einer seid. Wollt Ihr indessen zur
  Zeit mit einigen Grundzügen eines Katzphilisters vorlieb nehmen, so
  kann --
  =(Mak. Bl.)= -- -- gar seltsames Schauspiel. In der Mitte des Zimmers
  stand Prinzessin Hedwiga; ihr Antlitz war leichenblaß, todstarr ihr
  Blick. Prinz Ignatius trieb sein Spiel mit ihr, wie mit einer
  Gliederpuppe. Er hob ihr den Arm in die Höhe, der stehen blieb, und
  sank, wenn er ihn niederbeugte. Er stieß sie sanft vorwärts, sie ging,
  er ließ sie stehen, sie stand, er setzte sie in den Sessel, sie saß. So
  vertieft war der Prinz in dies Spiel, daß er die Eintretenden gar nicht
  bemerkte.
  »Was machen Sie da, Prinz!« -- So rief ihm die Fürstin zu, da
  versicherte er kichernd und fröhlich sich die Hände reibend, daß
  Schwester Hedwiga jetzt gut und artig geworden und alles tue, was er
  wünsche, auch ihm gar nicht so widerspreche und ihn ausschelte, wie
  sonst. -- Und damit begann er auf's neue, indem er militärisch
  kommandierte, die Prinzessin in allerlei Stellungen zu bringen, und
  jedesmal, wenn sie wie festgezaubert in der Stellung blieb, die er ihr
  gegeben, lachte er laut und sprang vor Freuden in die Höhe. »Das ist
  nicht zu ertragen, sprach die Fürstin leise mit zitternder Stimme, indem
  Tränen ihr in den Augen glänzten, doch der Leibarzt trat auf den Prinzen
  zu, und rief mit strengem, gebietendem Ton: lassen Sie das bleiben,
  gnädigster Herr! Dann nahm er die Prinzessin in die Arme, ließ sie sanft
  nieder auf die Ottomane, die im Zimmer befindlich, und zog die Vorhänge
  zu. »Es ist, wandte er sich dann zur Fürstin, zur Zeit der Prinzessin
  nichts nötiger, als die unbedingteste Ruhe, ich bitte, daß der Prinz das
  Zimmer verlasse.
  Prinz Ignatius stellte sich sehr ungebärdig an, und klagte schluchzend,
  daß jetzt allerlei Leute, die gar keine Prinzen wären, und nicht einmal
  vom Adel, sich unterfingen, ihm zu widersprechen. Er wolle nun bei der
  Prinzessin Schwester bleiben, die ihm lieber geworden sei als seine
  schönsten Tassen, und der Herr Leibarzt habe ihm gar nichts zu befehlen.
  »Gehen Sie in Ihre Zimmer, lieber Prinz, sprach die Fürstin sanft, die
  Prinzessin muß jetzt schlafen, und nach der Tafel kommt Fräulein Julia.
  »Fräulein Julia! rief der Prinz, indem er kindisch lachte und hüpfte,
  Fräulein Julia! -- Ha, das ist schön, der zeige ich die neuen
  Kupferstiche und wie ich abgebildet bin in der Geschichte vom
  Wasserkönig als Prinz Lachs mit dem großen Orden! -- damit küßte er der
  Fürstin zeremoniös die Hand und reichte die seinige mit stolzem Blick
  dar, dem Leibarzt zum Kuß. Der faßte aber die Hand des Prinzen und
  führte ihn zur Türe, die er öffnete, sich höflich verneigend. Der Prinz
  ließ es sich gefallen, auf diese Art hinausgewiesen zu werden.
  Die Fürstin sank, ganz Schmerz und Erschöpfung, nieder in den Lehnstuhl,
  stützte den Kopf in die Hand und sprach mit dem Ausdruck des tiefsten
  Weh's leise vor sich hin: Welche Todsünde lastet auf mir, daß mich der
  Himmel so hart straft. -- Dieser Sohn zu ewiger Unmündigkeit verdammt
  -- und nun -- Hedwiga -- meine Hedwiga! -- Die Fürstin verfiel in trübes,
  düstres Nachdenken.
  Der Leibarzt hatte indessen mit Mühe der Prinzessin ein paar Tropfen
  irgend einer heilsamen Arzenei eingeflößt und die Kammerfrauen
  herbeigerufen, die die Prinzessin, deren automatischer Zustand sich
  nicht im mindesten änderte, fortbrachten in ihre Zimmer, nachdem sie von
  dem Leibarzt die Weisung erhalten, bei dem kleinsten Zufall, den die
  Prinzessin erleiden könne, ihn sogleich herbeizurufen.
  Gnädigste Frau, wandte sich der Leibarzt zur Fürstin, so höchst seltsam,
  so höchst besorglich auch der Zustand der Prinzessin scheinen mag, so
  glaube ich doch mit Gewißheit versichern zu können, daß er bald aufhören
  wird, ohne die mindesten gefährlichen Folgen zu hinterlassen. Die
  Prinzessin leidet an jener ganz besondern wunderbaren Art des
  Starrkrampfs, die in der ärztlichen Praxis so selten vorkommt, daß
  mancher hochberühmte Arzt niemals in seinem Leben Gelegenheit fand,
  dieselbe zu beobachten. Ich muß mich daher in der Tat glücklich schätzen
  -- Der Leibarzt stockte --
  Ha, sprach die Fürstin mit bitterm Ton, daran erkenne ich den
  praktischen Arzt, der grenzenloses Leiden nicht achtet, wenn er nur
  seine Kenntnis bereichert.
  Noch vor ganz kurzer Zeit, fuhr der Leibarzt fort, ohne den Vorwurf der
  Fürstin zu beachten, fand ich in einem wissenschaftlichen Buche das
  Beispiel eines Zufalls, der ganz dem gleich ist, in den die Prinzessin
  verfallen. Eine Dame (so erzählt mein Autor) kam von Vesoul nach
  Besançon um einen Rechtshandel zu betreiben. Die Wichtigkeit der Sache,
  der Gedanke, daß der Verlust des Prozesses die letzte, höchste Stufe der
  empfindlichsten Widerwärtigkeiten, die sie erduldet, sei, und sie in Not
  und Elend stürzen mußte, erfüllte sie mit der lebhaftesten Unruhe, die
  bis zu einer Exaltation ihres ganzen Gemüts stieg. Sie brachte die
  Nächte schlaflos zu, aß wenig, man sah sie in der Kirche auf
  ungewöhnliche Weise niederfallen und beten, genug, auf verschiedene Art
  tat sich der abnorme Zustand kund. Endlich aber an demselben Tage, da
  ihr Prozeß entschieden werden sollte, traf sie ein Zufall, den die
  anwesenden Personen für einen Schlagfluß hielten. Die herbeigerufenen
  Ärzte fanden die Dame in einem Lehnstuhle unbeweglich mit gen Himmel
  gerichteten, funkelnden Augen, offenen und unbeweglichen Augenlidern,
  mit erhobenen Armen und gefalteten Händen. Ihr vorher trauriges,
  bleiches Gesicht war blühender, heiterer, angenehmer als sonst, ihr
  Atemzug ungehindert und gleich, der Puls weich, langsam, ziemlich voll,
  beinahe wie bei einer ruhig schlafenden Person. Ihre Glieder waren
  biegsam, leicht, und ließen ohne den geringsten Widerstand sich in alle
  Stellungen bringen. Aber darin äußerte sich die Krankheit und die
  Unmöglichkeit irgendeiner Täuschung, daß die Glieder von selbst nicht
  aus der Stellung kamen, in die sie versetzt worden. Man drückte ihr Kinn
  abwärts -- der Mund öffnete sich und blieb offen. Man hob einen Arm,
  nachher den andern auf, sie fielen nicht abwärts, man bog sie ihr nach
  dem Rücken hin, streckte sie hoch in die Höhe, so daß es jedem unmöglich
  gewesen sein würde, sich lange in dieser Stellung zu behaupten, und doch
  geschah es. Man mochte den Körper so sehr herabbeugen, als man wollte,
  immer blieb er in dem vollkommensten Gleichgewicht. Sie schien gänzlich
  ohne Empfindung, man rüttelte, kneipte, quälte sie, stellte ihr die Füße
  auf ein heißes Kohlenbecken, schrie ihr in die Ohren, sie werde ihren
  Prozeß gewinnen, alles umsonst, sie gab kein Zeichen des willkürlichen
  Lebens von sich. Nach und nach kam sie zu sich selbst, doch führte sie
  unzusammenhängende Reden. -- Endlich --
  Fahren Sie fort, sprach die Fürstin, als der Leibarzt innehielt, fahren
  Sie fort, verschweigen Sie mir nichts und sei es das Entsetzlichste!
  -- Nicht wahr? -- in Wahnsinn verfiel die Dame!
  Es genügt, sprach der Leibarzt weiter, hinzuzufügen, daß ein sehr böser
  Zustand der Dame nur vier Tage hindurch anhielt, daß sie in Vesoul,
  wohin sie zurückkehrte, völlig genas und nicht die mindesten schlimmen
  Folgen ihrer harten ungewöhnlichen Krankheit verspürte. --
  Während die Fürstin aufs neue in trübes Nachdenken versank, verbreitete
  sich der Leibarzt weitläufig über die ärztlichen Mittel, die er
  anzuwenden gedenke, um der Prinzessin zu helfen und verlor sich zuletzt
  in solche wissenschaftlichen Demonstrationen, als spräche er in einer
  ärztlichen Beratung zu den tief gelehrtesten Doktoren.
  Was, unterbrach endlich die Fürstin den wortreichen Leibarzt, was helfen
  alle Mittel, die die spekulierende Wissenschaft darbietet, wenn das
  Heil, das Wohl des Geistes gefährdet.
  Der Leibarzt schwieg einige Augenblicke, dann fuhr er fort: Gnädigste
  Frau, das Beispiel von der wunderbaren Starrsucht jener Dame in Besançon
  zeigt, daß der Grund ihrer Krankheit in einer psychischen Ursache lag.
  Man fing, als sie zu einiger Besinnung gekommen, ihre Kur damit an, daß
  man ihr Mut einsprach und ihr den bösen Prozeß als gewonnen darstellte.
  -- Einig sind auch die erfahrensten Ärzte darüber, daß eben irgendeine
  plötzliche starke Gemütsbewegung jenen Zustand am ersten hervorbringt.
  Prinzessin Hedwiga ist reizbar bis zum höchsten ungewöhnlichen Grade, ja
  ich möchte den Organismus ihres Nervensystems manchmal schon an und für
  sich selbst abnorm nennen. Gewiß scheint es, daß irgend eine heftige
  Erschütterung des Gemüts auch ihren Krankheitszustand erzeugte. Man muß
  die Ursache zu erforschen suchen, um psychisch mit Erfolg auf sie wirken
  zu können! -- Die schnelle Abreise des Prinzen Hektor. -- Nun, gnädigste
  Frau, die Mutter dürfte vielleicht tiefer schauen als jeder Arzt, und
  diesem die besten Mittel an die Hand geben können zur heilsamen Kur.
  Die Fürstin erhob sich und sprach stolz und kalt: Selbst die Bürgerfrau
  bewahrt gern die Geheimnisse des weiblichen Herzens, das Fürstenhaus
  erschließt sein Inneres nur der Kirche und ihren Dienern, zu denen der
  Arzt sich nicht zählen darf.
  Wie, rief der Leibarzt lebhaft, wer vermag das leibliche Wohl so scharf
  zu trennen von dem geistigen? Der Arzt ist der zweite Beichtvater, in
  die Tiefe des psychischen Seins müssen ihm Blicke vergönnt werden, wenn
  er nicht jeden Augenblick Gefahr laufen will zu fehlen. Denken Sie an
  die Geschichte jenes kranken Prinzen gnädigste Frau --
  Genug! unterbrach die Fürstin den Arzt beinahe mit Unwillen, genug!
  -- Nie werde ich mich bewegen lassen eine Unschicklichkeit zu begehen;
  ebensowenig als ich glauben kann, daß irgendeine Unschicklichkeit auch
  nur in Gedanke und Empfindung die Krankheit der Prinzessin veranlaßt
  haben kann.
  Damit entfernte sich die Fürstin und ließ den Leibarzt stehen.
  Wunderliche Frau, sprach dieser zu sich selbst, diese Fürstin! Gern
  möchte sie andere ja sich selbst überreden, daß der Kitt, womit die
  Natur Seele und Körper zusammenleimt, wenn es darauf ankommt etwas
  Fürstliches zu bilden, von ganz besonderer Art sei, und keineswegs dem
  zu vergleichen, den sie bei uns armen Erdensöhnen bürgerlicher Abkunft
  verbraucht. -- Man soll gar nicht daran denken, daß die Prinzessin ein
  Herz hat, so wie jener höfische Spanier, der das Geschenk von seidnen
  Strümpfen, das gute niederländische Bürger seiner Fürstin machen
  wollten, deshalb verschmähte, weil es unschicklich sei daran zu
  erinnern, daß eine spanische Königin wirklich Füße habe wie andere
  ehrliche Leute! -- Und doch: zu wetten ist es, daß in dem Herzen, dem
  Laboratorio alles weiblichen Weh's, die Ursache des fürchterlichsten
  aller Nervenübel zu suchen ist, das die Prinzessin befallen. --
  Der Leibarzt dachte an Prinz Hektor's schnelle Abreise, an der
  Prinzessin übermäßige krankhafte Reizbarkeit, an die leidenschaftliche
  Art, wie sie sich (so hatte er es vernommen) gegen den Prinzen betragen
  haben sollte, und so schien es ihm gewiß, daß irgendein plötzlicher
  Liebeszwist die Prinzessin bis zu jäher Krankheit verletzt. -- Man wird
  sehen, ob des Leibarztes Vermutungen Grund hatten oder nicht. Was die
  Fürstin betrifft, so mochte sie Ähnliches vermuten und eben deshalb alle
  Nachfrage, alles Forschen des Arztes für unschicklich halten, da der Hof
  überhaupt jedes tiefere Gefühl als unstatthaft verwirft und gemein.
  -- Die Fürstin hatte sonst Gemüt und Herz, aber das seltsam halb
  lächerliche, halb widrige Ungeheuer, Etikette genannt, hatte sich auf
  ihre Brust gelegt wie ein bedrohlicher Alp, und keine Seufzer, kein
  Zeichen des innern Lebens sollte mehr hinaufsteigen aus dem Herzen.
  Gelingen mußt' es ihr daher selbst Szenen der Art, wie sie sich eben mit
  dem Prinz und der Prinzessin begeben, zu verwinden und den stolz
  abweisen, der nichts wollte als helfen.
  Während sich dies im Schlosse begab, ereignete sich auch im Park
  manches, was hier beizubringen ist.
  In dem Gebüsch links bei dem Eingange stand der dicke Hofmarschall, zog
  ein kleines goldenes Döschen aus der Tasche, wischte, nachdem er eine
  Prise Tabak genommen, mit dem Rockärmel einigemal darüber weg, reichte
  es dem Leibkammerdiener des Fürsten hin und sprach also: Schätzenswerter
  Freund, ich weiß, Sie lieben dergleichen artige Pretiosen, nehmen Sie
  gegenwärtiges Döschen als ein geringes Zeichen meines gnädigen
  Wohlwollens an, auf das Sie stets rechnen können. -- Doch sagen Sie,
  Liebster! wie kam das mit dem seltsamen ungewöhnlichen Spaziergange?
  Mich untertänigst zu bedanken! erwiderte der Leibkammerdiener indem er
  die goldne Dose einsteckte. Dann räusperte er sich und fuhr fort:
  Versichern kann ich, hochgebietende Exzellenz, daß unser gnädigster Herr
  sehr alarmiert sind, seit dem Augenblick, als der gnädigsten Prinzessin
  Hedwiga, man weiß nicht wie, die fünf Sinne abhanden gekommen. Heute
  standen sie am Fenster ganz hoch aufgerichtet wohl eine halbe Stunde und
  trommelten mit den gnädigsten Fingern der rechten Hand schrecklich auf
  die Spiegelscheibe, daß es klirrte und krachte. Aber lauter hübsche
  Märsche von anmutiger Melodie und frischem Wesen, wie mein seliger
  Schwager der Hoftrompeter zu sagen pflegte. -- Exzellenz wissen, mein
  seliger Schwager der Hoftrompeter war ein geschickter Mann, er brachte
  sein Flattergrob heraus wie ein Däuschen, seine Grobstimme, seine
  Faulstimme klang wie Nachtigallschlag, und was das Prinzipalblasen
  betrifft. -- Alles weiß ich, unterbrach der Hofmarschall den Schwätzer,
  mein Bester! Ihr seliger Herr Schwager war ein vortrefflicher
  Hoftrompeter, aber jetzt, was taten, was sprachen Durchlaucht, als sie
  die Märsche zu trommeln geruht hatten?
  Taten, sprachen! fuhr der Leibkammerdiener fort, hm! -- eben nicht viel.
  Durchlaucht wandten sich um, sahen mich starr an mit recht feurigen
  Augen, zogen die Klingel auf furchtbare Weise und riefen dabei laut:
  François -- François! Durchlaucht ich bin schon hier, rief ich. Da
  sprachen aber der gnädige Herr ganz zornig: Esel, warum sagt er das
  nicht gleich! Und darauf: Mein Promenadenkleid! Ich tat wie mir
  geheißen. Durchlaucht geruhten den grünseidenen Überrock ohne Stern
  anzulegen und sich nach dem Park zu begeben. Sie verboten mir ihnen zu
  folgen aber -- hochgebietende Exzellenz, man muß doch wissen wo sich der
  gnädigste Herr befinden, wenn etwa ein Unglück -- Nun! -- ich folgte so
  ganz von weitem und gewahrte, daß der gnädigste Herr sich in das
  Fischerhäuschen begaben. --
  Zum Meister Abraham! -- rief der Hofmarschall ganz verwundert. »So ist
  es, sprach der Leibkammerdiener und schnitt ein sehr wichtiges
  geheimnisvolles Gesicht.«
  Ins Fischerhäuschen, wiederholte der Hofmarschall, zum Meister Abraham!
  -- Nie haben Durchlaucht den Meister aufgesucht im Fischerhäuschen! --
  Ein ahnungsvolles Stillschweigen folgte, dann sprach der Hofmarschall
  weiter: und sonst äußerten Durchlaucht gar nichts? »Gar nichts,
  erwiderte der Leibkammerdiener bedeutungsvoll. Doch, fuhr er
  schlaulächelnd fort, ein Fenster des Fischerhäuschens geht heraus nach
  dem dicksten Gebüsch, es ist dort eine Vertiefung, man versteht jedes
  Wort, was drinnen im Häuschen gesprochen wird -- man könnte -- Bester,
  wenn Sie das tun wollten, rief der Hofmarschall entzückt! -- Ich tue es,
  sprach der Kammerdiener und schlich leise fort. Doch als er aus dem
  Gebüsch hervortrat, stand der Fürst, der eben nach dem Schloß
  zurückkehrte, dicht vor ihm, so daß er ihn beinahe berührte. In scheuer
  Ehrfurcht prallte er zurück: »_Vous êtes un grand_ Tölpel!« donnerte ihn
  der Fürst an, rief den Hofmarschall ein kaltes _dormez bien!_ zu und
  entfernte sich mit dem Leibkammerdiener, der ihm folgte, ins Schloß.
  Ganz bestürzt blieb der Hofmarschall stehen, murmelte, Fischerhäuschen
  -- Meister Abraham -- _dormez bien_ -- und beschloß sogleich zu dem
  Kanzler des Reichs zu fahren, um sich über die außerordentliche
  Begebenheit zu beraten, und womöglich die Konstellation herauszufinden,
  die am Hofe ob dieses Ereignisses sich erzeugen könne. --
  Meister Abraham hatte den Fürsten bis eben an das Gebüsch begleitet, in
  welchem sich der Hofmarschall und der Leibkammerdiener befanden, hier
  war er umgekehrt auf Geheiß des Fürsten, der nicht wollte, daß man ihn
  aus den Fenstern des Schlosses in Gesellschaft des Meisters bemerke.
  -- Der geneigte Leser weiß, wie gut es dem Fürsten gelungen, seinen
  einsamen geheimen Besuch bei dem Meister Abraham im Fischerhäuschen zu
  verbergen. Aber noch eine Person außer dem Kammerdiener hatte den
  Fürsten, ohne daß er es ahnen konnte, belauscht.
  Beinahe war Meister Abraham angelangt in seiner Wohnung, als ihm ganz
  unvermutet, aus den Gängen, die schon zu dunkeln begannen, die Rätin
  Benzon entgegentrat.
  Ha, rief die Benzon mit bittrem Lachen: der Fürst hat sich bei Euch Rats
  erholt, Meister Abraham. In der Tat, Ihr seid die wahre Stütze des
  fürstlichen Hauses, dem Vater und dem Sohne laßt Ihr Eure Weisheit und
  Erfahrung zufließen, und wenn guter Rat teuer oder gar nicht zu haben
  ist -- So, fiel Meister Abraham der Benzon ins Wort, so gibt es eine
  Rätin, die eigentlich das glanzvolle Gestirn ist, das hier alles
  erleuchtet, und unter dessen Einfluß auch nur ein armer alter Orgelbauer
  bestehen, und sein einfaches Leben ungestört durchfristen kann.
  Scherzt nicht so bitter, sprach die Benzon, Meister Abraham, ein
  Gestirn, das glanzvoll geleuchtet, kann unserm Horizont entfliehend
  schnell verbleichen, und endlich ganz untergehen. Die seltsamsten
  Ereignisse scheinen sich durchkreuzen zu wollen, in diesem einsamen
  Familienkreise, den eine kleine Stadt und ein paar Dutzend Menschen
  mehr, als eben darin wohnen, Hof zu nennen gewohnt sind. -- Die schnelle
  Abreise des sehnlich erwarteten Bräutigams -- Hedwiga's bedrohlicher
  Zustand! -- In der Tat, tief niederbeugen mußte dies den Fürsten, wäre
  er nicht ein ganz gefühlloser Mann. -- Nicht, nicht immer waren Sie
  dieser Meinung, unterbrach der Meister Abraham die Benzon, Frau Rätin.
  --
  Ich verstehe Euch nicht, sprach die Benzon mit verächtlichem Ton, indem
  sie dem Meister einen stechenden Blick zuwarf und dann schnell das
  Gesicht abwandte. --
  Fürst Irenäus hatte im Gefühl des Vertrauens, das er dem Meister Abraham
  schenken, ja der geistigen Übermacht, die er ihm zugestehen mußte, alle
  fürstliche Bedenklichkeiten beiseite gestellt, und im Fischerhäuschen
  sein ganzes Herz ausgeschüttet, auf alle Äußerungen der Benzon über die
  verstörenden Ereignisse des Tages aber geschwiegen. Dies wußte der
  Meister, und um so weniger durfte ihm die Empfindlichkeit der Rätin
  auffallen, wiewohl er sich verwunderte, daß, kalt und in sich
  verschlossen, wie sie war, sie diese Empfindlichkeit nicht besser zu
  verbergen vermochte.
  Wohl mußte es aber die Rätin tief schmerzen, daß sie das Monopol der
  Vormundschaft über den Fürsten, das sie sich angeeignet, aufs Neue, und
  zwar in einem kritischen, verhängnisvollen Augenblick, gefährdet sah.
  Aus Gründen, die sich vielleicht später klar entwickeln dürften, war die
  Verbindung der Prinzessin Hedwiga mit dem Prinzen Hektor der Rätin
  feurigster Wunsch. Auf dem Spiele stand diese Verbindung, so mußte sie
  glauben, und jede Einmischung eines dritten in diese Angelegenheit ihr
  bedrohlich erscheinen. Überdies sah sie sich zum erstenmal von
  unerklärlichen Geheimnissen umringt, zum ersten Mal schwieg der Fürst,
  konnte sie, die gewohnt das ganze Spiel des phantastischen Hofes zu
  regieren, tiefer gekränkt werden?
  Meister Abraham wußte, daß einem aufgeregten Weibe nichts besser
  entgegenzusetzen ist als unüberwindliche Ruhe, er sprach daher kein
  Wörtchen, sondern schritt schweigend daher neben der Benzon, die sich in
  tiefen Gedanken nach jener Brücke wandte, die der geneigte Leser schon
  kennt. Sich auf das Geländer stützend schaute die Rätin hinein in die
  fernen Büsche, denen die sinkende Sonne, noch wie zum Abschiede, goldene
  leuchtende Blicke zuwarf.
  »Ein schöner Abend«, sprach die Rätin, ohne sich umzuwenden. Gewiß,
  erwiderte Meister Abraham, still, ruhig, heiter wie ein unbefangenes,
  unverstörtes Gemüt.
  »Sie können, fuhr die Rätin fort, das vertraulichere Ihr, mit dem sie
  sonst den Meister anredete, aufgebend, mein lieber Meister, es mir nicht
  verargen, daß ich mich schmerzhaft berührt fühlen muß, wenn der Fürst
  plötzlich nur =Sie= zu seinem Vertrauten macht, nur Sie zu Rate zieht, in
  einer Angelegenheit, über die eigentlich die welterfahrene Frau besser
  zu raten, zu entscheiden weiß. Doch vorüber, ganz vorüber ist die
  kleinliche Empfindlichkeit, die ich nicht zu bergen vermochte. Ich bin
  ganz beruhigt, da nur die Form verletzt ist. Der Fürst selbst hätte mir
  das alles sagen sollen, was ich nun erfahren habe auf andere Weise, und
  ich kann in der Tat alles, was Sie, lieber Meister, ihm erwiderten, nur
  höchlich billigen. -- Selbst will ich gestehen, daß ich etwas tat, was
  eben nicht lobenswert ist. Mag es nicht sowohl weibliche Neugierde, als
  die tiefste Teilnahme an allem, was sich in dieser fürstlichen Familie
  begibt, entschuldigen. Erfahren Sie es, Meister: ich habe Sie belauscht,
  Ihre ganze Unterredung mit dem Fürsten angehört, jedes Wort
  verstanden --
  Den Meister Abraham erfaßte bei diesen Worten der Benzon ein seltsames,
  von höhnender Ironie und tiefer Verbitterung gemischtes Gefühl.
  Ebensogut wie jener Leibkammerdiener des Fürsten, hatte Meister Abraham
  bemerkt, daß man in der buschichten Vertiefung, dicht vor dem einen
  Fenster des Fischerhäuschens versteckt, jedes Wort vernehmen konnte, was
  drinnen gesprochen wurde. Durch eine geschickte akustische Vorrichtung
  war ihm indessen gelungen, es zu bewirken, daß jedes Gespräch im Innern
  des Häuschens dem draußen Stehenden nur wie ein verwirrtes
  unverständliches Geräusch klang und es schlechterdings unmöglich blieb,
  auch nur eine Silbe zu unterscheiden. -- Erbärmlich mußte es daher dem
  Meister erscheinen, wenn die Benzon zu einer Lüge ihre Zuflucht nahm, um
  hinter Geheimnisse zu kommen, die sie zwar ahnen mochte, aber nicht der
  Fürst, und die dieser daher auch nicht wohl dem Meister Abraham
  vertrauen konnte. -- Man wird erfahren, was der Fürst mit dem Meister im
  Fischerhäuschen verhandelte.
  O! rief der Meister, o meine Gnädige, es war der rege Geist der
  lebensweisen, unternehmenden Frau selbst, der Sie an das Fischerhäuschen
  führte. Wie kann ich armer, alter, jedoch unerfahrner Mann mich in allen
  diesen Dingen zurechtfinden, ohne Ihren Beistand! Eben wollt' ich alles,
  was mir der Fürst vertraut, weitläuftig hererzählen, aber es bedarf
  keiner fernern Erläuterungen, da Ihnen schon alles bekannt. Möchten Sie,
  Gnädige, mich würdig achten, sich über alles, was vielleicht schlimmer
  sich darstellen mag, als es wirklich ist, recht von Herzen
  auszusprechen.
  Meister Abraham traf den Ton der biederen Zutraulichkeit so gut, daß die
  Benzon, all' ihrer Scharfsichtigkeit unerachtet, nicht gleich zu
  entscheiden wußte, ob es hier auf eine Mystifikation abgesehen sei oder
  nicht, und die Verlegenheit darüber schnitt ihr jeden Faden ab, den sie
  erfassen und zur für den Meister verfänglichen Schlinge hätte verknüpfen
  können. So geschah es aber, daß sie vergebens nach Worten ringend, wie
  festgebannt auf der Brücke stehen blieb, und hinabschaute in den See.
  Der Meister weidete sich einige Augenblicke an ihrer Pein, dann
  richteten sich aber seine Gedanken auf die Begebnisse des Tages. Er
  wußte wohl, wie Kreisler in dem Mittelpunkt eben dieser Begebnisse
  gestanden, ein tiefer Schmerz über den Verlust des teuersten Freundes
  erfaßte ihn, und unwillkürlich entfloh ihm der Ausruf: Armer Johannes!
  Da wandte sich die Benzon rasch zu dem Meister und sprach mit
  losbrechender Heftigkeit: Wie, Meister Abraham, Ihr seid doch nicht so
  töricht, an Kreislers Untergang zu glauben? Was kann ein blutiger Hut
  beweisen? -- Was sollte ihn auch so plötzlich zu dem schrecklichen
  Entschluß gebracht haben, sich selbst zu töten -- man hätte ihn ja auch
  gefunden. --
  Nicht wenig erstaunte der Meister, die Benzon von Selbstmord sprechen
  zu hören, hier, wo ein ganz anderer Verdacht sich zu regen schien, ehe
  er indessen antworten konnte, fuhr die Rätin fort: Wohl uns, wohl uns,
  daß er fort ist, der Unglückliche, der überall, wo er sich blicken läßt,
  nur verstörendes Unheil anrichtet! Sein leidenschaftliches Wesen, seine
  Verbitterung, nicht anders kann ich seinen hochgepriesenen Humor
  bezeichnen, steckt jedes reizbare Gemüt an, mit dem er dann sein
  grausames Spiel treibt. Zeugt die höhnende Verachtung aller
  konventionellen Verhältnisse, ja der Trotz gegen alle üblichen Formen
  von Übergewicht des Verstandes, so müssen wir alle unsere Knie beugen
  vor diesem Kapellmeister, doch soll er uns in Ruhe lassen und sich nicht
  auflehnen gegen alles, was durch die richtige Ansicht des wirklichen
  Lebens bedingt, und als unsere Zufriedenheit begründend anerkannt wird.
  Darum! -- dem Himmel sei gedankt, daß er fort ist, ich hoffe ihn nie
  wiederzusehen.
  Und doch, sprach der Meister sanft, waren Sie sonst die Freundin meines
  Johannes, Frau Rätin, und doch nahmen Sie sich seiner an, in einer
  bösen kritischen Zeit und führten ihn selbst auf die Bahn, von der ihn
  nur eben jene konventionellen Verhältnisse, die Sie so eifrig in
  Schutz nehmen, wegverlockt hatten? -- Welch ein Vorwurf trifft jetzt so
  plötzlich meinen guten Kreisler? -- Was für Böses hat sich aus seinem
  Innern aufgetan? Will man ihn darum hassen, weil in den ersten
  Augenblicken, da der Zufall ihn in eine neue Region geworfen, das Leben
  feindlich auf ihn zutrat, weil das Verbrechen ihn bedrohte, weil -- ein
  italienischer Bandit ihm nachschlich? --
  Die Rätin fuhr bei diesen Worten sichtlich zusammen. Welch', sprach sie
  dann mit zitternder Stimme, welch einen Gedanken der Hölle, hegt Ihr in
  der Brust, Meister Abraham? -- Aber wäre es so, wäre Kreisler wirklich
  gefallen, so wurde in dem Augenblick die Braut gerächt, die er
  verdorben. Eine innere Stimme sagt es mir, Kreisler allein ist schuld an
  dem fürchterlichen Zustande der Prinzessin. Schonungslos spannte er die
  zarten Saiten im innern Gemüt der Kranken, bis sie zersprangen. So war,
  erwiderte Meister Abraham giftig, der italienische Herr ein Mann von
  raschem Entschluß, der die Rache der Tat vorausschickte. Sie haben ja,
  Gnädige, alles angehört, was ich mit dem Fürsten gesprochen im
  Fischerhäuschen, Sie wissen daher auch, daß Prinzessin Hedwiga in
  demselben Augenblick, als der Schuß im Walde fiel, zur Leblosigkeit
  erstarrte.
  In der Tat, sprach die Benzon, man möchte an all' das schimärische Zeug
  
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