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Lebensansichten des Katers Murr - 19

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  einer, von dem man in der Schlacht zu sagen pflegt: er fällt, oder er
  ist gefallen. -- Dergleichen Leute stehen aber selten wieder auf,
  dagegen tat das aber Euer Johannes, mein lieber Meister, und das auf der
  Stelle. -- Um meinen schwer verwundeten Kameraden, der nicht sowohl an
  meiner Seite, als über oder von meinem Haupte gefallen, konnte ich mich
  gar nicht bekümmern, da ich genug zu tun hatte, durch einen tüchtigen
  Seitensatz (ich nehme das Wort Satz hier weder in philosophischem noch
  in musikalischem, sondern lediglich in gymnastischem Sinn) der Mündung
  einer Pistole auszuweichen, die jemand etwa drei Schritte davon auf mich
  hielt. Doch ich tat noch mehr als das, ich ging plötzlich aus der
  Defensive in die Offensive über, sprang auf den Pistolanten los und
  stieß ihm ohne weitere Umstände meinen Stockdegen in den Leib. -- Immer
  habt Ihr mir den Vorwurf gemacht, Meister! daß ich des historischen
  Stils nicht mächtig und unfähig etwas zu erzählen, ohne unnütze Phrasen
  und Abschweifungen. Was sagt Ihr zu der bündigen Darstellung meines
  italienischen Abenteuers in dem Park zu Sieghartshof, den ein
  hochsinniger Fürst so mild beherrscht, daß er selbst Banditen toleriert
  vergnüglicher Abwechslung halber?
  Nehmt, lieber Meister, das bisher Gesagte nur für die vorläufige
  epitomatische Inhaltsanzeige des historischen Kapitels, das ich, erlaubt
  es meine Ungeduld und der Herr Prior, statt eines ordinären Briefes für
  Euch aufschreiben will. -- Wenig nachzuholen ist über das eigentliche
  Abenteuer im Walde. -- Gewiß war es mir sogleich, daß, als der Schuß
  fiel, ich davon profitieren sollte, denn im Niederstürzen empfand ich
  einen brennenden Schmerz an der linken Seite meines Kopfs, den der
  Konrektor in Göniönesmühl mit Recht einen =hartnäckigen= nannte.
  Hartnäckigen Widerstand hatte der wackere Knochenbau nämlich geleistet
  dem schnöden Blei, so, daß die Streifwunde kaum zu achten. Aber sagt
  mir, lieber Meister, sagt mir auf der Stelle, oder heute abend, oder
  wenigstens morgen in aller Frühe, in wessen Leib meine Stockklinge
  gefahren? Sehr lieb würde es mir sein, zu vernehmen, daß ich eigentlich
  gar kein gemeines Menschenblut vergossen, sondern bloß einigen
  prinzlichen Ichor; und es will mir ahnen, als wäre dem so. -- Meister!
  so hätte der Zufall denn zu der Tat geführt, die der finstere Geist mir
  verkündete, bei Euch im Fischerhäuschen. -- War vielleicht diese kleine
  Stockklinge in dem Augenblick, als ich sie brauchte zur Notwehr gegen
  Mörder, das furchtbare Schwert der Blutschuld rächenden Nemesis?
  -- Schreibt mir alles, Meister, und vor allen Dingen, was es mit der
  Waffe, die Ihr mir in die Hand gabt, mit dem kleinen Bilde für eine
  Bewandtnis hat. -- Doch nein -- nein, sagt mir davon nichts. Laßt mich
  dieses Medusenbild, vor dessen Anblick der bedrohliche Frevel erstarrt,
  bewahren, mir selbst ein unerklärliches Geheimnis. Es ist mir, als würde
  dieser Talisman seine Kraft verlieren, sobald ich wüßte, was für eine
  Konstellation ihn gefeit zur Zauberwaffe! -- Wollt Ihr mir's glauben,
  Meister, daß ich bis jetzt Euer kleines Bild noch gar nicht einmal recht
  angeschaut? -- Ist es an der Zeit, so werdet Ihr mir alles sagen, was
  mir zu wissen nötig, und dann gebe ich den Talisman zurück in Eure
  Hände. Also für jetzt kein Wort weiter davon! -- Doch fortfahren will
  ich nun in meinem historischen Kapitel.
  Als ich besagtem Jemand, besagtem Pistolanten meinen Stockdegen in den
  Leib gerannt, so daß er lautlos niederstürzte, sprang ich fort mit der
  Schnellfüßigkeit eines Ajax, da ich Stimmen im Park zu hören und mich
  noch in Gefahr glaubte. Ich gedachte nach Sieghartsweiler zu laufen,
  aber die Dunkelheit der Nacht ließ mich den Weg verfehlen. Schneller und
  schneller rannte ich fort, immer noch hoffend mich zurecht zu finden.
  Ich durchwatete Feldgraben, ich erklimmte eine steile Anhöhe und sank
  endlich in einem Gebüsch vor Ermattung nieder. Es war, als blitze es
  dicht vor meinen Augen, ich fühlte einen stechenden Schmerz am Kopf, und
  erwachte aus tiefem Todesschlaf. Die Wunde hatte stark geblutet, ich
  machte mir, das Taschentuch benutzend, einen Verband, der dem
  geschicktesten Kompanie-Chirurgus auf dem Schlachtfelde zur Ehre
  gereicht haben würde, und schaute nun ganz froh und fröhlich umher.
  Unfern von mir stiegen die mächtigen Ruinen eines Schlosses empor. -- Ihr
  merkt es Meister, ich war zu meiner nicht geringen Verwunderung auf den
  Geierstein geraten.
  Die Wunde schmerzte nicht mehr, ich fühlte mich frisch und leicht, ich
  trat heraus aus dem Gebüsch, das mir zum Schlafgemach gedient, die Sonne
  stieg empor und warf blinkende Streiflichter auf Wald und Flur, wie
  fröhliche Morgengrüße. Die Vögel erwachten in den Gebüschen und badeten
  sich zwitschernd im kühlen Morgentau, und schwangen sich auf in die
  Lüfte. Noch in nächtliche Nebel gehüllt lag tief unter mir Sieghartshof,
  doch bald sanken die Schleier, und in flammendem Gold standen Bäume und
  Büsche. Der See des Parks glich einem blendend strahlenden Spiegel: ich
  unterschied das Fischerhäuschen wie einen kleinen weißen Punkt -- sogar
  die Brücke glaubte ich deutlich zu schauen. -- Das Gestern trat auf mich
  ein, aber als sei es eine längst vergangene Zeit, aus der mir nichts
  geblieben als die Wehmut der Erinnerung an das ewig Verlorne, die in
  demselben Augenblick die Brust zerreißt und mit süßer Wonne erfüllt.
  »Haselant, was willst Du denn eigentlich damit sagen, was hast Du denn
  in dem längst vergangenen Gestern auf ewig verloren? so ruft Ihr mich
  an, Meister, ich hör es. Ach Meister, noch einmal stelle ich mich hin
  auf jene hervorragende Spitze des Geiersteins -- noch einmal breite ich
  die Arme aus wie Adlersflügel, mich dort hinzuschwingen, wo ein süßer
  Zauber waltete, wo jene Liebe, die nicht in Raum und Zeit bedingt, die
  ewig ist, wie der Weltgeist, mir aufging in den ahnungsvollen
  Himmelstönen, die die dürstende Sehnsucht selbst sind und das Verlangen.
  Ich weiß es, dicht vor meiner Nase setzt sich ein Teufelskerl von
  hungrigem Opponenten hin, der nur opponiert des irdischen Gerstenbrotes
  halber, und fragt mich höhnisch: ob es möglich sei, daß ein Ton
  dunkelblaue Augen haben könne? Ich führe den bündigsten Beweis, daß der
  Ton eigentlich auch ein Blick sei, der aus einer Lichtwelt durch
  zerrissene Wolkenschleier hinabstrahlet; der Opponent geht aber weiter,
  und frägt nach Stirn, nach Haar, nach Mund und Lippen, nach Armen,
  Händen, Füßen, und zweifelt durchaus mit hämischem Lächeln, daß ein
  bloßer, purer Ton mit diesem allen begabt sein könne. -- O Gott, ich
  weiß, was der Schlingel meint, nämlich nichts weiter, als daß, solange
  ich ein _glebae adscriptus_ sei, wie er und die übrigen, solange wir
  alle nicht bloß Sonnenstrahlen fräßen, und uns manchmal noch auf einen
  andern Stuhl setzen müßten, als auf den Lehrstuhl, es mit jener ewigen
  Liebe, mit jener ewigen Sehnsucht, die nichts will als sich selbst, und
  von der jeder Narr zu schwatzen weiß -- Meister! ich wünschte nicht,
  daß Ihr auf die Seite des hungrigen Opponenten trätet -- es würde mir
  unangenehm sein. -- Und sagt selbst, könnte Euch wohl eine einzige
  vernünftige Ursache dazu treiben? -- hab' ich jemals Hang gezeigt zu
  trister Sekundaner Narrheit? -- Ja hab' ich, zu reifen Jahren gekommen,
  mich nicht stets nüchtern zu erhalten gewußt, hab' ich etwa jemals
  gewünscht ein Handschuh zu sein bloß um Julia's Wange zu küssen wie
  Vetter Romeo? -- Glaubt es nur, Meister, die Leute mögen auch sagen, was
  sie wollen, im Kopf trag' ich nichts als Noten, und im Gemüt und Herzen
  die Klänge dazu, denn alle Teufel! wie sollt ich sonst im Stande sein,
  solche manierliche, bündige Kirchenstücke zu setzen, als die Vesper es
  ist, die da eben vollendet auf dem Pulte liegt. -- Doch -- schon wieder
  war es um die Historie geschehen -- ich erzähle weiter.
  Aus der Ferne vernahm ich den Gesang einer kräftigen Männerstimme, der
  sich immer mehr und mehr näherte. Bald gewahrte ich denn auch einen
  Benediktiner Geistlichen, der, auf dem Fußsteig unterwärts fortwandelnd,
  einen lateinischen Hymnus sang. Nicht weit von meinem Platze stand er
  still, hielt inne mit dem Singen und schaute, indem er den breiten
  Reisehut vom Kopfe nahm und sich mit einem Tuch den Schweiß von der
  Stirne trocknete, in der Gegend umher, dann verschwand er ins Gebüsch.
  Mir kam die Lust an, mich zu ihm zu gesellen, der Mann war mehr als
  wohlgenährt, die Sonne brannte stärker und stärker, und so konnt' ich
  wohl denken, daß er ein Ruheplätzchen gesucht haben würde im Schatten.
  Ich hatte mich nicht geirrt, denn in das Gebüsch tretend, erblickte ich
  den ehrwürdigen Herrn, der sich auf einen dickbemoosten Stein
  niedergelassen hatte. Ein höheres Felsstück dicht daneben diente ihm zum
  Tisch; -- er hatte ein weißes Tuch darüber ausgebreitet, und holte eben
  aus dem Reisesack Brot und gebratenes Geflügel hervor, das er mit vielem
  Appetit zu bearbeiten begann: _Sed praeter omnia bibendum quid,_ so rief
  er sich selbst zu und schenkte aus einer Korbflasche Wein ein in den
  kleinen, silbernen Becher, den er aus der Tasche hervorgezogen. Eben
  wollte er trinken, als ich mit einem »Gelobt sei Jesus Christ« zu ihm
  hintrat. Mit dem Becher an den Lippen, schaute er auf, und ich
  erkannte im Augenblick meinen alten, gemütlichen Freund aus der
  Benediktiner-Abtei zu Kanzheim, den ehrlichen Pater und Präfectus Chori
  Hilarius. In Ewigkeit! stammelte Pater Hilarius, indem er mich mit weit
  aufgerissenen Augen starr anblickte. Ich dachte sogleich an meinen
  Kopfputz, der mir vielleicht ein fremdes Ansehen geben mochte und
  begann: O, mein sehr geliebter, würdiger Freund Hilarius, haltet mich
  nicht für einen verlaufenen, vagabondierenden Hindus, auch nicht für ein
  auf den Kopf gefallenes Landeskind, da ich doch nun einmal nichts
  anderes bin und sein will, als Euer Intimus, der Kapellmeister Johannes
  Kreisler! --
  Beim heiligen Benedikt, rief Pater Hilarius freudig, ich hatte Euch
  gleich erkannt, herrlicher Kompositor und angenehmer Freund, aber _per
  diem_ sagt mir, wo kommt Ihr her, was ist Euch geschehen, Euch, den ich
  mir _in floribus_ dachte am Hofe des Großherzogs?
  Ich nahm gar keinen Anstand, dem Pater kürzlich alles zu erzählen, was
  sich mit mir begeben und wie ich genötigt gewesen, dem, dem es beliebt
  nach mir, wie nach einem aufgesteckten Ziel, Probeschüsse zu tun, meinen
  Stockdegen in den Leib zu stoßen und wie besagter Zielschießer
  wahrscheinlich ein italienischer Prinz gewesen, der Hektor geheißen, wie
  mancher würdige Pirschhund. -- »Was nun beginnen, zurückkehren nach
  Sieghartsweiler, oder -- ratet mir, Pater Hilarius!«
  So schloß ich meine Erzählung. -- Pater Hilarius, der manches -- Hm!
  -- so! -- ei! -- heiliger Benedikt -- dazwischen geworfen, sah jetzt vor
  sich nieder, murmelte: _bibamus!_ und leerte den silbernen Becher auf
  einen Zug.
  Dann rief er lachend: in der Tat, Kapellmeister, der beste Rat, den ich
  Euch fürs erste erteilen kann, ist, daß Ihr Euch fein zu mir hersetzt
  und mit mir frühstückt. Ich kann Euch diese Feldhühner empfehlen, erst
  gestern schoß sie unser ehrwürdiger Bruder Macarius, der, wie Ihr Euch
  wohl erinnert, alles trifft, nur nicht die Noten in den Responsorien,
  und wenn Ihr den Kräuteressig vorschmeckt, mit dem sie angefeuchtet, so
  verdankt Ihr das der Sorgfalt des Bruders Eusebius der sie selbst
  gebraten mir zuliebe. Was aber den Wein betrifft, so ist er wert, die
  Zunge eines landflüchtigen Kapellmeisters zu netzen. Echter Bocksbeutel,
  _carissime_ Johannes, echter Bocksbeutel aus dem St. Johannis-Hospital zu
  Würzburg, den wir, unwürdige Diener des Herrn, erhalten in bester
  Qualität. -- _Ergo bibamus!_
  Damit schenkte er den Becher voll und reichte ihn mir hin. -- Ich ließ
  mich nicht nötigen, ich trank und aß, wie einer, der solcher Stärkung
  bedarf.
  Pater Hilarius hatte den anmutigsten Platz gewählt, um sein Frühstück
  einzunehmen. Ein dichtes Birkengebüsch beschattete den blumigten Rasen
  des Bodens, und der kristallhelle Waldbach, der über hervorragendes
  Gestein plätscherte, vermehrte noch die erfrischende Kühle. Die
  einsiedlerische Heimlichkeit des Orts erfüllte mich mit Wohlbehagen und
  Ruhe, und während Pater Hilarius mir von allem erzählte, was sich seit
  der Zeit in der Abtei begeben, wobei er nicht vergaß, seine gewöhnlichen
  Schwänke und sein hübsches Küchenlatein einzumischen, horchte ich auf
  die Stimmen des Waldes, der Gewässer, die zu mir sprachen in tröstenden
  Melodien.
  Pater Hilarius mochte mein Schweigen der bittern Sorge zuschreiben, die
  mir das Geschehene verursachte.
  »Seid guten Muts, Kapellmeister!« begann er, indem er mir den aufs Neue
  gefüllten Becher hinreichte, »Ihr habt Blut vergossen, das ist wahr, und
  Blutvergießen ist Sünde, doch _distinguendum est inter et inter_. -- Jedem
  ist sein Leben das Liebste, er hat es nur einmal. Ihr habt das Eurige
  verteidigt, und das verbietet die Kirche keinesweges, wie sattsam zu
  erweisen, und weder unser hochwürdiger Herr Abt, noch irgendein anderer
  Diener des Herrn, wird Euch die Absolution versagen, seid Ihr auch
  unversehens in fürstliche Eingeweide gefahren. -- _Ergo bibamus! Vir
  sapiens non te abhorrebit Domine!_ -- Aber teuerster Kreisler, kehrt Ihr
  zurück nach Sieghartsweiler, so wird man Euch garstig befragen über das
  _cur, quomodo, quando, ubi_ und wollt Ihr den Prinzen des mörderischen
  Angriffs zeihen, wird man Euch glauben? _Ibi iacet lepus in pipere!_
  -- Aber seht, Kapellmeister, wie -- doch, _bibendum quid!_ -- Er leerte den
  vollgeschenkten Becher und fuhr dann fort: Ja seht, Kapellmeister, wie
  der gute Rat kommt mit dem Bocksbeutel. -- Erfahrt, daß ich mich eben
  zum Kloster Allerheiligen begeben wollte, um mir von dem dortigen
  Präfektus Chori Musik zu holen zu den nächsten Festen. Ich habe die
  Kasten schon zwei-, dreimal umgekehrt; es ist alles alt und verbraucht,
  und was die Musik betrifft, die Ihr uns komponiert habt während Eures
  Aufenthalts in der Abtei, ja, die ist gar schön und neu, aber -- nehmt
  mir es nicht übel, Kapellmeister, so auf kuriose Weise gesetzt, daß man
  keinen Blick wenden darf von der Partitur. Will man nur ein bißchen
  durchs Gitter schielen nach dieser, jener hübschen Dirne unten im
  Schiff, gleich hat man einen Halt verfehlt oder sonst was und schlägt
  einen falschen Takt und schmeißt das Ganze um. -- Pump, da liegt's und
  Di--di--Diedel, diedel greift Bruder Jakob in die Orgeltasten! -- _ad
  patibulum cum illis_ -- Ich durfte also -- doch _bibamus!_ --
  Nachdem wir beide getrunken, floß der Strom der Rede also weiter:
  _Desunt_ die nicht da sind und die nicht da sind, können nicht gefragt
  werden, ich dächte daher, Ihr wandertet sogleich mit mir zurück nach der
  Abtei, die, schlägt man Richtwege ein, kaum zwei Stunden von hier
  entfernt ist. In der Abtei seid Ihr gesichert gegen alle Nachstellungen,
  _contra hostium insidias,_ ich bringe Euch hin, als lebendige Musik und
  Ihr bleibt da, solange es Euch gefällt oder solange Ihr es geraten
  findet. Der hochwürdige Herr Abt versorgt Euch mit allem Nötigen. Ihr
  kleidet Euch in die feinste Wäsche und zieht das Benediktinergewand
  darüber, das Euch sehr wohl stehen wird. Aber damit Ihr nicht unterwegs
  ausseht wie der wundgeschlagene auf dem Bilde vom mitleidigen Samariter,
  so setzt meinen Reisehut auf, ich werde mir die Kapuze schon über die
  Glatze ziehn. -- _Bibendum quid,_ Liebster!
  Damit leerte er den Becher noch einmal, schwenkte ihn aus im nahen
  Waldbach, packte alles schnell in seinen Reisesack, drückte mir seinen
  Hut auf die Stirne und rief ganz fröhlich: Kapellmeister, wir dürfen nur
  ganz langsam und bequem einen Fuß vor den andern setzen und kommen doch
  gerade an, wenn sie läuten _ad conventum conventuales,_ d. h. wenn der
  hochwürdige Herr Abt sich zu Tische setzt.
  Ihr dürft wohl denken, lieber Meister, daß ich gegen den Vorschlag des
  fröhlichen Paters Hilarius nicht das mindeste einzuwenden hatte, daß es
  mir vielmehr gar willkommen sein mußte, mich an einen Ort zu begeben,
  der mir in so mancher Hinsicht ein wohltätiges Asyl werden konnte.
  Wir schritten gemächlich fort unter allerlei Gesprächen und langten so,
  wie Pater Hilarius es gewollt, in der Abtei an, als man gerade die
  Tischglocke läutete.
  Um vorderhand allen Fragen zuvorzukommen, sagte Pater Hilarius dem Abt,
  daß, da er zufällig erfahren, wie ich mich in Sieghartsweiler aufhalte,
  er es vorgezogen, statt der Musik aus dem Kloster Allerheiligen, lieber
  den Komponisten zu holen, der ja ein ganzes unerschöpfliches Magazin von
  Musik in sich trage.
  Der Abt Chrysostomus (mich dünkt, ich hätte Euch schon viel von ihm
  erzählt) empfing mich mit jener gemütlichen Freude, die nur wahrhaft
  guter Gesinnung eigen, und lobte den Entschluß des Paters Hilarius. --
  Seht mich nun, Meister Abraham, wie ich, umgeschaffen zum passablen
  Benediktinermönch, in einem hohen, geräumigen Zimmer des Hauptgebäudes
  der Abtei, sitze und emsig Vespern und Hymnen ausarbeite, ja wie ich
  schon mitunter Gedanken notiere zu einem feierlichen Hochamt -- wie sich
  die singenden und spielenden Brüder, die Chorknaben versammeln, wie ich
  emsig Proben halte, wie ich hinter dem Gitter des Chors dirigiere! In
  der Tat, so vergraben fühle ich mich in diese Einsamkeit, daß ich mich
  mit Tartini vergleichen möchte, der, die Rache des Kardinals Cornaro
  fürchtend, in das Minoritenkloster zu Assisi floh, wo ihn endlich nach
  Jahren ein Paduaner entdeckte, der sich in der Kirche befand und den
  verlornen Freund auf dem Chore erblickte, als ein Windstoß den Vorhang,
  der das Orchester verhüllte, einige Augenblicke aufhob. -- Es hätte Euch
  selbst, Meister! so mit mir gehen können, wie jenem Paduaner, aber ich
  mußte Euch ja doch sagen, wo ich geblieben, Ihr könntet sonst wunder
  gedacht haben, was aus mir geworden. -- Hat man vielleicht meinen Hut
  gefunden und sich gewundert, daß ihm der Kopf abhanden gekommen?
  -- Meister! Eine besondere, wohltätige Ruhe ist in mein Inneres gekommen;
  sollte ich vielleicht hier am Ankerplatz gelandet sein? Als ich neulich
  an dem kleinen See, der in der Mitte des weitläuftigen Gartens der Abtei
  liegt, wandelte, und mein Bild neben mir wandelnd im See erblickte, da
  sprach ich: der Mensch, der da unten neben mir hergeht, das ist ein
  ruhiger, besonnener Mensch, der nicht mehr wild umherschwirrend in vagen
  unbegrenzten Räumen, die gefundene Bahn fest hält, und es ist ein Glück
  für mich, daß der Mensch kein anderer ist, als ich selbst. -- Aus einem
  andern See schaute mich einst ein fataler Doppelgänger an. Doch still
  -- still von dem allen. -- Meister, nennt mir keinen Namen -- erzählt mir
  nichts -- auch nicht einmal, wen ich gespießt. -- Aber von Euch selbst
  schreibt mir viel. -- Die Brüder kommen zur Probe, ich schließe mein
  historisches Kapitel und zugleich meinen Brief. Lebt wohl, mein guter
  Meister, und gedenkt meiner! &c. &c. &c. &c.
  -- In den fernen, wild verwachsenen Gängen des Parks einsam wandelnd,
  bedachte Meister Abraham das Schicksal des geliebten Freundes und wie er
  ihn, kaum wiedergewonnen, auf's Neue verloren. Er sah den Knaben
  Johannes, sich selbst in Göniösmühl vor dem Flügel des alten Onkels, der
  Kleine hämmerte mit stolzem Blick Sebastian Bachs schwerste Sonaten
  herunter, mit beinahe männlicher Faust, er steckte ihm dafür eine Tüte
  Zuckerwerk heimlich in die Tasche. -- Es war ihm, als sei dies erst
  wenige Tage her und er mußte sich verwundern, daß der Knabe eben kein
  anderer als der Kreisler, der in ein wunderliches, launenhaftes Spiel
  geheimnisvoller Verhältnisse verflochten schien. Aber mit dem Gedanken
  an jene vergangene Zeit, an die verhängnisvolle Gegenwart, stieg das
  Bild seines eigenen Lebens vor ihm auf.
  Sein Vater, ein strenger, eigensinniger Mann, hatte ihn beinahe mit
  Zwang zu der Kunst des Orgelbaues angehalten, die er selbst trieb, wie
  ein gewöhnliches rohes Handwerk. Er litt nicht, daß irgendein anderer,
  als der Orgelbauer selbst Hand anlege an das Werk, und so mußten die
  Lehrlinge geübte Tischler, Zinngießer usw. werden, ehe sie zu der innern
  Mechanik gelangten. -- Genauigkeit, Dauerhaftigkeit, gute Spielart des
  Werks galt dem Alten für alles; für die Seele, für den Ton hatte er
  keinen Sinn, und merkwürdig genug sprach sich dies aus in den Orgeln,
  die er baute und denen man mit Recht, einen harten, spitzen Klang
  vorwarf. Nächstdem war der Alte den kindischen Künsteleien verjährter
  Zeit ganz und gar ergeben. So hatte er an einer Orgel die Könige David
  und Salomo angebracht, die während des Spiels wie vor Verwunderung die
  Köpfe drehten; so fehlte es keinem seiner Werke an paukenden,
  posaunenden, taktierenden Engeln, mit den Flügeln schlagenden, krähenden
  Hähnen u. s. w. Abraham konnte oft verdienten oder nicht verdienten
  Schlägen nicht anders entgehen und dem Alten eine Äußerung väterlicher
  Freude entlocken, als wenn er vermöge eigner Erfindungsgabe irgendeine
  neue Künstelei, etwa ein schärfer tönendes Kikeriki, herausgebracht für
  den nächsten Orgelhahn. Mit angstvoller Sehnsucht hatte Abraham die Zeit
  herbeigewünscht, in der er dem Handwerks-Gebrauch gemäß auf die
  Wanderschaft gehen sollte. Endlich kam diese Zeit heran und Abraham
  verließ das väterliche Haus, um nie wieder zurückzukehren.
  Auf dieser Wanderung, die er in Gemeinschaft mit andern Gesellen,
  meistens wüsten, rohen Burschen, unternahm, sprach er einst ein in der
  Abtei St. Blasius, die im Schwarzwalde belegen und hörte dort das
  berühmte Orgelwerk des alten Johannes Andreas Silbermann. In den vollen,
  herrlichen Tönen dieses Werks ging zum erstenmal der Zauber des
  Wohllauts auf in seinem Innern, er fühlte sich in eine andere Welt
  versetzt, und von dem Augenblick an war er ganz Liebe für eine Kunst,
  die er sonst mit Widerwillen treiben müssen. -- Nun kam ihm aber auch
  sein ganzes Leben in der Umgebung, wie er es bis jetzt geführt hatte, so
  nichtswürdig vor, daß er alle Kraft aufbot sich herauszureißen aus dem
  Schlamm, in den er sich versunken glaubte. -- Sein natürlicher Verstand,
  seine Fassungsgabe ließen ihn in der wissenschaftlichen Bildung
  Riesenschritte machen und doch -- fühlte er oft die Bleigewichte, die die
  frühere Erziehung, das Forttreiben in der Gemeinheit ihm angehängt.
  -- Chiara, die Verbindung mit diesem seltsamen, geheimnisvollen Wesen,
  das war der zweite Lichtpunkt in seinem Leben, und so bildete beides,
  jenes Erwachen des Wohllauts und Chiaras Liebe einen Dualismus seines
  poetischen Seins, der wohltätig hineinwirkte in seine rohe aber kräftige
  Natur. -- Kaum den Herbergen, kaum den Schenken, wo im dicken
  Tabaksqualm Zotenlieder ertönten, entronnen, brachte der Zufall oder
  vielmehr die Geschicklichkeit in mechanischen Künsteleien, denen er den
  Anstrich des Geheimnisses zu geben wußte (wie der geneigte Leser schon
  erfahren) den jungen Abraham in Umgebungen, die ihm eine neue Welt sein
  mußten, und in denen er, ewig Fremdling bleibend, sich nur dadurch
  aufrecht erhielt, daß er den festen Ton behauptete, den seine innere
  Natur ihm angegeben. Dieser feste Ton wurde mit der Zeit immer fester,
  und da er keinesweges der eines simplen Grobians, sondern auf klaren,
  gesunden Menschenverstand, richtiger Lebensansicht, und daraus sich
  erzeugendem treffenden Spott basiert war, so konnt es nicht fehlen, daß
  da, wo der Jüngling sich nur aufrecht erhalten und toleriert worden, der
  Mann als ein zu fürchtendes Prinzip großen Respekt einflößte. Es ist
  nichts leichter, als gewissen vornehmen Leuten zu imponieren, die immer
  noch weiter unter dem stehen, wofür man sie etwa halten möchte. Daran
  dachte nun Meister Abraham eben in dem Augenblick, als er von seinem
  Spaziergange wieder an das Fischerhäuschen gekommen, und schlug eine
  laute, herzliche Lache auf, die Luft machte seiner gepreßten Brust.
  Zur innigsten Wehmut, die ihm sonst wohl gar nicht eigen, hatte den
  Meister nämlich das lebhafte Andenken an den Moment in der Kirche der
  Abtei St. Blasius gestimmt. »Warum blutet eben die Wunde jetzt so
  häufig, die ich längst verharscht glaubte,« sprach er zu sich selbst,
  »warum hänge ich jetzt leeren Träumereien nach, da es mir scheint, als
  müsse ich tätig eingreifen in das Maschinenwerk, das ein böser Geist
  falsch zu treiben scheint!« -- Der Meister fühlte sich beängstigt durch
  den Gedanken, daß er, selbst wußte er nicht wodurch, in seinem
  eigentümlichsten Tun und Treiben sich gefährdet sah, bis, wie gesagt, er
  im Ideengange auf die vornehmen Leute kam, über die er lachte und
  augenblicklich merkliche Linderung verspürte.
  Er trat ins Fischerhäuschen, um nun Kreislers Brief zu lesen. --
  In dem fürstlichen Schlosse hatte sich Merkwürdiges begeben. Der
  Leibarzt sprach: Wunderbar! -- es geht über alle Praxis, über alle
  Erfahrung hinaus! -- Die Fürstin: So mußte es kommen, und die Prinzessin
  ist nicht kompromittiert! -- der Fürst: Hätt' ichs nicht ausdrücklich
  verboten, aber die _Crapule_ der dienenden Esel hat keine Ohren. -- Nun
  -- der Oberforstmeister soll dafür sorgen, daß der Prinz kein Pulver mehr
  in die Hände bekommt! die Rätin Benzon: Dank dem Himmel, sie ist
  gerettet! -- Während dessen schaute Prinzessin Hedwiga zum Fenster ihres
  Schlafgemachs hinaus, indem sie dann und wann abgebrochene Akkorde
  anschlug auf derselben Guitarre, die Kreisler im Unmute von sich warf
  und aus Julias Händen, wie er meinte geheiligt, zurück empfing. Auf dem
  Sofa saß Prinz Ignatius und weinte und klagte: es tut weh, es tut weh
  -- vor ihm aber Julia, die emsig beschäftigt war, in eine kleine,
  silberne Schüssel hinein -- rohe Kartoffeln zu schaben.
  Alles dieses bezog sich auf ein Ereignis, das der Leibarzt mit vollem
  Recht wunderbar nannte und über alle Praxis erhaben. Prinz Ignatius
  hatte sich, wie der geneigte Leser schon mehrmals erfahren, den
  unschuldig tändelnden Sinn, die glückliche Unbefangenheit des
  sechsjährigen Knaben erhalten und spielte daher gern wie dieser. Unter
  anderm Spielzeug besaß er auch eine kleine, aus Metall gegossene Kanone,
  die ihm zu seinem Lieblings-Spiel diente, an dem er sich jedoch höchst
  selten ergötzen konnte, da manche Dinge dazu gehörten, die nicht gleich
  zur Hand waren, nämlich einige Körner Pulver, ein tüchtiges Schrotkorn
  und ein kleiner Vogel. Hatte er das alles, so ließ er seine Truppen
  aufmarschieren, hielt Kriegsgericht über den kleinen Vogel, der eine
  Rebellion angezettelt in des fürstlichen Papas verlornem Lande, lud die
  Kanone, und schoß den Vogel, den er mit einem schwarzen Herzen auf der
  Brust an einen Leuchter gebunden, tot, zuweilen aber auch nicht, so daß
  er mit dem Federmesser nachhelfen mußte, um die gerechte Strafe an dem
  Hochverräter zu vollstrecken.
  Fritz, des Gärtners zehnjähriger Knabe, hatte dem Prinzen einen gar
  hübschen bunten Hänfling verschafft und dafür, wie gewöhnlich, eine
  Krone erhalten. Sogleich war dann aber der Prinz in die Jägerstube
  geschlichen, gerade, wenn die Jäger abwesend, hatte richtig Schrotbeutel
  und Pulverhorn gefunden, und sich daraus mit der nötigen Munition
  versehen. Schon wollte er mit der Exekution beginnen, die Beschleunigung
  zu fordern schien, da der bunte zwitschernde Rebell alle nur möglichen
  Mittel versuchte, zu entwischen, als es ihm einfiel, daß er der
  Prinzessin Hedwiga, die jetzt so artig geworden, durchaus nicht die Lust
  versagen dürfte, bei der Hinrichtung des kleinen Hochverräters
  gegenwärtig zu sein. Er nahm also den Kasten worin seine Armee
  befindlich, unter den einen, die Kanone unter den andern Arm, den Vogel
  aber in die hohle Hand und schlich, da es ihm von dem Fürsten untersagt
  worden die Prinzessin zu sehen, leise, leise nach Hedwigas Schlafgemach,
  wo er sie in dem fortdauernden kataleptischen Zustande, auf dem
  Ruhebette angekleidet liegend fand. Schlimm und, wie man sehen wird
  zugleich gut war es, daß die Kammerfrau die Prinzessin eben verlassen.
  Ohne weiteres band nun der Prinz den Vogel an einen Leuchter, ließ die
  Armee in Reihe und Glied treten und lud die Kanone, dann hob er die
  Prinzessin vom Ruhebette, ließ sie an den Tisch treten und erklärte, daß
  sie jetzt den kommandierenden General vorstelle, er seinerseits bleibe
  der regierende Fürst und brenne nebenher die Artillerie ab, welche den
  Rebellen töte. -- Überfluß an Munition hatte den Prinzen verführt und er
  nicht allein das Geschütz überladen, sondern auch Pulver rund umher auf
  den Tisch verstreut. Sowie er das Stück abprotzte, gab es nicht allein
  einen ungewöhnlichen Knall, sondern das umher gestreute Pulver flog auch
  
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