🕥 34-minute read
Lebensansichten des Katers Murr - 12
Total number of words is 4418
Total number of unique words is 1627
37.2 of words are in the 2000 most common words
50.7 of words are in the 5000 most common words
56.3 of words are in the 8000 most common words
herrlich, und ganz besonders ist es mir lieb, daß sämtliche Bäume grünes
Laub tragen, welches ich überhaupt an allen Bäumen, Sträuchern und
Gräsern sehr bewundere und verehre, und jeden Frühling dem Allmächtigen
danke, daß es wieder grün worden und nicht rot, welches in jeder
Landschaft zu tadeln, und bei den besten Landschaften, wie z. B. Claude
Lorrain oder Berghem, ja selbst bei Hackert, der bloß seine Wiesengründe
was weniges pudert, nirgends zu finden.
Kreisler wollte weiter reden, als er aber in dem kleinen Spiegel, der
zur Seite des Fensters angebracht, der Prinzessin totbleiches, seltsam
verstörtes Antlitz erblickte, verstummte er vor dem Schauer, der sein
Inneres durcheiste.
Die Prinzessin unterbrach endlich das Schweigen, indem sie, ohne sich
umzuwenden, immerfort hinausschauend, mit dem rührenden Ton der tiefsten
Wehmut sprach: Kreisler, das Schicksal will es nun einmal, daß ich Ihnen
überall wie von seltsamen Einbildungen geplagt -- aufgeregt, ich möchte
sagen, albern, erscheine, daß ich Ihnen Stoff darbieten soll, Ihren
schneidenden Humor an mir zu üben. Es ist Zeit, Ihnen zu erklären, daß,
und warum Sie es sind, dessen Anblick mich in einen Zustand versetzt,
der dem nervenerschütternden Anfall eines heftigen Fiebers zu
vergleichen. Erfahren Sie alles! Ein offnes Geständnis wird meine Brust
erleichtern, und nur die Möglichkeit verschaffen, Ihren Anblick, Ihre
Gegenwart zu ertragen. -- Als ich Sie zum erstenmale dort im Park
antraf, da erfüllten Sie, da erfüllte Ihr ganzes Betragen, mich mit dem
tiefsten Entsetzen, selbst wußte ich nicht warum! -- aber es war eine
Erinnerung aus meinen frühsten Kinderjahren, die plötzlich mit all'
ihrem Schrecken in mir aufstieg, und die sich erst später in einem
seltsamen Traume deutlich gestaltete. An unserm Hofe befand sich ein
Maler, Ettlinger geheißen, den Fürst und Fürstin sehr hoch hielten, da
sein Talent wunderbar zu nennen. Sie finden auf der Galerie
vortreffliche Gemälde von seiner Hand, auf allen erblicken Sie die
Fürstin, in dieser, jener Gestalt, in der historischen Gruppe
angebracht. Das schönste Gemälde, daß die höchste Bewunderung aller
Kenner erregt, hängt aber in dem Kabinet des Fürsten. Es ist das Porträt
der Fürstin, die er, als sie in der höchsten Blüte der Jugend stand,
ohne daß sie ihm jemals gesessen, so ähnlich malte, als habe er das Bild
aus dem Spiegel gestohlen. Leonhard, so wurde der Maler mit seinem
Vornamen am Hofe genannt, muß ein milder guter Mensch gewesen sein. Alle
Liebe, deren meine kindische Brust fähig, ich mochte kaum drei Jahre alt
sein, hatte ich ihm zugewandt, ich wollte, er sollte mich nie verlassen.
Aber unermüdlich spielte er auch mit mir, malte mir kleine bunte Bilder,
schnitt mir allerlei Figuren aus. Plötzlich, es mochte ein Jahr
vergangen sein, blieb er aus. Die Frau, der meine erste Erziehung
anvertraut, sagte mir mit Tränen in den Augen, Herr Leonhard sei
gestorben. Ich war untröstlich, ich mochte nicht mehr in dem Zimmer
bleiben, wo Leonhard mit mir gespielt. So wie ich nur konnte,
entschlüpfte ich meiner Erzieherin, den Kammerfrauen, lief im Schlosse
umher, rief laut den Namen: Leonhard! Denn immer glaubt' ich, es sei
nicht wahr, daß er gestorben, und er sei irgendwo im Schlosse versteckt.
So begab es sich, daß ich auch an einem Abend, als die Erzieherin sich
nur auf einen Augenblick entfernt, mich aus dem Zimmer schlich, um die
Fürstin aufzusuchen. Die sollte mir sagen, wo Herr Leonhard sei, und mir
ihn wiederschaffen. Die Türen des Korridors standen offen, und so
gelangte ich wirklich zur Haupttreppe, die ich hinauflief, und oben, auf
gut Glück, in das erste geöffnete Zimmer trat. Als ich mich nun
umschaute, wurde die Türe, die, wie ich meinte, in die Gemächer der
Fürstin führen mußte, und an die ich zu pochen im Begriff stand, heftig
aufgestoßen, und hinein stürzte ein Mensch in zerrissenen Kleidern, mit
verwildertem Haar. Es war Leonhard, der mich mit fürchterlich funkelnden
Augen anstarrte. Totenbleich, eingefallen, kaum wiederzuerkennen, war
sein Antlitz. Ach, Herr Leonhard, rief ich, wie siehst Du aus, warum
bist Du so blaß, warum hast Du solche glühende Augen, warum starrst Du
mich so an? -- Ich fürchte mich vor Dir! -- O sei doch gut, wie sonst
-- male mir wieder hübsche bunte Bilder!« -- da sprang Leonhard mit einem
wilden wiehernden Gelächter auf mich los, -- eine Kette, die um den Leib
befestigt schien, klirrte ihm nach -- kauerte nieder auf den Boden,
sprach mit heiserer Stimme: »Ha ha, kleine Prinzeß, -- bunte Bilder?
-- ja nun kann ich erst recht malen, malen -- nun will ich Dir ein Bild
malen und Deine schöne Mutter! nicht wahr, Du hast eine schöne Mutter?
-- Aber bitte sie, daß sie mich nicht wieder verwandelt -- ich will
nicht der elende Mensch Leonhard Ettlinger sein -- der ist längst
gestorben. Ich bin der rote Geier und kann malen, wenn ich
Farbenstrahlen gespeist! -- ja malen kann ich, wenn ich heißes Herzblut
habe zum Firnis -- und Dein Herzblut brauche ich, kleine Prinzeß!« -- Und
damit faßte er mich, riß mich an sich, entblößte mir den Hals, mir
war's, als sähe ich ein kleines Messer in seiner Hand blinken. Auf das
durchdringende Angstgeschrei, das ich ausstieß, stürzten Diener hinein,
und warfen sich her über den Wahnsinnigen. Der schlug sie aber mit
Riesenkraft zu Boden. In demselben Augenblick polterte und klirrte es
aber die Treppe herauf, ein großer, starker Mann sprang hinein mit dem
lauten Ausruf: »Jesus, er ist mir entsprungen! Jesus, das Unglück!
-- Warte, warte, Höllenkerl!« -- Sowie der Wahnsinnige diesen Mann
gewahrte, schienen ihn plötzlich alle Kräfte zu verlassen, heulend
stürzte er zu Boden. Man legte ihm die Ketten an, die der Mann
mitgebracht, man führte ihn fort, indem er entsetzliche Töne ausstieß,
wie ein gefesseltes, wildes Tier.
Sie mögen sich es denken, mit welcher verstörenden Gewalt dieser
entsetzliche Auftritt das vierjährige Kind erfassen mußte. Man versuchte
mich zu trösten, mir begreiflich zu machen, was wahnsinnig sei. Ohne
dies ganz zu verstehen, ging doch ein tiefes, namenloses Grausen durch
mein Inneres, das noch jetzt wiederkehrt, wenn ich einen Wahnsinnigen
erblicke, ja wenn ich nur an den fürchterlichen Zustand denke, der einer
fortgesetzten ununterbrochenen Todesqual zu vergleichen. -- Jenem
Unglücklichen sehen Sie ähnlich, Kreisler, als wären Sie sein Bruder.
Vorzüglich erinnert mich Ihr Blick, den ich oft seltsam nennen möchte,
nur zu lebhaft an Leonhard, und dies ist es, was mich, als ich Sie zum
erstenmal erblickte, außer Fassung brachte, was mich noch jetzt in Ihrer
Gegenwart beunruhigt, beängstigt! -- --
Kreisler stand da, tief erschüttert, keines Wortes mächtig. Von je her
hatte er die fixe Idee, daß der Wahnsinn auf ihn lauere, wie ein nach
Beute lechzendes Raubtier, und ihn einmal plötzlich zerfleischen werde;
er erbebte nun in demselben Grausen, das die Prinzessin bei seinem
Anblick erfaßt, vor sich selbst, rang mit dem schauerlichen Gedanken,
daß er es gewesen, der die Prinzessin in der Raserei ermorden wollen.
Nach einigen Augenblicken des Schweigens fuhr die Prinzessin fort: Der
unglückliche Leonhard liebte insgeheim meine Mutter, und diese Liebe,
schon selbst Wahnsinn, brach zuletzt aus in Wut und Raserei.
So, sprach Kreisler sehr weich und mild wie er pflegte, wenn ein Sturm
im Innern vorübergegangen, so war in Leonhards Brust nicht die Liebe des
Künstlers aufgegangen.
Was wollen Sie damit sagen, Kreisler, fragte die Prinzessin, indem sie
sich rasch umwandte.
Als ich, erwiderte Kreisler sanft lächelnd, einst in einem hinlänglich
toll lustigen Schauspiel einen Witzbold von Diener die Spielleute mit
der süßen Anrede beehren hörte: »Ihr guten Leute und schlechten
Musikanten«, teilte ich, wie der Weltenrichter, flugs alles Menschenvolk
in zwei verschiedene Haufen, einer davon bestand aber aus den guten
Leuten, die schlechte, oder vielmehr gar keine Musikanten sind, der
andere aber aus den eigentlichen Musikanten. Doch niemand sollte
verdammt, sondern alle sollten selig werden, wiewohl auf verschiedene
Weise. -- Die guten Leute verlieben sich leichtlich in ein paar schöne
Augen, strecken beide Arme aus nach der angenehmen Person, aus deren
Antlitz besagte Augen strahlen, schließen die Holde ein in Kreise, die,
immer enger und enger werdend, zuletzt zusammenschrumpfen zum Trauring,
den sie der Geliebten an den Finger stecken als _pars pro toto_ -- Sie
verstehen einiges Latein, gnädigste Prinzeß -- als _pars pro toto_ sag'
ich, als Glied der Kette, an der sie die in Liebeshaft Genommene
heimführen in das Ehestandsgefängnis. Dabei schreien Sie denn ungemein:
O Gott! -- oder o Himmel! oder, sind sie der Astronomie ergeben, o ihr
Sterne! oder haben sie Inklination zum Heidentum, o all' ihr Götter! sie
ist mein, die Schönste, all' mein sehnend Hoffen erfüllt! -- Also
lärmend, gedenken die guten Leute es nachzumachen den Musikanten, jedoch
vergebens, da es mit der Liebe dieser durchaus sich anders verhält. -- Es
begibt sich wohl, daß besagten Musikanten unsichtbare Hände urplötzlich
den Flor wegziehen, der ihre Augen verhüllte, und sie erschauen, auf
Erden wandelnd, das Engelsbild, das, ein süßes unerforschtes Geheimnis,
schweigend ruhte in ihrer Brust. Und nun lodert auf in reinem
Himmelsfeuer, das nur leuchtet und wärmt, ohne mit verderblichen Flammen
zu vernichten, alles Entzücken, alle namenlose Wonne des höheren aus dem
Innersten emporkeimenden Lebens, und tausend Fühlhörner streckt der
Geist aus in brünstigem Verlangen, und umnetzt die, die er geschaut, und
hat sie, und hat sie nie, da die Sehnsucht ewig dürstend fortlebt! --
Und =sie, sie= selbst ist es, die Herrliche, die, zum Leben gestaltete
Ahnung, aus der Seele des Künstlers hervorleuchtet als Gesang -- Bild --
Gedicht! -- Ach, Gnädigste, glauben Sie mir, sein Sie überzeugt, daß
wahre Musikanten, die mit ihren leiblichen Armen und den daran
gewachsenen Händen nichts tun, als passabel musizieren, sei es nun mit
der Feder, mit dem Pinsel oder sonst, in der Tat nach der wahrhaften
Geliebten nichts ausstrecken, als geistige Fühlhörner, an denen weder
Hand noch Finger befindlich, die mit konvenabler Zierlichkeit einen
Trauring erfassen und anstecken könnten an den kleinen Finger der
Angebeteten; schnöde Mesalliancen sind daher durchaus nicht zu
befürchten, und scheint ziemlich gleichgültig, ob die Geliebte, die in
dem Innern des Künstlers lebt, eine Fürstin ist oder eine
Bäckerstochter, insofern letztere nur keine Eule. Besagte Musikanten
schaffen, sind sie in Liebe gekommen, mit der Begeisterung des Himmels,
herrliche Werke und sterben weder elendiglich dahin an der Schwindsucht,
noch werden sie wahnsinnig. Sehr verdenke ich es daher dem Herrn
Leonhard Ettlinger, daß er in einige Raserei verfiel, er hätte, nach der
Art echter Musikanten, die durchlauchtige Frau Fürstin ohne allen
Nachteil lieben können, wie er nur wollte!
Die humoristischen Töne, die der Kapellmeister anschlug, gingen bei dem
Ohr der Prinzessin vorüber, unvernommen oder übertönt von dem Nachhall
der Saite, die er berührt, und die, in der weiblichen Brust schärfer
gespannt, stärker vibrieren mußte als alle übrigen.
»Die Liebe des Künstlers, sprach sie, indem sie niedersank in den
Lehnstuhl und wie im Nachsinnen den Kopf auf die Hand stützte, die Liebe
des Künstlers! -- so geliebt zu werden! -- o es ist ein schöner
herrlicher Traum des Himmels -- nur ein Traum, ein leerer Traum.« --
Sie scheinen, nahm Kreisler das Wort, Gnädigste, für Träume eben nicht
sehr portiert, und doch sind es lediglich die Träume, in denen uns recht
die Schmetterlingsflügel wachsen, so daß wir dem engsten, festesten
Kerker zu entfliehen, uns bunt und glänzend in die hohen, in die
höchsten Lüfte zu erheben vermögen. Jeder Mensch hat doch am Ende einen
angebornen Hang zum Fliegen, und ich habe ernste honette Leute gekannt,
die am späten Abend sich bloß mit Champagner, als einem dienlichen Gas,
füllten um in der Nacht, Luftballon und Passagier zugleich, aufsteigen
zu können. --
Sich so geliebt zu wissen, wiederholte die Prinzessin noch bewegter als
vorher.
Und, sprach, als die Prinzessin schwieg, Kreisler weiter, was die Liebe
des Künstlers betrifft, wie ich sie zu schildern mich bemüht, so haben
Sie, Gnädigste! freilich das böse Beispiel des Herrn Leonhard Ettlinger
vor Augen, der Musikant war, und lieben wollte wie die guten Leute,
worüber sein schöner Verstand freilich etwas wacklicht werden konnte,
aber eben deshalb mein ich, war Herrn Leonhard kein echter Musikant.
Diese tragen die erkorne Dame im Herzen und wollen nichts als ihr zu
Ehren singen, dichten, malen, und sind in der vorzüglichsten Courtoisie
den galanten Rittern zu vergleichen, ja was unschuldsvolle Gesinnung
betrifft, ihnen vorzuziehen, da sie nicht verfahren wie sonst diese, die
blutdürstiger Weise, waren nicht gleich Riesen, Drachen bei der Hand,
die schätzbarsten Leute niederstreckten in den Staub, um der Herzensdame
zu huldigen! --
Nein, rief die Prinzessin, wie erwachend aus einem Traum, es ist
unmöglich, daß in der Brust des Mannes ein solch reines Vestas Feuer
sich entzünden sollte! -- Was ist die Liebe des Mannes anders, als die
verräterische Waffe, die er gebraucht, einen Sieg zu feiern, der das
Weib verdirbt, ohne ihn zu beglücken.
Kreisler wollte sich eben über solche absonderlichen Gesinnungen einer
siebzehn-, achtzehnjährigen Prinzessin höchlich verwundern, als die
Türe aufging, und Prinz Ignatius hineintrat.
Der Kapellmeister war froh, ein Gespräch zu enden, das er sehr gut mit
einem wohleingerichteten Duett verglich, in dem jede Stimme ihrem
eigentümlichen Charakter getreu bleiben muß. Während die Prinzessin, so
behauptete er, im wehmütigen Adagio beharrt, und nur hie und da einen
Mordent, einen Pralltriller angebracht, sei er als ein vorzüglicher
Buffo und erzkomischer Chanteur mit einer ganzen Legion kurzer Noten
parlando dazwischengefahren, so daß er, da das Ganze ein wahres
Meisterstück der Komposition und der Ausführung zu nennen, nichts weiter
gewünscht, als der Prinzessin und sich selbst zuhören zu können aus
irgendeiner Loge oder einem schicklichen Sperrsitz.
Also Prinz Ignatius trat hinein mit einer zerbrochenen Tasse in der
Hand, schluchzend und weinend.
Es ist nötig, zu sagen, daß der Prinz, unerachtet hoch in die zwanzig,
doch sich noch immer nicht von den Lieblingsspielen der Kinderjahre
trennen konnte. Ganz vorzüglich liebte er schöne Tassen, mit denen er
stundenlang in der Art spielen konnte, daß er sie in Reihen vor sich
hinstellte auf den Tisch, und diese Reihen immer anders und anders
ordnete, so daß bald die gelbe Tasse neben der roten, dann die grüne bei
der roten usw. stehen mußte. Dabei freute er sich so innig, so herzlich,
wie ein frohes zufriedenes Kind.
Das Unglück, worüber er jetzt lamentierte, bestand darin, daß ihm der
kleine Mops unversehens auf den Tisch gesprungen war, und die schönste
der Tassen herabgeworfen hatte.
Die Prinzessin versprach, dafür zu sorgen, daß er eine Mundtasse im
neuesten Geschmack aus Paris erhalten solle. Da gab er sich zufrieden,
und lächelte mit dem ganzen Gesicht. Jetzt erst schien er den
Kapellmeister zu bemerken. Er wandte sich zu ihm mit der Frage, ob er
auch viele schöne Tassen besitze. Kreisler wußte schon, von Meister
Abraham hatte er es erfahren, was man darauf zu antworten. Er
versicherte nämlich, daß er keineswegs solche schöne Tassen besitze, wie
der gnädigste Herr, und daß es ihm auch ganz unmöglich sei, so viel Geld
darauf zu verwenden, als der gnädige Herr es tue.
Sehn Sie wohl, erwiderte Ignaz sehr vergnügt, ich bin ein Prinz und
kann deshalb schöne Tassen haben, wie ich nur mag, aber das können Sie
nicht, weil Sie kein Prinz sind, denn weil ich nun einmal ganz gewiß ein
Prinz bin, so sind schöne Tassen --. Tassen und Prinzen, und Prinzen und
Tassen gingen nun durcheinander in immer mehr verwirrter Rede, und dabei
lachte und hüpfte Ignatius und klopfte in die Hände vor seligem
Vergnügen! -- Hedwiga schlug errötend die Augen nieder, sie schämte sich
des imbezillen Bruders, sie fürchtete mit Unrecht Kreisler's Spott, dem
nach seiner innersten Gemütsstimmung, des Prinzen Albernheit, als ein
Zustand des wirklichen Wahnsinnes, nur ein Mitleid erregte, das eben
nicht wohltun konnte, vielmehr die Spannung des Augenblicks vermehren
mußte. Um den armen nur abzubringen von den unseligen Tassen, bat die
Prinzessin ihn, die kleine Handbibliothek in Ordnung zu bringen, die in
einem zierlichen Wandschrank aufgestellt war. Ganz vergnügt, unter
fröhlichem Gelächter, begann der Prinz sogleich die sauber gebundenen
Bücher herauszunehmen, und sie, nach dem Format sorglich ordnend, so
hinzustellen, daß die goldnen Schnitte nach außen stehend eine blanke
Reihe formten, worüber er sich über alle Maßen freute.
Fräulein Nannette stürzte hinein, und rief laut: der Fürst, der Fürst
mit dem Prinzen! -- O mein Gott, sprach die Prinzessin, meine Toilette,
in der Tat, Kreisler, wir haben die Stunden verplaudert, ohne daran zu
denken. -- Ich habe mich ganz vergessen! Mich und den Fürsten und den
Prinzen. Sie verschwand mit Nannetten in das Nebengemach. Prinz Ignaz
ließ sich in seinem Geschäft gar nicht stören.
Schon rollte der Staatswagen des Fürsten heran; als Kreisler sich unten
an der Haupttreppe befand, stiegen eben die beiden Laufer in
Staatslivree aus der Wurst. -- Das muß näher erklärt werden.
Fürst Irenäus ließ nicht ab von dem alten Brauch; und so hatte er zur
selben Zeit, als kein schnellfüßiger Hanswurst in bunter Jacke vor den
Pferden herzulaufen genötigt, wie ein gehetztes Tier, in der zahlreichen
Dienerschaft von allen Waffen auch noch zwei Laufer, artige hübsche
Leute von gesetzten Jahren, wohlgefüttert, und nur zuweilen von
Unterleibsbeschwerden geplagt, wegen der sitzenden Lebensweise. Viel zu
menschenfreundlich war nämlich der Fürst gesinnt, um irgendeinem Diener
zuzumuten, daß er sich zu Zeiten umsetzte in ein Windspiel, oder einen
andern vergnügten Köter, um indessen doch die gehörige Etikette im
Ansehen zu erhalten, mußten die beiden Laufer, fuhr der Fürst in Gala
aus, vorauffahren auf einer passablen Wurst, und an schicklichen
Stellen, wo z. B. einige Gaffer sich versammelt, etwas die Beine rühren
als Andeutung des wirklichen Laufs. -- Es war hübsch anzusehen. --
Also, -- die Laufer waren eben ausgestiegen, die Kammerherrn traten ins
Portal, und ihnen folgte Fürst Irenäus, an dessen Seite ein junger Mann
von stattlichem Ansehen daherschritt, in reicher Uniform der
neapolitanischen Garde, Sterne und Kreuze auf der Brust. -- _»Je vous
salue Monsieur de Krösel«_ sprach der Fürst, als er Kreisler erblickte.
-- _Krösel_ pflegte er zu sagen, statt Kreisler, wenn er bei festlichen
feierlichen Gelegenheiten französisch sprach, und sich auf keinen
deutschen Namen recht besinnen konnte. Der fremde Prinz -- denn den
jungen stattlichen Mann hatte doch wohl die Fräulein Nannette gemeint,
als sie rief, daß der Fürst komme mit dem Prinzen -- nickte Kreislern im
Vorbeigehen flüchtig zu mit dem Kopfe, eine Art der Begrüßung, die
Kreislern selbst von den vornehmsten Personen ganz unausstehlich war. Er
bückte sich daher bis tief an die Erde auf solch burleske Weise, daß der
dicke Hofmarschall, der überhaupt Kreislern für einen ausgemachten
Spaßmacher, und alles für Spaß hielt, was er tat und sprach, nicht umhin
konnte, etwas zu kichern. Der junge Fürst warf aus seinen dunklen Augen
Kreislern einen glühenden Blick zu, murmelte zwischen den Zähnen:
Hasenfuß, und schritt dann schnell dem Fürsten nach, der sich mit milder
Gravität nach ihm umschaute. -- Für einen italienischen Gardisten, rief
Kreisler laut lachend dem Hofmarschall zu, spricht der durchlauchtige
Herr ein passables Deutsch, sagen Sie ihm, beste Exzellenz, daß ich ihm
dafür mit dem auserlesensten Neapolitanisch dienen und dabei kein
artiges Romanisch, am wenigsten aber als Gozzische Maske schnödes
Venetianisch einschwärzen, kurz kein X für ein U machen will. -- Sagen
Sie ihm, beste Exzellenz --. Aber die Exzellenz stieg schon, die
Schultern hoch heraufgezogen, als Bollwerk und Schutzschanze der Ohren,
die Treppe hinauf. --
Der fürstliche Wagen, mit dem Kreisler gewöhnlich nach Sieghartshof zu
fahren pflegte, hielt, der Jäger öffnete den Schlag und fragte ob's
gefällig wäre. In dem Augenblick rannte aber ein Küchenjunge vorbei,
heulend und schreiend. Ach das Unglück -- ach das Malheur! -- Was ist
geschehen, rief ihm Kreisler nach. Ach das Unglück, erwiderte der
Küchenjunge noch heftiger weinend, da drinnen liegen der Herr
Oberküchenmeister in der Verzweiflung, in purer Raserei, und wollen sich
durchaus das Ragoutmesser in den Leib stoßen, weil der gnädigste Herr
plötzlich befohlen hat zu soupieren, und es ihm an Muscheln fehlt zum
italienischen Salat. Er will selbst nach der Stadt, und der Herr
Oberstallmeister weigern sich anspannen zu lassen, da es an einer Ordre
des gnädigsten Herrn fehlt. -- Da ist zu helfen, sprach Kreisler, der
Herr Oberküchenmeister steige in gegenwärtigen Wagen, und versehe sich
mit den schönsten Muscheln in Sieghartsweiler, während ich zu Fuß nach
selbiger Stadt promeniere. -- Damit rannte er fort in den Park.
Große Seele -- edles Gemüt -- scharmanter Herr! rief ihm der alte Jäger
nach, indem ihm die Tränen in die Augen traten.
In den Flammen des Abendrots stand das ferne Gebirge, und der goldne
glühende Widerschein gleitete spielend über den Wiesenplan, durch die
Bäume, durch die Büsche, wie getrieben von dem Abendwinde, der sich
säuselnd erhoben.
Kreisler blieb mitten auf der Brücke stehen, die über einen breiten Arm
des Sees nach dem Fischerhäuschen führte, und schaute in das Wasser
hinab, in dem sich der Park mit seinen wunderbaren Baumgruppen, der hoch
darüber emporragende Geierstein, der seine weißblinkenden Ruinen auf dem
Haupte wie eine seltsame Krone trug, abspiegelte in magischem Schimmer.
Der zahme Schwan, der auf den Namen Blanche hörte, plätscherte auf dem
See daher, den schönen Hals stolz emporgehoben, rauschend mit den
glänzenden Schwingen. »Blanche, Blanche, rief Kreisler laut indem er
beide Arme weit ausstreckte, singe dein schönstes Lied, glaube ja nicht,
daß du dann sterben mußt! du darfst dich nur singend an meine Brust
schmiegen, dann sind deine herrlichsten Töne mein, und nur ich gehe
unter in brünstiger Sehnsucht, während du in Liebe und Leben
daherschwebst auf den kosenden Wellen! --« Selbst wußte Kreisler nicht,
was ihn plötzlich so tief bewegte, er stützte sich auf das Geländer,
schloß unwillkürlich die Augen. Da hörte er Julia's Gesang, und ein
unnennbar süßes Weh durchbebte sein Inneres.
Düstere Wolken zogen daher, und warfen breite Schatten über das Gebirge,
über den Wald, wie schwarze Schleier. Ein dumpfer Donner dröhnte im
Morgen; stärker sauste der Nachtwind, rauschten die Bäche, und
dazwischen schlugen einige Töne der Wetterharfe an, wie ferne
Orgelklänge, aufgescheucht erhob sich das Geflügel der Nacht, und
schweifte kreischend durch das Dickicht.
Kreisler erwachte aus dem Traume, und erblickte seine dunkle Gestalt im
Wasser. Da war es ihm, als schaue ihn Ettlinger, der wahnsinnige Maler,
an aus der Tiefe. »Hoho, rief er hinab, bist Du da geliebter
Doppelgänger, wackerer Kumpan? -- Höre, mein ehrlicher Junge, für einen
Maler, der etwas über die Schnur gehauen, der im stolzen Übermut
fürstliches Herzblut verbrauchen wollte, statt Firnis, siehst Du
passabel genug aus. -- Ich glaube am Ende, guter Ettlinger, daß Du
illustre Familien genarrt hast mit Deinem wahnsinnigen Treiben! -- Je
länger ich Dich anschaue, desto mehr gewahre ich an Dir die vornehmsten
Manieren, und so Du magst, will ich der Fürstin Maria versichern, Du
wärst, was Deinen Stand oder Deine Lage im Wasser betrifft, ein Mann von
dem importantesten Range, und sie könne Dich lieben ohne alle weiteren
Umstände. -- Willst Du aber, Kumpan, daß die Fürstin noch jetzt Deinem
Bilde gleiche, so mußt Du es nachtun dem fürstlichen Dilettanten, der
seine Porträts ausglich mit den zu porträtierenden, durch geschicktes
Anpinseln der letztern. -- Nun! -- haben sie Dich einmal unverdienter
Weise hinabgeschickt in den Orkus, so trage ich Dir hiermit allerlei
Neuigkeiten zu! -- Wisse, verehrter Tollhauskolonist, daß die Wunde, die
Du dem armen Kinde, der schönen Prinzessin Hedwiga beibrachtest, noch
immer nicht recht geheilt ist, so daß sie vor Schmerz manchmal allerlei
Faxen macht. Trafst Du denn ihr Herz so hart, so schmerzlich, daß ihr
noch jetzt heißes Blut entquillt, wenn sie deine Larve erblickt, so wie
Leichname bluten, wenn der Mörder hinantritt? Rechne es mir nicht zu,
Guter, daß sie mich für ein Gespenst hält, und zwar für das Deinige.
-- Aber bin ich so recht in voller Lust ihr zu beweisen, daß ich kein
schnöder Revenant bin, sondern der Kapellmeister Kreisler, dann kommt
mir der Prinz Ignatius in die Quere, der offenbar an einer _paranoia_
laboriert, an einer _fatuitas, stoliditas_, die nach =Kluge= eine sehr
angenehme Sorte der eigentlichen Narrheit ist. -- Mache mir nicht alle
Gesten nach, Maler, wenn ich ernsthaft mit Dir rede! -- Schon wieder?
Fürchtete ich mich nicht vor dem Schnupfen, ich spränge zu Dir hinab,
und prügelte Dich erklecklich! -- Schere Dich zum Teufel, halunkischer
Mimiker! --
Kreisler sprang schnell fort.
Es war nun ganz finster geworden, Blitze leuchteten durch die schwarzen
Wolken, der Donner rollte, und der Regen begann in großen Tropfen
herabzufallen. Aus dem Fischerhäuschen strahlte ein helles blendendes
Licht, dem eilte Kreisler entgegen.
Unfern der Türe, im vollen Schimmer des Lichts, erblickte Kreisler sein
Ebenbild, sein eigenes Ich, das neben ihm daherschritt. Vom tiefsten
Entsetzen erfaßt, stürzte Kreisler hinein in das Häuschen, sank atemlos,
zum Tode erbleicht, in den Sessel.
Meister Abraham, der vor einem kleinen Tische saß, auf dem eine
Astrallampe ihre blendenden Strahlen umherwarf, in einem großen
Folianten lesend, fuhr erschrocken in die Höhe, nahte sich Kreisler,
rief: Um des Himmels willen, was ist Euch, Johannes, wo kommt Ihr her am
späten Abend -- was hat Euch so entsetzt! --
Mit Mühe ermannte sich Kreisler, und sprach dann mit dumpfer Stimme: Es
ist nun nicht anders, wir sind unserer Zwei -- ich meine, ich und mein
Doppelgänger, der aus dem See gesprungen ist, und mich verfolgt hat,
hieher. -- Seid barmherzig Meister, nehmt Euern Dolchstock, stoßt den
Halunken nieder -- er ist rasend, glaubt mir das, und kann uns beide
verderben. Er hat draußen das Wetter heraufbeschworen. -- Die Geister
rühren sich in den Lüften, und ihr Choral zerreißt die menschliche
Brust! -- Meister -- Meister, lockt den Schwan herbei, -- er soll singen
-- erstarrt ist mein Gesang, denn der Ich hat seine weiße kalte
Totenhand auf meine Brust gelegt, die muß er wegziehen, wenn der Schwan
singt -- und sich wieder untertauchen in den See. -- Meister Abraham
ließ Kreislern nicht weiter reden, er sprach ihm zu mit
freundschaftlichen Worten, nötigte ihm einige Gläser eines feurigen
italienischen Weins ein, den er eben zur Hand hatte, und fragte ihm dann
nach und nach ab, wie sich alles begeben.
Aber kaum hatte Kreisler geendet, als Meister Abraham laut lachend rief.
Da sieht man den eingefleischten Phantasten, den vollendeten
Geisterseher! -- Was den Organisten betrifft, der Euch draußen in dem
Park schauerliche Chorale vorgespielt hat, so ist das niemand anders
gewesen, als der Nachtwind, der durch die Lüfte brausend, daher fuhr,
und vor dem die Saiten der Wetterharfe erklangen. Ja ja, Kreisler, die
Wetterharfe habt Ihr vergessen, die zwischen den beiden Pavillons am
Ende des Parks aufgespannt ist[A]. Und was Euern Doppelgänger betrifft,
der im Schimmer meiner Astrallampe neben Euch her lief, so will ich Euch
sogleich beweisen, daß, sobald ich nur vor die Türe trete, auch mein
Doppelgänger bei der Hand ist, ja, daß ein jeder, der zu mir
hineintritt, solch einen Chevalier d'Honneur seines Ichs an der Seite
leiden muß.
[Fußnote A: Der Abt Gattoni zu Mailand ließ, von einem Turme zum
andern fünfzehn eiserne Saiten ausspannen, und dergestalt stimmen, daß
sie die diatonische Tonleiter angaben. Bei jeder Veränderung in der
Atmosphäre erklangen diese Saiten stärker oder schwächer, nach dem Maß
Laub tragen, welches ich überhaupt an allen Bäumen, Sträuchern und
Gräsern sehr bewundere und verehre, und jeden Frühling dem Allmächtigen
danke, daß es wieder grün worden und nicht rot, welches in jeder
Landschaft zu tadeln, und bei den besten Landschaften, wie z. B. Claude
Lorrain oder Berghem, ja selbst bei Hackert, der bloß seine Wiesengründe
was weniges pudert, nirgends zu finden.
Kreisler wollte weiter reden, als er aber in dem kleinen Spiegel, der
zur Seite des Fensters angebracht, der Prinzessin totbleiches, seltsam
verstörtes Antlitz erblickte, verstummte er vor dem Schauer, der sein
Inneres durcheiste.
Die Prinzessin unterbrach endlich das Schweigen, indem sie, ohne sich
umzuwenden, immerfort hinausschauend, mit dem rührenden Ton der tiefsten
Wehmut sprach: Kreisler, das Schicksal will es nun einmal, daß ich Ihnen
überall wie von seltsamen Einbildungen geplagt -- aufgeregt, ich möchte
sagen, albern, erscheine, daß ich Ihnen Stoff darbieten soll, Ihren
schneidenden Humor an mir zu üben. Es ist Zeit, Ihnen zu erklären, daß,
und warum Sie es sind, dessen Anblick mich in einen Zustand versetzt,
der dem nervenerschütternden Anfall eines heftigen Fiebers zu
vergleichen. Erfahren Sie alles! Ein offnes Geständnis wird meine Brust
erleichtern, und nur die Möglichkeit verschaffen, Ihren Anblick, Ihre
Gegenwart zu ertragen. -- Als ich Sie zum erstenmale dort im Park
antraf, da erfüllten Sie, da erfüllte Ihr ganzes Betragen, mich mit dem
tiefsten Entsetzen, selbst wußte ich nicht warum! -- aber es war eine
Erinnerung aus meinen frühsten Kinderjahren, die plötzlich mit all'
ihrem Schrecken in mir aufstieg, und die sich erst später in einem
seltsamen Traume deutlich gestaltete. An unserm Hofe befand sich ein
Maler, Ettlinger geheißen, den Fürst und Fürstin sehr hoch hielten, da
sein Talent wunderbar zu nennen. Sie finden auf der Galerie
vortreffliche Gemälde von seiner Hand, auf allen erblicken Sie die
Fürstin, in dieser, jener Gestalt, in der historischen Gruppe
angebracht. Das schönste Gemälde, daß die höchste Bewunderung aller
Kenner erregt, hängt aber in dem Kabinet des Fürsten. Es ist das Porträt
der Fürstin, die er, als sie in der höchsten Blüte der Jugend stand,
ohne daß sie ihm jemals gesessen, so ähnlich malte, als habe er das Bild
aus dem Spiegel gestohlen. Leonhard, so wurde der Maler mit seinem
Vornamen am Hofe genannt, muß ein milder guter Mensch gewesen sein. Alle
Liebe, deren meine kindische Brust fähig, ich mochte kaum drei Jahre alt
sein, hatte ich ihm zugewandt, ich wollte, er sollte mich nie verlassen.
Aber unermüdlich spielte er auch mit mir, malte mir kleine bunte Bilder,
schnitt mir allerlei Figuren aus. Plötzlich, es mochte ein Jahr
vergangen sein, blieb er aus. Die Frau, der meine erste Erziehung
anvertraut, sagte mir mit Tränen in den Augen, Herr Leonhard sei
gestorben. Ich war untröstlich, ich mochte nicht mehr in dem Zimmer
bleiben, wo Leonhard mit mir gespielt. So wie ich nur konnte,
entschlüpfte ich meiner Erzieherin, den Kammerfrauen, lief im Schlosse
umher, rief laut den Namen: Leonhard! Denn immer glaubt' ich, es sei
nicht wahr, daß er gestorben, und er sei irgendwo im Schlosse versteckt.
So begab es sich, daß ich auch an einem Abend, als die Erzieherin sich
nur auf einen Augenblick entfernt, mich aus dem Zimmer schlich, um die
Fürstin aufzusuchen. Die sollte mir sagen, wo Herr Leonhard sei, und mir
ihn wiederschaffen. Die Türen des Korridors standen offen, und so
gelangte ich wirklich zur Haupttreppe, die ich hinauflief, und oben, auf
gut Glück, in das erste geöffnete Zimmer trat. Als ich mich nun
umschaute, wurde die Türe, die, wie ich meinte, in die Gemächer der
Fürstin führen mußte, und an die ich zu pochen im Begriff stand, heftig
aufgestoßen, und hinein stürzte ein Mensch in zerrissenen Kleidern, mit
verwildertem Haar. Es war Leonhard, der mich mit fürchterlich funkelnden
Augen anstarrte. Totenbleich, eingefallen, kaum wiederzuerkennen, war
sein Antlitz. Ach, Herr Leonhard, rief ich, wie siehst Du aus, warum
bist Du so blaß, warum hast Du solche glühende Augen, warum starrst Du
mich so an? -- Ich fürchte mich vor Dir! -- O sei doch gut, wie sonst
-- male mir wieder hübsche bunte Bilder!« -- da sprang Leonhard mit einem
wilden wiehernden Gelächter auf mich los, -- eine Kette, die um den Leib
befestigt schien, klirrte ihm nach -- kauerte nieder auf den Boden,
sprach mit heiserer Stimme: »Ha ha, kleine Prinzeß, -- bunte Bilder?
-- ja nun kann ich erst recht malen, malen -- nun will ich Dir ein Bild
malen und Deine schöne Mutter! nicht wahr, Du hast eine schöne Mutter?
-- Aber bitte sie, daß sie mich nicht wieder verwandelt -- ich will
nicht der elende Mensch Leonhard Ettlinger sein -- der ist längst
gestorben. Ich bin der rote Geier und kann malen, wenn ich
Farbenstrahlen gespeist! -- ja malen kann ich, wenn ich heißes Herzblut
habe zum Firnis -- und Dein Herzblut brauche ich, kleine Prinzeß!« -- Und
damit faßte er mich, riß mich an sich, entblößte mir den Hals, mir
war's, als sähe ich ein kleines Messer in seiner Hand blinken. Auf das
durchdringende Angstgeschrei, das ich ausstieß, stürzten Diener hinein,
und warfen sich her über den Wahnsinnigen. Der schlug sie aber mit
Riesenkraft zu Boden. In demselben Augenblick polterte und klirrte es
aber die Treppe herauf, ein großer, starker Mann sprang hinein mit dem
lauten Ausruf: »Jesus, er ist mir entsprungen! Jesus, das Unglück!
-- Warte, warte, Höllenkerl!« -- Sowie der Wahnsinnige diesen Mann
gewahrte, schienen ihn plötzlich alle Kräfte zu verlassen, heulend
stürzte er zu Boden. Man legte ihm die Ketten an, die der Mann
mitgebracht, man führte ihn fort, indem er entsetzliche Töne ausstieß,
wie ein gefesseltes, wildes Tier.
Sie mögen sich es denken, mit welcher verstörenden Gewalt dieser
entsetzliche Auftritt das vierjährige Kind erfassen mußte. Man versuchte
mich zu trösten, mir begreiflich zu machen, was wahnsinnig sei. Ohne
dies ganz zu verstehen, ging doch ein tiefes, namenloses Grausen durch
mein Inneres, das noch jetzt wiederkehrt, wenn ich einen Wahnsinnigen
erblicke, ja wenn ich nur an den fürchterlichen Zustand denke, der einer
fortgesetzten ununterbrochenen Todesqual zu vergleichen. -- Jenem
Unglücklichen sehen Sie ähnlich, Kreisler, als wären Sie sein Bruder.
Vorzüglich erinnert mich Ihr Blick, den ich oft seltsam nennen möchte,
nur zu lebhaft an Leonhard, und dies ist es, was mich, als ich Sie zum
erstenmal erblickte, außer Fassung brachte, was mich noch jetzt in Ihrer
Gegenwart beunruhigt, beängstigt! -- --
Kreisler stand da, tief erschüttert, keines Wortes mächtig. Von je her
hatte er die fixe Idee, daß der Wahnsinn auf ihn lauere, wie ein nach
Beute lechzendes Raubtier, und ihn einmal plötzlich zerfleischen werde;
er erbebte nun in demselben Grausen, das die Prinzessin bei seinem
Anblick erfaßt, vor sich selbst, rang mit dem schauerlichen Gedanken,
daß er es gewesen, der die Prinzessin in der Raserei ermorden wollen.
Nach einigen Augenblicken des Schweigens fuhr die Prinzessin fort: Der
unglückliche Leonhard liebte insgeheim meine Mutter, und diese Liebe,
schon selbst Wahnsinn, brach zuletzt aus in Wut und Raserei.
So, sprach Kreisler sehr weich und mild wie er pflegte, wenn ein Sturm
im Innern vorübergegangen, so war in Leonhards Brust nicht die Liebe des
Künstlers aufgegangen.
Was wollen Sie damit sagen, Kreisler, fragte die Prinzessin, indem sie
sich rasch umwandte.
Als ich, erwiderte Kreisler sanft lächelnd, einst in einem hinlänglich
toll lustigen Schauspiel einen Witzbold von Diener die Spielleute mit
der süßen Anrede beehren hörte: »Ihr guten Leute und schlechten
Musikanten«, teilte ich, wie der Weltenrichter, flugs alles Menschenvolk
in zwei verschiedene Haufen, einer davon bestand aber aus den guten
Leuten, die schlechte, oder vielmehr gar keine Musikanten sind, der
andere aber aus den eigentlichen Musikanten. Doch niemand sollte
verdammt, sondern alle sollten selig werden, wiewohl auf verschiedene
Weise. -- Die guten Leute verlieben sich leichtlich in ein paar schöne
Augen, strecken beide Arme aus nach der angenehmen Person, aus deren
Antlitz besagte Augen strahlen, schließen die Holde ein in Kreise, die,
immer enger und enger werdend, zuletzt zusammenschrumpfen zum Trauring,
den sie der Geliebten an den Finger stecken als _pars pro toto_ -- Sie
verstehen einiges Latein, gnädigste Prinzeß -- als _pars pro toto_ sag'
ich, als Glied der Kette, an der sie die in Liebeshaft Genommene
heimführen in das Ehestandsgefängnis. Dabei schreien Sie denn ungemein:
O Gott! -- oder o Himmel! oder, sind sie der Astronomie ergeben, o ihr
Sterne! oder haben sie Inklination zum Heidentum, o all' ihr Götter! sie
ist mein, die Schönste, all' mein sehnend Hoffen erfüllt! -- Also
lärmend, gedenken die guten Leute es nachzumachen den Musikanten, jedoch
vergebens, da es mit der Liebe dieser durchaus sich anders verhält. -- Es
begibt sich wohl, daß besagten Musikanten unsichtbare Hände urplötzlich
den Flor wegziehen, der ihre Augen verhüllte, und sie erschauen, auf
Erden wandelnd, das Engelsbild, das, ein süßes unerforschtes Geheimnis,
schweigend ruhte in ihrer Brust. Und nun lodert auf in reinem
Himmelsfeuer, das nur leuchtet und wärmt, ohne mit verderblichen Flammen
zu vernichten, alles Entzücken, alle namenlose Wonne des höheren aus dem
Innersten emporkeimenden Lebens, und tausend Fühlhörner streckt der
Geist aus in brünstigem Verlangen, und umnetzt die, die er geschaut, und
hat sie, und hat sie nie, da die Sehnsucht ewig dürstend fortlebt! --
Und =sie, sie= selbst ist es, die Herrliche, die, zum Leben gestaltete
Ahnung, aus der Seele des Künstlers hervorleuchtet als Gesang -- Bild --
Gedicht! -- Ach, Gnädigste, glauben Sie mir, sein Sie überzeugt, daß
wahre Musikanten, die mit ihren leiblichen Armen und den daran
gewachsenen Händen nichts tun, als passabel musizieren, sei es nun mit
der Feder, mit dem Pinsel oder sonst, in der Tat nach der wahrhaften
Geliebten nichts ausstrecken, als geistige Fühlhörner, an denen weder
Hand noch Finger befindlich, die mit konvenabler Zierlichkeit einen
Trauring erfassen und anstecken könnten an den kleinen Finger der
Angebeteten; schnöde Mesalliancen sind daher durchaus nicht zu
befürchten, und scheint ziemlich gleichgültig, ob die Geliebte, die in
dem Innern des Künstlers lebt, eine Fürstin ist oder eine
Bäckerstochter, insofern letztere nur keine Eule. Besagte Musikanten
schaffen, sind sie in Liebe gekommen, mit der Begeisterung des Himmels,
herrliche Werke und sterben weder elendiglich dahin an der Schwindsucht,
noch werden sie wahnsinnig. Sehr verdenke ich es daher dem Herrn
Leonhard Ettlinger, daß er in einige Raserei verfiel, er hätte, nach der
Art echter Musikanten, die durchlauchtige Frau Fürstin ohne allen
Nachteil lieben können, wie er nur wollte!
Die humoristischen Töne, die der Kapellmeister anschlug, gingen bei dem
Ohr der Prinzessin vorüber, unvernommen oder übertönt von dem Nachhall
der Saite, die er berührt, und die, in der weiblichen Brust schärfer
gespannt, stärker vibrieren mußte als alle übrigen.
»Die Liebe des Künstlers, sprach sie, indem sie niedersank in den
Lehnstuhl und wie im Nachsinnen den Kopf auf die Hand stützte, die Liebe
des Künstlers! -- so geliebt zu werden! -- o es ist ein schöner
herrlicher Traum des Himmels -- nur ein Traum, ein leerer Traum.« --
Sie scheinen, nahm Kreisler das Wort, Gnädigste, für Träume eben nicht
sehr portiert, und doch sind es lediglich die Träume, in denen uns recht
die Schmetterlingsflügel wachsen, so daß wir dem engsten, festesten
Kerker zu entfliehen, uns bunt und glänzend in die hohen, in die
höchsten Lüfte zu erheben vermögen. Jeder Mensch hat doch am Ende einen
angebornen Hang zum Fliegen, und ich habe ernste honette Leute gekannt,
die am späten Abend sich bloß mit Champagner, als einem dienlichen Gas,
füllten um in der Nacht, Luftballon und Passagier zugleich, aufsteigen
zu können. --
Sich so geliebt zu wissen, wiederholte die Prinzessin noch bewegter als
vorher.
Und, sprach, als die Prinzessin schwieg, Kreisler weiter, was die Liebe
des Künstlers betrifft, wie ich sie zu schildern mich bemüht, so haben
Sie, Gnädigste! freilich das böse Beispiel des Herrn Leonhard Ettlinger
vor Augen, der Musikant war, und lieben wollte wie die guten Leute,
worüber sein schöner Verstand freilich etwas wacklicht werden konnte,
aber eben deshalb mein ich, war Herrn Leonhard kein echter Musikant.
Diese tragen die erkorne Dame im Herzen und wollen nichts als ihr zu
Ehren singen, dichten, malen, und sind in der vorzüglichsten Courtoisie
den galanten Rittern zu vergleichen, ja was unschuldsvolle Gesinnung
betrifft, ihnen vorzuziehen, da sie nicht verfahren wie sonst diese, die
blutdürstiger Weise, waren nicht gleich Riesen, Drachen bei der Hand,
die schätzbarsten Leute niederstreckten in den Staub, um der Herzensdame
zu huldigen! --
Nein, rief die Prinzessin, wie erwachend aus einem Traum, es ist
unmöglich, daß in der Brust des Mannes ein solch reines Vestas Feuer
sich entzünden sollte! -- Was ist die Liebe des Mannes anders, als die
verräterische Waffe, die er gebraucht, einen Sieg zu feiern, der das
Weib verdirbt, ohne ihn zu beglücken.
Kreisler wollte sich eben über solche absonderlichen Gesinnungen einer
siebzehn-, achtzehnjährigen Prinzessin höchlich verwundern, als die
Türe aufging, und Prinz Ignatius hineintrat.
Der Kapellmeister war froh, ein Gespräch zu enden, das er sehr gut mit
einem wohleingerichteten Duett verglich, in dem jede Stimme ihrem
eigentümlichen Charakter getreu bleiben muß. Während die Prinzessin, so
behauptete er, im wehmütigen Adagio beharrt, und nur hie und da einen
Mordent, einen Pralltriller angebracht, sei er als ein vorzüglicher
Buffo und erzkomischer Chanteur mit einer ganzen Legion kurzer Noten
parlando dazwischengefahren, so daß er, da das Ganze ein wahres
Meisterstück der Komposition und der Ausführung zu nennen, nichts weiter
gewünscht, als der Prinzessin und sich selbst zuhören zu können aus
irgendeiner Loge oder einem schicklichen Sperrsitz.
Also Prinz Ignatius trat hinein mit einer zerbrochenen Tasse in der
Hand, schluchzend und weinend.
Es ist nötig, zu sagen, daß der Prinz, unerachtet hoch in die zwanzig,
doch sich noch immer nicht von den Lieblingsspielen der Kinderjahre
trennen konnte. Ganz vorzüglich liebte er schöne Tassen, mit denen er
stundenlang in der Art spielen konnte, daß er sie in Reihen vor sich
hinstellte auf den Tisch, und diese Reihen immer anders und anders
ordnete, so daß bald die gelbe Tasse neben der roten, dann die grüne bei
der roten usw. stehen mußte. Dabei freute er sich so innig, so herzlich,
wie ein frohes zufriedenes Kind.
Das Unglück, worüber er jetzt lamentierte, bestand darin, daß ihm der
kleine Mops unversehens auf den Tisch gesprungen war, und die schönste
der Tassen herabgeworfen hatte.
Die Prinzessin versprach, dafür zu sorgen, daß er eine Mundtasse im
neuesten Geschmack aus Paris erhalten solle. Da gab er sich zufrieden,
und lächelte mit dem ganzen Gesicht. Jetzt erst schien er den
Kapellmeister zu bemerken. Er wandte sich zu ihm mit der Frage, ob er
auch viele schöne Tassen besitze. Kreisler wußte schon, von Meister
Abraham hatte er es erfahren, was man darauf zu antworten. Er
versicherte nämlich, daß er keineswegs solche schöne Tassen besitze, wie
der gnädigste Herr, und daß es ihm auch ganz unmöglich sei, so viel Geld
darauf zu verwenden, als der gnädige Herr es tue.
Sehn Sie wohl, erwiderte Ignaz sehr vergnügt, ich bin ein Prinz und
kann deshalb schöne Tassen haben, wie ich nur mag, aber das können Sie
nicht, weil Sie kein Prinz sind, denn weil ich nun einmal ganz gewiß ein
Prinz bin, so sind schöne Tassen --. Tassen und Prinzen, und Prinzen und
Tassen gingen nun durcheinander in immer mehr verwirrter Rede, und dabei
lachte und hüpfte Ignatius und klopfte in die Hände vor seligem
Vergnügen! -- Hedwiga schlug errötend die Augen nieder, sie schämte sich
des imbezillen Bruders, sie fürchtete mit Unrecht Kreisler's Spott, dem
nach seiner innersten Gemütsstimmung, des Prinzen Albernheit, als ein
Zustand des wirklichen Wahnsinnes, nur ein Mitleid erregte, das eben
nicht wohltun konnte, vielmehr die Spannung des Augenblicks vermehren
mußte. Um den armen nur abzubringen von den unseligen Tassen, bat die
Prinzessin ihn, die kleine Handbibliothek in Ordnung zu bringen, die in
einem zierlichen Wandschrank aufgestellt war. Ganz vergnügt, unter
fröhlichem Gelächter, begann der Prinz sogleich die sauber gebundenen
Bücher herauszunehmen, und sie, nach dem Format sorglich ordnend, so
hinzustellen, daß die goldnen Schnitte nach außen stehend eine blanke
Reihe formten, worüber er sich über alle Maßen freute.
Fräulein Nannette stürzte hinein, und rief laut: der Fürst, der Fürst
mit dem Prinzen! -- O mein Gott, sprach die Prinzessin, meine Toilette,
in der Tat, Kreisler, wir haben die Stunden verplaudert, ohne daran zu
denken. -- Ich habe mich ganz vergessen! Mich und den Fürsten und den
Prinzen. Sie verschwand mit Nannetten in das Nebengemach. Prinz Ignaz
ließ sich in seinem Geschäft gar nicht stören.
Schon rollte der Staatswagen des Fürsten heran; als Kreisler sich unten
an der Haupttreppe befand, stiegen eben die beiden Laufer in
Staatslivree aus der Wurst. -- Das muß näher erklärt werden.
Fürst Irenäus ließ nicht ab von dem alten Brauch; und so hatte er zur
selben Zeit, als kein schnellfüßiger Hanswurst in bunter Jacke vor den
Pferden herzulaufen genötigt, wie ein gehetztes Tier, in der zahlreichen
Dienerschaft von allen Waffen auch noch zwei Laufer, artige hübsche
Leute von gesetzten Jahren, wohlgefüttert, und nur zuweilen von
Unterleibsbeschwerden geplagt, wegen der sitzenden Lebensweise. Viel zu
menschenfreundlich war nämlich der Fürst gesinnt, um irgendeinem Diener
zuzumuten, daß er sich zu Zeiten umsetzte in ein Windspiel, oder einen
andern vergnügten Köter, um indessen doch die gehörige Etikette im
Ansehen zu erhalten, mußten die beiden Laufer, fuhr der Fürst in Gala
aus, vorauffahren auf einer passablen Wurst, und an schicklichen
Stellen, wo z. B. einige Gaffer sich versammelt, etwas die Beine rühren
als Andeutung des wirklichen Laufs. -- Es war hübsch anzusehen. --
Also, -- die Laufer waren eben ausgestiegen, die Kammerherrn traten ins
Portal, und ihnen folgte Fürst Irenäus, an dessen Seite ein junger Mann
von stattlichem Ansehen daherschritt, in reicher Uniform der
neapolitanischen Garde, Sterne und Kreuze auf der Brust. -- _»Je vous
salue Monsieur de Krösel«_ sprach der Fürst, als er Kreisler erblickte.
-- _Krösel_ pflegte er zu sagen, statt Kreisler, wenn er bei festlichen
feierlichen Gelegenheiten französisch sprach, und sich auf keinen
deutschen Namen recht besinnen konnte. Der fremde Prinz -- denn den
jungen stattlichen Mann hatte doch wohl die Fräulein Nannette gemeint,
als sie rief, daß der Fürst komme mit dem Prinzen -- nickte Kreislern im
Vorbeigehen flüchtig zu mit dem Kopfe, eine Art der Begrüßung, die
Kreislern selbst von den vornehmsten Personen ganz unausstehlich war. Er
bückte sich daher bis tief an die Erde auf solch burleske Weise, daß der
dicke Hofmarschall, der überhaupt Kreislern für einen ausgemachten
Spaßmacher, und alles für Spaß hielt, was er tat und sprach, nicht umhin
konnte, etwas zu kichern. Der junge Fürst warf aus seinen dunklen Augen
Kreislern einen glühenden Blick zu, murmelte zwischen den Zähnen:
Hasenfuß, und schritt dann schnell dem Fürsten nach, der sich mit milder
Gravität nach ihm umschaute. -- Für einen italienischen Gardisten, rief
Kreisler laut lachend dem Hofmarschall zu, spricht der durchlauchtige
Herr ein passables Deutsch, sagen Sie ihm, beste Exzellenz, daß ich ihm
dafür mit dem auserlesensten Neapolitanisch dienen und dabei kein
artiges Romanisch, am wenigsten aber als Gozzische Maske schnödes
Venetianisch einschwärzen, kurz kein X für ein U machen will. -- Sagen
Sie ihm, beste Exzellenz --. Aber die Exzellenz stieg schon, die
Schultern hoch heraufgezogen, als Bollwerk und Schutzschanze der Ohren,
die Treppe hinauf. --
Der fürstliche Wagen, mit dem Kreisler gewöhnlich nach Sieghartshof zu
fahren pflegte, hielt, der Jäger öffnete den Schlag und fragte ob's
gefällig wäre. In dem Augenblick rannte aber ein Küchenjunge vorbei,
heulend und schreiend. Ach das Unglück -- ach das Malheur! -- Was ist
geschehen, rief ihm Kreisler nach. Ach das Unglück, erwiderte der
Küchenjunge noch heftiger weinend, da drinnen liegen der Herr
Oberküchenmeister in der Verzweiflung, in purer Raserei, und wollen sich
durchaus das Ragoutmesser in den Leib stoßen, weil der gnädigste Herr
plötzlich befohlen hat zu soupieren, und es ihm an Muscheln fehlt zum
italienischen Salat. Er will selbst nach der Stadt, und der Herr
Oberstallmeister weigern sich anspannen zu lassen, da es an einer Ordre
des gnädigsten Herrn fehlt. -- Da ist zu helfen, sprach Kreisler, der
Herr Oberküchenmeister steige in gegenwärtigen Wagen, und versehe sich
mit den schönsten Muscheln in Sieghartsweiler, während ich zu Fuß nach
selbiger Stadt promeniere. -- Damit rannte er fort in den Park.
Große Seele -- edles Gemüt -- scharmanter Herr! rief ihm der alte Jäger
nach, indem ihm die Tränen in die Augen traten.
In den Flammen des Abendrots stand das ferne Gebirge, und der goldne
glühende Widerschein gleitete spielend über den Wiesenplan, durch die
Bäume, durch die Büsche, wie getrieben von dem Abendwinde, der sich
säuselnd erhoben.
Kreisler blieb mitten auf der Brücke stehen, die über einen breiten Arm
des Sees nach dem Fischerhäuschen führte, und schaute in das Wasser
hinab, in dem sich der Park mit seinen wunderbaren Baumgruppen, der hoch
darüber emporragende Geierstein, der seine weißblinkenden Ruinen auf dem
Haupte wie eine seltsame Krone trug, abspiegelte in magischem Schimmer.
Der zahme Schwan, der auf den Namen Blanche hörte, plätscherte auf dem
See daher, den schönen Hals stolz emporgehoben, rauschend mit den
glänzenden Schwingen. »Blanche, Blanche, rief Kreisler laut indem er
beide Arme weit ausstreckte, singe dein schönstes Lied, glaube ja nicht,
daß du dann sterben mußt! du darfst dich nur singend an meine Brust
schmiegen, dann sind deine herrlichsten Töne mein, und nur ich gehe
unter in brünstiger Sehnsucht, während du in Liebe und Leben
daherschwebst auf den kosenden Wellen! --« Selbst wußte Kreisler nicht,
was ihn plötzlich so tief bewegte, er stützte sich auf das Geländer,
schloß unwillkürlich die Augen. Da hörte er Julia's Gesang, und ein
unnennbar süßes Weh durchbebte sein Inneres.
Düstere Wolken zogen daher, und warfen breite Schatten über das Gebirge,
über den Wald, wie schwarze Schleier. Ein dumpfer Donner dröhnte im
Morgen; stärker sauste der Nachtwind, rauschten die Bäche, und
dazwischen schlugen einige Töne der Wetterharfe an, wie ferne
Orgelklänge, aufgescheucht erhob sich das Geflügel der Nacht, und
schweifte kreischend durch das Dickicht.
Kreisler erwachte aus dem Traume, und erblickte seine dunkle Gestalt im
Wasser. Da war es ihm, als schaue ihn Ettlinger, der wahnsinnige Maler,
an aus der Tiefe. »Hoho, rief er hinab, bist Du da geliebter
Doppelgänger, wackerer Kumpan? -- Höre, mein ehrlicher Junge, für einen
Maler, der etwas über die Schnur gehauen, der im stolzen Übermut
fürstliches Herzblut verbrauchen wollte, statt Firnis, siehst Du
passabel genug aus. -- Ich glaube am Ende, guter Ettlinger, daß Du
illustre Familien genarrt hast mit Deinem wahnsinnigen Treiben! -- Je
länger ich Dich anschaue, desto mehr gewahre ich an Dir die vornehmsten
Manieren, und so Du magst, will ich der Fürstin Maria versichern, Du
wärst, was Deinen Stand oder Deine Lage im Wasser betrifft, ein Mann von
dem importantesten Range, und sie könne Dich lieben ohne alle weiteren
Umstände. -- Willst Du aber, Kumpan, daß die Fürstin noch jetzt Deinem
Bilde gleiche, so mußt Du es nachtun dem fürstlichen Dilettanten, der
seine Porträts ausglich mit den zu porträtierenden, durch geschicktes
Anpinseln der letztern. -- Nun! -- haben sie Dich einmal unverdienter
Weise hinabgeschickt in den Orkus, so trage ich Dir hiermit allerlei
Neuigkeiten zu! -- Wisse, verehrter Tollhauskolonist, daß die Wunde, die
Du dem armen Kinde, der schönen Prinzessin Hedwiga beibrachtest, noch
immer nicht recht geheilt ist, so daß sie vor Schmerz manchmal allerlei
Faxen macht. Trafst Du denn ihr Herz so hart, so schmerzlich, daß ihr
noch jetzt heißes Blut entquillt, wenn sie deine Larve erblickt, so wie
Leichname bluten, wenn der Mörder hinantritt? Rechne es mir nicht zu,
Guter, daß sie mich für ein Gespenst hält, und zwar für das Deinige.
-- Aber bin ich so recht in voller Lust ihr zu beweisen, daß ich kein
schnöder Revenant bin, sondern der Kapellmeister Kreisler, dann kommt
mir der Prinz Ignatius in die Quere, der offenbar an einer _paranoia_
laboriert, an einer _fatuitas, stoliditas_, die nach =Kluge= eine sehr
angenehme Sorte der eigentlichen Narrheit ist. -- Mache mir nicht alle
Gesten nach, Maler, wenn ich ernsthaft mit Dir rede! -- Schon wieder?
Fürchtete ich mich nicht vor dem Schnupfen, ich spränge zu Dir hinab,
und prügelte Dich erklecklich! -- Schere Dich zum Teufel, halunkischer
Mimiker! --
Kreisler sprang schnell fort.
Es war nun ganz finster geworden, Blitze leuchteten durch die schwarzen
Wolken, der Donner rollte, und der Regen begann in großen Tropfen
herabzufallen. Aus dem Fischerhäuschen strahlte ein helles blendendes
Licht, dem eilte Kreisler entgegen.
Unfern der Türe, im vollen Schimmer des Lichts, erblickte Kreisler sein
Ebenbild, sein eigenes Ich, das neben ihm daherschritt. Vom tiefsten
Entsetzen erfaßt, stürzte Kreisler hinein in das Häuschen, sank atemlos,
zum Tode erbleicht, in den Sessel.
Meister Abraham, der vor einem kleinen Tische saß, auf dem eine
Astrallampe ihre blendenden Strahlen umherwarf, in einem großen
Folianten lesend, fuhr erschrocken in die Höhe, nahte sich Kreisler,
rief: Um des Himmels willen, was ist Euch, Johannes, wo kommt Ihr her am
späten Abend -- was hat Euch so entsetzt! --
Mit Mühe ermannte sich Kreisler, und sprach dann mit dumpfer Stimme: Es
ist nun nicht anders, wir sind unserer Zwei -- ich meine, ich und mein
Doppelgänger, der aus dem See gesprungen ist, und mich verfolgt hat,
hieher. -- Seid barmherzig Meister, nehmt Euern Dolchstock, stoßt den
Halunken nieder -- er ist rasend, glaubt mir das, und kann uns beide
verderben. Er hat draußen das Wetter heraufbeschworen. -- Die Geister
rühren sich in den Lüften, und ihr Choral zerreißt die menschliche
Brust! -- Meister -- Meister, lockt den Schwan herbei, -- er soll singen
-- erstarrt ist mein Gesang, denn der Ich hat seine weiße kalte
Totenhand auf meine Brust gelegt, die muß er wegziehen, wenn der Schwan
singt -- und sich wieder untertauchen in den See. -- Meister Abraham
ließ Kreislern nicht weiter reden, er sprach ihm zu mit
freundschaftlichen Worten, nötigte ihm einige Gläser eines feurigen
italienischen Weins ein, den er eben zur Hand hatte, und fragte ihm dann
nach und nach ab, wie sich alles begeben.
Aber kaum hatte Kreisler geendet, als Meister Abraham laut lachend rief.
Da sieht man den eingefleischten Phantasten, den vollendeten
Geisterseher! -- Was den Organisten betrifft, der Euch draußen in dem
Park schauerliche Chorale vorgespielt hat, so ist das niemand anders
gewesen, als der Nachtwind, der durch die Lüfte brausend, daher fuhr,
und vor dem die Saiten der Wetterharfe erklangen. Ja ja, Kreisler, die
Wetterharfe habt Ihr vergessen, die zwischen den beiden Pavillons am
Ende des Parks aufgespannt ist[A]. Und was Euern Doppelgänger betrifft,
der im Schimmer meiner Astrallampe neben Euch her lief, so will ich Euch
sogleich beweisen, daß, sobald ich nur vor die Türe trete, auch mein
Doppelgänger bei der Hand ist, ja, daß ein jeder, der zu mir
hineintritt, solch einen Chevalier d'Honneur seines Ichs an der Seite
leiden muß.
[Fußnote A: Der Abt Gattoni zu Mailand ließ, von einem Turme zum
andern fünfzehn eiserne Saiten ausspannen, und dergestalt stimmen, daß
sie die diatonische Tonleiter angaben. Bei jeder Veränderung in der
Atmosphäre erklangen diese Saiten stärker oder schwächer, nach dem Maß
You have read 1 text from German literature.
Next - Lebensansichten des Katers Murr - 13
- Parts
- Lebensansichten des Katers Murr - 01
- Lebensansichten des Katers Murr - 02
- Lebensansichten des Katers Murr - 03
- Lebensansichten des Katers Murr - 04
- Lebensansichten des Katers Murr - 05
- Lebensansichten des Katers Murr - 06
- Lebensansichten des Katers Murr - 07
- Lebensansichten des Katers Murr - 08
- Lebensansichten des Katers Murr - 09
- Lebensansichten des Katers Murr - 10
- Lebensansichten des Katers Murr - 11
- Lebensansichten des Katers Murr - 12
- Lebensansichten des Katers Murr - 13
- Lebensansichten des Katers Murr - 14
- Lebensansichten des Katers Murr - 15
- Lebensansichten des Katers Murr - 16
- Lebensansichten des Katers Murr - 17
- Lebensansichten des Katers Murr - 18
- Lebensansichten des Katers Murr - 19
- Lebensansichten des Katers Murr - 20
- Lebensansichten des Katers Murr - 21
- Lebensansichten des Katers Murr - 22
- Lebensansichten des Katers Murr - 23
- Lebensansichten des Katers Murr - 24
- Lebensansichten des Katers Murr - 25
- Lebensansichten des Katers Murr - 26
- Lebensansichten des Katers Murr - 27
- Lebensansichten des Katers Murr - 28
- Lebensansichten des Katers Murr - 29
- Lebensansichten des Katers Murr - 30
- Lebensansichten des Katers Murr - 31
- Lebensansichten des Katers Murr - 32