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Lebensansichten des Katers Murr - 18

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  glauben, das uns jetzt aufgetischt wird, an psychische Korrespondenzen
  und dergleichen! -- Doch! noch einmal, wohl uns, daß er fort ist, der
  Zustand der Prinzessin kann und wird sich ändern. -- Das Verhängnis hat
  den Störer unserer Ruhe vertrieben und -- sagt selbst, Meister Abraham,
  ist nicht unser Freund im Innersten zerrissen auf solche Weise, daß das
  Leben ihm keinen Frieden mehr zu geben vermag? -- Gesetzt also wirklich
  daß --
  Die Rätin endete nicht, aber Meister Abraham fühlte den Zorn, den er mit
  Mühe unterdrückt, hoch aufflammen.
  Was habt Ihr alle gegen diesen Johannes, rief er mit erhöhter Stimme,
  was hat er euch Böses getan, daß Ihr ihm keine Freistatt, kein Plätzchen
  gönnt auf dieser Erde? -- wißt Ihrs nicht? -- Nun so will ich es Euch
  sagen. Seht, der Kreisler trägt nicht Eure Farben, er versteht nicht
  Eure Redensarten, der Stuhl, den Ihr ihm hinstellt, damit er Platz nehme
  unter Euch, ist ihm zu klein, zu enge! Ihr könnt' ihn gar nicht für
  euresgleichen achten, und das ärgert Euch. Er will die Ewigkeit der
  Verträge, die Ihr über die Gestaltung des Lebens geschlossen, nicht
  anerkennen, ja er meint, daß ein arger Wahn, von dem Ihr befangen, Euch
  gar nicht das eigentliche Leben erschauen lasse, und daß die
  Feierlichkeit, mit der Ihr über ein Reich zu herrschen glaubt, das Euch
  unerforschlich, sich gar spaßhaft ausnehme, und das alles nennt Ihr
  Verbitterung. Vor allen Dingen liebt er jenen Scherz, der sich aus der
  tiefern Anschauung des menschlichen Seins erzeugt und der die schönste
  Gabe der Natur zu nennen, die sie aus der reinsten Quelle ihres Wesens
  schöpft. Aber Ihr seid vornehme ernste Leute und wollet nicht scherzen.
  -- Der Geist der wahren Liebe wohnt in ihm, doch vermag dieser ein Herz
  zu erwärmen, das auf ewig zum Tode erstarret ist, ja in welchem niemals
  der Funke war, den jener Geist zur Flamme aufhaucht? Ihr möget den
  Kreisler nicht, weil Euch das Gefühl des Übergewichts, das Ihr ihm
  einzuräumen gezwungen, unbehaglich ist, weil Ihr ihn, der Verkehr treibt
  mit höheren Dingen als die gerade in Euern engen Kreis passen, fürchtet.
  --
  Meister Abraham, sprach die Benzon mit dumpfer Stimme, der Eifer, mit
  dem Du für Deinen Freund sprichst, führt Dich zu weit. Du wolltest mich
  verletzen? -- Nun wohl, es ist Dir gelungen, denn Du hast Gedanken in
  mir geweckt, die lange, lange schlummerten! -- Todstarr nennst Du mein
  Herz? -- Weißt Du denn, ob jemals der Geist der Liebe freundlich zu ihm
  gesprochen, ob ich nicht allein in konventionellen Verhältnissen des
  Lebens, die der überspannte Kreisler verächtlich finden mag, Trost und
  Ruhe fand? -- Glaubst Du denn nicht überhaupt, alter Mann, der auch wohl
  so manches Leid erfahren, daß es ein gefährliches Spiel ist, sich über
  jene Verhältnisse erheben, und dem Weltgeist näher treten zu wollen in
  der Mystifikation des eigenen Seins? Ich weiß es, die kälteste,
  regungsloseste Prosa des Lebens selbst, hat mich Kreisler gescholten und
  es ist sein Urteil, das sich in dem Deinigen ausspricht, wenn Du mich
  todstarr nennst, aber habt Ihr jemals dieses Eis zu durchblicken
  vermocht, das meiner Brust schon längst ein schützender Harnisch war?
  -- Mag bei den Männern die Liebe nicht das Leben schaffen, sondern es nur
  auf eine Spitze stellen, von der herab noch sichre Wege führen, unser
  höchster Lichtpunkt, der unser ganzes Sein erst schafft und gestaltet,
  ist der Augenblick der ersten Liebe. Will es das feindliche Geschick,
  daß dieser Augenblick verfehlt wurde, verfehlt ist das ganze Leben für
  das schwache Weib, das untergeht in trostloser Unbedeutsamkeit, während
  das mit stärkerer Geisteskraft begabte sich mit Gewalt emporrafft, und
  eben in den Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens eine Gestaltung
  erringt, die ihm Ruhe und Frieden gibt. -- Laß es Dir sagen, alter Mann
  -- hier in der Dunkelheit der Nacht, die das Vertrauen verschleiert, laß
  es Dir sagen! -- Als jener Moment in mein Leben trat, als ich =den=
  erblickte, der alle Glut der innigsten Liebe, deren die weibliche Brust
  nur fähig, in mir entzündete -- da stand ich vor dem Traualtar mit jenem
  Benzon, der ein guter Ehemann wurde wie kein anderer. Seine völlige
  Bedeutungslosigkeit gewährte mir alles, was ich, um ein friedfertiges
  Leben zu führen, nur wünschen konnte, und nie ist eine Klage, ein
  Vorwurf meinen Lippen entflohen. Nur den Kreis des Gewöhnlichen nahm ich
  in Anspruch, und wenn dann selbst in diesem Kreise sich manches begab,
  das mich unvermerkt irre leitete, wenn ich manches, das strafbar
  erscheinen möchte, mit nichts anderm zu entschuldigen weiß als mit dem
  Drange des augenblicklichen Verhältnisses, so mag =das= Weib mich zuerst
  verdammen, die, so wie ich, den schweren Kampf durchkämpfte, der zu
  gänzlichem Verzicht auf alles höhere Glück führt, sollte dies auch
  nichts anders sein, als ein süßer träumerischer Wahn. -- Fürst Irenäus
  machte meine Bekanntschaft. -- Doch ich schweige von dem, was längst
  vergangen, nur von der Gegenwart soll noch die Rede sein. -- Ich hab es
  Dir vergönnt in mein Innerstes zu schauen, Meister Abraham, Du weißt
  nun, warum ich, so wie die Dinge sich hier gestalten, jedes
  Hineindrängen eines fremdartigen exotischen Prinzips als bedrohlich
  fürchten muß. Mein eigenes Geschick in jener verhängnisvollen Stunde
  grinset mich an, wie ein furchtbar warnendes Gespenst. Retten muß ich
  die, die mir teuer sind, ich habe meine Pläne gemacht. -- Meister
  Abraham, seid mir nicht entgegen, oder, wollt Ihr in den Kampf treten
  mit mir, so seht Euch vor, daß ich Eure besten Taschenspielerkünste
  nicht zu Schanden mache!
  Unglückliche Frau, rief Meister Abraham.
  Unglücklich nennst Du mich, erwiderte die Benzon, mich, die ich ein
  feindliches Geschick zu bekämpfen wußte und mir da, wo alles verloren
  schien, Ruhe und Zufriedenheit gewann?
  Unglückliche Frau, rief Meister Abraham nochmals mit einem Ton, der von
  seiner innern Bewegung zeugte, arme, unglückliche Frau! Ruhe,
  Zufriedenheit vermeinst Du gewonnen zu haben, und ahnst nicht, daß es
  die Verzweiflung war, die -- ein Vulkan, -- alle flammenden Gluten aus
  Deinem Innern hinausströmen ließ, und daß Du nun die tote Asche aus der
  keine Blüte, keine Blume mehr sproßt, in starrer Betörung für das reiche
  Feld des Lebens hältst, das Dir noch Früchte spenden soll. -- Ein
  künstliches Gebäude willst Du aufführen auf dem Grundstein, den ein
  Blitzstrahl zermalmte und befürchtest nicht, daß es einstürzen wird in
  dem Augenblick, da lustig bunte Bänder wehen von der Blumenkrone, die
  den Sieg des Baumeisters verkünden soll? -- Julia -- Hedwiga -- ich weiß
  es, für sie wurden jene Pläne künstlich gewoben! -- Unglückliche Frau,
  hüte Dich, daß jenes unheilbringende Gefühl, jene eigentliche
  Verbitterung, die Du mit großem Unrecht meinem Johannis vorwirfst, nicht
  aus Deinem eignen tiefsten Innern hervortritt, so daß Deine weisen
  Entwürfe weiter nichts sind, als das feindliche Auflehnen gegen ein
  Glück, das Du niemals genossest, und das Du nun selbst Deinen Lieben
  mißgönnst. -- Ich weiß mehr von Deinen Entwürfen als Du es glauben
  magst, mehr von Deinen gerühmten Verhältnissen des Lebens, die Dir Ruhe
  bringen sollen und die -- Dich verlockten zu strafbarer Schande!
  Ein dumpfer, unartikulierter Schrei, den die Benzon bei diesen letzten
  Worten des Meisters ausstieß, verriet ihre tiefe Erschütterung. Der
  Meister hielt inne, da aber die Benzon ebenfalls schwieg ohne sich von
  der Stelle zu rühren, fuhr er gelassen fort: Zu nichts wenigerm habe ich
  Lust, als mich in irgendeinen Kampf mit Ihnen zu begeben, Gnädige. Was
  aber meine sogenannten Taschenspielerkünste betrifft, so wissen Sie ja
  recht gut, werteste Frau Rätin, daß seit der Zeit, da mein unsichtbares
  Mädchen mich verlassen -- In dem Augenblick erfaßte den Meister der
  Gedanke an die verlorne Chiara mit einer Gewalt, wie seit langer Zeit
  nicht mehr, er glaubte ihre Gestalt zu erblicken in der dunklen Ferne,
  er glaubte ihre süße Stimme zu vernehmen. O Chiara! -- meine Chiara! So
  rief er in der schmerzlichsten Wehmut! --
  Was ist Euch, sprach die Benzon sich schnell nach ihm umwendend, Meister
  Abraham! -- welchen Namen nanntet Ihr? -- Doch noch einmal, laßt ruhen
  alles Vergangene, beurteilt mich nicht nach jenen seltsamen Ansichten
  des Lebens, die Ihr mit Kreislern teilt, versprecht mir das Vertrauen
  nicht zu mißbrauchen, daß Euch Fürst Irenäus geschenkt, versprecht mir
  nicht entgegen zu sein, in meinem Tun und Treiben.
  So ganz vertieft in das schmerzliche Andenken an seine Chiara war
  Meister Abraham, daß er kaum vernahm was die Rätin sprach und nur
  unverständliche Worte zu erwidern vermochte.
  Weiset mich nicht zurück, Meister Abraham, fuhr die Rätin fort, Ihr
  seid, wie es scheint, in der Tat mit manchem mehr bekannt, als ich
  vermuten durfte, doch ist es möglich, daß ich auch noch Geheimnisse
  bewahre, deren Mitteilung Euch sehr viel wert sein würde, ja, daß ich
  Euch vielleicht einen Liebesdienst erzeigen könnte, an den Ihr gar nicht
  denkt. Laßt uns zusammen diesen kleinen Hof beherrschen, der in der Tat
  des Gängelbandes bedarf. -- Chiara rieft Ihr mit einem Ausdrucke des
  Schmerzes der -- Ein starkes Geräusch vom Schlosse her unterbrach die
  Benzon. Meister Abraham erwachte aus Träumen, das Geräusch -- --
  =(M. f. f.)= -- ich folgendes beibringen. Ein Katzphilister beginnt, ist
  er auch noch so durstig, die Schüssel Milch vom Rande rundumher an
  aufzulecken, damit er sich nicht Schnauze und Bart bemilche und
  anständig bleibe, denn der Anstand gilt ihm mehr als der Durst. Besuchst
  du einen Katzphilister, so bietet er dir alles nur mögliche an,
  versichert dich aber, wenn du scheidest, bloß seiner Freundschaft, und
  frißt nachher heimlich und allein die Leckerbissen, die er dir
  angeboten. Ein Katzphilister weiß vermöge eines sichern untrüglichen
  Takts überall, auf dem Boden, im Keller usw. den besten Platz zu finden,
  wo er sich so wohlbehaglich und bequem hinstreckt, als es nur geschehen
  kann. Er erzählt viel von seinen guten Eigenschaften und wie er, dem
  Himmel sei Dank, nicht klagen könne, daß das Schicksal diese guten
  Eigenschaften übersehen. Sehr wortreich setzt er dir auseinander, wie er
  zu dem guten Platz gekommen, den er behaupte, und was er noch alles tun
  werde, um seine Lage zu verbessern. Willst du nun aber auch endlich von
  dir und deinem geringer günstigen Schicksal etwas sagen, so kneift der
  Katzphilister sofort die Augen zu und drückt die Ohren an, tut auch
  wohl, als wenn er schliefe oder spinnt. Ein Katzphilister leckt sich
  fleißig den Pelz rein und glänzend, und passiert selbst auf der Mausjagd
  keine nasse Stelle, ohne bei jedem Schritt die Pfoten auszuschütteln,
  damit er, geht auch das Wild darüber verloren, doch in allen
  Verhältnissen des Lebens ein feiner, ordentlicher, wohlgekleideter Mann
  bleibe. Ein Katzphilister scheut und vermeidet die leiseste Gefahr und
  bedauert, befindest du dich in solcher und sprichst seine Hilfe an,
  unter den heiligsten Beteuerungen seiner freundschaftlichen Teilnahme,
  daß gerade in dem Augenblick es seine Lage, die Rücksichten, die er
  nehmen müsse, es ihm nicht erlaubten dir beizustehen. Überhaupt ist
  alles Tun und Treiben des Katzphilisters bei jeder Gelegenheit abhängig
  von tausend und tausend Rücksichten. Selbst z. B. gegen den kleinen
  Mops, der ihn in den Schwanz gebissen auf empfindliche Weise, bleibt er
  artig und höflich, um es nicht mit dem Hofhunde zu verderben, dessen
  Protektion er zu erlangen gewußt, und er nutzt nur den nächtlichen
  Hinterhalt, um jenem Mops ein Auge auszukratzen. Tages darauf bedauert
  er den teuern Mopsfreund gar von Herzen und schmält über die Bosheit
  arglistiger Feinde. Übrigens gleichen diese Rücksichten einem
  wohlangelegten Fuchsbau, der dem Katzphilister Gelegenheit gibt, überall
  zu entwischen in dem Augenblick, als Du ihn zu fassen glaubst. Ein
  Katzphilister bleibt am liebsten unter dem heimischen Ofen, wo er sich
  sicher fühlt, das freie Dach verursacht ihm Schwindel. -- Und seht ihr
  nun wohl, Freund Murr, das ist euer Fall. Sage ich euch nun, daß der
  Katzbursch offen, ehrlich, uneigennützig, herzhaft, stets bereit dem
  Freunde zu helfen ist, daß er keine andere Rücksichten kennt, als die
  Ehre und redlicher Sinn gebieten, genug, daß der Katzbursch durchaus der
  Antipode des Katzphilisters ist, so werdet Ihr keinen Anstand nehmen,
  euch zu erheben aus dem Philistertum, um ein ordentlicher, tüchtiger
  Katzbursch zu werden. --
  Lebhaft fühlte ich die Wahrheit in Muzius Worten. Ich sah ein, daß ich
  nur das Wort Philister nicht gekannt, wohl aber den Charakter, da mir
  schon manche Philister, d. h. schlechte Katzkerle vorgekommen waren, die
  ich herzlich verachtet hatte. Um so schmerzhafter fühlte ich daher den
  Irrtum, von dem befangen ich in die Kategorie jener verächtlichen Leute
  hätte geraten können und beschloß, Muzius Rat in allem zu folgen, um so
  vielleicht noch ein tüchtiger Katzbursche zu werden. -- Ein junger
  Mensch sprach einst zu meinem Meister von einem treulosen Freunde, und
  bezeichnete diesen mit einem sehr seltsamen, mir unverständlichen
  Ausdruck. Er nannte ihn einen pomadigen Kerl. Nun war es mir, als sei
  das Beiwort: pomadig, sehr passend dem Hauptwort Philister hinzuzufügen,
  und ich befragte Freund Muzius darum. Kaum hatte ich aber das Wort
  pomadig ausgesprochen, als Muzius laut jauchzend aufsprang, und, mich
  kräftig umhalsend rief: Herzensjunge, nun gewahre ich, daß du mich ganz
  verstanden hast -- ja, pomadiger Philister! das ist die verächtliche
  Kreatur, die sich auflehnt gegen das edle Burschentum und die wir
  überall, wo wir sie finden, tothetzen möchten. Ja, Freund Murr, du hast
  jetzt schon dein inneres, wahrhaftes Gefühl für alles Edle, Große,
  bewiesen, laß dich nochmals an diese Brust drücken, in der ein treues,
  deutsches Herz schlägt. -- Damit umhalste mich Freund Muzius aufs neue
  und erklärte, wie er in der nächstfolgenden Nacht mich einzuführen
  gedenke in das Burschentum, ich möge mich nur in der Mitternachtsstunde
  einfinden auf dem Dache, wo er mich abholen werde zu einem Fest, das ein
  Katzsenior veranstaltet, nämlich der Kater Puff.
  Der Meister trat ins Zimmer. Ich sprang wie gewöhnlich ihm entgegen,
  schmiegte mich, wälzte mich auf dem Boden, um ihm meine Freude zu
  bezeugen. Auch Muzius glotzte ihn an mit zufriedenem Blick. Nachdem der
  Meister etwas weniges mir Kopf und Hals gekraut, sah er sich um im
  Zimmer und sprach, da er alles in gehöriger Ordnung fand: Nun das ist
  recht! Eure Unterhaltung ist still und friedlich gewesen, wie es
  anständigen, gut erzogenen Leuten geziemt. Das verdient belohnt zu
  werden.
  Der Meister schritt zu der Türe heraus, die nach der Küche führte, und
  wir, Muzius und ich, seine gute Absicht erratend, schritten hinter ihm
  her mit einem fröhlichen Mau -- Mau -- Mau! Wirklich öffnete auch der
  Meister den Küchenschrank und holte die Skelette und Knöchelchen von ein
  paar jungen Hühnern hervor, deren Fleisch er gestern verzehrt hatte. Es
  ist bekannt, daß mein Geschlecht Hühnerskelette zu den allerfeinsten
  Leckerbissen rechnet, die es geben kann, und daher kam es, daß Muzius
  Augen in glanzvollem Feuer strahlten, daß er den Schweif in den
  anmutigsten Windungen schlängelte, daß er laut schnurrte, als der
  Meister die Schüssel vor uns hinsetzte auf den Boden. Des pomadigen
  Philisters wohl eingedenk, schob ich dem Freunde Muzius die besten
  Bissen hin, die Hälse, die Bäuche, die Steiße, und begnügte mich mit den
  gröbern Schenkel- und Flügelknochen. Als wir mit den Hühnern fertig
  waren, wollte ich den Freund Muzius fragen, ob ihm vielleicht mit einer
  Tasse süßer Milch gedient sei. Doch den pomadigen Philister stets vor
  Augen, unterließ ich es und schob statt dessen die Tasse, welche, wie
  ich wußte, unter dem Schrank stand, hervor und lud Muzius freundlich ein
  zuzusaufen, indem ich ihm Bescheid tat. -- Muzius soff die Tasse rein
  aus, dann drückte er mir die Pfote und sprach, während ihm die hellen
  Tränen in die Augen traten: Freund Murr, ihr lebt lukullisch, aber ihr
  habt mir euer treues, biederes und edelmütiges Herz kund getan, und so
  wird die eitle Lust der Welt euch nicht verlocken zum schnöden
  Philistertum! Habt Dank, habt innigen Dank! --
  Mit einem biedern, deutschen Pfotendruck nach altväterischer Sitte
  nahmen wir Abschied. Muzius war, gewiß um die tiefe Rührung, die ihm
  Tränen auspreßte, zu verbergen, mit einem halsbrechenden Satze schnell
  zum offenen Fenster hinaus auf das nächst anstoßende Dach. -- Selbst
  mich, den die Natur doch mit vorzüglicher Schwungkraft begabt, setzte
  dieser gewagte Satz in Erstaunen, und ich fand Gelegenheit, auf's Neue
  mein Geschlecht zu preisen, das aus gebornen Turnern besteht, die keines
  Springstocks, keiner Kletterstange bedürfen.
  Übrigens gab mir Freund Muzius auch den Beweis, wie oft hinter einem
  rauhen, abschreckenden Äußern, sich ein zartes, tieffühlendes Gemüt
  verbirgt. --
  Ich kehrte ins Zimmer zu meinem Meister zurück und legte mich unter den
  Ofen. Hier in der Einsamkeit die Gestaltung meines bisherigen Seins
  bedenkend, meine letzte Stimmung, meine ganze Lebensweise erwägend,
  erschrak ich bei dem Gedanken, wie nahe ich dem Abgrunde gewesen, und
  Freund Muzius erschien mir trotz seines struppigen Balgs, wie ein
  schöner, rettender Engel. In eine neue Welt sollte ich treten, die Leere
  im Innern sollte ausgefüllt, ein anderer Kater sollte ich werden, mir
  klopfte das Herz vor banger, freudiger Erwartung.
  Noch lange war es nicht Mitternacht, als ich den Meister mit der
  gewöhnlichen Redensart: Ma--au bat, mich hinauszulassen. Recht gerne,
  erwiderte er, indem er die Türe öffnete, Recht gerne, Murr. Aus dem
  ewigen Unterm-Ofen-Liegen und -Schlafen kommt gar nichts heraus. Geh
  -- geh, daß du wieder in die Welt unter Kater kommst. Vielleicht findest
  du gemütsverwandte Katerjünglinge, die sich mit dir ergötzen in Ernst
  und Scherz.
  Ach! -- der Meister ahnte wohl, daß ein neues Leben mir bevorstand!
  -- Endlich, nachdem ich bis Mitternacht gewartet, stellte sich Freund
  Muzius ein, und führte mich fort über verschiedene Dächer, bis endlich
  auf einem beinahe ganz platten italienischen Dache, uns zehn stattliche,
  nur ebenso nachlässig und seltsam wie Muzius gekleidete Katerjünglinge
  mit lautem Jubelgeschrei empfingen. Muzius stellte mich den Freunden
  vor, rühmte meine Eigenschaften, meinen treuen, biedern Sinn, hob
  vorzüglich hervor, wie ich ihn mit Backfischen, Hühnerknochen und süßer
  Milch gastlich bewirtet und schloß damit, daß ich als tüchtiger
  Katzbursch aufgenommen sein wolle. Alle gaben ihre Beistimmung.
  Es erfolgten nun gewisse Feierlichkeiten, die ich indessen verschweige,
  da geneigte Leser meines Geschlechts vielleicht argwöhnen, ich sei in
  einen verbotenen Orden getreten und noch jetzt Red' und Antwort darüber
  von mir verlangen könnten. Ich versichere aber auf Gewissen, daß von
  einem Orden und seinen Bedingnissen, als da sind Statuten, geheime
  Zeichen u. s. w. durchaus nicht die Rede war, sondern daß der Verein
  lediglich auf Gleichheit der Gesinnung beruhte. Denn es fand sich bald,
  daß jeder von uns süße Milch lieber zu sich nahm als Wasser, Braten
  lieber als Brot.
  Nachdem die Feierlichkeiten vorüber, empfing ich von allen den
  brüderlichen Kuß und Pfotendruck, und sie nannten mich: du! -- Dann
  setzten wir uns zu einem einfachen aber fröhlichen Mahl, dem eine
  wackere Zecherei folgte. Muzius hatte trefflichen Katzpunsch bereitet.
  -- Sollte ein lüsterner Katerjüngling nach dem Rezept dieses köstlichen
  Getränks Begierde tragen, so kann ich leider darüber keine genügende
  Auskunft geben. So viel ist gewiß, daß die hohe Annehmlichkeit des
  Geschmacks, sowie die siegende Kraft, vorzüglich durch eine derbe Zutat
  von Heringslake hervorgebracht wird.
  Mit einer Stimme, die weit über viele Dächer hinwegdonnerte, intonierte
  nun der Senior Puff das schöne Lied: _Gaudeamus igitur._ Mit Wonne fühlte
  ich mich im Innern und Äußern ganz trefflicher _Juvenis_ und mochte gar
  nicht an den _tumulus_ denken, den ein düstres Verhängnis unserm
  Geschlechte selten in der stillen, friedlichen Erde gönnt. Es wurden
  noch verschiedene schöne Lieder gesungen, wie z. B. Laßt die Politiker
  nur sprechen u. s. w., bis der Senior Puff mit gewichtiger Pfote auf den
  Tisch schlug und verkündete, daß nun das wahre, echte Weihelied, nämlich
  das _Ecce quam bonum_ gesungen werden müsse, und intonierte sofort den
  Chor: _Ecce etc. etc._
  Noch nie hatte ich dieses Lied gehört, dessen Komposition ebenso tief
  gedacht, so harmonisch und melodisch richtig, als wunderbar und
  geheimnisvoll zu nennen. Der Meister ist, soviel ich weiß, nicht bekannt
  geworden, doch schreiben viele dieses Lied dem großen Händel zu, andere
  dagegen behaupten, daß es lange, lange vor Händels Zeit schon existiert
  habe, da nach der Chronik von Wittenberg es schon gesungen worden, als
  Prinz Hamlet noch Fuchs gewesen. Doch gleichviel, wer es gemacht hat,
  das Werk ist groß und unsterblich und vorzüglich zu bewundern, wie die
  in den Chor eingeflochtenen Solos den Sängern freien Spielraum lassen zu
  den anmutigsten, unerschöpflichsten Veränderungen. Einige dieser
  Veränderungen, die ich in dieser Nacht hörte, habe ich treu im
  Gedächtnis behalten.
  Als der Chor geendet, fiel ein schwarz und weiß gefleckter Jüngling
  ein:
   Gar zu spitzig klafft der Spitz,
   Gar zu grob der Pudel;
   Jenem gönnt den Steiß zum Sitz,
   Dem die Schnauz' zum Hudel.
   Chor. _Ecce quam etc. etc._
  Darauf ein Grauer:
   Höflich zieht die Mütz vom Kopf,
   Kommt Philister gangen!
   Froh gebärdet sich der Tropf,
   Will vor nichts ihm bangen.
   Chor. _Ecce quam etc. etc._
  Darauf ein Gelber:
   Schwimmen muß der muntere Fisch,
   Vögelein muß fliegen.
   Floss' und Federn wachsen frisch;
   Werd't sie nimmer kriegen.
   Chor. _Ecce quam etc. etc._
  Darauf ein Weißer:
   Miaut und knurrt und knurrt und miaut,
   Nur beileib' nicht kratzen;
   Seid galant, daß man euch traut,
   Schonet eure Tatzen.
   Chor. _Ecce quam etc. etc._
  Darauf Freund Muzius:
   Denkt Herr Aff' nach seinem Maß
   Alle uns zu messen!
   Spitzt das Maul, trägt hoch die Nas',
   Wird uns doch nicht fressen.
   Chor. _Ecce quam etc. etc._
  Ich saß neben Muzius; an mir war daher jetzt die Reihe, mit einem Solo
  einzufallen. Alle Solos, die bis jetzt vorgetragen, wichen so sehr von
  den Versen ab, die ich sonst gedichtet, daß ich in Unruhe und Angst
  geriet, den Ton, die Haltung des Ganzen zu verfehlen. Daher kam es, daß
  ich, als der Chor geendet, noch schwieg. Schon erhoben einige die Gläser
  und riefen: _pro poena,_ als ich mich mit aller Gewalt zusammennahm und
  sofort sang:
   Pfot' in Pfot' und Brust an Brust
   Soll uns nichts verdüstern
   Katzbursch sein ist uns're Lust,
   Trotzen Katzphilistern!
   Chor. _Ecce quam etc. etc._
  Meine Variation fand den lautesten, unerhörtesten Beifall. Die
  hochherzigen Jungen stürmten jubelnd auf mich ein, umpfoteten mich,
  drückten mich an ihre klopfende Brust. Auch hier erkannte man also den
  hohen Genius in meinem Innern. Es war einer der schönsten Augenblicke
  meines Lebens. Nun wurde noch manchen großen, berühmten Katern,
  vorzüglich solchen, die ihrer Größe und Berühmtheit unerachtet sich von
  aller und jeder Philisterei entfernt gehalten und dies bewiesen hatten
  durch Wort und Tat, ein feuriges Lebehoch gebracht! und dann schieden
  wir auseinander.
  Der Punsch war mir doch etwas zu Kopfe gestiegen, die Dächer schienen
  sich zu drehen, kaum vermochte ich mittels des Schweifes, den ich als
  Balancierstange benutzte, mich aufrecht zu erhalten. Der treue Muzius,
  meinen Zustand bemerkend, nahm sich meiner an, und brachte mich
  glücklich durch die Dachluke nach Hause.
  Wüst im Kopfe, wie ich mich noch niemals gefühlt, konnte ich lange
  nicht --
  =(Mak. Bl.)= -- -- ebensogut gewußt, als die scharfsinnige Frau Benzon,
  aber daß ich gerade heute, eben jetzt von Dir Nachricht erhalten sollte,
  Du treue Seele, das hat mein Herz nicht geahnt.« So sprach Meister
  Abraham, verschloß den Brief, den er erhalten, und in dessen Aufschrift
  er mit freudiger Überraschung Kreislers Hand erkannt hatte, ohne ihn zu
  öffnen, in den Schubkasten seines Schreibtisches und ging hinaus in den
  Park. -- Meister Abraham hatte schon seit vielen Jahren die Gewohnheit,
  Briefe, die er erhielt, Stunden, ja oft Tage lang uneröffnet liegen zu
  lassen. Ist der Inhalt gleichgültig, sprach er, so kommt es auf den
  Verzug nicht an, enthält der Brief eine böse Nachricht, so gewinn' ich
  noch einige frohe, oder wenigstens ungetrübte Stunden; steht eine
  Freudenpost darin, so kann ein gesetzter Mann wohl es abwarten, daß die
  Freude ihm über den Hals komme. Diese Gewohnheit des Meisters ist zu
  verwerfen, denn einmal ist solch ein Mensch, der Briefe liegen läßt,
  ganz untauglich zum Kaufmann, zum politischen oder literarischen
  Zeitungsschreiber, dann leuchtet es aber auch ein, wie manches Unheil
  sich sonst noch bei Personen, die weder Kaufleute sind noch
  Zeitungsschreiber, daraus erzeugen kann. -- Was gegenwärtigen Biographen
  betrifft, so glaubt er ganz und gar nicht an Abrahams stoischen
  Gleichmut, sondern rechnet jene Gewohnheit vielmehr einer gewissen
  ängstlichen Scheu zu, das Geheimnis eines verschlossenen Briefes zu
  entfalten. -- Es ist eine ganz eigene Lust, Briefe zu empfangen, und
  darum sind uns die Personen besonders angenehm, die zunächst uns diese
  Lust verschaffen, nämlich: die Briefträger, wie schon irgendwo ein
  geistreicher Schriftsteller bemerkt hat. Dies mag eine anmutige
  Selbstmystifikation genannt werden. Der Biograph erinnert sich, daß, als
  er einst auf der Universität mit dem sehnlichsten Schmerz, lange
  vergebens auf einen Brief von einer geliebten Person gewartet hatte, er
  den Briefträger mit Tränen im Auge bat, ihm doch recht bald einen Brief
  aus der Vaterstadt zu bringen, er solle auch dafür ein namhaftes
  Trinkgeld erhalten. Der Kerl versprach, was von ihm verlangt wurde, mit
  pfiffiger Miene, brachte den Brief, der in der Tat nach wenigen Tagen
  einging, triumphierend, als habe es nur an ihm gelegen, Wort zu halten,
  und strich das versprochene Trinkgeld ein. -- Doch weiß der Biograph,
  der eben vielleicht selbst gewissen Selbstmystifikationen zu sehr Raum
  gibt -- doch weiß er nicht, ob Du, geliebter Leser, mit ihm gleichen
  Sinnes, mit jener Lust eine seltsame Angst fühlest, die Dir, indem Du
  den erhaltenen Brief öffnen willst, Herzklopfen verursacht, selbst wenn
  es kaum möglich, daß der Brief Wichtiges für Dein Leben enthalten
  sollte. -- Mag es sein, daß dasselbe die Brust beengende Gefühl, mit dem
  wir in die Nacht der Zukunft schauen, auch hier sich regt, und daß eben
  deshalb, weil ein leichter Druck der Finger hinreicht, das Verborgene zu
  enthüllen, der Moment auf einer Spitze steht, die uns beunruhigt. Und!
  -- wie viele schöne Hoffnungen zerbrachen schon mit dem verhängnisvollen
  Siegel, und die lieblichen Traumbilder, die aus unserm eigenen Innern
  gestaltet, unsere brünstige Sehnsucht selbst schienen, zerrannen in
  nichts und das kleine Blättchen war der Zauberfluch, vor dem der
  Blumengarten, in dem wir zu wandeln gedachten, verdorrte, und das Leben
  lag vor uns wie eine unwirtbare, trostlose Wüstenei. -- Scheint es gut,
  den Geist zu sammeln, ehe jener leichte Druck der Finger das Verborgene
  erschließt, so kann dies vielleicht Meister Abrahams sonst verwerfliche
  Gewohnheit entschuldigen, die übrigens auch gegenwärtigen Biographen
  anklebt aus einer gewissen, verhängnisvollen Zeit, in der beinahe jeder
  Brief, den er erhielt, der Büchse Pandoras glich, aus der, sowie sie
  geöffnet, tausend Unheil und Ungemach aufstieg ins Leben. -- Hat aber
  nun auch Meister Abraham des Kapellmeisters Brief verschlossen in seinen
  Schreibepult oder Schreibtischkasten, und ist er auch spazieren gegangen
  in den Park, doch soll der geneigte Leser den Inhalt sogleich
  buchstäblich erfahren. -- Johannes Kreisler hatte folgendes geschrieben:
   »Mein herzlieber Meister!«
  _»La fin couronne les oeuvres!«_ hätte ich rufen können, wie Lord
  Clifford in Shakespeares Heinrich dem Sechsten, als ihm der sehr edle
  Herzog von York eines versetzt hatte zum Tode. Denn bei Gott, mein Hut
  stürzte schwer verwundet ins Gebüsch und ich ihm nach, rücklings, wie
  
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