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Lebensansichten des Katers Murr - 26

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  Gegenwart zu profan, um nicht mit jenen frommen Legenden im häßlichen
  Widerspruch zu stehen, weil niemand im Stande ist, sich jene Wunder als
  unter uns geschehen vorzustellen, eben daher würde allerdings die
  Darstellung in unserem modernen Kostüm uns abgeschmackt, fratzenhaft, ja
  frevelig bedünken. Ließe es aber die ewige Macht geschehen, daß vor
  unser aller Augen nun wirklich ein Wunder geschehe, so würde es durchaus
  unzulässig sein, das Kostüm der Zeit zu ändern, so wie die jungen Maler
  nun freilich, wollen sie einen Stützpunkt finden, darauf bedacht sein
  müssen, in alten Begebenheiten das Kostüm des jedesmaligen Zeitalters,
  so wie es erforschlich, richtig zu beobachten. -- Recht, wiederhole ich
  noch einmal, recht hatte der Maler dieses Bildes, daß er die Gegenwart
  andeutete, und eben jene Staffage, die Ihr, lieber Johannes, verwerflich
  findet, erfüllt mich mit frommen heiligen Schauern, da ich selbst
  einzutreten wähne in das enge Gemach des Hauses zu Neapel, wo sich erst
  vor ein paar Jahren das Wunder der Erweckung jenes Jünglings begab. --
  Kreisler wurde durch die Worte des Abts zu Betrachtungen mancherlei Art
  veranlaßt; er mußte ihm in vielem recht geben, nur meinte er doch, daß
  was die höhere Frömmigkeit der alten Zeit und die Verderbtheit der
  jetzigen betreffe, aus dem Abt gar zu sehr der Mönch spreche, der
  Zeichen, Wunder, Verzückungen verlange und wirklich schaue, deren ein
  frommer kindlicher Sinn, dem die krampfhafte Ekstase eines berauschenden
  Kultus fremd bleibe, nicht bedürfe, um wahrhaft christliche Tugend zu
  üben; und eben diese Tugend sei keineswegs von der Erde verschwunden,
  und könne dies wirklich geschehen, so würde die ewige Macht, die uns
  aufgegeben und dem finstern Dämon freie Willkür gegönnt, uns auch durch
  kein Mirakel zurückbringen wollen auf den rechten Weg. --
  Alle diese Betrachtungen behielt indessen Kreisler für sich und
  betrachtete schweigend noch immer das Bild. Aber immer mehr traten auch
  bei näherem und näherem Anschauen die Züge des Mörders aus dem
  Hintergrunde hervor, und Kreisler überzeugte sich, daß das lebendige
  Original der Gestalt niemand anders sein könne als Prinz Hektor.
  Mich dünkt, hochehrwürdiger Herr! begann Kreisler, ich erblicke dort im
  Hintergrunde einen wackern Freischützen, der es abgesehen hat auf das
  edelste Tier, nämlich auf den Menschen, den er pirscht auf mannigfache
  Weise. Er hat diesmal, wie ich sehe, ein treffliches wohlgeschliffnes
  Fangeisen zur Hand genommen und gut getroffen, mit dem Schießgewehr
  hapert's aber merklich, da er vor nicht langer Zeit auf dem Anstand
  einen muntern Hirsch garstig fehlte. -- In der Tat, mich gelüstets gar
  sehr nach dem _Curriculum vitae_ dieses entschlossenen Weidmanns, sei es
  auch nur ein epitomatischer Auszug aus demselben, der mir schon zeigen
  könnte, wo ich eigentlich meine Stelle finde und ob es nicht geraten,
  mich nur gleich an die heilige Jungfrau zu wenden, wegen eines mir
  vielleicht nötigen Frei- und Schutzbriefes! --
  Laßt nur die Zeit hingehen, Kapellmeister! sprach der Abt, mich sollt'
  es wundern, wenn Euch nicht in kurzem so manches klar würde, das jetzt
  noch in trübem Dunkel liegt. -- Es kann sich noch vieles Euern Wünschen,
  die ich erst jetzt erkannt, gar freudig fügen. Seltsam -- ja so viel
  kann ich Euch wohl sagen -- seltsam genug scheint es, daß man in
  Sieghartshof über Euch im gröbsten Irrtum ist. Meister Abraham mag
  vielleicht der einzige sein, der Euer Innres durchschaut.
  Meister Abraham, rief Kreisler, Ihr kennt den Alten, hochehrwürdiger
  Herr?
  Ihr vergeßt, erwiderte der Abt lächelnd, daß unsere schöne Orgel ihre
  neue wirkungsvolle Struktur der Geschicklichkeit Meister Abrahams zu
  verdanken hat! -- Doch künftig mehr! -- Wartet nur in Geduld der Dinge,
  die da kommen werden.
  Kreisler beurlaubte sich beim Abt; er wollte hinab in den Park, um so
  manchen Gedanken nachzuhängen, die ihn durchkreuzten; doch als er schon
  die Treppe hinabgestiegen war, hörte er hinter sich herrufen: _Domine,
  domine Capellmeistere! -- paucis te volo!_ -- Es war der Pater Hilarius,
  welcher versicherte, daß er mit höchster Ungeduld auf das Ende der
  langen Konferenz mit dem Abt gewartet. Soeben habe er sein
  Kellermeisteramt verrichtet und den herrlichsten Leistenwein abgezogen,
  der seit Jahren im Keller gewesen. Ganz unumgänglich nötig sei es, daß
  Kreisler sogleich einen Pokal davon leere zum Frühstück, um die Güte des
  edlen Gewächses zu erkennen und sich zu überzeugen, daß es ein Wein sei,
  der feurig, geist- und herzstärkend, für einen tüchtigen Kompositor und
  echten Musikanten geboren.
  Kreisler wußte wohl, daß es vergeblich sein würde, dem begeisterten
  Pater Hilarius entgehen zu wollen und es war ihm selbst recht bei der
  Stimmung, in die er sich versetzt fühlte, ein Glas guten Wein zu
  genießen, er folgte daher dem fröhlichen Kellermeister, der ihn in seine
  Zelle führte, wo er auf einem kleinen, mit einer saubern Serviette
  bedeckten Tischchen schon eine Flasche des edlen Getränks sowie
  frischgebacknes Weißbrot und Kümmel vorfand. -- _Ergo bibamus!_ rief Pater
  Hilar, schenkte die zierlichen grünen Römer voll und stieß mit Kreislern
  fröhlich an. Nicht wahr, begann er, nachdem die Pokale geleert, nicht
  wahr, Kapellmeister, unser hochwürdiger Herr will Euch gern in den
  langen Rock hineinvexieren? -- Tut's nicht, Kreisler! -- Mir ist wohl in
  der Kutte, ich möchte sie um keinen Preis wieder ablegen; aber
  _distinguendum est inter et inter._ -- Für mich ist ein gut Glas Wein und
  ein tüchtiger Kirchengesang die ganze Welt, aber Ihr -- Ihr! Nun Ihr
  seid noch zu ganz andern Dingen aufgehoben, Euch lacht noch das Leben
  auf ganz andre Weise, Euch leuchten noch ganz andre Lichter, als die
  Altarkerzen! -- Nun Kreisler! kurz von der Sache zu reden -- stoßt an!
  _Vivat_ Euer Mädel, und wenn Ihr Hochzeit macht, so soll Euch der Herr Abt
  alles Verdrusses unerachtet durch mich von dem besten Wein senden, der
  nur in unserm reichen Keller befindlich!
  Kreisler fühlte sich durch Hilarius Worte berührt auf unangenehme Weise,
  so wie es uns schmerzt, wenn wir etwas Zartes, Schneereines erfaßt sehn
  von plumpen ungeschickten Händen. Was Ihr nicht alles wißt, sprach
  Kreisler, indem er sein Glas zurückzog, was Ihr nicht alles erfahrt in
  Euern vier Mauern.
  _Domine Kreislere,_ rief Pater Hilarius, nichts für ungut, _video
  mysterium_ aber ich will das Maul halten! Wollt Ihr nicht auf Euer --
  Nun! laßt uns frühstücken in _Camera et faciemus bonum cherubim_ -- und
  _bibamus,_ daß der Herr uns hier in der Abtei die Ruhe und Gemütlichkeit
  erhalten möge, die bisher geherrscht.
  Ist denn die jetzt in Gefahr gekommen! -- fragte Kreisler gespannt.
  _Domine,_ sprach Pater Hilarius leise, indem er Kreislern vertraulich
  näher rückte. _Domine dilectissime!_ Ihr seid lange genug bei uns um zu
  wissen, in welcher Eintracht wir leben, wie sich die verschiedensten
  Neigungen der Brüder in einer gewissen Heiterkeit einigen, die von
  allem, von unserer Umgebung, von der Milde der Klosterzucht, von der
  ganzen Lebensweise begünstigt wird. -- Vielleicht hat das am längsten
  gedauert. Erfahrt es Kreisler! eben ist Pater Cyprianus angekommen, der
  längst erwartete, der von Rom aus dem Abt auf das dringendste empfohlen
  wurde. Es ist noch ein junger Mann, aber auf diesem ausgedörrten starren
  Antlitz ist auch nicht eine Spur eines heitern Gemüts zu finden,
  vielmehr liegt in den finstern abgestorbenen Zügen eine unerbittliche
  Strenge, die den bis zur höchsten Selbstqual gesteigerten Aszetiker
  verkündet. Dabei zeugt sein ganzes Wesen von einer gewissen feindseligen
  Verachtung alles dessen, was ihn umgibt, die vielleicht wirklich dem
  Gefühl einer geistlichen Übermacht über uns alle ihren Ursprung
  verdanken mag. Schon erkundigte er sich in abgebrochenen Worten nach der
  Klosterzucht und schien großes Ärgernis an unserer Lebensweise zu
  nehmen. -- Gebt acht, Kreisler, dieser Ankömmling wird unsre ganze
  Ordnung, die uns so wohlgetan, verkehren! Gebt acht, _nunc probo!_ Die
  Strenggesinnten werden sich leicht an ihn anschließen, und bald wird
  sich eine Partei wider den Abt bilden, der vielleicht der Sieg nicht
  entgehen kann, weil es mir gewiß scheint, daß Pater Cyprianus ein
  Emissar Sr. päpstlichen Heiligkeit ist, dessen Willen sich der Abt
  beugen muß! -- Kreisler! was wird aus unserer Musik, aus Eurem
  gemütlichen Aufenthalt bei uns werden! -- Ich sprach von unserm
  wohleingerichteten Chor und wie wir die Werke der größten Meister recht
  wacker auszuführen im Stande, da schnitt aber der finstre Aszetiker ein
  entsetzliches Gesicht und meinte, dergleichen Musik sei für die profane
  Welt, aber nicht für die Kirche, aus der sie der Papst Marcellus der
  Zweite mit Recht ganz verbannen wollen. -- _Per diem_ wenn es keinen Chor
  mehr geben soll und man mir vielleicht auch den Weinkeller verschließt
  so -- doch vorderhand, _bibamus!_ -- Man muß sich vor der Zeit keine
  Gedanken machen, _ergo_ -- gluck-gluck.
  Kreisler meinte, daß es sich wohl mit dem neuen Ankömmling, der
  vielleicht strenger schiene als er es wirklich sei, besser fügen und er
  seinerseits nicht glauben könne, daß der Abt bei dem festen Charakter,
  den er stets bewiesen, so leicht dem Willen eines fremden Mönchs
  nachgeben werde, zumal es ihm selbst an wichtigen, erfolgreichen
  Verbindungen in Rom gar nicht fehle.
  In dem Augenblick wurden die Glocken gezogen, ein Zeichen, daß die
  feierliche Aufnahme des fremden Bruders Cyprianus in den Orden des
  heiligen Benedikt vor sich gehen solle.
  Kreisler begab sich mit dem Pater Hilarius, der mit einem
  halbängstlichen: _bibendum quid_ noch die Neige seines Römers schnell
  hinunter schluckte, auf den Weg nach der Kirche. Aus den Fenstern des
  Korridors, den sie durchschritten, konnte man in die Gemächer des Abts
  hineinschauen. Seht, seht! rief Pater Hilar, indem er den Kreisler in
  die Ecke eines Fensters zog. Kreisler schaute hinüber und gewahrte in
  dem Gemach des Abts einen Mönch, mit dem der Abt sehr eifrig sprach,
  indem eine dunkle Röte sein Antlitz überzog. Endlich kniete der Abt
  nieder vor dem Mönch, der ihm den Segen gab.
  Hab ich recht, sprach Hilarius leise, wenn ich in diesem fremden Mönch,
  der mit einem Mal hinabschneit in unsre Abtei, etwas Besonderes,
  Seltsames suche und finde.
  Gewiß, erwiderte Kreisler, hat es mit diesem Cyprianus eine eigne
  Bewandtnis, und mich sollt es wundern, wenn nicht gewisse Beziehungen
  sich sehr bald kundtun sollten.
  Pater Hilarius begab sich zu den Brüdern um mit ihnen in feierlicher
  Prozession, das Kreuz vorauf, die Laienbrüder mit angezündeten Kerzen
  und Fahnen an den Seiten in die Kirche zu ziehen.
  Als nun der Abt mit dem fremden Mönch dicht bei Kreisler vorüberkam,
  erkannte dieser auf den ersten Blick, daß Bruder Cyprianus eben der
  Jüngling war, den auf jenem Bilde die heilige Jungfrau aus dem Tode zum
  Leben erweckte. -- Doch noch eine Ahnung erfaßte Kreislern plötzlich. Er
  rannte hinauf in sein Zimmer, er holte das kleine Bildnis hervor, das
  ihm Meister Abraham gegeben, er erblickte denselben Jüngling, nur
  jünger, frischer und in Offizier-Uniform abgebildet. Als nun --
  
  
  Vierter Abschnitt.
  Ersprießliche Folgen höherer Kultur. -- Die reiferen Monate des Mannes.
  
  Hinzmanns rührender Sermon, das Trauermahl, die schöne Mina, Miesmies
  Wiederfinden, der Tanz, alles das hatte in meiner Brust einen Zwiespalt
  der widersprechendsten Gefühle erregt, so daß ich, wie man im
  gewöhnlichen Leben gemeinhin sagt, mich eigentlich gar nicht zu lassen
  wußte und in einer gewissen trostlosen Bangigkeit des Gemüts wünschte,
  ich läge im Keller in der Grube, wie Freund Muzius. Das war nun freilich
  sehr arg und ich wüßte gar nicht, was aus mir geworden wäre, lebte nicht
  der wahre, hohe Dichtergeist in mir, der sofort mich mit reichlichen
  Versen versorgte, die ich niederzuschreiben nicht unterließ. -- Die
  Göttlichkeit der Poesie offenbart sich vorzüglich darin, daß das
  Versemachen, kostet auch der Reim hin und wieder manchen Schweißtropfen,
  doch ein wunderbares inneres Wohlbehagen erregt, das jedes irdische Leid
  überwindet, so wie man denn wissen will, daß es sogar oftmals schon
  Hunger und Zahnschmerzen besiegt hat. Jener soll, da der Tod ihm den
  Vater, die Mutter, die Gattin raubte, zwar bei jedem Todesfall, wie
  billig ganz außer sich, aber doch bei dem Gedanken an das herrliche
  Trauer-Carmen, das er nun im Geist zu empfangen gedachte, niemals
  untröstlich gewesen sein und bloß noch einmal sich verheiratet haben, um
  die Hoffnung abermaliger tragischer Begeisterung derselben Art nicht
  aufzugeben. --
  Hier sind die Verse, die meinen Zustand sowie den Übergang von Leid zur
  Freude mit poetischer Kraft und Wahrheit schildern.
   Was wandelt horch! durch finstre Räume
   In öder Keller Einsamkeit!
   Was ruft mir zu: Nicht länger säume!
   Wes Stimme klagt ein herbes Leid?
   Dort liegt der treue Freund begraben,
   Nach mir verlangt sein irrer Geist;
   =Mein= Trost soll ihn im Tode laben,
   =Ich= bin's, der Leben ihm verheiß!
   Doch nein! -- das ist kein flücht'ger Schatten,
   Der solche Töne von sich gibt!
   Sie seufzen nach dem treuen Gatten,
   Nach ihm, der noch so heiß geliebt!
   In alte Liebesketten fallen,
   Rinaldo will's, er kehrt zurück,
   Doch wie! -- Schau' ich nicht spitze Krallen?
   Nicht eifersücht'gen Zornes Blick?
   Sie ist's -- die Frau! -- wohin entfliehen! --
   Ha! welch Gefühl bestürmt die Brust.
   Im keuschen Schnee der Jugend blühen,
   Seh' ich des Lebens höchste Lust.
   Sie springt, sie nah't, und immer heller,
   Wird's um mich Hochbeglückten her.
   Ein süßer Duft durchweht den Keller,
   Die Brust wird leicht, das Herz wird schwer.
   Der Freund gestorben -- =sie= gefunden --
   Entzücken! -- Wonne! -- bittrer Schmerz!
   Die Gattin -- Tochter -- neue Wunden! --
   Ha! sollst du brechen armes Herz?
   Doch kann den Sinn wohl so betören,
   Ein Trauermahl, ein lust'ger Tanz?
   Nein -- diesem Treiben muß ich wehren,
   Mich blendet nur ein falscher Glanz.
   Hinweg ihr eitlen Truggebilde,
   Gebt höher'm Streben willig Raum.
   Gar manches führt die Katz' im Schilde,
   Sie liebt, sie haßt und weiß es kaum.
   Kein Ton, kein Blick, senkt eure Augen,
   O Mina, Miesmies, falsch Geschlecht!
   Verderblich Gift, nicht will ich's saugen,
   Ich flieh' und Muzius sei gerächt.
   Verklärter: -- ja bei jedem Braten,
   Bei jedem Fisch gedenk ich dein!
   Denk' deiner Weisheit, deiner Taten,
   Denk' Kater ganz wie du zu sein.
   Gelang es hünd'schem Frevelwitze,
   Dich zu verderben edler Freund,
   So trifft die Schmach blutgier'ge Spitze,
   Es rächet dich, der um dich weint.
   So flau, so jammervoll im Busen
   War mir's, ich wußte gar nicht wie.
   Doch hoher Dank den holden Musen,
   Dem kühnen Flug der Phantasie.
   Mir ist jetzt wieder leidlich besser,
   Spür' gar nicht g'ringen Appetit,
   Bin Muzius gleich ein wackrer Esser,
   Und ganz in Poesie erglüht.
   Ja Kunst! du Kind aus hohen Sphären,
   Du Trösterin im tiefsten Leid,
   O! Verslein laß mich stets gebären,
   Mit genialer Leichtigkeit!
   Und: Murr, so sprechen edle Frauen,
   Hochherz'ge Jünglinge, o Murr:
   »Du Dichterherz, ein zart Vertrauen,
   »Weckt in der Brust dein süß Gemurr!«
  Die Wirkung des Verslein-Machens war zu wohltätig, ich konnte mich nicht
  mit diesem Gedicht begnügen, sondern machte mehre hintereinander mit
  gleicher Leichtigkeit, mit gleichem Glück. Die gelungensten würd' ich
  hier dem geneigten Leser mitteilen, hätte ich nicht im Sinn, dieselben
  mit mehreren Witzwörtern und Impromptus, die ich in müßigen Stunden
  angefertigt und über die ich schon beinahe vor Lachen bersten mögen,
  unter dem allgemeinen Titel: Was ich gebar in Stunden der Begeisterung,
  herauszugeben. -- Zu meinem nicht geringen Ruhm muß ich es sagen, daß
  selbst in meinen Jünglingsjahren, wenn der Sturm der Leidenschaft noch
  nicht verbraust ist, ein heller Verstand, ein feiner Takt für das
  Gehörige, die Oberhand behielt über jeden abnormen Sinnenrausch. So
  gelang es mir auch die plötzlich aufgewallte Liebe zu der schönen Mina
  gänzlich zu unterdrücken. Einmal mußte mir denn doch bei ruhiger
  Überlegung diese Leidenschaft in meinen Verhältnissen etwas töricht
  vorkommen; dann erfuhr ich aber auch, daß Mina des äußern Scheins
  kindlicher Frömmigkeit unerachtet, ein keckes eigensinniges Ding sei,
  die bei gewissen Anlässen den bescheidensten Katerjünglingen in die
  blanken Augen fahre. Um mir aber jeden Rückfall zu ersparen, vermied ich
  sorglich Mina zu sehen, und da ich Miesmies vermeintliche Ansprüche und
  ihr seltsames überspanntes Wesen noch mehr scheute, so hielt ich mich,
  um ja keiner von beiden zu begegnen, einsam im Zimmer und besuchte weder
  den Keller, noch den Boden, noch das Dach. Der Meister schien dies gern
  zu sehen; er erlaubte, daß ich, studierte er am Schreibtisch, mich
  hinter seinem Rücken auf den Lehnstuhl setzen und mit vorgestrecktem
  Halse durch den Arm in das Buch gucken durfte, welches er eben las. -- Es
  waren ganz hübsche Bücher die wir, ich und mein Meister auf diese Art
  zusammen durchstudierten, wie z. B. Arpe, _De prodigiosis naturae et
  artis operibus, Talismanes et Amuleta dictis,_ Beckers bezauberte Welt,
  Francisci Petrarca Gedenkbuch u. a. m. -- Diese Lektüre zerstreute mich
  ungemein und gab meinem Geist einen neuen Schwung.
  Der Meister war ausgegangen, die Sonne schien so freundlich, die
  Frühlingsdüfte wehten so anmutig zum Fenster hinein; ich vergaß meine
  Vorsätze und spazierte hinauf auf das Dach. Kaum war ich aber oben, als
  ich auch schon Muzius Witwe erblickte, die hinter dem Schornstein
  hervorkam. -- Vor Schreck blieb ich regungslos stehen, wie eingewurzelt;
  schon hörte ich mich bestürmt mit Vorwürfen und Beteuerungen. -- Weit
  gefehlt. -- Gleich hinterher folgte der junge Hinzmann, rief die schöne
  Witwe mit süßen Namen, sie blieb stehen, empfing ihn mit lieblichen
  Worten, beide begrüßten sich mit dem entschiedenen Ausdruck inniger
  Zärtlichkeit und gingen dann schnell an mir vorüber, ohne mich zu grüßen
  oder sonst im mindesten zu beachten. Der junge Hinzmann schämte sich
  ganz gewiß vor mir, denn er senkte den Kopf zu Boden und schlug die
  Augen nieder, die leichtsinnige kokette Witwe warf mir aber einen
  höhnischen Blick zu.
  Der Kater ist, was sein psychisches Wesen betrifft, doch eine gar
  närrische Kreatur. -- Hätte ich nicht froh sein können, sein müssen, daß
  Muzius Witwe anderweitig mit einem Liebhaber versehen, und doch konnte
  ich mich eines gewissen innern Ärgers nicht erwehren, der beinahe das
  Ansehen hatte von Eifersüchtelei. -- Ich schwor niemals mehr das Dach zu
  besuchen, wo ich große Unbill erlebt zu haben glaubte. Statt dessen
  sprang ich nun fleißig auf die Fensterbank, sonnte mich, schaute um mich
  zu zerstreuen auf die Straße herab, stellte allerlei tiefsinnige
  Betrachtungen an und verband so das Angenehme mit dem Nützlichen.
  Ein Gegenstand dieser Betrachtungen war denn auch, warum es mir noch
  niemals eingefallen, mich aus eignem freien Antriebe vor die Haustüre zu
  setzen oder auf der Straße zu lustwandeln, wie ich es doch viele von
  meinem Geschlecht tun sah, ohne alle Furcht und Scheu. Ich stellte mir
  das als etwas höchst Angenehmes vor und war überzeugt, daß nun, da ich
  zu reiferen Monaten gekommen und Lebenserfahrung genug gesammelt, von
  jenen Gefahren in die ich geriet, als das Schicksal mich, einen
  unmündigen Jüngling, hinausschleuderte in die Welt, nicht mehr die Rede
  sein könne. Getrost wandelte ich daher die Treppe herab und setzte mich
  fürs erste auf die Türschwelle, in den hellsten Sonnenschein. Daß ich
  eine Stellung annahm, die jedem auf den ersten Blick den gebildeten,
  wohlerzogenen Kater verraten mußte, versteht sich von selbst. Es gefiel
  mir vor der Haustüre ganz ungemein. Indem die heißen Sonnenstrahlen
  meinen Pelz wohltätig auswärmten, putzte ich mit gekrümmter Pfote
  zierlich Schnauze und Bart, worüber mir ein paar vorübergehende junge
  Mädchen, die den großen, mit Schlössern versehenen Mappen nach, die sie
  trugen, aus der Schule kommen mußten, nicht allein ihr großes Vergnügen
  bezeugten, sondern mir auch ein Stückchen Weißbrot verehrten, welches
  ich nach gewohnter Galanterie dankbarlichst annahm. --
  Ich spielte mehr mit der mir dargebotenen Gabe, als daß ich sie
  wirklich zu verzehren Anstalt machte, aber wie groß war mein Entsetzen,
  als plötzlich ein starkes Brummen dicht bei mir dies Spiel unterbrach,
  und der mächtige Alte, Ponto's Oheim, der Pudel Skaramuz vor mir stand.
  Mit einem Satz wollte ich fort aus der Türe, doch Skaramuz rief mir zu:
  Sei er kein Hasenfuß und bleib er ruhig sitzen; glaubt er, ich werd ihn
  fressen? --
  Mit der demütigsten Höflichkeit fragte ich, worin ich vielleicht dem
  Herrn Skaramuz nach meinen geringen Kräften dienen könne, der erwiderte
  aber barsch: In nichts in gar nichts kann er mir dienen, Mosje Murr, und
  wie sollte das auch möglich sein. Aber fragen wollt' ich ihn, ob er
  vielleicht weiß, wo mein liederlicher Neffe steckt, der junge Ponto. Er
  hat sich ja wohl schon einmal mit ihm herumgetrieben, und ihr scheinet
  zu meinem nicht geringen Ärger ein Herz und eine Seele. Nun? -- sag er
  nur an, ob er weiß, wo der Junge herumschwärmt; ich habe ihn schon seit
  mehreren Tagen mit keinem Auge gesehen.
  Verlegen durch des mürrischen Alten stolzes wegwerfendes Betragen,
  versicherte ich kalt, daß von einer engen Freundschaft zwischen mir und
  dem jungen Ponto gar nicht die Rede sei und auch niemals die Rede
  gewesen wäre. Zumal in der letzten Zeit habe sich Ponto, den ich
  übrigens gar nicht aufgesucht, ganz von mir zurückgezogen.
  Nun das freut mich, brummte der Alte, das zeigt doch, daß der Junge Ehre
  im Leibe hat und nicht gleich bei der Hand ist mit Leuten allerlei
  Gelichters sein Wesen zu treiben.
  Das war denn doch nicht auszuhalten, der Zorn übermannte mich, das
  Burschentum regte sich in mir, ich vergaß alle Furcht, und prustete dem
  schnöden Skaramuz ein tüchtiges: Alter Grobian! ins Gesicht, hob auch
  die rechte Pfote mit ausgespreizten Krallen in die Höhe und zwar in der
  Richtung nach des Pudels linkem Auge. Der Alte wich zwei Schritte zurück
  und sprach weniger barsch, als vorher: Nun, nun Murr! nichts für ungut,
  ihr seid sonst ein guter Kater und da will ich euch denn raten, nehmt
  euch in acht vor dem Blitzjungen dem Ponto! Er ist, ihr möget es
  glauben, eine ehrliche Haut, aber leichtsinnig! -- leichtsinnig! zu
  allen tollen Streichen aufgelegt, kein Ernst des Lebens, keine Sitte!
  -- Nehmt euch in acht, sag' ich, denn bald wird er euch verlocken in
  allerlei Gesellschaften, wo ihr gar nicht hingehört und euch mit
  unsäglicher Mühe zu einer Art des sozialen Umgangs zwingen müßt, die
  eurer innersten Natur zuwider und über die eure Individualität, eure
  einfache ungeheuchelte Sitte, wie ihr sie mir eben bewiesen, zu Grunde
  geht. -- Seht, guter Murr, Ihr seid, wie ich schon gesagt, als Kater
  schätzenswert und habt für gute Lehre ein williges geneigtes Ohr!
  -- Seht! so viel tolle, unangenehme ja zweideutige Streiche auch ein
  Jüngling verführen mag, zeigt er nur dann und wann jene weichliche ja
  oft süßliche Gutmütigkeit, wie sie Leuten von sanguinischem Temperament
  immer eigen, so heißt es denn gleich mit dem französischen Ausdruck: _Au
  fond_ ist er doch ein guter Kerl und das soll denn alles entschuldigen,
  was er beginnt gegen alle Sitte und Ordnung. Aber der _fond_, in dem der
  Kern des Guten steckt, liegt so tief und über ihm hat sich so viel Unrat
  eines ausgelassenen Lebens gesammelt, daß er im Keime ersticken muß.
  -- Für wahrhaftes Gefühl des Guten wird einem aber oft jene alberne
  Gutmütigkeit aufgetischt, die der Teufel holen soll, wenn sie nicht
  vermag den Geist des Bösen in einer glänzenden Maske zu erkennen. Traut,
  o Kater, den Erfahrungen eines alten Pudels, der sich was in der Welt
  versucht und laßt Euch nicht durch das verdammte: _Au fond_ ist er ein
  guter Kerl, betören! -- Seht Ihr etwa meinen liederlichen Neffen, so
  möget Ihr ihm alles geradezu heraussagen, was ich mit Euch gesprochen,
  und Euch seine fernere Freundschaft gänzlich verbitten. -- Gott
  befohlen! -- Ihr freßt das wohl nicht, guter Murr?
  Damit nahm der alte Pudel Skaramuz das Stückchen Weißbrot, das vor mir
  lag, hurtig ins Maul und schritt dann gemächlich von dannen, indem er
  mit gesenktem Haupt die lang behaarten Ohren an der Erde schleppen ließ
  und ein ganz klein wenig mit dem Schweife wedelte. --
  Gedankenvoll schaute ich dem Alten nach, dessen Lebensweisheit mir ganz
  eingehen wollte. Ist er fort, ist er fort? So lispelte es dicht hinter
  mir, und ich erstaunte nicht wenig, als ich den jungen Ponto erblickte,
  der sich hinter die Türe geschlichen und so lange gewartet hatte, bis
  der Alte mich verlassen. Ponto's plötzliche Erscheinung setzte mich
  gewissermaßen in Verlegenheit, da mir des alten Onkels Auftrag, den ich
  jetzt eigentlich hätte ausrichten müssen, doch etwas bedenklich schien.
  Ich dachte an jene entsetzlichen Worte, die Ponto mir einst zugerufen:
  Solltest du es dir etwa beikommen lassen, feindliche Gesinnungen gegen
  mich zu äußern, so bin ich dir an Stärke und Gewandheit überlegen. Ein
  Sprung, ein tüchtiger Biß meiner scharfen Zähne würde dir auf der Stelle
  den Garaus machen. -- Ich fand es sehr ratsam zu schweigen. --
  Diese inneren Bedenklichkeiten mochten mein äußeres Betragen kalt und
  gezwungen erscheinen lassen, Ponto guckte mich an mit scharfem Blick.
  Dann brach er aus in eine helle Lache und rief: Ich merk es schon,
  Freund Murr! Mein Alter hat dir allerlei Böses vorgeredet von meinem
  Treiben, er hat mich liederlich, allen tollen Streichen und
  Ausschweifungen ergeben, geschildert. Sei nicht so töricht, von dem
  allem auch nur ein Wörtchen zu glauben. Fürs erste! Schau mich recht
  aufmerksam an und sage mir, was du von meiner äußern Erscheinung hältst?
  -- Den jungen Ponto betrachtend fand ich, daß er nie so wohl genährt, so
  glau ausgesehen, daß nie diese Nettigkeit, diese Eleganz in seinem
  Anzuge, nie diese wohltuende Übereinstimmung in seinem ganzen Wesen
  geherrscht. Ich äußerte ihm dies unverhohlen.
  Nun wohl, guter Murr, sprach Ponto, glaubst du wohl, daß ein Pudel, der
  sich in schlechter Gesellschaft umhertreibt, der niedrigen
  Ausschweifungen ergeben, der recht systematisch liederlich ist ohne
  eigentlichen Geschmack daran zu finden, sondern bloß aus Langeweile, wie
  es denn nun wirklich bei vielen Pudeln der Fall ist -- glaubst du wohl,
  daß ein solcher Pudel so aussehen kann wie du mich findest? Du rühmst
  vorzüglich die Harmonie in meinem ganzen Wesen. Schon das muß dich
  belehren, wie sehr mein grämlicher Onkel im Irrtum ist; denke, da du ein
  literarischer Kater bist, an jenen Lebensweisen, welcher dem, der an
  einem Lasterhaften vorzüglich das Unharmonische der ganzen Gestaltung
  rügte, erwiderte: Ist es möglich, daß das Laster Einheit haben kann?
  Wundere dich, Freund Murr, nicht einen Augenblick über die schwarzen
  Verleumdungen meines Alten. Grämlich und geizig, wie denn nun einmal
  alle Oheime sind, hat er deshalb seinen ganzen Zorn auf mich geworfen,
  weil er _par honneur_ einige kleine Spielschulden bezahlen müssen, die ich
  bei einem Wurstkrämer ausgeborgt hatte, der bei sich verbotenes Spiel
  duldete und den Spielern oft in Cervelaten, Grützen und Lebern (zu
  Würsten aptiert nämlich) bedeutende Vorschüsse machte. Dann aber denkt
  der Alte auch noch immer an eine gewisse Periode, in der meine
  Lebensweise eben nicht rühmlich war, die aber längst vorüber und dem
  herrlichsten Anstande gewichen ist.
  In dem Augenblicke kam ein kecker Pinscher des Weges, guckte mich an,
  als hab' er meines gleichen noch niemals gesehen, schrie mir die
  gröbsten Insolenzen in die Ohren und schnappte dann nach dem Schweif,
  den ich lang aus von mir gestreckt, welches ihm zu mißfallen schien.
  Sowie ich aber hochaufgerichtet mich zur Wehre setzen wollte, war Ponto
  auch schon auf den ungesitteten Krakeeler losgesprungen, hatte ihn zu
  Boden getreten und zwei-, dreimal überrannt, so daß er unter dem
  jammervollsten Lamento, den Schweif fest eingeklemmt, schnell davonfuhr
  wie ein abgeschossener Pfeil.
  Dieser Beweis, den Ponto mir von seiner guten Gesinnung, von seiner
  tätigen Freundschaft gab, rührte mich ungemein und ich dachte, daß hier
  
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