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Briefe an Ludwig Tieck (3/4) - 03

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  Frau Gemahlin und allen den Ihrigen zu Gunsten wohl zu empfehlen. Ich
  würde unendlich glücklich sein, wenn in Ihrem Kreise auch nur einmal
  meiner mit einem Wörtchen gedacht würde; so sehr verehrt Sie
   Ihr
   gehorsamster
   _Karl O. Müller_.
  
   II.
   _Göttingen_, 17. Jul.
   Nach Ausweis des Poststempels 1820.
  Schon lange hatte ich vor, verehrtester Herr, mich durch einen Brief
  wieder in Ihr gütiges Andenken zurückzurufen: aber ich kann so
  selten einen ruhigen Augenblick gewinnen, wo ich mit einer gewissen
  Behaglichkeit vorwärts und rückwärts blicken und mich einem Manne vor
  Augen stellen möchte, dem ich gern nicht in gelehrter Zerstreuung und
  Zerfaserung, sondern in einer gesammelten Existenz erscheinen möchte.
  Aber wirklich kann ich’s nicht bergen, daß ich von einem Taumel und
  Strudel ergriffen selten eigentlich Selbst bin, sondern immer nur
  das, wozu mich momentanes Studium macht, daß ich mit krampfhafter
  Lebhaftigkeit in mich hineinreiße, was mir in den Weg kommt, und
  am allerwenigsten darüber nachdenke, was ich eigentlich will. Wenn
  ich diesen Herbst einige Wochen in Dresden zubringen könnte, möchte
  ich wieder etwas zu Ruhe und Besinnung kommen, aber leider ist es
  darauf angelegt, daß ich mit Couriergeschwindigkeit nach Hause und
  wieder zurück reise, und sobald wie möglich wieder in den Irrsal und
  Zauberkreis der hiesigen Bibliotheks-Studien zurückkehre.
  Mein Freund Max hat mich durch Nachrichten und Grüsse von Ihnen
  höchlich erfreut, wie er mich überhaupt durch seinen Besuch recht
  beglückt hat. Wenn er nur nicht den dritten Tag wieder fortgefahren
  wäre. Wir brachten einen der schönsten Nachmittage auf der Plesse zu,
  die mich immer entzückt, so oft ich sie besuche. Ich hatte sie schon
  im Vorfrühling lieb gewonnen, als man sich vor dem starken Sturm
  noch hinter dem alten Thurm bergen mußte, und die sanften Umrisse
  der schwarzbraunen Hügel einen mehr düstern als anmuthigen Eindruck
  machten. Mit Max strich ich einen halben Tag bis zur sinkenden Nacht
  an den Abhängen des waldigen Grundes umher, und war, ohne auf einzelne
  Schönheiten sonderlich zu merken oder aufmerksam zu machen, durch den
  gesammten Eindruck fast bacchisch begeistert. Weil ich aber immer meine
  Spaziergänge auf den einen Punkt richte, habe ich von der übrigen
  Umgegend noch so gut wie gar nichts gesehen. Nur das Weserthal bin ich
  bei Anbruch des Frühjahrs bis Pyrmont hinuntergewandert, aber doch
  noch zu früh im Jahre. Auch in Cassel war ich einmal kurze Zeit. Die
  schöngebaute Stadt, in der man nichts als schulternde Musketiere sieht
  und hört, macht einen traurigen Eindruck. Auch die Gallerie beklagt
  empfindlich den Verlust einiger schöner Claude-Lorrain’s, die Kaiser
  Alexander in Paris ihren unrechtmäßigen Besitzern abgekauft hat. Das
  Antiken-Museum ist zwar nicht zahlreich, enthält aber interessante
  Stücke, eine Pallas, die mit der Dresdner im vierten Saal genau
  übereinkommt und auf ein erhabnes Original zurückweist, und einen
  männlich vierschrötigen Apollo mit einem ganz äginetischen Gesicht, in
  welchem ich den Milesischen Apoll des Canachus zu erkennen glaube u. s.
  w.
  Bei dieser Spazierfahrt begleiteten mich einige junge Freunde, zwei
  Griechen und ein Amerikaner. Wie interessant ist der Gegensatz dieser
  beiden Nationen. Die Griechen achte ich aufs höchste, und wenn es auch
  nur um der ehrfurchtsvollen Demuth wäre, mit der sie dem Born deutscher
  Wissenschaft sich nähern. Es ist wahr, sie haben wenig Talent für
  mechanische Spracherlernung, am allerwenigsten für den gewöhnlichen
  Schick, so daß sie sich in vielen Fällen sehr ungeschickt ausnehmen.
  Aber sie haben einen tiefen Sinn, der sich Alles recht nah zu bringen
  und innerlich anzueignen sucht; sie begnügen sich nie mit der bloßen
  Notiz; sie haben eine bewundernswürdige Ausdauer. Ich habe nie einen
  von ihnen im Collegium gähnen gesehen, was ich von den Amerikanern
  täglich sehn muß: dagegen hören sie auch dem Halbverständlichen mit
  gespannter Aufmerksamkeit hin, die mir oft wirklich rührend ist. Ja man
  bemerkt selbst für das bei ihnen Empfänglichkeit, was andre Ausländer
  so schwer begreifen wollen, romantische Poesie, Naturphilosophie,
  Construktion der Geschichte. So ist besonders ein Greiß aus Macedonien
  hier, den ich für einen der ausgezeichnetsten Studenten der Universität
  achte.
  Dagegen die Amerikaner mit ihrem praktisch-mechanischen Talent nur
  immer berechnen, wie viel sie wohl von hier mitnehmen können, und
  daher immer nach allgemeinen Notizen streben. Ich kann nur nach denen
  urtheilen, die eben hier sind: aber es giebt keine oberflächlichere
  Art des Studiums, als diese treiben. Dabei wollen sie von den
  Lehrern immer prompt und solid bedient sein, und besonders muß man
  es kurz machen. Aber am ärgerlichsten sind sie mir, wenn sie ihre
  trockne Verstandesansicht noch durch verdrüßlichen Puritanismus zu
  adeln suchen, und sich überall bei Altem und Neuem gegen sogenannte
  Unmoralität und Unanständigkeit kehren, und sich selbst mit einer
  Arroganz, die mich vollends erboßt, für das freiste, frömmste,
  rechtschaffenste und moralisch’ste Volk auf Gottes Erdboden ausgeben.
  In den Vorlesungen ist man recht übel daran mit dem Gemisch von
  Nationen, denen man kaum verständlich werden, geschweige für Aller
  Bedürfnisse sorgen kann. So hören in einem Collegium Heerens Leute
  aus allen Nationen zwischen Havannah und Kleinasien incl. In meiner
  Kunstgeschichte habe ich schon ganz darauf resignirt, für die Zuhörer
  zu lesen. Ich betrachte die Vorlesung als einen Versuch, die Masse des
  Stoffs zu begränzen und wie es gehn will, zu unterwerfen. Doch lese ich
  sie in heitrer Stimmung und oft mit Freudigkeit, wozu das Lokal der
  Bibliothek und die neidlose Menge von Hilfsmitteln beiträgt. Wenn wir
  nun bald Gipsabgüsse von den sogenannten Elginschen Erwerbungen hätten.
  Was ich in Dresden in der Antiken-Gallerie sowohl als im Mengsischen
  Museum gesehn habe, wird mir immer merkwürdiger, und ich sinne oft in
  Gedanken darüber. So sehne ich mich sehr den Menelaos und Patroklos
  wiederzusehn, eine Gruppe, die doch besonders gegen Winckelmanns
  schnödes Urtheil ans Licht gesetzt zu werden verdiente.
  Aber noch viel mehr freue ich mich darauf, Sie und die verehrten
  Ihrigen, wenn auch nur auf kurze Zeit wiederzusehn, und mich in der
  Gewogenheit glücklich zu fühlen, die ich mir einbilde einigermaßen zu
  besitzen.
  Der gute Lipsius könnte jetzt selbst in dem Columbarium beigesetzt
  werden, dessen Ursprung aus dem vertraulichen Familiengespräch der
  Livia er so gemüthlich zu erzählen wußte.
   Ganz und gar
   der Ihrige
   _K. O. Müller_.
  
   III.
   _Göttingen_, 12. April 21.
  Als ich im vorigen Herbste von Ihnen, verehrter Freund, und dem lieben
  Dresden schied, dachte ich noch über Weimar und Gotha zu gehn, und war
  noch voll von Reiseplänen, von denen ich hernach nichts ausgeführt
  habe. Denn am Ende war ich über dem Abschiede so weichmüthig geworden,
  und die ganze Reise kam mir nun auf einmal so nichtig und zwecklos vor,
  da ich Dresden so eilig verlassen hatte, daß ich von Leipzig aus gradem
  Wege in möglichster Schnelle nach Göttingen zurückfuhr, und mir doch
  noch jede Poststation eine Ewigkeit dünkte. Jetzt kam mir meine lange
  Unthätigkeit und der Schlendrian des Lebens, dem man sich auf Reisen
  ergiebt, ordentlich wie ein Verbrechen vor, und ich stürzte mich mit
  doppeltem Eifer wieder in meine Studien. Nun ist wieder ein halbes Jahr
  vorbei, und ich schaue hinaus, und denke sehr lebhaft an Sie. Mehrere
  Freunde ziehen von hier fort, unter andern der Sanskritkenner _Fr.
  Bopp_, mit dem ich diesen Winter und besonders in der letzten Zeit
  viel zusammen gewesen bin. Wir hatten einen kleinen Cirkel, in welchem
  mancher Abend darauf verwandt wurde, Ihren _Phantasus_ zu lesen;
  oft konnten wir bis tief in die Nacht hinein nicht aufhören, besonders
  über dem köstlichen Fortunat. Ich mußte dem Vorleser machen, wozu ich
  wenig taugte, wenn mich nicht manche Erinnerungen von Ihnen bisweilen
  aufrecht gehalten hätten. Bopp kommt in sechs Wochen etwa nach Dresden
  und wird sich die Freiheit nehmen Sie zu besuchen. Nur Schade, daß man
  ihn erst nach einigen Wochen recht kennen und schätzen lernt; zuerst
  hat er etwas sehr Unscheinbares. In diesen Ostertagen will ich mit
  meinem Bruder -- um nicht als Bodensatz in Göttingen zurück zu bleiben
  -- eine kleine Reise durch den Thüringerwald machen, leider wieder mit
  der Eile, die mich mein ganzes Leben hindurch vor sich hertreibt. Die
  Ferien greifen diesmal ziemlich mit in das Frühjahr hinein, und ich
  möchte das erste frische Grünen und Blühen des Waldes in diesen Bergen
  genießen, die ich mir sehr anmuthig verschlungen und verzweigt denke.
  -- In diesen Tagen sind alle _Griechen_ von hier abgegangen, um
  dem Kriegschauplatz näher zu sein. Meine Betrübniß darüber wird durch
  die Hoffnung überwunden, daß das oft versuchte Befreiungswerk nun
  endlich von Statten gehn wird, so sehr auch die Klugen, die stets wenig
  auf höhere Motive rechnen, zweifeln und fürchten mögen. Mir scheint
  es, als entscheide diese letzte und äußerste Kraftanstrengung über die
  Zukunft Europa’s, da das Leben, im Fall es glückt, eine ganz andere
  Richtung bekommen und sich wieder nahe an die Vorzeit und Ostwelt
  anlehnen wird, während es sich jetzt einseitig in eine selbstgemachte
  Cultur verliert. Den Göttingern scheint es ein wichtiges Ereigniß, daß
  der König gegen Ende Augusts nach Göttingen kommen wird, ich glaube
  der Prorektor sinnt jetzt schon auf passende Empfangsfeierlichkeiten,
  die doch am Ende lächerlich ausfallen. Da ich einmal darauf verfallen
  bin, Ihnen von allerlei verschiedenartigen Dingen, die gerade im
  Götting’schen Gesichtskreis liegen, Relation zu machen: so muß ich
  auch etwas von meinen litterarischen Plänen referiren. Ich habe zum
  Gegenstand des zweiten Bandes die _Dorier_ gewählt, freilich ein
  weit größeres Thema als die Minyer; auch weiß ich noch nicht, wie ich
  es bezwingen werde. Religion, Staat, Kunst und gemeines Leben sind
  bei diesem Volksstamm so eigenthümlich, daß man wohl sagen kann: es
  habe nie eine schärfer ausgeprägte Form menschlichen Seins und Thuns
  gegeben. Die Entwickelung des Dorischen Charakters aus den tiefsten
  Gründen, zu welchen Fr. Schlegel und Schleiermacher manche Andeutung
  gegeben haben, überlasse ich freilich Andern; ich will mich mehr in
  den mittlern historischen Gegenden halten, wo man sich begnügt, die
  Nationalität als gottgegebne Bestimmung unerklärt stehen zu lassen.
  Ueber sehr Vieles möchte ich gern Ihre Stimme vernehmen, und vielleicht
  giebt sich Gelegenheit dazu. Ist Ihr Werk über Shakespeare schon dem
  Drucke nah? Ich komme noch manchmal auf das Griechische _Theater_
  zurück, und es interessirte mich neulich, bei Thiersch Einleitung
  zu Pindar S. 112 zu lesen, daß Fr. Gärtner, dessen Werk wir noch
  nicht haben, vor dem Heratempel zu Agrigent sich steinerne Sitze
  amphitheatralisch erheben sah. So war auch in Athen der Tempelhof des
  Lenäons das älteste Theater. Der große Brandopferaltar vor dem Tempel,
  zu dem man gewöhnlich auf vielen Stufen hinaufstieg, war dann die
  älteste Thymele; rings umher tanzt der kyklische oder dithyrambische
  Chor, und die Stufen des Tempels bildeten wohl die älteste Scene, daher
  noch später die Säulenverzierungen an der Scenenwand. Etwa so, wenn es
  erlaubt ist --
  [Illustration]
  Für das tragische Costüm würde man viel aus den Mosaiken des
  ~Pio-Clementinum~ lernen, die ~Millin~ (~Description d’une
  Mosaique antique Paris 1819~) herausgegeben, wenn sie nicht gar zu
  grob und ungeschlacht wären. Wenigstens sieht man daraus, daß die Alten
  so gut wie keine Variation des Costüms kannten und am weitsten von der
  historischen Pedanterei unsrer Zeit entfernt waren; und die Kothurne
  erscheinen dort wirklich als eine Art von Stelzen.
  Doch ich muß den Brief schließen, weil ich sonst ganz ins Citiren u.
  dgl. hineinkomme. Ich rechne überall auf Ihre gütige Nachsicht. Mein
  Bruder empfiehlt sich Ihnen; der angenehme Tag in Dresden liegt ihm
  wie ein Traum in der Seele; der mannigfaltige und flüchtige Kunstgenuß
  ist ihm wie ein Taumel vorübergegangen. Er wird jetzt nach 2 Jahren
  juristischer Studien noch zum Theologen; alle Remonstrationen waren
  vergebens; es ist bei ihm entschiedne Neigung.
  Max’n haben Sie gewiß schon durch die versprochnen Mährchen erfreut.
  Ich empfehle mich dem geneigten Andenken der Ihrigen und der Frau
  Gräfin. Möchten Sie mich bald, auch nur mit wenigen Zeilen erfreun.
   Ihr
   treu ergebner
   _K. Otfr. Müller_.
  
   IV.
   _Göttingen_, 26. Nov. 1821.
  Obgleich es nichts Besonderes und Einzelnes ist, was ich Ihnen zu
  schreiben hätte, verehrter Freund: so ist es mir doch jetzt schon
  Bedürfniß geworden, mich von Zeit zu Zeit mit Gedanken und Gefühlen
  an Sie zu wenden. Mein Leben fließt ohne tiefe Bewegungen so leicht
  und heiter dahin, daß ich in dem beständigen Fluß der Dinge den
  Wechsel doch gar nicht merke; indeß kann ich doch von Zeit zu Zeit
  zurückschauen, und den zurückgelegten Weg überschauen. Eigentlich
  liebe ich nicht zu reflektiren, was ich gethan und was ich thun soll,
  sondern überlasse mich dem innern Triebe, den ich für den Leiter meines
  Daseins halte. Bei dieser sorglosen und harmlosen Art zu existiren
  bin ich nun freilich gar nicht geeignet, mein Streben und Leben so zu
  concentriren und zusammenzufassen, wie ich es gern möchte, daß es vor
  Ihnen erschiene; daher ich für die Unbedeutendheit meiner Briefe ein
  für allemal um Verzeihung bitte.
  Von Ihnen dringt nach unserm so ganz unpoetischen Göttingen nur
  bisweilen eine schwache Kunde, die ich stets mit Begierde auffasse.
  Waren Sie nicht kürzlich mit Ihrer lieben Familie in Stuttgardt?
  Um so mehr muß ich mich an Ihre Schriften halten, die jetzt wieder
  reichlicher zu fließen anfangen. Die 2 Bände Gedichte haben wir; den
  3ten, den neuen Fr. Sternbald, die Novellen, das Werk über Shakespeare
  erwarten wir. Wie haben mich die tiefen, langen Töne der Sonnette an
  Alma bewegt. Aber über wen haben Sie die großen Worte gesprochen in dem
  Sonnett an einen jüngern Dichter? Ich frage jetzt alle Leute, welche
  etwas vom Zustande der Poesie wissen, was wir für Hoffnungen hegen
  dürfen für die Zukunft, und welches die neuen anwachsenden Dichter
  sind. Ich kenne nur ein Paar. Das biedre, warme Gemüth Uhlands liebe
  ich, und von der kühnen Kraft Rückerts erwarte ich noch etwas Großes.
  Aber ich bitte, führen Sie mich zu den mir unbekannten Schätzen. Sehr
  erfreut hat mich das Sonnett an A. W. Schlegel. Es ist doch empörend,
  wie undankbar Viele jetzt diesem so umfassenden Geiste begegnen, und
  wie wenig die Gegenwart seine unermüdete Thätigkeit lohnt. Unser
  Bouterweck hat aus Wuth gegen Schlegel einen Haß auf die gesammten
  Indier geworfen. -- Ich schrieb einmal, daß der ~Sanscritamicus~
  Fr. Bopp Sie in Dresden kennen zu lernen wünschte; er ist aber in
  seiner Reise stecken geblieben, da man ihn in Berlin zum Professor
  gemacht hat.
  Auch den von Ihnen herausgegebenen Nachlaß von Heinr. v. Kleist
  haben wir mit Eifer gelesen und die Libation dunkler Wehmuth wie
  Blutstropfen, auf sein Grab gesprengt. Daß sich nicht wenigstens ein
  Plan seines Guiscard erhalten hat! --
  Nächster Sommer ist mir zu einer Reise nach England und Frankreich
  verwilligt worden, die mir für den Augenblick wichtiger ist als die
  noch verschobne nach Italien. Es wird mich sehr freuen, wenn Sie mir
  irgend einen Auftrag geben wollen. Ich bleibe 3-4 Monate in London,
  gehe auch nach Oxford und Cambridge, dann über Paris und vielleicht
  durch Süddeutschland, was aber nur ein verschwiegner Wunsch ist.
  Mein Buch über die Dorier wird erst hernach erscheinen. Es ist
  etwas ins Große angelegt, und hält mich stets in der gespanntesten
  Thätigkeit. Ein Hauptcapitel ist darin Apollon. Ich habe den Gedanken
  durchgeführt, daß Apoll ursprünglich ein dualistischer Gott sei, ein
  reiner, starker, zorniger und zugleich helfender Gott, daher Todesgott
  bei Homer, wo der Tod eine ethische Bedeutung hat, und zugleich
  das reine Licht, was Spätere verleitete an die Sonne zu denken, der
  unsichtbar treffende Bogengott und der milde Heiler Päan, der Verderber
  und Retter, welcher straft und sühnt, daher die Mordsühne unter seiner
  Obhut steht. Daran knüpft sich dann eine alte Ethik, die die Ruhe und
  Festigkeit des Gemüthes im Gegensatz jeder trübenden und verwirrenden
  Leidenschaft als Ziel setzt, die einfache, strenge Harmonie. Diese zu
  bewirken und herzustellen hat eigentlich die alte apollinische Musik
  zum Zweck; auch die alten Orakel sind eigentlich nur Götterordnungen,
  θέμιστες, aussagend, was geschehen muß; diese verkündet
  Apollon den Menschenwillen zu beugen u. s. w. Denn viel lieber, und
  mit viel größerem Gewinn für mich spräche ich darüber mit Ihnen,
  und das möcht’ ich vor der Herausgabe auf jeden Fall. Auch bin ich
  durch meine Beschäftigungen sehr angeregt, Ihnen von der wunderbaren
  Vortrefflichkeit der alten Lyrik zu reden, die man erst jetzt recht
  erkennt.
  Noch muß ich wohl über mein äußeres Fortkommen in der Welt etwas
  sagen. Die Göttinger Regel mit dem allmäligen Zuwachs der Zuhörerzahl
  trifft an mir ein; ich habe jetzt in einer Stunde 50, in der anderen
  40, was mir immer lieb ist, da man hier den Werth eines Professors,
  wie in Statistiken, nach diesen Zahlen bestimmt. Der Jurist Eichhorn
  wiegt 250-300 Centner; aber es sind auch unter den 1400 Studenten hier
  die Hälfte Juristen. -- Meine auswärtigen Verhältnisse stehn gut;
  insonderheit hat Creuzer einen mir sehr ehrenvollen Waffenstillstand
  mit mir geschlossen, wozu wohl besonders der wüthende Angriff des alten
  Voß mitgewirkt hat, des Fanatikers für die Nüchternheit.
  Ich denke doch, daß dieser Brief Sie zu Dresden, und hoffe, daß er Sie
  in gutem Wohlsein trifft. Ich empfehle mich wie immer Ihrer werthen
  Familie, deren Andenken ich mit treuer Anhänglichkeit pflege. Auch
  meinen Bruder darf ich Ihnen empfehlen.
  Mit inniger Ergebenheit
   der Ihrige
   _K. Otfried Müller_.
  
   V.
   _Göttingen_, den 10. Juli 23.
   _Mein verehrtester Freund!_
  Ich denke eben mit sehr freudiger Erinnerung an die Zeit, da Sie meinen
  damals noch sehr geringen Autoren-Muth durch den gütigen Antheil
  belebten, mit dem Sie die einzelnen Bogen meines Buches, die Sie sich
  geben ließen, gelesen zu haben versicherten. Meine damalige Empfindung
  ist mir jetzt sehr gegenwärtig, wo ich Ihnen wieder ein Mittelding
  zwischen Buch und Manuskript, eine Anzahl Bogen ohne Titel, Vorrede u.
  s. w. zusende, die erst dazu kommen sollen, wenn ich in diesem Herbste
  den dazugehörigen zweiten Theil vollendet haben werde. Doch bilden sie
  so schon ein Ganzes, wenigstens ein Halbes, und namentlich ist das
  zweite Buch darin für sich abgeschlossen; und am Ende war, was Sie
  damals lasen, ja noch vielmehr ein bloßer Anfang oder auch das nicht
  einmal. Ich eile aber so es Ihnen zu schicken, weil ich mich sehr sehne
  zu erfahren, ob die Richtung meiner Arbeiten, die damals noch mir
  selbst sehr dunkel und fast unbewußt war, jetzt mit einiger Schärfe und
  Präcision ausgesprochen Ihnen auch noch zusagt. -- Doch ich muß Ihnen
  wenigstens den fehlenden Titel auch schreiben. Es ist eine Fortsetzung
  der sogenannten Geschichten Hellenischer Stämme, und hat den Volksstamm
  der Dorier zum Gegenstande, wovon das vor Ihnen liegende die erste
  Abtheilung ist, die die äußere Geschichte bis zum Peloponnesischen
  Kriege, und dann Religion und Mythus in sich begreift; die zweite
  behandelt den Staat, und das Privat-Leben, die Bildung und Kunst des
  Volkes.
  Diese denke ich Ihnen mitzubringen, wenn ich auf den Spätherbst wieder
  -- wonach meine ganze Seele verlangt, -- nach Dresden komme, denn wenn
  ich auch bis in den Oktober hinein durch den Druck meines Buches, den
  ich abwarten muß, hier festgehalten werden sollte: so will ich doch
  auch dann noch an 14 Tage in der lieben Stadt zubringen, wenn Sie da
  sind. Diese 14 Tage leuchten mir wie ein Stern vor den Augen, wenn ich
  über der Strapaze meines mühseeligen Buches schier ermatten möchte. Sie
  glauben nicht wie ich mich darauf freue.
  Die Geißel der Dramatiker, die Sie in der Abendzeitung schwingen, ist
  mir eine recht erfreuliche Erscheinung gewesen. Ich lechze recht nach
  ordentlicher, gediegner Critik in jedem Fache, und sie ist jetzt recht
  selten. In meinem wollte ich lieber einen Terrorismus haben als diese
  wüste Anarchie; ich wollte mich mit Freuden unterordnen und leiten
  lassen, wenn Einer geboren zu leiten und zu herrschen aufstände. Jetzt
  ist man frei wie der Vogel im Walde, aber auch vogelfrei für den Anfall
  jedes Unverständigen.
  Ich hoffe zum Himmel, daß dieser Brief Sie wohl trifft, mein innigst
  verehrter Freund. Vielleicht sind Sie schon nach Töpliz abgereist,
  wovon mir Max geschrieben. Ihrer lieben Familie und der Frau Gräfin
  empfehle ich mich mit herzlicher Anhänglichkeit.
   Ihr
   treuer
   _C. O. Müller_.
  
   VI.
   _Göttingen_, 20.(?) März 1824.
   _Verehrtester Freund!_
  Ich habe Ihnen dreierlei mitzutheilen; daß ich es ganz ohne Umschweif
  und auf eine etwas lakonische Weise thue, werden Sie der Lage, in
  der ich bin, verzeihen, die viel Sünden gegen Freunde und Beschützer
  entschuldigen muß. Erstens die Nachricht von meiner Verlobung mit der
  Tochter von Hugo. Beiläufig gesagt; als Ihre gütige Einladung nach
  Berlin an mich gelangte, hatte diese Leidenschaft grade von allen
  meinen Gedanken Beschlag genommen, und Sie mögen sich daraus eine
  gewisse Indifferenz erklären, mit der ich unter andern Umständen einen
  so höchst annehmlichen Antrag schwerlich aufgenommen haben würde. Ich
  hatte nur einen Entscheidungsgrund; was mich sichrer zur Verbindung
  mit Paulinen führen würde; und dies war, bei des Vaters überaus großer
  Liebe zu seiner Tochter, das Hierbleiben. Das Zweite sind meine Dorier,
  die ich Ihnen als ein kleines Zeichen meiner Erkenntlichkeit und
  Anhänglichkeit sende. Das Dritte -- die Zusage, die Sie wohl auch schon
  durch Thorbecke erhalten haben -- daß ich geneigt und bereit bin, aus
  den besagten Sammlungen den erforderlichen Aufsatz zu concinniren:
  was mir um so leichter werden wird, da ich Solgers Mythologie gehört
  habe und mit seinen Ansichten vertraut bin; ja ich habe immer, bei den
  Creuzer-Hermannschen und andern Streitigkeiten, daran gedacht, daß es
  wohl lohne, das Publicum mit Solgers geistreicher Behandlungsweise der
  Mythologie bekannt zu machen. Erhalte ich die Sammlungen bald, so sende
  ich Ihnen den Aufsatz binnen 2-3 Monaten; schneller werden Sie ihn wohl
  nicht verlangen.
  Mit Verehrung und Ergebenheit
   Ihr
   _C. O. Müller_.
  
   VII.
   30. März 1824.
  Ich hätte Ihnen vielerlei zu schreiben, mein innigst verehrter Freund,
  aber ich kann in der That von dem Vielen zu nichts Einzelnem kommen.
  Die Hauptsache werden Sie schon durch eine Karte erfahren haben, die
  Ihnen hoffentlich vor einigen Wochen abgegeben worden ist; andre
  Neuigkeiten von unserm Göttinger Leben erhalten Sie unendlich besser
  durch unsern besonnenen und ruhigen Freund Thorbecke, als durch einen
  leidenschaftlich Verliebten. Meine Pauline bittet mich, sie Ihnen zu
  empfehlen; ich freue mich darauf, sie bei einer Reise, die wir wohl
  einmal nach Schlesien machen werden, Ihnen und Ihrer liebenswürdigen
  Familie vorstellen zu können.
   Ihr
   treuergebner
   _K. O. Müller_.
  
   VIII.
   18. April 1827.
  Herr _Ampère_ aus Paris, der Ihnen, mein hochverehrter Freund,
  diese Zeilen als eine Empfehlung überbringt, ist ein enthusiastischer
  Freund Deutscher Litteratur, und ein großer Verehrer von Ihnen, der
  es vielleicht auch unternehmen wird, wie er mir sagt, Theile Ihres
  Phantasus der Französischen Welt durch Uebersetzung bekannt zu machen,
  dabei eine aufrichtige und offne Seele, ein heitres und liebenswürdiges
  Gemüth, dessen lebendige Aeußerungen Sie gewiß ergötzen werden. Was ich
  sonst zu schreiben hätte, spare ich lieber auf mündliche Mittheilung
  auf, da ich schon wieder eine Reise nach Schlesien projektire und also
  die Hoffnung habe, Sie und die Ihrigen in diesem Herbst wiederzusehn,
  worauf ich mich sehr freue.
  Mit der wärmsten Anhänglichkeit
   Ihr
   _C. O. Müller_.
  
   IX.
  _Göttingen_, 17. Julius 1833.
  Meine Frau, welche den noch übrigen Theil des Sommers bei den Meinigen
  in Schlesien zubringen will, überreicht Ihnen, hochverehrter Herr, dies
  Briefchen, und zugleich ein Exemplar meiner Eumeniden-Uebersetzung,
  welche eher vor Ihre Augen getreten wäre, wenn ich nicht auf diese
  Gelegenheit mit der Zusendung gewartet hätte.
  Vielleicht geben die beigefügten Abhandlungen, die freilich keineswegs
  sich über das Ganze des alten Theaterwesens erstrecken, Ihnen wieder
  einen kleinen Antrieb und Reiz, Ihre so lange gepflegten Forschungen
  über die alte Bühne und Dramatik wieder vorzunehmen, und dem Publicum
  Manches davon mitzutheilen. Dann könnte sich noch aus dem formlosen
  Aggregat vielartiger Untersuchungen, das ich dem Publicum darbiete,
  etwas wahrhaft Schönes und der Bildung unsrer Zeitgenossen Förderliches
  entwickeln.
  Von unserm Leben hier wird meine Frau, für die es bei ihrem kühnen
  Reiseunternehmen ein rechter Trost ist, wenigstens in der Mitte ihrer
  Tour bei Ihnen und den Ihrigen Rath und Hülfe finden zu können, gern
  bereit sein, Ihnen, so viel Sie davon erfahren mögen, zu erzählen; sie
  wird Ihnen aber schwerlich die treue und warme Anhänglichkeit schildern
  können, womit ich in Erinnerung alter schöner Zeiten mit aller
  Jugendlichkeit des Gemüthes an Ihnen festhalte.
   _K. O. Müller_.
  
  
  =Müller, Wilhelm.=
  
   Geb. am 7. Okt. 1794 in Dessau, gest. daselbst am 30. Sept. 1827.
   Er machte als freiwilliger Jäger die Feldzüge mit, durchreisete
   einige Jahre später Italien, wurde im Jahre 1819 Gymnasiallehrer
   in seiner Vaterstadt, wo er sich mit einer schönen, klugen,
   liebenswerthen Frau (geb. Basedow) vermählte, und als herzoglicher
   Bibliothekar, in der Blüthe seines blüthenreichen Lebens und
   Wirkens starb.
   Hat jemals ein Dichter den Namen „_deutscher Sänger_“
   verdient, so war’s Wilhelm Müller. Wander-Lieder --
   Waldhornisten-Lieder -- Wein-Lieder -- Griechen-Lieder --
   Müller-Lieder! Ach, die _Müllerlieder_! Und da sandte der
   Himmel seinen Franz Schubert, daß er diese Dichtungen in Tönen
   verkläre... Wer die Müller-Lieder von Schubert und Müller in ihrer
   ganzen Schönheit vernahm; wer sie von Stockhausen singen hörte...
   nun, der mag sich freuen, ein Deutscher zu sein; der mag dankbar
   erkennen, was Schubert Großes gethan, was Stockhausen (wenn man so
   sprechen darf), als dritter Dichter daran thut; -- aber vor Allem
   soll er nicht vergessen, ihres _ersten_ Dichters und Schöpfers
   mit voller Liebe zu gedenken; unseres lieben, treuen, deutschen
   _Wilhelm Müller_!
  
   I.
  _Dessau_, 17ten Oktober 1826.
  Bei dem neuen Abdruck meiner ersten Gedichtsammlung erinnerte ich mich
  lebhaft des schönen Nachmittags in Kalckreuths Sommerwohnung an der
  Elbe, wo ich Ihnen, kurz nach unsrer Bekanntschaft, meine Müllerlieder
  vorlas und, von Ihrem Urtheil aufgemuntert, den Entschluß faßte, damit
  in die Welt zu treten. Von diesem Tage an, wie viel verdanke ich Ihnen,
  mein verehrter Freund! Darum nehmen Sie meine Dedikation, die einfach
  ist, wie ich selbst, nicht für eine formelle Redensart, sondern für den
  wahren Ausdruck meiner Dankbarkeit.
  Ich habe von Raumer aus mündlicher Mittheilung erfahren, wie es Ihnen
  geht und was Sie treiben. Das muß mich denn dieses Jahr schadlos
  halten für den aufgegebenen Besuch in Dresden. Ich habe dafür das alte
  schöne Nürnberg kennen gelernt und Göthe _gesehn_, und noch dazu
  ihm Glück gewünscht zu seinem 77ten Geburtstage. Das ist auch etwas,
  das ~quondam meminisse juvabit~. Der alte Herr war wohl auf, gut
  
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