🕥 31-minute read

Briefe an Ludwig Tieck (3/4) - 06

Total number of words is 3980
Total number of unique words is 1623
36.4 of words are in the 2000 most common words
48.5 of words are in the 5000 most common words
55.6 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  empfand und schrieb. Ihrem Urtheile will ich mich gern fügen; denn
  gewiß werden Sie ebenso richtig urtheilen, als Ihr Urtheil, welcher Art
  es sein mag, unumwunden aussprechen. Vielleicht, wenn meine Versuche
  nichts Eigenthümliches beurkunden, wird es mir schwer fallen, alle
  ferneren Ergüsse meiner Seele zu hemmen; das Eine aber gelobe ich
  Ihnen feierlichst, daß ich nie gegen Ihren Rath an Veröffentlichung
  meiner Machwerke denken werde. Verdienten sie jedoch, dem Publikum
  übergeben zu werden, so würde ich ihnen einen wohlberufenen Verleger
  zu verschaffen suchen; denn auch hierin bin ich ängstlich. Mit
  großem Rechte giebt man bei der heutigen Büchersündfluth fast mehr
  auf den Namen des Verlegers, als auf die Titel des Verfassers. Dann,
  geehrtester Herr! würde ich zu so vielen Bitten noch ein neues
  Gesuch hinzufügen: erlauben Sie mir, Ihnen, dem gefeierten und
  von mir geliebtesten Dichter, dem Einzigen unter den Mitlebenden,
  dessen Namen noch an jene für ewig hingeschwundene glänzendere Zeit
  unserer Literatur erinnert -- Ihnen, dem Manne, der sich auch meiner
  freundlich annehmen wird, als ein öffentliches, wenn auch vielleicht
  nur allzuvergängliches Denkmal unvergänglicher Achtung und Liebe jenes
  Bändchen Gedichte zu widmen. -- Doch freilich sind das Träume, deren
  Verwirklichung sehr fraglich, denen sich hinzugeben, sehr gefährlich
  ist. --
  Indem ich jetzt diesen Brief wieder durchlese, tritt es mir recht
  lebhaft vor die Seele, wie sehr Sie erstaunen mögen über dies
  zudringliche, vielleicht langweilige Geschwätz; ja, Sie mögen unwillig
  werden, wenn ich Ihnen eine recht -- recht baldige Beantwortung meines
  Briefes mit gehorsamster Bitte recht dringend an’s Herz lege; aber
  sehen Sie -- darum bitte ich: -- in allen diesen Außergewöhnlichkeiten,
  sogar in diesen Verstößen gegen Sitte und Bescheidenheit nur Merkmale
  der unbegrenzten Hochachtung, Verehrung und Liebe, mit welcher ich
  Ihrer gütigen Theilnahme mich empfehle.
   _R. E. Prutz_.
  
   II.
   _Dresden_, d. 13. Aug. 34.
  Auf einem kleinen Ausfluge in’s sächsische und böhmische Gebirge
  auch Ihr liebliches Dresden berührend, war mein erster Gang in Ihre
  Behausung; denn obwohl Sie, verehrtester Herr! mich auf mein freilich
  sehr andringliches und seltsames Ansuchen noch mit keiner Antwort
  erfreut hatten, hoffte ich dennoch, Ihr freundliches Wohlwollen werde
  mir die Gunst längst ersehnter persönlicher Nähe nicht versagen.
  Leider will der Zufall, daß ich Sie hier nicht finde, und meine Zeit
  gestattet mir keinen längeren Aufenthalt: sehr schnell und sehr ungern
  muß ich diesem kleinen Paradies mein Lebenwohl! sagen. Dennoch kann ich
  nicht umhin, mich mindestens schriftlich neuerdings Ihrer Theilnahme,
  Ihrer freundlichen Geneigtheit zu empfehlen: wohl mögen Sie den Kopf
  schütteln, und ich erröthe ja auch selbst über dies ungeschickte und
  Ihnen wol gar verhaßte Ansuchen; aber gar zu lieblich hatte ich’s
  mir geträumt, die alten Zeiten neu zu machen, und wie jene wackern
  mittelalterlichen Sänger von dem Meister und wo möglich vor dem Meister
  selbst zu lernen. Jene Zeiten sind dahin, und wie so unsäglich vieles
  Schöne auch dies mit ihnen; aber ich weiß nicht, welche Stimme mir
  zuflüstert, daß sie für mich noch wiederkehren, daß Sie, Geehrtester!
  meinem herzlichen Gesuche um Rath, Theilnahme und Belehrung sich nicht
  entziehen werden. Und so hoffe ich denn bald, _recht bald_ (denn
  Sie mögen denken, wie froh und zaghaft ich seit Monaten harre!) einige
  Zeilen von Ihnen zu empfangen. In dieser freundlichen Hoffnung und mit
  der wiederholten Bitte, meinem Anliegen nicht ganz abhold zu sein,
  empfehle ich mich Ihrer gütigen Theilnahme
   ergebenst
   _R. E. Prutz_.
  
   III.
   _Halle_, 13. April 1840.
   _Hochwohlgeborner Herr,
   Hochgeehrtester Herr Hofrath!_
  Nicht ohne einige Besorgniß, durch die lange Benutzung der beifolgenden
  Bücher die außerordentliche Güte, mit welcher Sie mir dieselben
  verstattet, gemißbraucht zu haben, sende ich endlich diese Bücher,
  nämlich:
   Oehlenschlägers Holberg, 4 Bde.
   Holbergs Schr. v. Rahbek, 6 Bde.
   Gherardi’s ~Theâtre Italien~, 6 Bde.
  mit meinem ebenso aufrichtigen, als ergebenen Danke sowohl für das
  unschätzbare Vertrauen, welches Sie mir theilnehmend bewiesen, als für
  die mannigfache Belehrung und Förderung, die mir aus diesen Büchern
  erwachsen ist, zurück.
  Erlauben Sie mir, Hochgeehrtester Herr Hofrath, diesem Danke zugleich
  die aufrichtigsten und innigsten Wünsche für Ihr uns Allen so werthes
  Wohlergehen, sowie die Versicherung der dankbarsten Ergebenheit
  beizufügen, mit welcher ich mich empfehle als
   Ew. Hochwohlgeboren
   ergebenster
   ~Dr.~ _R. E. Prutz_.
  
  
  =Quandt, Johann Gottlieb von.=
  
   Geb. den 9. April 1787 zu Leipzig.
   Als Kunstkenner und kunsthistorischer Schriftsteller hochgeachtet.
   -- Streifereien im Gebiete der Kunst, 3 Th. (1819.) -- Entwurf zu
   einer Geschichte der Kupferstechkunst (1826.) -- Vorträge über
   Aesthetik für bildende Künstler (1844.) -- Leitfaden zur Geschichte
   der Kunst (1852.) -- u. a. m.
  
   I.
   _Leipzig_, 12ten Okt. 1829.
   _Verehrter Herr Hofrath_.
  Hätte nicht schon die innigste Verehrung und Freundschaft mich zu Ihnen
  hingezogen, so würde die Pflicht der Dankbarkeit es von mir unerläßlich
  gefordert haben, nach meiner Rückkehr von Teplitz Sie zu besuchen. Auch
  befand ich mich bereits an Ihrer Thür, erfuhr aber, daß Sie ausgegangen
  waren. Bis ich von Leipzig zurückkomme, kann ich es nicht verzögern
  Ihnen zu sagen, welche große, fast an Beschämung grenzende Freude, Sie
  mir durch Zueignung des dritten Bandes Ihrer Werke verursacht haben.
  Kann wohl etwas wünschenswerther seyn, als daß wir nicht, wie ein
  Schiff auf dem Meere, hinter welchem die Wellen zusammenschlagen
  und die Furche des Kiels verwischen, spurlos vorübergehn? -- Durch
  dieses öffentliche Zeugniß Ihres Wohlwollens haben Sie die Mitwelt mir
  befreundet und mein Andenken für die Nachwelt aufbewahrt und mich ohne
  Mühe und Verdienst, zum berühmten Manne gemacht; also für mich gethan,
  was ich nicht zu erreichen vermocht hätte.
  Dies und noch vieles habe ich Ihnen zu sagen und zu danken. So auch die
  Abschrift des Prologs zum Faust und die Aufführung des Fausts selbst.
  Doch hievon mündlich ein Mehreres und für jetzt nur so viel; daß der
  Prolog als ein Wort zur rechten Zeit und am rechten Orte, nicht nur
  auf die große und schwerfällige Masse des Volks die rechte Wirkung
  belehrend hervorbrachte, sondern auch dem mit Göthe vertrauten und
  begeisterten Verehrer ward das Innigste und Tiefste dieses gewaltigen
  Dichters, mit seiner kräftigen und sonnigen äußern Erscheinung, in
  einer umfassenden Anschauung, vor die Seele geführt. Als ich die Rede
  vernahm, war mir zumuthe, wie es einem großen plastischen Künstler seyn
  muß, denn in mir gestaltete sich Göthes Bild zu einer colosalen Statue.
  Bey einigen Mängeln im Einzelnen, war die Aufführung doch sehr
  gelungen, denn die Hand, welche alle Figuren lenkte und führte, hielt
  das Ganze kräftig zusammen und hielt es empor. Sowohl die Folgsamkeit
  mehrerer Talente als auch der Zuschauer, muß Sie sehr erfreut und für
  große Anstrengungen belohnt haben. Nur der Teufel[3] schien Ihnen nicht
  gefolgt zu haben und trug seinen Pferdefuß zu sehr zur Schau und obwohl
  dieser Geist mich bisweilen störte, so ergriff mich doch das Ganze
  allmächtig und eine solche Wirkung von der Bühne habe ich fast noch nie
  erfahren.
  Immer hat sonst der Faust beym Lesen eine tiefe Schwermuth
  zurückgelassen; so war es aber nicht, nachdem ich die Darstellung
  gesehn hatte.
  Der Mensch ringt und quält sich nur so lange, als ihm noch
  eine Hoffnung bleibt und fügt sich klaglos, ernst und fest der
  Nothwendigkeit. Nun wurde mir es bey der Darstellung recht klar, daß
  Gretchen in Fausts Armen unabänderlich zermalmt, daß sie in diesem
  Riesenkampfe eines Geistes, wie Faust ringt, untergehen muß und darum
  trat auch die Fassung über ihr Schicksal ein. Auch ist es, als wenn
  durch die ungeheuren Leiden, Liebe, Reue, Wahnsinn, in der letzten
  Scene alle Schuld abgebüßt und durch den letzten Schmerzensschrey:
  Heinrich! Heinrich! die Seele alle Qualen ausstieße, und sich von ihnen
  und dem Leben befreyt und gerettet losrisse, wodurch eine Versöhnung
  eintritt, die allen Schmerz hinter sich liegen und keinen übrig läßt.
  Der Faust selbst aber führt eine solche Kraft in und mit sich, daß
  diese auf den Zuschauer überströmt und ihn aufrecht erhält.
  Ueber alles dieses bedarf ich von Ihnen Aufklärung und Belehrung und
  freue mich Sie recht bald zu sprechen. Empfehlen Sie mich unterdeß der
  Frau Gräfin und Ihrer verehrungswürdigen Familie, der ich mit größter
  Hochachtung und Dankbarkeit verbleibe
   Ew. Wohlgeboren
   ganz ergebenster Diener
   _Quandt_.
  Mein guter Wagner, der eben bey mir war und Ihrer mit wahrer Verehrung
  gedenkt, läßt sich Ihnen freundschaftlich empfehlen.
  
   II.
   _Dresden_, 10ten April 1843.
  Da nur die Briefe, welche eine Antwort erfordern, Ihnen unwillkommen
  sind, so darf sich dieser wohl einer gütigen Aufnahme erfreun, weil ich
  damit nichts weiter will, als daß Sie, verehrter Herr Geheimer Rath,
  nur einen Augenblick an mich denken mögen. Auch verlange ich nicht,
  daß Sie das beifolgende Buch lesen. Ich halte als ein eingerosteter
  Legitimer so sehr auf alte, gute Gebräuche, daß ich Ihnen dieses Buch
  aus verjährter Gewohnheit übersende, ohne mir einzubilden, meine
  Schriften könnten Ihnen eine Unterhaltung gewähren. Es ist mir die
  größte Freude, als Zeichen und Tribut wahrster Verehrung Ihnen zu
  überreichen, was ich in den einsamen Winterabenden gesponnen habe.
  Die Recensenten, welche es nun auf die Bleiche bringen und mit Wasser
  begießen, werden nicht fein damit umgehn, zumal mit Stellen, wie die
  Vorrede und ~pag.~ 36-41, 89-93 und 290-291. Wer dem Volke nicht
  schmeichelt, ist jetzt der wahre Freimüthige.
  Da jedermann an Ihnen den lebhaftesten Antheil nimmt, so bin ich über
  Alles unterrichtet und habe mich über das Gute und besonders die
  Wiederherstellung Ihrer Gesundheit herzlich erfreut.
  Mein Leben geht in seiner, ich möchte sagen, bunten Einförmigkeit, halb
  auf dem Lande, halb in der Stadt, so fort, wie Sie es kennen. Bei der
  Academie und den Museen hat sich nichts verschlimmert. Ich wüßte Ihnen
  also nichts Neues zu erzählen.
  Meine Frau und ich empfehlen uns der Gräfin von Finkenstein bestens
  und insbesondere wünscht meine Frau Ihrem Andenken freundschaftlichst
  empfohlen zu seyn, so wie ich mit größter Verehrung verharre
   Ihr
   allerergebenster Diener
   _v. Quandt_.
  
  
  =Rahbek, Knud Lyne.=
  
   Geb. zu Kopenhagen am 18. December 1760, gest. im Jahre 1830.
   Ein fruchtbarer Schriftsteller, der vielerlei litterarische,
   dramatische und andere poetische Werke herausgab -- z. B.
   ~Poetiske Forsoeg~ (Versuche), 2 Bde. (1794-1802) -- obwohl
   ihn seine Landsleute nicht zu Dänemarks _ersten_ Dichtern
   zählen.
   Er docirte in verschiedenen Epochen von 1798 bis 1825 Aesthetik und
   Geschichte, als Professor an der Kopenhagener Universität und am
   Christians-Institut. Dazwischen durchreiste er mehrfach Deutschland
   und Frankreich, mit besonderer Berücksichtigung litterarischer
   und theatralischer Zustände, sammelte vielseitige Erfahrungen,
   und wurde nach seiner Heimkehr Mitglied der Theater-Commission,
   so wie auch Vorstand einer durch ihn ins Leben gerufenen, von der
   Regierung gegründeten Theaterschule, die er zehn Jahre hindurch
   geleitet hat.
  
   _Hamburg_, am 2ten Jan. 1823.
  Ich ergreife die Gelegenheit, da mein Freund und Collega, der Herr
  Prof. Bang -- Freund und Verwandter unseres Freundes Steffens --
  nach Dresden geht, um eine alte Schuld abzutragen, und Ihnen meinen
  innigen Dank abzustatten, für die liberale Herzlichkeit, womit Sie
  sich von Zeit zu Zeit so vieler meiner theuren hingeschiedenen
  Zeitgenossen und Freunde annehmen, gegen die.. (_unlesbar_) des
  jetzigen Zeitgeistes. Wahr ist es, wir mögen uns zu unserer Zeit
  wohl ein Bischen übergeschätzt, wenigstens übergelobt (sagt man so,
  _könnte_ man doch so sagen! würde mein Schwager Oehlenschläger
  hinzufügen) haben; wie es denn nun wohl überhaupt eine etwas
  überhöfliche Zeit war. Daß man aber in späteren Zeiten manchmal das
  Kind mit dem Bade verschüttet, das haben Sie jetzt bei so mancher
  Veranlassung, besonders in der Abendzeitung, so deutlich bewiesen,
  daß mir, dem das Andenken seiner Hingeschiedenen über Alles werth
  und theuer ist, das Herz dabei aufgegangen, und daß ich mich seit
  Monaten mit dem Gedanken herumgetragen haben, Ihnen schriftlich Dank
  auszusprechen im Namen meiner Schröder, Fleck, Iffland, Jünger und so
  vieler der Meinigen; besonders da der freundliche Gruß, den Professor
  Rosenvinge mir vor zwei Jahren von Ihnen brachte, mir die Freude
  gewährt, daß Sie meiner mit Güte gedenken.
  Ich werde Ihnen meinen Freund Bang nicht empfehlen, denn die
  Empfehlung, die er in seinem gebildeten und feinen Geiste, in seinem
  hellen Kopfe, in seinen mannigfaltigen Kenntnissen, und in seinem
  liebenswerthen Charakter allenthalben mitbringt, macht ihm jede andere
  Empfehlung überflüssig.
  Eine andere Neuigkeit, die Sie als einen gerechten Schätzer unseres
  trefflichen Holberg interessiren wird, kann ich mir nicht versagen
  Ihnen zu melden: daß ich, durch eine Notiz in einem sehr gut gewählten,
  in Copenhagen erschienenen Handbuch der deutschen poet. Litteratur
  (von dem dasigen Professor F. C. Meyer) bewogen, Ihren alten Gryphius
  durchgegangen bin, und mich -- gegen meine vorhergehegte Meinung --
  überzeugt habe, daß Holberg nicht bloß manche Idee seines „Bramarbas,“
  sondern auch die ~prima stamina~ mehrerer Stücke und Scenen dem
  ~Horribili scribifax~ verdanke. Ich habe in einem Aufsatze meines
  Journales Hesperus diese Entdeckung dem dänischen Publiko mitgetheilt.
  Wenn es Sie interessiren sollte diesen Aufsatz, so wie auch eine
  eigene Schrift, die ich über Holberg im Geschmack der „~Etudes sur
  Molière~“ geschrieben, zu kennen, bitte ich Sie es mir durch
  meinen Freund B. wissen zu lassen, und ich werde die erste Gelegenheit
  ergreifen, die sich darbietet sie zu übersenden.
  Genehmigen Sie die Versicherung meiner innigsten Hochachtung, und
  entschuldigen Sie wenn dieser Brief gar zu viele Spuren einer
  undeutschen Feder an sich tragen sollte.
   Erkenntlichst und ergebenst
   _K. L. Rahbek_.
  
  
  =Rake.=
  
   Professor an der Universität zu Breslau; ein schlichter,
   anspruchsloser Gelehrter, von dessen Leben und wissenschaftlichem
   Wirken wir nichts Näheres beizubringen vermögen. Sein Schreiben
   soll nur als historisches Dokument hier stehen, und findet sich
   noch eine Beziehung darauf in einem der Steffens’schen Briefe.
  
   _Breslau_, d. 13ten Februar 1816.
   _Wohlgeborner
   Hochgelehrter Herr Doctor,
   Hochzuehrender Herr!_
  Ew. Wohlgeboren habe ich das Vergnügen bekannt zu machen, daß die
  philosophische Facultät der Universität zu Breslau bey Gelegenheit der
  Feier des Friedensfestes Ihnen die philosophische Doctor-Würde ertheilt
  hat. Es ist mir eine sehr angenehme Pflicht, bey diesem ehrenvollen
  Geschäfte das Organ der Facultät zu seyn. Indem ich Ew. Wohlgeboren
  hiermit das Doctor-Diplom übersende, bitte ich Sie, dasselbe als einen
  Beweis der Hochachtung anzusehen, welche die philosophische Facultät
  einem Manne von so ausgezeichneten litterarischen Verdiensten mit dem
  größten Vergnügen öffentlich zu erkennen giebt.
  Genehmigen Sie die Versicherung der vollkommensten Hochachtung, mit
  welcher ich die Ehre habe zu seyn
   Ew. Wohlgeboren
   ergebenster Diener
   _Rake_
   z. Z. Decan
   der philosophischen Facultät
   der Universität zu Breslau.
  
  
  =Raßmann, Christian Friedrich.=
  
   Geb. den 3. Mai 1772, gestorben den 9. April 1831.
   Die von ihm verfaßten Schriften sind sehr zahlreich. Meistentheils
   sind es Sammelwerke verschiedenartigsten Inhaltes, die Umsicht,
   Kenntniß und gewissenhaften Fleiß an den Tag legen.
   Handwörterbuch verstorbener deutscher Dichter von 1137 bis 1824
   -- Kurzgefaßtes Lexikon deutscher pseudonymer Schriftsteller --
   Sonette der Deutschen -- Triolette -- Pantheon der Tonkünstler --
   und viele andere. -- Auch Mancherlei eigene Poesieen. --
   Er war gewissermaßen ein Vorläufer solcher hochverdienter Männer
   wie z. B. _Gödeke_; und wenn seine vielfach beschränkten und
   mangelhaften Bestrebungen auch nicht im Entferntesten hinanreichen
   an dessen immense Leistungen, so muß man ihm doch, seine Zeit und
   hauptsächlich seine gedrückten Verhältnisse im Auge, zugestehen,
   daß er tüchtig, redlich, unverdrossen gearbeitet hat, während er
   leider oft mit dem Hunger kämpfte. Er war der Sohn des gräflichen
   Stollberg’schen Bibliothekars in Wernigerode, wurde nach
   zurückgelegten Universitätsjahren Lehrer an der Marienschule zu
   Halberstadt, und gab diese, allerdings dürftige Stellung auf, um in
   seiner Vaterstadt von der _Schriftstellerei_ zu leben, -- die
   ihm dann, wie ach! so vielen ihrer Jünger, das Nöthigste versagte.
   Er kam aus Noth und Mangel nicht heraus. Uns sind Fälle bekannt,
   wo er ihm unentbehrliche schriftliche Zusendungen uneröffnet
   zurückgeben lassen mußte, weil er -- die paar Groschen Postgeld
   nicht aufzutreiben vermochte.
   Leidend und niedergebeugt wehrte er sich, so weit er konnte, durch
   rege Thätigkeit bis an’s Ende, und verfiel niemals -- wie so
   mancher seiner Mitbrüder -- auf das verächtliche Auskunftsmittel,
   seine Feder in Gift zu tauchen, damit Furcht, Eitelkeit oder
   Bosheit sie erkaufen möchten.
   Deshalb bleibe das Andenken des armen Mannes in Ehren!
  
  Sestine.
   Wer säumt, die herbe Schlehe hinzugeben,
   Wird ihm die süße Traube dargeboten?
   So tauschen heißt fürwahr, ein Fest begehen. --
   Auch mir ist solch ein schönes Loos gefallen:
   Drum laß’ ich jetzt die Lust, die nektarreiche,
   Durch der Sestine Echopforten ziehen.
   Wohl manches Jahr sah ich vorüberziehen,
   Seit ich antiker Dichtung mich ergeben!
   Nur Hellas Rhythmus konnte mir gefallen,
   Der Mythen Sprache, ha! die bilderreiche;
   Mit Sprea’s Schwan, der mir den Gruß geboten,
   Mocht’ ich so gern im Tempel mich ergehen.
   Doch endlich sollte diese Nacht vergehen,
   Herauf ein helles Morgenroth mir ziehen,
   Vom Auge sollten mir die Schuppen fallen,
   Des argen Wahnes sollt’ ich mich begeben,
   Daß Poesie die höchste Stuf’ erreiche,
   Wenn Griechheit drin die Kräfte aufgeboten.
   Dich sah ich, Tieck, den leichtbeschwingten Boten
   Aus Südens Zone, der Romantik Reiche,
   Im blüthenvollen Frühlingswalde gehen:
   Da lag mir das _Antike_ schnell zerfallen!
   Mit Dir, mit Dir mußt’ ich den Wald durchziehen,
   Und Deines Liedes Zauber mich ergeben.
   O, könnt’ ich halb den Ton nur wiedergeben,
   Den Ton, geschaffen, tief ins Herz zu gehen,
   Den Du im „Octavianus“ ließest fallen!
   Der Märchenwelt, der herrisch Du geboten,
   O könnt’ ich meine Muse ihr erziehen,
   Aufschließen Wunder in dem Wunderreiche!
   Umsonst! ich bin nicht mehr der Jugendreiche,
   Dem Irrlicht hab’ ich meinen Lenz gegeben!
   Die Furche naht, die Stirn mir zu beziehen,
   Die Locke will zur Bleichung übergehen.
   Dir nachzujagen ist mir drum verboten;
   Mein Schloß der Phantasie steht fast verfallen.
   So oft des Lenzes Boten aber ziehen,
   Und Blüthen fallen, will zum Wald’ ich gehen,
   Und Deine reiche Dichtung neu mir geben.
   _Friedrich Raßmann_.
  
  
  =Raumer, Karl v.=
  
   Geb. am 9. April 1783 zu Wörlitz; zur Zeit der bekannten
   Turnstreitigkeiten Professor in Breslau; seit 1827 an der
   Universität in Erlangen; gelehrter und berühmter Verfasser
   zahlreicher geognostischer und geographischer Werke; auch einer
   Geschichte der Pädagogik, 3 Bde. (2 Aufl. 1846-52.)
   Da wir leider keinen Brief seines Bruders _Friedrich_ mehr
   vorfanden, weil diesem vertrautesten Freunde Tiecks sämmtliche
   Blätter von seiner Handschrift geziert zu eigner Verwendung
   zurückgestellt wurden, so wären an und für sich diese beiden
   Schreiben des Herrn Prof. _Karl_ von Raumer schon höchst
   willkommen gewesen, damit solch’ hochgeachteter Name in der
   Sammlung nicht fehle. Doppelter Gewinn ist es nun, daß die
   Zuschrift von 1832 durch ihren tiefen Gehalt unschätzbaren Werth
   besitzt, und zu einem der anziehendsten Stücke im bunten Gemisch so
   verschiedenartiger Expektorationen wird.
   Für diejenigen, welche den Familienverhältnissen fremd blieben, sei
   noch erwähnt, daß Frau von Raumer, eine Tochter Reichardt’s, die
   Schwester der verstorbenen Johanna Steffens, und daß Ludwig Tiecks
   Gemahlin ihrer Mutter Schwester war.
  
   I.
   _Erlangen_ d. 26ten Obr. 1832.
  Liebster T., was mußt Du und die gute Tante von mir denken, daß ich
  schon mehrere Wochen zu Hause bin, ohne ein freundliches Wort über
  Eure so überaus freundliche Aufnahme zu schreiben. Doch denke ich, Ihr
  müßt mirs angemerkt haben, wie mir bei Euch so wohl war, da ich, nach
  dem überaus unruhigen Leben in Berlin, wieder allmählig still wurde. --
  Ja danke Dir, liebster T., daß Du mir so viel Zeit schenktest; mögen
  wir auch über manches verschieden denken, ich fühlte doch, daß ich
  mit Dir getrost und friedlich auch über die Differenzpunkte sprechen
  könnte. Ja ich fühle eine Sehnsucht, den Gedankenstrich auszufüllen,
  den wir am ernsten Schluß eines Abendgesprächs machten -- und welcher
  Schluß ist denn wohl ganz geschlossen? welcher ist nicht der Prolog
  eines spätern Stücks! -- Ich schreibe nun freilich so spät, weil ich
  hier viele Geschäfte vorfand, weil eine vortreffliche Frau aus unserer
  Bekanntschaft starb -- doch der wahre Grund ist, daß ich immer damit
  umgieng, durch einen langen Brief jenen Gedankenstrich zu ersetzen,
  dazu kam ich aber nicht und komme ich auch jetzt nicht.
  Ich kenne Dich und Deine Werke nun schon seit 30 Jahren, und darf
  sagen: ich kenne Dich nicht wie ein kühler Leser, sondern ich habe Dich
  innig lieb gewonnen. Deine Dichtungen haben in mein Leben eingegriffen
  und mich selbst auf die einsamsten Gebirgsreisen begleitet. Deine
  Vorlesung des Alten vom Berge war recht geeignet Alles zur Sprache zu
  bringen, was ich zu besprechen auf dem Herzen hatte: den Zauber der
  Natur, die Gewalt der Sünde, den Scheideweg zur Verzweiflung oder zur
  Gnade. Du hast so tief in den schauderhaften Abgrund des menschlichen
  Daseyns geblickt.
   Wohl dem den tief die heilgen Schmerzen trafen,
   Die tief im Weltall schlafen.
  Der Schmerz über das verlorene Paradies erweckt die Sehnsucht nach
  dem neuen, nach dem Erlöser. -- Immer muß ich Dich wieder fragen,
  warum müssen kraft _Deiner_ Prädestination so viele Kinder Deines
  Geistes verloren gehn -- Tannhäuser, Ekbert, Walter, Christian, der
  Alte vom Berge &c. Warum hast Du nicht -- Gott ähnlich -- _keinen_
  Gefallen am Tode des Sünders, sondern willst daß er lebe? Ich kann
  der Berufung auf die innere Nothwendigkeit des Individuums nicht
  beipflichten. Kannst Du mit Gewißheit von einem lebenden Menschen
  sagen: er falle der Hölle anheim!? Wer ergründet die Kraft der Gnade,
  die sich (scheinbar inconsequent) des Schächers am Kreuze erbarmte,
  wer begreift die Intensität der Sterbestunde, welche viele lange matte
  Jahre aufwiegt. Ja die Gnade, welche blutrothe Sünde schneeweiß macht,
  spottet alles poetischen Calculs der Consequenz, auch der Dichter
  kann von seinen Menschen nicht sagen: sie seyen verdammt. Winchester
  auf dem Sterbebette ist eine furchtbare Ausnahme -- das Tragischste,
  was ich kenne, denn da spielt das Stück über den 5ten Act hinüber
  in die Ewigkeit. Hiernach dürfte nach christlichen Principien der
  Aesthetik entschieden werden, was Tragödie und tragisch sey. (~Divina
  Comedia~ dagegen.)
  Ich vergas auch mit Dir über Deine „Verlobten“ zu sprechen, oder
  verschob es auch mit, besorgt Du möchtest mich selbst zu den Pietisten
  rechnen. Ich meine die _falschen_ Pietisten kommen bei Dir viel zu
  gut weg, die aufrichtigen Christen aber schon dadurch schlimm, daß sie
  vom Publicum (wie ichs erfahren) mit jenen falschen Deiner Verlobten in
  eine Klasse gestellt werden. Gegen eine solche Interpretation diente
  eine getreue Charakterschilderung eines ehrlichen Christenmenschen als
  die beste Widerlegung. --
  Das Wichtigste worüber ich mit Dir sprechen möchte, bleibt der
  Gegensatz von Natur zu Gnade, Geburt und Wiedergeburt. (Joh. 3.
  Nikodemus.) Der Teufel macht uns weiß, daß mit dem Absterben des alten
  Menschen die schönsten Gottesgaben verloren giengen -- als wenn Sonne
  und Mond und Sterne für den verloren giengen, der sich von Anbetung
  derselben zur Anbetung Gottes wendet. Im Gegentheil wird durch Christus
  die Naturgabe verklärt, geheiligt ja unsterblich -- während auch die
  größte Gabe, ohne solche Wiedergeburt, wie eine Blume des Feldes blüht
  und verwelkt. Geister wie Seb. Bach, Kepler, Eyk &c. trösten am besten
  und zeigen den Weg. --
  Doch genug mein liebster T., nimm dies als eine flüchtige Andeutung
  dessen, worüber ich eben gern gesprochen hätte. Du bist zu tief, als
  daß Du Dich selbst mit dem Trost des oberflächlichen Volks beruhigen
  und befriedigen könntest -- auch helfen die Scherze, wie die gegen das
  Ende des Alten vom Berge nicht. Als die alte Schütz im Sarge lag, kam
  die Hendel Schütz zum Alten, und sagte ihm: er solle doch die Leiche
  noch einmal sehen. Sie hatte das Todtengesicht geschminkt! Der Alte
  sagte: der Anblick versetze ihn in seine Jugend zurück. Bald darauf
  meldete der Todtengräber: er könne es vor Gestank der ins Gewölbe
  beigesetzten Leiche nicht aushalten, und die Alte mußte nachträglich
  unter die Erde wandern. --
  Soll ich mit der scheuslichen Geschichte schließen? -- lieber ganz
  getrost mit 1 Corinther 15. -- Die herzlichsten Grüße der lieben Tante,
  der Dor., der verehrten Gräfin. Auch an St. der mir so freundlich
  entgegenkam viele Grüße. Den besten Dank noch für den trefflichen Wein,
  welcher mich Nachts besonders erquickte.
   Leb recht wohl.
   Dein _K. Raumer_.
  
   II.
   _Erlangen_ d. 27ten Aug. 1840.
   _Liebster Tieck_,
  Herr Durand ~Stud. Theol.~ aus Lausanne reist von hier über Wien
  nach Dresden und wünscht sehr Dich kennen zu lernen. Er ist ein
  lieber Mensch, der unter A. mit französischem Feuer die Volkslieder
  seines Vaterlandes zur Guitarre singt. Auch soll er improvisiren; ein
  deutscher Freund in Lausanne empfahl ihn mir als einen Troubadour, was
  ich nicht wiederhole, um durch die Empfehlung nicht zu schaden. -- Wir
  hören so gar nichts mehr von Dir und Deinem Hause. Mein Bruder ist
  auch so schreibfaul, daß ich wohl seit ½ Jahre keinen Brief erhielt
  und wir ganz abgeschnitten von unsrer Familie sind. -- Sonst geht
  es uns gut, nur leidet Rikchen etwas an den Augen. Mein Rudolph ist
  Privatdocent und liest nächstes Semester Nibelungen, im jetzigen hat
  er eine Geschichte der deutschen Gramm. vorangeschickt. Hans studirt
  (im letzten Jahre). Dorothee will ich morgen besuchen, sie ist wohl wie
  meine übrigen 3 Mädchen.
  Reisest Du gar nicht mehr? Kommst Du mit den lieben Cousinen nicht noch
  einmal nach Er., Deinen alten Lehrer Mehmel findest Du nicht mehr, er
  starb im 80sten Jahre an demselben Tage mit dem Könige von Preußen.
  Vielleicht besuche ich Dich im künftigen Jahre, ich sehne mich recht
  darnach.
  Rikchen grüßt mit mir Euch aufs Herzlichste.
   Dein _Raumer_.
  
  
  =Recke, Elisa von der.=
  
   Geboren zu Schönburg in Kurland am 20. Mai 1754, gestorben zu
  
You have read 1 text from German literature.