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Briefe an Ludwig Tieck (4/4) - 11

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  Trifft es sich, wie es natürlich geht, daß wir unter den Neuern
  Lieblinge antreffen, und uns irgend einen großen Dichter der neuern
  Zeit befreunden, so werden dadurch leicht die größten Schönheiten des
  Alterthums auf gewisse Weise verdunkelt, so daß uns erst späterhin
  wieder der Sinn für diese aufgeht. Dazu kommt, daß die einfache,
  rührende Größe des Alterthums erst recht einleuchtet, wenn wir vieles
  in uns überwunden, durchlebt, Irrthümer erfahren und abgelegt haben.
  Warum soll denn auch die Jugend das Interessante, Blendende, Sonderbare
  nicht vorziehen dürfen? Doch laß Dich, mein Lieber, ja nicht in Deiner
  Verehrung für den Cervantes irre machen, so ist es nicht gemeint, und
  ich wünschte nur, Du könntest diesen großen Meister erst Spanisch
  lesen, um ihn noch mehr zu verehren; studire nur recht den Shakspeare
  und Goethe, und wohin Dich Deine Neigung führt, die bei Deinem wahrhaft
  poetischen Gemüthe gewiß nichts Abgeschmacktes oder Unedles ergreifen
  wird. Es kann ja auch sein, daß in Dir selber ein zukünftiger Dichter
  schläft, und jemehr dies der Fall ist, je bestimmter und einseitiger
  wirst Du vieles von Dir zurückstoßen und Dir andres gewaltsam aneignen:
  die Universalität sollen wir in der Jugend, und vielleicht nie, haben;
  ein frühzeitiges Streben danach erstickt Talent und Urtheil, und viele
  neuere Schulen, die neben der Sprachgelehrsamkeit auch ästhetisch
  hierin haben verfahren wollen, sind auf dem allerfalschesten Wege
  gewesen. Alles, was ich aber hier gesagt habe, kann sich überhaupt
  kaum auf die Römer beziehn, und ich theile hierüber nur Deine Gefühle,
  denn genau zu sprechen, haben sie wohl keine Dichtkunst, wie keine
  Kunst besessen; Herrschen, Reden, Geschichte schreiben, Krieg führen,
  dies waren ihre Talente. Was sie an Poesie aufzuweisen haben (wenn
  nicht das Alte, Einheimische untergegangen ist) ist auch nie national
  geworden, wie bei den Griechen: was ist Plautus und Terenz anders, als
  Uebertragung und Verderbung griechischer Vorbilder? Wie mögen die Verse
  der griechischen Lyriker anders ausgesehen haben, als wir sie beim
  Horaz wieder finden? Da, wo wir ihm auf der Spur sind, sehn wir den
  Unterschied nur gar zu deutlich. Der originellste Dichter der Römer
  ist nach meiner Meinung Ovid, nur ist er oft gering und klein; Catull
  ist mir sehr lieb, und im Horaz seh ich den feinen, edlen Weltmann,
  mich erheitert die Urbanität seiner Gesinnungen und mich reizt die
  Eleganz seines Ausdrucks, aber wenn ich an große, an wahre Dichter
  denke, ist er der Letzte, der mir in’s Gedächtniß kommt. Darum sind
  auch seine Satyren eigentlich nur das Werk, von dem man als einem recht
  eigenthümlichen sprechen kann. Welchen falschen Einfluß sein lustiger
  Brief ~ad Pisones~, den man ~ars poetica~ hat nennen wollen,
  auf die Bildung der neuern Welt gehabt hat, wird Dir wohl noch einmal
  in Zukunft recht deutlich werden. Kann es eine unglücklichere Aufgabe
  für einen Poeten geben, als überhaupt die Art des Landbaus beschreiben
  zu wollen und zu lehren, oder gar wie es Virgil gethan hat? Das sind
  die Gedichte, die nur entstehn können, wenn ein Volk Luxus genug hat,
  um auch Dichter haben zu wollen, mißverstandenen Stolz genug, daß sie
  lehrreich sein, und Verirrung aller Begriffe, Mangel an Kunst und
  Enthusiasmus, daß sie sich mit gezwungener Künstlichkeit auf etwas
  beziehen sollen. Wie sieht dagegen das unschuldige, aus dem Gemüth
  geschriebene, aber freilich auch unpoetische alte Spruchgedicht des
  Hesiodus aus! Ueberhaupt, Lieber, mache Dich nur mit frischem Muth an
  die Griechen, und ich bin fest überzeugt, daß sie Dir einleuchten und
  Dich begeistern werden, ohne daß deshalb Deiner zärtlichen Liebe für
  die Neuern Eintrag geschieht.
  Wie Du den Homer liebst, weiß ich; auswendig muß man ihn wissen, er ist
  kein Dichter mehr, er ist Natur, Menschheit und Kunst selbst; kannst
  Du zum Aeschylos und Sophocles gelangen, so studire sie, und auch
  nachher den Pindar. Euripides ist eine höchst merkwürdige Zerbrechung
  griechischer Kunstvollendung und mir darum sehr lieb und wahr, weil
  er mir manche große Erscheinung der Neuern erklären hilft. Gegenüber
  die großen Prosaiker Herodot, Thucydides und dann Plato, Aristoteles,
  welche Namen! Der Theocrit wird Dir gewiß zusagen, um so weniger Dir
  Geßner gefällt. Livius, Tacitus, alle Geschichtschreiber der Römer
  studire fleißig und die lateinischen Dichter der Sprache, weniger des
  Inhalts wegen. Die Philologie ist überhaupt eine Wissenschaft, in
  der sich alles in einem herrlichen Zirkel vereinigt, und selbst das
  Unbedeutende wichtig wird, weil es erklärt, etwas Wichtiges erhellt,
  und so durch das ganze Studium Ein Leben geht. -- Erhalte Dich nur
  gesund, halte gute Diät, bewege Dich im Freien, wenn das mildere Wetter
  eintritt. Will Dich Melankolie überschleichen, so gedenke an den
  Wechsel aller Dinge, den Untergang der Staaten und Herrscher, und übe
  Dich, auch das Größte und Ernsteste im komischen Lichte zu sehen. --
  Vielleicht findet sich im Frühjahr Gelegenheit, daß Du uns besuchst,
  ich möchte noch mündlich über vielerlei Gegenstände mit Dir sprechen:
  in Prag warst Du heiter, sei immer so; damals war die Lage der Welt
  gewiß trostlos und Deine eigene nicht erfreulich zu nennen. --
  Ich bin diesen Sommer acht Wochen in Berlin gewesen; die letzten drei
  Wochen war Martins da, ich habe ihn aber nicht gesehen, ob ich ihm
  gleich durch andre sagen ließ, wo ich wohnte. Das hat mir von dem
  jungen Menschen nicht gefallen, gegen den ich doch, wie Du selbst
  gesehen hast, in Prag so freundschaftlich und hülfreich gewesen bin,
  wie ich es nur sein konnte. Ich hoffe, Wilhelm soll in seinem neuen
  Berufe glücklich und zufrieden werden, ich wünsche ihm alles Glück.
  Wenn ich glauben soll, daß Dir dieser lange Brief Freude und nicht
  Verdruß gemacht hat, so antworte mir recht bald. Quäle Dich nur mit
  Deiner Hand; glaube nur, es hat mich auch in Deinen Jahren viel Mühe
  gekostet, deutlich zu schreiben. Dich umarmt
   Dein
   Freund
   _Ludwig Tieck_.
  
   Ludwig Tieck an Waagen.
  II.
   _Ziebingen_, d. 30. März 1815.
   _Lieber Gustav_.
  Nimm meinen herzlichsten Glückwunsch an auf dem Wege zu Deiner neuen
  Bestimmung. Gewiß wirst Du Dir einen neuen Muth zum Leben fassen und
  immer mehr einsehn lernen, daß unser guter Wille eins und alles ist,
  was wir bringen können, um zu erlangen, was wir erstreben. Darum
  wirst Du auch gewiß Deine Aengstlichkeit verlieren und Deine Anlage
  zur Heiterkeit wird sich immer mehr entwickeln. Du findest ja auch
  Freunde in dem Orte Deiner Bestimmung, und ich hoffe, daß die Einlagen
  Dir einigen Nutzen gewähren sollen. Meinst Du, daß ich Dir bei irgend
  wem sonst noch helfen kann, so brauchst Du mir nur einen Wink darüber
  zu geben, um mich bereitwillig zu finden. Vergiß ja niemals, daß die
  Universitäten nicht dazu da sein können, den Gelehrten zu vollenden,
  sondern nur um dem Studirenden den ganzen Apparat, alles Werkzeug,
  alle Handhaben zu geben, damit er in Zukunft ein Gelehrter werde. Denn
  nur zu oft geschieht es, daß ein junger Mann sich abängstigt, wenn er
  sieht, wie viel ihm fehlt, wie vieles so manche seiner Lehrer schon
  besitzen. Er übertreibt oft Arbeit und Anstrengung, um denen gleich
  zu werden. Aber Umsicht soll er gewinnen, sich zurecht finden lernen,
  Ordnung, Zusammenhang begreifen. Die Köpfe, die schon als Studenten
  sich als wahre Gelehrte ankündigen und oft die schönsten Hoffnungen
  erregen, haben nur selten diese Hoffnungen erfüllt. Man stürzt sich
  auch gar zu leicht auf ein einseitiges Studium, gewinnt hier wirklich
  Grund und Boden, und hat es in spätern Jahren dann um so schwerer, den
  Zusammenhang wieder zu finden, den man über einseitiger Anstrengung
  verfehlen mußte. Alle guten Köpfe müssen doch eigentlich Autodidacten
  werden, nur nicht zu früh: Die Universität schlägt uns das Gesammte
  der Wissenschaft wie ein Buch auf, damit wir in so weit uns und die
  Gelehrsamkeit kennen lernen, zu sehen, wohin wir unsre Wünsche richten
  möchten; wir ahnden dann, wo noch Dunkelheit, Lücke ist, die wir
  erhellen oder ausfüllen möchten, sei’s im Einzelnen oder im Ganzen.
  Schreibe mir doch ja von Zeit zu Zeit, und suche im Griechischen weiter
  zu kommen.
  An Raumer findest Du einen reichen und hellen Kopf; Hagen ist sehr
  bewandert im Fach des Altdeutschen. Steffens kennst Du; nur, (unter
  uns gesagt) laß Dich von der Philosophie nicht so reizen, daß sie Dir,
  wie so vielen jungen Leuten, alle Zeit und Kräfte wegnimmt. Denn des
  bösen Einflusses nicht zu gedenken, den eine solche Einseitigkeit auf
  Gesinnung und Charakter meist hat, so vergiß nicht, daß man Philosophie
  immer studiren kann und in reifern Jahren um so besser, daß man aber
  nicht so die versäumten Sprachen, die gründliche Geschichte nachholen
  kann. Doch übe Dich im Denken, weise nichts ab, was Dir Anfangs nicht
  einleuchten will, sei aber wo möglich eben so wenig polemisch gegen,
  wie anbetend und bekehrend für Deine Lehrer gestimmt. Logik besonders
  haben die neuern Philosophen zu sehr vernachlässigt; sie ist die
  Vorschule. Hast Du Dich geübt, so wird Dein Sinn Dich später schon auf
  die Philosophie führen, die Dir die rechte ist, oder Du siehst ein,
  daß Du kein Talent dazu hast. Denker sollen wir alle, aber nicht alle
  Philosophen sein, so wenig wie Violinspieler. Sprachen, Geschichte,
  Alterthümer, und wo möglich alles recht im Zusammenhang, das muß
  Dein Haupt-Augenmerk sein, wenn Du noch die Absicht hast, keines der
  eigentlichen Brodstudien zu erwählen.
  Grüße vorerst Steffens und seine Frau, und Raumers recht herzlich von
  mir, recht bald sollen sie auch einen Brief erhalten. Sei nur froh und
  heiter, und erhalte Dich gesund.
   Dein
   Dich liebender Freund
   _L. Tieck_.
  
   Waagen an Tieck.
  III.
   _Berlin_, den 20ten März 41.
   _Liebster Onkel_.
  Ich bin überzeugt, Du wirst es nicht für Mangel an Theilnahme
  halten, daß ich Dir bisher nicht geschrieben. Jeder hat seine Art zu
  fühlen, und die meinige ist, daß mir in einem solchen Fall, der die
  Natur bis in ihre geheimsten Tiefen durchschüttert, jedes, auch das
  bestgemeinte, das innigste Wort so unbeschreiblich dürftig und arm
  erscheint, daß ich eine gewisse Scheu habe, es auszusprechen. Und
  was konnt’ ich vollends einem Manne wie Dir sagen, der dieses vor so
  vielen andern auf seine Weise durcharbeiten muß! Von der Größe Deines
  Schmerzes konnt ich mir aus dem, den ich empfand und noch empfinde,
  eine Vorstellung machen, denn nach dem Tode des seeligen Vaters hat
  kein Fall mich so erschüttert, als dieser. So muß das Gefühl sein,
  wenn man eine unendlich geliebte Schwester verliert, denn es ist
  mit Dorothee mir ein Wesen hingeschieden, was zu meinen geistigen
  Lebenselementen gehörte und mir durchaus unersetzlich ist. Ich habe
  ihr Todtenopfer auf meine Weise dadurch begangen, daß ich mir alle
  die schönen Zeiten, welche ich in Deinem Hause von frühster Kindheit
  mit ihr erlebt, auf das lebhafteste vergegenwärtigt habe. Ihr ganzes
  Wesen, die wunderbare Einfachheit, Wahrheit und Schlichtheit, womit sie
  sich über die tiefsten und zartesten Beziehungen des Lebens aussprach,
  was ich immer am meisten an ihr bewunderte, ist mir dadurch auf das
  Erquicklichste vor die Seele getreten. Nach einem solchen Verlust
  müßen alle Deine Freunde sich enger und inniger an Dich anschließen,
  und so fühle auch ich denn die reine Liebe, mit der ich Dir von ganzem
  Herzen zugethan bin, liebster Freund, jetzt doppelt lebhaft. Du bist
  mir von Kindesbeinen an mit Rath und That immer ein treuer Eckhart
  gewesen. Es hat mich daher sehr beruhigt, daß Dein Schmerz sich bald
  in Thränen hat Luft machen können. Sehr gefreut hat es mich aber,
  daß Du den Blick in die Zukunft richtest, daß Du durch Umziehen und
  Reisen ein neues Leben beginnen willst. Gewiß die rechte und einzige
  Weise, um einen solchen Schlag in Deinen Jahren zu verwinden, wie die
  Faßung dieser Entschlüße dafür bürgt, daß es Dir gelingen wird. Wie
  unendlich leid thut es mir jetzt, daß die vielen Geschäfte, welche
  der Regierungswechsel im vorigen Jahre mir zu Wege brachte, mich
  verhindert haben, den alten, beglückenden Zustand als ein Glied Deiner
  Familie noch einmal zu genießen! Mit Deinem Herkommen im Laufe dieses
  Sommers, wird dafür ein Lieblingswunsch von mir in Erfüllung gehen.
  Dein Aufenthalt in Sanssouci gestaltet sich jetzt sehr behaglich; an
  dem Dich so sehr verehrenden Willisen wirst Du einen treuen und feinen
  Vermittler in allen Deinen Beziehungen zum König und auch in allen
  Dingen einen höchst practischen Beistand haben. Du kannst Dich ihm mit
  dem unbedingtesten Vertrauen hingeben, da er einer der wenigen Menschen
  ist, die durchaus zuverläßig sind. Wie freue ich mich darauf, Dir bei
  der Schau des Museums alles möglichst bequem zu machen!
  In meinen Arbeiten bin ich seit meiner Rückkunft aus Wien viel gestört
  worden, indeß wird doch der erste Theil meines Reiseberichts, der
  das Erzgebirge, die Städte in Franken, so wie Nördlingen und Augsburg
  umfaßt, in diesem Frühjahr bei Brockhaus gedruckt werden können.
  -- Seit vier Wochen leide ich so sehr an einem heftigen Anfall von
  Hämorrhoiden, daß ich das Zimmer hüten muß und von Schmerzen und
  schmaler Diät ganz matt bin.
  Da außer Dir Schlegel, Schelling, Cornelius und die Grimms diesen
  Sommer hier sein werden, wird hier ein recht lebhafter geistiger
  Verkehr stattfinden. Nur den treuen Raumer wirst Du freilich immer sehr
  vermißen.
  Mit der Bitte der herzlichsten Grüße an die Gräfin, womit auch Blandine
  die ihrigen für Dich und sie vereinigt in treuer Liebe
   Ganz Dein
   _Gustav Waagen_.
  
  IV.
   _Berlin_, 20/2. 41.
   _Verehrtester Herr Hofrath_.
  Unser gnädigster Herr und geliebtester König denkt schon jetzt oft
  mit Freuden an die Zeit, die Sie im nächsten Sommer hier zubringen
  werden. Unter Besonderem, was er davon hofft, sagte er neulich, wolle
  er Sie veranlassen, auf dem Theater im Neuen Palais, also nur vor
  einem kleinen eingeladenen Publikum, die Aufführung eines antiken
  griechischen Trauerspiels ins Werk zu setzen. Wir sprachen natürlich
  mehr von der Schwierigkeit des Unternehmens und ich sagte dann bald,
  daß Sie jeden Falls die Aufgabe wenn nicht besser doch für sich
  selbst angenehmer lösen würden, wenn sie Ihnen jetzt bekannt würde,
  als wenn dies nur unmittelbar geschähe, worauf ich dann die Erlaubniß
  erhielt, Ihnen dieses mitzutheilen. Der König hat sich für keines
  der Stücke entschieden erklärt, nur sagt er, daß er für Oedipus in
  Theben eine große Vorliebe habe. Die Wahl wird aber Ihrem Ermessen
  wesentlich überlassen werden und bleiben. Drei große Fragen sind es
  vornämlich, die sich bei der Lösung der Aufgabe darbieten. Einrichtung
  des Theaters; die Masken; Behandlung der Chöre. Sie haben gewiß über
  alle schon sehr positive und begründete Ansichten und die Vorstellung,
  es erscheinen zu lassen und ins Werk zu richten, wird Sie über Manches
  noch zu weiterm Nachdenken veranlassen. Wenn wir dann einmal bei
  solchen Kuriositäten sind, hoffe ich auf eine echte Vorstellung eines
  Shakespeare’s, ich verspreche mir sehr viel von solcher Vorstellung
  ohne das störende Beiwesen der äußern Pracht.
  Wie sehr ich mich freue, Sie in diesem Sommer eine längere Zeit zu
  sehen, kann ich Ihnen gar nicht sagen; es ist mir darin eine Hoffnung
  nahe gerückt, die ich mit um so mehr Schmerz schon ganz aufgegeben
  hatte, als sie früher zu meinen sehr innig gehegten gehört hatte. Gebe
  nur Gott, daß Ihre Gesundheit und Kräfte Ihnen die Reise erlauben. Vor
  dem Aufenthalt hier brauchen Sie sich nicht zu fürchten, denn es soll
  alles geschehen, um Ihnen alle Bequemlichkeiten, deren Sie bedürfen, zu
  verschaffen.
  Ich bin sehr erfreut, daß dieser Allerhöchste Auftrag mir Gelegenheit
  giebt, die ungemessene Verehrung auszusprechen, mit der ich bin und
  immer sein werde
   Ihr
   ganz gehorsamster Diener
   _v. Willisen_,
   Major und Flügel-Adjutant.
  
  
   =Wackenroder, Wilhelm Heinrich.=
   Geb. zu Berlin 1772, gest. daselbst am 13. Februar 1798.
   Die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797)
   an denen Tieck mitgearbeitet, und der jetzt nicht mehr genauer zu
   bestimmende Antheil, den andrerseits W. am Sternbald gehabt haben
   dürfte, sind Alles was dieser wunderbare Mensch hinterlassen. Wir
   haben deshalb seine Briefe _sämmtlich_ -- mit Weglassung
   weniger kurzer Stellen -- aufgenommen. Wir glauben dies im Sinne
   Derjenigen gethan zu haben, denen überhaupt der Sinn einwohnt
   für das Verständniß solch’ „ahnungsvoller prophetischer Natur.“
   Auf Tiecks Jugend, auf dessen geistige Entwickelung werfen diese
   Documente schwärmerischer Jünglings-Freundschaft manch’ helles
   Licht. Ja, sie scheinen wie die Morgenröthe jener ganzen Epoche
   der Dichtkunst, welche man höhnisch „die romantische“ benennt,
   und die man mit Tieck und Eichendorff glücklich begraben wissen
   wollte. -- Lächerlich! So lange Sterne flimmern, Blumen blühn,
   Vögel singen, Bäche murmeln, Baumblätter säuseln; so lange
   unerklärliche Sehnsucht jugendliche Herzen nach der Welt der Wunder
   zieht; so lange wird die romantische Poesie auf Erden walten. Und
   Wackenroder, der selige Jüngling wird ihr erster, reiner Priester
   bleiben; Er, von dem Rud. Köpke so treffend sagt: „Das Wunder
   schien die Welt zu sein, in der er eigentlich lebte, während das
   Alltägliche für ihn zum Wunder wurde.“
   In diesen wenigen Worten liegt das ganze Geheimniß der wahren
   Poesie.
  
  I.
   _Berlin_, Dienstags. 1792.
  O Himmel, lieber Tieck, wie sonderbar kommts mir vor, daß ich hier
  stehe an meinem Schreibtisch, um an Dich zu schreiben: es ist das erste
  Mal in meinem Leben. Doch, es kann ja nun einmal nicht anders seyn.
  Mein Abschied von Dir war mir herzlich traurig; und die Stelle vor
  Bernhardis Thür, wo das Schicksal uns von einander riß, wird mir
  immer fatal bleiben. Aber schreib mir nur oft, und bleib gesund,
  und schone Deinen Körper und Geist, und arbeite nicht zu viel, und
  vergiß mich auch nicht: -- Das sind die Bedingungen, unter denen ich
  Deine Abwesenheit so eben erträglich finden kann. Du weißt, daß jene
  Ermahnungen aus dem Herzen kommen, und nimmst sie mir daher nicht
  übel. Daß Du mir noch nicht geschrieben, verdenk’ ich Dir nicht; wenn
  Du Dich aber fürs künftige an Dein mir mündlich gethanes Versprechen,
  mir _wenigstens alle 14 Tage_, wo nicht noch öfter, zu schreiben,
  erinnern wolltest, und es erfüllen, so würd’s mir gar herzlich lieb
  seyn. Deinen Brief an Rambach habe ich gelesen, und mich sehr gefreut,
  daß die Reise Dir so gut bekommen, und Du so vergnügt bist. Bleib
  dabey. Mein sehnlichster Wunsch würde erfüllt seyn, wenn ich itzt durch
  irgend eine zauberische Gewalt zu Dir hin versetzt würde, und mit
  Dir des aufblühenden Frühlings in den schönen Feldern Deines Dorfes
  genießen könnte. Du führst da ein herrliches Leben. Die Abschrift vom
  1. Akt der Anna Boleyn hab’ ich auch gesehen. Hast Du noch etwas drin
  geändert? Den eingeschobenen Auftritt vor Norris Monolog hab’ ich
  gefunden. Schmohls und Deine Hand wechselt auf eine kuriose Art ab.
  Einmal hat Schmohl nur ein Paar Worte geschrieben: es ist viel, daß
  _Du_ mehr Geduld hast als er. -- Bey Rambach bin ich ein paarmal
  gewesen. Er gefällt mir sehr. Schon das erstemal war er gleich so
  aufgeschloßen gegen mich, daß er sich für den Verfasser der eisernen
  Maske bekannte. Ich verspreche mir viel Vergnügen von seinem Umgange.
  -- Vor ein paar Tagen bin ich auch mit Bernhardi nach dem Gesundbrunnen
  spaziert. Ich habe mich recht sehr angenehm mit ihm unterhalten. Er
  scheint sehr gern über Musik zu kritisiren und zu ästhetisiren; das
  ist _mein_ Lieblingsobjekt auch; da haben wir denn so mancherley
  gesprochen. Ich sagte ihm von manchen Dingen, was ich wußte: es bleibt
  aber noch immer mein Verlangen, einmal in der praktischen Komposition
  noch weiter zu kommen, dann würd’ ich weit reichere Quellen des
  Räsonnements darüber haben; -- wenn auch nur so weit, daß ich kleine
  Arien, Duetten, Chöre u. s. w. komponiren könnte, -- daß ich Dein
  Lamm nach meinen Schallmeyen und Flöten auf der Bühne springen lassen
  könnte. Aber -- in diesen 14 Tagen habe ich noch zu wenig Zeit gehabt,
  an Dein Lamm, noch an etwas ähnliches mit Ernst zu denken. Wollte der
  Himmel, ich wäre in einer so herrlichen Lage als Du jetzt. -- Mit
  Bernhardi hab’ ich auch einen Satz abgehandelt, den wir auch zuweilen
  wohl in unserm Gespräch berührt haben, und der mir jetzt _sehr_
  einleuchtend ist: daß nämlich der Geschmack größtentheils seinen Grund
  im feinern (schwächern, empfindlichern) Bau und Organisation des
  Körpers habe. -- Von Wißmann hab’ ich Abschied genommen. Daß es ihm
  sehr lieb seyn würde, wenn Du ihm schreibst, ist natürlich. -- Grüße
  Schmohl. -- Schreib mir ja bald und oft: mein 2ter Brief wird wohl nach
  Halle, nicht nach Bülzig gehen. Mein jetziger ist ziemlich kompendiös
  und aphoristisch: künftig mehr. Ich weiß, daß wir beyde uns doch immer
  verstehen, wir mögen uns schreiben, was und wie wir wollen. Nicht wahr?
  Sonst ist es wirklich eine sonderbare Sache ums Briefschreiben. Der
  ihn schreibt und der ihn empfängt, können in hundert verschiedenen
  Stimmungen und Situationen seyn; und wenn beyde dann nicht genau mit
  einander bekannt sind, und der letztere nicht die erforderliche Laune
  hat, so sieht er jedes Wort durch eine gefärbte Brille. Doch dies
  gilt nicht für uns. -- Leb wohl, lieber Tieck! und bleib mein Freund!
  Denn das ist meine höchste Freude, und mein größter Stolz. Daß Du 14
  oder 30 Meilen von mir entfernt bist, darf ich mir gar nicht deutlich
  denken; sonst werd’ ich zu traurig. Suche so viel als möglich vergnügt
  und zufrieden zu leben. Ich werd’s auch. Schreib mir nur oft und bald.
  Hörst Du? recht oft! Bleib gesund.
   Dein Freund
   _W. H. Wackenroder_.
  
  II.
   Sonnabend, Abends, den 5ten May.
   _Liebster Tieck_.
  Dein Brief hat mir unaussprechliches Vergnügen gemacht; ja, er hat
  mich wirklich bis zu Thränen gerührt. Wenn Du weißt, wie weich ich
  bin, wirst Du mir das glauben. Tieck, ich bin entzückt, daß Du mich so
  liebst! Werther sagt ganz himmlisch schön, daß er sich selber anbetete,
  wenn seine Geliebte ihm die Neigung ihres Herzens kund thäte, -- und
  er wiederhohlt sich selbst einmal über das andre die Worte: Lieber
  Werther, in dem Tone wie sie sie ihm ausgesprochen hat.
  O Tieck, ich möchte mich auch selber anbeten, wenn ein Mensch, wie Du,
  dessen Worte mir Orakel sind, mich so mit dem veredelten Bilde meiner
  selbst in Rausch und Taumel versetzt. -- Und wenn ich ja in Deinen
  Augen etwas werth bin, wem hab’ ich es anders zu danken, als Dir? Dir
  verdank’ ich Alles was ich bin, Alles! Was möchte aus mir geworden
  seyn, wenn ich Dich nie kennen gelernt hätte? O Tieck, lies Dir diese
  Worte mit Feuer vor, und sey stolz darauf, daß Du einen Menschen auf
  immer glücklichst machst durch Deine Freundschaft, -- so stolz als ich
  bin, daß Du mich würdigst, mein Freund zu seyn. Bleib es, lieber Tieck,
  bleib’s; Du weißt, daß ich in alle Ewigkeit Dich über alles lieben
  werde.
  Herzlich freue ich mich, daß Du so schön und angenehm jetzt auf
  dem Lande lebst. Ueber Deinem ganzen Briefe schwebt ein so sanfter,
  schöner, heiterer Geist des Frohsinns, den Dir das Ergötzen an den
  Naturschönheiten eingeflößt hat. Suche ja in dieser Stimmung zu
  bleiben, und befolge ja doch selber die Regel, die Du Bernhardi giebst,
  nicht so viel zu sitzen. Möchte übrigens Deine traurige Ahndung
  seinethalber nicht eintreffen. Er ist so freundschaftlich und wirklich
  zärtlich gegen mich, als ich es nur immer erwarten kann, und ich
  werde ihm sehr, sehr gut. Wir sprechen nicht selten von Dir. Gestern
  bin ich mit ihm im Komödienhause gewesen; wo sich eine Mamsell auf
  der Harmonika hören ließ. Er hörte das Instrument zum erstenmal und
  freute sich sehr darüber. Ich hörte es (zum 3tenmal) mit sehr vielem
  Vergnügen. -- Wenn ich in ein Konzert gehe, find’ ich, daß ich immer
  auf zweyerley Art die Musik genieße. Nur die eine Art des Genußes ist
  die wahre: sie besteht in der aufmerksamsten Beobachtung der Töne
  und ihrer Fortschreitung; in der völligen Hingebung der Seele in
  diesen fortreißenden Strom von Empfindungen; in der Entfernung und
  Abgezogenheit von jedem störenden Gedanken und von allen fremdartigen
  sinnlichen Eindrücken. Dieses geizige Einschlürfen der Töne ist mit
  einer gewissen Anstrengung verbunden, die man nicht allzulange aushält.
  Eben daher glaub’ ich behaupten zu können, daß man höchstens eine
  Stunde lang Musik mit Theilnehmung zu empfinden vermöge, und daß daher
  Konzerte und Opern und Operetten, das Maaß der Natur überschreiten.
  Die andre Art wie die Musik mich ergötzt, ist gar kein wahrer Genuß
  derselben, kein passives Aufnehmen des Eindrucks der Töne, sondern
  eine gewisse Thätigkeit des Geistes, die durch die Musik angeregt
  und erhalten wird. Dann höre ich nicht mehr die Empfindung, die in
  dem Stücke herrscht, sondern meine Gedanken und Phantasieen werden
  gleichsam auf den Wellen des Gesanges entführt, und verlieren sich
  oft in entfernte Schlupfwinkel. Es ist sonderbar, daß ich, in diese
  Stimmung versetzt, auch am beßten über Musik als Aesthetiker nachdenken
  kann, wenn ich Musik höre: es scheint, als rissen sich da von den
  Empfindungen, die das Tonstück einflößt, allgemeine Ideen los, die sich
  mir dann schnell und deutlich vor die Seele stellen. -- Wie ich bey
  Schauspielen die Musik zwischen den Akten genieße, habe ich Dir wohl
  schon sonst gesagt. Die erste Symphonie vor dem ersten Akt, höre ich
  immer mit gespanntem Gefühl und inniger Theilnahme an; aber bey allem
  folgenden ist mir das unmöglich, und ich sehe die Zwischenmusik nur als
  eine Leinwand, als ein Tuch an, (dies Bild hab’ ich mir schon immer
  davon gemacht,) worauf ich mir die Scenen des vergangenen Aktes noch
  einmal vormale. Wird die Musik alsdann unterbrochen; so ists, als würde
  mein Gewebe zerrissen, und ich habe nichts, woran ich die Bilder meiner
  Phantasie anheften kann. Hat jeder dies Gefühl?? Ich möchts gern wissen.
   * * * * *
  Rambach hat mir einen Theil einer neuen Ausgabe von Sineds (Denis)
  Liedern geliehen. Die Ausgabe ist in 4ᵗᵒ 1791 in Wien prächtig
  gedruckt, (so wie hier Unger druckt) und enthält in 6 Bänden die
  Uebersetzung Ossians, und die eigenen Gedichte. Ich lese jetzt diese,
  worunter auch seine Uebersetzungen aller nordischer Gedichte, aus der
  Edda u. s. w. mit aufgenommen sind. Er scheint zu denen zu gehören,
  welche gerne die schönen Götter des griechischen Parnaßes mit den
  schlechten Dichtern, deren heisere Stimme ihre Namen entweiht hat,
  in Eine Polterkammer werfen, und die alten nordischen Gottheiten aus
  ihrem langen Schlummer erwecken und auf den Thron der Dichtkunst setzen
  wollen. Aber dies widerstreitet noch immer meinem Gefühl. Daß die
  alten Barden und Skalden der Natur treu auf der Spur folgten, und die
  Empfindung rein und ungeschminkt darstellten, weiß ich. Auch find’ ich
  in manchen von Denis Uebersetzungen, sanfte, wenigstens sich dem sanften
  nähernde Stellen, die den Stempel der Natur an sich tragen. Und daß die
  Eigenthümlichkeit der Bardenlieder, die sie fast alle zu Kriegsliedern
  macht, worin _Tapferkeit_ und Muth im wilden Schlachtengetümmel
  als die erhabensten Männertugenden gepriesen werden, daß dieses ein
  Anstoß für den gebildeten Ton unsers Zeitalters sey, fang’ ich auch
  an, nicht mehr zu glauben. (Denn gern überzeug’ ich mich von Deinem
  Grundsatz: „ein wahrer Dichter macht alles dichterisch-schön!“) Allein,
  -- wird es ein Gewinn seyn, wenn wir die ausgebildete Mythologie des
  edelsten, feurigsten, feinsten Volks, das je die Erde trug, mit dem
  rohen Wuste der Nord. Barbaren vertauschen? Und was ist der Grund?
  Denis will blos darum Barde und Skalde seyn, weil Odin und Thor u.
  s. w. sonst _vaterländische_ Götter waren. Dieser Grund ist mir
  nur sonderbar. Was will man denn in unsern Zeiten mit _dieser_
  Vaterlandsliebe? Doch scheint jetzt eine gewisse Mode hierin zu
  herrschen. Gemeine Schullehrer scheinen wirklich zu glauben, daß
  sie wer weiß wie große Fortschritte in der Pädagogik gemacht haben,
  wenn sie ihren 8jährigen Knaben jetzt die Brandenb. Geschichte,
  
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