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Briefe an Ludwig Tieck (4/4) - 02

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  vergönnt wird, so daß die letztern hierdurch recht wie Erinnerungen
  theils an die gewesene, theils an die noch in der Dunkelheit und
  Zurückgezogenheit wohnende unmittelbare Poesie des Lebens den Leser
  antreten. Von den neuen mir erst jetzt bekannt gewordenen Dichtungen
  sind mir die Elfen und der Pokal ganz vorzüglich lieb, die ich in jeder
  Hinsicht für sehr gelungen halten muß.
  Ich übersende Dir nun auch mein Trauerspiel, den letzten Akt aber
  so, wie ich ihn während des Dichtens niedergeschrieben habe, mit den
  während dessen und beim Ueberlesen gemachten Correkturen, also auch
  vielleicht etwas unleserlich. Du solltest ihn in seinem ersten Wurf
  sehen, und ich wollte Dich erst hören, bevor ich zu Aenderungen und
  Verbeßerungen schritt. Ich glaube im zweiten Akt wird Guiscardo den
  einen Monolog in fünffüßigen Jamben sprechen müssen, auch vielleicht im
  dritten Akt den, wo er nach dem Anselmo auftritt, und dann könnten sie
  wohl auch im ersten Akt beibehalten werden, denn ich bin der Meinung,
  daß sie als Unterbrechung der beständigen Assonanzen doch gut thun.
  Solltest Du den Triumpf der Vorzeit durchgesehen, das nöthige
  angestrichen, auch einiges geändert haben, so hätte ich ihn wohl gern
  bald zurück, um ihn an Fr. Schlegel zu senden. Wenn es Dir also möglich
  ist, so sey so gut ihn mir recht bald zuzusenden.
  Das Buch, die Einsamkeit der Weltüberwinder sende ich Dir noch nicht
  zurück, sondern wünsche es noch einige Zeit zu behalten. Es ist mir so
  erbaulich gewesen, daß ich mich nicht gern davon trenne.
  Wegen Carls Bibliothek habe ich mit Rosa gesprochen. Sie will nochmals
  dessen Brüder fragen, ob sie solche nicht in der Art erhalten können,
  daß sie dereinst dem kleinen Sohne bleibt. Geht dies nicht, so will sie
  einen Catalogus davon dem Staats-Rath Roux nach Berlin senden, mit dem
  Ersuchen, sie ihr denn auch im Ganzen zu verkaufen. Ich habe hierauf
  von meiner Intention noch nichts geäußert: sondern denke es wird gut
  sein, ihr demnächst erst zu sagen, daß man sie für 1000 Thlr. oder weil
  ich zweifle, daß jemand in Berlin so viel dafür bieten wird, für das
  dort geschehene Gebot annehmen wolle. Sage mir Deine Meinung darüber.
  Zeit ist nicht verloren, weil der Verlass noch nicht abgeschlossen
  ist, sondern erst bei der nächsten Anwesenheit des Bürger-Meister
  Cranz vollzogen werden soll, und erst nachdem dies geschehen ist,
  kann sie eine Disposition treffen. Sie wünscht aber den Catalogus zu
  besitzen, um ihn Hrn. Roux zu schicken, und ich bitte daher, ihn mir zu
  übersenden. Wenn Du meinst, so könnte ich ihr vor der Absendung merken
  laßen, ich wolle abwarten, wofür Roux hoffe, die Bibliothek verkaufen
  zu können, und würde sie vielleicht auch nehmen.
  Lebe wohl. Grüße alle.
   Dein
   _Schütz_.
  
  III.
   _Madlitz_, den 22. März 1814.
   _Liebster Freund_.
  Ich bitte Dich einstweilen durch den zurückgehenden Boten diese
  wenigen Zeilen anzunehmen. Dein Brief bestimmt mich, die Reise nach
  Berlin noch auszusetzen. Ich will suchen, das Geschäft, welches meine
  Gegenwart gegen Ende dieses Monats erwünscht macht, durch einen Brief
  oder dadurch abzumachen, daß ich, vielleicht mit einer Gelegenheit
  auf einen Tag hingehe. Es kann sein, daß sich inzwischen das Wetter
  genugsam ändert, um Dir die Reise in den Ostertagen zu erlauben. Mir
  aber wird der Aufschub es vielleicht möglich machen, Dich vorher
  noch in Ziebingen zu sehen; ich denke in der nächsten Woche. Meinen
  letzten kurzen Brief mußt Du mir verzeihen, da eine Gelegenheit nach
  Frankfurth mich drängte. Ich bin ziemlich ununterbrochen bei meinem
  Roman geblieben und denke bald mit dem vierten Buche fertig zu werden.
  Es ist das, welches mir am meisten zu thun machen mußte. Schon bei dem
  ersten Entwurfe fehlte es mir hier gewöhnlich am meisten an Zeit,
  ich mußte viele Lücken in der Hoffnung, es werde sich wohl einmal das
  noch Fehlende ergänzen, offen laßen. Nun aber bin ich noch so wenig
  zufrieden, und denke, wenn noch einige Schwierigkeiten überwunden sind,
  soll es mit dem übrigen rascher gehen. Ich erinnere mich noch, daß ich
  Dir dieses Buch nicht, wohl aber das folgende mitgetheilt habe, weil
  es zu unfertig war. So beschäftigt, habe ich nicht Englisch lesen und
  arbeiten können, sondern nur den Parcival. Es ist ziemlich gegangen.
  Ich faßte bald den Entschluß, ihn zweimal zu lesen, weil ich wahrnahm,
  daß, je mehr ich im Lesen vorrückte, das Verstehen mir leichter wurde.
  Mit dem ersten Lesen bin ich ziemlich zu Ende.
  Theuerster Freund, ich kann Dir nicht sagen, wie ich die Zeit über, daß
  ich wieder hier bin, von den Tagen gezehrt habe, welche ich mit Dir
  zugebracht; mein inneres Leben erhöht sich immer mehr in dem Umgange
  mit Dir. Wie erfreulich mußten mir also Deine Worte sein, welche mir
  sagten, daß mein Genuß und mein Bedürfniß auch die Deinigen gewesen.
  Gewiß eile ich, so viel nur möglich, wieder bei Dir zu sein, und bringe
  dann Deine Bücher mit. Deine Grüße werde ich bestellen, heut konnte ich
  es nicht mehr, da ich Deinen Brief spät erhielt, nachdem ich mich schon
  von der Gesellschaft entfernt hatte. Lebe wohl und glücklich.
   Ganz der Deinige
   _Schütz_.
  
  
   =Schütze, Stephan.=
   Geb. am 1. Nov. 1771 zu Olvenstädt bei Magdeburg, gestorben in
   Weimar am 19. März 1839.
   Gedichte (1810.) -- Eine neue Sammlung Gedichte ernsten und
   scherzhaften Inhalts (1830.) -- Der unsichtbare Prinz, 3 Bde.
   (1812.) -- Humoristische Reisebeschreibungen. -- Versuch einer
   Theorie des Komischen (1818.) -- Von 1814 bis 1836 redigirte er das
   beliebte Taschenbuch, welches den seltsamen Titel: „Der Liebe und
   Freundschaft“ führte, aber sehr hübsche Beiträge, unter anderen
   auch die meisten seiner eigenen Erzählungen enthielt.
   Schütze lebte in Weimar, unseres Wissens ohne Amt, obgleich
   er „Hofrath“ hieß. Seine häusliche Einrichtung war so sauber,
   still und behaglich, wie das nur in kinderloser Ehe möglich
   ist. Freundlich entgegenkommend und umgänglich hatte er dennoch
   den Schelm im Nacken, vertheilte rechts und links kleine Hiebe,
   verschonte sogar den Altmeister nicht, dem er gleichwohl in
   Ehrfurcht anhing. Durch all’ sein Reden, Gebahren und Thun zog
   sich ein ironisch-humoristischer Spott, der aber von übler
   Absicht rein sich zuletzt immer wieder auf die _Theorie_
   des _Komischen_ im Leben richtete, und den Umgang mit ihm
   erheiternd belebte. Hätte man ihn nicht als guten Ehemann gekannt,
   so würde man bisweilen versucht gewesen sein, ihn für einen recht
   eingerosteten Hagestolz zu halten. So z.B. gehörte es zu den
   Junggesellen-artigen Lustbarkeiten, die er vorzog, daß er, mitten
   im Winter, bei schlechtestem Wetter, sich einen geschlossenen
   Lohnwagen miethete, in diesem bis Erfurt fuhr -- etwa um Bekannte
   dort zu besuchen?... mit nichten! Um in einem Gasthofe einzukehren,
   auf seinem Zimmer gut zu diniren und nach vollbrachter That gen
   Weimar heimzukehren. Fand er einen ihm zusagenden Begleiter, so
   nahm er diesen mit. Wo nicht, ei dann fuhr er allein, speisete
   allein, trank allein, kehrte allein zurück. -- Lauter Versuche zur
   Theorie des Komischen!
  
   _Weimar_, d. 7t. Sept. 1838.
  Als ich vor vier Jahren das letztemal in Dresden war, hoffte ich Sie,
  Hochverehrter, wieder einmal zu sprechen, aber ich fand Sie nicht
  gegenwärtig. Daß ich seit der Zeit oft in Gedanken, mit Ihnen mich
  beschäftigt habe, werden Sie wohl ohne ausdrückliche Versicherung
  glauben. Jetzt soll mein Taschenbuch mir Gelegenheit geben, mit
  Ihnen in Berührung zu kommen, und ich bin deshalb so frei gewesen,
  der Willmannschen Verlagshandlung den Auftrag zu ertheilen, es Ihnen
  zu senden. Ich bilde mir nämlich ein, daß eine Erzählung von mir
  darin: _Die beiden Candidaten_ nicht ohne Interesse für Sie sein
  möchte. Ob ich gleich alles auf Natur und Erfahrung gebaut habe, so
  ist doch besonders die Hauptfigur darin: der Herr von Grauenstein
  reine Erfindung. Es giebt in den entlegenen Provinzen unter dem Adel
  närrische Kauze dieser Art, und ich glaube gewiß, daß Sie auch mehrere
  dergleichen gekannt haben. Ich habe ihn zugleich als Repräsentanten
  des materiellen Princips benutzt und bei Abwägung des geistlichen
  und leiblichen in Beziehung auf einen Ausschlag ein klein wenig an
  Goethe gedacht, der, im Leben wenigstens, einer recht tüchtigen
  bürgerlichen Erscheinung gern den Vorzug gab, und auf Augenblicke
  sich von ihr bestechen ließ, auch mündlich öfters in Grundsätzen sich
  dafür aussprach. Es versteht sich, daß ihm dabei das Geistige nicht
  entging, aber es folgte nicht selten erst um ein Paar Schritte später.
  -- Dies alles ist indeß nur Nebenbemerkung. Die Erzählung geht frei
  für sich ihren Gang fort, und sie hat in der Darstellung auf eine
  solche Beziehung keine Rücksicht genommen. -- In der Sprache bin ich
  dem Grundsatze der Natürlichkeit und Einfachheit treu geblieben, mit
  der Ueberzeugung, daß sie um so mehr dem Stoff sich nähert, je mehr
  sie sich immer den Gegenständen selbst anschmiegt, woraus denn die
  Abwechselung in den Tonarten und Stimmungen sich von selbst ergeben
  muß, ohne daß man nöthig hat, wie viele neuere Schriftsteller thun, zur
  lebhaften Erregung der Theilnahme über alles hinaus ein Feuerwerk in
  verschiedenen Farben abzubrennen. Ich denke, daß ich hiermit nur Ihren
  eigenen Weg verfolge.
  Mündlich ließe sich noch mehr, und wohl recht viel darüber sprechen; da
  mir aber das Glück einer solchen Unterhaltung mit Ihnen versagt ist,
  und eine schriftliche Mittheilung doch nur dürftig bleibt, so schließe
  ich lieber diese Zeilen, indem ich mich dem sehnlichen Wunsche und der
  Hoffnung überlasse, von Ihnen bald vielleicht manches Belehrende und
  Ermunternde vernehmen zu dürfen.
  Auf jeden Fall mich somit Ihrem geneigten Andenken empfehlend verbleibe
  ich mit alttreuer Hochachtung
   Ihr
   ergebenster
   _St. Schütze_.
  
  
   =Schulze, Friedrich August.=
   Geb. am 1. Juni 1770 zu Dresden, gestorben daselbst am 4. Sept.
   1849.
   Im Jahre 1800 ist sein erster Roman: „Der Mann auf Freiersfüßen“
   erschienen, und von jener Zeit an hat _Fr. Laun_ (wie er sich
   nannte) unter den beliebten Erzählern einen der ehrenvollsten
   Plätze behauptet. Ihm war die seltene Gabe verliehen, neben dem
   Beifall der großen, oft oberflächlichen Lesewelt, die er zu fesseln
   verstand, auch den Antheil und die Achtung strengerer Beurtheiler
   zu gewinnen, und sich fortdauernd zu erhalten. Den besten Beweis
   dafür liefert die (1843) veranstaltete Ausgabe seiner „Gesammelten
   Schriften,“ welche Ludw. Tieck mit einem Prologe begleitete.
   Daß Laun auch anderweitig wirksam gewesen für die höheren
   Interessen der Poesie, geht aus einer Stelle des zweiten Briefes
   hervor, die von der Fortsetzung des Goethe’schen Faust handelnd,
   beherzigenswerthe Worte ausspricht.
  
  I.
   _Dresden_, den 11. Oktober 1842.
   _Innigstverehrter!_
  Die vor einigen Wochen verlautete Nachricht Ihres plözlichen
  Krankheitsanfalls betrübte mich allzusehr, als daß ich mich enthalten
  könnte, Ihnen selbst meine Freude darüber auszusprechen, nun das
  Uebel, nach der Versicherung der Frau Prof. Solger, so gut wie völlig
  gehoben erscheint. Professor Hübner, mit dem ich bald darauf zufällig
  zusammenkam, eröffnete mir sein Bedauern des Sie betroffenen Unfalls
  und freuete sich mit mir, wie ich ihm die neuere, so erwünschte Notiz
  mittheilen konnte.
  Schwerlich werden Sie sich noch eines Gesprächs aus dem
  letztvergangenen Winter entsinnen, wo ich des ~Théatre italien~
  von Gherardi Erwähnung that. Sie klagten darüber, dasselbe Buch (von
  dem Sie, vor nunmehr wohl 40 Jahren, mir einige Bände vorzüglich
  empfohlen und communicirt hatten), ich weiß nicht mehr ob ganz oder
  nur zum Theil, neuerlich in Ihrer Büchersammlung zu vermissen. Dabei
  erinnerte ich mich, daß mein geringer Büchervorrath mehr als Ein
  Exemplar des Werkes enthalten müsse, und faßte schon damals den festen
  Vorsaz, die beiden Exemplare aus den in größter Unordnung unter- und
  übereinander in Schränken, zum Theil ganz verpackt, liegenden Büchern,
  herauszusuchen. Leider aber verschob sich die Sache von Woche zu
  Woche, von Monat zu Monat. Der auf dem Bücherknäuel liegende, dicke
  Staub erfüllte mich immer mit neuem unbezwinglichen Grauen vor der
  unglücklichen Operation. Endlich und zwar grade am Tage nach Ihrer
  Abreise -- die für alle Ihre hiesigen, zahlreichen Verehrer so traurig
  war -- wagte ich mich denn doch an’s Werk. Und siehe da, es fanden
  sich wirklich, wie vielleicht am künftigen jüngsten Tage die auf
  Schlachtfeldern zerstreut liegenden menschlichen Glieder zu ganzen
  Körpern, die einzelnen Theile zu zwei vollständigen Exemplaren des
  ~Theatre italien~, jedes von 6 Bänden, zusammen.
  Nach einer oberflächlichen Vergleichung stimmen beide Ausgaben in Allem
  überein. Die eine ist im Jahre 1701 zu Amsterdam herausgekommen, wohin
  Gherardi, nachdem sein Bühnenunternehmen im Hotel de Bourgogne zu Paris
  im Jahre 1697 sich aufgelöst hatte, in’s Privatleben zurückgetreten zu
  seyn scheint. Meine zweite zu Paris im Jahre 1717 gedruckte Ausgabe hat
  der Verf. ebenfalls noch selbst besorgt.
  In der Hoffnung, daß Sie mir das Vergnügen, dem einen mir völlig
  unnüzen Exemplare einen Platz unter Ihren Büchern einzuräumen nicht
  versagen würden, hätte ich Ihnen solches schon mit diesem Briefe
  gesendet, wünschte ich nicht, Ihnen die Wahl zwischen beiden zu
  überlassen. Erfreuen Sie mich daher, bitte ich, Verehrtester, mit
  der Nachricht, welches Exemplar Sie vorziehen. Mir ist es völlig
  gleichgültig, ob ich dieses oder jenes behalte. Beide sind übrigens in
  Lederbänden und das eine, wie das andere recht leidlich erhalten.
  Noch füge ich meinen aufrichtigen Glückwunsch zur Vermählung Ihres
  Fräuleins Tochter und die gehorsamste Bitte bei, der Frau Gräfin von
  Finkenstein, nebst dem Wunsche des besten Wohlseyns, meinen Respekt zu
  erkennen zu geben.
  Leider, bin ich noch immer außer Stande, Ihnen die erste Lieferung
  meiner Schriften zu übersenden. Der Verleger ist wegen der vor kurzem
  erfolgten Erweiterung seiner Geschäfte durch Verbindung mit zwei
  anderen gut renommirten Stuttgarter Buchhandlungen, der Riegerschen und
  Brodhagschen, mit Arbeiten zu überhäuft gewesen, um schon an’s Beginnen
  meiner Sammlung zu gelangen. Doch soll die zweite Lieferung sich
  desto schneller an die erste anschließen. Er hat mir auch schon den
  Probedruck des in Wien gefertigten Stahlstichs meines nach Hartmanns
  Gemälde gefertigten Porträts übersendet, welches dem Titel des ersten
  Bandes gegenüber erscheinen wird.
  Meine Frau, die auch der Frau Gräfin sich zu Gnaden empfiehlt, trägt
  mir auf, Ihnen ihren freudigen Antheil an der so glücklichen Hoffnung
  auf Ihre baldigste gänzliche Herstellung kundzuthun.
  Mit innigster Verehrung
   Der Ihrige
   _Schulze_.
  
  II.
   _Dresden_, den 25. Decbr. 1843.
   _Verehrtester!_
  Ihr so wohlwollender Brief vom 31. d. M. hat mir wahrhafte Beruhigung
  zugeführt, weil ich fortdauernd in großer Sorge stand, meine Auswahl
  bei der Sammlung der Launschen Schriften wäre nicht nach Ihrem Wunsche
  ausgefallen. Mein Vorsaz ist, eher etwas zu viel von meinen Werken
  wegzulassen, als aufzunehmen, freilich aber fehlt, leider, grade dem
  Verfasser mitunter das Urtheil, das rechte, über Manches, es kann daher
  wohl vorkommen, daß er im Weglassen und Aufnehmen mitunter Misgriffe
  begeht.
  Der mitfolgende 5te Band empfiehlt sich Ihrer freundschaftlichen
  Nachsicht. Die beiden lezten Novellen darin erscheinen zum ersten Male
  gedruckt.
  Große Freude hat mir die durch Ihren Brief bestätigte glänzende
  Aufnahme der Aufführung des Sommernachtstraums, nach Ihrer Anordnung
  gemacht. Bereits im vorigen Jahre enthielt das Morgenblatt eine
  Lokalnotiz von mir, in der ich über das Projekt meine Meinung äußerte.
  Da Ihnen das Blatt schwerlich zu Gesicht gelangte, so erlaube ich
  mir solches mit der Bitte beizulegen, es mir künftig wieder zugehen
  zu lassen. Die Antigone hat schon, wie es scheint, eine entschiedene
  Anregung bei den größeren Bühnen Deutschlands gegeben. Es läßt sich
  daher etwas Gleiches vom Sommernachtstraum desto eher hoffen, da
  Shakespeare dem Sinne des Publikums doch weit näher liegt, als die
  griechischen Tragiker.
  Vor Kurzem stand in den Blättern für literar. Unterhaltung und zwar
  in den Nummern vom 9. bis 12. des jetzigen Monats ein Aufsaz von
  mir unter dem Titel: _Poesie und Prosa_. Unter anderm bemerkte
  ich darin, daß so tief auch der 2te Theil von Goethe’s Faust unter
  dem 1sten stehe, doch von Denjenigen unserer Dichter, die sich die
  Männer der Gegenwart nennen, kein einziger im Stande seyn würde,
  einen solchen zweiten Theil zu produciren. Sollte Ihnen zufällig die
  kleine Ausarbeitung in die Hände gerathen seyn, die hauptsächlich über
  die Unrichtigkeit, die Worte: _Poesie_ und Prosa als Kontraste
  zu behandeln, sich ausläßt, so würde es mir die größte Genugthuung
  gewähren, wenn ich gelegentlich erführe, daß meine darin eröffneten
  Ansichten, wenigstens in der Hauptsache mit den Ihrigen übereinstimmten.
  Meine gute Frau trägt mir auf, Ihnen den aufrichtigsten Dank für die
  gütige Erinnerung an sie abzustatten. Der mehrjährige Gebrauch des
  Karlsbades ist ihrer früher sehr mangelhaften Gesundheit sehr zu
  statten gekommen. Sie nimmt mit mir den lebendigsten Antheil an Ihrem
  Wohlseyn und an dem so glücklichen Erfolge der Augenoperation der Frau
  Gräfin von Finkenstein.
  Mit der treuesten, innigsten Verehrung
   Der Ihrige
   _Schulze_.
  
  
   =Schwab, Gustav Benjamin.=
   Geb. zu Stuttgart 1798, gestorb. daselbst am 4. Nov. 1850.
   Wenn seine ihm eigenste poetische Richtung zugleich eine religiöse
   war und sich in weltliches Treiben nicht verlor, so hielt ihn
   doch andrerseits die kirchliche Amtsstellung, die er im Staate
   einnahm, keinesweges ab, sich mit regem Sinne, mit unbegrenzter
   Theilnahme nach allen Seiten hin zu wenden, wo frisches Talent,
   ursprüngliche Begabung ihm entgegentrat, und kein Mensch ist weiter
   davon entfernt gewesen als er, engherzig zu verlangen, daß „allen
   Bäumen _eine_ Rinde wachse!“ Wer irgend welche litterarische
   Beziehung zu ihm gehabt und dabei Gelegenheit gefunden hat ihn
   kennen zu lernen, der wird ihn freudig wieder erkennen und begrüßen
   in nachstehendem Briefe!
   Als epischer und lyrischer Dichter blühend und fruchtbar von den
   Knabenjahren an bis in’s reife Mannesalter, hat er eine reiche
   Auswahl schöner Gaben hinterlassen, deren viele im Geist und Gemüth
   seines Volkes fortleben, um nie zu sterben. Und wenn er dadurch
   _seinen_ Nachruhm sicherte, ist er doch immer auch thätig
   gewesen, sei’s durch gelehrte und sinnvoll-geordnete Anthologieen,
   sei’s durch meisterhafte Uebertragungen, sei’s endlich durch
   Redaktion, Herausgabe und Lebensbeschreibung verstorbener Dichter,
   deren Nachruhm zu vermehren. Sagen des klassischen Alterthums --
   Lamartine’s -- Barthelemy’s Poesieen -- Paul Fleming’s auserlesene
   Gedichte -- Geistliche Legenden -- W. Hauffs sämmtliche Werke
   -- Wilh. Müllers vermischte Schriften (siehe diesen Brief!) --
   Schillers Leben -- der deutsche Musenalmanach (mit Chamisso) -- das
   sind nur einige obenhin herausgegriffene Belege für die vielseitige
   Thatkraft eines im ernsten Amte gewissenhaften Arbeiters, der
   nebenbei -- zur Erholung von der Berufspflicht -- eine ganze
   Bibliothek werthvoller Bücher schrieb, sammelte, kritisch
   beleuchtete und den duftigen Flor eigener Dichtungen in stetem
   Wachsthum hielt!
  
   _Stuttgart_, den 28. Jan. 1829.
   _Hochverehrter Mann!_
  Das Herz in beide Hände nehmend benütze ich endlich die Erlaubniß,
  welche Sie mir ertheilt haben, mich schriftlich an Sie zu wenden, ohne
  weiter auf Worte zu studieren. Kommt es linkisch heraus, so schreiben
  Sie es auf Rechnung der Scheu, die uns hohen Geistern gegenüber
  geradeso und mit mehr Recht ergreift, wie gegenüber von hohen Personen.
  Ich habe die Sammlung des seel. Wilhelm Müller, die nach dem Wunsche
  des Verlegers, Brockhaus, dem sich die Wittwe gefügt hat, nur aus
  seinen „vermischten Schriften,“ nicht aus den sämmtlichen Werken
  bestehen soll, seit den Herbstferien in Ordnung gebracht und das neu
  geordnete Manuscript, wenn man lauter Gedrucktes so nennen kann, dem
  Verleger zugeschickt. Der Druck wird aber nicht sobald beginnen, daß
  ich nicht noch von allen Fingerzeigen, die Ihre gütige Theilnahme mir
  zukommen lassen wollte, Gebrauch machen könnte, und so vergönnen Sie
  mir, daß ich Ihnen im Allgemeinen kurz meine Verfahrungsweise andeute.
  Das Ganze ist vorläufig auf fünf Bände berechnet. Die Poesieen habe ich
  in die zwei ersten Bände vertheilt, nach ihrer innern Verwandtschaft,
  nicht nach ihrer bisherigen Eintheilung. Denn ich gestehe es, jene
  Verkappungen so vieler, besonders norddeutscher, Dichter, sind mir
  in der Seele zuwider. Wozu „Lieder eines reisenden Waldhornisten,“
  wozu „Lyrische und epigrammatische Spaziergänge.“ Vielleicht konnte
  bei einem Theile des Publicums dadurch beim ersten Erscheinen jener
  Gedichte die Aufmerksamkeit rege gemacht werden, und Müller mußte um
  des Verlegers willen sich jenes Kunstgriffs bedienen; an sich sind
  gewiß solche Verkleidungen unsrem Jahrhunderte fremd; sie gehören der
  fruchtbringenden Gesellschaft und ihrem Zeitalter, wo der geachtete
  Honoratior seinen Titel zu vermehren glaubte, wenn er sich mit Poesie
  befaßte und denselben gegen irgend einen Schäfers- oder andern Kittel
  vertauschen zu müssen glaubte. So urtheilte ich, und stellte daher
  unter dem allgemeinen Titel lyrischer Gedichte die Reiselieder, die
  Wanderlieder, die ländlichen Lieder aus den bisherigen verschiedenen
  Sammlungen zusammen, ließ darauf die vermischten Gedichte, die Anklänge
  aus dem Italienischen und Neugriechischen und die Epigramme folgen. Die
  Griechenlieder sollen nach dem ausdrücklichen Wunsche der Wittwe den
  Schluß der sämmtlichen Gedichte bilden. Durch diese neue Eintheilung
  fallen die Dedicationen der verschiedenen früheren Sammlungen im
  Contexte weg, aber sie müssen in der Vorrede aufbewahrt werden; die
  Nachwelt soll wissen, daß der frühverewigte Sänger sich Tiecks und
  Webers Freundschaft zu erfreuen hatte.
  Den dritten Band würden die zwei Novellen nebst der Schilderung Lord
  Byrons und einige andre prosaischen Aufsätze füllen; den vierten
  und fünften Band das Bessere von den zahlreichen Critiken Müllers
  aus dem Hermes, der Haller Lit. Zeitung und dem Convers. Blatte;
  namentlich seine Urtheile über Uhland, Kerner, Rückert, Platen u.
  a. über Einzelnes von Byron, Scott, Cooper, Lamartine, Delavigne u.
  a. Erscheinungen der auswärtigen Literatur, endlich Fragmente über
  Dichtung und Schriftsteller des In- und Auslandes aus flüchtigeren
  Beurtheilungen, die wegen ihres Gegenstandes, theils wegen ihres
  eigenen Gehaltes einen vollständigen Abdruck nicht verdienen.
  Dem Ganzen soll eine Biographie und eine Beurtheilung von Müllers
  Poesie aus meiner Feder vorangestellt werden. Diese aber, namentlich
  die letztere, kann und mag ich nicht unternehmen, ohne mir vorher Ihr
  Urtheil, innig verehrter Meister, und wäre es nur mit wenigen Zeilen,
  ausgebeten zu haben. Ich hatte früher meine Ansichten über Müllers
  Dichtungen, bald nach seinem Tode in einem Aufsatz in den Blättern für
  literar. Unterhaltung zusammengefaßt; ich glaubte den Griechenliedern
  vor allem den Vorzug geben zu müssen. Nun machte es mich aber
  gleich aufmerksam, als mein seel. Freund mir sagte, daß Sie auf die
  Griechenlieder weniger hielten, als auf seine andern Gedichte, und
  als Sie mir, an dem mir unvergeßlichen Abend, der Sie in meinen vier
  Mauern sah, dasselbe sagten, wurde ich an meinem bisherigen Urtheile
  ganz irre. Dieses gründete sich hauptsächlich auf das Gefühl, das
  mich anwandelte, so oft ich die meisten andern Gedichte Müllers las,
  und das mich immer ein wenig an ihrer eigentlichen Originalität, an
  ihrem unmittelbaren Ursprung aus Müllers Phantasie und Gemüth zweifeln
  ließ; ich glaubte den einen gar zu merklich anzuspüren, daß sie bald
  in Goethe’s, bald in Ihren, bald in Uhland’s Ton hineingearbeitet
  waren, daß er auf fremden Melodieen, wenn ich so sagen darf, fortsang;
  die andern waren fühlbar auf den anhaltenden Umgang mit den Lyrikern
  des siebzehnten Jahrhunderts begründet, und die Epigramme, deren
  Muster mir ferne stand, und die mich daher als eigenthümlich besonders
  anzogen, fand ich kürzlich in Logau, den ich seit 1815 nicht mehr
  angesehen hatte, zu meinem Erstaunen vorgebildet. Damit soll der
  Werth aller dieser Gedichte keineswegs herabgesetzt seyn; die große
  Leichtigkeit, mit welcher sich Müller in alle diese Formen fand, die
  Objectivität, mit der er sich noch im Mannesalter in alle möglichen
  lyrischen Subjectivitäten hineinfinden konnte, und der fast immer
  anmuthige Witz, der sich mir nur zuweilen ins widerlich Spielende zu
  verirren schien, blieben mir bewundernswürdig. Aber doch, meinte ich,
  seyen seine Griechenlieder auf einem andern Boden, aus einer wirklich
  subjectiven Begeisterung erwachsen, und er habe sich hier eine Form
  geschaffen, habe einen Ton angestimmt, zu dem ich das Vorbild nirgends
  zu finden wüßte. Als ich seine ersten Griechenlieder las, rüttelte es
  mich im Geiste, wie wenn ich etwas neues, ächtes, „~recens, indictum
  ore alio~“ um mit Horaz zu sprechen, las, und ich wurde voll
  Bewunderung und wieder kleinmüthig und betrübt, weil ich fühlte, daß
  ich so etwas nicht vermöchte. Kurz es wurde mir zu Muth, wie jedesmal
  wenn mir etwas Rechtes unter die Augen kommt. Von seinen andern
  Liedern könnte ich nur bei drei oder vieren dasselbe sagen. Die andern
  konnte ich schön finden, aber sie demüthigten mich nicht, wie mich
  Göthe, Novalis, Tieck, Uhland demüthigt. -- Ich weiß nicht, was ich
  da schreibe, und ob es nicht anmaßend herauskommt, einen Dichter, wie
  Sie, mit meinen Ansichten und Urtheilen zu unterhalten, aber ich möchte
  mich über das, was ich von Müller gesagt hatte und noch sagen wollte,
  gegenüber von dem rechtfertigen, bei dem ich Rath und Berichtigung
  meiner Gefühle, die mir selbst nur halbverständlich sind, suche. --
  In die Länge ermüdete freilich auch die Monotonie der Griechenlieder,
  wie es mir überhaupt däucht, daß Müller gar zu lang bei Einem Ton
  verweilte und am Ende ins Machen hineinkam, statt ins Dichten. --
  Wenn ich mich recht erinnere, so führten Sie mir als einen Vorwurf
  gegen die Griechenlieder an, daß so manche darin besungene Helden von
  der Geschichte uns bald in einem ganz anderen Lichte gezeigt worden,
  und daß dieß einen sehr unangenehmen Eindruck mache. Aber sollte das
  der innern Vollendung dieser Lieder schaden können? und sollte dieser
  Vorwurf nicht jeden Volksgesang treffen? und sollte in späterer Zeit
  nicht das Phantastische dieser Gestalten über ihr Geschichtliches in
  dem Eindrucke, den Poesieen, die von ihnen handeln, machen werden,
  siegen? Zumal da ihr historisches selbst immer mager und dunkel bleiben
  wird?
  Doch es ist Zeit meinem ausführlichen Geschwätz, das nur einem
  Herausgeber Müllers verziehen werden kann, ein Ende zu machen.
  Mein junger Freund ~Dr.~ Adolph Schöll kann mir in seinen Briefen
  aus Dresden und Göttingen nicht genug rühmen, wie gütig er von Ihnen
  aufgenommen worden und welchen Eindruck Ihre Gespräche auf ihn gemacht
  haben. Möchte es mir doch so gut werden, auch Stunden lang über alle
  poetische Anliegen meiner Seele mich mit Ihnen unterhalten und aus
  Ihrem Munde belehren zu dürfen. Ich habe es gewagt, den ersten Band
  meiner Gedichte durch Schöll in Ihre Hände zu legen. Ich übergab sie
  ihm in einem sehr muthlosen Augenblicke; sie waren mir durch das
  Wiederkäuen in der Druckrevision recht zum Ekel geworden, und es ist
  mir manchmal, als ob gar nichts an allen miteinander wäre, lauter
  nachgemachtes Zeug, wovon nichts mich überleben werde. Wenn ich sie
  dann Monate lang bei Seite gestellt und endlich wieder ansehe, fasse
  ich wieder zu einigen ein Herz, und meine, dieß und jenes habe doch
  seine Persönlichkeit und eine Vitalität in sich. Unter diese letztern
  
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