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Briefe an Ludwig Tieck (4/4) - 12
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als Geschichte des _Vaterlands_ recht weitläuftig erzählen.
Ein Bürger, oder sonst einer, der nicht Gelehrter werden will,
braucht doch wahrlich in unsern Zeiten, im Grunde die vaterländische
Geschichte so wenig als eine andre; und es würde nach meiner Meynung
also zweckmäßiger seyn, wenn man irgend eine _interessante_
Geschichte, ohne Rücksicht, ob dieses oder jenes alten oder neuen
Volkes? -- in unteren Schulen vortrüge. -- Wie gesagt, ich glaube man
könnte eine ganze Menge Gründe wider die unzeitige Vaterlandsliebe
von Denis und seiner Anhänger, vorbringen. Wer noch jetzt die Trümmer
der nord. Mythologie zu einem Gebäude zusammensetzen und die Lücken
ausfüllen wollte, würde ein schönes Flickwerk zu Stande bringen. Und
es ist doch gar nicht zu läugnen, daß bey aller vortrefflichen, großen
Simplicität, bey aller der erhabenen und feurigen Phantasie, die die
alten nordischen Dichtungen zeigen, dennoch so viel Ungeheures, was ans
Lächerliche und Ungereimte gränzt, so viel Schwerfälliges, so viele
entsetzlich harte, unschmackhafte Bilder vorkommen, daß man, wenn man
beständig sein Auge auf die eingepelzten Götter Skandinaviens heften
wollte, allen Sinn für ein sanftes griechisches Profil verlieren würde.
Der Unterschied ist wie Nebeldämmerung und Morgenröthe, wie -- -- nun
Du magst Dir selbst Vergleichungen aussinnen.
* * * * *
Heute fand ich in der Allg. Deutschen Bibliothek recensirt: Poetische
Versuche von _Hamann_. Ist denn das der unsrige? Mich dünkt, eine
schläfrige Erinnerung sagt mir halblaut ins Ohr, daß er einmal in die
Berlin. Zeitung ein Gedicht eingerückt hat. Die mitgetheilte Probe,
die ich in dem Journale las, war vom Schlage des _Gewöhnlichen_;
zuweilen schien der Reim auch den Sinn, der drein hätte liegen können,
geraubt zu haben. Der Recensent urtheilte auch so.
* * * * *
Spillner habe ich nur noch einmal besucht. Er wird wohl diesen
Donnerstag abgereiset seyn. -- An Piesker schreibe ich, was Du
verlangst, (morgen nämlich,) und bitte ihn, mir auf alle Fälle zu
antworten, damit, wenn er auch in der kurzen Zeit, die Du noch in
Bülzig bleibst, Dich nicht sollte sehen können, ich Dir doch den
Grund seines Ausbleibens künftig schreiben kann. -- Den Brief an
Deine Schwester habe ich abgegeben, und dabey Deine liebe Stube
wiedergesehen. Wäre ich Alexander, so würde ichs mit der eben so
machen, wie jener mit Pindars Hause. Sie müßte eine ewige Reliquie
bleiben, wenn auch ganz Berlin untergienge. Ich werde die Stube nie
ohne Rührung, nie ohne von wehmüthigen Erinnerungen gepreßt zu seyn,
ansehn. Es ist eine herrliche Stube!
* * * * *
Könnte ich doch bey Dir seyn, und auch mit Deinem allerliebsten Lamme
spielen. Die Mutter von Matthison würde mir, wie Dir, eine sehr
interessante Bekanntschaft gewesen seyn. -- Was Schmohl betrifft, so
grüß ihn herzlich. Ich sollte denken, daß Dein Feuer nothwendig durch
längern Umgang in sein kühleres Blut übergehen, und ihn immer mehr vom
Felde der trockenen Betrachtung abziehen müßte, um ein Jünger Deiner
Götinn, der Phantasie, zu werden.
* * * * *
Es ist bald 12 Uhr Nachts. Ich lege mich jetzt schlafen. Ich merke daß
es eine wahre Wonne ist, an Dich zu schreiben. Selig, selig ist der
Tag, den ich mit dem Gedanken an Dich beschließe. Er wird mich auch im
Schlafe nicht verlassen. Träume Du auch von mir. Denkst Du jetzt an
mich? Oder träumst Du von mir? -- Eine allerliebste schmelzend-sanfte
Elegie von Voß fängt an:
„Denkt mein Mädchen an mich?“
Es ist eine höchst natürliche schöne Empfindung darin. -- Jetzt hat es
grade 12 geschlagen. Gute Nacht. Tieck, fliege her, und ich drücke den
feurigsten Kuß auf Deine Lippen. Gute Nacht, der Himmel sey mit Dir!
Gute Nacht!
* * * * *
Den 6ten May, Sonntag, Morgens.
Sieh! ists nicht schön, daß ich mit dem Gedanken an Dich zu Bett
gegangen, und mit dem Gedanken an Dich wieder aufgestanden bin? -- Du
siehst, daß ich prompt im Antworten gewesen bin. Meinen ersten Brief,
den Rambach eingeschlossen hat, wirst Du wohl empfangen haben. Ich
schrieb ihn grade an demselben Tage, da Du Deinen schriebst, den 1sten
May. Du wirst mir nun wohl nicht eher, als aus Halle antworten; aber
wenn Du kannst, erfülle meine Wünsche bald. Ich werde mein Versprechen
in Ansehung des Schreibens gewissenhaft halten. -- Noch eins! Sey so
gut und mache künftig keinen Brief an mich mehr frey. Wozu sollst Du
meinetwegen unnütze Ausgaben haben? Hörst Du? Du mußt es aber auch
gewiß thun. Es bleibt dabey. --
* * * * *
Ja lieber, bester Tieck, wir müssen uns auf Michaelis wiedersehen,
ich harre sehnlich auf diese Zeit. O auch mir ist das Andenken an
unsre Spaziergänge das heiligste, das ich kenne. Du kannst wohl leicht
denken, wie ich mich itzt im Thiergarten befinde, wann ich ihn besuche;
jeder Gang, jeder Baum ruft mir Dich zurück; bey jedem Schritte denk
ich an Dich und will Deinen Arm in den meinigen nehmen, und fühle, daß
mir immer etwas fehlt. Aber dennoch, -- oder, was sag ich -- vielmehr
eben deswegen, werd ich den Thiergarten noch beständiger und häufiger
als jeden andern Ort mit Vergnügen besuchen. Die Bäume darin prangen
itzt mit dem herrlichsten, frischesten Grün; einem Grün, das man im
Sommer in der verdörrten und versengten und bestäubten Farbe des Laubes
gar nicht mehr wiedererkennt. -- Mitschicken kann ich Dir noch nichts.
Ich habe seit Ostern noch so viel fatale und häßliche Abhaltungen
gehabt, daß ich kaum meine gemeinen Alltagsverrichtungen habe thun
können.
* * * * *
Ein recht ärgerlicher Streich! und _ich_ bin Schuld daran. Ich
erfahre eben, daß, da die Post heute früh um 9 Uhr abgeht, die Briefe
schon gestern Abend um 7 hätten hin gebracht werden müssen. Meine
dumme Unwissenheit hat also über meine Gutwilligkeit, Dir gleich zu
antworten, den Meister gespielt. Verzeihe mir’s. Der Brief könnte
nun erst den Mittwoch abgehn (nach Bülzig), und weil er Dich alsdann
_vielleicht_ nicht mehr in Bülzig treffen sollte, so schick’ ich
ihn lieber nach Halle.
* * * * *
Den 11ten May, Freitag, Mittags.
Ich vollende jetzt meinen Brief und ärgre mich nochmals, daß meine
Bereitwilligkeit mir und Dir nichts geholfen hat. Mein Brief wird Dich
nun wohl in Deiner neuen Residenz in Halle begrüssen. An Piesker habe
ich gleich geschrieben, und so dringend als möglich: aber die kalte,
unbeugsame Seele hat mir nicht einmal geantwortet auf meine rührenden
Klagen und Vorwürfe. Gestern Abend bekomm’ ich ganz unerwartet einen
Brief von Wißmann.
* * * * *
Abends.
O Freude, o Freude! heut Mittag hab’ ich schon einen zweyten Brief von
Dir bekommen; Du kannst gar nicht glauben, wie ich triumphirt habe.
Aber ein Ding ist sonderbar. Du hast meinen ersten kleinen Brief --
(3 Oktavseiten lang, -- es war nichts Merkwürdiges darin) -- den ich
den Dienstag vor 8 Tagen, als den 1sten May an Rambach zum Einschluß
gab, nicht bekommen. Und was noch sonderbarer ist: ich bringe heut
nach Tische gleich den Brief an Deine Schwester, und sie sagt mir, sie
hätte 2mal an Dich geschrieben, und in Deinen Briefen sagtest Du, daß
Du auch nichts von ihr bekommen hättest. Liegt die Ursache von diesen
Konfusionen in Einer Ursache? Ist der Herr Fuhrmann in Wittenberg etwa
Schuld? -- Fast verdenk’ ich es Dir, daß Du nicht unruhig darüber
geworden bist, oder nicht deswegen auf mich ein wenig mehr gescholten
hast, daß ich, nach Deiner Meynung, noch nicht, wenigstens mit der
Feder in der Hand, an Dich gedacht habe. Du weißt indeß nun den ganzen
Zusammenhang und den Verlauf der Sachen: und ich werde also wohl in
Deinen Augen exculpirt seyn.
Ist es denn wirklich Dein Ernst, lieber Tieck, daß Du mich nicht
vergessen kannst? O! er muß es wohl seyn! Es hat mich recht gerührt,
daß Du schreibst: „es war recht _unvorsichtig_ von uns, daß wir
uns die letzte Zeit in Berlin so oft sahen.“ Es hat mich recht gerührt.
O Tieck, Tieck, ich habe es geglaubt, daß Du mir gut wärst; aber kaum,
kaum hab’ ich es je glauben können, daß Du _so_ zärtlich gegen
mich denkst. Und daß Du mir nichts als wahre Empfindung Deines Herzens
äußerst, weiß ich. Womit soll ich’s Dir vergelten? Du demüthigst mich.
-- Ich breche ab.
* * * * *
Wie bist Du denn zu den ausgebreiteten Bekanntschaften in Koswig
gekommen? Und, ums Himmels willen, wie ist es möglich, daß Du in einer
Gesellschaft so lange hast Karten spielen können? Das ist ja ganz
schrecklich. Ich glaub’ ich hätte vor Aerger geweint, wenn ich Dich
in eine solche Situation geklemmt gesehen hätte, -- _Dich_ am
Spieltisch, dem Thron von Affen und Laffen, -- Dich! Es ist wahrlich
viel? Ich bedaure Dich. -- Auch die andre Gesellschaft, die Du in
Koswig gehabt hast, muß gar herrlich für Dich gepaßt haben. Aber daß
Du Karten spielen mußtest, und in die Nacht hinein, das ist mir noch
immer das schauerlichste. Ich kanns gar nicht vergessen. Das Fatum muß
nothwendig einen Fehlgriff in der Urne gethan haben, da es das Looß
dieses Tages für Dich zog: das fatale Fatum!
* * * * *
Du stiehlst meiner eigenen Werkstätte von Gedanken etwas, wenn Du
mir die Bemerkung machst, daß um das Große in den schönen Künsten
zu fassen, ein selbst groß und erhaben denkender Geist der Kritiker
seyn müsse. Das hab’ ich schon immer gedacht, und, wenn ich nicht
irre, Dir auch schon gesagt. Aber das was Du hinzusetzest, kann ich
nicht ganz billigen. Ich weiß nicht recht, warum das Erhabene Dich
_eher_ zu _Thränen_ rühren sollte, als das Empfindsame.
~Ad vocem~ Empfindsam, will ich Dir doch einen Zweifel und eine
Bemerkung mittheilen. Ich bin nicht recht mit mir einig, was man
eigentlich _Empfindeley_ nennen solle. Mir scheints am Ende blos
_affektirte_ Empfindung zu seyn; ich will Dir sagen, warum.
Empfindungslose Empfindsamkeitspötter nennen oft etwas Empfindeley,
was an sich schöne, feine Empfindsamkeit ist, und nur dann falsche
Empfindung oder Empfindeley wird, wenn jemand es affektirt, zu haben.
Ich sehe z. B. nicht ein, warum der Vorsatz, nicht aufs Feld gehen zu
wollen, weil man da mit jedem Tritt eine Menge kleiner im Sonnenschein
spielender Geschöpfe vernichtet, -- in gewissen Situationen, auf eine
kurze Zeitlang, nicht wahre, ächte Empfindung seyn sollte. Sagt aber
jemand, der an der Modesucht krankt, solche Dinge, und sehe ichs
ihm an den unnatürlich verdrehten Augen an, daß er gern beliebte
Paradoxa hervorbringen will, kurz, erkenn’ ich an ihm die Symptome der
Affektation, so würde ich sagen: er empfindelt. Denn an sich sehe ich
nicht ein, warum es nicht möglich seyn sollte, _bey allen Dingen
unter der Sonne, unter gewissen Umständen, etwas zu empfinden_. Und
wenn jemand in eine Stimmung versetzt wird, daß er Empfindungen in
seinem Busen fühlt, in welchen er noch keinen Vorgänger gehabt, so muß
diese seine Empfindung doch für ihn wahr und richtig seyn. Oder willst
Du noch falsche Empfindung und Empfindeley unterscheiden? Ich habe mich
verirrt und erwarte Deine Fackel in diesem kleinen dunkeln Labyrinth.
-- Sey so gut und belehre mich doch über dergleichen Anfragen, Dubia u.
s. w., wenn Du Lust hast. --
-- -- Um noch einmal zu Deiner Materie vom Erhabenen zurükzukehren, so
scheinst Du mir da etwas verwechselt zu haben. Daß das Erhabene Dich in
eine Art von Wuth d. i. in den höchsten Paroxismus der Begeisterung
und Entzückung versetzt, will ich glauben. Aber Thränen kann wohl nur
das Rührende entlocken, -- und, -- (wie wir es mündlich ausgemacht
haben) -- das Schauerliche, Schreckliche.
Daß Schmohl durchaus kein freiwilliger Diener der Musen werden, nicht
auf dem Altar der Grazien opfern will, wundert mich doch. Sein fremdes,
frostiges Betragen gegen Deinen vertrauten Freund Shakespear muß Dich
wohl natürlich beleidigt haben. Sollte Dein Geschmack denn gar nicht an
seiner Denkungsart abfärben, wie an der meinigen?
* * * * *
Bernhardi hab’ ich in dieser Woche einmal, Rambach zweymal nicht
zu Hause getroffen. Daher hab’ ich mir von diesem auch noch nicht
Deine Anna Boleyn geben lassen können, so gern ichs gethan hätte. Es
geschieht aber noch: ich werde sie noch aufmerksam lesen, und soviel
ich kann, Dir darüber sagen, wenn auch nur in Kleinigkeiten. -- Unter
allen den Abhaltungen, die mich an tausend Dingen verhindert haben,
nur nicht an Dich zu denken und zu schreiben, habe ich denn doch auch
eine höchst angenehme gehabt. Du weißt, oder weißt nicht, daß ich in
Sachsen, bey Jena, einen _Freund_ habe: er ist es wirklich, denn
ich schätze ihn sehr, und habe mich überzeugt, daß er zur Freundschaft
geschaffen ist. Vor ein paar Jahren lernte ich ihn hier kennen, und
seitdem habe ich meinen unterbrochenen Umgang mit ihm durch Briefe
fortzusetzen gesucht. Sein Nahme? Er heißt Schuderoff und ist Prediger
in Drakendorf und Zöllwitz, 1 Meile von Jena, ein liebenswürdiger
junger Mann, dessen jugendlichschöne, feine Gesichtsbildung eine
geläuterte Denkungsart und ein edles Herz ankündigt. Er ist zum Besuch
hier und kommt bey seiner Rückreise _vielleicht_ durch Halle. Er
ist Kantischer Philosoph, und hat neulich Briefe über die moralische
Erziehung herausgegeben, die ich itzt lese und die recht schön sind.
Zweymal bin ich mit ihm im Thiergarten gewesen. Das frische Grün ist da
ganz zauberisch schön. Die gewölbten Birkenalleen sind das lieblichste
Bild des Frühlings. Und weißt Du wohl was ich gestern in der gekreuzten
Birkenallee für eine Freude hatte? Du wirsts errathen. Verschwunden war
die verdammte Statue ohne Kopf. Ich möchte wissen, welcher gute Genius
sie fortgeschleppt, oder in die Tiefen der Erde hinuntergeschleudert
hat. Der Gang ist nun noch einmal so schön.
* * * * *
Vom Theater willst Du etwas wissen. Hier ist etwas fragmentarisches,
so viel ich Dir geben kann. -- Vor einiger Zeit ist ein neues Stück
von Jünger: die Geschwister vom Lande, gegeben, das nicht vorzüglich
seyn soll. Die Hagestolzen und Axur werden oft wiederholt. Ein gewisser
Lißner scheint hier zu bleiben; und ein andrer Schauspieler, Garly,
soll auch hier engagirt seyn. Dieser soll eine sehr schöne Bildung
haben und viel Anlage besitzen. Diesen Mittwoch ist Emilia Galotti
aufgeführt: ein durchreisender Däne, Herr Preisler, hat den Prinzen,
und Garly den Marinelli gespielt. Ob es wahr ist, daß Czechtizky und
Mattausch noch wegkommen werden, weiß ich nicht. -- (~N. B.~ Seit
dem Don Juan, der, als Du in Fredersdorf warst, gegeben ward, bin ich
nicht im Schauspiel gewesen.)
* * * * *
Dank für das kleine Gedicht von Deinem Freunde Toll. Es ist süß und
lieblich, und wird mir sehr werth bleiben. Ich werds, wie Deine Briefe,
als ein Kleinod aufbewahren. -- Verzeihe nur meiner Armuth, daß ich
Dir jetzt unmöglich etwas mitschicken, und meinem Mangel an Zeit,
daß ich Dir nicht etwas abschreiben kann. Wolltest Du so gefällig
denken, die Länge meines Briefes als einen Ersatz dafür anzunehmen?
-- Unsre Korrespondenz soll sich nun nicht wieder verwirren. Du bist
wohl so gut, und schreibst mir zuerst wieder, wenn ich nicht zu viel
verlange. Doch schreib so wenig oder so viel Du Zeit hast; je mehr
natürlich, je besser, aber nur bald. Doch beinahe möcht’ ich glauben,
mit diesem dringenden: Bald, Deine Delikatesse zu verletzen, weil mir
Deine 2 schnell aufeinander folgenden Briefe eine sehr hohe Idee von
Deiner reizbaren Briefschreibethätigkeit eingeflößt haben. Ich werde
Dir dann gewiß bald antworten. Oder hoff’ ich zu vorschnell, und bin
ich unbillig wenn ich von Halle aus, wo Du in mehr Verbindungen und
Geschäfte kommst, so oft etwas von Dir zu lesen erwarte? -- Aber was
schwatz’ ich denn? Du bist mein Freund, und wirst schon wissen, was mir
gut und lieb ist. So will ich denn mit festem Muth auf Dich hoffen, und
mein Vertrauen allein in Deine Freundschaft setzen.
* * * * *
Den 12ten May Sonnabend Mittags.
Von Denis eigenen Oden, Elegien und Liedern muß ich Dir noch sagen,
daß mir manches sehr darin gefallen hat. Am schönsten dünken mich
die Gedichte zu seyn, die er Klagen nennt: z. B. über Gellerts Tod,
über den Mißbrauch der Dichtkunst u. s. w. Der letztere Gegenstand
ist vortrefflich behandelt. Da wirds recht mit lauten dreisten Worten
unserer entarteten Dichterrepublik gesagt, daß nur Empfindung,
Empfindung der Genius seyn solle, der das Lied beleben könnte, daß
Witz ein verzogenes Kind sey, das nur jenseit des Rheins zu Hause
gehöre; und mehr dergleichen, was, wie Du weißt, schon lange meine
Herzensmeynung gewesen. „Soll Witz, soll Witz im Liede seyn?“ fragt
Denis und ich frags mit ihm.
* * * * *
Ich habe nicht länger Zeit, und muß Dir also ein herzliches Lebewohl
sagen. Sag mir doch manchmal Deine Meynungen über meine Meynungen, die
ich Dir so in meinen Briefen äußre. Schreib mir nur ja bald, recht
bald; ich antworte dann gewiß auch bald. Sorge für Deine Gesundheit
und grüße Halle. O die liebe Reichard’sche Familie! Wenn ich doch
Miekchen auch sehn könnte! Grüße sie herzlich von mir; auch Schmohl;
auch die kleinen Mädchen bey Reichards, die ich noch alle bey Namen
weiß. Vielleicht versucht meine Muse bald wieder eine Kleinigkeit, ich
schicke sie Dir dann. Schreib mir bald und bleib’ mein Freund. --
_W. H. Wackenroder_.
III.
Montag, den 4ten Juni. Abends.
Eben leg’ ich Deinen Brief wieder aus der Hand, den ich wieder gelesen
habe. An meinen _verlaßnen_ Freund Tieck soll ich denken? O ich
denke oft, und mit ganzer Seele an ihn, -- aber daß er verlassen sey,
-- daß eine düstere Traurigkeit sich wieder wie ein Staar über das
heitere Auge seines Geistes gezogen hat, -- daß er in Halle noch nicht
vergnügt gewesen ist, -- das, das hatte ich nicht erwartet. Schreibst
Du doch fast grade so, wie Wißmann, dem ich heute früh geantwortet
und Trost einzusprechen gesucht habe. Von ihm ahndete ichs; -- aber
von Dir, wahrlich, von Dir hatte ichs nicht erwartet. Ich glaubte, Du
würdet dort Dich zerstreuen, und -- wenigstens in den Augen Deiner
Freunde, und auch in Deinen eigenen, wenn Du nicht zu tief in Dich
hineinblicktest, -- einer frohen Heiterkeit genießen. O wehe! daß ich
mich getäuscht habe. Du bist in Halle noch gar nicht vergnügt gewesen!
Ich bitte Dich, lieber Tieck! Du bist ja lange hinweg über die Periode
in dem Lebenslaufe empfindender Menschen, da sie sich alles zu Herzen
_ziehen_, und ihre üble Laune nur pflegen, und es für Sünde halten
sich aus ihren Klauen loszureißen! Du weißt ja über Dich zu siegen, Du
hast es mich ja gelehrt, so daß ich auch mir wenigstens Mühe gebe, es
eben so weit zu bringen. Aus Bülzig schriebst Du mir so heiter, daß ich
mich recht freute. Was soll ich nun sagen? Ich möchte mich schämen, daß
ich hier noch zufriedner leben soll, als Du in Halle. Tieck, ich bitte
Dich, wache auf Dich! -- Und, was mich in ein bittersüßes Erstaunen
setzt, ist, daß Du mich so vermissest. O Tieck, so liebst Du mich denn
mehr, als ich je kühn genug war, und seyn konnte, zu erwarten? Es ist
als hättest Du mir meine Empfindungen gegen Dich aus meinem Herzen
geraubt und ströhmtest sie nun auf mich zurück. Du giebst mir wieder,
alles was ich Dir geben kann? Ich beschwöre Dich, hör’ auf! Es ist die
göttliche Seligkeit, die ein menschliches Herz zu fassen vermag, aus
dem Munde eines Freundes sein Lob zu hören! aber dieser Nektar möchte
Gift für mich werden. Hör auf mit diesem Wiedergeben und Wechseln der
Freundschaftsergebenheit, denn du berauschest mich, und wir machen uns
in unsrer jetzigen Lage (da kein Sprachrohr einmal dem einen Worte des
andern überbringen kann), nur noch unglücklicher. Ich erschrecke aufs
heftigste, wenn Du mir in die Augen sagst: ich sey Dir zum _leben_
nothwendig! Noch einmal! Was stiehlst Du mir meine Gefühle, -- warum
verwechselst Du die Rollen in dem schönen Duodram, das wir zusammen
spielen, und nimmst die meine? Tieck, ich müßte mich ja in den Staub
legen und trauern, wenn ich wüßte, daß _meine_ Entfernung Dir so
viel trübe Stunden brächte. Ich habe das nie so geglaubt! Du hast mir
das nie so deutlich zu empfinden gegeben. O ich möchte verzweifeln,
-- ich weiß nicht was ich thun soll, um Dich glücklich zu machen. Du
nennst meine Sprache Schwärmerey. O wenn ich Dich je weniger lieben
könnte, -- ich wäre der bedaurenswürdigste Mensch unter der Sonne.
Und wenn ich je Deiner Freundschaft weniger werth seyn sollte, o so
erinnere Dich, daß Du mich geliebt hast, und sey so mitleidig, mich
wieder zu Dir hinaufzuziehn; verachte mich nicht! -- Aber genug! Tieck
laß die wilden Ströhme unsrer Empfindungen sanfter fließen. Wir jagen
alles heiße Blut in unsre Adern und bringen uns durch diese schädliche
Erhitzung in einen kranken Zustand.
Wie sehr muß ich es bedauren, daß Schmohl mit Dir nicht _mehr_
harmonirt. Ich hatte auch _das_ nicht erwartet. Er scheint sich
eher von Dir zu entfernen als sich Dir zu nähern. Was Du mir von Bothen
sagst, Du kannst leicht denken, wie auffallend und unvermuthet auch
_das_ mir gewesen ist. Aber ich glaube es, weil Du es sagst.
Wie Menschen sich ändern können! Wenn du zwischen diesen beyden Dir
heterogenen Köpfen hin und wieder schwankst, so kannst Du freilich
nicht in Ruhe seyn. Aber -- ach! Gott! eben wollt’ ich einen Trost für
Dich aussinnen, und -- Du wirst Dir meine Gedankenstriche erklären
können. Ja! es ist schwer für mich, Dich zu trösten. Doch wohl Dir,
wenn Du keines Trostes bald mehr bedarfst; wenn der rasche Flügel der
Zeit die Gewölke vor Deinen Blicken zertheilt hat, wenn der allmählige
Aufenthalt Dir behaglicher wird, und Du Umgang, und in Dir selbst
Zufriedenheit findest. Nimm deine Kraft zusammen und erhalte Deinen
Körper und Geist aufrecht und fest. -- Ach! ich schreibe konfuses Zeug!
Wollte Gott, Du wärst glücklich. O Du wirst, Du mußt es werden.
IV.
Dienstag, den 15ten Juni, Abends.
Mit nassen Augen fang’ ich an, Dir zu schreiben. O Tieck, Du hast mir
schon manche Thränen ausgepreßt; tausend süße, für die ich alle Schätze
der Welt nicht verlangte; aber auch bittere, herbe Thränen, die in
meinen Augen gebrannt, und mich zu einer melancholischen Sympathie
erhitzt haben. Du hast mich lange nicht so erschüttert als durch Deinen
letzten Brief. Wenn Du weißt, wie heftig ein solcher Donnerschlag, ein
solches Ungewitter, das dem Wohl eines Freundes droht, in dem Herzen
seiner anderen Hälfte wiederhallen muß; wenn Du Dir vorstellen kannst,
wie schrecklich wahr und lebhaft alle Züge und Bilder vor mir stehen,
die Dein flüchtigkühner Pinsel auf das Papier wirft; o so wirst Du
empfinden wie das, was Du mir zu erzählen wagst, den kältesten Schauer
über mein Gebein gegossen, und alle meine Nerven gewaltsam durchbebt
hat. Gütiger Himmel! auf welchem entsetzlichen Rande hast Du gestanden!
O Tieck, -- Gott möge verhüten, daß unsre Freundschaft, die ein
Beyspiel der möglichen Menschenglückseligkeit seyn sollte, keinen Stoff
zu einem Trauerspiel gebe.
Um alles in der Welt willen, welcher Dämon macht sich denn ein
Vergnügen, Dich unglücklich zu machen? Ich weiß nicht wie meine Zunge
zu Dir sprechen soll; sie erstarrt.
Aber ich muß, ich muß Dir laut zurufen auf Deinen gefährlichen
Irrwegen; Du möchtest, -- Gott! wie hat es denn dazu kommen müssen.
Halt Dir Dein Ohr nicht zu, wenn ich jetzt mit starker Stimme zu Dir
spreche, ich muß. -- Sprich? bin _ich_ Dir denn so nöthig, um Dich
von Verirrungen und schwelgerischen, verderblichen Ausschweifungen
in den Genüssen des Geistes zurückzureißen? Ist Schmohl denn so ein
kaltes, stummes, theilnehmungsloses Marmorbild? Ich bitte Dich, um
alles was Dir heilig ist: wende ein Körnchen Deiner Vernunft an, und
betrachte was Du gethan hast. Welch ein entsetzliches Unternehmen, 2
Bände in einem Nachmittage und einer Nacht hintereinander in einem
Athem zu lesen! Nicht genug! Ein Buch, was alle Phantasie aufs äußerste
umherjagt, über die Gränzen der Besinnung herumjagt! Wie ist es denn
möglich, daß Du Dich selber nicht mehr kennst? Oder opferst Du einer
lüsternen Begier, einem Kitzel, etwas außerordentliches Dir selbst
vorzuthun, Deine Zufriedenheit auf, deren Zerstörung Du voraussiehst?
Tieck, ich schäme, ich verdamme mich, daß ich solche Ausdrücke brauchen
muß, aber ich kann nicht anders. Das Todte, Unbelebte des Buchstabens
mag der Nachdruck der Worte ersetzen. Ist Schmohl denn so blutwenig um
Dich besorgt? Wie ist es zu begreifen, daß er Dir immer hat zuhören,
und, als wärst Du eine Sprechmaschine, dabey einschlafen, ruhig
einschlummern können?
Tieck, ich wollte vieles aufopfern, wenn meine Freundschaft ein
einziges von Dir verlangen könnte. Ich weiß, daß Du das Leben
nicht achtest, daß Du Dich als einen der Welt schon abgestorbenen
betrachtest, der in einem gleichgültigen Mittelzustande lebt, alles
um sich her wie aus dem Grabe, wie durch das Gitterfenster eines
düstern Gewölbes ansieht; der ohne Ueberlegung aus Laune seinem
Körper und Geiste Pönitenzen auflegt, und sich selbst wie einen
Nichtswürdigen behandelt, weil er nichts an sich verlieren zu können
glaubt. Wann wirst Du von dieser unseligen Krankheit genesen? O
daß ich alle Beredsamkeit, die in allen Welttheilen je menschliche
Herzen gebeugt hat, zusammenrufen, und auf einen Punkt konzentriren
und damit wie durch den Sonnenstrahl vom Brennspiegel Dein verirrtes
Herz mit Wahrheitsglanze blenden könnte! Tieck ich beschwöre Dich
bey allem was Dir heilig ist, bey der göttlichen Kraft die die Welt
beseelt, und deren Funken in Deiner Seele glüht; ich beschwöre, frage
Deine übertäubte Vernunft um Rath. Unaufhörlich stürmst Du auf die
Gesundheit Deines Körpers und Deiner Seele los, -- wie kannst Du
etwas anderes als Mißbehagen fühlen? In einem Anfall schrecklicher
Melancholie würde der Gedanke, das Innere des heiligen Geheimnisses,
des Lebens, zu zerstören, zu welchem die Natur allein den Schlüssel
hat, er würde in einem heiteren Lichte Dich umschweben, und es würde
Deinem Schooßkinde, der Phantasie, gar herzlich kitzeln, wenn sie
die Vernunft wie eine weinende Bettlerinn, vor ihrem Thron harren
sähe. Aber hier, hier ist es Zeit an Deine Liebe zu appelliren! Hier
stelle ich unsre Freundschaft Dir vor die Füße; diese mußt Du zuvor
umstürzen, ehe Du die abentheuerlichen, zauberhaften, erquickenden
Freuden eines lebenlosen Lebens oder -- des Nichtdaseyns selbst kosten
kannst. O sammle Dich Freund, in diesen Augenblicken muß ich Dich mit
dem kühnsten Stolze angreifen, mit der gespanntesten Empfindung Dich
in das Geleise des gemeinen Nachdenkens zurückbringen; -- -- doch es
ist Unsinn was ich schreibe, Du hast kein Acht auf mich, Du hörst
mich nicht. Soll ich Dich feiner angreifen? Soll ich Dir im Spiegel
der Zukunft die thränenvollen Tage, das unglückselige Schicksal
zeigen, das mich verfolgen würde, wenn Du, aus Ungeduld der langsamen
Natur zu folgen, oder Lust ein großer Geist zu werden, Dich immer
unglücklicher machtest? Und bin ich der einzige? Du weißt nicht, wie
sehr z. B. Bernhardi Dich liebt; ich weiß es. Und Du, Du, Tieck, Du
könntest unbesonnen genug seyn, aus muthwilligem Humor, aus bloßem
armseligem Kitzel, aus Sucht, Dir ein schaales kleines Vergnügen zu
machen, etwas zu thun, wodurch Du Deine Freunde auf ihre Lebenszeit
unglücklich machst, Elend auf ihr heiteres Leben säest, und durch sie
auf die sie umgebende Welt auch noch trübsinnige, melancholische
Gefühle verbreiten willst? Du denkst: „Ich möchte doch sehen, ob ich
das Buch in einem Abend ganz durchlesen könnte, -- ich möchte doch
wissen, ob ich es aushielte, mehrere Nächte hintereinander oder in
einer heftigen Geistesspannung zu arbeiten, -- ich hätte wohl einmal
Lust, in einem Tage 14 Meilen zu gehn, -- ich möchte gern aus Spaß
einmal in einer ganz finstern Nacht auf den Giebichensteiner Felsen
an den gefährlichsten Stellen heraufklettern“ -- und tausend andre
Sachen. Entsetzlich! Deine Laune, die durch einen elenden Genuß einer
Ein Bürger, oder sonst einer, der nicht Gelehrter werden will,
braucht doch wahrlich in unsern Zeiten, im Grunde die vaterländische
Geschichte so wenig als eine andre; und es würde nach meiner Meynung
also zweckmäßiger seyn, wenn man irgend eine _interessante_
Geschichte, ohne Rücksicht, ob dieses oder jenes alten oder neuen
Volkes? -- in unteren Schulen vortrüge. -- Wie gesagt, ich glaube man
könnte eine ganze Menge Gründe wider die unzeitige Vaterlandsliebe
von Denis und seiner Anhänger, vorbringen. Wer noch jetzt die Trümmer
der nord. Mythologie zu einem Gebäude zusammensetzen und die Lücken
ausfüllen wollte, würde ein schönes Flickwerk zu Stande bringen. Und
es ist doch gar nicht zu läugnen, daß bey aller vortrefflichen, großen
Simplicität, bey aller der erhabenen und feurigen Phantasie, die die
alten nordischen Dichtungen zeigen, dennoch so viel Ungeheures, was ans
Lächerliche und Ungereimte gränzt, so viel Schwerfälliges, so viele
entsetzlich harte, unschmackhafte Bilder vorkommen, daß man, wenn man
beständig sein Auge auf die eingepelzten Götter Skandinaviens heften
wollte, allen Sinn für ein sanftes griechisches Profil verlieren würde.
Der Unterschied ist wie Nebeldämmerung und Morgenröthe, wie -- -- nun
Du magst Dir selbst Vergleichungen aussinnen.
* * * * *
Heute fand ich in der Allg. Deutschen Bibliothek recensirt: Poetische
Versuche von _Hamann_. Ist denn das der unsrige? Mich dünkt, eine
schläfrige Erinnerung sagt mir halblaut ins Ohr, daß er einmal in die
Berlin. Zeitung ein Gedicht eingerückt hat. Die mitgetheilte Probe,
die ich in dem Journale las, war vom Schlage des _Gewöhnlichen_;
zuweilen schien der Reim auch den Sinn, der drein hätte liegen können,
geraubt zu haben. Der Recensent urtheilte auch so.
* * * * *
Spillner habe ich nur noch einmal besucht. Er wird wohl diesen
Donnerstag abgereiset seyn. -- An Piesker schreibe ich, was Du
verlangst, (morgen nämlich,) und bitte ihn, mir auf alle Fälle zu
antworten, damit, wenn er auch in der kurzen Zeit, die Du noch in
Bülzig bleibst, Dich nicht sollte sehen können, ich Dir doch den
Grund seines Ausbleibens künftig schreiben kann. -- Den Brief an
Deine Schwester habe ich abgegeben, und dabey Deine liebe Stube
wiedergesehen. Wäre ich Alexander, so würde ichs mit der eben so
machen, wie jener mit Pindars Hause. Sie müßte eine ewige Reliquie
bleiben, wenn auch ganz Berlin untergienge. Ich werde die Stube nie
ohne Rührung, nie ohne von wehmüthigen Erinnerungen gepreßt zu seyn,
ansehn. Es ist eine herrliche Stube!
* * * * *
Könnte ich doch bey Dir seyn, und auch mit Deinem allerliebsten Lamme
spielen. Die Mutter von Matthison würde mir, wie Dir, eine sehr
interessante Bekanntschaft gewesen seyn. -- Was Schmohl betrifft, so
grüß ihn herzlich. Ich sollte denken, daß Dein Feuer nothwendig durch
längern Umgang in sein kühleres Blut übergehen, und ihn immer mehr vom
Felde der trockenen Betrachtung abziehen müßte, um ein Jünger Deiner
Götinn, der Phantasie, zu werden.
* * * * *
Es ist bald 12 Uhr Nachts. Ich lege mich jetzt schlafen. Ich merke daß
es eine wahre Wonne ist, an Dich zu schreiben. Selig, selig ist der
Tag, den ich mit dem Gedanken an Dich beschließe. Er wird mich auch im
Schlafe nicht verlassen. Träume Du auch von mir. Denkst Du jetzt an
mich? Oder träumst Du von mir? -- Eine allerliebste schmelzend-sanfte
Elegie von Voß fängt an:
„Denkt mein Mädchen an mich?“
Es ist eine höchst natürliche schöne Empfindung darin. -- Jetzt hat es
grade 12 geschlagen. Gute Nacht. Tieck, fliege her, und ich drücke den
feurigsten Kuß auf Deine Lippen. Gute Nacht, der Himmel sey mit Dir!
Gute Nacht!
* * * * *
Den 6ten May, Sonntag, Morgens.
Sieh! ists nicht schön, daß ich mit dem Gedanken an Dich zu Bett
gegangen, und mit dem Gedanken an Dich wieder aufgestanden bin? -- Du
siehst, daß ich prompt im Antworten gewesen bin. Meinen ersten Brief,
den Rambach eingeschlossen hat, wirst Du wohl empfangen haben. Ich
schrieb ihn grade an demselben Tage, da Du Deinen schriebst, den 1sten
May. Du wirst mir nun wohl nicht eher, als aus Halle antworten; aber
wenn Du kannst, erfülle meine Wünsche bald. Ich werde mein Versprechen
in Ansehung des Schreibens gewissenhaft halten. -- Noch eins! Sey so
gut und mache künftig keinen Brief an mich mehr frey. Wozu sollst Du
meinetwegen unnütze Ausgaben haben? Hörst Du? Du mußt es aber auch
gewiß thun. Es bleibt dabey. --
* * * * *
Ja lieber, bester Tieck, wir müssen uns auf Michaelis wiedersehen,
ich harre sehnlich auf diese Zeit. O auch mir ist das Andenken an
unsre Spaziergänge das heiligste, das ich kenne. Du kannst wohl leicht
denken, wie ich mich itzt im Thiergarten befinde, wann ich ihn besuche;
jeder Gang, jeder Baum ruft mir Dich zurück; bey jedem Schritte denk
ich an Dich und will Deinen Arm in den meinigen nehmen, und fühle, daß
mir immer etwas fehlt. Aber dennoch, -- oder, was sag ich -- vielmehr
eben deswegen, werd ich den Thiergarten noch beständiger und häufiger
als jeden andern Ort mit Vergnügen besuchen. Die Bäume darin prangen
itzt mit dem herrlichsten, frischesten Grün; einem Grün, das man im
Sommer in der verdörrten und versengten und bestäubten Farbe des Laubes
gar nicht mehr wiedererkennt. -- Mitschicken kann ich Dir noch nichts.
Ich habe seit Ostern noch so viel fatale und häßliche Abhaltungen
gehabt, daß ich kaum meine gemeinen Alltagsverrichtungen habe thun
können.
* * * * *
Ein recht ärgerlicher Streich! und _ich_ bin Schuld daran. Ich
erfahre eben, daß, da die Post heute früh um 9 Uhr abgeht, die Briefe
schon gestern Abend um 7 hätten hin gebracht werden müssen. Meine
dumme Unwissenheit hat also über meine Gutwilligkeit, Dir gleich zu
antworten, den Meister gespielt. Verzeihe mir’s. Der Brief könnte
nun erst den Mittwoch abgehn (nach Bülzig), und weil er Dich alsdann
_vielleicht_ nicht mehr in Bülzig treffen sollte, so schick’ ich
ihn lieber nach Halle.
* * * * *
Den 11ten May, Freitag, Mittags.
Ich vollende jetzt meinen Brief und ärgre mich nochmals, daß meine
Bereitwilligkeit mir und Dir nichts geholfen hat. Mein Brief wird Dich
nun wohl in Deiner neuen Residenz in Halle begrüssen. An Piesker habe
ich gleich geschrieben, und so dringend als möglich: aber die kalte,
unbeugsame Seele hat mir nicht einmal geantwortet auf meine rührenden
Klagen und Vorwürfe. Gestern Abend bekomm’ ich ganz unerwartet einen
Brief von Wißmann.
* * * * *
Abends.
O Freude, o Freude! heut Mittag hab’ ich schon einen zweyten Brief von
Dir bekommen; Du kannst gar nicht glauben, wie ich triumphirt habe.
Aber ein Ding ist sonderbar. Du hast meinen ersten kleinen Brief --
(3 Oktavseiten lang, -- es war nichts Merkwürdiges darin) -- den ich
den Dienstag vor 8 Tagen, als den 1sten May an Rambach zum Einschluß
gab, nicht bekommen. Und was noch sonderbarer ist: ich bringe heut
nach Tische gleich den Brief an Deine Schwester, und sie sagt mir, sie
hätte 2mal an Dich geschrieben, und in Deinen Briefen sagtest Du, daß
Du auch nichts von ihr bekommen hättest. Liegt die Ursache von diesen
Konfusionen in Einer Ursache? Ist der Herr Fuhrmann in Wittenberg etwa
Schuld? -- Fast verdenk’ ich es Dir, daß Du nicht unruhig darüber
geworden bist, oder nicht deswegen auf mich ein wenig mehr gescholten
hast, daß ich, nach Deiner Meynung, noch nicht, wenigstens mit der
Feder in der Hand, an Dich gedacht habe. Du weißt indeß nun den ganzen
Zusammenhang und den Verlauf der Sachen: und ich werde also wohl in
Deinen Augen exculpirt seyn.
Ist es denn wirklich Dein Ernst, lieber Tieck, daß Du mich nicht
vergessen kannst? O! er muß es wohl seyn! Es hat mich recht gerührt,
daß Du schreibst: „es war recht _unvorsichtig_ von uns, daß wir
uns die letzte Zeit in Berlin so oft sahen.“ Es hat mich recht gerührt.
O Tieck, Tieck, ich habe es geglaubt, daß Du mir gut wärst; aber kaum,
kaum hab’ ich es je glauben können, daß Du _so_ zärtlich gegen
mich denkst. Und daß Du mir nichts als wahre Empfindung Deines Herzens
äußerst, weiß ich. Womit soll ich’s Dir vergelten? Du demüthigst mich.
-- Ich breche ab.
* * * * *
Wie bist Du denn zu den ausgebreiteten Bekanntschaften in Koswig
gekommen? Und, ums Himmels willen, wie ist es möglich, daß Du in einer
Gesellschaft so lange hast Karten spielen können? Das ist ja ganz
schrecklich. Ich glaub’ ich hätte vor Aerger geweint, wenn ich Dich
in eine solche Situation geklemmt gesehen hätte, -- _Dich_ am
Spieltisch, dem Thron von Affen und Laffen, -- Dich! Es ist wahrlich
viel? Ich bedaure Dich. -- Auch die andre Gesellschaft, die Du in
Koswig gehabt hast, muß gar herrlich für Dich gepaßt haben. Aber daß
Du Karten spielen mußtest, und in die Nacht hinein, das ist mir noch
immer das schauerlichste. Ich kanns gar nicht vergessen. Das Fatum muß
nothwendig einen Fehlgriff in der Urne gethan haben, da es das Looß
dieses Tages für Dich zog: das fatale Fatum!
* * * * *
Du stiehlst meiner eigenen Werkstätte von Gedanken etwas, wenn Du
mir die Bemerkung machst, daß um das Große in den schönen Künsten
zu fassen, ein selbst groß und erhaben denkender Geist der Kritiker
seyn müsse. Das hab’ ich schon immer gedacht, und, wenn ich nicht
irre, Dir auch schon gesagt. Aber das was Du hinzusetzest, kann ich
nicht ganz billigen. Ich weiß nicht recht, warum das Erhabene Dich
_eher_ zu _Thränen_ rühren sollte, als das Empfindsame.
~Ad vocem~ Empfindsam, will ich Dir doch einen Zweifel und eine
Bemerkung mittheilen. Ich bin nicht recht mit mir einig, was man
eigentlich _Empfindeley_ nennen solle. Mir scheints am Ende blos
_affektirte_ Empfindung zu seyn; ich will Dir sagen, warum.
Empfindungslose Empfindsamkeitspötter nennen oft etwas Empfindeley,
was an sich schöne, feine Empfindsamkeit ist, und nur dann falsche
Empfindung oder Empfindeley wird, wenn jemand es affektirt, zu haben.
Ich sehe z. B. nicht ein, warum der Vorsatz, nicht aufs Feld gehen zu
wollen, weil man da mit jedem Tritt eine Menge kleiner im Sonnenschein
spielender Geschöpfe vernichtet, -- in gewissen Situationen, auf eine
kurze Zeitlang, nicht wahre, ächte Empfindung seyn sollte. Sagt aber
jemand, der an der Modesucht krankt, solche Dinge, und sehe ichs
ihm an den unnatürlich verdrehten Augen an, daß er gern beliebte
Paradoxa hervorbringen will, kurz, erkenn’ ich an ihm die Symptome der
Affektation, so würde ich sagen: er empfindelt. Denn an sich sehe ich
nicht ein, warum es nicht möglich seyn sollte, _bey allen Dingen
unter der Sonne, unter gewissen Umständen, etwas zu empfinden_. Und
wenn jemand in eine Stimmung versetzt wird, daß er Empfindungen in
seinem Busen fühlt, in welchen er noch keinen Vorgänger gehabt, so muß
diese seine Empfindung doch für ihn wahr und richtig seyn. Oder willst
Du noch falsche Empfindung und Empfindeley unterscheiden? Ich habe mich
verirrt und erwarte Deine Fackel in diesem kleinen dunkeln Labyrinth.
-- Sey so gut und belehre mich doch über dergleichen Anfragen, Dubia u.
s. w., wenn Du Lust hast. --
-- -- Um noch einmal zu Deiner Materie vom Erhabenen zurükzukehren, so
scheinst Du mir da etwas verwechselt zu haben. Daß das Erhabene Dich in
eine Art von Wuth d. i. in den höchsten Paroxismus der Begeisterung
und Entzückung versetzt, will ich glauben. Aber Thränen kann wohl nur
das Rührende entlocken, -- und, -- (wie wir es mündlich ausgemacht
haben) -- das Schauerliche, Schreckliche.
Daß Schmohl durchaus kein freiwilliger Diener der Musen werden, nicht
auf dem Altar der Grazien opfern will, wundert mich doch. Sein fremdes,
frostiges Betragen gegen Deinen vertrauten Freund Shakespear muß Dich
wohl natürlich beleidigt haben. Sollte Dein Geschmack denn gar nicht an
seiner Denkungsart abfärben, wie an der meinigen?
* * * * *
Bernhardi hab’ ich in dieser Woche einmal, Rambach zweymal nicht
zu Hause getroffen. Daher hab’ ich mir von diesem auch noch nicht
Deine Anna Boleyn geben lassen können, so gern ichs gethan hätte. Es
geschieht aber noch: ich werde sie noch aufmerksam lesen, und soviel
ich kann, Dir darüber sagen, wenn auch nur in Kleinigkeiten. -- Unter
allen den Abhaltungen, die mich an tausend Dingen verhindert haben,
nur nicht an Dich zu denken und zu schreiben, habe ich denn doch auch
eine höchst angenehme gehabt. Du weißt, oder weißt nicht, daß ich in
Sachsen, bey Jena, einen _Freund_ habe: er ist es wirklich, denn
ich schätze ihn sehr, und habe mich überzeugt, daß er zur Freundschaft
geschaffen ist. Vor ein paar Jahren lernte ich ihn hier kennen, und
seitdem habe ich meinen unterbrochenen Umgang mit ihm durch Briefe
fortzusetzen gesucht. Sein Nahme? Er heißt Schuderoff und ist Prediger
in Drakendorf und Zöllwitz, 1 Meile von Jena, ein liebenswürdiger
junger Mann, dessen jugendlichschöne, feine Gesichtsbildung eine
geläuterte Denkungsart und ein edles Herz ankündigt. Er ist zum Besuch
hier und kommt bey seiner Rückreise _vielleicht_ durch Halle. Er
ist Kantischer Philosoph, und hat neulich Briefe über die moralische
Erziehung herausgegeben, die ich itzt lese und die recht schön sind.
Zweymal bin ich mit ihm im Thiergarten gewesen. Das frische Grün ist da
ganz zauberisch schön. Die gewölbten Birkenalleen sind das lieblichste
Bild des Frühlings. Und weißt Du wohl was ich gestern in der gekreuzten
Birkenallee für eine Freude hatte? Du wirsts errathen. Verschwunden war
die verdammte Statue ohne Kopf. Ich möchte wissen, welcher gute Genius
sie fortgeschleppt, oder in die Tiefen der Erde hinuntergeschleudert
hat. Der Gang ist nun noch einmal so schön.
* * * * *
Vom Theater willst Du etwas wissen. Hier ist etwas fragmentarisches,
so viel ich Dir geben kann. -- Vor einiger Zeit ist ein neues Stück
von Jünger: die Geschwister vom Lande, gegeben, das nicht vorzüglich
seyn soll. Die Hagestolzen und Axur werden oft wiederholt. Ein gewisser
Lißner scheint hier zu bleiben; und ein andrer Schauspieler, Garly,
soll auch hier engagirt seyn. Dieser soll eine sehr schöne Bildung
haben und viel Anlage besitzen. Diesen Mittwoch ist Emilia Galotti
aufgeführt: ein durchreisender Däne, Herr Preisler, hat den Prinzen,
und Garly den Marinelli gespielt. Ob es wahr ist, daß Czechtizky und
Mattausch noch wegkommen werden, weiß ich nicht. -- (~N. B.~ Seit
dem Don Juan, der, als Du in Fredersdorf warst, gegeben ward, bin ich
nicht im Schauspiel gewesen.)
* * * * *
Dank für das kleine Gedicht von Deinem Freunde Toll. Es ist süß und
lieblich, und wird mir sehr werth bleiben. Ich werds, wie Deine Briefe,
als ein Kleinod aufbewahren. -- Verzeihe nur meiner Armuth, daß ich
Dir jetzt unmöglich etwas mitschicken, und meinem Mangel an Zeit,
daß ich Dir nicht etwas abschreiben kann. Wolltest Du so gefällig
denken, die Länge meines Briefes als einen Ersatz dafür anzunehmen?
-- Unsre Korrespondenz soll sich nun nicht wieder verwirren. Du bist
wohl so gut, und schreibst mir zuerst wieder, wenn ich nicht zu viel
verlange. Doch schreib so wenig oder so viel Du Zeit hast; je mehr
natürlich, je besser, aber nur bald. Doch beinahe möcht’ ich glauben,
mit diesem dringenden: Bald, Deine Delikatesse zu verletzen, weil mir
Deine 2 schnell aufeinander folgenden Briefe eine sehr hohe Idee von
Deiner reizbaren Briefschreibethätigkeit eingeflößt haben. Ich werde
Dir dann gewiß bald antworten. Oder hoff’ ich zu vorschnell, und bin
ich unbillig wenn ich von Halle aus, wo Du in mehr Verbindungen und
Geschäfte kommst, so oft etwas von Dir zu lesen erwarte? -- Aber was
schwatz’ ich denn? Du bist mein Freund, und wirst schon wissen, was mir
gut und lieb ist. So will ich denn mit festem Muth auf Dich hoffen, und
mein Vertrauen allein in Deine Freundschaft setzen.
* * * * *
Den 12ten May Sonnabend Mittags.
Von Denis eigenen Oden, Elegien und Liedern muß ich Dir noch sagen,
daß mir manches sehr darin gefallen hat. Am schönsten dünken mich
die Gedichte zu seyn, die er Klagen nennt: z. B. über Gellerts Tod,
über den Mißbrauch der Dichtkunst u. s. w. Der letztere Gegenstand
ist vortrefflich behandelt. Da wirds recht mit lauten dreisten Worten
unserer entarteten Dichterrepublik gesagt, daß nur Empfindung,
Empfindung der Genius seyn solle, der das Lied beleben könnte, daß
Witz ein verzogenes Kind sey, das nur jenseit des Rheins zu Hause
gehöre; und mehr dergleichen, was, wie Du weißt, schon lange meine
Herzensmeynung gewesen. „Soll Witz, soll Witz im Liede seyn?“ fragt
Denis und ich frags mit ihm.
* * * * *
Ich habe nicht länger Zeit, und muß Dir also ein herzliches Lebewohl
sagen. Sag mir doch manchmal Deine Meynungen über meine Meynungen, die
ich Dir so in meinen Briefen äußre. Schreib mir nur ja bald, recht
bald; ich antworte dann gewiß auch bald. Sorge für Deine Gesundheit
und grüße Halle. O die liebe Reichard’sche Familie! Wenn ich doch
Miekchen auch sehn könnte! Grüße sie herzlich von mir; auch Schmohl;
auch die kleinen Mädchen bey Reichards, die ich noch alle bey Namen
weiß. Vielleicht versucht meine Muse bald wieder eine Kleinigkeit, ich
schicke sie Dir dann. Schreib mir bald und bleib’ mein Freund. --
_W. H. Wackenroder_.
III.
Montag, den 4ten Juni. Abends.
Eben leg’ ich Deinen Brief wieder aus der Hand, den ich wieder gelesen
habe. An meinen _verlaßnen_ Freund Tieck soll ich denken? O ich
denke oft, und mit ganzer Seele an ihn, -- aber daß er verlassen sey,
-- daß eine düstere Traurigkeit sich wieder wie ein Staar über das
heitere Auge seines Geistes gezogen hat, -- daß er in Halle noch nicht
vergnügt gewesen ist, -- das, das hatte ich nicht erwartet. Schreibst
Du doch fast grade so, wie Wißmann, dem ich heute früh geantwortet
und Trost einzusprechen gesucht habe. Von ihm ahndete ichs; -- aber
von Dir, wahrlich, von Dir hatte ichs nicht erwartet. Ich glaubte, Du
würdet dort Dich zerstreuen, und -- wenigstens in den Augen Deiner
Freunde, und auch in Deinen eigenen, wenn Du nicht zu tief in Dich
hineinblicktest, -- einer frohen Heiterkeit genießen. O wehe! daß ich
mich getäuscht habe. Du bist in Halle noch gar nicht vergnügt gewesen!
Ich bitte Dich, lieber Tieck! Du bist ja lange hinweg über die Periode
in dem Lebenslaufe empfindender Menschen, da sie sich alles zu Herzen
_ziehen_, und ihre üble Laune nur pflegen, und es für Sünde halten
sich aus ihren Klauen loszureißen! Du weißt ja über Dich zu siegen, Du
hast es mich ja gelehrt, so daß ich auch mir wenigstens Mühe gebe, es
eben so weit zu bringen. Aus Bülzig schriebst Du mir so heiter, daß ich
mich recht freute. Was soll ich nun sagen? Ich möchte mich schämen, daß
ich hier noch zufriedner leben soll, als Du in Halle. Tieck, ich bitte
Dich, wache auf Dich! -- Und, was mich in ein bittersüßes Erstaunen
setzt, ist, daß Du mich so vermissest. O Tieck, so liebst Du mich denn
mehr, als ich je kühn genug war, und seyn konnte, zu erwarten? Es ist
als hättest Du mir meine Empfindungen gegen Dich aus meinem Herzen
geraubt und ströhmtest sie nun auf mich zurück. Du giebst mir wieder,
alles was ich Dir geben kann? Ich beschwöre Dich, hör’ auf! Es ist die
göttliche Seligkeit, die ein menschliches Herz zu fassen vermag, aus
dem Munde eines Freundes sein Lob zu hören! aber dieser Nektar möchte
Gift für mich werden. Hör auf mit diesem Wiedergeben und Wechseln der
Freundschaftsergebenheit, denn du berauschest mich, und wir machen uns
in unsrer jetzigen Lage (da kein Sprachrohr einmal dem einen Worte des
andern überbringen kann), nur noch unglücklicher. Ich erschrecke aufs
heftigste, wenn Du mir in die Augen sagst: ich sey Dir zum _leben_
nothwendig! Noch einmal! Was stiehlst Du mir meine Gefühle, -- warum
verwechselst Du die Rollen in dem schönen Duodram, das wir zusammen
spielen, und nimmst die meine? Tieck, ich müßte mich ja in den Staub
legen und trauern, wenn ich wüßte, daß _meine_ Entfernung Dir so
viel trübe Stunden brächte. Ich habe das nie so geglaubt! Du hast mir
das nie so deutlich zu empfinden gegeben. O ich möchte verzweifeln,
-- ich weiß nicht was ich thun soll, um Dich glücklich zu machen. Du
nennst meine Sprache Schwärmerey. O wenn ich Dich je weniger lieben
könnte, -- ich wäre der bedaurenswürdigste Mensch unter der Sonne.
Und wenn ich je Deiner Freundschaft weniger werth seyn sollte, o so
erinnere Dich, daß Du mich geliebt hast, und sey so mitleidig, mich
wieder zu Dir hinaufzuziehn; verachte mich nicht! -- Aber genug! Tieck
laß die wilden Ströhme unsrer Empfindungen sanfter fließen. Wir jagen
alles heiße Blut in unsre Adern und bringen uns durch diese schädliche
Erhitzung in einen kranken Zustand.
Wie sehr muß ich es bedauren, daß Schmohl mit Dir nicht _mehr_
harmonirt. Ich hatte auch _das_ nicht erwartet. Er scheint sich
eher von Dir zu entfernen als sich Dir zu nähern. Was Du mir von Bothen
sagst, Du kannst leicht denken, wie auffallend und unvermuthet auch
_das_ mir gewesen ist. Aber ich glaube es, weil Du es sagst.
Wie Menschen sich ändern können! Wenn du zwischen diesen beyden Dir
heterogenen Köpfen hin und wieder schwankst, so kannst Du freilich
nicht in Ruhe seyn. Aber -- ach! Gott! eben wollt’ ich einen Trost für
Dich aussinnen, und -- Du wirst Dir meine Gedankenstriche erklären
können. Ja! es ist schwer für mich, Dich zu trösten. Doch wohl Dir,
wenn Du keines Trostes bald mehr bedarfst; wenn der rasche Flügel der
Zeit die Gewölke vor Deinen Blicken zertheilt hat, wenn der allmählige
Aufenthalt Dir behaglicher wird, und Du Umgang, und in Dir selbst
Zufriedenheit findest. Nimm deine Kraft zusammen und erhalte Deinen
Körper und Geist aufrecht und fest. -- Ach! ich schreibe konfuses Zeug!
Wollte Gott, Du wärst glücklich. O Du wirst, Du mußt es werden.
IV.
Dienstag, den 15ten Juni, Abends.
Mit nassen Augen fang’ ich an, Dir zu schreiben. O Tieck, Du hast mir
schon manche Thränen ausgepreßt; tausend süße, für die ich alle Schätze
der Welt nicht verlangte; aber auch bittere, herbe Thränen, die in
meinen Augen gebrannt, und mich zu einer melancholischen Sympathie
erhitzt haben. Du hast mich lange nicht so erschüttert als durch Deinen
letzten Brief. Wenn Du weißt, wie heftig ein solcher Donnerschlag, ein
solches Ungewitter, das dem Wohl eines Freundes droht, in dem Herzen
seiner anderen Hälfte wiederhallen muß; wenn Du Dir vorstellen kannst,
wie schrecklich wahr und lebhaft alle Züge und Bilder vor mir stehen,
die Dein flüchtigkühner Pinsel auf das Papier wirft; o so wirst Du
empfinden wie das, was Du mir zu erzählen wagst, den kältesten Schauer
über mein Gebein gegossen, und alle meine Nerven gewaltsam durchbebt
hat. Gütiger Himmel! auf welchem entsetzlichen Rande hast Du gestanden!
O Tieck, -- Gott möge verhüten, daß unsre Freundschaft, die ein
Beyspiel der möglichen Menschenglückseligkeit seyn sollte, keinen Stoff
zu einem Trauerspiel gebe.
Um alles in der Welt willen, welcher Dämon macht sich denn ein
Vergnügen, Dich unglücklich zu machen? Ich weiß nicht wie meine Zunge
zu Dir sprechen soll; sie erstarrt.
Aber ich muß, ich muß Dir laut zurufen auf Deinen gefährlichen
Irrwegen; Du möchtest, -- Gott! wie hat es denn dazu kommen müssen.
Halt Dir Dein Ohr nicht zu, wenn ich jetzt mit starker Stimme zu Dir
spreche, ich muß. -- Sprich? bin _ich_ Dir denn so nöthig, um Dich
von Verirrungen und schwelgerischen, verderblichen Ausschweifungen
in den Genüssen des Geistes zurückzureißen? Ist Schmohl denn so ein
kaltes, stummes, theilnehmungsloses Marmorbild? Ich bitte Dich, um
alles was Dir heilig ist: wende ein Körnchen Deiner Vernunft an, und
betrachte was Du gethan hast. Welch ein entsetzliches Unternehmen, 2
Bände in einem Nachmittage und einer Nacht hintereinander in einem
Athem zu lesen! Nicht genug! Ein Buch, was alle Phantasie aufs äußerste
umherjagt, über die Gränzen der Besinnung herumjagt! Wie ist es denn
möglich, daß Du Dich selber nicht mehr kennst? Oder opferst Du einer
lüsternen Begier, einem Kitzel, etwas außerordentliches Dir selbst
vorzuthun, Deine Zufriedenheit auf, deren Zerstörung Du voraussiehst?
Tieck, ich schäme, ich verdamme mich, daß ich solche Ausdrücke brauchen
muß, aber ich kann nicht anders. Das Todte, Unbelebte des Buchstabens
mag der Nachdruck der Worte ersetzen. Ist Schmohl denn so blutwenig um
Dich besorgt? Wie ist es zu begreifen, daß er Dir immer hat zuhören,
und, als wärst Du eine Sprechmaschine, dabey einschlafen, ruhig
einschlummern können?
Tieck, ich wollte vieles aufopfern, wenn meine Freundschaft ein
einziges von Dir verlangen könnte. Ich weiß, daß Du das Leben
nicht achtest, daß Du Dich als einen der Welt schon abgestorbenen
betrachtest, der in einem gleichgültigen Mittelzustande lebt, alles
um sich her wie aus dem Grabe, wie durch das Gitterfenster eines
düstern Gewölbes ansieht; der ohne Ueberlegung aus Laune seinem
Körper und Geiste Pönitenzen auflegt, und sich selbst wie einen
Nichtswürdigen behandelt, weil er nichts an sich verlieren zu können
glaubt. Wann wirst Du von dieser unseligen Krankheit genesen? O
daß ich alle Beredsamkeit, die in allen Welttheilen je menschliche
Herzen gebeugt hat, zusammenrufen, und auf einen Punkt konzentriren
und damit wie durch den Sonnenstrahl vom Brennspiegel Dein verirrtes
Herz mit Wahrheitsglanze blenden könnte! Tieck ich beschwöre Dich
bey allem was Dir heilig ist, bey der göttlichen Kraft die die Welt
beseelt, und deren Funken in Deiner Seele glüht; ich beschwöre, frage
Deine übertäubte Vernunft um Rath. Unaufhörlich stürmst Du auf die
Gesundheit Deines Körpers und Deiner Seele los, -- wie kannst Du
etwas anderes als Mißbehagen fühlen? In einem Anfall schrecklicher
Melancholie würde der Gedanke, das Innere des heiligen Geheimnisses,
des Lebens, zu zerstören, zu welchem die Natur allein den Schlüssel
hat, er würde in einem heiteren Lichte Dich umschweben, und es würde
Deinem Schooßkinde, der Phantasie, gar herzlich kitzeln, wenn sie
die Vernunft wie eine weinende Bettlerinn, vor ihrem Thron harren
sähe. Aber hier, hier ist es Zeit an Deine Liebe zu appelliren! Hier
stelle ich unsre Freundschaft Dir vor die Füße; diese mußt Du zuvor
umstürzen, ehe Du die abentheuerlichen, zauberhaften, erquickenden
Freuden eines lebenlosen Lebens oder -- des Nichtdaseyns selbst kosten
kannst. O sammle Dich Freund, in diesen Augenblicken muß ich Dich mit
dem kühnsten Stolze angreifen, mit der gespanntesten Empfindung Dich
in das Geleise des gemeinen Nachdenkens zurückbringen; -- -- doch es
ist Unsinn was ich schreibe, Du hast kein Acht auf mich, Du hörst
mich nicht. Soll ich Dich feiner angreifen? Soll ich Dir im Spiegel
der Zukunft die thränenvollen Tage, das unglückselige Schicksal
zeigen, das mich verfolgen würde, wenn Du, aus Ungeduld der langsamen
Natur zu folgen, oder Lust ein großer Geist zu werden, Dich immer
unglücklicher machtest? Und bin ich der einzige? Du weißt nicht, wie
sehr z. B. Bernhardi Dich liebt; ich weiß es. Und Du, Du, Tieck, Du
könntest unbesonnen genug seyn, aus muthwilligem Humor, aus bloßem
armseligem Kitzel, aus Sucht, Dir ein schaales kleines Vergnügen zu
machen, etwas zu thun, wodurch Du Deine Freunde auf ihre Lebenszeit
unglücklich machst, Elend auf ihr heiteres Leben säest, und durch sie
auf die sie umgebende Welt auch noch trübsinnige, melancholische
Gefühle verbreiten willst? Du denkst: „Ich möchte doch sehen, ob ich
das Buch in einem Abend ganz durchlesen könnte, -- ich möchte doch
wissen, ob ich es aushielte, mehrere Nächte hintereinander oder in
einer heftigen Geistesspannung zu arbeiten, -- ich hätte wohl einmal
Lust, in einem Tage 14 Meilen zu gehn, -- ich möchte gern aus Spaß
einmal in einer ganz finstern Nacht auf den Giebichensteiner Felsen
an den gefährlichsten Stellen heraufklettern“ -- und tausend andre
Sachen. Entsetzlich! Deine Laune, die durch einen elenden Genuß einer
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