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Briefe an Ludwig Tieck (4/4) - 16

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  vagesten Begriffe, so unpraktisch, so unbefriedigend! Wie gesagt, man
  kann es dem Glücklichen nicht verargen, wenn er den Mangelleidenden
  aus lauter Gutwilligkeit mit einem Trost abspeist, der gar nichts ist;
  weil -- er den Mangel nicht kennt. Er verstehts nicht besser. In dem
  Fall bist Du. Mein Geschwätz muß Dir freilich fremd und unverständlich
  vorgekommen seyn; Du mußt freilich glauben, daß die Gedanken, die ich
  äußere, übertrieben und überspannt sind; daß ich viele Sachen viel zu
  ernsthaft fasse, sie viel zu unverhältnißmäßig würdige, ihnen einen
  viel zu großen Einfluß zuschreibe; blos weil Du sie nicht genug kennst
  und Dich in die Umstände nicht genug hinein denken kannst. Ich kenne
  das! Aber ich versichere Dich, daß es nicht so ist, als Du wähnst,
  nicht so seyn kann. Glaube mir auf mein Wort, daß Du keinen Tag lang
  die Situation halten könntest, die Aufopferungen, den Zwang erdulden
  könntest, dem ich itzt ausgesetzt bin. Du kannst Dir nicht vorstellen,
  wie ich nach Freiheit lechze. Gott, wie verzeihlich ist es, sie zu
  mißbrauchen, wenn man so lange gequält ist. In Erlangen soll auch nicht
  Eine Menschenstimme mich geniren! Und in dieser Rücksicht ist mir
  der Abschied von Berlin fast noch willkommner, als er mir in anderer
  schmerzhaft ist. Je länger ich von Dir entfernt gewesen bin, desto
  mehr hab ich Dich vermißt. Ach Gott, ich fühl es leider so lebhaft, --
  wär’ ich länger noch von Dir getrennt, so würdest Du einen ganz andern
  Menschen wiederfinden. Auch nicht Eine halbe Stunde voll Enthusiasmus
  und Freundschaftsseligkeit, -- Himmel sonst berauschte ich mich jeden
  Tag mit diesen hohen Gefühlen, -- auch nicht Eine hab’ ich in Deiner
  Abwesenheit verlebt, -- wenigstens nicht _mit_ einem andern. Es
  wäre kein Wunder, wenn ich itzt die Heraldik studierte, -- doch nein!
  Vielleicht schreib ich grade in einer trüben Stunde.
  Sey doch nicht bange, daß ich mit der altdeutschen Poesie meinen
  Geschmack verderbe. Was soll ich anders thun, als mich auf Dinge legen,
  die meinen Geist mit weniger erhabenen Ideen nähren! _Die_ helfen
  mir jetzt nicht; sie lassen mir Deinen Mangel desto deutlicher fühlen.
  Was hilft es mir itzt, den Shakspeare zu lesen? Was hülf’s mir, ein
  noch so schönes Gedicht zu schreiben? Ich müßte mich auslachen! Du
  kennst übrigens sehr wenig von den altdeutschen Litteraten, wenn Du
  blos die Minnesinger kennst. Ueberhaupt ist sie zu wenig bekannt. Sie
  enthält sehr viel Gutes, Interessantes und Charakteristisches, und ist
  für Geschichte der Nation und des Geistes sehr wichtig.
  Ich habe mich schon lange gewundert, daß Du mich nicht gefragt hast,
  was ich von den Franzosen denke. Ich denke ganz mit Dir gleich von
  ihnen, und stimme von ganzem Herzen in Deinen Enthusiasmus ein, das
  versichere ich Dich. Aber ich kann mich nicht enthalten, Dir folgendes
  zu sagen. Ich spreche hier durchaus mit keinem Menschen von den
  Franzosen; und zwar darum, weil jeder von ihnen spricht, ihre größten
  Thaten immer mit einem Lächeln erzählt, als wollt’ er sagen: Was die
  närrischen Leute nicht für Dinge thun! Und wer mit diesem Lächeln davon
  spricht, dem möcht ich gleich eine Ohrfeige geben. -- Auch denk’ ich
  sehr wenig über die Angelegenheiten nach: -- ich weiß selbst nicht,
  wies kommt. -- Auch lese ich die Zeitungen nicht, weil ich nicht Zeit
  habe, und alles von andern höre. -- Endlich würd ich, wenn ich ein
  Franzose wäre, so stolz ich auf mein Vaterland und meine Nation seyn
  würde, doch gewiß nicht Soldat werden und den Säbel oder das Gewehr
  in die Hand nehmen, weil ich mein Leben und meine Gesundheit zu sehr
  liebe, und zu wenig körperlichen Muth besitze. Ich weiß, daß Du Dich
  über meine Dreistigkeit, Dir meine krassesten Grundsätze so nakt
  darzustellen, wundern wirst; daß Du nicht wirst begreifen können, wie
  man in der That von dieser Sache begeistert seyn kann, ohne auch Muth
  genug in sich zu fühlen, dabey selbst mitzuwirken; ich weiß, daß ich
  durch mein offenherziges Geständniß, wenigstens auf ein paar Stunden,
  Deinen Zorn auf mich lade. Allein bedenke nur: kannst Du von irgend
  einem Menschen Heldenmuth und Tapferkeit verlangen, die er nicht hat.
  Ich bin sehr davon zurückgekommen, diese körperlichen Tugenden gering
  zu achten: aber, -- _ich_ habe sie nicht; und es ist unmöglich,
  daß Du mir das zur Sünde machen kannst; ich thue Verzicht auf diese
  Größe. Auch bin ich einmal so eingerichtet, daß die idealische
  Kunstschönheit der Lieblingsgegenstand meines Geistes ist; ich kann
  mich unmöglich von lebhaftem Interesse hingerissen fühlen, wenn ich in
  den Zeitungen lese, daß die Preußen itzt diesen, die Franzosen itzt
  jenen Ort eingenommen haben, und was dergleichen Partikularia mehr
  sind; alles ist mir etwas zu fern, -- zu wenig sichtbar, geht mir zu
  langsam, stimmt nicht mit dem idealischen Gange meiner Phantasie, macht
  mich unruhig, befriedigt mich nicht. Vieles können die ungewaschnen
  Urtheile bey mir gethan haben. Soviel itzt davon; mündlich mehr. Ich
  werde nur zu aufrichtig gegen Dich gewesen seyn.
   * * * * *
  Ich muß nur Deinen Brief nach der Reihe beantworten, daß ich nichts
  vergesse.
  Mein Freund bey Jena heirathet itzt im Januar, und wird mir, hoff’ ich,
  bald schreiben. Wir werden wohl grade um Ostern, oder ein Paar Tage
  vor oder nach Ostern, von hier abreisen. Ich muß Dich also ernstlich
  bitten, daß Du bey guter Zeit hier bist, das heißt, 8, oder über 8
  oder 14 Tage vor Ostern. (Ostern ist den 31. März.) In der That, Du
  mußt über 8 Tage vor Ostern schon hier seyn. Und warum sollte das
  auch nicht gehen? Durch die Kollegia wirst Du Dich ja nicht abhalten
  lassen. Wenn Du nur erst hier wärst; und bist Du hier, so werd’ ich
  gewiß wünschen: wenn wir nur erst fort wären. Wie wird es aber mit
  unsrer Reise werden? Das liegt mir noch alles zu sehr im Dunkeln.
  An einem Abend, als ich bey Dir war, entwarfen wir zwar in größter
  Geschwindigkeit einen sehr artigen Plan, allein ich zweifle itzt
  beinahe, daß er sich ganz wird ausführen lassen, wie es denn oft den
  guten und frommen Wünschen, deren uns in Einer Viertelstunde oft 10
  aufstoßen, ergeben muß. Fürs erste wird unsre Zeit sehr kurz seyn.
  Mein lieber Prediger macht mir schon in seinem Briefe ein Gesicht
  dafür, daß ich nur von 8-14 Tagen spreche; und neulich wollte man mich
  schon versichern, daß die Kollegia in Erlangen in der Mitte des April
  angiengen. Indeß mag das nun seyn wie es will, unsre Zeit wird immer
  sehr kurz seyn. Ueberdies darf man der Jahrszeit so wenig trauen, daß
  wir von einem Aufenthalt in Wörlitz vielleicht wenig Vergnügen erwarten
  dürften. Und wie sollten wir uns auch bequem dort aufhalten können,
  wenn wir, wie es doch seyn wird, mit der Post reisen? An Excursionen
  von Halle aus will ich gar nicht einmal denken. Das kürzeste und
  zweckmässigste wäre immer wohl, in Einem Strich nach Jena zu reisen.
  Und dazu würde ich auch in den ersten Tagen weit eher aufgelegt seyn,
  als in Wörlitz zu lustwandeln, wozu ich eben nicht Laune haben möchte.
  -- Bei allem dem würde es mir doch herzlich leid thun, wenn Deine
  Schwester dadurch einer angenehmen kleinen Reise, worauf sie sich
  gefreut hat, verlustig gehen sollte. _Lange_ wenigstens, und an
  vielen Orten könnten wir uns wenigstens nicht aufhalten.
  _Vom Theater_. Daß ich sehr leicht von einem Extrem aufs andre
  falle, ist nur zu wahr. Aber bey Menschenhaß und Reue ist das nicht
  mein Fall, und ist es nie gewesen. Ich schätze die schönen und
  rührenden Scenen so sehr als sonst, und habe nur eingesehen, daß
  die komischen Personen, die mir sonst so weise angebracht schienen,
  ziemlich ungeschickt angebracht sind u. s. w. -- Dein Enthusiasmus
  über die Räuber und über Schiller ist einmal wieder ganz aus meiner
  Seele gestohlen. -- Du begreifst nicht, wie Fleck in einem schlechten
  Stück schön spielen könne? Du hast Recht; ich habe mich nur falsch
  ausgedrückt, wie es öfters geht, wenn man seine besonderen Erfahrungen
  und Beobachtungen einem Abwesenden mittheilt, der alsdann manches
  undeutlich und unbestimmt findet. In einer schlechten Rolle kann
  ohnmöglich ein Schauspieler gut spielen. Allein -- _doch_
  läßt es sich in gewissem Verstande gedenken. Das heißt, gewisse
  Empfindungsausdrücke, die leicht zu finden und allgemein gebraucht
  sind, die Ausrufungen, das Ach und das Wehe, die Lücken, die der
  Dichter läßt, daß sie durch stummes Mienenspiel oder durch schöne
  Gebehrden ausgefüllt werden sollen, -- hier ist der Ort, wo sich
  der Schauspieler noch immer zeigen kann; hier in einzelnen Stellen,
  im Ganzen freilich nicht. Und jenes meynte ich auch nur. -- Ueber
  Kaselitzens Spiel in dem Barbier von Sevilla bin ich ganz mit Dir
  einig; und auch was Du über die Karrikaturen sagst, unterschreibe
  ich von ganzer Seele. Es ist viel wahres und treffendes darin.
  -- Neulich hab’ ich ein neues Stück: Die falschen Entdeckungen,
  Lustspiel nach Marivaux in 4 Akten gesehen; ein Stück was äusserst
  artig ist, und voller Empfindung und Feinheit. Die letztere wird
  vorzüglich durch das unnachahmliche Spiel der Engst gehoben. Auch
  Unzelmann spielt vortrefflich drin. Er ist jetzt ganz und gar mein
  Liebling, und ich halte ihn fast für den vollkommensten Schauspieler
  vom hiesigen Theater; und fast möchte ich auch dies Fast noch
  ausstreichen. Er spielt im Ganzen, immer gut, in den verschiedensten
  Rollen. Bey jenem Stück sah ich noch ein andres neues: Der Richter,
  Lustspiel in 2 Aufzügen nach Mercier; simpel, aber voller Wahrheit,
  worin Fleck einen alten Bauern spielt. -- Seitdem habe ich die Nina
  wiedergesehen, und bin von der ausdrucksvollen Musik und von dem
  Gesange der Unzelmann, worin nichts als ächtes Gefühl ist, beinahe
  bis zu Thränen gerührt. -- Am Mittwoch war zum erstenmal: Ludwig der
  Springer, Rittertrauerspiel von Hageman (Akteur in Hannover), zum
  Benefiz für Herdt. -- Neulich habe ich die neue Oper von Righini
  (aus Maynz) gesehen. Die Musik ist in einigen Stellen, besonders in
  Terzetten, Duetten u. s. w. voll Gedanken und Geist, und wird hier
  sehr bewundert. Nur sieht mir zuweilen der Italiäner mit seinen
  sangbaren und einfachen Melodieen, wie sie seyn sollten, die aber nur
  zu sehr an bekannte und gemeine Lieder-Weisen und Tanzmusik gränzen
  und etwas zu gewöhnlich sind, durch. Da ich Dir von den Schönheiten
  nichts zur Probe geben kann, so muß ich so undankbar seyn, Dir eine
  abgeschmackte Idee des Komponisten mitzutheilen, welche beweist, daß
  Leute sich in Geniestreichen oft gewaltig täuschen können. Er hat
  sich vermuthlich auf seine Originalität etwas zu Gute gethan, wenn er
  das Orakel, das 6 oder 8 Verse sind, beständig in _demselben_
  Tone singen läßt. Allein um es noch origineller zu machen, hat er,
  -- kann man sich etwas widersinnigers denken? -- hat er diesen Einen
  stets ausgehaltenen Ton von nichts weiter als von den künstlichsten
  Bravourpassagien in den hohen Regionen der Violine begleiten lassen.
  Es ist ein Exempel über alle Exempel von verdorbenem Ausdruck!
  Trompeten oder andre Blasinstrumente müssen ihm zu gemein gewesen
  seyn. -- Noch von Einem Theaterprodukt muß ich ein paar Worte sagen,
  und Du solltest wohl nicht den Verfasser rathen: Es ist Bernhardi.
  Er wird Dir ehestens ein Nachspiel schicken, das er seit Michaelis
  beinahe schon, im eigentlichen Verstande, _verfertigt_ hat. Du
  kennst meine Langsamkeit und Selbstkritik im Schreiben; aber gegen
  ihn bin ich hierin noch sehr zurück. Er hat alle Zeit und Mühe darauf
  verwandt, und weißt Du, was seine Absicht ist? Was sein Lohn seyn
  soll? Ein Freybillet in der Komödie. Ich gönne es ihm herzlich. Er
  hat eine Abschrift neulich an Hagemeister gegeben, weil er es nach
  einiger Ueberlegung am Ende fürs beste gehalten hat, es durch diesen
  Weg zu Engel gelangen zu lassen. Er ist sehr ängstlich und oft fürs
  Auspochen bange gewesen, weil er dem groben Geschmack des Publikums
  nicht ganz Genüge gethan zu haben glaubt. Indeß will er sich, auch im
  Fall, daß seinem Kinde etwas Menschliches begegnen sollte, mit dem
  Gedanken beruhigen, er habe es nicht besser machen können, und wisse
  nun woran er sey. Wenigstens sagt er das; wenn es auch seine wahre
  Meynung wohl nicht seyn kann. Denn so ruhig ist nicht leichter einer
  über das Schicksal seiner Produkte, (als Du,) am mindesten Er, der
  sich so gern den Schein dieser Gleichmüthigkeit giebt. -- Du siehst
  mich an und frägst nach dem Gehalt des Stücks? Es ist ein artiges
  kleines Intriguenstück, worin viel _Bernhardische_ Feinheit, aber
  kein Geniezug ist. Kein Wort steht umsonst da; er hat das Ganze wol
  ein halbes Dutzend mal, und das Detail wohl noch öfter umgearbeitet,
  und kein wiederholtes Abschreiben gescheut. Plan, Knoten, Auflösung,
  Einleitung und die ganze künstliche Baumeister-Arbeit am Stück, ist
  Lineal und Winkelmaaß, nach richtigen An- und Ueberschlägen, Kalkulen
  und Entwürfen, ausgearbeitet. Und wirklich haben eine Scene, worin
  viel Empfindung ist, einige komische Züge und einige Bernhardische
  Delikatessen mir sehr wohl gefallen und mir ein Interesse für das
  Stück, besonders für einzelne Scenen abgewonnen. Doch aber glaub’ ich,
  daß das Publikum, wenn es nicht grade gestimmt ist, etwas ernsthaft
  zu seyn und Acht zu geben, zuweilen -- Langeweile fühlen könnte, --
  das Berliner Publikum nämlich. Du kannst Dir bey diesen Umständen
  denken, wie mißlich meine Lage gewesen sey, wenn er mich um mein
  Urtheil befragte, da ich seine Absicht bey dem Stücke wußte. Ich habe
  mich so schicklich als möglich zu nehmen gesucht. So viel davon. Nun
  magst Du selbst urtheilen. Das Launige, Komische hat er, da dies nicht
  in seinem natürlichen Charakter liegt, mit Mühe, -- -- aber ich will
  nichts weiter davon sagen. Genug, -- es ist sonderbar, wie auffallend
  die Manier von der Deinigen, selbst in der hingeworfenen Probe eines
  Nachspiels, die Du mir in Berlin auf Michaelis vorlasest, ist. Allein
  es ist dennoch viel Gutes darin, und macht Bernhardi als ein Werk
  seiner Beharrlichkeit und seiner Kritik, wie ich glaube, Ehre. --
  -- Doch noch Eins, was hieher gehört. Wie kommt’s, daß Du mir gar
  nichts von dem kleinen Drama schreibst, das Du an Bernhardi geschickt
  hast? Es gefällt ihm sehr; ich habe es aber noch nicht lesen können,
  weil er es einem neuen hiesigen Buchhändler, Nauke, zur Probe Deines
  Styls geliehen hat, welcher, wie er mit ihm verabredet hat, Deinen
  Abdallah drucken wird, und Dir für Deine 24 Bogen 96 Rthlr. verspricht.
  Bernhardi hat mir vieles aus seinem Briefe von Dir vorgelesen, so wie
  ich ihm vieles aus meinem: aus jenem haben wir beyde mit Vergnügen
  Deine Kühnheit und Dreistigkeit in Autorplanen ersehen. Es ist in der
  That itzt der beßte Weg, zu einem gemächlichen Leben zu gelangen, daß
  man drucken lasse.
  _Varia._ Um noch einmal auf meinen jetzigen Hang zur altdeutschen
  Poesie zurückzukommen, so kann ichs mir sehr wohl denken, daß ich,
  wenn ich wieder in Deinem Umgang und in Deiner Lieblingsdichter Umgang
  hinein komme, sie ganz vergesse, und ihr Studium vielleicht mit der
  Diplomatik und anderen dieses Gelichters in Eine Klasse setze. Aber
  jetzt häng’ ich daran, weil ich -- dem Himmel seys geklagt, -- an
  kein menschliches Herz hängen kann, das meinen Geist ganz glücklich
  machte. Den Geschmack und den Gaumen, denk’ ich doch, werd’ ich mir
  nicht verderben. Wer kann immer so ängstlich wählen, was ihm grade am
  heilsamsten ist? Man ißt auch einmal harte Speisen. -- Die Minnesinger
  sind, so viel ich sie kenne, freilich einförmig. -- Die Beobachtungen
  für die alte Sprache, und ihre Verwandtschaft mit der andern, sind auch
  oft interessanter als das poetische Verdienst. Aber dies sucht man doch
  sehr oft nicht vergeblich. Sehn wir uns, so kann ich Dir manches Schöne
  aus dem Heldenbuche mittheilen, das ich itzt gelesen habe.
  Schmols sonderbares Benehmen bey einem Abentheuer, das er sich selbst,
  wie ein Don Quixotte fingirt hat, ist so abentheuerlich wie möglich.
  Ich kann gar nicht fassen, wie ein vernünftiger Mensch, und der schien
  er mir doch wenigstens vor ein Paar Jahren, so unvernünftige Dinge
  angeben kann.
  Es kränkt mich, daß Du Dich so gewaltsam von Deinem sonstigen
  Zwillingsbruder Moritz losreissest. Es ist, nach der Parallele, in der
  ich Dich und ihn sonst betrachtete, und mit Recht, da Du mich selbst
  darauf geleitet, fast _nicht möglich_, daß er sich itzt so weit
  von Dir entfernen sollte. Es ist sehr übereilt, so rasch, -- darf ich
  hier nicht im allereigentlichsten Sinne sagen: von Einem Extrem aufs
  andre zu fallen? Es kann mir nichts kränkender seyn, als eine solche
  Beobachtung bestätigt zu sehen.
  Du verlangst, daß ich nicht nach Erlangen wegen einer Wohnung schreiben
  soll? Aber, _demohnerachtet_, hab ichs _doch_, und grade
  mit dieser Post gethan. Meine Aeltern wollens, der Sicherheit wegen.
  Indeß, soll das Quartier, nur auf 1 Monat oder höchstens 1 Viertel Jahr
  gemiethet werden, damit wir im Nothfall ausziehn können; -- und, wenns
  irgend angeht, aus 2 Stuben und 1 Kammer dicht nebeneinander in Einem
  Hause, bestehn. Ist Dir dies recht? -- In der That viel, daß Schwieger
  sich entschließt, heimlich mit Dir nach Erlangen zu gehen. Sag mir, wie
  ist er jetzt?
  Deine gelehrte Gesellschaft ist vortrefflich. Das glaub’ ich, daß so
  etwas zur Thätigkeit anspornt und zum vergnügten Leben viel beyträgt.
  -- Du gehst ja mit lauter Edelleuten um!
  Ich muß bedauern, daß Deine scharfsinnige Hypothese über die Genesis
  meines kleinen Gedichts, -- ein Fehlschuß ist. Die Veranlassung war
  keine andre, als daß einige Frauen, die ich gekannt und geschätzt
  hatte, Bekannten von meinen Aeltern, kürzlich hintereinander gestorben
  waren und traurige Männer hinterlassen hatten. (Die Frau in dem
  Gedicht soll also nicht ermordet, sondern natürlichen Todes gestorben
  seyn.) Du wirst hieraus, was in dem Dinge unnatürlich ist, erklären
  können; denn ich schrieb aus meiner Seele und wollte mich doch in eine
  fremde versetzen. Was Du vom zu Individuellen dieser lyrischen Poesie
  sprichst, muß wohl wahr seyn; aber es ist ganz sonderbar, daß ich itzt
  in diesen Fehler verfalle. Mündlich mehr darüber. Ich weiß noch gar
  nicht, wie das kommt. Ich soll bey Deiner Poesie nicht denken statt
  zu empfinden. Sehr gut. Aber thust Du’s nicht auch zuweilen? Ifflands
  Elise von Valberg hast Du mir mit einem so gleichgültigen Tone getadelt
  und bekrittelt, als wäre nichts oder wenig Schönes drin. Behüte, daß
  ich die Kritik verachten sollte! Aber das Gefühl geht doch bey einem
  _solchen_ Stücke vor, und ich kann mich ärgern, wenn man von
  hinten anfängt: einzelne Fehler in der Oekonomie des Stücks rügt, ehe
  man sich von den in die Augen fallenden, vortretenden Schönheiten in
  der Behandlung der Scenen und Charaktere entzücken läßt. Doch sehr
  vermuthlich rede ich einmal wieder in die Luft, und treffe Dich nicht,
  oder habe Dich damals nicht recht gefaßt.
  Ramler war in meinen Augen der größeste Dichter, als ich noch keinen
  andern kannte. Aber auch in Ansehung seiner bin ich wirklich nicht aufs
  andre Extrem verfallen.
  Ich muß gestehen, so ganz habe ich Dich über das Idealisiren noch
  nicht gefaßt. _Mündlich_ mehr davon. Du wirst mir wieder ächte
  Begeisterung geben. -- Ich muß wohl auf einem falschen Wege gewesen
  seyn und besonders in die dramatische Poesie einen Eingriff gethan
  haben. In der That, ich bekenne, ich hatte neulich die Idee, daß
  dergleichen Stellen wie der Monolog Seyn oder Nichtseyn, u. s. w. die
  schönsten lyrischen Gedichte geben würden; aber ich sehe itzt so viel
  ein, daß sie alles Interesse verlieren würden.
  Was Du nun wieder für Zeug machst? Deine Anna Boleyn liegen zu lassen.
  Es wäre mir _sehr leid_, wenn auf immer. Was hast Du denn wieder
  dran zu kritteln?
  Wie sehr freut es mich, daß Du froh, heiter und leichteren Blutes in
  Göttingen geworden bist. Wirklich noch vor weniger als einem Jahre hab’
  ich das nicht von Dir erwartet. Und wenn Du Dich zurückerinnerst, wirst
  Du Dir von Dir selber ein Gleiches gestehen müssen. Wie der Mensch,
  -- wie selbst ein Mensch wie Du sich doch ändern kann! -- Himmel, ist
  es wahr, daß Du nicht mehr jener unglückselige melancholische bist,
  den die Welt anekelt, der Du doch an jenem traurigen Abend warst?
  Sieh, ich sagte Dir damals schon, es wäre unmöglich, daß Du es immer
  seyn und bleiben könntest, und Du, mein Lieber, mein beßter Tieck, Du
  meyntest, daß all’ Dein Frohsinn nur täuschender Ueberzug über schwarzen
  Mißmuth seyn könne. O Dank dem Himmel, Dank Dir, wenn Du es nicht
  mehr bist. Wohl mir, wohl! Der Erde ist ein Wesen wiedergegeben, daß
  mehr als irgend eins, Glückseligkeit verdient! Ein Engel, ein Gott
  hat Dich gewandelt! Dein Lächeln ist keine Grimasse mehr! Ich darf
  nicht mehr zittern, wenn Du froh bist, daß in Deinem Herzen tausend
  Stacheln die Freude zerreissen. Wohl mir, Du wirst auch gegen mich
  künftig immer so nackt, so wahr erscheinen als Du bist, auch nicht eine
  Minute lang einen trüben Gedanken ersticken, eine Falte vom Gesicht
  wegzwingen. Die Welt hat Dich wieder. Dein Freund darf Dich als ein
  ihm gleiches Geschöpf, nicht als einen fremdartigen der Erde nicht
  zugehörigen Geist, an seine Brust drücken, und mit Dir, an Deinem
  Arme alle Seligkeit genießen, die die Phantasie in diesem Leben uns
  vorzaubert. -- Du siehst noch immer mit einem wehmüthigen Lächeln
  meinen Freundschafts-Enthusiasmus an. So lange dieser Geist in mir
  athmet, wird er nicht erlöschen, oder ich müßte ein ganz andrer Mensch
  werden. Ich _kann_ ihn nicht unterdrücken. -- O wir wollen künftig
  zusammen wie im Himmel leben!
   * * * * *
  _Schreib’ mir ja bald, wenn Du kommen wirst. Ich erwarte, 14 Tage vor
  Ostern. Das wäre vortrefflich_. --
   Dein Freund
   _W. H. Wackenroder_.
  
  XIII.
   _Berl._, Jan. 93.
   _Mein liebster Tieck!_
  In der Hälfte Deines kleinen Briefchens sagst Du mir auf 10 verschiedne
  Arten, daß ich Dir nicht schriebe und daß ich Dir schreiben solle,
  belegst mich auch mit dem ehrenvollen Titel eines fleißigen
  Briefschreibers. Den will ich auch nicht verscherzen. Unsre Briefe
  haben sich wieder begegnet.
  Den Roßtrapp habe ich Deiner Schwester gegeben. In Ansehung dieses
  und Deiner übrigen Arbeiten fürs Publikum, mögen Rambach und Bernhardi
  Dir das Weitere schreiben, und diese Autorgeschäfte mit Dir betreiben.
  Allein, was soll ich zu dem Gedichte selber sagen? Fürs erste, so
  dünkt mich, daß es immer etwas, wo nicht _viel_, verdirbt, wenn
  man viele Sachen so flüchtig und nachläßig arbeitet; und ich wünschte
  nicht, daß Du hierin Rambachs Nachfolger werden möchtest. Es ist zwar
  eine blendende Einbildung, daß man dadurch mehr Fertigkeit, mehr
  Reichthum an Ideen und Wendungen erhalte; allein es ist wenig mehr
  als Einbildung. Denn man verwöhnt sich durch diese Art zu schreiben
  gewiß am Ende so sehr, daß man nachher nicht mehr etwas Langsames,
  Durchdachtes, in allen Theilen so viel als möglich Vollkommenes, zu
  Stande bringen kann. An hundert Orten bringt man zerstreut sehr artige
  Gedanken und Bilderchen an, und in allem was man hervorbringt ist
  ein Etwas, aber nichts Ganzes von Schönheit, und so verliert man die
  Kraft, die Stärke und die Beharrlichkeit, ein Werk zu schaffen, worin
  man nach Gewissen jeden einzelnen Theil, bis auf Kleinigkeiten, so
  ausgefeilt und der Vollkommenheit so nahe zu bringen gesucht hat, daß
  man das Ganze ein Produkt seiner höchsten und edelsten Anstrengung
  nennen darf. Und im Grunde sollte jeder Dichter und Künstler doch bey
  jedem Werke wenigstens den Vorsatz haben, es so zu vollenden, wie es
  seine Kräfte, in ihrer wirksamsten Thätigkeit, nur immer erlaubten.
  Ich glaube freilich weniger, daß meine Besorgnisse bei Dir wirklich
  eintreffen möchten, als ich diese Gedanken für andere (z. B. Rambach)
  treffend glaube. -- Dein Roßtrapp ist gar nicht sonderlich und hat
  die Ehre, noch ziemlich unter der Emma und Adalbert zu stehen. (Das
  ist doch freymüthig genug?) Die Erfindung? könnte, dünkt mich, weit
  besser seyn. Daß ein Mädchen auf einem Pferde über den tiefen Abgrund
  einmal herübergesetzt hat, weil sie von einem Riesen verfolgt ist,
  ist eine triviale Fiktion, die -- ich auch hätte erfinden können,
  und die durch die Ausführung in ein noch dürftigeres Licht gestellt
  wird. Die ganze Erzählung hat gar keine Haltbarkeit, kein Interesse,
  kein Leben: warum verfolgt der Riese das Hirtenvölkchen? Was will
  das Geisterwesen eigentlich sagen? Warum schützt das Diadem vor dem
  Riesen? Warum ziehen die Geister und Alles am Ende von dem Ort weg? Das
  liegt alles im Nebel. Und dann hast Du wohl in der Mitte den Eingang
  vergessen: ein Minnesinger kommt in die Harzgegend (der Anfang in Prosa
  enthält noch die meiste Kraft und Phantasie), beschreibt sich selbst
  (doch etwas steif, als wenn er dem Landschaftsmaler abgerissene Ideen
  angäbe), die Gegend, und fängt hierauf zum Zeitvertreib an, sich in
  Versen, die er, wenn es ihm zu unbequem wird, auch ohne Reim vorlieb
  nimmt, ein Geschichtchen vorzusingen. Ein kurieuser Minnesinger! Er
  muß närrische Launen gehabt haben! Ich hätt’ ihn sehen mögen, wie
  er da in der einsamen Gegend sitzt und sich ein Mährchen singt! --
  Warum ist nicht das Ganze Ein Ausfluß der Phantasie von Anfang an in
  Versen? warum läßt Du ihn nicht in einem lyrischen Gemählde die Gegend
  besingen, in lyrischer Begeisterung die Begebenheiten der Vorzeit ihn
  als gegenwärtig sehen? Und dann die Verse! Ganz gewiß hast Du das Stück
  nie laut gelesen, oder Du müßtest es denn in der Absicht gelesen haben,
  um Dir selber Spaß zu machen; sonst, wenn es Dir wieder etwas Neues
  seyn sollte, will ich Dir ein kleines Pröbchen zum besten geben:
   _Die Mädchen_:
   Das Glück
   Mit holdem Blick
   Wohnt
   Hier und sonnt
   Im Buchenhain
   Sich im Frühlingsschein.
  Und mehr dergleichen Verse, die in der That wahre Knittelverse sind.
  -- Auch Bilder, wie: der Donner stößt sich an den Klippen wund, hast
  Du wohl nur Spaßes halber hingeschrieben. Du siehst wie beredt ich
  bin, wenn Du einmal etwas Mittelmäßiges oder Schlechtes hervorbringst.
  _So_ machens die kleinen Geister, welche die größern weit zu
  übersehen glauben, wenn sie im Stande sind in den Bastardgeburten ihres
  Geistes Fehler zu entdecken, die sie selbst nicht einmal zu machen
  vermögen. Bey Meisterstücken schweigen sie still, und wissen nicht was
  sie sagen sollen, weil sie viel zu eingeschränkt sind, die verborgene
  Quelle der Schönheiten aufzuspüren, und nach Verdienst die Schönheiten
  zu würdigen. So mach ichs auch!
  Neulich hab’ ich das neue Ritterstück: Ludwig der Springer gesehen.
  Ein dürftigeres, anfängermäßigeres, bedauernswertheres, nüchterneres,
  faderes, unbedeutenderes, nichtssagenderes, gemeineres, gewöhnlicheres,
  -- (aber ich komme außer Athem!) Stück kenn’ ich gar nicht. So ohne
  einen Funken, ohne einen Schatten von tragischem Geist, Empfindung,
  Durchführung von Charakteren und Situationen geschrieben? Es ist so
  kurz, daß die Hauptpersonen nur grade so viel Zeit haben zu sprechen,
  als um die Geschichte die zum Grunde liegt, zu erfahren nöthig ist:
  alles nichts als ein dialogisirtes historisches Compendium. Alles nur
  Skelett, Thema zur Ausführung. Nicht eine einzige Rolle, nicht eine
  einzige Scene, wobey das Herz warmen Antheil nähme. Der Plan: wie ein
  Spinnengewebe. Vorn ein Sancho Pansa, der den Spaßmacher spielt. Wenn
  die Hauptpersonen den Gang der Handlungen fortführen sollen, werden
  ein Paar Gefangenwärter, oder dergleichen Gesindel eingeschoben,
  die uns indeß mit den trivialsten Späßen die Zeit vertreiben. Die
  Baranius hält im Gericht die Feuerprobe aus und das Ende ist ein
  Rittergefecht: beydes ist interessanter anzusehen als das ganze Stück
  zu hören; denn die sehr genau beobachteten, stummen Ceremonien eines
  heimlichen Gerichts, und der Pomp der Turnierrüstungen verfehlt nie
  den Eindruck. Von der schönen edlen! Sprache eine Probe: „Da müßt ihr
  Pferde anspannen lassen, wenn ihr mich von der Stelle bringen wollt,“
  spricht Ludwig im höchsten Zorn. Der leibhaftige Fuhrmann, der in der
  Trunkenheit, den Hut auf einem Ohr, die Hände in die Seite setzt. Doch
  das ganze Ding verdient nicht, daß ich ein Wort mehr darüber sage.
  Bernhardi hat itzt schnell den Entschluß gefaßt sein Nachspiel selbst
  an Engel zu bringen. Vorher hat ers Hagemeistern gewiesen, der es
  gelobt hat. -- Neulich ist eine neue Operette: die unruhige Nacht, nach
  Goldoni, Musik von Lasser in München, 2 Tage hintereinander ausgepocht
  worden.
  
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