Effi Briest - 22
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nicht recht.«
Es war das erste Mal, daß sie Innstettens Namen nannte, was einen
großen Eindruck auf die Mama machte und dieser klar zeigte, daß es zu
Ende sei.
»Aber ich glaube«, nahm Frau von Briest das Wort, »du wolltest mir was
erzählen.«
»Ja, das wollte ich, weil du davon sprachst, ich sei noch so jung.
Freilich bin ich noch jung. Aber das schadet nichts. Es war noch in
glücklichen Tagen, da las mir Innstetten abends vor; er hatte sehr
viele Bücher, und in einem hieß es: Es sei wer von einer fröhlichen
Tafel abgerufen worden, und am anderen Tag habe der Abgerufene
gefragt, wie's denn nachher gewesen sei. Da habe man ihm geantwortet:
'Ach, es war noch allerlei; aber eigentlich haben Sie nichts
versäumt.' Sieh, Mama, diese Worte haben sich mir eingeprägt - es hat
nicht viel zu bedeuten, wenn man von der Tafel etwas früher abgerufen
wird.«
Frau von Briest schwieg. Effi aber schob sich etwas höher hinauf
und sagte dann: »Und da ich nun mal von alten Zeiten und auch von
Innstetten gesprochen habe, muß ich dir doch noch etwas sagen, liebe
Mama.«
»Du regst dich auf, Effi.«
»Nein, nein; etwas von der Seele heruntersprechen, das regt mich nicht
auf, das macht still. Und da wollte ich dir denn sagen: Ich sterbe mit
Gott und Menschen versöhnt, auch versöhnt mit ihm.«
»Warst du denn in deiner Seele in so großer Bitterkeit mit ihm?
Eigentlich, verzeih mir, meine liebe Effi, daß ich das jetzt noch
sage, eigentlich hast du doch euer Leid heraufbeschworen.«
Effi nickte. »Ja, Mama. Und traurig, daß es so ist. Aber als dann all
das Schreckliche kam, und zuletzt das mit Annie, du weißt schon, da
hab ich doch, wenn ich das lächerliche Wort gebrauchen darf, den Spieß
umgekehrt und habe mich ganz ernsthaft in den Gedanken hineingelebt,
er sei schuld, weil er nüchtern und berechnend gewesen sei und zuletzt
auch noch grausam. Und da sind Verwünschungen gegen ihn über meine
Lippen gekommen.«
»Und das bedrückt dich jetzt?«
»Ja. Und es liegt mir daran, daß er erfährt, wie mir hier in meinen
Krankheitstagen, die doch fast meine schönsten gewesen sind, wie mir
hier klargeworden, daß er in allem recht gehandelt. In der Geschichte
mit dem armen Crampas - ja, was sollte er am Ende anders tun? Und
dann, womit er mich am tiefsten verletzte, daß er mein eigen Kind in
einer Art Abwehr gegen mich erzogen hat, so hart es mir ankommt und so
weh es mir tut, er hat auch darin recht gehabt. Laß ihn das wissen,
daß ich in dieser Überzeugung gestorben bin. Es wird ihn trösten,
aufrichten, vielleicht versöhnen. Denn er hatte viel Gutes in seiner
Natur und war so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe
ist.«
Frau von Briest sah, daß Effi erschöpft war und zu schlafen schien
oder schlafen wollte. Sie erhob sich leise von ihrem Platz und ging.
Indessen kaum daß sie fort war, erhob sich auch Effi und setzte sich
an das offene Fenster, um noch einmal die kühle Nachtluft einzusaugen.
Die Sterne flimmerten, und im Park regte sich kein Blatt. Aber je
länger sie hinaushorchte, je deutlicher hörte sie wieder, daß es
wie ein feines Rieseln auf die Platanen niederfiel. Ein Gefühl der
Befreiung überkam sie. »Ruhe, Ruhe.«
Es war einen Monat später, und der September ging auf die Neige. Das
Wetter war schön, aber das Laub im Park zeigte schon viel Rot und
Gelb, und seit den Äquinoktien, die die drei Sturmtage gebracht
hatten, lagen die Blätter überallhin ausgestreut.
Auf dem Rondell hatte sich eine kleine Veränderung vollzogen, die
Sonnenuhr war fort, und an der Stelle, wo sie gestanden hatte, lag
seit gestern eine weiße Marmorplatte, darauf stand nichts als »Effi
Briest« und darunter ein Kreuz. Das war Effis letzte Bitte gewesen:
»Ich möchte auf meinem Stein meinen alten Namen wiederhaben; ich habe
dem andern keine Ehre gemacht.« Und es war ihr versprochen worden.
Ja, gestern war die Marmorplatte gekommen und aufgelegt worden, und
angesichts der Stelle saßen nun wieder Briest und Frau und sahen
darauf hin und auf den Heliotrop, den man geschont und der den Stein
jetzt einrahmte. Rollo lag daneben, den Kopf in die Pfoten gesteckt.
Wilke, dessen Gamaschen immer weiter wurden, brachte das Frühstück
und die Post, und der alte Briest sagte: »Wilke, bestelle den kleinen
Wagen. Ich will mit der Frau über Land fahren.«
Frau von Briest hatte mittlerweile den Kaffee eingeschenkt und sah
nach dem Rondell und seinem Blumenbeet. »Sieh, Briest, Rollo liegt
wieder vor dem Stein. Es ist ihm doch noch tiefer gegangen als uns. Er
frißt auch nicht mehr.«
»Ja, Luise, die Kreatur. Das ist ja, was ich immer sage. Es ist nicht
so viel mit uns, wie wir glauben. Da reden wir immer von Instinkt. Am
Ende ist es doch das beste.«
»Sprich nicht so. Wenn du so philosophierst ... nimm es mir nicht
übel, Briest, dazu reicht es bei dir nicht aus. Du hast deinen guten
Verstand, aber du kannst doch nicht an solche Fragen ...«
»Eigentlich nicht.«
»Und wenn denn schon überhaupt Fragen gestellt werden sollen, da gibt
es ganz andere, Briest, und ich kann dir sagen, es vergeht kein Tag,
seit das arme Kind da liegt, wo mir solche Fragen nicht gekommen
waren ...«
»Welche Fragen?«
»Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind?« »Unsinn, Luise. Wie meinst
du das?«
»Ob wir sie nicht anders in Zucht hätten nehmen müssen.
Gerade wir. Denn Niemeyer ist doch eigentlich eine Null, weil er
alles in Zweifel läßt. Und dann, Briest, so leid es mir tut ... deine
beständigen Zweideutigkeiten ... und zuletzt, womit ich mich selbst
anklage, denn ich will nicht schadlos ausgehen in dieser Sache, ob sie
nicht doch vielleicht zu jung war?«
Rollo, der bei diesen Worten aufwachte, schüttelte den Kopf langsam
hin und her, und Briest sagte ruhig: »Ach, Luise, laß ... das ist ein
zu weites Feld.«
Es war das erste Mal, daß sie Innstettens Namen nannte, was einen
großen Eindruck auf die Mama machte und dieser klar zeigte, daß es zu
Ende sei.
»Aber ich glaube«, nahm Frau von Briest das Wort, »du wolltest mir was
erzählen.«
»Ja, das wollte ich, weil du davon sprachst, ich sei noch so jung.
Freilich bin ich noch jung. Aber das schadet nichts. Es war noch in
glücklichen Tagen, da las mir Innstetten abends vor; er hatte sehr
viele Bücher, und in einem hieß es: Es sei wer von einer fröhlichen
Tafel abgerufen worden, und am anderen Tag habe der Abgerufene
gefragt, wie's denn nachher gewesen sei. Da habe man ihm geantwortet:
'Ach, es war noch allerlei; aber eigentlich haben Sie nichts
versäumt.' Sieh, Mama, diese Worte haben sich mir eingeprägt - es hat
nicht viel zu bedeuten, wenn man von der Tafel etwas früher abgerufen
wird.«
Frau von Briest schwieg. Effi aber schob sich etwas höher hinauf
und sagte dann: »Und da ich nun mal von alten Zeiten und auch von
Innstetten gesprochen habe, muß ich dir doch noch etwas sagen, liebe
Mama.«
»Du regst dich auf, Effi.«
»Nein, nein; etwas von der Seele heruntersprechen, das regt mich nicht
auf, das macht still. Und da wollte ich dir denn sagen: Ich sterbe mit
Gott und Menschen versöhnt, auch versöhnt mit ihm.«
»Warst du denn in deiner Seele in so großer Bitterkeit mit ihm?
Eigentlich, verzeih mir, meine liebe Effi, daß ich das jetzt noch
sage, eigentlich hast du doch euer Leid heraufbeschworen.«
Effi nickte. »Ja, Mama. Und traurig, daß es so ist. Aber als dann all
das Schreckliche kam, und zuletzt das mit Annie, du weißt schon, da
hab ich doch, wenn ich das lächerliche Wort gebrauchen darf, den Spieß
umgekehrt und habe mich ganz ernsthaft in den Gedanken hineingelebt,
er sei schuld, weil er nüchtern und berechnend gewesen sei und zuletzt
auch noch grausam. Und da sind Verwünschungen gegen ihn über meine
Lippen gekommen.«
»Und das bedrückt dich jetzt?«
»Ja. Und es liegt mir daran, daß er erfährt, wie mir hier in meinen
Krankheitstagen, die doch fast meine schönsten gewesen sind, wie mir
hier klargeworden, daß er in allem recht gehandelt. In der Geschichte
mit dem armen Crampas - ja, was sollte er am Ende anders tun? Und
dann, womit er mich am tiefsten verletzte, daß er mein eigen Kind in
einer Art Abwehr gegen mich erzogen hat, so hart es mir ankommt und so
weh es mir tut, er hat auch darin recht gehabt. Laß ihn das wissen,
daß ich in dieser Überzeugung gestorben bin. Es wird ihn trösten,
aufrichten, vielleicht versöhnen. Denn er hatte viel Gutes in seiner
Natur und war so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe
ist.«
Frau von Briest sah, daß Effi erschöpft war und zu schlafen schien
oder schlafen wollte. Sie erhob sich leise von ihrem Platz und ging.
Indessen kaum daß sie fort war, erhob sich auch Effi und setzte sich
an das offene Fenster, um noch einmal die kühle Nachtluft einzusaugen.
Die Sterne flimmerten, und im Park regte sich kein Blatt. Aber je
länger sie hinaushorchte, je deutlicher hörte sie wieder, daß es
wie ein feines Rieseln auf die Platanen niederfiel. Ein Gefühl der
Befreiung überkam sie. »Ruhe, Ruhe.«
Es war einen Monat später, und der September ging auf die Neige. Das
Wetter war schön, aber das Laub im Park zeigte schon viel Rot und
Gelb, und seit den Äquinoktien, die die drei Sturmtage gebracht
hatten, lagen die Blätter überallhin ausgestreut.
Auf dem Rondell hatte sich eine kleine Veränderung vollzogen, die
Sonnenuhr war fort, und an der Stelle, wo sie gestanden hatte, lag
seit gestern eine weiße Marmorplatte, darauf stand nichts als »Effi
Briest« und darunter ein Kreuz. Das war Effis letzte Bitte gewesen:
»Ich möchte auf meinem Stein meinen alten Namen wiederhaben; ich habe
dem andern keine Ehre gemacht.« Und es war ihr versprochen worden.
Ja, gestern war die Marmorplatte gekommen und aufgelegt worden, und
angesichts der Stelle saßen nun wieder Briest und Frau und sahen
darauf hin und auf den Heliotrop, den man geschont und der den Stein
jetzt einrahmte. Rollo lag daneben, den Kopf in die Pfoten gesteckt.
Wilke, dessen Gamaschen immer weiter wurden, brachte das Frühstück
und die Post, und der alte Briest sagte: »Wilke, bestelle den kleinen
Wagen. Ich will mit der Frau über Land fahren.«
Frau von Briest hatte mittlerweile den Kaffee eingeschenkt und sah
nach dem Rondell und seinem Blumenbeet. »Sieh, Briest, Rollo liegt
wieder vor dem Stein. Es ist ihm doch noch tiefer gegangen als uns. Er
frißt auch nicht mehr.«
»Ja, Luise, die Kreatur. Das ist ja, was ich immer sage. Es ist nicht
so viel mit uns, wie wir glauben. Da reden wir immer von Instinkt. Am
Ende ist es doch das beste.«
»Sprich nicht so. Wenn du so philosophierst ... nimm es mir nicht
übel, Briest, dazu reicht es bei dir nicht aus. Du hast deinen guten
Verstand, aber du kannst doch nicht an solche Fragen ...«
»Eigentlich nicht.«
»Und wenn denn schon überhaupt Fragen gestellt werden sollen, da gibt
es ganz andere, Briest, und ich kann dir sagen, es vergeht kein Tag,
seit das arme Kind da liegt, wo mir solche Fragen nicht gekommen
waren ...«
»Welche Fragen?«
»Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind?« »Unsinn, Luise. Wie meinst
du das?«
»Ob wir sie nicht anders in Zucht hätten nehmen müssen.
Gerade wir. Denn Niemeyer ist doch eigentlich eine Null, weil er
alles in Zweifel läßt. Und dann, Briest, so leid es mir tut ... deine
beständigen Zweideutigkeiten ... und zuletzt, womit ich mich selbst
anklage, denn ich will nicht schadlos ausgehen in dieser Sache, ob sie
nicht doch vielleicht zu jung war?«
Rollo, der bei diesen Worten aufwachte, schüttelte den Kopf langsam
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