Effi Briest - 13
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freundschaftlichen Zusammengehörigkeit.
»Ich werde nicht dabeisein, Geert, und du mußt mich der Kur halber, in
der ich nun seit Wochen stehe, von vornherein entschuldigen.«
Innstetten lachte. »Kur. Ich soll es auf die Kur schieben. Das ist das
Vorgebliche; das Eigentliche heißt: du willst nicht.« »Nein, es ist
doch mehr Ehrlichkeit dabei, als du zugeben willst. Du hast selbst
gewollt, daß ich den Doktor zu Rate ziehe. Das hab ich getan, und nun
muß ich doch seinem Rat folgen. Der gute Doktor, er hält mich für
bleichsüchtig, sonderbar genug, und du weißt, daß ich jeden Tag
von dem Eisenwasser trinke. Wenn du dir ein Borckesches Diner dazu
vorstellst, vielleicht mit Preßkopf und Aal in Aspik, so mußt du den
Eindruck haben, es wäre mein Tod. Und so wirst du dich doch zu deiner
Effi nicht stellen wollen. Freilich, mitunter ist es mir ...«
»Ich bitte dich, Effi ...«
»... Übrigens freu ich mich, und das ist das einzige Gute dabei, dich
jedesmal, wenn du fährst, eine Strecke Wegs begleiten zu können, bis
an die Mühle gewiß oder bis an den Kirchhof oder auch bis an die
Waldecke, da, wo der Morgnitzer Querweg einmündet. Und dann steig
ich ab und schlendere wieder zurück. In den Dünen ist es immer am
schönsten.«
Innstetten war einverstanden, und als drei Tage später der Wagen
vorfuhr, stieg Effi mit auf und gab ihrem Manne das Geleit bis an die
Waldecke. »Hier laß halten, Geert. Du fährst nun links weiter, ich
gehe rechts bis an den Strand und durch die Plantage zurück. Es ist
etwas weit, aber doch nicht zu weit. Doktor Hannemann sagt mir jeden
Tag, Bewegung sei alles, Bewegung und frische Luft. Und ich glaube
beinah, daß er recht hat. Empfiehl mich all den Herrschaften; nur bei
Sidonie kannst du schweigen.«
Die Fahrten, auf denen Effi ihren Gatten bis an die Waldecke
begleitete, wiederholten sich allwöchentlich; aber auch in der
zwischenliegenden Zeit hielt Effi darauf, daß sie der ärztlichen
Verordnung streng nachkam. Es verging kein Tag, wo sie nicht ihren
vorgeschriebenen Spaziergang gemacht hätte, meist nachmittags, wenn
sich Innstetten in seine Zeitungen zu vertiefen begann. Das Wetter war
schön, eine milde, frische Luft, der Himmel bedeckt. Sie ging in der
Regel allein und sagte zu Roswitha: »Roswitha, ich gehe nun also die
Chaussee hinunter und dann rechts an den Platz mit dem Karussell; da
will ich auf dich warten, da hole mich ab. Und dann gehen wir durch
die Birkenallee oder durch die Reeperbahn wieder zurück. Aber komme
nur, wenn Annie schläft. Und wenn sie nicht schläft, so schicke
Johanna. Oder laß es lieber ganz; es ist nicht nötig, ich finde mich
schon zurecht.«
Den ersten Tag, als es so verabredet war, trafen sie sich auch
wirklich. Effi saß auf einer an einem langen Holzschuppen sich
hinziehenden Bank und sah nach einem niedrigen Fachwerkhaus hinüber,
gelb mit schwarzgestrichenen Balken, einer Wirtschaft für kleine
Bürger, die hier ihr Glas Bier tranken oder Solo spielten. Es dunkelte
noch kaum, die Fenster aber waren schon hell, und ihr Lichtschimmer
fiel auf die Schneemassen und etliche zur Seite stehende Bäume. »Sieh,
Roswitha, wie schön das aussieht.«
Ein paar Tage wiederholte sich das. Meist aber, wenn Roswitha bei dem
Karussell und dem Holzschuppen ankam, war niemand da, und wenn sie
dann zurückkam und in den Hausflur eintrat, kam ihr Effi schon
entgegen und sagte:
»Wo du nur bleibst, Roswitha, ich bin schon lange wieder hier.«
In dieser Art ging es durch Wochen hin. Das mit den Husaren hatte
sich wegen der Schwierigkeiten, die die Bürgerschaft machte, so
gut wie zerschlagen; aber da die Verhandlungen noch nicht geradezu
abgeschlossen waren und neuerdings durch eine andere Behörde, das
Generalkommando, gingen, so war Crampas nach Stettin berufen worden,
wo man seine Meinung in dieser Angelegenheit hören wollte. Von dort
schrieb er den zweiten Tag an Innstetten:
»Pardon, Innstetten, daß ich mich auf französisch empfohlen. Es kam
alles so schnell. Ich werde übrigens die Sache hinauszuspinnen suchen,
denn man ist froh, einmal draußen zu sein. Empfehlen Sie mich der
gnädigen Frau, meiner liebenswürdigen Gönnerin.«
Er las es Effi vor. Diese blieb ruhig. Endlich sagte sie: »Es ist
recht gut so.«
»Wie meinst du das?«
»Daß er fort ist. Er sagt eigentlich immer dasselbe. Wenn er wieder da
ist, wird er wenigstens vorübergehend was Neues zu sagen haben.«
Innstettens Blick flog scharf über sie hin. Aber er sah nichts, und
sein Verdacht beruhigte sich wieder. »Ich will auch fort«, sagte er
nach einer Weile, »sogar nach Berlin; vielleicht kann ich dann, wie
Crampas, auch mal was Neues mitbringen. Meine liebe Effi will immer
gern was Neues hören; sie langweilt sich in unserm guten Kessin. Ich
werde gegen acht Tage fort sein, vielleicht noch einen Tag länger.
Und ängstige dich nicht ... es wird ja wohl nicht wiederkommen ...
du weißt schon, das da oben ... Und wenn doch, du hast ja Rollo und
Roswitha.«
Effi lächelte vor sich hin, und es mischte sich etwas von Wehmut mit
ein. Sie mußte des Tages gedenken, wo Crampas ihr zum erstenmal gesagt
hatte, daß er mit dem Spuk und ihrer Furcht eine Komödie spiele. Der
große Erzieher! Aber hatte er nicht recht? War die Komödie nicht am
Platz? Und allerhand Widerstreitendes, Gutes und Böses, ging ihr durch
den Kopf.
Den dritten Tag reiste Innstetten ab.
Über das, was er in Berlin vorhabe, hatte er nichts gesagt.
Einundzwanzigstes Kapitel
Innstetten war erst vier Tage fort, als Crampas von Stettin wieder
eintraf und die Nachricht brachte, man hätte höheren Orts die Absicht,
zwei Schwadronen nach Kessin zu legen, endgültig fallenlassen; es gäbe
so viele kleine Städte, die sich um eine Kavalleriegarnison, und nun
gar um Blüchersche Husaren, bewürben, daß man gewohnt sei, bei solchem
Anerbieten einem herzlichen Entgegenkommen, aber nicht einem zögernden
zu begegnen. Als Crampas das mitteilte, machte der Magistrat ein
ziemlich verlegenes Gesicht; nur Gieshübler, weil er der Philisterei
seiner Kollegen eine Niederlage gönnte, triumphierte. Seitens der
kleinen Leute griff beim Bekanntwerden der Nachricht eine gewisse
Verstimmung Platz, ja selbst einige Konsuls mit Töchtern waren
momentan unzufrieden; im ganzen aber kam man rasch über die Sache
hin, vielleicht weil die nebenherlaufende Frage, was Innstetten in
Berlin vorhabe, die Kessiner Bevölkerung oder doch wenigstens die
Honoratiorenschaft der Stadt mehr interessierte. Diese wollte den
überaus wohl gelittenen Landrat nicht gern verlieren, und doch gingen
darüber ganz ausschweifende Gerüchte, die von Gieshübler, wenn er
nicht ihr Erfinder war, wenigstens genährt und weiterverbreitet
wurden. Unter anderem hieß es, Innstetten würde als Führer einer
Gesandtschaft nach Marokko gehen, und zwar mit Geschenken, unter denen
nicht bloß die herkömmliche Vase mit Sanssouci und dem Neuen Palais,
sondern vor allem auch eine große Eismaschine sei. Das letztere
erschien mit Rücksicht auf die marokkanischen Temperaturverhältnisse
so wahrscheinlich, daß das Ganze geglaubt wurde.
Effi hörte auch davon. Die Tage, wo sie sich darüber erheitert hätte,
lagen noch nicht allzuweit zurück; aber in der Seelenstimmung, in der
sie sich seit Schluß des Jahres befand, war sie nicht mehr fähig,
unbefangen und ausgelassen über derlei Dinge zu lachen. Ihre
Gesichtszüge hatten einen ganz anderen Ausdruck angenommen, und das
halb rührend, halb schelmisch Kindliche, was sie noch als Frau gehabt
hatte, war hin. Die Spaziergänge nach dem Strand und der Plantage,
die sie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm sie
nach seiner Rückkehr wieder auf und ließ sich auch durch ungünstige
Witterung nicht davon abhalten. Es wurde wie früher bestimmt, daß ihr
Roswitha bis an den Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des
Kirchhofs entgegenkommen solle, sie verfehlten sich aber noch häufiger
als früher. »Ich könnte dich schelten, Roswitha, daß du mich nie
findest. Aber es hat nichts auf sich; ich ängstige mich nicht mehr,
auch nicht einmal am Kirchhof, und im Wald bin ich noch keiner
Menschenseele begegnet.«
Es war am Tage vor Innstettens Rückkehr von Berlin, daß Effi das
sagte. Roswitha machte nicht viel davon und beschäftigte sich lieber
damit, Girlanden über den Türen anzubringen; auch der Haifisch bekam
einen Fichtenzweig und sah noch merkwürdiger aus als gewöhnlich. Effi
sagte: »Das ist recht, Roswitha; er wird sich freuen über all das
Grün, wenn er morgen wieder da ist. Ob ich heute wohl noch gehe?
Doktor Hannemann besteht darauf und meint in einem fort, ich nähme
es nicht ernst genug, sonst müßte ich besser aussehen; ich habe aber
keine rechte Lust heut, es nieselt, und der Himmel ist so grau.«
»Ich werde der gnäd'gen Frau den Regenmantel bringen.«
»Das tu! Aber komme heute nicht nach, wir treffen uns ja doch nicht«,
und sie lachte. »Wirklich, du bist gar nicht findig, Roswitha. Und ich
mag nicht, daß du dich erkältest, und alles um nichts.«
Roswitha blieb denn auch zu Haus, und weil Annie schlief, ging sie zu
Kruses, um mit der Frau zu plaudern. »Liebe Frau Kruse«, sagte sie,
»Sie wollten mir ja das mit dem Chinesen noch erzählen. Gestern kam
die Johanna dazwischen, die tut immer so vornehm, für die ist so was
nichts. Ich glaube aber doch, daß es was gewesen ist, ich meine mit
dem Chinesen und mit Thomsens Nichte, wenn es nicht seine Enkelin
war.«
Die Kruse nickte.
»Entweder«, fuhr Roswitha fort, »war es eine unglückliche Liebe (die
Kruse nickte wieder), oder es kann auch eine glückliche gewesen sein,
und der Chinese konnte es bloß nicht aushalten, daß es alles mit
einemmal so wieder vorbei sein sollte. Denn die Chinesen sind doch
auch Menschen, und es wird wohl alles ebenso mit ihnen sein wie mit
uns.« »Alles«, versicherte die Kruse und wollte dies eben durch ihre
Geschichte bestätigen, als ihr Mann eintrat und sagte: »Mutter, du
könntest mir die Flasche mit dem Lederlack geben; ich muß doch das
Sielenzeug blank haben, wenn der Herr morgen wieder da ist; der sieht
alles, und wenn er auch nichts sagt, so merkt man doch, daß er's
gesehen hat.«
»Ich bringe es Ihnen raus, Kruse«, sagte Roswitha. »Ihre Frau will mir
bloß noch was erzählen; aber es ist gleich aus, und dann komm ich und
bring es.«
Roswitha, die Flasche mit dem Lack in der Hand, kam denn auch ein
paar Minuten danach auf den Hof hinaus und stellte sich neben das
Sielenzeug, das Kruse eben über den Gartenzaun gelegt hatte. »Gott«,
sagte er, während er ihr die Flasche aus der Hand nahm, »viel hilft es
ja nicht, es nieselt in einem weg, und die Blänke vergeht doch wieder.
Aber ich denke, alles muß seine Ordnung haben.«
»Das muß es. Und dann, Kruse, es ist ja doch auch ein richtiger Lack,
das kann ich gleich sehen, und was ein richtiger Lack ist, der klebt
nicht lange, der muß gleich trocknen. Und wenn es dann morgen nebelt
oder naß fällt, dann schadet es nichts mehr. Aber das muß ich doch
sagen, das mit dem Chinesen ist eine merkwürdige Geschichte.«
Kruse lachte. »Unsinn is es, Roswitha. Und meine Frau, statt aufs
Richtige zu sehen, erzählt immer so was, un wenn ich ein reines Hemd
anziehen will, fehlt ein Knopp. Un so is es nu schon, solange wir hier
sind. Sie hat immer bloß solche Geschichten in ihrem Kopp und dazu das
schwarze Huhn. Un das schwarze Huhn legt nich mal Eier. Un am Ende,
wovon soll es auch Eier legen? Es kommt ja nich ,raus, und vons bloße
Kikeriki kann doch so was nich kommen. Das is von keinem Huhn nich zu
verlangen.«
»Hören Sie, Kruse, das werde ich Ihrer Frau wiedererzählen. Ich habe
Sie immer für einen anständigen Menschen gehalten, und nun sagen Sie
so was wie das da von Kikeriki. Die Mannsleute sind doch immer noch
schlimmer, als man denkt. Un eigentlich müßt ich nu gleich den Pinsel
hier nehmen und Ihnen einen schwarzen Schnurrbart anmalen.«
»Nu, von Ihnen, Roswitha, kann man sich das schon gefallen lassen«,
und Kruse, der meist den Würdigen spielte, schien in einen mehr und
mehr schäkrigen Ton übergehen zu wollen, als er plötzlich der gnädigen
Frau ansichtig wurde, die heute von der anderen Seite der Plantage
herkam und in ebendiesem Augenblicke den Gartenzaun passierte.
»Guten Tag, Roswitha, du bist ja so ausgelassen. Was macht denn
Annie?«
»Sie schläft, gnäd'ge Frau.«
Aber Roswitha, als sie das sagte, war doch rot geworden und ging,
rasch abbrechend, auf das Haus zu, um der gnädigen Frau beim Umkleiden
behilflich zu sein. Denn ob Johanna da war, das war die Frage. Die
steckte jetzt viel auf dem »Amt« drüben, weil es zu Haus weniger zu
tun gab, und Friedrich und Christel waren ihr zu langweilig und wußten
nie was.
Annie schlief noch. Effi beugte sich über die Wiege, ließ sich dann
Hut und Regenmantel abnehmen und setzte sich auf das kleine Sofa in
ihrer Schlafstube. Das feuchte Haar strich sie langsam zurück, legte
die Füße auf einen niedrigen Stuhl, den Roswitha herangeschoben, und
sagte, während sie sichtlich das Ruhebehagen nach einem ziemlich
langen Spaziergang genoß: »Ich muß dich darauf aufmerksam machen,
Roswitha, daß Kruse verheiratet ist.«
»Ich weiß, gnäd'ge Frau.«
»Ja, was weiß man nicht alles und handelt doch, als ob man es nicht
wüßte. Das kann nie was werden.«
»Es soll ja auch nichts werden, gnäd'ge Frau ...«
»Denn wenn du denkst, sie sei krank, da machst du die Rechnung ohne
den Wirt. Die Kranken leben am längsten. Und dann hat sie das schwarze
Huhn. Vor dem hüte dich, das weiß alles und plaudert alles aus. Ich
weiß nicht, ich habe einen Schauder davor. Und ich wette, daß das
alles da oben mit dem Huhn zusammenhängt.«
»Ach, das glaub ich nicht. Aber schrecklich ist es doch. Und Kruse,
der immer gegen seine Frau ist, kann es mir nicht ausreden.«
»Was sagte der?«
»Er sagte, es seien bloß Mäuse.«
»Nun, Mäuse, das ist auch gerade schlimm genug. Ich kann keine Mäuse
leiden. Aber ich sah ja deutlich, wie du mit dem Kruse schwatztest
und vertraulich tatst, und ich glaube sogar, du wolltest ihm einen
Schnurrbart anmalen. Das ist doch schon sehr viel. Und nachher sitzt
du da. Du bist ja noch eine schmucke Person und hast so was. Aber sieh
dich vor, soviel kann ich dir bloß sagen. Wie war es denn eigentlich
das erstemal mit dir? Ist es so, daß du mir's erzählen kannst?«
»Ach, ich kann schon. Aber schrecklich war es. Und weil es so
schrecklich war, drum können gnäd'ge Frau auch ganz ruhig sein, von
wegen dem Kruse. Wem es so gegangen ist wie mir, der hat genug davon
und paßt auf. Mitunter träume ich noch davon, und dann bin ich den
andern Tag wie zerschlagen. Solche grausame Angst ...«
Effi hatte sich aufgerichtet und stützte den Kopf auf ihren Arm. »Nun
erzähle. Wie kann es denn gewesen sein? Es ist ja mit euch, das weiß
ich noch von Hause her, immer dieselbe Geschichte ...«
»Ja, zuerst is es wohl immer dasselbe, und ich will mir auch nicht
einbilden, daß es mit mir was Besonderes war, ganz und gar nicht. Aber
wie sie's mir dann auf den Kopf zusagten und ich mit einem Male sagen
mußte: 'ja, es ist so', ja, das war schrecklich. Die Mutter, na, das
ging noch, aber der Vater, der die Dorfschmiede hatte, der war streng
und wütend, und als er's hörte, da kam er mit einer Stange auf mich
los, die er eben aus dem Feuer genommen hatte, und wollte mich
umbringen. Und ich schrie laut auf und lief auf den Boden und
versteckte mich, und da lag ich und zitterte und kam erst wieder nach
unten, als sie mich riefen und sagten, ich solle nur kommen. Und dann
hatte ich noch eine jüngere Schwester, die wies immer auf mich hin und
sagte 'Pfui'. Und dann, wie das Kind kommen sollte, ging ich in eine
Scheune nebenan, weil ich mir's bei uns nicht getraute. Da fanden mich
fremde Leute halb tot und trugen mich ins Haus und in mein Bett. Und
den dritten Tag nahmen sie mir das Kind fort, und als ich nachher
fragte, wo es sei, da hieß es, es sei gut aufgehoben. Ach, gnädigste
Frau, die heil'ge Mutter Gottes bewahre Sie vor solchem Elend.«
Effi fuhr auf und sah Roswitha mit großen Augen an. Aber sie war doch
mehr erschrocken als empört. »Was du nur sprichst! Ich bin ja doch
eine verheiratete Frau. So was darfst du nicht sagen, das ist
ungehörig, das paßt sich nicht.«
»Ach, gnädigste Frau ...«
»Erzähle mir lieber, was aus dir wurde. Das Kind hatten sie dir
genommen. Soweit warst du ...«
»Und dann, nach ein paar Tagen, da kam wer aus Erfurt, der fuhr bei
dem Schulzen vor und fragte, ob da nicht eine Amme sei. Da sagte der
Schulze 'ja'. Gott lohne es ihm, und der fremde Herr nahm mich gleich
mit, und von da an hab ich bessere Tage gehabt; selbst bei der
Registratorin war es doch immer noch zum Aushalten, und zuletzt bin
ich zu Ihnen gekommen, gnädigste Frau. Und das war das Beste, das
Allerbeste.« Und als sie das sagte, trat sie an das Sofa heran und
küßte Effi die Hand.
»Roswitha, du mußt mir nicht immer die Hand küssen, ich mag das nicht.
Und nimm dich nur in acht mit dem Kruse. Du bist doch sonst eine so
gute und verständige Person ... Mit einem Ehemann ... das tut nie
gut.«
»Ach, gnäd'ge Frau, Gott und seine Heiligen führen uns wunderbar, und
das Unglück, das uns trifft, das hat doch auch sein Glück. Und wen
es nicht bessert, dem is nich zu helfen ... Ich kann eigentlich die
Mannsleute gut leiden ...«
»Siehst du, Roswitha, siehst du.«
»Aber wenn es mal wieder so über mich käme, mit dem Kruse, das is
ja nichts, und ich könnte nicht mehr anders, da lief ich gleich ins
Wasser. Es war zu schrecklich. Alles. Und was nur aus dem armen Wurm
geworden is? Ich glaube nicht, daß es noch lebt; sie haben es umkommen
lassen, aber ich bin doch schuld.« Und sie warf sich vor Annies Wiege
nieder und wiegte das Kind hin und her und sang in einem fort ihr
»Buhküken von Halberstadt«.
»Laß«, sagte Effi. »Singe nicht mehr; ich habe Kopfweh. Aber bringe
mir die Zeitungen. Oder hat Gieshübler vielleicht die Journale
geschickt?«
»Das hat er. Und die Modezeitung lag obenauf. Da haben wir drin
geblättert, ich und Johanna, eh sie rüber ging. Johanna ärgert sich
immer, daß sie so was nicht haben kann. Soll ich die Modezeitung
bringen?«
»Ja, die bringe und bring auch die Lampe.«
Roswitha ging, und Effi, als sie allein war, sagte: »Womit man sich
nicht alles hilft? Eine hübsche Dame mit einem Muff und eine mit
einem Halbschleier; Modepuppen. Aber es ist das Beste, mich auf andre
Gedanken zu bringen.«
Im Laufe des andern Vormittags kam ein Telegramm von Innstetten, worin
er mitteilte, daß er erst mit dem zweiten Zug kommen, also nicht vor
Abend in Kessin eintreffen werde.
Der Tag verging in ewiger Unruhe; glücklicherweise kam Gieshübler im
Laufe des Nachmittags und half über eine Stunde weg. Endlich um sieben
Uhr fuhr der Wagen vor, Effi trat hinaus, und man begrüßte sich.
Innstetten war in einer ihm sonst fremden Erregung, und so kam es, daß
er die Verlegenheit nicht sah, die sich in Effis Herzlichkeit mischte.
Drinnen im Flur brannten die Lampen und Lichter, und das Teezeug, das
Friedrich schon auf einen der zwischen den Schränken stehenden Tische
gestellt hatte, reflektierte den Lichterglanz.
»Das sieht ja ganz so aus wie damals, als wir hier ankamen. Weißt du
noch, Effi?«
Sie nickte.
»Nur der Haifisch mit seinem Fichtenzweig verhält sich heute ruhiger,
und auch Rollo spielt den Zurückhaltenden und legt mir nicht mehr die
Pfoten auf die Schulter. Was ist das mit dir, Rollo?«
Rollo strich an seinem Herrn vorbei und wedelte.
»Der ist nicht recht zufrieden, entweder mit mir nicht oder mit
andern. Nun, ich will annehmen, mit mir. Jedenfalls laß uns
eintreten.« Und er trat in sein Zimmer und bat Effi, während er sich
aufs Sofa niederließ, neben ihm Platz zu nehmen. »Es war so hübsch in
Berlin, über Erwarten; aber in all meiner Freude habe ich mich immer
zurückgesehnt. Und wie gut du aussiehst! Ein bißchen blaß und ein
bißchen verändert, aber es kleidet dich.«
Effi wurde rot.
»Und nun wirst du auch noch rot. Aber es ist, wie ich dir sage. Du
hattest so was von einem verwöhnten Kind, mit einemmal siehst du aus
wie eine Frau.«
»Das hör ich gern, Geert, aber ich glaube, du sagst es nur so.«
»Nein, nein, du kannst es dir gutschreiben, wenn es etwas Gutes
ist ...«
»Ich dächte doch.«
»Und nun rate, von wem ich dir Grüße bringe.«
»Das ist nicht schwer, Geert. Außerdem, wir Frauen, zu denen ich mich,
seitdem du wieder da bist, ja rechnen darf (und sie reichte ihm die
Hand und lachte), wir Frauen, wir raten leicht. Wir sind nicht so
schwerfällig wie ihr.«
»Nun, von wem?«
»Nun, natürlich von Vetter Briest. Er ist ja der einzige, den ich in
Berlin kenne, die Tanten abgerechnet, die du nicht aufgesucht haben
wirst und die viel zu neidisch sind, um mich grüßen zu lassen. Hast du
nicht auch gefunden, alle alten Tanten sind neidisch?«
»Ja, Effi, das ist wahr. Und daß du das sagst, das ist ganz meine alte
Effi wieder. Denn du mußt wissen, die alte Effi, die noch aussah wie
ein Kind, nun, die war auch nach meinem Geschmack. Gradeso wie die
jetzige gnäd'ge Frau.« »Meinst du? Und wenn du dich zwischen beiden
entscheiden solltest ...«
»Das ist eine Doktorfrage, darauf lasse ich mich nicht ein. Aber da
bringt Friedrich den Tee. Wie hat's mich nach dieser Stunde verlangt!
Und hab es auch ausgesprochen, sogar zu deinem Vetter Briest, als wir
bei Dressel saßen und in Champagner dein Wohl tranken ... Die Ohren
müssen dir geklungen haben ... Und weißt du, was dein Vetter dabei
sagte?«
»Gewiß was Albernes. Darin ist er groß.«
»Das ist der schwärzeste Undank, den ich all mein Lebtag erlebt habe.
'Lassen wir Effi leben', sagte er, 'meine schöne Cousine ... Wissen
Sie, Innstetten, daß ich Sie am liebsten fordern und totschießen
möchte? Denn Effi ist ein Engel, und Sie haben mich um diesen Engel
gebracht.' Und dabei sah er so ernst und wehmütig aus, daß man's
beinah hätte glauben können.«
»Oh, diese Stimmung kenne ich an ihm. Bei der wievielten wart ihr?«
»Ich hab es nicht mehr gegenwärtig, und vielleicht hätte ich es auch
damals nicht mehr sagen können. Aber das glaub ich, daß es ihm ganz
ernst war. Und vielleicht wäre es auch das Richtige gewesen. Glaubst
du nicht, daß du mit ihm hättest leben können?«
»Leben können. Das ist wenig, Geert. Aber beinah möcht ich sagen, ich
hätte auch nicht einmal mit ihm leben können.«
»Warum nicht? Er ist wirklich ein liebenswürdiger und netter Mensch
und auch ganz gescheit.«
»Ja, das ist er ...«
»Aber ...«
»Aber er ist dalbrig. Und das ist keine Eigenschaft, die wir Frauen
lieben, auch nicht einmal dann, wenn wir noch halbe Kinder sind,
wohin du mich immer gerechnet hast und vielleicht, trotz meiner
Fortschritte, auch jetzt noch rechnest. Das Dalbrige, das ist nicht
unsre Sache. Männer müssen Männer sein.«
»Gut, daß du das sagst. Alle Teufel, da muß man sich ja
zusammennehmen. Und ich kann von Glück sagen, daß ich von so was, das
wie Zusammennehmen aussieht oder wenigstens ein Zusammennehmen in
Zukunft fordert, so gut wie direkt herkomme ... Sag, wie denkst du dir
ein Ministerium?«
»Ein Ministerium? Nun, das kann zweierlei sein. Es können Menschen
sein, kluge, vornehme Herren, die den Staat regieren, und es kann auch
bloß ein Haus sein, ein Palazzo, ein Palazzo Strozzi oder Pitti oder,
wenn die nicht passen, irgendein andrer. Du siehst, ich habe meine
italienische Reise nicht umsonst gemacht.«
»Und könntest du dich entschließen, in solchem Palazzo zu wohnen? Ich
meine in solchem Ministerium?«
»Um Gottes willen, Geert, sie haben dich doch nicht zum Minister
gemacht? Gieshübler sagte so was. Und der Fürst kann alles. Gott, der
hat es am Ende durchgesetzt, und ich bin erst achtzehn.«
Innstetten lachte. »Nein, Effi, nicht Minister, so weit sind wir noch
nicht. Aber vielleicht kommen noch allerhand Gaben in mir heraus,
und dann ist es nicht unmöglich.« »Also jetzt noch nicht, noch nicht
Minister?«
»Nein. Und wir werden, die Wahrheit zu sagen, auch nicht einmal in
einem Ministerium wohnen, aber ich werde täglich ins Ministerium
gehen, wie ich jetzt in unser Landratsamt gehe, und werde dem Minister
Vortrag halten und mit ihm reisen, wenn er die Provinzialbehörden
inspiziert. Und du wirst eine Ministerialrätin sein und in Berlin
leben, und in einem halben Jahre wirst du kaum noch wissen, daß du
hier in Kessin gewesen bist und nichts gehabt hast als Gieshübler und
die Dünen und die Plantage.«
Effi sagte kein Wort, und nur ihre Augen wurden immer größer; um ihre
Mundwinkel war ein nervöses Zucken, und ihr ganzer zarter Körper
zitterte. Mit einem Male aber glitt sie von ihrem Sitz vor Innstetten
nieder, umklammerte seine Knie und sagte in einem Ton, wie wenn sie
betete: »Gott sei Dank!«
Innstetten verfärbte sich. Was war das? Etwas, was seit Wochen
flüchtig, aber doch immer sich erneuernd über ihn kam, war wieder da
und sprach so deutlich aus seinem Auge, daß Effi davor erschrak. Sie
hatte sich durch ein schönes Gefühl, das nicht viel was andres als ein
Bekenntnis ihrer Schuld war, hinreißen lassen und dabei mehr gesagt,
als sie sagen durfte. Sie mußte das wieder ausgleichen, mußte was
finden, irgendeinen Ausweg, es koste, was es wolle.
»Steh auf, Effi. Was hast du?«
Effi erhob sich rasch. Aber sie nahm ihren Platz auf dem Sofa
nicht wieder ein, sondern schob einen Stuhl mit hoher Lehne heran,
augenscheinlich weil sie nicht Kraft genug fühlte, sich ohne Stütze zu
halten.
»Was hast du?« wiederholte Innstetten. »Ich dachte, du hättest hier
glückliche Tage verlebt. Und nun rufst du 'Gott sei Dank', als ob
dir hier alles nur ein Schrecknis gewesen wäre. War ich dir ein
Schrecknis? Oder war es was andres? Sprich?«
»Daß du noch fragen kannst, Geert«, sagte sie, während sie mit einer
äußersten Anstrengung das Zittern ihrer Stimme zu bezwingen suchte.
»Glückliche Tage! Ja, gewiß, glückliche Tage, aber doch auch andre.
Nie bin ich die Angst hier ganz losgeworden, nie. Noch keine vierzehn
Tage, daß es mir wieder über die Schulter sah, dasselbe Gesicht,
derselbe fahle Teint. Und diese letzten Nächte, wo du fort warst, war
es auch wieder da, nicht das Gesicht, aber es schlurrte wieder, und
Rollo schlug wieder an, und Roswitha, die's auch gehört, kam an
mein Bett und setzte sich zu mir, und erst, als es schon dämmerte,
schliefen wir wieder ein. Es ist ein Spukhaus, und ich hab es auch
glauben sollen, das mit dem Spuk -denn du bist ein Erzieher. Ja,
Geert, das bist du. Aber laß es sein, wie's will, soviel weiß ich, ich
habe mich ein ganzes Jahr lang und länger in diesem Hause gefürchtet,
und wenn ich von hier fortkomme, so wird es, denke ich, von mir
abfallen, und ich werde wieder frei sein.«
Innstetten hatte kein Auge von ihr gelassen und war jedem Worte
gefolgt. Was sollte das heißen: »du bist ein Erzieher«? Und dann das
andere, was vorausging: »und ich hab es auch glauben sollen, das mit
dem Spuk«. Was war das alles? Wo kam das her? Und er fühlte seinen
leisen Argwohn sich wieder regen und fester einnisten. Aber er hatte
lange genug gelebt, um zu wissen, daß alle Zeichen trügen und daß wir
in unsrer Eifersucht, trotz ihrer hundert Augen, oft noch mehr in die
Irre gehen als in der Blindheit unseres Vertrauens. Es konnte ja so
sein, wie sie sagte.
Und wenn es so war, warum sollte sie nicht ausrufen: »Gott sei Dank!«
Und so, rasch alle Möglichkeiten ins Auge fassend, wurde er seines
Argwohns wieder Herr und reichte ihr die Hand über en Tisch hin:
»Verzeih mir, Effi, aber ich war so sehr überrascht von dem allen.
Freilich wohl meine Schuld. Ich bin immer zu sehr mit mir beschäftigt
gewesen. Wir Männer sind alle Egoisten. Aber das soll nun anders
werden. Ein Gutes hat Berlin gewiß: Spukhäuser gibt es da nicht. Wo
sollen die auch herkommen? Und nun laß uns hinübergehen, daß ich Annie
sehe; Roswitha verklagt mich sonst als einen unzärtlichen Vater.«
Effi war unter diesen Worten allmählich ruhiger geworden, und das
Gefühl, aus einer selbstgeschaffenen Gefahr sich glücklich befreit zu
haben, gab ihr die Spannkraft und gute Haltung wieder zurück.
»Ich werde nicht dabeisein, Geert, und du mußt mich der Kur halber, in
der ich nun seit Wochen stehe, von vornherein entschuldigen.«
Innstetten lachte. »Kur. Ich soll es auf die Kur schieben. Das ist das
Vorgebliche; das Eigentliche heißt: du willst nicht.« »Nein, es ist
doch mehr Ehrlichkeit dabei, als du zugeben willst. Du hast selbst
gewollt, daß ich den Doktor zu Rate ziehe. Das hab ich getan, und nun
muß ich doch seinem Rat folgen. Der gute Doktor, er hält mich für
bleichsüchtig, sonderbar genug, und du weißt, daß ich jeden Tag
von dem Eisenwasser trinke. Wenn du dir ein Borckesches Diner dazu
vorstellst, vielleicht mit Preßkopf und Aal in Aspik, so mußt du den
Eindruck haben, es wäre mein Tod. Und so wirst du dich doch zu deiner
Effi nicht stellen wollen. Freilich, mitunter ist es mir ...«
»Ich bitte dich, Effi ...«
»... Übrigens freu ich mich, und das ist das einzige Gute dabei, dich
jedesmal, wenn du fährst, eine Strecke Wegs begleiten zu können, bis
an die Mühle gewiß oder bis an den Kirchhof oder auch bis an die
Waldecke, da, wo der Morgnitzer Querweg einmündet. Und dann steig
ich ab und schlendere wieder zurück. In den Dünen ist es immer am
schönsten.«
Innstetten war einverstanden, und als drei Tage später der Wagen
vorfuhr, stieg Effi mit auf und gab ihrem Manne das Geleit bis an die
Waldecke. »Hier laß halten, Geert. Du fährst nun links weiter, ich
gehe rechts bis an den Strand und durch die Plantage zurück. Es ist
etwas weit, aber doch nicht zu weit. Doktor Hannemann sagt mir jeden
Tag, Bewegung sei alles, Bewegung und frische Luft. Und ich glaube
beinah, daß er recht hat. Empfiehl mich all den Herrschaften; nur bei
Sidonie kannst du schweigen.«
Die Fahrten, auf denen Effi ihren Gatten bis an die Waldecke
begleitete, wiederholten sich allwöchentlich; aber auch in der
zwischenliegenden Zeit hielt Effi darauf, daß sie der ärztlichen
Verordnung streng nachkam. Es verging kein Tag, wo sie nicht ihren
vorgeschriebenen Spaziergang gemacht hätte, meist nachmittags, wenn
sich Innstetten in seine Zeitungen zu vertiefen begann. Das Wetter war
schön, eine milde, frische Luft, der Himmel bedeckt. Sie ging in der
Regel allein und sagte zu Roswitha: »Roswitha, ich gehe nun also die
Chaussee hinunter und dann rechts an den Platz mit dem Karussell; da
will ich auf dich warten, da hole mich ab. Und dann gehen wir durch
die Birkenallee oder durch die Reeperbahn wieder zurück. Aber komme
nur, wenn Annie schläft. Und wenn sie nicht schläft, so schicke
Johanna. Oder laß es lieber ganz; es ist nicht nötig, ich finde mich
schon zurecht.«
Den ersten Tag, als es so verabredet war, trafen sie sich auch
wirklich. Effi saß auf einer an einem langen Holzschuppen sich
hinziehenden Bank und sah nach einem niedrigen Fachwerkhaus hinüber,
gelb mit schwarzgestrichenen Balken, einer Wirtschaft für kleine
Bürger, die hier ihr Glas Bier tranken oder Solo spielten. Es dunkelte
noch kaum, die Fenster aber waren schon hell, und ihr Lichtschimmer
fiel auf die Schneemassen und etliche zur Seite stehende Bäume. »Sieh,
Roswitha, wie schön das aussieht.«
Ein paar Tage wiederholte sich das. Meist aber, wenn Roswitha bei dem
Karussell und dem Holzschuppen ankam, war niemand da, und wenn sie
dann zurückkam und in den Hausflur eintrat, kam ihr Effi schon
entgegen und sagte:
»Wo du nur bleibst, Roswitha, ich bin schon lange wieder hier.«
In dieser Art ging es durch Wochen hin. Das mit den Husaren hatte
sich wegen der Schwierigkeiten, die die Bürgerschaft machte, so
gut wie zerschlagen; aber da die Verhandlungen noch nicht geradezu
abgeschlossen waren und neuerdings durch eine andere Behörde, das
Generalkommando, gingen, so war Crampas nach Stettin berufen worden,
wo man seine Meinung in dieser Angelegenheit hören wollte. Von dort
schrieb er den zweiten Tag an Innstetten:
»Pardon, Innstetten, daß ich mich auf französisch empfohlen. Es kam
alles so schnell. Ich werde übrigens die Sache hinauszuspinnen suchen,
denn man ist froh, einmal draußen zu sein. Empfehlen Sie mich der
gnädigen Frau, meiner liebenswürdigen Gönnerin.«
Er las es Effi vor. Diese blieb ruhig. Endlich sagte sie: »Es ist
recht gut so.«
»Wie meinst du das?«
»Daß er fort ist. Er sagt eigentlich immer dasselbe. Wenn er wieder da
ist, wird er wenigstens vorübergehend was Neues zu sagen haben.«
Innstettens Blick flog scharf über sie hin. Aber er sah nichts, und
sein Verdacht beruhigte sich wieder. »Ich will auch fort«, sagte er
nach einer Weile, »sogar nach Berlin; vielleicht kann ich dann, wie
Crampas, auch mal was Neues mitbringen. Meine liebe Effi will immer
gern was Neues hören; sie langweilt sich in unserm guten Kessin. Ich
werde gegen acht Tage fort sein, vielleicht noch einen Tag länger.
Und ängstige dich nicht ... es wird ja wohl nicht wiederkommen ...
du weißt schon, das da oben ... Und wenn doch, du hast ja Rollo und
Roswitha.«
Effi lächelte vor sich hin, und es mischte sich etwas von Wehmut mit
ein. Sie mußte des Tages gedenken, wo Crampas ihr zum erstenmal gesagt
hatte, daß er mit dem Spuk und ihrer Furcht eine Komödie spiele. Der
große Erzieher! Aber hatte er nicht recht? War die Komödie nicht am
Platz? Und allerhand Widerstreitendes, Gutes und Böses, ging ihr durch
den Kopf.
Den dritten Tag reiste Innstetten ab.
Über das, was er in Berlin vorhabe, hatte er nichts gesagt.
Einundzwanzigstes Kapitel
Innstetten war erst vier Tage fort, als Crampas von Stettin wieder
eintraf und die Nachricht brachte, man hätte höheren Orts die Absicht,
zwei Schwadronen nach Kessin zu legen, endgültig fallenlassen; es gäbe
so viele kleine Städte, die sich um eine Kavalleriegarnison, und nun
gar um Blüchersche Husaren, bewürben, daß man gewohnt sei, bei solchem
Anerbieten einem herzlichen Entgegenkommen, aber nicht einem zögernden
zu begegnen. Als Crampas das mitteilte, machte der Magistrat ein
ziemlich verlegenes Gesicht; nur Gieshübler, weil er der Philisterei
seiner Kollegen eine Niederlage gönnte, triumphierte. Seitens der
kleinen Leute griff beim Bekanntwerden der Nachricht eine gewisse
Verstimmung Platz, ja selbst einige Konsuls mit Töchtern waren
momentan unzufrieden; im ganzen aber kam man rasch über die Sache
hin, vielleicht weil die nebenherlaufende Frage, was Innstetten in
Berlin vorhabe, die Kessiner Bevölkerung oder doch wenigstens die
Honoratiorenschaft der Stadt mehr interessierte. Diese wollte den
überaus wohl gelittenen Landrat nicht gern verlieren, und doch gingen
darüber ganz ausschweifende Gerüchte, die von Gieshübler, wenn er
nicht ihr Erfinder war, wenigstens genährt und weiterverbreitet
wurden. Unter anderem hieß es, Innstetten würde als Führer einer
Gesandtschaft nach Marokko gehen, und zwar mit Geschenken, unter denen
nicht bloß die herkömmliche Vase mit Sanssouci und dem Neuen Palais,
sondern vor allem auch eine große Eismaschine sei. Das letztere
erschien mit Rücksicht auf die marokkanischen Temperaturverhältnisse
so wahrscheinlich, daß das Ganze geglaubt wurde.
Effi hörte auch davon. Die Tage, wo sie sich darüber erheitert hätte,
lagen noch nicht allzuweit zurück; aber in der Seelenstimmung, in der
sie sich seit Schluß des Jahres befand, war sie nicht mehr fähig,
unbefangen und ausgelassen über derlei Dinge zu lachen. Ihre
Gesichtszüge hatten einen ganz anderen Ausdruck angenommen, und das
halb rührend, halb schelmisch Kindliche, was sie noch als Frau gehabt
hatte, war hin. Die Spaziergänge nach dem Strand und der Plantage,
die sie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm sie
nach seiner Rückkehr wieder auf und ließ sich auch durch ungünstige
Witterung nicht davon abhalten. Es wurde wie früher bestimmt, daß ihr
Roswitha bis an den Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des
Kirchhofs entgegenkommen solle, sie verfehlten sich aber noch häufiger
als früher. »Ich könnte dich schelten, Roswitha, daß du mich nie
findest. Aber es hat nichts auf sich; ich ängstige mich nicht mehr,
auch nicht einmal am Kirchhof, und im Wald bin ich noch keiner
Menschenseele begegnet.«
Es war am Tage vor Innstettens Rückkehr von Berlin, daß Effi das
sagte. Roswitha machte nicht viel davon und beschäftigte sich lieber
damit, Girlanden über den Türen anzubringen; auch der Haifisch bekam
einen Fichtenzweig und sah noch merkwürdiger aus als gewöhnlich. Effi
sagte: »Das ist recht, Roswitha; er wird sich freuen über all das
Grün, wenn er morgen wieder da ist. Ob ich heute wohl noch gehe?
Doktor Hannemann besteht darauf und meint in einem fort, ich nähme
es nicht ernst genug, sonst müßte ich besser aussehen; ich habe aber
keine rechte Lust heut, es nieselt, und der Himmel ist so grau.«
»Ich werde der gnäd'gen Frau den Regenmantel bringen.«
»Das tu! Aber komme heute nicht nach, wir treffen uns ja doch nicht«,
und sie lachte. »Wirklich, du bist gar nicht findig, Roswitha. Und ich
mag nicht, daß du dich erkältest, und alles um nichts.«
Roswitha blieb denn auch zu Haus, und weil Annie schlief, ging sie zu
Kruses, um mit der Frau zu plaudern. »Liebe Frau Kruse«, sagte sie,
»Sie wollten mir ja das mit dem Chinesen noch erzählen. Gestern kam
die Johanna dazwischen, die tut immer so vornehm, für die ist so was
nichts. Ich glaube aber doch, daß es was gewesen ist, ich meine mit
dem Chinesen und mit Thomsens Nichte, wenn es nicht seine Enkelin
war.«
Die Kruse nickte.
»Entweder«, fuhr Roswitha fort, »war es eine unglückliche Liebe (die
Kruse nickte wieder), oder es kann auch eine glückliche gewesen sein,
und der Chinese konnte es bloß nicht aushalten, daß es alles mit
einemmal so wieder vorbei sein sollte. Denn die Chinesen sind doch
auch Menschen, und es wird wohl alles ebenso mit ihnen sein wie mit
uns.« »Alles«, versicherte die Kruse und wollte dies eben durch ihre
Geschichte bestätigen, als ihr Mann eintrat und sagte: »Mutter, du
könntest mir die Flasche mit dem Lederlack geben; ich muß doch das
Sielenzeug blank haben, wenn der Herr morgen wieder da ist; der sieht
alles, und wenn er auch nichts sagt, so merkt man doch, daß er's
gesehen hat.«
»Ich bringe es Ihnen raus, Kruse«, sagte Roswitha. »Ihre Frau will mir
bloß noch was erzählen; aber es ist gleich aus, und dann komm ich und
bring es.«
Roswitha, die Flasche mit dem Lack in der Hand, kam denn auch ein
paar Minuten danach auf den Hof hinaus und stellte sich neben das
Sielenzeug, das Kruse eben über den Gartenzaun gelegt hatte. »Gott«,
sagte er, während er ihr die Flasche aus der Hand nahm, »viel hilft es
ja nicht, es nieselt in einem weg, und die Blänke vergeht doch wieder.
Aber ich denke, alles muß seine Ordnung haben.«
»Das muß es. Und dann, Kruse, es ist ja doch auch ein richtiger Lack,
das kann ich gleich sehen, und was ein richtiger Lack ist, der klebt
nicht lange, der muß gleich trocknen. Und wenn es dann morgen nebelt
oder naß fällt, dann schadet es nichts mehr. Aber das muß ich doch
sagen, das mit dem Chinesen ist eine merkwürdige Geschichte.«
Kruse lachte. »Unsinn is es, Roswitha. Und meine Frau, statt aufs
Richtige zu sehen, erzählt immer so was, un wenn ich ein reines Hemd
anziehen will, fehlt ein Knopp. Un so is es nu schon, solange wir hier
sind. Sie hat immer bloß solche Geschichten in ihrem Kopp und dazu das
schwarze Huhn. Un das schwarze Huhn legt nich mal Eier. Un am Ende,
wovon soll es auch Eier legen? Es kommt ja nich ,raus, und vons bloße
Kikeriki kann doch so was nich kommen. Das is von keinem Huhn nich zu
verlangen.«
»Hören Sie, Kruse, das werde ich Ihrer Frau wiedererzählen. Ich habe
Sie immer für einen anständigen Menschen gehalten, und nun sagen Sie
so was wie das da von Kikeriki. Die Mannsleute sind doch immer noch
schlimmer, als man denkt. Un eigentlich müßt ich nu gleich den Pinsel
hier nehmen und Ihnen einen schwarzen Schnurrbart anmalen.«
»Nu, von Ihnen, Roswitha, kann man sich das schon gefallen lassen«,
und Kruse, der meist den Würdigen spielte, schien in einen mehr und
mehr schäkrigen Ton übergehen zu wollen, als er plötzlich der gnädigen
Frau ansichtig wurde, die heute von der anderen Seite der Plantage
herkam und in ebendiesem Augenblicke den Gartenzaun passierte.
»Guten Tag, Roswitha, du bist ja so ausgelassen. Was macht denn
Annie?«
»Sie schläft, gnäd'ge Frau.«
Aber Roswitha, als sie das sagte, war doch rot geworden und ging,
rasch abbrechend, auf das Haus zu, um der gnädigen Frau beim Umkleiden
behilflich zu sein. Denn ob Johanna da war, das war die Frage. Die
steckte jetzt viel auf dem »Amt« drüben, weil es zu Haus weniger zu
tun gab, und Friedrich und Christel waren ihr zu langweilig und wußten
nie was.
Annie schlief noch. Effi beugte sich über die Wiege, ließ sich dann
Hut und Regenmantel abnehmen und setzte sich auf das kleine Sofa in
ihrer Schlafstube. Das feuchte Haar strich sie langsam zurück, legte
die Füße auf einen niedrigen Stuhl, den Roswitha herangeschoben, und
sagte, während sie sichtlich das Ruhebehagen nach einem ziemlich
langen Spaziergang genoß: »Ich muß dich darauf aufmerksam machen,
Roswitha, daß Kruse verheiratet ist.«
»Ich weiß, gnäd'ge Frau.«
»Ja, was weiß man nicht alles und handelt doch, als ob man es nicht
wüßte. Das kann nie was werden.«
»Es soll ja auch nichts werden, gnäd'ge Frau ...«
»Denn wenn du denkst, sie sei krank, da machst du die Rechnung ohne
den Wirt. Die Kranken leben am längsten. Und dann hat sie das schwarze
Huhn. Vor dem hüte dich, das weiß alles und plaudert alles aus. Ich
weiß nicht, ich habe einen Schauder davor. Und ich wette, daß das
alles da oben mit dem Huhn zusammenhängt.«
»Ach, das glaub ich nicht. Aber schrecklich ist es doch. Und Kruse,
der immer gegen seine Frau ist, kann es mir nicht ausreden.«
»Was sagte der?«
»Er sagte, es seien bloß Mäuse.«
»Nun, Mäuse, das ist auch gerade schlimm genug. Ich kann keine Mäuse
leiden. Aber ich sah ja deutlich, wie du mit dem Kruse schwatztest
und vertraulich tatst, und ich glaube sogar, du wolltest ihm einen
Schnurrbart anmalen. Das ist doch schon sehr viel. Und nachher sitzt
du da. Du bist ja noch eine schmucke Person und hast so was. Aber sieh
dich vor, soviel kann ich dir bloß sagen. Wie war es denn eigentlich
das erstemal mit dir? Ist es so, daß du mir's erzählen kannst?«
»Ach, ich kann schon. Aber schrecklich war es. Und weil es so
schrecklich war, drum können gnäd'ge Frau auch ganz ruhig sein, von
wegen dem Kruse. Wem es so gegangen ist wie mir, der hat genug davon
und paßt auf. Mitunter träume ich noch davon, und dann bin ich den
andern Tag wie zerschlagen. Solche grausame Angst ...«
Effi hatte sich aufgerichtet und stützte den Kopf auf ihren Arm. »Nun
erzähle. Wie kann es denn gewesen sein? Es ist ja mit euch, das weiß
ich noch von Hause her, immer dieselbe Geschichte ...«
»Ja, zuerst is es wohl immer dasselbe, und ich will mir auch nicht
einbilden, daß es mit mir was Besonderes war, ganz und gar nicht. Aber
wie sie's mir dann auf den Kopf zusagten und ich mit einem Male sagen
mußte: 'ja, es ist so', ja, das war schrecklich. Die Mutter, na, das
ging noch, aber der Vater, der die Dorfschmiede hatte, der war streng
und wütend, und als er's hörte, da kam er mit einer Stange auf mich
los, die er eben aus dem Feuer genommen hatte, und wollte mich
umbringen. Und ich schrie laut auf und lief auf den Boden und
versteckte mich, und da lag ich und zitterte und kam erst wieder nach
unten, als sie mich riefen und sagten, ich solle nur kommen. Und dann
hatte ich noch eine jüngere Schwester, die wies immer auf mich hin und
sagte 'Pfui'. Und dann, wie das Kind kommen sollte, ging ich in eine
Scheune nebenan, weil ich mir's bei uns nicht getraute. Da fanden mich
fremde Leute halb tot und trugen mich ins Haus und in mein Bett. Und
den dritten Tag nahmen sie mir das Kind fort, und als ich nachher
fragte, wo es sei, da hieß es, es sei gut aufgehoben. Ach, gnädigste
Frau, die heil'ge Mutter Gottes bewahre Sie vor solchem Elend.«
Effi fuhr auf und sah Roswitha mit großen Augen an. Aber sie war doch
mehr erschrocken als empört. »Was du nur sprichst! Ich bin ja doch
eine verheiratete Frau. So was darfst du nicht sagen, das ist
ungehörig, das paßt sich nicht.«
»Ach, gnädigste Frau ...«
»Erzähle mir lieber, was aus dir wurde. Das Kind hatten sie dir
genommen. Soweit warst du ...«
»Und dann, nach ein paar Tagen, da kam wer aus Erfurt, der fuhr bei
dem Schulzen vor und fragte, ob da nicht eine Amme sei. Da sagte der
Schulze 'ja'. Gott lohne es ihm, und der fremde Herr nahm mich gleich
mit, und von da an hab ich bessere Tage gehabt; selbst bei der
Registratorin war es doch immer noch zum Aushalten, und zuletzt bin
ich zu Ihnen gekommen, gnädigste Frau. Und das war das Beste, das
Allerbeste.« Und als sie das sagte, trat sie an das Sofa heran und
küßte Effi die Hand.
»Roswitha, du mußt mir nicht immer die Hand küssen, ich mag das nicht.
Und nimm dich nur in acht mit dem Kruse. Du bist doch sonst eine so
gute und verständige Person ... Mit einem Ehemann ... das tut nie
gut.«
»Ach, gnäd'ge Frau, Gott und seine Heiligen führen uns wunderbar, und
das Unglück, das uns trifft, das hat doch auch sein Glück. Und wen
es nicht bessert, dem is nich zu helfen ... Ich kann eigentlich die
Mannsleute gut leiden ...«
»Siehst du, Roswitha, siehst du.«
»Aber wenn es mal wieder so über mich käme, mit dem Kruse, das is
ja nichts, und ich könnte nicht mehr anders, da lief ich gleich ins
Wasser. Es war zu schrecklich. Alles. Und was nur aus dem armen Wurm
geworden is? Ich glaube nicht, daß es noch lebt; sie haben es umkommen
lassen, aber ich bin doch schuld.« Und sie warf sich vor Annies Wiege
nieder und wiegte das Kind hin und her und sang in einem fort ihr
»Buhküken von Halberstadt«.
»Laß«, sagte Effi. »Singe nicht mehr; ich habe Kopfweh. Aber bringe
mir die Zeitungen. Oder hat Gieshübler vielleicht die Journale
geschickt?«
»Das hat er. Und die Modezeitung lag obenauf. Da haben wir drin
geblättert, ich und Johanna, eh sie rüber ging. Johanna ärgert sich
immer, daß sie so was nicht haben kann. Soll ich die Modezeitung
bringen?«
»Ja, die bringe und bring auch die Lampe.«
Roswitha ging, und Effi, als sie allein war, sagte: »Womit man sich
nicht alles hilft? Eine hübsche Dame mit einem Muff und eine mit
einem Halbschleier; Modepuppen. Aber es ist das Beste, mich auf andre
Gedanken zu bringen.«
Im Laufe des andern Vormittags kam ein Telegramm von Innstetten, worin
er mitteilte, daß er erst mit dem zweiten Zug kommen, also nicht vor
Abend in Kessin eintreffen werde.
Der Tag verging in ewiger Unruhe; glücklicherweise kam Gieshübler im
Laufe des Nachmittags und half über eine Stunde weg. Endlich um sieben
Uhr fuhr der Wagen vor, Effi trat hinaus, und man begrüßte sich.
Innstetten war in einer ihm sonst fremden Erregung, und so kam es, daß
er die Verlegenheit nicht sah, die sich in Effis Herzlichkeit mischte.
Drinnen im Flur brannten die Lampen und Lichter, und das Teezeug, das
Friedrich schon auf einen der zwischen den Schränken stehenden Tische
gestellt hatte, reflektierte den Lichterglanz.
»Das sieht ja ganz so aus wie damals, als wir hier ankamen. Weißt du
noch, Effi?«
Sie nickte.
»Nur der Haifisch mit seinem Fichtenzweig verhält sich heute ruhiger,
und auch Rollo spielt den Zurückhaltenden und legt mir nicht mehr die
Pfoten auf die Schulter. Was ist das mit dir, Rollo?«
Rollo strich an seinem Herrn vorbei und wedelte.
»Der ist nicht recht zufrieden, entweder mit mir nicht oder mit
andern. Nun, ich will annehmen, mit mir. Jedenfalls laß uns
eintreten.« Und er trat in sein Zimmer und bat Effi, während er sich
aufs Sofa niederließ, neben ihm Platz zu nehmen. »Es war so hübsch in
Berlin, über Erwarten; aber in all meiner Freude habe ich mich immer
zurückgesehnt. Und wie gut du aussiehst! Ein bißchen blaß und ein
bißchen verändert, aber es kleidet dich.«
Effi wurde rot.
»Und nun wirst du auch noch rot. Aber es ist, wie ich dir sage. Du
hattest so was von einem verwöhnten Kind, mit einemmal siehst du aus
wie eine Frau.«
»Das hör ich gern, Geert, aber ich glaube, du sagst es nur so.«
»Nein, nein, du kannst es dir gutschreiben, wenn es etwas Gutes
ist ...«
»Ich dächte doch.«
»Und nun rate, von wem ich dir Grüße bringe.«
»Das ist nicht schwer, Geert. Außerdem, wir Frauen, zu denen ich mich,
seitdem du wieder da bist, ja rechnen darf (und sie reichte ihm die
Hand und lachte), wir Frauen, wir raten leicht. Wir sind nicht so
schwerfällig wie ihr.«
»Nun, von wem?«
»Nun, natürlich von Vetter Briest. Er ist ja der einzige, den ich in
Berlin kenne, die Tanten abgerechnet, die du nicht aufgesucht haben
wirst und die viel zu neidisch sind, um mich grüßen zu lassen. Hast du
nicht auch gefunden, alle alten Tanten sind neidisch?«
»Ja, Effi, das ist wahr. Und daß du das sagst, das ist ganz meine alte
Effi wieder. Denn du mußt wissen, die alte Effi, die noch aussah wie
ein Kind, nun, die war auch nach meinem Geschmack. Gradeso wie die
jetzige gnäd'ge Frau.« »Meinst du? Und wenn du dich zwischen beiden
entscheiden solltest ...«
»Das ist eine Doktorfrage, darauf lasse ich mich nicht ein. Aber da
bringt Friedrich den Tee. Wie hat's mich nach dieser Stunde verlangt!
Und hab es auch ausgesprochen, sogar zu deinem Vetter Briest, als wir
bei Dressel saßen und in Champagner dein Wohl tranken ... Die Ohren
müssen dir geklungen haben ... Und weißt du, was dein Vetter dabei
sagte?«
»Gewiß was Albernes. Darin ist er groß.«
»Das ist der schwärzeste Undank, den ich all mein Lebtag erlebt habe.
'Lassen wir Effi leben', sagte er, 'meine schöne Cousine ... Wissen
Sie, Innstetten, daß ich Sie am liebsten fordern und totschießen
möchte? Denn Effi ist ein Engel, und Sie haben mich um diesen Engel
gebracht.' Und dabei sah er so ernst und wehmütig aus, daß man's
beinah hätte glauben können.«
»Oh, diese Stimmung kenne ich an ihm. Bei der wievielten wart ihr?«
»Ich hab es nicht mehr gegenwärtig, und vielleicht hätte ich es auch
damals nicht mehr sagen können. Aber das glaub ich, daß es ihm ganz
ernst war. Und vielleicht wäre es auch das Richtige gewesen. Glaubst
du nicht, daß du mit ihm hättest leben können?«
»Leben können. Das ist wenig, Geert. Aber beinah möcht ich sagen, ich
hätte auch nicht einmal mit ihm leben können.«
»Warum nicht? Er ist wirklich ein liebenswürdiger und netter Mensch
und auch ganz gescheit.«
»Ja, das ist er ...«
»Aber ...«
»Aber er ist dalbrig. Und das ist keine Eigenschaft, die wir Frauen
lieben, auch nicht einmal dann, wenn wir noch halbe Kinder sind,
wohin du mich immer gerechnet hast und vielleicht, trotz meiner
Fortschritte, auch jetzt noch rechnest. Das Dalbrige, das ist nicht
unsre Sache. Männer müssen Männer sein.«
»Gut, daß du das sagst. Alle Teufel, da muß man sich ja
zusammennehmen. Und ich kann von Glück sagen, daß ich von so was, das
wie Zusammennehmen aussieht oder wenigstens ein Zusammennehmen in
Zukunft fordert, so gut wie direkt herkomme ... Sag, wie denkst du dir
ein Ministerium?«
»Ein Ministerium? Nun, das kann zweierlei sein. Es können Menschen
sein, kluge, vornehme Herren, die den Staat regieren, und es kann auch
bloß ein Haus sein, ein Palazzo, ein Palazzo Strozzi oder Pitti oder,
wenn die nicht passen, irgendein andrer. Du siehst, ich habe meine
italienische Reise nicht umsonst gemacht.«
»Und könntest du dich entschließen, in solchem Palazzo zu wohnen? Ich
meine in solchem Ministerium?«
»Um Gottes willen, Geert, sie haben dich doch nicht zum Minister
gemacht? Gieshübler sagte so was. Und der Fürst kann alles. Gott, der
hat es am Ende durchgesetzt, und ich bin erst achtzehn.«
Innstetten lachte. »Nein, Effi, nicht Minister, so weit sind wir noch
nicht. Aber vielleicht kommen noch allerhand Gaben in mir heraus,
und dann ist es nicht unmöglich.« »Also jetzt noch nicht, noch nicht
Minister?«
»Nein. Und wir werden, die Wahrheit zu sagen, auch nicht einmal in
einem Ministerium wohnen, aber ich werde täglich ins Ministerium
gehen, wie ich jetzt in unser Landratsamt gehe, und werde dem Minister
Vortrag halten und mit ihm reisen, wenn er die Provinzialbehörden
inspiziert. Und du wirst eine Ministerialrätin sein und in Berlin
leben, und in einem halben Jahre wirst du kaum noch wissen, daß du
hier in Kessin gewesen bist und nichts gehabt hast als Gieshübler und
die Dünen und die Plantage.«
Effi sagte kein Wort, und nur ihre Augen wurden immer größer; um ihre
Mundwinkel war ein nervöses Zucken, und ihr ganzer zarter Körper
zitterte. Mit einem Male aber glitt sie von ihrem Sitz vor Innstetten
nieder, umklammerte seine Knie und sagte in einem Ton, wie wenn sie
betete: »Gott sei Dank!«
Innstetten verfärbte sich. Was war das? Etwas, was seit Wochen
flüchtig, aber doch immer sich erneuernd über ihn kam, war wieder da
und sprach so deutlich aus seinem Auge, daß Effi davor erschrak. Sie
hatte sich durch ein schönes Gefühl, das nicht viel was andres als ein
Bekenntnis ihrer Schuld war, hinreißen lassen und dabei mehr gesagt,
als sie sagen durfte. Sie mußte das wieder ausgleichen, mußte was
finden, irgendeinen Ausweg, es koste, was es wolle.
»Steh auf, Effi. Was hast du?«
Effi erhob sich rasch. Aber sie nahm ihren Platz auf dem Sofa
nicht wieder ein, sondern schob einen Stuhl mit hoher Lehne heran,
augenscheinlich weil sie nicht Kraft genug fühlte, sich ohne Stütze zu
halten.
»Was hast du?« wiederholte Innstetten. »Ich dachte, du hättest hier
glückliche Tage verlebt. Und nun rufst du 'Gott sei Dank', als ob
dir hier alles nur ein Schrecknis gewesen wäre. War ich dir ein
Schrecknis? Oder war es was andres? Sprich?«
»Daß du noch fragen kannst, Geert«, sagte sie, während sie mit einer
äußersten Anstrengung das Zittern ihrer Stimme zu bezwingen suchte.
»Glückliche Tage! Ja, gewiß, glückliche Tage, aber doch auch andre.
Nie bin ich die Angst hier ganz losgeworden, nie. Noch keine vierzehn
Tage, daß es mir wieder über die Schulter sah, dasselbe Gesicht,
derselbe fahle Teint. Und diese letzten Nächte, wo du fort warst, war
es auch wieder da, nicht das Gesicht, aber es schlurrte wieder, und
Rollo schlug wieder an, und Roswitha, die's auch gehört, kam an
mein Bett und setzte sich zu mir, und erst, als es schon dämmerte,
schliefen wir wieder ein. Es ist ein Spukhaus, und ich hab es auch
glauben sollen, das mit dem Spuk -denn du bist ein Erzieher. Ja,
Geert, das bist du. Aber laß es sein, wie's will, soviel weiß ich, ich
habe mich ein ganzes Jahr lang und länger in diesem Hause gefürchtet,
und wenn ich von hier fortkomme, so wird es, denke ich, von mir
abfallen, und ich werde wieder frei sein.«
Innstetten hatte kein Auge von ihr gelassen und war jedem Worte
gefolgt. Was sollte das heißen: »du bist ein Erzieher«? Und dann das
andere, was vorausging: »und ich hab es auch glauben sollen, das mit
dem Spuk«. Was war das alles? Wo kam das her? Und er fühlte seinen
leisen Argwohn sich wieder regen und fester einnisten. Aber er hatte
lange genug gelebt, um zu wissen, daß alle Zeichen trügen und daß wir
in unsrer Eifersucht, trotz ihrer hundert Augen, oft noch mehr in die
Irre gehen als in der Blindheit unseres Vertrauens. Es konnte ja so
sein, wie sie sagte.
Und wenn es so war, warum sollte sie nicht ausrufen: »Gott sei Dank!«
Und so, rasch alle Möglichkeiten ins Auge fassend, wurde er seines
Argwohns wieder Herr und reichte ihr die Hand über en Tisch hin:
»Verzeih mir, Effi, aber ich war so sehr überrascht von dem allen.
Freilich wohl meine Schuld. Ich bin immer zu sehr mit mir beschäftigt
gewesen. Wir Männer sind alle Egoisten. Aber das soll nun anders
werden. Ein Gutes hat Berlin gewiß: Spukhäuser gibt es da nicht. Wo
sollen die auch herkommen? Und nun laß uns hinübergehen, daß ich Annie
sehe; Roswitha verklagt mich sonst als einen unzärtlichen Vater.«
Effi war unter diesen Worten allmählich ruhiger geworden, und das
Gefühl, aus einer selbstgeschaffenen Gefahr sich glücklich befreit zu
haben, gab ihr die Spannkraft und gute Haltung wieder zurück.
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