Die Leute von Seldwyla — Band 1 - 20

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ein Pferd besehen und ein Stück Sammet gekauft, mit Laufen und Rennen
eine gute Armbrust bestellt, und der Büchsenschmied kommt nicht aus
dem Hause; da heißt es, ich muß meinen Wein einheimsen und meine
Fässer putzen, meine Bäume putzen lassen und mein Dach decken; ich muß
meine Frau ins Bad schicken, sie kränkelt und kostet mich viel Geld,
und muß mein Holz fahren lassen und mein Ausstehendes eintreiben; ich
habe ein Paar Windspiele gekauft und meine Bracken vertauscht, ich
habe einen schönen eichenen Ausziehtisch eingehandelt und meine große
Nußbaumlade drangegeben; ich habe meine Bohnenstangen geschnitten,
meinen Gärtner fortgejagt, mein Heu verkauft und meinen Salat gesät,
immer mein und mein vom Morgen bis zu Abend. Manche sagen sogar: ich
habe meine Wäsche die nächste Woche, ich muß meine Betten sonnen, ich
muß eine Magd dingen und einen neuen Metzger haben, denn den alten
will ich abschaffen; ich habe ein allerliebstes Waffeleisen erstanden,
durch Zufall, und habe mein silbernes Zimmetbüchschen verkauft, es war
mir so nichts nütze; alles das sind wohlverstanden die Sachen der
Frau, und so verbringt ein solcher Kerl die Zeit und stiehlt unserm
Herrgott den Tag ab, indem er alle diese Verrichtungen aufzählt, ohne
einen Streich zu tun. Wenn es hochkommt und ein solcher Patron sich
etwa ducken muß, so wird er vielleicht sagen: unsere Kühe und unsere
Schweine, aber--" Pineiß riß den Spiegel an der Schnur, daß er miau!
schrie, und rief: „Genug, du Plappermaul! Sag' jetzt unverzüglich: wo
ist sie, von der du weißt?" Denn die Aufzählung aller dieser
Herrlichkeiten und Verrichtungen, die mit einem Weibergute verbunden
sind, hatte dem dürren Hexenmeister den Mund nur noch wässeriger
gemacht. Spiegel sagte erstaunt: „Wollt Ihr denn wirklich das Ding
unternehmen, Herr Pineiß?"
„Versteht sich, will ich! Wer sonst als ich? Drum heraus damit: wo ist
diejenige?"
„Damit Ihr hingehen und sie freien könnt?"
„Ohne Zweifel!" „So wisset, die Sache geht nur durch meine Hand! mit
mir müßt Ihr sprechen, wenn Ihr Geld und Frau wollt!" sagte Spiegel
kaltblütig und gleichgültig und fuhr sich mit den beiden Pfoten eifrig
über die Ohren, nachdem er sie jedesmal ein bißchen naß gemacht.
Pineiß besann sich sorgfältig, stöhnte ein bißchen und sagte: „Ich
merke, du willst unsern Kontrakt aufheben und deinen Kopf salvieren!"
„Schiene Euch das so uneben und unnatürlich?"
„Du betrügst mich am Ende und belügst mich, wie ein Schelm!"
„Dies ist auch möglich!" sagte Spiegel.
„Ich sage dir: Betrüge mich nicht!" rief Pineiß gebieterisch.
„Gut, so betrüge ich Euch nicht!" sagte Spiegel.
„Wenn du's tust!"
„So tu' ich's."
„Quäle mich nicht, Spiegelchen!" sprach Pineiß beinahe weinerlich, und
Spiegel erwiderte jetzt ernsthaft: „Ihr seid ein wunderbarer Mensch,
Herr Pineiß! Da haltet Ihr mich an einer Schnur gefangen und zerrt
daran, daß mir der Atem vergeht! Ihr lasset das Schwert des Todes über
mir schweben seit länger als zwei Stunden, was sag' ich! seit einem
halben Jahre! und nun sprecht Ihr: Quäle mich nicht, Spiegelchen!
Wenn Ihr erlaubt, so sage ich Euch in Kürze: Es kann mir nur lieb
sein, jene Liebespflicht gegen die Tote doch noch zu erfüllen und für
das bewußte Frauenzimmer einen tauglichen Mann zu finden, und Ihr
scheint mir allerdings in aller Hinsicht zu genügen; es ist keine
Leichtigkeit, ein Weibstück wohl unterzubringen, so sehr dies auch
scheint, und ich sage noch einmal: ich bin froh, daß Ihr Euch hierzu
bereitfinden lasset! Aber umsonst ist der Tod! Eh' ich ein Wort weiter
spreche, einen Schritt tue, ja eh' ich nur den Mund noch einmal
aufmache, will ich erst meine Freiheit wieder haben und mein Leben
versichert! Daher nehmt diese Schnur weg und legt den Kontrakt hier
auf den Brunnen, hier auf diesen Stein, oder schneidet mir den Kopf
ab, eins von beiden!"
„Ei du Tollhäusler und Obenhinaus!" sagte Pineiß, „du Hitzkopf, so
streng wird es nicht gemeint sein? Das will ordentlich besprochen sein
und muß jedenfalls ein neuer Vertrag geschlossen werden!" Spiegel gab
keine Antwort mehr und saß unbeweglich da, ein, zwei und drei Minuten.
Da ward dem Meister bänglich, er zog seine Brieftasche hervor, klaubte
seufzend den Schein heraus, las ihn noch einmal durch und legte ihn
dann zögernd vor Spiegel hin. Kaum lag das Papier dort, so schnappte
es Spiegel auf und verschlang es; und obgleich er heftig daran zu
würgen hatte, so dünkte es ihn doch die beste und gedeihlichste Speise
zu sein, die er je genossen, und er hoffte, daß sie ihm noch auf lange
wohlbekommen und ihn rundlich und munter machen würde. Als er mit der
angenehmen Mahlzeit fertig war, begrüßte er den Hexenmeister höflich
und sagte: „Ihr werdet unfehlbar von mir hören, Herr Pineiß, und Weib
und Geld sollen Euch nicht entgehen. Dagegen macht Euch bereit, recht
verliebt zu sein, damit Ihr jene Bedingungen einer unverbrüchlichen
Hingebung an die Liebkosungen Eurer Frau, die schon sogut wie Euer
ist, ja beschwören und erfüllen könnt! Und hiermit bedanke ich mich
des vorläufigen für genossene Pflege und Beköstigung und beurlaube
mich."
Somit ging Spiegel seines Weges und freute sich über die Dummheit des
Hexenmeisters, welcher glaubte, sich selbst und alle Welt betrügen zu
können, indem er ja die gehoffte Braut nicht uneigennützig, aus bloßer
Liebe zur Schönheit ehelichen wollte, sondern den Umstand mit den
zehntausend Goldgulden vorher wußte. Indessen hatte er schon eine
Person im Auge, welche er dem törichten Hexenmeister aufzuhalsen
gedachte für seine gebratenen Krammetsvögel, Mäuse und Würstchen.
Dem Hause des Herrn Pineiß gegenüber war ein anderes Haus, dessen
vordere Seite auf das sauberste geweißt war und dessen Fenster immer
frisch gewaschen glänzten. Die bescheidenen Fenstervorhänge waren
immer schneeweiß und wie soeben geplättet, und ebenso weiß war der
Habit und das Kopf- und Halstuch einer alten Beghine, welche in dem
Hause wohnte, also daß ihr nonnenartiger Kopfputz, der ihre Brust
bekleidete, immer wie aus Schreibpapier gefaltet aussah, so daß man
gleich darauf hätte schreiben mögen; das hätte man wenigstens auf der
Brust bequem tun können, da sie so eben und so hart war wie ein Brett.
So scharf die weißen Kanten und Ecken ihrer Kleidung, so scharf war
auch die lange Nase und das Kinn der Beghine, ihre Zunge und der böse
Blick ihrer Augen; doch sprach sie nur wenig mit der Zunge und blickte
wenig mit den Augen, da sie die Verschwendung nicht liebte und alles
nur zur rechten Zeit und mit Bedacht verwendete. Alle Tage ging sie
dreimal in die Kirche, und wenn sie in ihrem frischen, weißen und
knitternden Zeuge und mit ihrer weißen spitzigen Nase über die Straße
ging, liefen die Kinder furchtsam davon, und selbst erwachsene Leute
traten gern hinter die Haustüre, wenn es noch Zeit war. Sie stand aber
wegen ihrer strengen Frömmigkeit und Eingezogenheit in großem Rufe und
besonders bei der Geistlichkeit in hohem Ansehen, aber selbst die
Pfaffen verkehrten lieber schriftlich mit ihr als mündlich, und wenn
sie beichtete, so schoß der Pfarrer jedesmal so schweißtriefend aus
dem Beichtstuhl heraus, als ob er aus einem Backofen käme. So lebte
die fromme Beghine, die keinen Spaß verstand, in tiefem Frieden und
blieb ungeschoren. Sie machte sich auch mit niemand zu schaffen und
ließ die Leute gehen, vorausgesetzt, daß sie ihr aus dem Wege gingen;
nur auf ihren Nachbar Pineiß schien sie einen besonderen Haß geworfen
zu haben; denn so oft er sich an seinem Fenster blicken ließ, warf sie
ihm einen bösen Blick hinüber und zog augenblicklich ihre weißen
Vorhänge vor, und Pineiß fürchtete sie wie das Feuer, und wagte nur
zuhinterst in seinem Hause, wenn alles gut verschlossen war, etwa
einen Witz über sie zu machen. So weiß und hell aber das Haus der
Beghine nach der Straße zu aussah, so schwarz und räucherig,
unheimlich und seltsam sah es von hinten aus, wo es jedoch fast gar
nicht gesehen werden konnte, als von den Vögeln des Himmels und den
Katzen auf den Dächern, weil es in eine dunkle Winkelei von
himmelhohen Brandmauern ohne Fenster hineingebaut war, wo nirgends ein
menschliches Gesicht sich sehen ließ. Unter dem Dache dort hingen alte
zerrissene Unterröcke, Körbe und Kräutersäcke, auf dem Dache wuchsen
ordentliche Eibenbäumchen und Dornsträucher, und ein großer rußiger
Schornstein ragte unheimlich in die Luft. Aus diesem Schornstein aber
fuhr in der dunklen Nacht nicht selten eine Hexe auf ihrem Besen in
die Höhe, jung und schön und splitternackt, wie Gott die Weiber
geschaffen und der Teufel sie gern sieht. Wenn sie aus dem Schornstein
fuhr, so schnupperte sie mit dem feinsten Näschen und mit lächelnden
Kirschenlippen in der frischen Nachtluft und fuhr in dem weißen
Scheine ihres Leibes dahin, indes ihr langes rabenschwarzes Haar wie
eine Nachtfahne hinter ihr herflatterte. In einem Loch am Schornstein
saß ein alter Eulenvogel, und zu diesem begab sich jetzt der befreite
Spiegel, eine fette Maus im Maule, die er unterwegs gefangen.
„Wünsch' guten Abend, liebe Frau Eule! Eifrig auf der Wacht?" sagte
er, und die Eule erwiderte: „Muß wohl! Wünsch' gleichfalls guten
Abend! Ihr habt Euch lange nicht sehen lassen, Herr Spiegel!"
„Hat seine Gründe gehabt, werde Euch das erzählen. Hier habe ich Euch
ein Mäuschen gebracht, schlecht und recht, wie es die Jahreszeit gibt,
wenn Ihr's nicht verschmähen wollt! Ist die Meisterin ausgeritten?"
„Noch nicht, sie will erst gegen Morgen auf ein Stündchen hinaus. Habt
Dank für die schöne Maus! Seid doch immer der höfliche Spiegel! Habe
hier einen schlechten Sperling zur Seite gelegt, der mir heut zu nahe
flog; wenn Euch beliebt, so kostet den Vogel! Und wie ist es Euch denn
ergangen?"
„Fast wunderlich," erwiderte Spiegel, „sie wollten mir an den Kragen.
Hört, wenn es Euch gefällig ist." Während sie nun vergnüglich ihr
Abendessen einnahmen, erzählte Spiegel der aufmerksamen Eule alles,
was ihn betroffen und wie er sich aus den Händen des Herrn Pineiß
befreit habe. Die Eule sagte: „Da wünsch' ich tausendmal Glück, nun
seid Ihr wieder ein gemachter Mann, und könnt gehen, wo Ihr wollt,
nachdem Ihr mancherlei erfahren!"
„Damit sind wir noch nicht zu Ende," sagte Spiegel, „der Mann muß
seine Frau und seine Goldgulden haben!"
„Seid Ihr von Sinnen, dem Schelm noch wohlzutun, der Euch das Fell
abziehen wollte?"
„Ei, er hat es doch rechtlich und vertragsmäßig tun können, und da ich
ihn in gleicher Münze wieder bedienen kann, warum sollt' ich es
unterlassen? Wer sagt denn, daß ich ihm wohltun will? Jene Erzählung
war eine reine Erfindung von mir, meine in Gott ruhende Meisterin war
eine simple Person, welche in ihrem Leben nie verliebt, noch von
Anbetern umringt war, und jener Schatz ist ein ungerechtes Gut, das
sie einst ererbt und in den Brunnen geworfen hat, damit sie kein
Unglück daran erlebe. ‚Verflucht sei, wer es da herausnimmt und
verbraucht,' sagte sie. Es macht sich also in Betreff des Wohltuns!"
„Dann ist die Sache freilich anders! Aber nun, wo wollt Ihr die
entsprechende Frau hernehmen?" „Hier aus diesem Schornstein! Deshalb
bin ich gekommen, um ein vernünftiges Wort mit Euch zu reden! Möchtet
Ihr denn nicht einmal wieder freiwerden aus den Banden dieser Hexe?
Sinnt nach, wie wir sie fangen und mit dem alten Bösewicht
verheiraten!"
„Spiegel, Ihr braucht Euch nur zu nähern, so weckt Ihr mir
ersprießliche Gedanken."
„Das wußt' ich wohl, daß Ihr klug seid! Ich habe das Meinige getan und
es ist besser, daß Ihr auch Euren Senf dazugebt und neue Kräfte
vorspannt, so kann es gewiß nicht fehlen!"
„Da alle Dinge so schön zusammentreffen, so brauche ich nicht lang zu
sinnen, mein Plan ist längst gemacht!" „Wie fangen wir sie?" „Mit
einem neuen Schnepfengarn aus guten starken Hanfschnüren; geflochten
muß es sein von einem zwanzigjährigen Jägerssohn, der noch kein Weib
angesehen hat, und es muß schon dreimal der Nachttau daraufgefallen
sein, ohne daß sich eine Schnepfe gefangen; der Grund aber hiervon muß
dreimal eine gute Handlung sein. Ein solches Netz ist stark genug, die
Hexe zu fangen."
„Nun bin ich neugierig, wo Ihr ein solches hernehmt," sagte Spiegel,
„denn ich weiß, daß Ihr keine vergeblichen Worte schwatzt!"
„Es ist auch schon gefunden, wie für uns gemacht; in einem Walde nicht
weit von hier sitzt ein zwanzigjähriger Jägerssohn, welcher noch kein
Weib angesehen hat; denn er ist blindgeboren. Deswegen ist er auch zu
nichts zu gebrauchen, als zum Garnflechten und hat vor einigen Tagen
ein neues, sehr schönes Schnepfengarn zustande gebracht. Aber als der
alte Jäger es zum ersten Male ausspannen wollte, kam ein Weib daher,
welches ihn zur Sünde verlocken wollte; es war aber so häßlich, daß
der alte Mann voll Schreckens davonlief und das Garn am Boden
liegenließ. Darum ist ein Tau darauf gefallen, ohne daß sich eine
Schnepfe fing, und war also eine gute Handlung daran schuld. Als er
des andern Tages hinging, um das Garn abermals auszuspannen, kam eben
ein Reiter daher, welcher einen schweren Mantelsack hinter sich hatte;
in diesem war ein Loch, aus welchem von Zeit zu Zeit ein Goldstück auf
die Erde fiel. Da ließ der Jäger das Garn abermals fallen und lief
eifrig hinter dem Reiter her und sammelte die Goldstücke in seinen
Hut, bis der Reiter sich umkehrte, es sah und voll Grimm seine Lanze
auf ihn richtete. Da bückte der Jäger sich erschrocken, reichte ihm
den Hut dar und sagte: ‚Erlaubt, gnädiger Herr, Ihr habt hier viel
Gold verloren, das ich Euch sorgfältig aufgelesen!' Dies war wiederum
eine gute Handlung, indem das ehrliche Finden eine der schwierigsten
und besten ist; er war aber so weit von dem Schnepfengarn entfernt,
daß er es die zweite Nacht im Walde liegenließ und den nähern Weg nach
Hause ging. Am dritten Tage endlich, nämlich gestern, als er eben
wieder auf dem Wege war, traf er eine hübsche Gevattersfrau an, die
dem Alten um den Bart zu gehen pflegte und der er schon manches
Häslein geschenkt hat. Darüber vergaß er die Schnepfen gänzlich und
sagte am Morgen: ‚Ich habe den armen Schnepflein das Leben geschenkt;
auch gegen Tiere muß man barmherzig sein!' Und um dieser drei guten
Handlungen willen fand er, daß er jetzt zu gut sei für diese Welt, und
ist heute Vormittag beizeiten in ein Kloster gegangen. So liegt das
Garn noch ungebraucht im Walde und ich darf es nur holen." „Holt es
geschwind!" sagte Spiegel, „es wird gut sein zu unserm Zweck!" „Ich
will es holen," sagte die Eule, „ steht nur solang Wache für mich in
diesem Loch, und wenn etwa die Meisterin den Schornstein hinaufrufen
sollte, ob die Luft rein sei? so antwortet, indem Ihr meine Stimme
nachahmt: ‚Nein, es stinkt noch nicht in der Fechtschul'!'" Spiegel
stellte sich in die Nische, und die Eule flog still über die Stadt weg
nach dem Wald. Bald kam sie mit dem Schnepfengarn zurück und fragte:
„Hat sie schon gerufen?" „Noch nicht!" sagte Spiegel.
Da spannten sie das Garn aus über den Schornstein und setzten sich
daneben still und klug: die Luft war dunkel, und es ging ein leichtes
Morgenwindchen, in welchem ein paar Sternbilder flackerten. „Ihr sollt
sehen," flüsterte die Eule, „wie geschickt die durch den Schornstein
heraufzusäuseln versteht, ohne sich die blanken Schultern schwarz zu
machen!" „Ich hab' sie noch nie so nah gesehen," erwiderte Spiegel
leise, „wenn sie uns nur nicht zu fassen kriegt!" Da rief die Hexe von
unten: „Ist die Luft rein?" Die Eule rief: „Ganz rein, es stinkt
herrlich in der Fechtschul'!" und alsobald kam die Hexe heraufgefahren
und wurde in dem Garne gefangen, welches die Katze und die Eule
eiligst zusammenzogen und verbanden. „Haltet fest!" sagte Spiegel, und
„Binde gut!" die Eule. Die Hexe zappelte und tobte mäuschenstill, wie
ein Fisch im Netz; aber es half ihr nichts und das Garn bewährte sich
auf das beste. Nur der Stiel ihres Besens ragte durch die Maschen.
Spiegel wollte ihn sachte herausziehen, erhielt aber einen solchen
Nasenstüber, daß er beinahe in Ohnmacht fiel und einsah, wie man auch
einer Löwin im Netz nicht zu nahe kommen dürfe. Endlich hielt die Hexe
still und sagte: „Was wollt ihr denn von mir, ihr wunderlichen Tiere?"
„Ihr sollt mich aus Eurem Dienste entlassen und meine Freiheit
zurückgeben!" sagte die Eule. „So viel Geschrei und wenig Wolle!"
sagte die Hexe, „du bist frei, mach' dies Garn auf!" „Noch nicht!"
sagte Spiegel, der immer noch seine Nase rieb, „Ihr müßt Euch
verpflichten, den Stadthexenmeister Pineiß, Euren Nachbar, zu heiraten
auf die Weise, wie wir euch sagen werden, und ihn nicht mehr zu
verlassen!" Da fing die Hexe wieder an zu zappeln und zu prusten wie
der Teufel, und die Eule sagte: „Sie will nicht dran!" Spiegel aber
sagte: „Wenn Ihr nicht ruhig seid, und alles tut, was wir wünschen, so
hängen wir das Garn samt seinem Inhalte da vorn an den Drachenkopf der
Dachtraufe, nach der Straße zu, daß man Euch morgen sieht und die Hexe
erkennt! Sagt also: Wollt Ihr lieber unter dem Vorsitze des Herrn
Pineiß gebraten werden, oder ihn braten, indem Ihr ihn heiratet?"
Da sagte die Hexe mit einem Seufzer: „So sprecht, wie meint Ihr die
Sache?" Und Spiegel setzte ihr alles zierlich auseinander, wie es
gemeint sei und was sie zu tun hätte. „Das ist allenfalls noch
auszuhalten, wenn es nicht anders sein kann!" sagte sie und ergab sich
unter den stärksten Formeln, die eine Hexe binden können. Da taten die
Tiere das Gefängnis auf und ließen sie heraus. Sie bestieg sogleich
den Besen, die Eule setzte sich hinter sie auf den Stiel und Spiegel
zuhinderst auf das Reisigbündel und hielt sich da fest, und so ritten
sie nach dem Brunnen, in welchen die Hexe hinabfuhr, um den Schatz
heraufzuholen.
Am Morgen erschien Spiegel bei Herrn Pineiß und meldete ihm, daß er
die bewußte Person angehen und freien könne; sie sei aber allbereits
so arm geworden, daß sie, gänzlich verlassen und verstoßen, vor dem
Tore unter einem Baum sitze und bitterlich weine. Sogleich kleidete
sich Herr Pineiß in sein abgeschabtes gelbes Sammetwämschen, das er
nur bei feierlichen Gelegenheiten trug, setzte die bessere Pudelmütze
auf und umgürtete sich mit seinem Degen; in die Hand nahm er einen
alten grünen Handschuh, ein Balsamfläschchen, worin einst Balsam
gewesen und das noch ein bißchen roch, und eine papierne Nelke, worauf
er mit Spiegel vor das Tor ging, um zu freien. Dort traf er ein
weinendes Frauenzimmer sitzend unter einem Weidenbaum, von so großer
Schönheit, wie er noch nie gesehen; aber ihr Gewand war so dürftig und
zerrissen, daß, sie mochte sich auch schamhaft gebärden wie sie
wollte, immer da oder dort der schneeweiße Leib ein bißchen
durchschimmerte. Pineiß riß die Augen auf und konnte vor heftigem
Entzücken kaum seine Bewerbung vorbringen. Da trocknete die Schöne
ihre Tränen, gab ihm mit süßem Lächeln die Hand, dankte ihm mit einer
himmlischen Glockenstimme für seine Großmut und schwur, ihm ewig treu
zu sein. Aber im selben Augenblicke erfüllte ihn eine solche
Eifersucht und Neideswut auf seine Braut, daß er beschloß, sie vor
keinem menschlichen Auge jemals sehen zu lassen. Er ließ sich bei
einem uralten Einsiedler mit ihr trauen und feierte das Hochzeitsmahl
in seinem Hause, ohne andere Gäste, als Spiegel und die Eule, welche
ersterer mitzubringen sich die Erlaubnis erbeten hatte. Die
zehntausend Goldgulden standen in einer Schüssel auf dem Tisch, und
Pineiß griff zuweilen hinein und wühlte in dem Golde; dann sah er
wieder die schöne Frau an, welche in einem meerblauen Sammetkleide
dasaß, das Haar mit einem goldenen Netze umflochten und mit Blumen
geschmückt, und den weißen Hals mit Perlen umgeben. Er wollte sie
fortwährend küssen, aber sie wußte verschämt und züchtig ihn
abzuhalten, mit einem verführerischen Lächeln, und schwur, daß sie
dieses vor Zeugen und vor Anbruch der Nacht nicht tun würde. Dies
machte ihn nur noch verliebter und glückseliger, und Spiegel würzte
das Mahl mit lieblichen Gesprächen, welche die schöne Frau mit den
angenehmsten, witzigsten und einschmeichelndsten Worten fortführte, so
daß der Hexenmeister nicht wußte, wie ihm geschah vor Zufriedenheit.
Als es aber dunkel geworden, beurlaubten sich die Eule und die Katze
und entfernten sich bescheiden; Herr Pineiß begleitete sie bis unter
die Haustüre mit einem Lichte und dankte dem Spiegel nochmals, indem
er ihn einen trefflichen und höflichen Mann nannte, und als er in die
Stube zurückkehrte, saß die alte weiße Beghine, seine Nachbarin, am
Tisch und sah ihn mit einem bösen Blick an. Entsetzt ließ Pineiß den
Leuchter fallen und lehnte sich zitternd an die Wand. Er hing die
Zunge heraus, und sein Gesicht war so fahl und spitzig geworden, wie
das der Beghine. Diese aber stand auf, näherte sich ihm und trieb ihn
vor sich her in die Hochzeitskammer, wo sie mit höllischen Künsten ihn
auf eine Folter spannte, wie noch kein Sterblicher erlebt. So war er
nun mit der Alten unauflöslich verehelicht, und in der Stadt hieß es,
als es ruchbar würde: Ei seht, wie stille Wasser tief sind! Wer hätte
gedacht, daß die fromme Beghine und der Herr Stadthexenmeister sich
noch verheiraten würden! Nun, es ist ein ehrbares und rechtliches
Paar, wenn auch nicht sehr liebenswürdig!
Herr Pineiß aber führte von nun an ein erbärmliches Leben; seine
Gattin hatte sich sogleich in den Besitz aller seiner Geheimnisse
gesetzt und beherrschte ihn vollständig. Es war ihm nicht die
geringste Freiheit und Erholung gestattet, er mußte hexen vom Morgen
bis zum Abend, was das Zeug halten wollte, und wenn Spiegel
vorüberging und es sah, sagte er freundlich: „Immer fleißig, fleißig,
Herr Pineiß?"
Seit dieser Zeit sagt man zu Seldwyla: Er hat der Katze den Schmer
abgekauft! besonders wenn einer eine böse und widerwärtige Frau
erhandelt hat.
* * * * *
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