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Die Leute von Seldwyla — Band 1 - 18

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  mit dem feuchten Pfötchen über die Nase, als ob gar nichts geschehen
  wäre.
  Allein dies gleichmäßige Leben nahm plötzlich ein trauriges Ende. Als
  das Kätzchen Spiegel eben in der Blüte seiner Jahre stand, starb die
  Herrin unversehens an Altersschwäche und ließ das schöne Kätzchen
  herrenlos und verwaist zurück. Es war das erste Unglück, welches ihm
  widerfuhr, und mit jenen Klagetönen, welche so schneidend den bangen
  Zweifel an der wirklichen und rechtmäßigen Ursache eines großen
  Schmerzes ausdrücken, begleitete es die Leiche bis auf die Straße und
  strich den ganzen übrigen Tag ratlos im Hause und rings um dasselbe
  her. Doch seine gute Natur, seine Vernunft und Philosophie geboten ihm
  bald, sich zu fassen, das Unabänderliche zu tragen und seine dankbare
  Anhänglichkeit an das Haus seiner toten Gebieterin dadurch zu
  beweisen, daß er ihren ladenden Erben seine Dienste anbot und sich
  bereitmachte, denselben mit Rat und Tat beizustehen, die Muse ferner
  im Zaume zu halten und überdies ihnen manche gute Mitteilung zu
  machen, welche die Törichten nicht verschmäht hätten, wenn sie eben
  nicht unvernünftige Menschen gewesen wären. Aber diese Leute ließen
  Spiegel gar nicht zu Wort kommen, sondern warfen ihm die Pantoffeln
  und das artige Fußschemelchen der Seligen an den Kopf, sooft er sich
  blicken ließ, zankten sich acht Tage lang untereinander, begannen
  endlich einen Prozeß und schlossen das Haus bis auf weiteres zu, so
  daß nun gar niemand darin wohnte.
  Da saß nun der arme Spiegel traurig und verlassen auf der steinernen
  Stufe vor der Haustüre und hatte niemand, der ihn hineinließ. Des
  Nachts begab er sich wohl auf Umwegen unter das Dach den Hauses, und
  im Anfang hielt er sich einen großen Teil den Tages dort verborgen und
  suchte seinen Kummer zu verschlafen; doch der Hunger trieb ihn bald an
  das Licht und nötigte ihn, an der warmen Sonne und unter den Leuten zu
  erscheinen, um bei der Hand zu sein und zu gewärtigen, wo sich etwa
  ein Maulvoll geringer Nahrung neigen möchte. Je seltener dies geschah,
  desto aufmerksamer wurde der gute Spiegel, und alle seine moralischen
  Eigenschaften gingen in dieser Aufmerksamkeit auf, so daß er sehr bald
  sich selber nicht mehr gleichsah. Er machte zahlreiche Ausflüge von
  seiner Haustüre aus und stahl sich scheu und flüchtig über die Straße,
  um manchmal mit einem schlechten, unappetitlichen Bissen, dergleichen
  er früher nie gesehen, manchmal mit gar nichts zurückzukehren. Er
  wurde von Tag zu Tag magerer und zerzauster, dabei gierig, kriechend
  und feig; all sein Mut, seine zierliche Katzenwürde, seine Vernunft
  und Philosophie waren dahin. Wenn die Buben aus der Schule kamen, so
  kroch er in einen verborgenen Winkel, sobald er sie kommen hörte, und
  guckte nur hervor, um aufzupassen, welcher von ihnen etwa eine
  Brotrinde wegwürfe, und merkte sich den Ort, wo sie hinfiel. Wenn der
  schlechteste Köter von weitem ankam, so sprang er hastig fort, während
  er früher gelassen der Gefahr ins Auge geschaut und böse Hunde oft
  tapfer gezüchtigt hatte. Nur wenn ein grober und einfältiger Mensch
  daherkam, dergleichen er sonst klüglich gemieden, blieb er sitzen,
  obgleich das arme Kätzchen mit dem Reste seiner Menschenkenntnis den
  Lümmel recht gut erkannte; allein die Not zwang Spiegelchen, sich zu
  täuschen und zu hoffen, daß der Schlimme ausnahmsweise einmal es
  freundlich streicheln und ihm einen Bissen darreichen werde. Und
  selbst wenn er statt dessen nun doch geschlagen oder in den Schwanz
  gekneift würde, so kratzte er nicht, sondern duckte sich lautlos zur
  Seite und sah dann noch verlangend nach der Hand, die es geschlagen
  und gekneift, und welche nach Wurst oder Hering roch.
  Als der edle und kluge Spiegel so heruntergekommen war, saß er eines
  Tages ganz mager und traurig auf seinem Stein und blinzelte in der
  Sonne. Da kam der Stadthexenmeister Pineiß des Weges, sah das Kätzchen
  und stand vor ihm still. Etwas Gutes hoffend, obgleich es den
  Unheimlichen wohl kannte, saß Spiegelchen demütig auf dem Stein und
  erwartete, was der Herr Pineiß etwa tun oder sagen würde. Als dieser
  aber begann und sagte: „Na, Katze! Soll ich dir deinen Schmer
  abkaufen?" da verlor es die Hoffnung, denn es glaubte, der
  Stadthexenmeister wolle es seiner Magerkeit wegen verhöhnen. Doch
  erwiderte er bescheiden und lächelnd, um es mit niemand zu verderben:
  „Ach, der Herr Pineiß belieben zu scherzen!" „Mitnichten!" rief
  Pineiß, „es ist mir voller Ernst! Ich brauche Katzenschmer vorzüglich
  zur Hexerei; aber er muß mir vertragsmäßig und freiwillig von den
  werten Herren Katzen abgetreten werden, sonst ist er unwirksam. Ich
  denke, wenn je ein wackeres Kätzlein in der Lage war, einen
  vorteilhaften Handel abzuschließen, so bist es du! Begib dich in
  meinen Dienst; ich füttere dich herrlich heraus, mache dich fett und
  kugelrund mit Würstchen und gebratenen Wachteln. Auf dem ungeheuer
  hohen alten Dache meines Hauses, welches nebenbei gesagt das
  köstlichste Dach von der Welt ist für eine Katze, voll interessanter
  Gegenden und Winkel, wächst auf den sonnigsten Höhen treffliches
  Spitzgras, grün wie Smaragd, schlank und fein in den Lüften
  schwankend, dich einladend, die zartesten Spitzen abzubeißen und zu
  genießen, wenn du dir an meinen Leckerbissen eine leichte
  Unverdaulichkeit zugezogen hast. So wirst du bei trefflicher
  Gesundheit bleiben und mir dereinst einen kräftigen brauchbaren Schmer
  liefern!"
  Spiegel hatte schon längst die Ohren gespitzt und mit wässerndem
  Mäulchen gelauscht; doch war seinem geschwächten Verstande die Sache
  noch nicht klar und er versetzte daher: „Das ist soweit nicht übel,
  Herr Pineiß! Wenn ich nur wüßte, wie ich alsdann, wenn ich doch, um
  Euch meinen Schmer abzutreten, mein Leben lassen muß, des verabredeten
  Preises habhaft werden und ihn genießen soll, da ich nicht mehr bin?"
  „Des Preises habhaft werden?" sagte der Hexenmeister verwundert, „den
  Preis genießest du ja eben in den reichlichen und üppigen Speisen,
  womit ich dich fettmache, das versteht sich von selber! Doch will ich
  dich zu dem Handel nicht zwingen!" Und er machte Miene, sich von
  dannen begeben zu wollen. Aber Spiegel sagte hastig und ängstlich:
  „Ihr müßt mir wenigstens eine mäßige Frist gewähren über die Zeit
  meiner höchsten erreichten Rundheit und Fettigkeit hinaus, daß ich
  nicht so jählings von hinnen gehen muß, wenn jener angenehme und ach!
  so traurige Zeitpunkt herangekommen und entdeckt ist!"
  „Es sei!" sagte Herr Pineiß mit anscheinender Gutmütigkeit, „bis zum
  nächsten Vollmond sollst du dich alsdann deines angenehmen Zustandes
  erfreuen dürfen, aber nicht länger! Denn in den abnehmenden Mond
  hinein darf es nicht gehen, weil dieser einen verminderten Einfluß auf
  mein wohlerworbenes Eigentum ausüben würde."
  Das Kätzchen beeilte sich zuzuschlagen und unterzeichnete einen
  Vertrag, welchen der Hexenmeister im Vorrat bei sich führte, mit
  seiner scharfen Handschrift, welche sein letztes Besitztum und Zeichen
  besserer Tage war.
  „Du kannst dich nun zum Mittagessen bei mir einfinden, Kater!" sagte
  der Hexer, „Punkt zwölf Uhr wird gegessen!" „Ich werde so frei sein,
  wenn Ihr's erlaubt!" sagte Spiegel und fand sich pünktlich um die
  Mittagsstunde bei Herrn Pineiß ein. Dort begann nun während einiger
  Monate ein höchst angenehmes Leben für das Kätzchen; denn es hatte auf
  der Welt weiter nichts zu tun, als die guten Dinge zu verzehren, die
  man ihm vorsetzte, dem Meister bei der Hexerei zuzuschauen, wenn es
  mochte, und auf dem Dache spazierenzugehen. Dies Dach glich einem
  ungeheuren schwarzen Nebelspalter oder Dreiröhrenhut, wie man die
  großen Hüte der schwäbischen Bauern nennt, und wie ein solcher Hut ein
  Gehirn voller Nücken und Finten überschattet, so bedeckte dies Dach
  ein großes, dunkles und winkliges Haus voll Hexenwerk und
  Tausendsgeschichten. Herr Pineiß war ein Kannalles, welcher hundert
  Ämtchen versah, Leute kurierte, Wanzen vertilgte, Zähne auszog und
  Geld auf Zinsen lieh; er war der Vormünder aller Waisen und Witwen,
  schnitt in seinen Mußestunden Federn, das Dutzend für einen Pfennig,
  und machte schöne schwarze Tinte; er handelte mit Ingwer und Pfeffer,
  mit Wagenschmiere und Rosoli, mit Häftlein und Schuhnägeln, er
  renovierte die Turmuhr und machte jährlich den Kalender mit der
  Witterung, den Bauernregeln, und dem Aderlaßmännchen; er verrichtete
  zehntausend rechtliche Dinge am hellen Tag um mäßigen Lohn, und einige
  unrechtliche nur in der Finsternis und aus Privatleidenschaft, oder
  hing auch den rechtlichen, ehe er sie aus seiner Hand entließ, schnell
  noch ein unrechtliches Schwänzchen an, so klein wie die Schwänzchen
  der jungen Frösche, gleichsam nur der Possierlichkeit wegen. Überdies
  machte er das Wetter in schwierigen Zeiten, überwachte mit seiner
  Kunst die Hexen, und wenn sie reif waren, ließ er sie verbrennen; für
  sich trieb er die Hexerei nur als wissenschaftlichen Versuch und zum
  Hausgebrauch, sowie er auch die Stadtgesetze, die er redigierte und
  ins reine schrieb, unter der Hand probierte und verdrehte, um ihre
  Dauerhaftigkeit zu ergründen. Da die Seldwyler stets einen solchen
  Bürger brauchten, der alle unlustigen kleinen und großen Dinge für sie
  tat, so war er zum Stadthexenmeister ernannt worden und bekleidete
  dies Amt schon seit vielen Jahren mit unermüdlicher Hingebung und
  Geschicklichkeit, früh und spät. Daher war sein Haus von unten bis
  oben vollgestopft mit allen erdenklichen Dingen, und Spiegel hatte
  viel Kurzweil, alles zu besehen und zu beriechen. Doch im Anfang
  gewann er keine Aufmerksamkeit für andere Dinge, als für das Essen. Er
  schlang gierig alles hinunter, was Pineiß ihm darreichte, und mochte
  kaum von einer Zeit zur andern warten. Dabei überlud er sich den Magen
  und mußte wirklich auf das Dach gehen, um dort von den grünen Gräsern
  abzubeißen und sich von allerhand Unwohlsein zu kurieren. Als der
  Meister diesen Heißhunger bemerkte, freute er sich und dachte, das
  Kätzchen würde solcherweise recht bald fett werden, und je besser er
  daran wende, desto klüger verfahre und spare er im ganzen. Er baute
  daher für Spiegel eine ordentliche Landschaft in seiner Stube, indem
  er ein Wäldchen von Tannenbäumchen aufstellte, kleine Hügel von
  Steinen und Moos errichtete und einen kleinen See anlegte. Auf die
  Bäumchen setzte er duftig gebratene Lerchen, Finken, Meisen und
  Sperlinge, je nach der Jahreszeit, so daß da Spiegel immer etwas
  herunterzuholen und zu knabbern vorfand. In die kleinen Berge
  versteckte er in künstlichen Mauslöchern herrliche Mäuse, welche er
  sorgfältig mit Weizenmehl gemästet, dann ausgeweidet, mit zarten
  Speckriemchen gespickt und gebraten hatte. Einige dieser Mäuse konnte
  Spiegel mit der Hand hervorholen, andere waren zur Erhöhung des
  Vergnügens tiefer verborgen, aber an einen Faden gebunden, an welchem
  Spiegel sie behutsam hervorziehen mußte, wenn er diese Lustbarkeit
  einer nachgeahmten Jagd genießen wollte. Das Becken des Sees aber
  füllte Pineiß alle Tage mit frischer Milch, damit Spiegel in der süßen
  seinen Durst lösche, und ließ gebratene Gründlinge darin schwimmen, da
  er wußte, daß Katzen zuweilen auch die Fischerei lieben. Aber da nun
  Spiegel ein so herrliches Leben führte, tun und lassen, essen und
  trinken konnte, was ihm beliebte und wann es ihm einfiel, so gedieh er
  allerdings zusehends an seinem Leibe; sein Pelz wurde wieder glatt und
  glänzend und sein Auge munter; aber zugleich nahm er, da sich seine
  Geisteskräfte in gleichem Maße wieder ansammelten, bessere Sitten an;
  die wilde Gier legte sich, und weil er jetzt eine traurige Erfahrung
  hinter sich hatte, so wurde er nun klüger als zuvor. Er mäßigte sich
  in seinen Gelüsten und fraß nicht mehr als ihm zuträglich war, indem
  er zugleich wieder vernünftigen und tiefsinnigen Betrachtungen
  nachhing und die Dinge weder durchschaute. So holte er eines Tages
  einen hübschen Krammetsvogel von den Ästen herunter, und als er
  denselben nachdenklich zerlegte, fand er dessen kleinen Magen ganz
  kugelrund angefüllt mit frischer unversehrter Speise. Grüne Kräutchen,
  artig zusammengerollt, schwarze und weiße Samenkörner und eine
  glänzendrote Beere waren da so niedlich und dicht ineinander
  gepfropft, als ob ein Mütterchen für ihren Sohn das Ränzchen zur Reise
  gepackt hätte. Als Spiegel den Vogel langsam verzehrt und das so
  vergnüglich gefüllte Mäglein an seine Klaue hing und philosophisch
  betrachtete, rührte ihn das Schicksal des armen Vogels, welcher nach
  so friedlich verbrachtem Geschäft so schnell sein Leben lassen gemußt,
  daß er nicht einmal die eingepackten Sachen verdauen konnte. „Was hat
  er nun davon gehabt, der arme Kerl," sagte Spiegel, „daß er sich so
  fleißig und eifrig genährt hat, daß dies kleine Säckchen aussieht, wie
  ein wohl vollbrachtes Tagewerk? Diese rote Beere ist es, die ihn aus
  dem freien Walde in die Schlinge des Vogelstellers gelockt hat. Aber
  er dachte doch seine Sache noch besser zu machen und sein Leben an
  solchen Beeren zu fristen, während ich, der ich soeben den
  unglücklichen Vogel gegessen, daran mich nur um einen Schritt näher
  zum Tode gegessen habe! Kann man einen elenderen und feigeren Vertrag
  abschließen, als sein Leben noch ein Weilen fristenzulassen, um es
  dann um diesen Preis doch zu verlieren? Wäre nicht ein freiwilliger
  und schneller Tod vorzuziehen gewesen für einen entschlossenen Kater?
  Aber ich habe keine Gedanken gehabt, und nun da ich wieder solche
  habe, sehe ich nichts vor mir, als das Schicksal dieses
  Krammetsvogels; wenn ich rund genug bin, so muß ich von hinnen, aus
  keinem andern Grunde, als weil ich rund bin. Ein schöner Grund für
  einen lebenslustigen und gedankenreichen Katzmann! Ach, könnte ich aus
  dieser Schlinge kommen!" Er vertiefte sich nun in vielfältige
  Grübeleien, wie das gelingen möchte; aber da die Zeit der Gefahr noch
  nicht da war, so wurde es ihm nicht klar und er fand keinen Ausweg;
  aber als ein kluger Mann ergab er sich bis dahin der Tugend der
  Selbstbeherrschung, welches immer die beste Vorschule und
  Zeitverwendung ist, bis sich etwas entscheiden soll. Er verschmähte
  das weiche Kissen, welches ihm Pineiß zurechtgelegt hatte, damit er
  fleißig darauf schlafen und fett werden sollte, und zog es vor, wieder
  auf schmalen Gesimsen und hohen gefährlichen Stellen zu liegen, wenn
  er ruhen wollte. Ebenso verschmähte er die gebratenen Vögel und die
  gespickten Mäuse und fing sich lieber auf den Dächern, da er nun
  wieder einen rechtmäßigen Jagdgrund hatte, mit List und Gewandtheit
  einen schlichten lebendigen Sperling, oder auf den Speichern eine
  flinke Maus, und solche Beute schmeckte ihm vortrefflicher, als das
  gebratene Wild in Pineißens künstlichem Gehege, während sie ihn nicht
  zu fett machte; auch die Bewegung und Tapferkeit, sowie der
  wiedererlangte Gebrauch der Tugend und Philosophie verhinderten ein zu
  schnelles Fettwerden, so daß Spiegel zwar gesund und glänzend aussah,
  aber zu Pineißens Verwunderung auf einer gewissen Stufe der
  Beleibtheit stehen blieb, welche lange nicht das erreichte, was der
  Hexenmeister mit seiner freundlichen Mästung bezweckte; denn dieser
  stellte sich darunter ein kugelrundes, schwerfälliges Tier vor,
  welches sich nicht vom Ruhekissen bewegte und aus eitel Schmer
  bestand. Aber hierin hatte sich seine Hexerei eben geirrt und er wußte
  bei aller Schlauheit nicht, daß wenn man einen Esel füttert, derselbe
  ein Esel bleibt, wenn man aber einen Fuchsen speiset, derselbe nichts
  anders wird als ein Fuchs; denn jede Kreatur wächst sich nach ihrer
  Weise aus. Als Herr Pineiß entdeckte, wie Spiegel immer auf demselben
  Punkte einer wohlgenährten, aber geschmeidigen und zügigen Schlankheit
  stehen blieb, ohne eine erkleckliche Fettigkeit anzusetzen, stellte er
  ihn eines Abends plötzlich zur Rede und sagte barsch: „Was ist das,
  Spiegel? Warum frissest du die guten Speisen nicht, die ich dir mit so
  viel Sorgfalt und Kunst präpariere und herstelle? Warum fängst du die
  gebratenen Vögel nicht auf den Bäumen, warum suchst du die leckeren
  Mäuschen nicht in den Berghöhlen? Warum fischest du nicht mehr in dem
  See? Warum pflegst du dich nicht? Warum schläfst du nicht auf dem
  Kissen? Warum strapazierst du dich und wirst mir nicht fett?" „Ei,
  Herr Pineiß!" sagte Spiegel, „weil es mir wohler ist auf diese Weise!
  Soll ich meine kurze Frist nicht auf die Art verbringen, die mir am
  angenehmsten ist!" „Wie!" rief Pineiß, „du sollst so leben, daß du
  dick und rund wirst und nicht dich abjagen! Ich merke aber wohl, wo du
  hinauswillst! Du denkst mich zu äffen und hinzuhalten, daß ich dich in
  Ewigkeit in diesem Mittelzustande herumlaufen lasse? Mitnichten soll
  dir das gelingen! Es ist deine Pflicht, zu essen und zu trinken und
  dich zu pflegen, auf daß du dick werdest und Schmer bekommst! Auf der
  Stelle entsage daher dieser hinterlistigen und kontraktwidrigen
  Mäßigkeit, oder ich werde ein Wörtlein mit dir sprechen!" Spiegel
  unterbrach sein behagliches Spinnen, das er angefangen, um seine
  Fassung zu behaupten, und sagte: „Ich weiß kein Sterbenswörtchen
  davon, daß in dem Kontrakt steht, ich solle der Mäßigkeit und einem
  gesunden Lebenswandel entsagen! Wenn der Herr Stadthexenmeister darauf
  gerechnet hat, daß ich ein fauler Schlemmer sei, so ist das nicht
  meine Schuld! Ihr tut tausend rechtliche Dinge des Tages, so lasset
  dieses auch noch hinzukommen und uns beide hübsch in der Ordnung
  bleiben; denn Ihr wißt ja wohl, daß Euch mein Schmer nur nützlich ist,
  wenn er auf rechtliche Weise erwachsen!" „Ei du Schwätzer!" rief
  Pineiß erbost, „willst du mich belehren? Zeig' her, wieweit bist du
  denn eigentlich gediehen, du Müßiggänger? Vielleicht kann man dich
  doch bald abtun!" Er griff dem Kätzchen an den Bauch; allein dieses
  fühlte sich dadurch unangenehm gekitzelt und hieb dem Hexenmeister
  einen scharfen Kratz über die Hand. Diesen betrachtete Pineiß
  aufmerksam, dann sprach er: „Stehen wir so miteinander, du Bestie?
  Wohlan, so erkläre ich dich hiermit feierlich, kraft des Vertrages,
  für fett genug! Ich begnüge mich mit dem Ergebnis und werde mich
  desselben zu versichern wissen! In fünf Tagen ist der Mond voll, und
  bis dahin magst du dich noch deines Lebens erfreuen, wie es
  geschrieben steht, und nicht eine Minute länger!" Damit kehrte er ihm
  den Rücken und überließ ihn seinen Gedanken.
  Diese waren jetzt sehr bedenklich und düster; so war denn die Stunde
  doch nahe, wo der gute Spiegel seine Haut lassen sollte? Und war mit
  aller Klugheit gar nichts mehr zu machen? Seufzend stieg er auf das
  hohe Dach, dessen Firste dunkel in den schönen Herbstabendhimmel
  emporragten. Da ging der Mond über der Stadt auf und warf seinen
  Schein auf die schwarzen bemoosten Hohlziegel des alten Daches, ein
  lieblicher Gesang tönte in Spiegels Ohren und eine schneeweiße Kätzin
  wandelte glänzend über einen benachbarten First weg. Sogleich vergaß
  Spiegel die Todesaussichten, in welchen er lebte, und erwiderte mit
  seinem schönsten Katerliede den Lobgesang der Schönen. Er eilte ihr
  entgegen und war bald im hitzigen Gefecht mit drei fremden Katern
  begriffen, die er mutig und wild in die Flucht schlug. Dann machte er
  der Dame feurig und ergeben den Hof und brachte Tag und Nacht bei ihr
  zu, ohne an den Pineiß zu denken oder im Hause sich sehenzulassen. Er
  sang wie eine Nachtigall die schönen Mondnächte hindurch, jagte hinter
  der weißen Geliebten her über die Dächer, durch die Gärten, und rollte
  mehr als einmal im heftigen Minnespiel oder im Kampfe mit den Rivalen
  über hohe Dächer hinunter und fiel auf die Straße; aber nur um sich
  aufzuraffen, das Fell zu schütteln und die wilde Jagd seiner
  Leidenschaften von neuem anzuheben. Stille und laute Stunden, süße
  Gefühle und sonniger Streit, anmutiges Zwiegespräch, witziger
  Gedankenaustausch, Ränke und Schwänke der Liebe und Eifersucht,
  Liebkosungen und Raufereien, die Gewalt des Glückes und die Leiden des
  Unsterns ließen den verliebten Spiegel nicht zu sich selbst kommen,
  und als die Scheibe des Mondes vollgeworden, war er von allen diesen
  Aufregungen und Leidenschaften so heruntergekommen, daß er
  jämmerlicher, magerer und zerzauster aussah, als je. Im selben
  Augenblicke rief ihm Pineiß aus einem Dachtürmchen: „Spiegelchen,
  Spiegelchen! Wo bist du? Komm doch ein bißchen nach Hause!"
  Da schied Spiegel von der weißen Freundin, welche zufrieden und kühl
  miauend ihrer Wege ging, und wandte sich stolz seinem Henker zu.
  Dieser stieg in die Küche hinunter, raschelte mit dem Kontrakt und
  sagte: „Komm, Spiegelchen, komm, Spiegelchen!" und Spiegel folgte ihm
  und setzte sich in der Hexenküche trotzig vor den Meister hin in all
  seiner Magerkeit und Zerzaustheit. Als Herr Pineiß erblickte, wie er
  so schmählich um seinen Gewinn gebracht war, sprang er wie besessen in
  die Höhe und schrie wütend: „Was seh' ich? Du Schelm, du gewissenloser
  Spitzbube! Was hast du mir getan?" Außer sich vor Zorn griff er nach
  einem Besen und wollte Spiegelein schlagen; aber dieser krümmte den
  schwarzen Rücken, ließ die Haare emporstarren, daß ein fahler Schein
  darüber knisterte, legte die Ohren zurück, prustete und funkelte den
  Alten so grimmig an, daß dieser voll Furcht und Entsetzen drei Schritt
  zurücksprang. Er begann zu fürchten, daß er einen Hexenmeister vor
  sich habe, welcher ihn foppe und mehr könne, als er selbst. Ungewiß
  und kleinlaut sagte er: „Ist der ehrsame Herr Spiegel vielleicht vom
  Handwerk? Sollte ein gelehrter Zaubermeister beliebt haben, sich in
  dero äußere Gestalt zu verkleiden, da er nach Gefallen über sein
  Leibliches gebieten und genau so beleibt werden kann, als es ihm
  angenehm dünkt, nicht zu wenig und nicht zu viel, oder unversehens so
  mager wird, wie ein Gerippe, um dem Tode zu entschlüpfen?"
  Spiegel beruhigte sich wieder und sprach ehrlich: „Nein, ich bin kein
  Zauberer! Es ist allein die süße Gewalt der Leidenschaft, welche mich
  so heruntergebracht und zu meinem Vergnügen Euer Fett dahingenommen
  hat. Wenn wir übrigens jetzt unser Geschäft von neuem beginnen wollen,
  so will ich tapfer dabei sein und dreinbeißen! Setzt mir nur eine
  recht schöne und große Bratwurst vor, denn ich bin ganz erschöpft und
  hungrig!" Da packte Pineiß den Spiegel wütend am Kragen, sperrte ihn
  in den Gänsestall, der immer leer war, und schrie: „Da sieh zu, ob dir
  deine süße Gewalt der Leidenschaft noch einmal heraushilft und ob sie
  stärker ist, als die Gewalt der Hexerei und meines rechtlichen
  Vertrages! Jetzt heißt's: Vogel friß und stirb!" Sogleich briet er
  eine lange Wurst, die so lecker duftete, daß er sich nicht enthalten
  konnte, selbst ein bißchen an beiden Zipfeln zu lecken, ehe er sie
  durch das Gitter steckte. Spiegel fraß sie von vorn bis hinten auf,
  und indem er sich behaglich den Schnurrbart putzte und den Pelz
  leckte, sagte er zu sich selber: „Meiner Seel! Es ist doch eine schöne
  Sache um die Liebe! Sie hat mich für diesmal wieder aus der Schlinge
  gezogen. Jetzt will ich mich ein wenig ausruhen und trachten, daß ich
  durch Beschaulichkeit und gute Nahrung wieder zu vernünftigen Gedanken
  komme! Alles hat seine Zeit! Heute ein bißchen Leidenschaft, morgen
  ein wenig Besonnenheit und Ruhe, ist jedes in seiner Weise gut. Dies
  Gefängnis ist gar nicht so übel und es läßt sich gewiß etwas
  Ersprießliches darin ausdenken!" Pineiß aber nahm sich nun zusammen
  und bereitete alle Tage mit aller seiner Kunst solche Leckerbissen und
  in solch reizender Abwechslung und Zuträglichkeit, daß der gefangene
  Spiegel denselben nicht widerstehen konnte; denn Pineißens Vorrat an
  freiwilligem und rechtmäßigem Katzenschmer nahm alle Tage mehr ab und
  drohte nächstens ganz auszugehen, und dann war der Hexer ohne dies
  Hauptmittel ein geschlagener Mann. Aber der gute Hexenmeister nährte
  mit dem Leibe Spiegels dessen Geist immer wieder mit, und es war
  durchaus nicht von dieser unbequemen Zutat loszukommen, weshalb auch
  seine Hexerei sich hier als lückenhaft erwies.
  Als Spiegel in seinem Käfig ihm endlich fett genug dünkte, säumte er
  nicht länger, sondern stellte vor den Augen des aufmerksamen Katers
  alle Geschirre zurecht und machte ein helles Feuer auf dem Herd, um
  den langersehnten Gewinn auszukochen. Dann wetzte er ein großes
  Messer, öffnete den Kerker, zog Spiegelchen hervor, nachdem er die
  Küchentüre wohlverschlossen, und sagte wohlgemut: „Komm, du
  Sapperlöter! Wir wollen dir den Kopf abschneiden vorderhand, und dann
  das Fell abziehen! Dieses wird eine warme Mütze für mich geben, woran
  ich Einfältiger noch gar nicht gedacht habe! Oder soll ich dir erst
  das Fell abziehen und dann den Kopf abschneiden?" „Nein, wenn es Euch
  gefällig ist," sagte Spiegel demütig, „lieber zuerst den Kopf
  abschneiden!" „Hast recht, du armer Kerl!" sagte Herr Pineiß, „wir
  wollen dich nicht unnütz quälen! Alles was recht ist!" „Dies ist ein
  wahres Wort!" sagte Spiegel mit einem erbärmlichen Seufzer und legte
  das Haupt ergebungsvoll auf die Seite, „o hätt' ich doch jederzeit
  getan, was recht ist, und nicht eine so wichtige Sache leichtsinnig
  unterlassen, so könnte ich jetzt mit besserem Gewissen sterben, denn
  ich sterbe gern; aber ein Unrecht erschwert mir den sonst so
  willkommenen Tod; denn was bietet mir das Leben? Nichts als Furcht,
  Sorge und Armut und zur Abwechslung einen Sturm verzehrender
  Leidenschaft, die noch schlimmer ist, als die stille zitternde
  Furcht!" „Ei, welches Unrecht, welche wichtige Sache?" fragte Pineiß
  neugierig. „Ach was hilft das Reden jetzt noch," seufzte Spiegel,
  „geschehen ist geschehen und jetzt ist Reue zu spät!" „Siehst du,
  Sappermenter, was für ein Sünder du bist?" sagte Pineiß, „und wiewohl
  du deinen Tod verdienst? Aber was tausend hast du denn angestellt?
  Hast du mir vielleicht etwas entwendet, entfremdet, verdorben? Hast du
  mir ein himmelschreiendes Unrecht getan, von dem ich noch gar nichts
  weiß, ahne, vermute, du Satan? Das sind mir schöne Geschichten! Gut,
  daß ich noch dahinterkomme! Auf der Stelle beichte mir, oder ich
  schinde und siede dich lebendig aus! Wirst du sprechen oder nicht?"
  „Ach nein!" sagte Spiegel, „wegen Euch habe ich mir nichts
  vorzuwerfen. Es betrifft die zehntausend Goldgülden meiner seligen
  Gebieterin--aber was hilft Reden!--Zwar--wenn ich bedenke und Euch
  ansehe, so möchte es vielleicht doch nicht ganz zu spät sein--wenn ich
  Euch betrachte, so sehe ich, daß Ihr ein noch ganz schöner und
  rüstiger Mann seid, in den besten Jahren--sagt doch, Herr Pineiß! Habt
  Ihr noch nie etwa den Wunsch verspürt, Euch zu verehelichen, ehrbar
  und vorteilhaft? Aber was schwatze ich! Wie wird ein so kluger und
  kunstreicher Mann auf dergleichen müßige Gedanken kommen! Wie wird ein
  so nützlich beschäftigter Meister an törichte Weiber denken! Zwar
  allerdings hat auch die Schlimmste noch irgendwas an sich, was etwa
  nützlich für einen Mann ist, das ist nicht abzuleugnen! Und wenn sie
  nur halbwegs was taugt, so ist eine gute Hausfrau etwa weiß am Leibe,
  sorgfältig im Sinne, zutulich von Sitten, treu von Herzen, sparsam im
  Verwalten, aber verschwenderisch in der Pflege ihres Mannes,
  kurzweilig in Worten und angenehm in ihren Taten, einschmeichelnd in
  ihren Handlungen! Sie küßt den Mann mit ihrem Munde und streichelt ihm
  den Bart, sie umschließt ihn mit ihren Armen und kraut ihm hinter den
  Ohren, wie er es wünscht, kurz, sie tut tausend Dinge, die nicht zu
  verwerfen sind. Sie hält sich ihm ganz nah zu oder in bescheidener
  Entfernung, je nach seiner Stimmung, und wenn er seinen Geschäften
  nachgeht, so stört sie ihn nicht, sondern verbreitet unterdessen sein
  Lob in und außer dem Hause; denn sie läßt nichts an ihn kommen und
  rühmt alles, was an ihm ist! Aber das Anmutigste ist die wunderbare
  Beschaffenheit ihres zarten leiblichen Daseins, welche die Natur so
  verschieden gemacht hat von unserm Wesen bei anscheinender
  Menschenähnlichkeit, daß es ein fortwährendes Meerwunder in einer
  glückhaften Ehe bewirkt und eigentlich die allerdurchtriebenste
  Hexerei in sich birgt! Doch was schwatze ich da wie ein Tor an der
  Schwelle des Todes! Wie wird ein weiser Mann auf dergleichen
  Eitelkeiten sein Augenmerk richten! Verzeiht, Herr Pineiß, und
  schneidet mir den Kopf ab!"
  Pineiß aber rief heftig: „So halt doch endlich inne, du Schwätzer! und
  sage mir: Wo ist eine solche und hat sie zehntausend Goldgülden?"
  „Zehntausend Goldgülden?" sagte Spiegel.
  „Nun ja," rief Pineiß ungeduldig, „sprachest du nicht eben erst
  davon?"
  „Nein," antwortete jener, „das ist eine andere Sache! Die liegen
  vergraben an einem Orte!"
  „Und was tun sie da, wem gehören sie?" schrie Pineiß.
  
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