Gertrud - 12

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ich mich ein, spielte die heiße werbende Musik meiner Oper, die ich
plötzlich wieder liebte und verstand, lag glühende Nächte verlangend
und dürstend und litt alle lächelnd überwundene Qual der Jugend und
unerfüllbaren Begehrens noch einmal und nicht minder schwer als damals,
da ich zuerst für sie gebrannt und ihr jenen einzigen, unvergessenen
Kuß gegeben hatte. Der loderte mir wieder auf den Lippen und sengte die
Ruhe und Entsagung von Jahren in Stunden zu Asche.
Nur in Gertruds Gegenwart sank die Flamme in sich zusammen. Selbst
wenn ich töricht und unedel genug gewesen wäre, meinem Verlangen zu
folgen und ohne Rücksicht auf ihren Mann, der mein Freund war, um ihr
Herz zu werben, ich hätte unter den Blicken dieser leidenden, zarten,
eigensinnig in ihren Schmerz verbissenen Frau mich schämen müssen, ihr
anders als mit Mitleid und vorsichtiger Schonung entgegen zu kommen.
Auch wurde sie, je mehr sie litt und vielleicht an Hoffnung verlor,
desto stolzer und unnahbarer. Sie trug ihre hohe Gestalt und den
feinen, dunkelblonden Kopf so steil und nobel wie nie und erlaubte
keinem von uns durch die leiseste Geberde ihr nahe zu treten und
tragen zu helfen.
Diese langen schweigsamen Wochen sind vielleicht die schwersten in
meinem Leben gewesen. Hier Gertrud, mir nahe und doch unerreichbar, und
kein Weg zu ihr, die allein bleiben wollte; dort Brigitte, von deren
Liebe zu mir ich wußte und mit der nach längerem Vermeiden langsam
wieder ein erträglicher Umgang sich anspann; und zwischen uns allen
meine alte Mutter, die uns leiden sah und alles ahnte und sich nichts
zu sagen getraute, da ich selber hartnäckig schwieg und es nicht über
mich vermochte, ein Wort von meinem Zustande zu sagen. Das schlimmste
war aber dieses tödliche Zusehenmüssen, die hilflose Überzeugung, daß
meine nächsten Freunde sich zugrunde richteten, ohne daß ich nur merken
lassen durfte, ich wisse darum.
Am schwersten schien Gertruds Vater zu leiden. Seit ich ihn vor Jahren
als einen klugen, strammen, stillheiteren alten Herrn hatte kennen
lernen, war er älter geworden, anders geworden, sprach leiser und
unruhiger, machte keine Scherze mehr und sah sorgenvoll und elend aus.
Ich ging eines Tages im November zu ihm, mehr um Neues zu hören und
selber Hoffnung zu schöpfen, als ihm tröstliche Gesellschaft zu leisten.
Er empfing mich in seiner Schreibstube, gab mir eine von seinen
kostbaren Zigarren und begann die Unterhaltung in einem höflich
leichten Ton, der ihm Mühe machte und den er bald fallen ließ. Mit
betrübtem Lächeln sah er mich an und sagte: »Sie wollen fragen, wie
es geht? Schlecht, lieber Herr, schlecht. Das Kind hat wohl mehr
getragen als wir wissen, sonst fände sie sich besser zurecht. Ich bin
entschieden für eine Scheidung, aber sie will nichts davon hören. Sie
liebt ihn, wenigstens sagt sie es, und hat doch Furcht vor ihm! Das ist
nicht gut. Sie ist krank, das Kind, sie macht die Augen zu, will nichts
mehr sehen und meint, es müsse schon besser werden, wenn man nur warte
und sie in Ruhe lasse. Das ist ja nervös, natürlich, aber sie scheint
doch tiefer krank zu sein. Denken Sie, sie fürchtet manchmal sogar,
ihr Mann möchte sie mißhandeln, wenn sie wieder zu ihm ginge! Und doch
meint sie ihn zu lieben.«
Er schien sie nicht zu verstehen und sah den Dingen hilflos zu. Mir war
ihr Leiden wohl begreiflich, als ein Kampf zwischen Liebe und Stolz.
Sie fürchtete nicht, von ihm geschlagen zu werden; sie fürchtete,
ihn nicht mehr achten zu können, und in ihrem ängstlichen Warten
hoffte sie wieder Kraft zu finden. Sie hatte ihn beherrscht und im
Bann gehalten, sich dabei aber so erschöpft, daß sie ihrer Kraft dazu
nicht mehr traute; das war ihre Krankheit. Nun sehnte sie sich nach
ihm und fürchtete doch ihn ganz zu verlieren, wenn ein neuer Versuch
des Zusammenlebens nicht gelänge. Ich sah nun deutlich, wie unnütz und
verblendet meine frechen Liebesphantasien gewesen waren; Gertrud liebte
ihren Mann und würde nie mit einem andern gehen.
Der alte Imthor vermied es, über Muoth zu sprechen, da er mich ihm
befreundet wußte. Aber er haßte ihn und konnte nicht begreifen, wie
er Gertrud habe betören können, er dachte an ihn wie an einen bösen
Zauberer, der Unschuldige einfängt und nimmer hergibt. Nun, die
Leidenschaft ist immer ein Rätsel und unerklärbar, und leider ist es
gewiß, daß das Leben seine schönsten Kinder nicht schont und daß häufig
die herrlichsten Menschen gerade das lieben müssen, was sie zugrunde
richtet.
In dieser Trübe traf mich ein kurzer Brief von Muoth wie eine Erlösung.
Er schrieb: »Lieber Kuhn! Deine Oper wird ja jetzt überall gespielt,
vielleicht besser als hier. Es wäre trotzdem hübsch, wenn Du wieder
einmal kämest, zum Beispiel nächste Woche, wo ich Deine Rolle zweimal
singe. Du weißt, meine Frau ist krank und ich bin allein hier. Du
würdest also ungeniert bei mir wohnen. Bring aber niemand mit! Herzlich
Dein Muoth.«
Er schrieb so selten Briefe und so gar nie unnötige, daß ich sofort
entschlossen war zu reisen. Er mußte mich nötig haben. Einen Augenblick
hatte ich den Gedanken, es Gertrud mitzuteilen. Vielleicht war das die
rechte Gelegenheit den Bann zu brechen, vielleicht würde sie mir einen
Brief oder ein gutes Wort für ihn mitgeben, vielleicht ihn herbitten,
vielleicht sogar selber mitkommen. Es war nur ein Einfall, und ich
führte ihn nicht aus. Ich besuchte nur ihren Vater vor der Abreise.
Es war ein schlechter, nasser und stürmischer Spätherbst, von München
aus sah man zuweilen für eine Stunde die nahen Berge im jungen Schnee
liegen, die Stadt war trüb und verregnet. Ich fuhr sogleich nach Muoths
Hause. Da war alles wie vor einem Jahre, derselbe Diener, dieselben
Räume, dieselbe Stellung der Möbel, nur sah alles unbewohnt und leer
aus, auch fehlten die Blumen, für welche Gertrud sonst gesorgt hatte.
Muoth war nicht da, der Diener führte mich in mein Zimmer und half
mir auspacken; ich kleidete mich um und ging, da der Hausherr noch
ausblieb, in das Musikzimmer hinab, wo ich hinter den Doppelfenstern
die Bäume brausen hörte und Zeit hatte, an Vergangenes zu denken. Je
länger ich saß und die Bilder anschaute und in Büchern herumblätterte,
desto trauriger ward mir ums Herz, als sei diesem Hause nicht mehr
zu helfen. Unwillig setzte ich mich an den Flügel, um die nutzlosen
Gedanken los zu werden, und ich spielte mein Hochzeitspräludium, als
könne ich damit das gewesene Gute zurückrufen.
Endlich hörte ich rasche, schwere Tritte nebenan und Heinrich Muoth kam
herein. Er bot mir die Hand und sah mich ermüdet an.
»Verzeih,« sagte er, »ich hatte im Theater zu tun. Du weißt ja, ich
singe heut abend. Wir wollen jetzt essen, nicht?«
Er ging voran und ich fand ihn verändert, er war zerstreut und
gleichgültig, sprach nur vom Theater und schien kein andres Gespräch
zu wünschen. Erst nach Tische, als wir schweigsam und beinahe verlegen
in den gelben Rohrsesseln einander gegenüber saßen, fing er unerwartet
an: »Das ist schön von dir, daß du gekommen bist! Ich will mich auch
heut abend extra anstrengen.«
»Danke,« sagte ich. »Du siehst nicht gut aus.«
»Meinst du? Nun, wir wollen schon vergnügt sein. Ich bin ja
Strohwitwer, weißt du.«
»Ja.«
Er blickte zur Seite.
»Du weißt nichts von Gertrud?«
»Nichts besonderes. Sie ist eben immer noch nervös und schläft nicht
gut --«
»Ja, lassen wir's! Sie ist ja bei euch in guten Händen.«
Er stand auf und ging durchs Zimmer. Es schien, als ob er noch etwas
sagen wolle, er sah mich prüfend und, wie es mir vorkam, mißtrauisch an.
Dann lachte er und ließ es ungesagt.
»Die Lotte ist auch wieder aufgetaucht,« begann er von neuem.
»Die Lotte?«
»Ja, die damals bei dir war und mich verklagt hat. Sie ist hier und
verheiratet, und es scheint, sie interessiert sich noch für mich. Sie
war da und hat einen richtigen Besuch gemacht.«
Er sah mich wieder listig an und lachte, als er mich erschrecken sah.
»Hast du sie empfangen?« fragte ich zögernd.
»Ah, du traust es mir zu! Nein, Werter, ich habe sie fortschicken
lassen. Aber verzeih, ich rede dummes Zeug. Ich bin so verdammt müde,
und abends muß ich singen. Wenn du erlaubst, lege ich mich drüben für
eine Stunde hin und schlafe.«
»Gut, Heinrich, ruh dich aus, ich fahre ein wenig in die Stadt. Willst
du mir einen Wagen kommen lassen?«
Ich mochte nicht wieder stumm in diesem Hause sitzen und dem Wind in
den Bäumen zuhören. Ich fuhr in die Stadt, ohne Ziel, und geriet in die
alte Pinakothek. Dort schaute ich eine halbe Stunde lang bei dem trüben
grauen Licht die alten Bilder an, dann wurde geschlossen und ich wußte
nichts Besseres, als in einem Café die Zeitungen zu lesen und durch die
hohen Scheiben auf die verregnete Straße zu schauen. Ich nahm mir vor,
um jeden Preis diese Kühle zu durchbrechen und aufrichtig mit Heinrich
zu reden.
Aber als ich zurückkehrte, fand ich ihn lächelnd und wohlgelaunt.
»Es hat nur am Schlaf gefehlt,« sagte er munter. »Jetzt bin ich wieder
ganz frisch. Du mußt mir etwas spielen, gelt? Das Präludium, wenn du so
gut sein willst.«
Erfreut und erstaunt, ihn so rasch verändert zu sehen, tat ich ihm den
Willen, und nach dem Spielen plauderte er wie früher, mit Ironie und
leiser Skepsis, ließ seine Laune farbig spielen und gewann mein Herz
wieder ganz. Die erste Zeit unserer Freundschaft fiel mir ein, und als
wir abends das Haus verließen, schaute ich mich unwillkürlich um und
fragte: »Du hast keine Hunde mehr?«
»Nein. -- Gertrud mochte sie nicht.«
Wir fuhren nun schweigend ins Theater. Ich begrüßte den Kapellmeister
und ließ mir einen Platz anweisen. Wieder hörte ich die wohlbekannte
Musik, doch war alles anders als das letztemal. Ich saß allein in
meiner Loge, Gertrud war fort, und der da unten spielte und sang,
war auch ein anderer. Er sang mit Leidenschaft und Gewalt, das
Publikum schien ihn in dieser Rolle zu lieben und ging von Anfang an
lebhaft mit. Mir aber schien sein Feuer übertrieben und seine Stimme
gesteigert, beinahe roh. In der ersten Pause ging ich hinab und suchte
ihn auf. Da saß er wieder in seiner Kammer und trank Champagner, und
bei den paar Worten, die wir wechselten, waren seine Augen unstet,
wie die eines Angetrunkenen. Ich suchte nachher, während Muoth sich
umkleidete, den Kapellmeister auf.
»Sagen Sie,« bat ich ihn, »ist Muoth krank? Mir scheint, er hat sich
mit Champagner aufrecht gehalten. Sie wissen, er ist mein Freund.«
Der Mann sah mich zweifelnd an.
»Ob er krank ist, weiß ich nicht. Aber daß er sich kaput macht, ist ja
klar. Er ist manchmal fast betrunken auf die Bühne gekommen, und wenn
er einmal nicht trinkt, spielt er schlecht und singt miserabel. Er hat
schon früher immer vor dem Auftreten ein Glas Sekt genommen, aber jetzt
tut er's nicht unter einer ganzen Flasche. Wenn Sie ihm raten wollen --
-- es wird aber wenig zu machen sein. Der Muoth macht sich mit Gewalt
kaput.«
Muoth holte mich ab und wir nahmen im nächsten Wirtshaus ein
Abendessen. Er war wieder, wie am Mittag, abgespannt und unzugänglich,
trank ohne Maß von dem dunklen Rotwein, da er sonst nicht schlafen
könne, und sah aus, als wolle er um jeden Preis vergessen, daß es auf
der Welt noch andere Dinge als seine Müdigkeit und sein Schlafbedürfnis
gäbe.
Unterwegs im Wagen erwachte er für einen Augenblick, lachte mich an und
rief: »Junge, wenn ich nimmer da bin, kannst du deine Oper einsalzen,
die Rolle kann außer mir niemand singen.«
Andern Tages stand er spät auf und war dann müde und erschlafft, mit
unsicheren Augen und grauem Gesicht. Nach seinem Frühstück nahm ich ihn
vor und redete in ihn ein.
»Du bringst dich um,« sagte ich betrübt und unmutig. »Du machst dich
mit Champagner frisch und mußt es nachher natürlich büßen. Ich kann mir
denken, warum du es tust, und ich würde nichts dagegen sagen, wenn du
nicht eine Frau hättest. Der bist du schuldig, daß du dich außen und
innen sauber und tapfer hältst.«
»So?« lächelte er schwach und scheinbar durch meinen Eifer belustigt.
»Und was ist denn sie mir schuldig? Hält sie sich denn tapfer?
Sie sitzt beim Papa und läßt mich allein. Warum soll ich mich
zusammennehmen, wenn sie es nicht tut? Die Leute wissen ja schon, daß
es nichts mehr zwischen uns ist, und du weißt es auch. Nebenher soll
ich auch noch singen und den Leuten den Hanswurst machen, das geht
nicht aus dem Leeren und aus dem Ekel heraus, den ich an allem habe, an
der Kunst am meisten.«
»Du mußt trotzdem anders anfangen, Muoth! Wenn du noch glücklich dabei
wärst! Aber es geht dir ja miserabel. Wenn dir das Singen zu viel wird,
so nimm Urlaub, den kriegst du sofort; du hast ja auch das Geld, um
das du singst, gar nicht nötig. Geh in die Berge, oder ans Meer, oder
irgendwohin, und werde wieder gesund! Und laß doch das dumme Trinken!
Es ist nicht bloß dumm, es ist feig, das weißt du wohl.«
Er lächelte nur. »Gut,« sagte er kühl. »So geh doch du einmal und tanz
einen Walzer! Es würde dir gut tun, glaub mir! Denk doch nicht immer an
dein dummes Bein, das ist nur Einbildung!«
»Laß doch,« rief ich ungehalten. »Du weißt genau, daß das etwas anderes
ist. Ich würde sehr gern tanzen, wenn ich könnte, aber ich kann nicht.
Du aber könntest recht gut dich zusammennehmen und gescheiter sein. Das
Trinken mußt Du unbedingt lassen!«
»Unbedingt! Lieber Kuhn, ich möchte fast lachen. Ich kann so wenig
anders werden und das Trinken lassen als du tanzen kannst. Ich muß
bei dem bleiben, was mich noch notdürftig bei Leben und Laune erhält,
verstehst du? Trinker pflegen bekehrt zu werden, wenn sie bei der
Heilsarmee oder irgendwo etwas finden, was sie noch besser und
dauernder befriedigt. Es hat für mich so etwas gegeben, das sind die
Frauen gewesen. Mit andern Frauen kann ich mich nimmer einlassen, seit
die meine mein war und mich verlassen hat, also -- --«
»Sie hat dich nicht verlassen! Sie kommt wieder. Sie ist nur krank.«
»Das meinst du, und das meint sie selber, ich weiß. Aber sie kommt
nicht zurück. Wenn ein Schiff versinken soll, pflegen vorher die Ratten
es zu verlassen. Sie wissen wahrscheinlich auch nicht, daß das Schiff
kaput geht. Sie fühlen sich nur von einem unangenehmen Schauder berührt
und laufen fort, gewiß mit der guten Absicht, bald wiederzukommen.«
»Ach rede nicht so! Du bist schon oft am Leben verzweifelt und es ist
doch wieder gegangen.«
»Richtig. Es ist gegangen, weil ich einen Trost oder eine Betäubung
fand. Einmal war es eine Frau, einmal ein lieber Freund -- ja, du
hast mir den Dienst auch schon getan! -- ein andermal die Musik oder
das Klatschen im Theater. Nun, und jetzt freuen eben diese Sachen mich
nimmer, und darum trinke ich. Ich könnte nicht singen ohne ein paar
Gläser vorher, aber ich kann auch nicht denken und reden und leben
und mich erträglich fühlen -- ohne ein paar Gläser vorher. Und jetzt
kurz -- das Predigen mußt du lassen, so gut es dir steht. Es war schon
einmal so, vor zwölf Jahren ungefähr. Da hat mir auch einer gepredigt
und nicht nachgelassen, es war wegen eines Mädels, und zufällig war's
mein bester Freund -- --«
»Und dann?«
»Dann hat er mich genötigt, ihn hinauszuwerfen, und dann hatte ich
lange keinen Freund mehr, eigentlich bis du dann kamst.«
»Das ist deutlich.«
»Gelt?« sagte er milde. »Du hast nun die Wahl. Aber ich will dir sagen,
es wäre nicht schön, wenn du mir jetzt auch drausliefest. Ich habe dich
gern, du, und ich habe mir ausgedacht, daß du auch eine Freude haben
sollst.«
»So. Was denn?«
»Sieh, du hast ja meine Frau gern -- oder wenigstens gern gehabt, und
ich hab sie auch gern, sogar sehr. Nun wollen wir heut abend ein Fest
geben, nur für dich und mich, zu ihren Ehren. Nämlich, es ist ein Grund
dazu vorhanden. Ich habe sie malen lassen, sie mußte im Frühjahr immer
zu dem Maler hingehen, ich war oft dabei. Dann reiste sie fort, das
Bild war fast fertig. Der Maler wollte sie noch einmal sitzen haben,
aber jetzt habe ich das Warten satt bekommen und das Bild bestellt, wie
es halt ist. Das ist vor einer Woche gewesen, und jetzt ist ein Rahmen
drum und das Bild ist gestern ins Haus gekommen. Ich hätte dir's gleich
gezeigt, aber es ist besser, daß das festlich geschieht. Freilich, ohne
einigen Champagner wird es nicht gut gehen, wie soll ich sonst vergnügt
werden! Ist dir's recht?«
Ich fühlte hinter seinem Scherzen Rührung, ja Tränen verborgen und
stimmte munter ein, obwohl mir nicht so zumute war. Unser Fest zu Ehren
der Frau, die ihm so ganz verloren schien, wie sie es mir wirklich war,
wurde vorbereitet.
»Kannst du dich noch an ihre Blumen erinnern?« fragte er mich. »Ich
verstehe von Blumen nichts und weiß nicht, wie sie heißen. Sie hatte
immer solche weiß und gelbe, und auch rote. Weißt du nimmer?«
»Ja, einige weiß ich noch. Warum?«
»Du mußt sie kaufen. Laß einen Wagen kommen, ich muß ohnehin auch in
die Stadt. Wir wollen es so machen, wie wenn sie da wäre.«
So fiel ihm noch manches ein, woran ich sah, wie tief und unablässig
er an Gertrud gedacht hatte. Es tat mir wohl und weh, es zu merken.
Ihretwegen hielt er keine Hunde mehr und lebte einsam, der sonst nie
lang ohne Frauen hatte sein können. Er hatte ihr Bild bestellt, er
hieß mich ihre Blumen kaufen! Das war als nehme er eine Maske ab und
ich sähe hinter den harten selbstsüchtigen Zügen ein Kindergesicht
versteckt.
»Aber,« wandte ich noch ein, »wir sollten das Bild doch lieber jetzt
ansehen oder am Nachmittag. Bilder muß man doch bei Tageslicht sehen.«
»Ach was, du kannst es ja morgen noch lang genug anschauen. Es ist ja
hoffentlich eine gute Malerei, aber im Grund ist uns das doch ganz
einerlei, wir wollen doch bloß sie sehen.«
Nach Tische fuhren wir in die Stadt und kauften ein, vor allem die
Blumen, einen großen Strauß Chrysanthemen, einen Korb Rosen und ein
paar Büsche weißen Flieder. Dabei fiel es ihm ein, auch eine große
Sendung Blumen an Gertrud nach R. schicken zu lassen.
»Es ist doch etwas Schönes um Blumen,« sagte er nachdenklich. »Ich
begreife, daß Gertrud sie gern hat. Sie gefallen mir auch, nur kann ich
keine Sorgfalt für so etwas aufbringen. Wenn keine Frau danach sah, war
es bei mir immer unordentlich und nicht recht behaglich.«
Am Abend fand ich im Musikzimmer das neue Bild aufgestellt und mit
einem Seidentuche verhängt. Wir hatten festlich getafelt und Muoth
begehrte nun zuerst das Hochzeitspräludium zu hören. Nachdem ich es
gespielt hatte, enthüllte er das Bild, und wir standen eine Weile
schweigend davor. Gertrud war in einem hellen sommerlichen Kleide
gemalt, in ganzer Figur, und blickte uns aus den klaren Augen
vertraulich an, und es dauerte eine Zeit, ehe wir einander ansehen und
die Hände geben konnten. Muoth schenkte zwei Gläser voll Rheinwein,
nickte dem Bilde zu, und wir tranken auf sie, an die wir beide dachten.
Dann nahm er das Bild sorglich in die Arme und trug es hinaus.
Ich bat ihn, etwas zu singen, doch wollte er nicht.
»Weißt du noch,« sagte er lächelnd, »wie wir damals vor meiner Hochzeit
einen Abend beieinander saßen? Jetzt bin ich ja wieder Junggesell und
wir wollen noch einmal versuchen, mit den Gläsern zu läuten und ein
bißchen vergnügt zu sein. Dein Teiser sollte dabei sein, der versteht
sich auf die Fröhlichkeit besser als ich und du. Du mußt ihn schön
grüßen, wenn du wieder heimkommst. Er kann mich ja nicht leiden, aber
trotzdem -- --.«
Mit der vorsichtigen, gehaltenen Heiterkeit, mit der er immer seine
guten Stunden gekostet hatte, begann er zu plaudern und mich an
Vergangenes zu erinnern, und ich war erstaunt, wie alles, auch Kleines
und Zufälliges, was ich bei ihm längst vergessen glaubte, unverloren
in seiner Erinnerung lebte. Auch den allerersten Abend, den ich bei
ihm und Marion mit Kranzl und den andern zugebracht hatte, und unsern
damaligen Streit hatte er nicht vergessen. Nur von Gertrud sprach
er nicht; die Zeit, seit der sie zwischen uns getreten war, ließ er
unberührt, und mir war es lieb.
Ich freute mich über diese unerwartet schönen Stunden, ließ ihn auch
dem guten Wein reichlich zusprechen, ohne ihn zu mahnen. Ich wußte, wie
selten solche Stimmungen bei ihm waren, wie er sie selber hütete und
hegte, wenn sie einmal kamen, und sie kamen freilich nie ohne Wein. Ich
wußte auch, daß das nicht lange dauern konnte, daß er morgen wieder
verdrossen und unzugänglich sein werde; dennoch kam auch in mir eine
herzliche Wärme und beinahe fröhliche Stimmung auf, indessen ich seinen
gescheiten, nachdenklichen, wenn auch widerspruchsvollen Betrachtungen
zuhörte. Dabei warf er mir zuweilen einen seiner schönen Blicke zu,
die er nur in solchen Stunden hatte und die wie die Blicke eines eben
Erwachenden mitten aus einem Traum zu kommen schienen.
Einmal, als er schwieg und sann, begann ich ihm zu erzählen, was mein
Theosoph mir über die Krankheit des Einsamseins gesagt hatte.
»So?« sagte er gutmütig. »Und du hast es natürlich geglaubt? Du hättest
überhaupt Theolog werden sollen.«
»Warum? Es kann doch was daran sein.«
»Natürlich. Die gescheiten Herren weisen immer von Zeit zu Zeit nach,
daß alles nur Einbildung sei. Weißt du, ich habe früher oft solche
Bücher gelesen, und ich kann dir sagen, es ist nichts damit, absolut
nichts. Alles, was diese Philosophen schreiben, ist nur eine Spielerei,
vielleicht trösten sie sich selber damit. Der eine erfindet den
Individualismus, weil er seine Zeitgenossen nicht leiden mag, und der
andere den Sozialismus, weil er es allein nicht aushält. Es kann ja
sein, daß unser Einsamkeitsgefühl eine Krankheit ist. Nur wird damit
nichts anders. Das Nachtwandeln ist auch eine Krankheit, deswegen
steht so ein Kerl doch tatsächlich in der Dachrinne, und wenn man ihn
anschreit, bricht er das Genick.«
»Nun, das ist doch etwas anderes.«
»Meinetwegen, ich will nicht recht haben. Ich meine nur, mit der
Weisheit kommt man zu nichts. Es gibt nur zwei Weisheiten, alles
zwischen drin ist Geschwätz.«
»Was für zwei Weisheiten meinst du?«
»Nun, entweder ist die Welt schlecht und lumpig, wie es die Buddhisten
und Christen sagen. Dann muß man sich kasteien, auf alles verzichten,
und ich glaube, man kann dabei ganz zufrieden werden. Asketen haben
kein so schweres Leben, wie man meint. Oder aber ist die Welt und das
Leben gut und recht, dann kann man nur eben mitmachen und nachher
ruhig sterben, weil es dann fertig ist..«
»Und an was glaubst du selber?«
»Das muß man niemand fragen. Die meisten Leute glauben beides, je
nachdem das Wetter ist und sie gesund sind und Geld im Sack haben oder
nicht. Und die, die wirklich glauben, leben nicht danach. So ist es bei
mir auch. Ich glaube nämlich wie Buddha, daß das Leben nichts wert ist.
Aber ich lebe doch, wie es meinen Sinnen wohl tut und wie wenn die die
Hauptsache wären. Wenn es nur vergnüglicher wäre!«
Es war noch nicht spät, als wir ein Ende machten. Als wir durch das
Nebenzimmer gingen, wo nur eine einsame elektrische Lampe glühte,
hielt Muoth mich am Arm zurück, entzündete alle Lichter und nahm den
Vorhang von Gertruds Bild, das da lehnte. Wir blickten noch einmal
in das liebe, klare Gesicht, dann deckte er das Tuch darüber und
löschte. Er begleitete mich in mein Zimmer und legte mir noch ein paar
Zeitschriften auf den Tisch, falls ich lesen wolle. Dann gab er mir die
Hand und sagte leise: »Gute Nacht, Lieber!«
Ich ging zu Bett und lag noch eine halbe Stunde wach, in Gedanken an
ihn. Es hatte mich gerührt und beschämt zu hören, wie treulich er
sich aller kleinen Erlebnisse unserer Freundschaft erinnerte. Er, dem
es schwer fiel Freundschaft zu zeigen, hing an denen, die er liebte,
inniger als ich gedacht hatte.
Danach schlief ich ein und träumte durcheinander von Muoth, von meiner
Oper und vom Herrn Lohe. Als ich erwachte, war es noch Nacht. Ich war
an einem Schrecken erwacht, der nichts mit meinen Träumen zu tun hatte,
sah mattgrau das bleiche Viereck des Fensters dämmern und fühlte eine
quälende Beklemmung, richtete mich im Bette auf und versuchte vollends
wach und klar zu werden.
Da geschahen rasche, kräftige Schläge an meine Tür, ich sprang auf und
öffnete, es war kalt und ich hatte noch kein Licht gemacht. Draußen
stand der Diener, nur notdürftig angekleidet, und starrte mich aus
erschreckten, dummen Augen ängstlich an.
»Kommen Sie!« flüsterte er keuchend. »Kommen Sie! Es ist ein Unglück
geschehen.«
Ich zog nur einen Schlafrock an, der eben da hing, und folgte dem
jungen Manne die Treppe hinab. Er öffnete eine Türe, trat zurück
und ließ mich eintreten. Da stand auf einem kleinen Rohrtische
ein Leuchter, in dem drei dicke Kerzen brannten, und daneben ein
zerwühltes Bett, und darin sah ich, auf dem Gesichte liegend, meinen
Freund Muoth.
»Wir müssen ihn umdrehen,« sagte ich leise.
Der Diener traute sich nicht recht heran.
»Der Arzt muß gleich kommen,« sagte er stotternd.
Aber ich zwang ihn anzufassen und wir wendeten den Liegenden um, und
ich sah meinem Freunde in das Gesicht, das war weiß und verzogen, und
sein Hemd war voll Blut, und als wir ihn legten und wieder zudeckten,
zuckte sein Mund ganz leicht, und die Augen hatten keinen Blick mehr.
Der Diener fing jetzt eifrig an zu erzählen, aber ich wollte
nichts wissen. Als der Arzt kam, war Muoth schon tot. In der Frühe
telegraphierte ich an Imthor, dann kehrte ich in das stille Haus
zurück, saß am Bett des Toten, hörte den Wind draußen in den Bäumen
gehen und wußte erst jetzt genau, wie lieb ich diesen armen Menschen
gehabt hatte. Bedauern konnte ich ihn nicht, sein Sterben war leichter
gewesen als sein Leben.
Am Abend stand ich am Bahnhof und sah den alten Imthor aus dem Zuge
steigen, und hinter ihm eine hohe, schwarz gekleidete Frau, und führte
sie hinaus zu dem Toten, der nun angekleidet und aufgebahrt lag,
zwischen den Blumen von gestern. Da bückte sich Gertrud und küßte ihn
auf den blassen Mund.
Als wir an seinem Grabe standen, sah ich eine hübsche, große Frau mit
verweintem Gesicht, die Rosen in den Händen hatte und allein stand,
und als ich neugierig hinschaute, war es Lotte. Sie nickte mir zu,
und ich lächelte. Gertrud aber hatte nicht geweint, sie schaute aus
einem bleichen schmalen Gesicht überwach und streng vor sich in den
leisen Regen, der im Wind versprühte, und hielt sich gerade wie ein
junger Baum, als stünde sie auf unerschütterten Wurzeln. Es war aber
nur Notwehr, und zwei Tage später, als sie zu Hause Muoths Blumen
auspackte, die unterdessen angekommen waren, brach sie zusammen und
blieb eine lange Zeit für uns alle unsichtbar.


Auch in mir kam die Betrübnis erst spät zu ihrem Recht. Und wie es
immer geht, es fielen mir unzählige Gelegenheiten ein, bei denen ich
meinem toten Freunde Unrecht getan hatte. Nun, das Schlimmste hatte er
sich selber angetan, und nicht erst mit seinem Tode. Ich dachte viel
über diese Dinge nach und konnte nicht finden, daß in diesem Schicksal
etwas unklar und unbegreiflich wäre, doch war alles darin grausam und
höhnisch. Es war mit meinem eigenen Leben nicht anders, und mit dem
Leben Gertruds und Vieler. Das Schicksal war nicht gut, das Leben war
launisch und grausam, es gab in der Natur keine Güte und Vernunft.
Aber es gibt Güte und Vernunft in uns, in uns Menschen, mit denen der
Zufall spielt, und wir können stärker sein als die Natur und als das
Schicksal, sei es auch nur für Stunden. Und wir können einander nahe
sein, wenn es not tut, und einander in verstehende Augen sehen, und
können einander lieben und einander zum Trost leben.
Und manchmal, wenn die finstere Tiefe schweigt, können wir noch mehr.
Da können wir für Augenblicke Götter sein, befehlende Hände ausstrecken
und Dinge schaffen, die vordem nicht waren und die, wenn sie geschaffen
sind, ohne uns weiter leben. Wir können aus Tönen und aus Worten und
aus andern gebrechlichen wertlosen Dingen Spielwerke erbauen, Weisen
und Lieder voll Sinn und Trost und Güte, schöner und unvergänglicher
als die grellen Spiele des Zufalls und Schicksals. Wir können Gott im
Herzen tragen, und zu Zeiten, wenn wir seiner innig voll sind, kann
er aus unsern Augen und aus unsern Worten schauen und auch zu andern
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