Der Sinn und Wert des Lebens - 04

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Geschick, aber ein Geschick, das wir in Freiheit verwandeln und
zugleich zu einer inneren Erhöhung unseres Lebens wenden können.
Endlich sei auch das erwogen, daß, wenn ein letzter, allumfassender
Abschluß überall auf unüberwindlichen Widerspruch stieß, dieser
Widerspruch selbst auch ein positives Verlangen zu erkennen gab und
dem Streben damit eine gewisse Richtung wies. Die Religion scheint uns
nicht fest genug begründet, nicht weil die ganze Zeit von Zweifelsucht
befallen ist, sondern weil wir höhere Ansprüche an den Erweis ihrer
Wahrheit stellen, sie nach dem Stande des Geisteslebens notwendig
stellen müssen. Ihre Gestaltung erscheint uns als zu eng, nicht weil
uns der Sinn für charaktervolle Geschlossenheit verloren ging, sondern
weil unser Leben durch Erfahrung und Wandlung hindurch eine größere
Weite gewonnen hat, und die Religion ohne schwere eigene Schädigung
sich dieser Erweiterung nicht entziehen darf. Auch der weltliche
Idealismus scheint uns nur deshalb nicht sicher genug begründet und
nicht voll unser Wesen durchdringend, weil neue Erfahrungen neue
Forderungen in dieser Richtung zu stellen zwangen. Daß der Naturalismus
unsere Seele nicht befriedigt, und daß uns die Ziele der Menschenkultur
in ihren beiden Hauptformen als unzulänglich gelten, das bekundet ein
Verlangen nach einem Beisichselbstsein des Lebens und ein Hinausstreben
über alles selbstsatte Menschentum. So steht durchgängig hinter der
Verneinung eine Bejahung, es gilt nur die verschiedenen Bejahungen aus
der Unbestimmtheit und Verworrenheit herauszuarbeiten und zueinander
in Beziehung zu setzen. Gewisse Punkte sind damit festgelegt, gewisse
Aufgaben uns gewiesen. So zweifellos sich daher die Gegenwart als
höchst unfertig und voller Verwicklung darstellt, sie bringt an uns
große Ziele und ruft unsere Kraft zu höchster Anspannung auf.
Hüten wir uns also, von dieser Zeit wegen jener offenen Fragen gering
zu denken! Keine Zeit hat die Möglichkeiten des Lebens in solcher
Fülle ergriffen und mit solchem Eifer behandelt, keine die Probleme
in solchem Umfang aufgenommen und so sehr aus Selbsttätigkeit wie
aus eigener Erfahrung zu lösen versucht. Freilich sind die Probleme
einstweilen größer als unser Vermögen zur Lösung, aber dies Vermögen
ist nicht an eine starre Grenze gebunden; warum sollte es nicht so
gut wie auf den besonderen Gebieten auch bei diesen zentralen Fragen
einer Steigerung fähig sein und uns der Aufgabe mehr und mehr gewachsen
machen? Stellen wir uns also zur gegenwärtigen Lage aktiv, verlieren
wir nicht den Mut, und vertrauen wir darauf, daß in dem Streben über
sie hinaus nicht der Mensch zum gegebenen Lebensstande aus eigener
Klugheit etwas hinzuersinnt, sondern daß das Ganze des Lebens selbst
in einem Streben zu neuem Aufstieg begriffen ist, wir aber im Dienste
dieses Aufstiegs unserem eigenen Streben einen Gehalt, ja eine Größe zu
geben vermögen.
* * * * *
Für die Denkarbeit gilt es vor allem die Richtung des Weges zu
finden, der uns über die gegenwärtige Verwicklung hinausführen
kann; es handelt sich für sie zunächst darum, welches Ziel dem
Streben vorschweben muß, sodann darum, welche Wege zu diesem Ziele
offenstehen. Was das erste betrifft, so bedürfen wir zweifellos einer
Tatsächlichkeit allumfassender Art, näher einer Gesamttat, welche über
die geschilderten Gegensätze hinauszuheben und ein Auseinanderfallen
des Lebens zu verhüten vermag. Ohne das gibt es keine Einheit und auch
keine Festigkeit. Aber zugleich gilt es klarzumachen, wie mit der
überlegenen Einheit einer solchen Gesamttat die Verschiedenheit der
Lebensbahnen vereinbar ist, die wir vorhanden sahen. Es muß in der
Art, wie wir Menschen zu jener Gesamttat stehen, angelegt sein, daß
wir sie nur von verschiedenen Seiten her erfassen können, daß daher,
was als Einheit zugrunde liegen muß, zugleich ein hohes Ziel und
eine schwere Aufgabe bildet. Der Boden aber, von dem aus nach jener
Gesamttat zu streben ist, kann kein anderer sein als das Leben selbst,
nicht irgendwelches draußen befindliche Datum, das Leben im Ganzen
betrachtet, nicht in einzelnen Betätigungen, auch nicht als bloßes
Denken. Wenn irgendwie, so muß sich von jenem aus ein Weg zum Ziel
finden lassen. Denn das Leben ist das Erste und Ursprünglichste, das,
worauf alles zurückkommt, und innerhalb dessen alles vorgeht; das, was
niemand leugnen kann, da das Leugnen selbst einen Erweis des Lebens
bilden würde. Wenn also jene Gesamttat, von der wir einen Zusammenhang
des Lebens hoffen, überhaupt erreichbar ist, so muß sie nicht nur
vom Leben aus, sondern innerhalb des Lebens erreichbar sein. Sehen
wir also, ob eine Durchmusterung seiner in Wahrheit etwas derartiges
aufdeckt. Finden können wir jenes aber nur, wenn wir das Leben nicht
wie etwas Fremdes betrachten, das wie ein Naturprozeß nur an uns
vorgeht, sondern wenn wir uns in seine eigene Bewegung versetzen,
es als eigenes ergreifen, es selbst zu erleben suchen. Es gilt, den
Tatbestand, der hier in Frage steht, das Zusammengehen des Lebens in
eine umfassende und überlegene Gesamttat, in uns selbst zu erwecken und
bei uns zu entwickeln, nur eine Kräftigung und Vertiefung des eigenen
Lebens kann uns das Ganze naherücken. So muß das Streben selbst eine
Lebensbewegung in sich tragen; ohne den Mut und die Kraft zu geistiger
Selbsterhöhung und zur Bezwingung der Widerstände kommen wir hier nicht
weiter. Einem solchen Emporklimmen aber wird alles eine Bereitschaft
entgegenbringen, was in der Menschheit nicht greisenhaft, sondern
jugendlich fühlt; Jugend aber mißt sich bei diesen Dingen nicht nach
der Zahl der Jahre.


Versuch eines Aufbaus.


Die Eröffnung eines neuen Lebens.

Der Aufstieg zur Hauptthese.
Um eine neue Höhe zu erklimmen, gilt es zunächst den Ausgangspunkt
richtig zu wählen; es kann dieser aber für unser Werk kein anderer sein
als das Leben selbst, das Leben zunächst dem bloßen Umrisse nach mit
Vorbehalt aller näheren Bestimmung. Denn was immer uns an Tatsachen
oder an Tätigkeiten begegnet, das setzt das Leben voraus und liegt
innerhalb seines Bereiches; auch seine Beschaffenheit hängt wesentlich
an dem, was sich beim Ganzen des Lebens herausstellt. Wenn demnach von
diesem Ganzen zu beginnen ist, so wird die erste Frage dahin gehen,
ob es einfacher Art ist, oder ob es verschiedene Arten und Stufen
in sich trägt. Nun bildet den ersten Angriffspunkt zur Beantwortung
dieser Frage die Tatsache, daß das Gefüge der uns umgebenden Natur
sich mit seinen Kräften und Gesetzen weit auch in das seelische Gebiet
erstreckt; unverkennbar bilden wir auch innerlich weithin ein Stück
der Natur. Denn wie in der Natur so treffen auch in einer gewissen
Fläche des Seelenlebens lauter einzelne Elemente zusammen, bilden
kleinere oder größere Verkettungen und Zusammenhänge, die sich aller
bewußten Einwirkung entziehen; der gesamte Komplex aber ist in einer
Selbstbehauptung gegenüber der Umgebung begriffen, die unablässig auf
ihn eindringt, aller Antrieb kommt hier von draußen, und nach draußen
hin geht alles Streben; so wird das Leben ein Austausch von Wirkung und
Gegenwirkung, es ist, was es ist, nicht für sich, sondern nur zusammen
mit anderem und in der Beziehung auf anderes. Ein derartiges Geschehen
bildet ein großes Stück unseres menschlichen Lebens, ein weit größeres,
als unser Bewußtsein ihm zuzuerkennen pflegt. Aber zugleich ist
darauf zu bestehen, daß unser Leben sich nicht in diese Art erschöpft,
daß es mit kräftigen Bewegungen ihren Rahmen durchbricht, und daß
diese Bewegungen sich zum Ganzen einer neuen Art verbinden, die eine
Selbständigkeit gegenüber der bloßen Natur erweist. Sehen wir, wie sich
das näher ausnimmt.
Wie auf der Naturstufe alles Leben aus den gegenseitigen Berührungen
einzelner Punkte hervorgeht und zwischen diesen verläuft, so ist
es gebundener und damit sinnlicher Art, es trägt durch und durch
ein sinnliches Gepräge; diese sinnliche Art kann verblassen und
übersehen werden, nie aber kann sie völlig verschwinden; soweit das
Naturgeschehen reicht, kann sich nichts von ihr befreien und ihr
selbständig entgegentreten. Nun aber erscheint beim Menschen eine
derartige Befreiung, und zwar nicht nur in vereinzelten Zügen, sondern
in einer Gesamtentfaltung des Lebens, in der Entfaltung nämlich, die
vom Denken getragen wird. Denn in diesem erscheint eine Kraft der
Selbsttätigkeit und der Selbständigkeit, mit ihrer Hilfe vermag der
Mensch die Bindung an die Umgebung zu zerreißen, dieser gebieterisch
entgegenzutreten und seine Macht an ihr zu erweisen; ein auf Denken
gestelltes Leben bringt eigene Forderungen an die Dinge und zwingt sie,
sich ihnen zu fügen. Solche Selbständigkeit kann aber das Denken nicht
erweisen, ohne mit einer überlegenen Einheit die einzelnen Vorgänge zu
umspannen und sie miteinander zu verbinden, das aber nicht nach ihrer
sinnlichen Nähe, sondern nach einer sachlichen Zusammengehörigkeit,
die vom bloßsinnlichen Dasein aus völlig rätselhaft scheinen muß. Ein
Gesamtentwurf geht hier voran und wirkt im Fortschreiten vom Ganzen
zum Einzelnen zur Gliederung und Abstufung des gesamten Bereiches;
gegenüber der bloßen Anhäufung der sinnlichen Elemente erscheint ein
von Gedanken beherrschtes Ganzes, ein System, das jenes Ganze den
einzelnen Stellen gegenwärtig hält und sie dadurch erhöht. Hand in
Hand damit vollzieht das Denken eine Ablösung des Gegenstandes vom
menschlichen Befinden und die Zuerkennung einer eigenen Art und eines
eigenen Rechtes an ihn; das besagt eine durchgreifende Scheidung,
die Nebel des ersten Anblicks weichen, klar erhebt sich vor uns die
Welt. Aber die Scheidung bildet nicht den letzten Abschluß, der
Mensch hört nicht auf, kraft seines Denkens sich mit dem zeitweilig
ferngerückten Gegenstand zu befassen und ihn möglichst zu sich
zurückzuziehen; indem das gelingt, erfolgt eine innere Erweiterung des
Lebens, und es entsteht ein selbständiger Lebenskreis; diese Bewegung
treibt schließlich zum Gedanken eines bei sich selbst befindlichen
Zusammenhanges, einer allumfassenden Wirklichkeit. Eine solche wird
nicht von draußen dargeboten, sie kann nur von innen her entspringen.
Im Zusammenwirken alles dessen erwächst mehr und mehr gegenüber dem
sinnlichen Dasein eine vom Gedanken getragene, eine unsinnliche
Welt; die Menschengeschichte erweist durch ihren Gesamtverlauf
ein unablässiges Vordringen dieser gegen jenes, eine fortgehende
Verschiebung vom Sinnlichen ins Unsinnliche, damit aber eine Erhebung
des Menschen über die Stufe der bloßen Natur. Mehr und mehr verlegt
sich nämlich das Leben in Gedankengrößen und wird seine Bewegung
ein Kampf dieser Größen. Wie ein vordringendes Leben das Sinnliche
zu bloßen Mitteln und Werkzeugen seines Strebens macht, das zeigt
besonders greifbar die Sprache, nicht minder aber das Recht und die
Religion, auch das Weltbild der Wissenschaft hebt sich immer deutlicher
von dem des naiven Menschen ab und läßt uns damit in zwei Welten
leben. In allen diesen Stücken hat die Neuzeit einen tüchtigen Ruck
vorwärts gemacht, denn wo hat je das Leben so sehr wie hier seinen
Hauptantrieb und seine Hauptkraft aus der Bewegung von Ideen und
Prinzipien gezogen? So dürfen wir wohl von einer Umkehrung des Lebens
reden, die sich in der Gesamtgeschichte bei uns vollzieht; was ein
bloßer Anhang war, das macht sich als die Hauptsache geltend, und was
zunächst die ganze Welt bedeutete, das wird mehr und mehr zu einer
bloßen Umgebung.
Die Folgen solcher Wandlung erstrecken sich aber in alle Verzweigung
des seelischen Lebens hinein und ergeben durchgängig mehr
Selbständigkeit, mehr Wirken aus dem Ganzen, mehr Erhebung über die
bloße Zuständlichkeit durch Ausbildung eines Reiches der Gegenstände.
Aus solchem Selbständigwerden des Lebens baut das Erkennen ein Reich
der Begriffe gegenüber dem sinnlichen Eindruck auf, vermag aber auch
das Fühlen sich dem sinnlichen Reiz zu entwinden und Freude und Schmerz
aus unsinnlichen Größen zu schöpfen. Wie weit hat sich oft das, was
die Menschen als höchstes Gut erstrebten, vom sinnlichen Wohlsein
entfernt, wie oft geriet es mit diesem in schroffen Widerspruch! Ohne
die Kraft, diesen zu ertragen, hätte es schwerlich Helden und Märtyrer
gegeben. Das menschliche Wollen zeigt eine verwandte Bewegungsrichtung,
indem es sich dem dunklen Zwange des Naturtriebs zu entwinden, eine
eigene Entscheidung zu treffen, eine eigene Bahn zu verfolgen vermag.
Was dabei an inneren Kämpfen entsteht, das ist grundverschieden von
allem Zusammenstoß nach draußen hin. -- Solches Selbständigwerden des
Inneren wird begleitet von einer Erhebung aller Lebensbewegung über das
bloße Nebeneinander einzelner Punkte. So im System der Wissenschaft
mit seiner Bewegung vom Ganzen zum Einzelnen, seiner Durchgliederung
des ganzen Bereiches; so im Verlangen eines Gesamtstandes des
Wohlseins, der auf die Schätzung der Einzelerlebnisse zurückwirkt
und wohl gar Freude in Schmerz, Schmerz in Freude verwandeln kann;
so auch in der Unterordnung aller einzelnen Bestrebungen unter ein
beherrschendes Gesamtziel und ihre Bemessung nach der Leistung dafür.
In Wahrheit haben auf religiösem, politischem, sozialem Gebiet nur
solche Bewegungen die Hingebung und die Kraft des ganzen Menschen
gewonnen, welche ihm einen neuen Gesamtstand verhießen; daß alle
Verbesserungen im Einzelnen dagegen nicht aufkommen können, das
haben die Mittelparteien oft zu ihrem Schaden erfahren. -- Endlich
zeigt alle Verzweigung des Lebens eine Bewegung zur Scheidung und
Wiederverbindung, darin aber eine Überwindung der anfänglichen
Verworrenheit und eine Bildung eigener Lebenskreise; so tut es die
Wissenschaft mit ihrer Scheidung von Subjekt und Objekt und ihrem
Erstreben einer gegenständlichen Wahrheit; so konnte das Gefühl Liebe
und Mitleid von der Enge des bloßen Punktes befreien und sie die
innerste Seele großer Weltreligionen werden lassen, so konnte es in
anderer Richtung reine Freude aus dem Recht und dem Fortgang der Sache
schöpfen; das Streben nach dem höchsten Gut aber fand die Befriedigung
des bloßen Subjekts viel zu klein, es wollte ein Weiterkommen im
eigenen Bestande, es wollte nicht dem Menschen, wie er sich unmittelbar
darstellt, genügen, es wollte mehr aus dem Menschen machen, ihm
ein neues Selbst bereiten. In allen diesen Bewegungen erscheint
unverkennbar der Aufstieg eines neuen Lebens.
Denn wir brauchen nur, was im Einzelnen leicht als selbstverständlich
hingenommen wird, ins Ganze zu fassen, um eine durchgreifende Wendung
in ihm zu entdecken, die auch auf das Weltbild wirken muß. Wenn das
Denken nicht bloß eine vorgefundene Welt so oder so zurechtlegt,
sondern das Gefäß eines selbständigen Lebens wird, beginnt damit
nicht eine neue Ordnung? Eine Innerlichkeit entsteht, die mit aller
sinnlichen Gebundenheit bricht und sich auf sich selber stellt;
verkündet das nicht eine andere Welt? Und ist das geschilderte Leben
aus dem Ganzen, ist ferner das Sichselbersuchen des Lebens durch ein
Auseinandertreten und Wiederzusammengehen hindurch nicht ein Zeugnis
für einen von Grund aus neuen Aufbau?
Daß diese Bewegung wie aller bloßen Natur so auch aller menschlichen
Willkür weit überlegen ist, das erhellt besonders deutlich aus dem
Erscheinen neuer Lebensformen, das damit verbunden ist. Solche
Lebensformen erscheinen namentlich in der Arbeit und im geistigen
Schaffen. Beide wollen uns den Gegenstand näher bringen und durch
ihn gewinnen lassen, aber die Arbeit behandelt jenen als uns
gegenüberliegend, während das Schaffen ihn in das eigene Leben
hineinzieht und von hier aus zu entwickeln sucht; so bleibt das
Verhältnis dort ein äußeres, während es sich beim Schaffen ins Innere
zu wenden sucht. Bei der Arbeit ein Messen der menschlichen Kraft
mit der gegenständlichen Welt, eine intellektuelle, technische,
praktische Unterwerfung dieser, damit nicht nur eine unermeßliche
Erweiterung, sondern auch eine Befestigung des Lebens, der Gewinn eines
Weltbewußtseins. Aber bei aller Größe behält die Arbeit eine Schranke,
über die es hinaus zum Schaffen drängt. Denn wie jene die Sache nur
als ein Gegenüber behandelt, so vermag sie nicht sie innerlich an sich
zu ziehen, so setzt sie nicht sowohl das Ganze der Seele als einzelne
Kräfte in Bewegung und fördert mehr diese als jene; das der Stufe der
Arbeit angehörige Forschen führt noch nicht zu einem Gehalt der Dinge,
und alles praktische und soziale Wirken zur Hebung der menschlichen
Lage mag noch so sehr die Kräfte verketten, es verbindet damit
keineswegs schon die Seelen und schützt sie nicht durch eine gemeinsame
Innenwelt vor schmerzlicher Vereinsamung. Mag daher diese Stufe der
Arbeit den Hauptschauplatz unseres Wirkens bilden, sie bringt nicht
unser Streben zum Abschluß; es kann trotz aller Gefahr einer Irrung und
Verirrung nicht umhin, auch eine innere Überwindung des Gegensatzes
von Kraft und Gegenstand, von Mensch und Welt zu fordern; eine solche
aber kann nur einem Schaffen gelingen, das jenen Gegensatz von innen
her umspannt und aus einem überlegenen Wirken seine beiden Seiten
belebt und erhöht. Daß solche Forderung kein müßiger Einfall ist, das
zeigt die Tatsache der Kunst mit ihrer Überwindung des Gegensatzes von
Subjekt und Objekt im Schaffen und Schauen, das zeigt aber auch echte
Liebe mit der Bildung eines inneren Zusammenhanges, der aus seinen
Gliedern weit mehr macht, als sie in der Vereinzelung sind. Wie weit
das menschliche Leben diese Stufe zu erklimmen vermag, das ist eine
Frage für sich, aber schon das Verlangen danach bekundet den Aufstieg
zu einer neuen Höhe; nur in Erfüllung dieses Verlangens ist entstanden,
was in Religion, Philosophie und Kunst dem menschlichen Zusammensein
eine Seele gab und von bloßer Zivilisation eine Geisteskultur abhob.
Alle Aussicht auf diese Höhe versperren, das heißt auf ein tieferes
Verständnis des menschlichen Strebens verzichten; ja es wird sich wohl
zeigen, daß, was hier als die äußerste Höhe erscheint, schon von Anfang
an gewirkt haben muß, um eine Bewegung über die bloße Natur hinaus
überhaupt hervorzubringen; auch der Arbeit muß es schon als Antrieb und
Hoffnung gegenwärtig sein.
Wie haben wir diese Bewegung zu einem neuen Leben zu verstehen, wie
ihren Ursprung zu erklären? Ausgeschlossen ist durch alle bisherige
Betrachtung eine Ableitung von der bloßen Natur her; es kann das nur
unternehmen, wer über den natürlichen Bedingungen auch alles Höheren
den ihm eigentümlichen Gehalt vergißt, der doch schließlich die
Hauptsache bildet. Aber Bedingungen für schaffende Gründe auszugeben,
das ist ja leider ein Fehler, den die heutige Forschung oft begeht.
Scheidet für uns die Natur hier aus, so bleibt als Erzeuger des
neuen Lebens in unserem Erfahrungskreise nur der Mensch. Aber beim
Menschen, wie er leibt und lebt, ist das neue Leben viel zu matt und
schwach, um sich gegen die alte Art durchzusetzen; auch ist es hier
mit dieser viel zu sehr vermengt und an sie gebunden, um sich in ein
Ganzes zusammenzuschließen und sich zu reiner Gestalt auszuprägen.
Dazu würde das neue Leben als Erzeugnis des bloßen Menschen zugleich
ein Werk des einzelnen Menschen sein; die unbegrenzte Mannigfaltigkeit
der individuellen Sorgen und Geschicke würde es dann aber gänzlich
auseinanderfallen lassen, ohne daß sich die mindeste Möglichkeit böte,
solcher Auflösung entgegenzuwirken. So blieben wir im Widerspruch
stecken und müßten allen Antrieb zum Weiterstreben verlieren, wenn
nicht noch eine andere Möglichkeit und damit ein Ausweg bestünde. Diese
Möglichkeit aber kann keine andere sein als die, daß das neue Leben
nicht von uns Menschen erzeugt, sondern uns mitgeteilt wird, daß es in
uns erscheint und zwar als Eröffnung einer neuen Stufe, die wir nicht
von uns aus bereiten, die wir nur aufzunehmen und weiterzuführen
haben. Einen solchen übermenschlichen Ursprung verrät schon der weite
Abstand, ja schroffe Gegensatz der Grundformen des neuen Lebens, wie
sie uns namentlich Arbeit und Schaffen zeigten, und der Beschaffenheit
des menschlichen Daseins. Dieses bietet ein bloßes Nebeneinander und
Durcheinander; Arbeit und Schaffen verlangen einen inneren Zusammenhang
und ein gemeinsames Reich der Wahrheit, nur ein solches macht es
verständlich, daß sie jede Behauptung und Leistung als allgemeingültig
geben. Der natürliche Mensch ist in seinen Zustand eingeschlossen und
berührt den Gegenstand nur von außen; Arbeit und Schaffen überwinden
die Kluft und stellen einen Zusammenhang her, die Arbeit mehr von
außen, das Schaffen rein von innen. Der Mensch steht in der Zeit und
unterliegt einem ständigen Wechsel, sein Leben ist ein Dahingleiten
von Augenblick zu Augenblick; Arbeit und Schaffen fordern für ihre
Erzeugnisse eine Überlegenheit gegen die Zeit, ein Beharren gegenüber
allem Wechsel. Der natürliche Mensch mißt den Wert der Dinge nach der
Wirkung auf sein Befinden, Arbeit und Schaffen geben den Dingen selbst
einen Wert und lassen diesen Wert uns unmittelbar bewegen; so nur kann
sich ein Gutes und Schönes von dem Angenehmen und Nützlichen scheiden.
Kurz, wir gewahren bis in die Grundformen hinein im neuen Leben eine
Bewegung zu einer neuen Welt; eine derartige Bewegung kann nicht von
den bloßen Punkten, sie kann nur von einer Welt selbst aufgebracht
sein. Wir haben daher in dem neuen Leben eine neue Stufe des Weltlebens
anzuerkennen, worin es nicht mehr in die Beziehungen einzelner Elemente
sowie in die Selbsterhaltung von Punkten gegen Punkte aufgeht, sondern
wo es sich in ein Ganzes zusammenfaßt und in der Entfaltung dieses
Ganzen neue Ziele gewinnt. Damit vollzieht sich im Seelenleben eine
durchgreifende Veränderung. Auf der Naturstufe tierischen Lebens steht
alle seelische Leistung im Dienst der natürlichen Selbsterhaltung
des Einzelnen wie der Gattung; was immer jenes Leben an Klugheit und
Geschicklichkeit aufbringen mag, das setzt, soweit unsere Wahrnehmung
reicht, jener Selbsterhaltung gegenüber keine neuen Ziele; auch
sehen wir nicht, daß hier eine Selbsttätigkeit der Gebundenheit der
Triebe und Vorstellungsverkettungen entwüchse und sich neue Wege
bahnte. Ein derart in lauter einzelne Fäden zerlegtes und lediglich
im Nebeneinander verlaufendes Leben käme nie zu irgendwelchem
Beisichselbstsein, nie zu einer selbständigen Innerlichkeit, daher auch
nie zu etwas, was Gehalt heißen könnte; ist nun tatsächlich in der
Menschheit eine derartige Innerlichkeit mit einem Gehalt erschienen,
so muß die Außenwelt bei allem unermeßlichen Getriebe als eine völlige
Leere erscheinen, als ein ungeheurer Widerspruch; welche Fülle von
Kraft und Kampf, welche Mühe der Lebenserhaltung, und das alles in
fortwährender Selbstaufhebung begriffen, das Ergebnis des Ganzen ein
Nichts! Trotzdem müßten wir uns den Widerspruch als letzten Abschluß
gefallen lassen, erschiene nicht im menschlichen Leben, wenn auch
nicht seiner ganzen Ausdehnung nach, so doch mit unbestreitbarer
Tatsächlichkeit eine neue Art des Lebens, ein Leben aus dem Ganzen und
Innern, ein Leben, das ein Beisichselbstsein erreicht und einen Inhalt
zu entwickeln strebt. So haben wir in diesem Leben das Durchbrechen
einer neuen Stufe des Weltlebens anzuerkennen, wir überzeugen uns, daß
das All mehr ist als bloße Natur, daß sich in ihm eine Fortbewegung
vollzieht, indem die Wirklichkeit eine Tiefe entwickelt und in sie den
Menschen hineinzieht. Indem so das Innere selbständig wird, erlangt
der Begriff des Geistes und des Geistigen erst einen deutlichen Sinn;
nun bezeichnet er nicht bloß eine besondere Seite des Seelenlebens,
sondern die selbständig gewordene Innerlichkeit; der Hauptabschnitt der
Welt liegt dann nicht zwischen Äußerem und Innerem, zwischen Natur und
Seele, sondern zwischen gebundener und freier Innerlichkeit, zwischen
einer auch die niedere Stufe der Seele umfassenden Natur und der Stufe
des Geisteslebens.

Die Entwicklung der Hauptthese.
Unsere bisherige Untersuchung führte zu dem Ergebnis, daß, was an
Aufstieg des Lebens bei der Menschheit vorliegt, nicht eigenem
Vermögen des bloßen Menschen entstammen kann, sondern das Wirken eines
überlegenen Lebens erweist. Das aber verändert wesentlich den Anblick
und auch die Aufgabe unseres Lebens. Denn wenn so unser Leben nicht
einen in sich abgeschlossenen Kreis bedeutet, sondern sich als ein
Gesetztsein durch ein überlegenes Leben, als Wirkung einer Ursache
darstellt, so muß es zu einem zwingenden Antriebe werden, uns möglichst
in jene Ursache zu versetzen, damit zu klären, was bei uns vorgeht,
auch seine einzelnen Züge fester zusammenzuschließen, ferner die eigene
Kraft durch die Herstellung einer Verbindung mit den schaffenden
Gründen zu stärken. Es gilt zu den Quellen zurückzugehen, um der
Gebundenheit und Verworrenheit überlegen zu werden, die uns fesselt und
niederdrückt, es gilt von da aus in frischen Fluß zu versetzen, was
sonst träge und matt dahinschleicht. Mit der Ursache wird uns ein Ideal
vorgehalten, das zugleich zur erweckenden Kraft bei uns wird, das mehr
aus uns zu machen und unserem Leben mehr Sinn zu geben verspricht. Was
bei uns als bloßes Streben vorliegt, das muß in der Ursache Volltat
sein, damit es unser Streben erzeugen kann, als solche aber wird es
auch inhaltlich den bei uns erreichten Stand weit überschreiten.
Es erscheint im Bereich des Menschen ein Überschreiten des bloßen
Nebeneinander, ein starkes Verlangen nach inneren Zusammenhängen, ja
nach möglichster Gestaltung des Lebens von einer beherrschenden Einheit
her. Diese Bewegung aber schwebt in der Luft und muß an den harten
Widerständen des natürlichen Daseins scheitern, wenn nicht das Leben
von Grund aus ein Ganzes bildet, wenn nicht ein Gesamtleben, eine
Welteinheit geistiger Art besteht und wirkt; so wenig unser Vorstellen
diese Einheit zu fassen vermag, sie bleibt die Grundvoraussetzung der
Bildung einer neuen Lebensstufe gegenüber der der Natur, einer Welt
ist nur eine Welt, nicht der bloße Mensch gewachsen. Die Anerkennung
solcher Welteinheit muß aber dahin drängen, alles, was an Verzweigung
geistigen Lebens bei uns vorliegt, von einer umfassenden Einheit her zu
verstehen, es dadurch zu beleben und zu erhöhen.
Wie so der Bewegung zur Einheit, so ist auch der zur Innerlichkeit
eine Überlegenheit gegen den bloßen Menschen zuzuerkennen, wenn,
was bei uns in jener Richtung vorgeht, nicht ins Leere fallen soll.
Denn was beim Menschen an eigentümlicher Innerlichkeit erschien, das
wollte kein bloßer Nachklang, auch kein bloßes Abbild bleiben, sondern
das wollte einen selbständigen Lebenskreis bilden, das wollte eine
Innenwelt werden. Wie könnte es aber das unternehmen, wie könnte es
in seinen Bereich die ganze Weite hineinzuziehen suchen, wäre das All
ein seelenloses Nebeneinander, bestünde nicht auch in ihm als einem
Ganzen eine Innerlichkeit, auch das natürlich in voller Überlegenheit
gegen unser Vorstellungsvermögen. Dabei bleibt es: entweder erlangt
bei uns die Innerlichkeit keine Selbständigkeit, oder sie ist in einem
Innenleben der Welt begründet.
Das Selbständigwerden aber, das allein echte Innerlichkeit entstehen
läßt, verlangt eine Stellung des Lebens auf eigene Tat; so gibt es
keine Innerlichkeit der Welt ohne das Entstehen einer Tatwelt gegenüber
dem Dasein, das uns zunächst umfängt; auch die Welt als Ganzes muß
schließlich in einer Gesamttat begründet sein, sonst kann die Tatwelt
nicht dem Dasein gewachsen und überlegen werden.
Die Tatwelt darf aber, um volle Selbständigkeit und Selbstgenugsamkeit
zu besitzen, nichts außer sich liegen lassen, sie muß alles an sich
ziehen und von sich aus zu gestalten suchen; das erklärt auch den Trieb
zur Unendlichkeit, der dem menschlichen Streben innewohnt, es nimmer
ruhen und rasten läßt. Diese Forderung der Selbstgenugsamkeit geht aber
nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, die Tätigkeit darf nicht
an etwas anderem haften und an es gebunden bleiben, sie muß ganz auf
sich selber stehen; das aber kann sie nicht, wenn sie irgendwelches
Sein außer sich duldet und bloß an ihm sich zu schaffen macht; so
muß sie, was sie an Sein anerkennt, aus sich selbst hervorbringen,
zugleich den Begriff des Seins aber gegen die gewöhnliche Fassung
wesentlich umgestalten. Von einem Sein innerhalb des Lebens kann nur
die Rede sein, sofern verlangt wird, daß ein Ganzes des Lebens an jeder
einzelnen Stelle gegenwärtig sei, damit das Leben sich eine Tiefe gebe
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  • Der Sinn und Wert des Lebens - 11
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