L'Adultera: Roman - 09

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leben, oder die Inkognitos, denn Singular oder Plural sei ihm durchaus
gleichgültig:
Das oder die,
Ein volles Glas für Melanie;
Die oder das,
Für Ebenezer ein volles Glas.
Und danach fing er an zu singen.
Erst zu später Stunde trennte man sich und Anastasia versprach, am
andern Tage zu Tisch wieder zu kommen; abermals einen Tag später aber
(Rubehn war eben in die Stadt gegangen), erschien das Vrenel, um in
ihrem Schweizer Deutsch und zugleich in sichtlicher Erregung den
Polizeirat Reiff zu melden. Und sie beruhigte sich erst wieder, als
ihre junge Herrin antwortete: »Ah, sehr willkommen. Ich lasse bitten,
einzutreten.«
Melanie ging dem Angemeldeten entgegen. Er war ganz unverändert:
derselbe Glanz im Gesicht, derselbe schwarze Frack, dieselbe weiße
Weste.
»Welche Freude, Sie wiederzusehen, lieber Reiff,« sagte Melanie und
wies mit der Rechten auf einen neben ihr stehenden Fauteuil. »Sie waren
immer mein guter Freund, und ich denke, Sie bleiben es.«
Reiff versicherte etwas von unveränderter Devotion und tat Fragen über
Fragen. Endlich aber ließ er durch Zufall oder Absicht auch den Namen
Van der Straatens fallen.
Melanie blieb unbefangen und sagte nur: »Den Namen dürfen Sie nicht
nennen, lieber Reiff, wenigstens jetzt nicht. Nicht als ob er mir
unfreundliche Bilder weckte. Nein, o nein. Wäre das, so dürften Sie's.
Aber gerade weil mir der Name nichts Unfreundliches zurückruft, weil
ich nur weiß, ihm, der ihn trägt, wehe getan zu haben, so quält und
peinigt er mich. Er mahnt mich an ein Unrecht, das dadurch nicht
kleiner wird, daß ich es in meinem Herzen nicht recht als Unrecht
empfinde. Also nichts von ihm. Und auch nichts ...« Und sie schwieg
und fuhr erst nach einer Weile fort: »Ich habe nun mein Glück, ein
wirkliches Glück; ~mais il faut payer pour tout et deux fois pour notre
bonheur~.«
Der Polizeirat stotterte eine verlegene Zustimmung, weil er nicht recht
verstanden hatte.
»Wir aber, lieber Reiff,« nahm Melanie wieder das Wort, »wir müssen
einen neutralen Boden finden. Und das werden wir. Das zählt ja zu den
Vorzügen der großen Stadt. Es gibt immer hundert Dinge, worüber sich
plaudern läßt. Und nicht bloß um Worte zu machen, nein, auch mit dem
Herzen. Nicht wahr? Und ich rechne darauf, Sie wiederzusehen.«
Und bald danach empfahl sich Reiff, um die Droschke, darin er gekommen
war, nicht allzulange warten zu lassen. Melanie aber sah ihm nach
und freute sich, als er wenige Häuser entfernt dem aus der Stadt
zurückkommenden Rubehn begegnete. Beide grüßten einander.
»Reiff war hier,« sagte Rubehn, als er einen Augenblick später eintrat.
»Wie fandest du ihn?«
»Unverändert. Aber verlegener, als ein Polizeirat sein sollte.«
»Schlechtes Gewissen. Er hat dich aushorchen wollen.«
»Glaubst du?«
»Zweifellos. Einer ist wie der andre. Nur ihre Manieren sind
verschieden. Und Reiff hat die Harmlosigkeitsallüren. Aber vor dieser
Spezies muß man doppelt auf der Hut sein. Und so lächerlich es ist, ich
kann den Gedanken nicht unterdrücken, daß wir morgen ins schwarze Buch
kommen.«
»Du tust ihm unrecht. Er hat ein Attachement für mich. Oder ist es
meinerseits bloß Eitelkeit und Einbildung?«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber diese guten Herren, ... ihr
bester Freund, ihr leiblicher Bruder, ist nie sicher vor ihnen. Und
wenn man sich darüber erstaunt oder beklagt, so heißt es ironisch und
achselzuckend: ~c'est mon métier~.«
* * * * *
Eine Woche später hatte das neue Jahr begonnen und der Zeitpunkt
war da, wo das junge Paar aus seinem Inkognito heraustreten wollte.
Wenigstens Melanie. Sie war noch immer nicht bei Jakobine gewesen, und
wiewohl sie sich, in Erinnerung an den unbeantwortet gebliebenen Brief,
nicht viel gutes von diesem Besuche versprechen konnte, so mußt' er
doch auf jede Gefahr hin gemacht werden. Sie mußte Gewißheit haben,
wie sich die Gryczinskis stellen wollten.
Und so fuhr sie denn nach der Alsenstraße.
Schwereren Herzens als sonst stieg sie die mit Teppich belegte Treppe
hinauf und klingelte. Und bald konnte sie hinter der Korridor-Glaswand
ein Hin- und Herhuschen erkennen. Endlich aber wurde geöffnet.
»Ah, Emmy. Ist meine Schwester zu Haus?«
»Nein, Frau Kommerzien... Ach, wie die gnädige Frau bedauern wird! Aber
Frau von Heysing waren hier und haben die gnädige Frau zu dem großen
Bilde abgeholt. Ich glaube ›die Fackeln des Nero‹.«
»Und der Herr Major?«
»Ich weiß es nicht,« sagte das Mädchen verlegen. »Er wollte fort. Aber
ich will doch lieber erst ...«
»O nein, Emmy, lassen Sie's. Es ist gut so. Sagen Sie meiner Schwester,
oder der gnädigen Frau, daß ich da war. Oder besser, nehmen Sie meine
Karte ...«
Danach grüßte Melanie kurz und ging.
Auf der Treppe sagte sie leise vor sich hin: »Das ist +er+. Sie ist ein
gutes Kind und liebt mich.« Und dann legte sie die Hand aufs Herz und
lächelte: »Schweig stille, mein Herze.«
Rubehn, als er von dem Ausfall des Besuches hörte, war wenig
überrascht, und noch weniger, als am andern Morgen ein Brief eintraf,
dessen zierlich verschlungenes J. v. G. über die Absenderin keinen
Zweifel lassen konnte. Wirklich, es waren Zeilen von Jakobine. Sie
schrieb:
»Meine liebe Melanie. Wie hab' ich es bedauert, daß wir uns verfehlen
mußten. Und nach so langer Zeit! Und nachdem ich Deinen lieben, langen
Brief unbeantwortet gelassen habe! Er war so reizend, und selbst
Gryczinski, der doch so kritisch ist und alles immer auf Disposition
hin ansieht, war eigentlich entzückt. Und nur an der einen Stelle
nahm er Anstoß, daß alles Heil und aller Trost nach wie vor aus Rom
kommen solle. Das verdroß ihn, und er meinte, daß man dergleichen auch
nicht im Scherze sagen dürfe. Und meine Verteidigung ließ er nicht
gelten. Die meisten Gryczinskis sind nämlich noch katholisch und ich
denke mir, daß er so streng und empfindlich ist, weil er es persönlich
los sein und von sich abwälzen möchte. Denn sie sind immer noch sehr
diffizil oben, und Gryczinski, wie Du weißt, ist zu klug, als daß er
etwas wollen sollte, was man oben +nicht+ will. Aber es ändert sich
vielleicht wieder. Und ich bekenne Dir offen, +mir+ wär' es recht,
und ich für mein Teil hätte nichts dagegen, sie sprächen erst wieder
von etwas anderm. Ist es denn am Ende wirklich so wichtig und eine
so brennende Frage? Und wär' es nicht wegen der vielen Toten und
Verwundeten, so wünscht' ich mir einen neuen Krieg. (Es heißt übrigens,
sie rechneten schon wieder an einem.) Und +hätten+ wir den Krieg, so
wären wir die ganze Frage los und Gryczinski wäre Oberstleutnant.
Denn er ist der dritte. Und ein paar von den alten Generälen, oder
wenigstens von den ganz alten, werden doch wohl endlich abgehen müssen.
Aber ich schwatze von Krieg und Frieden und von Gryczinski und von mir,
und vergesse ganz nach Dir und nach Deinem Befinden zu fragen. Ich bin
überzeugt, daß es Dir gut geht und daß Du mit dem Wechsel in allen
wesentlichen Stücken zufrieden bist. Er ist reich und jung, und bei
Deinen Lebensanschauungen, mein' ich, kann es Dich nicht unglücklich
machen, daß er unbetitelt ist. Und am Ende, wer jung ist, hofft auch
noch. Und Frankfurt ist ja jetzt preußisch. Und da findet es sich wohl
noch.
Ach, meine liebe Melanie, wie gerne wär' ich selbst gekommen, und hätte
nach allem Großen und Kleinen gesehen, ja, auch nach allem Kleinen,
und wem es eigentlich ähnlich ist. Aber er hat es mir verboten und hat
auch dem Diener gesagt, ›daß wir nie zu Hause sind‹. Und Du weißt, daß
ich nicht den Mut habe, ihm zu widersprechen. Ich meine, wirklich zu
widersprechen. Denn etwas widersprochen hab' ich ihm. Aber da fuhr er
mich an und sagte: ›Das unterbleibt. Ich habe nicht Lust um solcher
Allotria willen beiseite geschoben zu werden. Und sieh dich vor,
Jakobine. Du bist ein entzückendes kleines Weib (er sagte wirklich
so), aber ihr seid wie die Zwillinge, wie die Druväpfel und es spukt
dir auch so was im Blut. Ich bin aber nicht Van der Straaten und führe
keine Generositätskomödien auf. Am wenigsten auf meine Kosten‹. Und
dabei warf er mir ~de haut en bas~ eine Kußhand zu und ging aus dem
Zimmer.
Und was tat ich? Ach, meine liebe Melanie, nichts. Ich habe nicht
einmal geweint. Und nur erschrocken war ich. Denn ich fühle, daß er
recht hat und daß eine sonderbare Neugier in mir steckt. Und darin
treffen es die Bibelleute, wenn sie so vieles auf unsere Neugier
schieben ... Elimar, der freilich nicht mit zu den Bibelleuten gehört,
sagte mal zu mir: ›Das Hübscheste sei doch das Vergleichenkönnen.‹
Er meinte, glaub' ich, in der Kunst. Aber die Frage beschäftigt mich
seitdem, und ich glaube kaum, daß es sich auf die Kunst beschränkt.
Übrigens hat Gryczinski noch in diesem Winter oder doch im Frühjahr
eine kleine Generalstabsreise vor. Und dann sehe ich Dich. Und wenn er
wiederkommt, so beicht' ich ihm alles. Ich kann es dann. Er ist dann
immer so zärtlich. Und ein Blaubart ist er überhaupt nicht. Und bis
dahin Deine
Jakobine.«
Melanie ließ das Blatt fallen und Rubehn nahm es auf. Er las nun auch
und sagte: »Ja, Herz, das sind die Tage, von denen es heißt, sie
gefallen uns nicht. Ach, und sie +beginnen+ erst. Aber laß, laß. Es
rennt sich alles tot und am ehesten +das+.«
Und er ging an den Flügel und spielte laut und mit einem Anfluge
heiterer Übertreibung: »Mit meinem Mantel vor dem Sturm beschützt' ich
dich, beschützt' ich dich.«
Und dann erhob er sich wieder und küßte sie, und sagte: »~Cheer up,
dear!~«


20
Liddi

»~Cheer up, dear~,« hatte Rubehn Melanie zugerufen und sie wollte
dem Zurufe folgen. Aber es glückte nicht, konnte nicht glücken, denn
jeder neue Tag brachte neue Kränkungen. Niemand war für sie zu Haus,
ihr Gruß wurde nicht erwidert, und ehe der Winter um war, wußte sie,
daß man sie, nach einem stillschweigenden Übereinkommen, in den
Bann getan habe. Sie war tot für die Gesellschaft, und die tiefe
Niedergedrücktheit ihres Gemüts hätte sie zur Verzweiflung geführt,
wenn ihr nicht Rubehn in dieser Bedrängnis zur Seite gestanden hätte.
Nicht nur in herzlicher Liebe, nein vor allem auch in jener heitren
Ruhe, die sich der Umgebung entweder mitzuteilen oder wenigstens
nicht ohne stillen Einfluß auf sie zu bleiben pflegt. »Ich kenne das,
Melanie. Wenn es in London etwas ganz Apartes gibt, so heißt es »~it is
a nine days wonder~,« und mit diesen neun Tagen ist das höchste Maß von
Erregungsandauer ausgedrückt. Das ist in London. Hier dauert es etwas
länger, weil wir etwas kleiner sind. Aber das Gesetz bleibt dasselbe.
Jedes Wetter tobt sich aus. Eines Tages haben wir wieder den Regenbogen
und das Fest der Versöhnung.«
»Die Gesellschaft ist unversöhnlich.«
»Im Gegenteil. Zu Gerichte sitzen, ist ihr eigentlich unbequem. Sie
weiß schon warum. Und so wartet sie nur auf das Zeichen, um das große
Hinrichtungsschwert wieder in die Scheide zu stecken.«
»Aber dazu muß etwas geschehen.«
»Und das wird. Es bleibt selten aus und in den milderen Fällen
eigentlich nie. Wir haben einen Eindruck gemacht und müssen ehrlich
bemüht sein, einen andern zu machen. Einen entgegengesetzten. Aber auf
demselben Gebiete ... Du verstehst?«
Sie nickte, nahm seine Hand und sagte: »Und ich schwöre dir's, ich
will. Und wo die Schuld lag, soll auch die Sühne liegen. Oder sag' ich
lieber, der Ausgleich. Auch +das+ ist ein Gesetz, so hoff' ich. Und das
schönste von allen. Es braucht nicht alles Tragödie zu sein.«
In diesem Augenblicke wurde durch den Diener eine Karte hereingegeben:
»Friederike Sawat v. Sawatzki, genannt Sattler v. d. Hölle,
Stiftsanwärterin auf Kloster Himmelpfort in der Uckermark.«
»O, laß uns allein, Ruben,« bat Melanie, während sie sich erhob und
der alten Dame bis auf den Vorflur entgegenging. »Ach, mein liebes
Riekchen! Wie mich das freut, daß du kommst, daß du da bist. Und wie
schwer es dir geworden sein muß ... Ich meine nicht bloß die drei
Treppen ... Ein halbes Stiftsfräulein und jeden Sonntag in Sankt
Matthäi! Aber die Frommen, wenn sie's wirklich sind, sind immer noch
die Besten. Und sind gar nicht so schlimm. Und nun setze dich, mein
einziges, liebes Riekchen, meine liebe, alte Freundin!«
Und während sie so sprach, war sie bemüht, ihr beim Ablegen behilflich
zu sein und das Seidenmäntelchen an einen Haken zu hängen, an den die
Kleine nicht heranreichen konnte.
»Meine liebe, alte Freundin,« wiederholte Melanie. »Ja, das warst du,
Riekchen, das bist du gewesen. Eine rechte Freundin, die mir immer
zum Guten geraten und nie zum Munde gesprochen hat. Aber es hat nicht
geholfen, und ich habe nie begriffen, wie man Grundsätze haben kann
oder Prinzipien, was eigentlich dasselbe meint, aber mir immer noch
schwerer und unnötiger vorgekommen ist. Ich hab' immer nur getan,
was ich wollte, was mir gefiel, wie mir gerade zumute war. Und ich
kann es auch so schrecklich nicht finden. Auch jetzt noch nicht. Aber
gefährlich ist es, so viel räum' ich ein, und ich will es anders zu
machen suchen. Will es lernen. Ganz bestimmt. Und nun erzähle. Mir
brennen hundert Fragen auf der Seele.«
Riekchen war verlegen eingetreten und auch verlegen geblieben, jetzt
aber sagte sie, während sie die Augen niederschlug und dann wieder
freundlich und fest auf Melanie richtete: »Habe doch mal sehen wollen
... Und ich bin auch nicht hinter seinem Rücken hier. Er weiß es und
hat mir zugeredet.«
Melanie flogen die Lippen. »Ist er erbittert? Sag', ich will es hören.
Aus +deinem+ Munde kann ich alles hören. In den Weihnachtstagen war
Reiff hier. Da mocht' ich es nicht. Es ist doch ein Unterschied, +wer+
spricht. Ob die Neugier oder das Herz. Sag', ist er erbittert?«
Die Kleine bewegte den Kopf hin und her und sagte: »Wie denn!
Erbittert! Wär' er erbittert, so wär' ich nicht hier. Er war
unglücklich und ist es noch. Und es zehrt und nagt an ihm. Aber seine
Ruhe hat er wieder. Das heißt, so vor den Menschen. Und dabei bleibt
es, denn er war dir sehr gut, Melanie, so gut er nur einem Menschen
sein konnte. Und du warst sein Stolz, und er freute sich, wenn er dich
sah.«
Melanie nickte.
»Sieh, Herzenskind, du hast nicht anders gekonnt, weil du das andre
nicht gelernt hattest, das andre, worauf es ankommt, und weil du nicht
wußtest, was der Ernst des Lebens ist. Und Anastasia sang wohl immer:
›Wer nie sein Brot mit Tränen aß‹ und Elimar drehte dann das Blatt um.
Aber singen und erleben ist ein Unterschied. Und du hast das Tränenbrot
nicht gegessen und Anastasia hat es nicht gegessen, und Elimar auch
nicht. Und so kam es, daß du nur getan hast, was dir gefiel oder wie
dir zumute war. Und dann bist du von den Kindern fortgegangen, von den
lieben Kindern, die so hübsch und so fein sind, und hast sie nicht
einmal sehen wollen. Hast dein eigen Fleisch und Blut verleugnet. Ach,
mein armes, liebes Herz, das kannst du vor Gott und Menschen nicht
verantworten.«
Es war, als ob die Kleine noch weiter sprechen wollte. Aber Melanie
war aufgesprungen und sagte: »Nein, Riekchen, an dieser Stelle hört es
auf. Hier tust du mir unrecht. Sieh, du kennst mich so gut und so lange
schon, und fast war ich selber noch ein Kind, als ich ins Haus kam.
Aber das eine mußt du mir lassen: ich habe nie gelogen und geheuchelt,
und hab' umgekehrt einen wahren Haß gehabt, mich besser zu machen als
ich bin. Und diesen Haß hab' ich noch. Und so sag' ich dir denn, das
mit den Kindern, mit meiner süßen kleinen Heth, die wie der Vater
aussieht und doch gerade so lacht und so fahrig ist wie die Frau Mama,
nein, Riekchen, das mit den Kindern, +das+ trifft mich nicht.«
»Und bist doch ohne Blick und Abschied gegangen.«
»Ja, das bin ich, und ich weiß es wohl, manch andre hätt' es +nicht+
getan. Aber wenn man auf etwas an und für sich Trauriges stolz sein
darf, so bin ich stolz darauf. Ich wollte gehn, das stand fest. Und
wenn ich die Kinder sah, so konnt' ich nicht gehn. Und so hatt' ich
denn meine Wahl zu treffen. Ich mag eine falsche Wahl getroffen haben,
in den Augen der Welt hab' ich es gewiß, aber es war wenigstens ein
klares Spiel und offen und ehrlich. Wer aus der Ehe fortläuft und aus
keinem andern Grund als aus Liebe zu einem andern Manne, der begibt
sich des Rechts, nebenher auch noch die zärtliche Mutter zu spielen.
Und das ist die Wahrheit. Ich bin ohne Blick und ohne Abschied
gegangen, weil es mir widerstand, Unheiliges und Heiliges durcheinander
zu werfen. Ich wollte keine sentimentale Verwirrung. Es steht mir nicht
zu, mich meiner Tugend zu berühmen. Aber eins hab' ich wenigstens,
Riekchen: ich habe feine Nerven für das, was paßt und nicht paßt.«
»Und möchtest du jetzt sie sehen?«
»Heute lieber als morgen. Jeden Augenblick. Bringst du sie?«
»Nein, nein, Melanie, du bist zu rasch. Aber ich habe mir einen Plan
ausgedacht. Und wenn er glückt, so laß' ich wieder von mir hören. Und
ich komm' entweder oder ich schreibe oder Jakobine schreibt. Denn
Jakobine muß uns dabei helfen. Und nun Gott befohlen, meine liebe,
liebe Melanie. Laß nur die Leute. Du bist doch ein liebes Kind. Leicht,
leicht, aber das Herz sitzt an der richtigen Stelle. Und nun Gott
befohlen, mein Schatz.«
Und sie ging und weigerte sich das Mäntelchen anzuziehn, weil sie gerne
rasch abbrechen wollte. Aber eine Treppe tiefer blieb sie stehn und
half sich mit einiger Mühe selbst in die kleinen Ärmel hinein.
* * * * *
Melanie war überaus glücklich über diesen Besuch, zugleich sehnsüchtig
erwartungsvoll, und mitunter war es ihr, als träte das Kleine, das
nebenan in der Wiege lag, neben dieser Sehnsucht zurück. Gehörte sie
doch ganz zu jenen Naturen, in deren Herzen eines immer den Vorrang
behauptet.
Und so vergingen Wochen, und Ostern war schon nahe heran, als endlich
ein Billett abgegeben wurde, dem sie's ansah, daß es ihr gute Botschaft
bringe. Es war von der Schwester, und Jakobine schrieb:
»Meine liebe Melanie! Wir sind allein, und gesegnet seien die
Landesvermessungen! Es sind das, wie Du vielleicht weißt, die hohen,
dreibeinigen Gestelle, die man, wenn man mit der Eisenbahn fährt,
überall deutlich erkennen kann und wo die Mitfahrenden im Coupé
jedesmal fragen: ›Mein Gott, was ist das?‹ Und es ist auch nicht zu
verwundern, denn es sieht eigentlich aus wie ein Malerstuhl, nur daß
der Maler sehr groß sein müßte. Noch größer und langbeiniger als
Gabler. Und erst in vierzehn Tagen kommt er zurück, worauf ich mich
sehr, sehr freue und eigentlich schon Sehnsucht habe. Denn er hat doch
entschieden +das+, was uns Frauen gefällt. Und früher hat er Dir auch
gefallen, ja Herz, das kannst Du nicht leugnen, und ich war mitunter
eifersüchtig, weil Du klüger bist als ich, und das haben sie gern.
Aber weshalb ich eigentlich schreibe! Riekchen war hier und hat es mir
ans Herz gelegt, und so denk' ich, wir säumen keinen Augenblick länger
und Du kommst morgen um die Mittagsstunde. Da werden sie hier sein und
Riekchen auch. Aber wir haben nichts gesagt und sie sollen überrascht
werden. Und ich bin glücklich, meine Hand zu so was Rührendem bieten
zu können. Denn ich denke mir, Mutterliebe bleibt doch das Schönste
... Ach, meine liebe Melanie! ... Aber ich schweige, Gryczinskis
drittes Wort ist ja, daß es im Leben darauf ankomme, seine Gefühle zu
beherrschen ... Ich weiß doch nicht, ob er recht hat. Und nun lebe
wohl. Immer Deine
J. v. G.«
Melanie war nach Empfang dieser Zeilen in einer Aufregung, die sie
weder verbergen konnte noch wollte. So fand sie Rubehn und geriet in
wirkliche Sorge, weil er aus Erfahrung wußte, daß solchen Überreizungen
immer ein Rückschlag und solchen hochgespannten Erwartungen immer
eine Enttäuschung zu folgen pflegt. Er suchte sie zu zerstreuen und
abzuziehen, und war endlich froh, als der andere Morgen da war.
Es war ein klarer Tag und eine milde Luft, und nur ein paar weiße
Wölkchen schwammen oben im Blau. Melanie verließ das Haus noch vor der
verabredeten Stunde, um ihren Weg nach der Alsenstraße hin anzutreten.
Ach, wie wohl ihr diese Luft tat! Und sie blieb öfters stehen, um
sie begierig einzusaugen und sich an den stillen Bildern erwachenden
Lebens und einer hier und da schon knospenden Natur zu freuen. Alle
Hecken zeigten einen grünen Saum und an den geharkten Stellen, wo man
das abgefallene Laub an die Seite gekehrt hatte, keimten bereits die
grünen Blättchen des Gundermann und einmal war es ihr, als schöss'
eine Schwalbe mit schrillem aber heiterem Ton an ihr vorüber. Und so
passierte sie den Tiergarten in seiner ganzen Breite, bis sie zuletzt
den kleinen, der Alsenstraße unmittelbar vorgelegenen Platz erreicht
hatte, den sie den »kleinen Königsplatz« nennen. Hier setzte sie sich
auf eine Bank und fächelte sich mit ihrem Tuch und hörte deutlich, wie
ihr das Herz schlug.
»In welche Wirrnis geraten wir, sowie wir die Straße des Hergebrachten
verlassen und abweichen von Regel und Gesetz. Es nutzt uns nichts,
daß wir uns selber freisprechen. Die Welt ist doch stärker als wir und
besiegt uns schließlich in unserem eigenen Herzen. Ich glaubte recht
zu tun, als ich ohne Blick und Abschied von meinen Kindern ging, ich
wollte kein Rührspiel; entweder oder dacht' ich. Und ich glaub' auch
noch, daß ich recht gedacht habe. Aber was hilft es mir? Was ist das
Ende? Eine Mutter, die sich vor ihren Kindern fürchtet.«
Dies Wort richtete sie wieder auf. Ein trotziger Stolz, der neben aller
Weichheit in ihrer Natur lag, regte sich wieder und sie ging rasch auf
das Gryczinskische Haus zu.
Die Portiersleute, Mann und Frau, und zwei halberwachsene Töchter,
mußten schon auf dem Hintertreppenwege von dem bevorstehenden
Ereignisse gehört haben, denn sie hatten sich in die halbgeöffnete
Souterraintür postiert und guckten einander über die Köpfe fort.
Melanie sah es und sagte vor sich hin: »~A nine days wonder!~ Ich bin
eine Sehenswürdigkeit geworden. Es war mir immer das schrecklichste.«
Und nun stieg sie hinauf und klingelte. Riekchen war schon da, die
Schwestern küßten sich und sagten sich Freundlichkeiten über ihr
gegenseitiges Aussehen. Und alles verriet Aufregung und Freude.
Das Wohn- und Empfangszimmer, in das man jetzt eintrat, war ein
großer und luftiger, aber im Verhältnis zu seiner Tiefe nur schmaler
Raum, dessen zwei große Fenster (ohne Pfeiler dazwischen) einen
nischenartigen Ausbau bildeten. Etwas Feierliches herrschte vor, und
die roten, von beiden Seiten her halb zugezogenen Gardinen gaben
ein gedämpftes, wundervolles Licht, das auf den weißen Tapeten
reflektierte. Nach hinten zu, der Fensternische gegenüber, bemerkte man
eine hohe Tür, die nach dem dahinter gelegenen Eßzimmer führte.
Melanie nahm auf einem kleinen Sofa neben dem Fenster Platz, die beiden
anderen Damen mit ihr, und Jakobine versuchte nach ihrer Art eine
Plauderei. Denn sie war ohne jede tiefere Bewegung und betrachtete
das Ganze vom Standpunkt einer dramatischen Matinee. Riekchen aber,
die wohl wahrnahm, daß die Blicke Melanies immer nur nach der +einen+
Stelle hin gerichtet waren, unterbrach endlich das Gespräch und sagte:
»Laß Binchen. Ich werde sie nun holen.«
Eine peinliche Stille trat ein, Jakobine wußte nichts mehr zu sagen
und war herzlich froh, als eben jetzt vom Platze her die Musik eines
vorüberziehenden Garderegiments hörbar wurde. Sie stand auf, stellte
sich zwischen die Gardinen, und sah nach rechts hinaus ... »es sind die
Ulanen,« sagte sie. »Willst du nicht auch ...« Aber ehe sie noch ihren
Satz beenden konnte, ging die große Flügeltür auf und Riekchen, mit den
beiden Kindern an der Hand, trat ein.
Die Musik draußen verklang.
Melanie hatte sich rasch erhoben und war den verwundert und beinah
erschrocken dastehenden Kindern entgegengegangen. Als sie aber sah,
daß Lydia einen Schritt zurück trat, blieb auch +sie+ stehen und ein
Gefühl ungeheurer Angst überkam sie. Nur mit Mühe brachte sie die Worte
heraus: »Heth, mein süßer, kleiner Liebling ... Komm ... Kennst du
deine Mutter nicht mehr?«
Und ihre ganze Kraft zusammen nehmend, hatte sie sich bis dicht an die
Türe vorbewegt und bückte sich, um Heth mit beiden Händen in die Höhe
zu heben. Aber Lydia warf ihr einen Blick bitteren Hasses zu, riß das
Kind am Achselbande zurück und sagte: »Wir haben keine Mutter mehr.«
Und dabei zog und zwang sie die halb widerstrebende Kleine mit sich
fort und zu der halb offen gebliebenen Tür hinaus.
Melanie war ohnmächtig zusammengesunken.
Eine halbe Stunde später hatte sie sich so weit wieder erholt, daß sie
zurückfahren konnte. Jede Begleitung war von ihr abgelehnt worden.
Riekchens Weisheiten und Jakobinens Albernheiten mußten ihr in ihrer
Stimmung gleich unerträglich erscheinen.
Als sie fort war, sagte Jakobine zu Riekchen: »Es hat doch einen
rechten Eindruck auf mich gemacht. Und Gryczinski darf gar nichts davon
erfahren. Er ist ohnehin gegen Kinder. Und er würde mir doch nur sagen:
›Da siehst du, was dabei heraus kommt. Undank und Unnatur.‹«


21
In der Nikolaikirche

Es schlug zwei von dem kleinen Hoftürmchen des Nachbarhauses,
als Melanie wieder in ihre Wohnung eintrat. Das Herz war ihr zum
Zerspringen, und sie sehnte sich nach Aussprache. Dann, das wußte sie,
kamen ihr die Tränen und in den Tränen Trost.
Aber Ruben blieb heute länger aus als gewöhnlich und zu den anderen
Ängsten ihres Herzens gesellte sich auch noch das Bangen und Sorgen um
den geliebten Mann. Endlich kam er; es war schon Spätnachmittag und
die drüben hinter dem kahlen Gezweig niedersteigende Sonne warf eine
Fülle greller Lichter durch die kleinen Mansardenfenster. Aber es war
kalt und unheimlich, und Melanie sagte, während sie dem Eintretenden
entgegenging: »Du bringst so viel Kälte mit, Ruben. Ach, und ich sehne
mich nach Licht und Wärme.«
»Wie du nur bist,« entgegnete Rubehn in sichtlicher Zerstreutheit,
während er doch seine gewöhnliche Heiterkeit zu zeigen trachtete.
»Wie du nur bist! Ich sehe nichts als Licht, ein wahrer ~embarras de
richesse~, auf jedem Sofakissen und jeder Stuhllehne, und das Ofenblech
flimmert und schimmert, als ob es Goldblech wäre. Und du sehnst dich
nach Licht! Ich bitte dich, mich blendet's, und ich wollt', es wäre
weniger oder wäre fort.«
»Du wirst nicht lange darauf zu warten haben.«
Er war im Zimmer auf und ab gegangen. Jetzt blieb er stehen und sagte
teilnehmend: »Ich vergesse nach der Hauptsache zu fragen. Verzeihe. Du
warst bei Jakobine. Wie lief es ab? Ich fürchte, nicht gut. Ich lese
so was aus deinen Augen. Und ich hatt' auch eine Ahnung davon, gleich
heute früh, als ich in die Stadt fuhr. Es war kein glücklicher Tag.«
»Auch für dich nicht?«
»Nicht der Rede wert. ~A shadow of a shadow.~«
Er hatte sich in den zunächststehenden Fauteuil niedergelassen und
griff mechanisch nach einem Album, das auf dem Sofatische lag. Seiner
oft ausgesprochenen Ansicht nach war dies die niedrigste Form aller
geistigen Beschäftigung, und so durft' es nicht überraschen, daß er
während des Blätterns über das Buch fortsah und wiederholentlich
fragte: »Wie war es? Ich bin begierig zu hören.«
Aber sie konnte nur zu gut erkennen, daß er +nicht+ begierig war zu
hören, und so sehr es sie nach Aussprache verlangt hatte, so schwer
wurd' es ihr jetzt, ein Wort zu sagen, und sie verwirrte sich mehr
als einmal, als sie, um ihm zu willfahren, von der tiefen Demütigung
erzählte, die sie von ihrem eigenen Kinde hatte hinnehmen müssen.
Rubehn war aufgestanden und versuchte sie durch ein paar hingeworfene
Worte zu beruhigen, aber es war nicht anders, wie wenn einer einen
Spruch herbetet.
»Und das ist alles, was du mir zu sagen hast?« fragte sie. »Ruben, mein
Einziger, soll ich auch +dich+ verlieren?!« Und sie stellte sich vor ihn
hin und sah ihn starr an.
»O, sprich nicht so. Verlieren! Wir können uns nicht verlieren. Nicht
wahr, Melanie, wir können uns nicht verlieren?« Und hierbei wurde seine
Stimme momentan inniger und weicher. »Und was die Kinder angeht,« fuhr
er nach einer Weile fort, »nun, die Kinder sind eben Kinder. Und eh'
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