L'Adultera: Roman - 07

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belebte sich wieder, gewann auch wieder frischere Farben, und als sie
Riekchen und Anastasia, die bis zuletzt geblieben waren, bis an die
Treppe geleitete, rief sie dem kleinen Fräulein mit ihrer freundlichen
und herzgewinnenden Stimme nach: »Und sieh dich vor, Riekchen. Christel
sagt mir eben, es glatteist.« Und dabei bückte sie sich über das
Geländer und grüßte mit der Hand.
»O, ich falle nicht,« rief die Kleine zurück. »Kleine Leute fallen
überhaupt nicht. Und am wenigsten, wenn sie vorn und hinten gut
balancieren.«
Aber Melanie hörte nichts mehr von dem, was Riekchen sagte. Der
Blick über das Geländer hatte sie schwindlig gemacht, und sie wäre
gefallen, wenn sie nicht Van der Straaten aufgefangen und in ihr Zimmer
zurückgetragen hätte. Er wollte klingeln und nach dem Arzte schicken.
Aber sie bat ihn, es zu lassen. Es sei nichts, oder doch nichts
Ernstes, oder doch nichts, wobei der Arzt ihr helfen könne.
Und dann sagte sie, was es sei.


14
Entschluß

Erst den dritten Tag danach hatte sich Melanie hinreichend erholt, um
in der Alsenstraße, wo sie seit Wochen nicht gewesen war, einen Besuch
machen zu können. Vorher aber wollte sie bei der Madame Guichard, einer
vor kurzem erst etablierten Französin, vorsprechen, deren Konfektions
und künstliche Blumen ihr durch Anastasia gerühmt worden waren. Van der
Straaten riet ihr, weil sie noch angegriffen sei, lieber den Wagen zu
nehmen, aber Melanie bestand darauf, alles zu Fuß abmachen zu wollen.
Und so kleidete sie sich in ihr diesjähriges Weihnachtsgeschenk, einen
Nerzpelz und ein Kastorhütchen mit Straußenfeder, und war eben auf dem
letzten Treppenabsatz, als ihr Rubehn begegnete, der inzwischen von
ihrem Unwohlsein gehört hatte und nun kam, um nach ihrem Befinden zu
fragen.
»Ah, wie gut, daß Sie kommen,« sagte Melanie. »Nun hab' ich Begleitung
auf meinem Gange. Van der Straaten wollte mir seinen Wagen aufzwingen,
aber ich sehne mich nach Luft und Bewegung. Ach, unbeschreiblich ...
Mir ist so bang und schwer ...«
Und dann unterbrach sie sich und setzte rasch hinzu: »Geben Sie
mir Ihren Arm. Ich will zu meiner Schwester. Aber vorher will ich
Ballblumen kaufen und dahin sollen Sie mich begleiten. Eine halbe
Stunde nur. Und dann geb' ich Sie frei, ganz frei.«
»Das dürfen Sie nicht, Melanie. Das werden Sie nicht.«
»Doch.«
»Ich +will+ aber nicht freigegeben sein.«
Melanie lachte. »So seid ihr. Tyrannisch und eigenmächtig auch noch in
eurer Huld, auch +dann+ noch, wenn ihr uns dienen wollt. Aber kommen
Sie. Sie sollen mir die Blumen aussuchen helfen. Ich vertraue ganz
Ihrem Geschmack. Granatblüten, nicht wahr?«
Und so gingen sie die große Petristraße hinunter und vom Platz aus
durch ein Gewirr kleiner Gassen, bis sie, hart an der Jägerstraße, das
Geschäft der Madame Guichard entdeckten, einen kleinen Laden, in dessen
Schaufenster ein Teil ihrer französischen Blumen ausgebreitet lag.
Und nun traten sie ein. Einige Kartons wurden ihnen gezeigt und ehe
noch viele Worte gewechselt waren, war auch schon die Wahl getroffen.
In der Tat, Rubehn hatte sich für eine Granatblütengarnitur entschieden
und eine Direktrice, die mit zugegen war, versprach alles zu schicken.
Melanie selbst aber gab der Französin ihre Karte. Diese versuchte den
langen Titel und Namen zu bewältigen, und ein Lächeln flog erst über
ihr Gesicht, als sie das »~née de Caparoux~« las. Ihre nicht hübschen
Züge verklärten sich plötzlich, und es war mit einem unbeschreiblichen
Ausdruck von Glück und Wehmut, daß sie sagte: »~Madame est Française!
... Ah, notre belle France.~«
Dieser kleine Zwischenfall war an Melanie nicht gleichgültig
vorübergegangen, und als sie draußen ihres Freundes Arm nahm, sagte
sie: »Hörten Sie's wohl? ~Ah, notre belle France!~ Wie das so
sehnsüchtig klang. Ja, sie hat ein Heimweh. Und alle haben wir's. Aber
wohin? wonach? ... Nach unsrem Glück ... Nach unsrem Glück! Das niemand
kennt und niemand sieht. Wie heißt es doch in dem Schubertschen Liede?«
»Da, wo du +nicht+ bist, ist das Glück.«
»Da, wo du +nicht+ bist,« wiederholte Melanie.
Rubehn war bewegt und sah ihr unwillkürlich nach den Augen. Aber er
wandte sich wieder, weil er die Träne nicht sehen wollte, die darin
glänzte.
Vor dem großen Platz, in den die Straße mündet, trennten sie sich.
Er, für sein Teil, hätte sie gern weiter begleitet, aber sie wollt'
es nicht und sagte leise: »Nein Rubehn, es war der Begleitung schon
zuviel. Wir wollen die bösen Zungen nicht vor der Zeit herausfordern.
Die bösen Zungen, von denen ich eigentlich kein Recht habe zu sprechen.
Adieu.« Und sie wandte sich noch einmal und grüßte mit leichter
Bewegung ihrer Hand.
Er sah ihr nach, und ein Gefühl von Schreck und ungeheurer
Verantwortlichkeit über ein durch ihn gestörtes Glück überkam ihn und
erfüllte plötzlich sein ganzes Herz. Was soll werden? fragte er sich.
Aber dann wurde der Ausdruck seiner Züge wieder milder und heitrer, und
er sagte vor sich hin: »Ich bin nicht der Narr, der von Engeln spricht.
Sie war keiner und ist keiner. Gewiß nicht. Aber ein freundlich
Menschenbild ist sie, so freundlich, wie nur je eines über diese arme
Erde gegangen ist ... Und ich liebe sie, viel, viel mehr, als ich
geglaubt habe, viel, viel mehr, als ich je geglaubt hätte, daß ich
lieben könnte. Mut, Melanie, nur Mut. Es werden schwere Tage kommen,
und ich sehe sie schon zu deinen Häupten stehen. Aber mir ist auch, als
klär' es sich dahinter. O, nur Mut, Mut!«
* * * * *
Eine halbe Woche danach war Silvester und auf dem kleinen Balle, den
Gryczinskis gaben, war Melanie die Schönste. Jakobine trat zurück und
gönnte der älteren Schwester ihre Triumphe. »Superbes Weib. Ägyptische
Königstochter,« schnarrte Rittmeister von Schnabel, der wegen seiner
eminenten Ulanenfigur aus der Provinz in die Residenz versetzt
worden war und von dem Gryczinski zu sagen pflegte: »Der geborene
Prinzessinnentänzer. Nur schade, daß es keine Prinzessinnen mehr gibt.«
Aber Schnabel war nicht der einzige Melanie-Bewunderer. In der
letzten Fensternische stand eine ganze Gruppe von jungen Offizieren.
Wensky von den Ohlauer kaffeebraunen Husaren, enragierter Sportsman
und Steeple-Chase-Reiter (Oberschenkel dreimal an derselben Stelle
gebrochen), neben ihm Ingenieur-Hauptmann Stiffelius, berühmter
Rechner, mager und trocken wie seine Gleichungen, und zwischen beiden
Leutnant Tigris, kleiner, kräpscher Füsilieroffizier vom Regiment
Zauche-Belzig, der aus Gründen, die niemand kannte, mehrere Jahre lang
der Pariser Gesandtschaft attachiert gewesen war und sich seitdem für
einen Halbfranzosen, Libertin und Frauenmarder hielt. Junge Mädchen
waren ihm »ridikül«. Er schob eben, trotzdem er wahre Luchsaugen hatte,
sein an einem kurzen Seidenbande hängendes Pincenez zurecht und sagte:
»Wensky, Sie sind ja so gut wie zu Haus hier, und eigentlich Hahn im
Korbe. Wer ist denn dieser Prachtkopf mit den Granatblüten? Ich könnte
schwören, sie schon gesehen zu haben. Aber wo? Halb die Herzogin von
Mouchy und halb die Beauffremont. ~Un teint de lys et de rose, et tout
à fait distinguée.~«
»Sie treffen es gut genug, ~mon cher Tigris~,« lachte Wensky, »'s ist
die Schwester unsrer Gryczinska, eine geborne de Caparoux.«
»Drum, drum auch. Jeder Zoll eine Französin. Ich konnte mich nicht
irren. Und wie sie lacht.«
Ja, Melanie lachte wirklich. Aber wer sie die folgenden Tage gesehen
hätte, der hätte die Beauté jenes Ballabends in ihr nicht wieder
erkannt, am wenigsten wär' er ihrem Lachen begegnet. Sie lag leidend
und abgehärmt, uneins mit sich und der Welt, auf dem Sofa und las ein
Buch, und wenn sie's gelesen hatte, so durchblätterte sie's wieder,
um sich einigermaßen zurückzurufen was sie gelesen. Ihre Gedanken
schweiften ab. Rubehn kam, um nach ihr zu fragen, aber sie nahm ihn
nicht an und grollte mit ihm wie mit jedem. Und ihr wurde nur leichter
ums Herz, wenn sie weinen konnte.
So vergingen ein paar Wochen, und als sie wieder aufstand und sprach,
und wieder nach den Kindern und dem Haushalte sah, schärfer und
eindringlicher als sonst, war ihr der energische Mut ihrer früheren
Tage zurückgekehrt, aber nicht die Stimmung. Sie war reizbar, heftig,
bitter. Und was schlimmer, auch kapriziös. Van der Straaten unternahm
einen Feldzug gegen diesen vielköpfigen Feind und im einzelnen nicht
ohne Glück, aber in der Hauptsache griff er fehl, und während er ihrer
Reizbarkeit klugerweise mit Nachgiebigkeit begegnete, war er, ihrer
Kaprice gegenüber, unklugerweise darauf aus, sie durch Zärtlichkeit
besiegen zu wollen. Und das entschied über ihn und sie. Jeder Tag wurd'
ihr qualvoller, und die sonst so stolze und siegessichere Frau, die
mit dem Manne, dessen Spielzeug sie zu sein schien und zu sein vorgab,
durch viele Jahre hin immer nur ihrerseits gespielt hatte, sie schrak
jetzt zusammen und geriet in ein nervöses Zittern, wenn sie von fern
her seinen Schritt auf dem Korridore hörte. Was wollte er? Um was kam
er? Und dann war es ihr, als müsse sie fliehen und aus dem Fenster
springen. Und kam er dann wirklich und nahm ihre Hand, um sie zu
küssen, so sagte sie: »Geh. Ich bitte dich. Ich bin am liebsten allein.«
Und wenn sie dann allein war, so stürzte sie fort, oft ohne Ziel, öfter
noch in Anastasiens stille, zurückgelegene Wohnung, und wenn dann der
Erwartete kam, dann brach alle Not ihres Herzens in bittre Tränen aus
und sie schluchzte und jammerte, daß sie dieses Lügenspiel nicht mehr
ertragen könne. »Steh mir bei, hilf mir, Ruben, oder du siehst mich
nicht lange mehr. Ich muß fort, fort, wenn ich nicht sterben soll vor
Scham und Gram.«
Und er war mit erschüttert und sagte: »Sprich nicht so, Melanie.
Sprich nicht, als ob ich nicht alles wollte, was du willst. Ich habe
dein Glück gestört (+wenn+ es ein Glück war) und ich will es wieder
aufbauen. Überall in der Welt, +wie+ du willst und +wo+ du willst. Jede
Stunde, jeden Tag.«
Und dann bauten sie Luftschlösser und träumten und hatten eine lachende
Zukunft um sich her. Aber auch wirkliche Pläne wurden laut und sie
trennten sich unter glücklichen Tränen.


15
Die Vernezobres

Und was geplant worden war, das war Flucht. Den letzten Tag im Januar
wollten sie sich an einem der Bahnhöfe treffen, in früher Morgenstunde,
und dann fahren weit, weit in die Welt hinein, nach Süden zu, über
die Alpen. »Ja, über die Alpen,« hatte Melanie gesagt und aufgeatmet,
und es war ihr dabei gewesen, als wär' erst ein neues Leben für sie
gewonnen, wenn der große Wall der Berge trennend und schützend hinter
ihr läge. Und auch darüber war gesprochen worden, was zu geschehen
habe, wenn Van der Straaten ihr Vorhaben etwa hindern wolle. »Das wird
er nicht,« hatte Melanie gesagt. »Und warum nicht? Er ist nicht immer
der Mann der zarten Rücksichtnahmen und liebt es mitunter, die Welt und
ihr Gerede zu brüskieren.« »Und doch wird er sich's ersparen, sich und
uns. Und wenn du wieder fragst, warum? Weil er mich liebt. Ich hab'
es ihm freilich schlecht gedankt. Ach, Ruben, Freund, was sind wir in
unserem Tun und Wollen! Undank, Untreue ... mir so verhaßt! Und doch
... ich tät' es wieder, alles, alles. Und ich will es nicht anders, als
es ist.«
So vergingen die Januarwochen. Und nun war es die Nacht vor dem
festgesetzten Tage. Melanie hatte sich zu früher Stunde niedergelegt
und ihrer alten Dienerin befohlen, sie Punkt drei zu wecken. Auf
diese konnte sie sich unbedingt verlassen, trotzdem Christel ihren
Dienstjahren, aber freilich auch nur diesen nach, zu jenen Erbstücken
des Hauses gehörte, die sich unter Duquedes Führung in einer stillen
Opposition gegen Melanie gefielen.
Und kaum daß es drei geschlagen, so war Christel da, fand aber
ihre Herrin schon auf und konnte derselben nur noch beim Ankleiden
behilflich sein. Und auch das war nicht viel, denn es zitterten ihr die
Hände, und sie hatte, wie sie sich ausdrückte, »einen Flimmer vor den
Augen.« Endlich aber war doch alles fertig, der feste Lederstiefel saß,
und Melanie sagte: »So ist's gut, Christel. Und nun gib die Handtasche
her, daß wir packen können.«
Christel holte die Tasche, die dicht am Fenster auf einer
Spiegelkonsole stand, und öffnete das Schloß. »Hier, das tu hinein. Ich
hab' alles aufgeschrieben.« Und Melanie riß, als sie dies sagte, ein
Blatt aus ihrem Notizbuch und gab es der Alten. Diese hielt den Zettel
neben das Licht und las und schüttelte den Kopf.
»Ach meine gute, liebe Frau, das ist ja gar nichts ... Ach meine liebe,
gute Frau, Sie sind ja ...«
»So verwöhnt, willst du sagen. Ja, Christel, das bin ich. Aber
Verwöhnung ist kein Glück. Ihr habt hier ein Sprichwort: »Wenig mit
Liebe.« Und die Leute lachen darüber. Aber über das Wahrste wird immer
gelacht. Und dann, wir gehen ja nicht aus der Welt. Wir reisen bloß.
Und auf Reisen heißt es: Leicht Gepäck. Und sage selbst, Christel, ich
kann doch nicht mit einem Riesenkoffer aus dem Hause gehen. Da fehlte
bloß noch der Schmuck und die Kassette.«
Melanie hatte, während sie so sprach, ihre Hände dicht über das halb
niedergebrannte Feuer gehalten. Denn es war kalt und sie fröstelte.
Jetzt setzte sie sich in einen nebenstehenden Fauteuil und sah
abwechselnd in die glühenden Kohlen und dann wieder auf Christel,
die das Wenige, was aufgeschrieben war, in die Tasche tat und immer
leise vor sich hinsprach und weinte. Und nun war alles hinein, und sie
drückte den Bügel ins Schloß und stellte die Tasche vor Melanie nieder.
So verging eine Weile. Keiner sprach. Endlich aber trat Christel von
hinten her an ihre junge Herrin heran und sagte: »Jott, liebe, jnädige
Frau, muß es denn ... Bleiben Sie doch. Ich bin ja bloß solche alte,
dumme Person. Aber die Dummen sind oft gar nicht so dumm. Und ich sag'
Ihnen, meine liebe Jnädigste, Sie jlauben jar nich, woran sich der
Mensch alles jewöhnen kann. Jott, der Mensch jewöhnt sich an alles. Und
wenn man reich ist und hat so viel, da kann man auch viel aushalten.
Un vor mir wollt' ich woll einstehn. Un wie jeht es denn? Un wie leben
denn die Menschen? In jedes Haus is'n Gespenst, sagen sie jetzt, un
das is so'ne neumodsche Redensart! Aber wahr is es. Und in manches
Haus sind zweie, un rumoren, daß man's bei hellen, lichten Dage hören
kann. Un so war es auch bei Vernezobres. Ich bin ja nu fufzig, und
dreiundzwanzig hier. Un sieben vorher bei Vernezobres. Un war auch
Kommerzienrat un alles ebenso. Das heißt beinah.«
»Und wie war es denn?« lächelte Melanie.
»Jott, wie war es? Wie's immer is. Sie war dreißig un er war fufzig.
Und sie war sehr hübsch. Drall und blond, sagten die Leute. Na, un er?
Ich will jar nich sagen, was die Leute von ihm alles gesagt haben.
Aber viel Jutes war es nich ... Un natürlich, da war ja denn auch ein
Baumeister, das heißt eigentlich kein richtiger Baumeister, bloß
einer, der immer Brücken baut vor Eisenbahnen un so, un immer mit'n
Gitter un schräge Löcher, wo man durchkucken kann. Un der war ja nu
da un wie'n Wiesel, un immer mit ins Konzert un nach Saatwinkel oder
Pichelsberg, un immers Jackett über'n Arm, un Fächer un Sonnenschirm,
un immer Erdbeeren gesucht un immer verirrt un nie da, wenn die
Herrschaften wieder nach Hause wollten. Un unser Herr, der ängstigte
sich un dacht' immer, es wäre was passiert. Un was die andern waren,
na, die tuschelten.«
»Und trennten sie sich? Oder blieben sie zusammen? Ich meine die
Vernezobres,« fragte Melanie, die mit halber Aufmerksamkeit zugehört
hatte.
»Natürlich blieben sie. Mal hört' ich, weil ich nebenan war, daß er
sagte: ›Hulda, das geht nicht.‹ Denn sie hieß wirklich Hulda. Und er
wollt' ihr Vorwürfe machen. Aber da kam er ihr jrade recht. Und sie
drehte den Spieß um un sagte: was er nur wolle? Sie wolle fort. Un
sie liebe ihn, das heißt den andern, un ihn liebe sie +nicht+. Un sie
dächte gar nicht dran, ihn zu lieben. Und es wär eijentlich bloß zum
Lachen. Und +so+ ging es weiter und sie lachte wirklich. Und ich sag'
Ihnen, da wurd' er wie'n Ohrwurm und sagte bloß: ›sie sollte sich's
doch überlegen.‹ Un so kam es denn auch, un als Ende Mai war, da kam
ja der Vernezobresche Doktor, so'n richtiger, der alles janz genau
wußte, der sagte, ›sie müßte nachs Bad,‹ wovon ich aber den Namen
immer vergesse, weil da der Wellenschlag am stärksten ist. Un das
war ja nu damals, als sie jrade die große Hängebrücke bauten, un die
Leute sagten, er könnt' es alles am besten ausrechnen. Un was unser
Kommerzienrat war, der kam immer bloß Sonnabends. Un die Woche hatten
sie frei. Un als Ende August war, oder so, da kam sie wieder und war
ganz frisch un munter un hatte orntlich rote Backen, und kajolierte
ihn. Und von +ihm+ war gar keine Rede mehr.«
Melanie hatte, während Christel sprach, ein paar Holzscheite auf die
Kohlen geworfen, so daß es wieder prasselte, und sagte: »Du meinst es
gut. Aber so geht es nicht. Ich bin doch anders. Und wenn ich's nicht
bin, so bild' ich es mir wenigstens ein.«
»Jott,« sagte Christel, »en bißchen anders is es immer. Un sie war auch
bloß von Neu-Cölln ans Wasser, un die Singuhr immer jrade gegenüber.
Aber die war nich schuld mit ›Üb' immer Treu und Redlichkeit.‹«
»Ach, meine gute Christel, Treu und Redlichkeit! Danach drängt es
jeden, jeden, der nicht ganz schlecht ist. Aber weißt du, man kann auch
treu sein, wenn man untreu ist. Treuer als in der Treue.«
»Jott, liebe Jnädigste, sagen Se doch so was nich. Ich versteh es
eijentlich nich. Un das muß ich Ihnen sagen, wenn einer so was sagt un
ich versteh es nicht, denn is es immer schlimm. Und Sie sagen, Sie sind
anders. Ja, das is schon richtig, un wenn es auch nich janz richtig is,
so is es doch halb richtig. Un was die Hauptsache is, das is, meine
liebe Jnädigste, die hat eijentlich das liebe kleine Herz auf'n rechten
Fleck, un is immer für helfen und geben, un immer für die armen Leute.
Un was die Vernezobern war, na, die putzte sich bloß, un war immer
vor'n Stehspiegel, der alles noch hübscher machte, und sah aus wie's
Modejournal und war eijentlich dumm. Wie'n Haubenstock, sagten die
Leute. Un war auch nich so was Vornehmes, wie meine liebe Jnädigste,
un bloß aus ne' Färberei, türkischrot. Aber das muß ich Ihnen sagen,
Ihrer is doch auch anders als der Vernezobern ihrer war, und hat sich
gar nich, un red't immer frei weg, un kann keinen was abschlagen. Un zu
Weihnachten immer alles doppelt.«
Melanie nickte.
»Nu, sehen Sie, meine liebe Jnädigste, das is hübsch, daß Sie mir
zunicken, un wenn Sie mir immer wieder zunicken, dann kann es auch
alles noch wieder werden un wir packen alles wieder aus, un Sie legen
sich ins Bett un schlafen bis an'n hellen lichten Tag. Un Klocker
zwölfe bring ich Ihnen Ihren Kaffee un Ihre Schokolade, alles gleich
auf +ein+ Brett, un wenn ich Ihnen dann erzähle, daß wir hier gesessen
und was wir alles gesprochen haben, dann is es Ihnen wie'n Traum. Denn
dabei bleib ich, er is eijentlich auch ein juter Mann, ein sehr juter,
un bloß ein bißchen sonderbar. Und sonderbar is nichts Schlimmes. Und
ein reicher Mann wird es doch wohl am Ende dürfen! Un wenn ich reich
wäre, ich wäre noch viel sonderbarer. Un daß er immer so spricht un
solche Redensarten macht, als hätt' er keine Bildung nich un wäre von'n
Wedding oder so, ja, du himmlische Güte, warum soll er nich? warum soll
er nich so reden, wenn es ihm Spaß macht? er is nu mal fürs Berlinsche.
Aber is er denn nich einer? Und am Ende ...«


16
Abschied

Christel unterbrach sich und zog sich erschrocken in die Nebenstube
zurück, denn Van der Straaten war eingetreten. Er war noch in demselben
Gesellschaftsanzug, in dem er, eine Stunde nach Mitternacht, nach
Hause gekommen war und seine überwachten Züge zeigten Aufregung und
Ermattung. Von welcher Seite her er Mitteilung über Melanies Vorhaben
erhalten hatte, blieb unaufgeklärt. Aus allem war nur ersichtlich,
daß er sich gelobt hatte, die Dinge ruhig gehen zu lassen. Und wenn
er dennoch kam, so geschah es nicht, um gewaltsam zu hindern, sondern
nur um Vorstellungen zu machen, um zu bitten. Es kam nicht der empörte
Mann, sondern der liebende.
Er schob einen Fauteuil an das Feuer, ließ sich nieder, so daß er jetzt
Melanie gegenübersaß, und sagte leicht und geschäftsmäßig: »Du willst
fort, Melanie?«
»Ja, Ezel.«
»Warum?«
»Weil ich einen andern liebe.«
»Das ist kein Grund.«
»Doch.«
»Und ich sage dir, es geht vorüber, Lanni. Glaube mir, ich kenne die
Frauen. Ihr könnt das Einerlei nicht ertragen, auch nicht das Einerlei
des Glücks. Und am verhaßtesten ist euch das eigentliche, das höchste
Glück, das Ruhe bedeutet. Ihr seid auf die Unruhe gestellt. Ein bißchen
schlechtes Gewissen habt ihr lieber, als ein gutes, das nicht prickelt,
und unter allen Sprichwörtern ist euch das vom ›besten Ruhekissen‹ am
langweiligsten und am lächerlichsten. Ihr wollt gar nicht ruhen. Es
soll euch immer was kribbeln und zwicken, und ihr habt den überspannt
sinnlichen oder meinetwegen auch den heroischen Zug, daß ihr dem
Schmerz die süße Seite abzugewinnen wißt.«
»Es ist möglich, daß du recht hast, Ezel. Aber je mehr du recht hast,
je mehr rechtfertigst du mich und mein Vorhaben. Ist es wirklich, wie
du sagst, so wären wir geborene Hazardeurs, und ~Va banque~ spielen so
recht eigentlich unsere Natur. Und natürlich auch die meinige.«
Er hörte sie gern in dieser Weise sprechen, es klang ihm wie aus guter,
alter Zeit her, und er sagte, während er den Fauteuil vertraulich
näher rückte: »Laß uns nicht spießbürgerlich sein, Lanni. Sie sagen,
ich wär ein Bourgeois, und es mag sein. Aber ein Spießbürger bin ich
+nicht+. Und wenn ich die Dinge des Lebens nicht sehr groß und nicht
sehr ideal nehme, so nehm' ich sie doch auch nicht klein und eng. Ich
bitte dich, übereile nichts. Meine Kurse stehen jetzt niedrig, aber sie
werden wieder steigen. Ich bin nicht Geck genug, mir einzubilden, daß
du schönes und liebenswürdiges Geschöpf, verwöhnt und ausgezeichnet
von den Klügsten und Besten, daß du mich aus purer Neigung oder gar
aus Liebesschwärmerei genommen hättest. Du hast mich genommen, weil
du noch jung warst und noch keinen liebtest, und in deinem witzigen
und gesunden Sinn einsehen mochtest, daß die jungen Attachés auch
keine Helden und Halbgötter wären. Und weil die Firma Van der Straaten
einen guten Klang hatte. Also nichts von Liebe. Aber du hast auch
nichts +gegen+ mich gehabt und hast mich nicht ganz alltäglich
gefunden und hast mit mir geplaudert und gelacht und gescherzt. Und
dann hatten wir die Kinder, die doch schließlich reizende Kinder
sind, zugestanden +dein+ Verdienst, und du hast ~enfin~ an die zehn
Jahr in der Vorstellung und Erfahrung gelebt, daß es nicht zu den
schlimmsten Dingen zählt, eine junge, bequem gebettete Frau zu sein
und der Augapfel ihres Mannes, eine junge, verwöhnte Frau, die tun
und lassen kann, was sie will, und als Gegenleistung nichts andres
einzusetzen braucht, als ein freundliches Gesicht, wenn es ihr gerade
paßt. Und sieh, Melanie, weiter will ich auch jetzt nichts, oder sag'
ich lieber, will ich auch in Zukunft nichts. Denn in diesem Augenblick
erscheint dir auch das Wenige, was ich fordere, noch als zu viel. Aber
es wird wieder anders, muß wieder anders werden. Und ich wiederhole
dir, ein Minimum ist mir genug. Ich will keine Leidenschaft. Ich will
nicht, daß du mich ansehen sollst, als ob ich Leone Leoni wär' oder
irgend ein anderer großer Romanheld, dem zuliebe die Weiber Giftbecher
trinken wie Mandelmilch und lächelnd sterben, bloß um +ihn+ noch einmal
lächeln zu sehen. Ich bin nicht Leone Leoni, bin bloß deutsch und von
holländischer Abstraktion, wodurch das Deutsche nicht besser wird, und
habe die mir abstammlich zukommenden hohen Backenknochen. Ich bewege
mich nicht in Illusionen, am wenigsten über meinen äußeren Menschen,
und ich verlange keine Liebesgroßtaten von dir. Auch nicht einmal
Entsagungen. Entsagungen machen sich zuletzt von selbst, und das sind
die besten. Die besten, weil es die freiwilligen und eben deshalb auch
die dauerhaften und zuverlässigen sind. Übereile nichts. Es wird sich
alles wieder zurechtrücken.«
Er war aufgestanden und hatte die Lehne des Fauteuils genommen, auf
der er sich jetzt hin und her wiegte. »Und nun noch eins, Lanni,« fuhr
er fort, »ich bin nicht der Mann der Rücksichtsnahmen und hasse diese
langweiligen »Regards« auf nichts und wieder nichts. Aber dennoch sag'
ich dir, nimm Rücksicht auf dich +selbst+. Es ist nicht gut, immer nur
an das zu denken, was die Leute sagen, aber es ist noch weniger gut,
gar nicht daran zu denken. Ich hab' es an mir selbst erfahren. Und nun
überlege. Wenn du +jetzt+ gehst ... Du weißt, was ich meine. Du kannst
jetzt nicht gehen; nicht +jetzt+.«
»Eben deshalb geh' ich, Ezel,« antwortete sie leise. »Es soll klar
zwischen uns werden. Ich habe diese schnöde Lüge satt.«
Er hatte jedes Wort begierig eingesogen, wie man in entscheidenden
Momenten auch das hören will, was einem den Tod gibt. Und nun war es
gesprochen. Er ließ den Stuhl wieder nieder und warf sich hinein,
und einen Augenblick war es ihm, als schwänden ihm die Sinne. Aber
er erholte sich rasch wieder, rieb sich Stirn und Schläfe und sagte:
»Gut. Auch das. Ich will es verwinden. Laß uns miteinander reden. Auch
darüber reden. Du siehst, ich leide; mehr als all mein Lebtag. Aber ich
weiß auch, es ist so Lauf der Welt und ich habe kein Recht, dir Moral
zu predigen. Was liegt nicht alles hinter mir! ... Es mußte so kommen,
+mußte+ nach dem Van der Straatenschen Hausgesetz (warum sollen wir
nicht auch ein Hausgesetz haben) und ich glaube fast, ich wußt' es von
Jugend auf.« Und nach einer Weile fuhr er fort: »Es gibt ein Sprichwort
›Gottes Mühlen mahlen langsam‹ und sieh, als ich noch ein kleiner Junge
war, hört' ich's oft von unserer alten Kindermuhme und mir wurd' immer
so bange dabei. Es war wohl eine Vorahnung. Nun bin ich zwischen den
zwei Steinen und mir ist, als würd' ich zermahlen und zermalmt ...«
»Zermahlen?« Er schlug mit der rechten in die linke Hand und
wiederholte noch einmal und in plötzlich verändertem Tone: »Zermahlen!
Es hat eigentlich etwas Komisches. Und wahrhaftig, hol' die Pest
alle feigen Memmen. Ich will mich nicht länger damit quälen. Und ich
ärgere mich über mich selbst und meine Haberei und Tuerei. Bah, die
Nachmittagsprediger der Weltgeschichte machen zu viel davon, und wir
sind dumm genug und plappern es ihnen nach. Und immer mit Vergessen
allereigenster Herrlichkeit, und immer mit Vergessen, wie's war
und ist und sein wird. Oder war es besser in den Tagen meines Paten
Ezechiel? Oder als Adam grub und Eva spann? Ist nicht das ganze Alte
Testament ein Sensationsroman? Dreidoppelte Geheimnisse von Paris! Und
ich sage dir, Lanni, gemessen an +dem+, sind wir die reinen Lämmchen,
weiß wie Schnee. Waisenkinder. Und so höre mich denn. Es soll niemand
davon wissen, und ich will es halten, als ob es mein eigen wäre. Deine
ist es ja, und das ist die Hauptsache. Denn so du's nicht übel nimmst,
ich liebe dich und will dich behalten. Bleib. Es soll nichts sein.
+Soll+ nicht. Aber bleibe.«
Melanie war, als er zu sprechen begann, tief erschüttert gewesen, aber
er selbst hatte, je weiter er kam, dieses Gefühl wieder weggesprochen.
Es war eben immer dasselbe Lied. Alles, was er sagte, kam aus einem
Herzen voll Gütigkeit und Nachsicht, aber die Form, in die sich
diese Nachsicht kleidete, verletzte wieder. Er behandelte das, was
vorgefallen, aller Erschütterung unerachtet, doch bagatellmäßig obenhin
und mit einem starken Anfluge von zynischem Humor. Es war wohlgemeint,
und die von ihm geliebte Frau sollte, seinem Wunsche nach, den Vorteil
davon ziehn. Aber ihre vornehmere Natur sträubte sich innerlichst gegen
eine solche Behandlungsweise. Das Geschehene, das wußte sie, war ihre
Verurteilung vor der Welt, war ihre Demütigung, aber es war doch auch
zugleich ihr Stolz, dies Einsetzen ihrer Existenz, dies rückhaltlose
Bekenntnis ihrer Neigung. Und nun plötzlich sollt' es +nichts+ sein,
oder doch nicht viel mehr als nichts, etwas ganz Alltägliches, über
das sich hinwegsehn und hinweggehen lasse. Das widerstand ihr. Und
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