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L'Adultera: Roman - 03

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  immer mit. Und sein ewiger Samtrock wird ihn auch nicht retten. Nicht
  ihn und nicht euch. Oder wollt ihr mir das alles als himmlischen Zauber
  kredenzen? Ich sag' euch, fauler Zauber. Und das ist es, was ich
  zweierlei Maß genannt habe. Den Murillozauber möchtet ihr zu Hexerei
  stempeln und die Wagnerhexerei möchtet ihr in Zauber verwandeln. Ich
  aber sag' euch, es liegt umgekehrt, und wenn es +nicht+ umgekehrt
  liegt, so sollt ihr mir wenigstens keinen Unterschied machen. Denn
  es ist schließlich alles ganz egal und mit Permission zu sagen alles
  Jacke ...«
  Der aus der vergleichendsten Kleidersprache genommene Berolinismus,
  mit dem er seinen Satz abzuschließen gedachte, wurde auch wirklich
  gesprochen, aber er verklang in einem Getöse, das der Major durch einen
  geschickt kombinierten Angriff von Gläserklopfen und Stuhlrücken in
  Szene zu setzen gewußt hatte. Zugleich begann er: »Meine verehrten
  Freunde, das Wort Hexenmeister ist gefallen. Ein vorzügliches Wort!
  So lassen wir sie denn leben, alle diese Tannhäuser, wobei sich jeder
  das Seine denken mag. Ich trinke auf das Wohl der Hexenmeister. Denn
  alle Kunst ist Hexerei. Rechten wir nicht mit dem Wort. Was sind Worte?
  Schall und Rauch. Stoßen wir an. Hoch, hoch.«
  Und mit einer wohlgemeinten Kraftanstrengung, in der jetzt jeder
  zitternde Ton fehlte, wurde zugestimmt, namentlich auch von seiten
  der beiden Maler, und kaum einer war da, der nicht an eine glücklich
  beseitigte Gefahr geglaubt hätte. Aber mit Unrecht. Van der Straaten,
  absolut unerzogen, konnte, vielleicht weil er dies Manko fühlte,
  nichts so wenig ertragen, als auf Unerzogenheiten aufmerksam gemacht
  zu werden: er vergaß sich dann ganz und gar, und der Dünkel des
  reichen Mannes, der gewohnt war zu helfen, nach allen Seiten hin zu
  helfen, stieg ihm dann zu Kopf und schlug in Wellen über ihm zusammen.
  Und so auch jetzt. Er erhob sich und sagte: »Kupierungen sind etwas
  Wundervolles. Keine Frage. Ich beispielsweise kupiere Kupons. Ein
  inferiores Geschäft, das unter Umständen nichtsdestoweniger einen
  Anspruch darauf gibt, gegen Wort- und Redekupierungen gesichert zu
  sein, namentlich gegen solche, die reprimandieren und erziehen wollen.
  Ich bin erzogen.«
  Er hatte mit vor Erregung zitternder Stimme gesprochen, aber mit
  zugekniffenem Auge fest zu dem Major hinübergesehen. Dieser, ein
  vollkommener Weltmann, lächelte vor sich hin und blinkte nur leise
  den beiden Damen zu, daß sie sich beruhigen möchten. Dann ergriff er
  sein Glas ein zweites Mal, gab seinen Zügen, ohne sich sonderlich
  anzustrengen, einen freundlichen Ausdruck und sagte zu Van der
  Straaten: »Es ist so viel von Kupieren gesprochen worden; kupieren wir
  auch das. Ich lebe der festen Überzeugung ...«
  In eben diesem Augenblicke sprang der Pfropfen von einer der im
  Weinkühler stehenden Flaschen und Gryczinski, rasch den Vorteil
  erspähend, den er aus diesem Zwischenfalle ziehen konnte, brach
  inmitten des Satzes ab und sagte nur, während er, unter leiser
  Verbeugung, seines Schwagers Glas füllte: »Friede sei ihr erst Geläute!«
  Solchem Appell zu widerstehen, war Van der Straaten der letzte. »Mein
  lieber Gryczinski,« hob er in plötzlich erwachter Sentimentalität an,
  »wir verstehen uns, wir haben uns immer verstanden. Gib mir deine Hand.
  Lacrymae Christi, Friedrich. Rasch. Das Beste daran ist freilich der
  Name. Aber er hat ihn nun mal. Jeder hat nun mal das Seine, der eine
  dies, der andre das.«
  »Allerdings,« lachte Gabler.
  »Ach Arnold, du überschätzt das. Glaube mir, der Selige hatte recht.
  Gold ist nur Schimäre. Und Elimar würd' es mir bestätigen, wenn es
  nicht ein Satz aus einer überwundenen Oper wäre. Ich muß sagen,
  leider überwunden. Denn ich liebe Nonnen, die tanzen. Aber da kommt
  die Flasche. Laß nur Staub und Spinnweb. Sie muß in ihrer ganzen
  unabgeputzten Heiligkeit verbleiben. Lacrymae Christi. Wie das klingt!«
  Und die frühere Heiterkeit kehrte wieder oder schien wenigstens
  wiederzukehren, und als Van der Straaten fortfuhr, in wahren
  Ungeheuerlichkeiten über Christustränen, Erlöserblut und
  Versöhnungswein zu sprechen, durfte Melanie schließlich die Bemerkung
  wagen: »Du vergißt, Ezel, daß der Polizeirat katholisch ist.«
  »Ich bitte recht sehr,« sagte Reiff, als ob er auf etwas Unerlaubtem
  ertappt worden wäre.
  Van der Straaten aber verschwor sich hoch und teuer, daß ein vierzig
  Jahre lang treu geleisteter Sicherheitsdienst über alles konfessionelle
  Plus oder Minus hinaus entscheidend sein und vor dem Richterstuhle
  der Ewigkeit angerechnet werden müsse. Und als bald darauf die Gläser
  abermals gefüllt und geleert worden waren, rückte Melanie den Stuhl,
  und man erhob sich, um im Nebenzimmer den Kaffee zu nehmen.
  
  
  6
  Auf dem Heimwege
  
  Die Kaffeestunde verlief ohne Zwischenfall, und es war bereits gegen
  zehn, als der Diener meldete, daß der Wagen vorgefahren sei. Diese
  Meldung galt dem Gryczinskischen Paare, das, an den Dinertagen, seine
  Heimfahrt in der ihm bei dieser Gelegenheit ein für allemal zur
  Verfügung gestellten kommerzienrätlichen Equipage zu machen pflegte.
  Mäntel und Hüte wurden gebracht, und die schöne Jakobine, Hals und
  Kopf in ein weißes Filettuch gehüllt, stand alsbald in der Mitte des
  Kreises und wartete lachend und geduldig auf die beiden Maler, denen
  Gryczinski noch im letzten Augenblicke die Mitfahrt angeboten hatte.
  Das Parlamentieren darüber wollte kein Ende nehmen, und erst als man
  unten am Wagenschlage stand, entschied sich's und Gabler placierte
  sich nunmehr ohne weiteres auf den Rücksitz, während Elimar mit einem
  kräftigen Turnerschwunge seinen Platz auf dem Bocke nahm, angeblich
  aus Rücksicht gegen die Wageninsassen, in Wahrheit aus eigener
  Bequemlichkeit und Neugier. Er sehnte sich nämlich nach einem Gespräche
  mit dem Kutscher.
  Dieser, auch noch ein Erbstück aus des alten Van der Straaten Zeiten
  her, führte den unkutscherlichen Namen Emil, der jedoch seit lange
  seinen Verhältnissen angepaßt und in ein plattdeutsches »Ehm« abgekürzt
  worden war. Mit um so größerem Recht, als er wirklich in Fritz
  Reuterschen Gegenden das Licht der Welt erblickt und sich bis diesen
  Tag, neben seinem Berliner Jargon, einen Rest heimatlicher Sprache
  konserviert hatte. Elimar, einer seiner Bevorzugten, nahm gleich im
  ersten Momente des Zurechtrückens ein mehrklappiges Lederfutteral
  heraus, steckte dem Alten eine der obenaufliegenden Zigarren zu und
  sagte vertraulich: »Für'n Rückweg, Ehm.«
  Dieser fuhr mit der Rechten dankend an seinen Kutscherhut und damit
  waren die Präliminarien geschlossen.
  Als sie bald darauf bei der Normaluhr auf dem Spittelmarkte vorüber
  kamen und in eine der schlechtgepflasterten Seitenstraßen einbogen,
  hielt Elimar den ersehnten Zeitpunkt für gekommen und sagte:
  »Ist denn der neue Herr schon da?«
  »Der Frankfurtsche? Ne, noch nich, Herr Schulze.«
  »Na, dann muß er aber doch bald ...«
  »I, woll. Bald muß er. Ich denke, so nächste Woche. Un de Stuben sind
  ooch all tapziert. Jott, se duhn ja, wie wenn't en Prinz wär', erst der
  Herr un nu ooch de Jnädge. Un Christel meent, he sall man en Jüdscher
  sinn.«
  »Aber reich. Und Offizier. Das heißt bei der Landwehr oder so.«
  »Is et möglich?«
  »Und er soll auch singen.«
  »Ja, singen wird er woll.«
  Elimar war eitel genug, an dieser letzteren Äußerung Anstoß zu nehmen,
  und da sich's gerade traf, daß in eben diesem Augenblicke der Wagen aus
  dem Wallstraßenportal auf den abendlich-stillen Opernplatz einbog, so
  gab er das Gespräch um so lieber auf, als er nicht wollte, daß dasselbe
  von den Insassen des Wagens verstanden würde.
  Von seiten dieser war bis dahin kein Wort gewechselt worden, nicht
  aus Verstimmung, sondern nur aus Rücksicht gegen die junge Frau, die,
  herzlich froh über den zur Hälfte freigebliebenen Rücksitz, ihre
  kleinen Füße gegen das Polsterkissen gestemmt und sich bequem in den
  Fond des Wagens zurückgelehnt hatte. Sie war gleich beim Einsteigen
  ersichtlich müde gewesen, hatte, wie zur Entschuldigung, etwas von
  Champagner und Kopfweh gesprochen, das Filettuch dabei höher gezogen
  und ihre Augen geschlossen. Erst als sie zwischen dem Palais und dem
  Friedrichsmonumente hinfuhren, richtete sie sich wieder auf, weil sie
  jenen Allerloyalsten zugehörte, die sich schon beglückt fühlen, einen
  bloßen Schattenriß an dem herabgelassenen Vorhange des Eckfensters
  gesehn zu haben. Und wirklich, sie sah ihn und gab in ihrer reizenden,
  halb kindlich, halb koketten Weise, der Freude darüber Ausdruck.
  Ihr Geplauder hatte noch nicht geendet, als der Wagen am Brandenburger
  Tore hielt. Im Nu waren beide Maler, deren Weg hier abzweigte, von
  ihren Plätzen herunter und empfahlen sich dankend dem liebenswürdigen
  Paare, das nun seinerseits durch die breite Schrägallee auf das
  Siegesdenkmal und die dahinter gelegene Alsenstraße zufuhr.
  Als sie mitten auf dem von bunten Lichtern überstrahlten Platze waren,
  schmiegte sich die schöne junge Frau zärtlich an ihren Gatten und
  sagte: »War das ein Tag, Otto. Ich habe dich bewundert.«
  »Es wurde mir leichter, als du denkst. Ich spiele mit ihm. Er ist ein
  altes Kind.«
  »Und Melanie! ... Glaube mir, sie fühlt es. Und sie tut mir leid. Du
  lächelst so. Dir nicht?«
  »Ja und nein, ~ma chère~. Man hat eben nichts umsonst in der Welt. Sie
  hat eine Villa und eine Bildergalerie ...«
  »Aus der sie sich nichts macht. Du weißt ja, wie wenig sie daran
  hängt ...«
  »Und hat zwei reizende Kinder ...«
  »Um die ich sie fast beneide.«
  »Nun, siehst du,« lachte der Major. »Ein jeder hat die Kunst zu lernen,
  sich zu bescheiden und einzuschränken. Wär' ich mein Schwager, so würd'
  ich sagen ...«
  Aber sie schloß ihm den Mund mit einem Kuß, und im nächsten Augenblicke
  hielt der Wagen.
   * * * * *
  Die beiden Räte, der Legations- und der Polizeirat, waren an der Ecke
  des Petriplatzes in eine Droschke gestiegen, um bis an das Potsdamer
  Tor zu fahren. Von hier aus wollten sie den Rest des Weges, um der
  frischen Abendluft willen, zu Fuß machen. In Wahrheit aber hielten sie
  bloß zu dem Satze, »daß man im Kleinen sparen müsse, um sich im Großen
  legitimieren zu können,« wobei leider nur zu bedauern blieb, daß ihnen
  die »großen Gelegenheiten« entweder nie gekommen, oder regelmäßig von
  ihnen versäumt worden waren.
  Unterwegs, solange die Fahrt dauerte, war kein Wort gewechselt worden,
  und erst beim Aussteigen hatte, bei der nun nötig werdenden Division
  von 2 in 6, ein Gespräch begonnen, das alle Parteien zufriedengestellt
  zu haben schien. Nur nicht den Kutscher. Beide Räte hüteten sich
  deshalb auch, sich nach dem letzteren umzusehen, vor allem Duquede,
  der, außerdem noch ein abgeschworener Feind aller Platzübergänge mit
  Eisenbahnschienen und Pferdebahngeklingel, überhaupt erst wieder in
  Ruhe kam, als er die schon frisch in Knospen stehende Bellevuestraße
  glücklich erreicht hatte.
  Reiff folgte, schob sich artig und respektvoll an die linke Seite des
  Legationsrates und sagte plötzlich und unvermittelt:
  »Es war doch wieder eine recht peinliche Geschichte heute. Finden Sie
  nicht? Und ehrlich gestanden, ich begreif' ihn nicht. Er ist doch nun
  fünfzig und darüber und sollte sich die Hörner abgelaufen haben. Aber
  er ist und bleibt ein Durchgänger.«
  »Ja,« sagte Duquede, der einen Augenblick still stand, um Atem zu
  schöpfen, »etwas Durchgängerisches hat er. Aber, lieber Freund, warum
  soll er es nicht haben? Ich taxier' ihn auf eine Million, seine Bilder
  ungerechnet, und ich sehe nicht ein, warum einer in seinem eigenen
  Haus und an seinem eigenen Tisch nicht sprechen soll, wie ihm der
  Schnabel gewachsen ist. Ich bekenn' Ihnen offen, Reiff, ich freue mich
  immer, wenn er mal so zwischenfährt. Der Alte war auch so, nur viel
  schlimmer, und es hieß schon damals, vor vierzig Jahren: »Es sei doch
  ein sonderbares Haus und man könne eigentlich nicht hingehen.« Aber
  uneigentlich ging alles hin. Und so war es, und so ist es geblieben.«
  »Es fehlt ihm aber doch wirklich an Bildung und Erziehung.«
  »Ach, ich bitte Sie, Reiff, gehen Sie mir mit Bildung und Erziehung.
  Das sind so zwei ganz moderne Wörter, die der »Große Mann« aufgebracht
  haben könnte, so sehr hass' ich sie. Bildung und Erziehung. Erstlich
  ist es in der Regel nicht viel damit, und wenn es mal was ist, dann ist
  es auch noch nichts. Glauben Sie mir, es wird überschätzt. Und kommt
  auch nur bei uns vor. Und warum? Weil wir nichts Besseres haben. Wer
  gar nichts hat, der ist gebildet. Wer aber so viel hat, wie Van der
  Straaten, der braucht all die Dummheiten nicht. Er hat einen guten
  Verstand und einen guten Witz, und was noch mehr sagen will, einen
  guten Kredit. Bildung, Bildung. Es ist zum Lachen.«
  »Ich weiß doch nicht, ob Sie recht haben, Duquede. Ja, wenn es
  geblieben wäre, wie früher. Junggesellenwirtschaft. Aber nun hat er die
  junge Frau geheiratet, jung und schön und klug ...«
  »Nu, nu, Reiff. Nur nicht extravagant. Es ist damit nicht soweit her,
  wie Sie glauben; sie ist 'ne Fremde, französische Schweiz, und an allem
  Fremden verkucken sich die Berliner. Das ist wie Amen in der Kirche.
  Sie hat so ein bißchen Genfer Schick. Aber was will das am Ende sagen.
  Alles was die Genfer haben, ist doch auch bloß aus zweiter Hand. Und
  nun gar klug. Ich bitte Sie, was heißt klug? Er ist viel klüger. Oder
  glauben Sie, daß es auf 'ne französische Vokabel ankommt? oder auf den
  Erlkönig? Ich gebe zu, sie hat ein paar niedliche Manierchen und weiß
  sich unter Umständen ein Air zu geben. Aber es ist nicht viel dahinter,
  alles Firlefanz, und wird kolossal überschätzt.«
  »Ich weiß doch nicht, ob Sie recht haben,« wiederholte der Polizeirat.
  »Und dann ist sie doch schließlich von Familie.«
  Duquede lachte. »Nein, Reiff, +das+ ist sie nun schließlich nicht.
  Und ich sag' Ihnen, da haben wir den Punkt, auf dem ich keinen Spaß
  verstehe. Caparoux. Es klingt nach was. Zugestanden. Aber was heißt es
  denn am Ende? Rotkapp oder Rotkäppchen. Das ist ein Märchenname, aber
  kein Adelsname. Ich habe mich darum gekümmert und nachgeschlagen. Und
  im Vertrauen, Reiff, es gibt gar keine de Caparoux.«
  »Aber bedenken Sie doch den Major! Er hat alle Sorten Stolz und wird
  sich doch schwerlich eine Mesalliance nachsagen lassen wollen.«
  »Ich kenn' ihn besser. Er ist ein Streber. Oder sagen wir einfach,
  er ist ein Generalstäbler. Ich hasse die ganze Gesellschaft, und
  glauben Sie mir, Reiff, ich weiß warum. Unsere Generalstäbler werden
  überschätzt, kolossal überschätzt.«
  »Ich weiß doch nicht, ob Sie recht haben,« ließ sich der Polizeirat ein
  drittes Mal vernehmen. »Bedenken Sie bloß, was Stoffel gesagt hat. Und
  nachher kam es auch so. Aber ich will nur von Gryczinski sprechen. Wie
  liebenswürdig benahm er sich heute wieder! Wie liebenswürdig und wie
  vornehm.«
  »Ah, bah, vornehm. Ich bilde mir auch ein, zu wissen, was vornehm
  ist. Und ich sag' Ihnen, Reiff, Vornehmheit ist anders. Vornehm!
  Ein Schlaukopf ist er und weiter nichts. Oder glauben Sie, daß er
  die kleine Rotblondine mit den ewigen Schmachtaugen geheiratet hat,
  weil sie Caparoux hieß, oder meinetwegen auch de Caparoux? Er hat sie
  geheiratet, weil sie die Schwester ihrer Schwester ist. Du himmlischer
  Vater, daß ich einem Polizeirat solche Lektion halten muß.«
  Der Polizeirat, dessen Schwachheiten nach der erotischen Seite hin
  lagen, las aus diesen andeutenden Worten ein Liebesverhältnis zwischen
  dem Major und Melanie heraus und sah den langen hageren Duquede von der
  Seite her betroffen an.
  Dieser aber lachte und sagte: »Nicht +so+, Reiff, nicht +so+;
  Karrieremacher sind immer nur Courmacher. Nichts weiter. Es gibt
  heutzutage Personen (und auch +das+ verdanken wir unsrem großen
  Reichsbaumeister, der die soliden Werkleute fallen läßt oder beiseite
  schiebt), es gibt, sag' ich, heutzutage Personen, denen alles bloß
  Mittel zum Zweck ist. Auch die Liebe. Und zu diesen Personen gehört
  auch unser Freund, der Major. Ich hätte nicht sagen sollen, er hat die
  Kleine geheiratet, weil sie die Schwester ihrer Schwester ist, sondern
  weil sie die Schwägerin ihres Schwagers ist. Er +braucht+ diesen
  Schwager, und ich sag' Ihnen, Reiff, denn ich kenne den Ton und die
  Strömung oben, es gibt weniges, was nach oben hin +so+ empfiehlt, wie
  das. Ein Schwager-Kommerzienrat ist nicht viel weniger wert, als ein
  Schwiegervater-Kommerzienrat und rangiert wenigstens gleich dahinter.
  Unter allen Umständen aber sind Kommerzienräte wie konsolidierte Fonds,
  auf die jeden Augenblick gezogen werden kann. Es ist immer Deckung da.«
  »Sie wollen also sagen ...«
  »Ich will gar nichts sagen, Reiff ... Ich meine nur so.«
  Und damit waren sie bis an die Bendlerstraße gekommen, wo beide sich
  trennten. Reiff ging auf die Von der Heydt-Brücke zu, während Duquede
  seinen Weg in gerader Richtung fortsetzte.
  Er wohnte dicht an der Hofjägerallee, sehr hoch, aber in einem sehr
  vornehmen Hause.
  
  
  7
  Ebenezer Rubehn
  
  Wenige Tage später hatte Melanie das Stadthaus verlassen und die
  Tiergartenvilla bezogen. Van der Straaten selbst machte diesen Umzug
  nicht mit und war, so sehr er die Villa liebte, doch immer erst vom
  September an andauernd draußen. Und auch das nur, weil er ein noch
  leidenschaftlicherer Obstzüchter als Bildersammler war. Bis dahin
  erschien er nur jeden dritten Tag als Gast und versicherte dabei
  jedem, der es hören wollte, daß dies die stundenweis ihm nachgezahlten
  Flitterwochen seiner Ehe seien. Melanie hütete sich wohl, zu
  widersprechen, war vielmehr die Liebenswürdigkeit selbst, und genoß in
  den zwischenliegenden Tagen das Glück ihrer Freiheit. Und dieses Glück
  war um vieles größer, als man, ihrer Stellung nach, die so dominierend
  und so frei schien, hätte glauben sollen. Denn sie dominierte nur,
  weil sie sich zu zwingen verstand; aber dieses Zwanges los und ledig
  zu sein, blieb doch ihr Wunsch, ihr beständiges, stilles Verlangen.
  Und das erfüllten ihr die Sommertage. Da hatte sie Ruhe vor seinen
  Liebesbeweisen und seinen Ungeniertheiten, nicht immer, aber doch
  meist, und das Bewußtsein davon gab ihr ein unendliches Wohlgefühl.
  Und dieses Wohlgefühl steigerte sich noch in dem entzückenden und
  beinah ungestörten Stilleben, dessen sie draußen genoß. Wohl liebte
  sie Stadt und Gesellschaft und den Ton der großen Welt, aber wenn
  die Schwalben wieder zwitscherten und der Flieder wieder zu knospen
  begann, da zog sie's doch in die Parkeinsamkeit hinaus, die wiederum
  kaum eine Einsamkeit war, denn neben der Natur, deren Sprache sie
  wohl verstand, hatte sie Bücher und Musik, und -- die Kinder. Die
  Kinder, die sie während der Saison oft tagelang nicht sah und an deren
  Aufwachsen und Lernen sie draußen in der Villa den regsten Anteil nahm.
  Ja, sie half selber nach, in den Sprachen, vor allem im Französischen,
  und durchblätterte mit ihnen Atlas und historische Bilderbücher. Und
  an alles knüpfte sie Geschichten, die sie dem Gedächtnis der Kinder
  einzuprägen wußte. Denn sie war gescheit und hatte die Gabe, von allem,
  worüber sie sprach, ein klares und anschauliches Bild zu geben.
  Es waren glückliche stille Tage.
  Möglich dennoch, daß es zu stille Tage gewesen wären, wenn das tiefste
  Bedürfnis der Frauennatur: das Plauderbedürfnis, unbefriedigt geblieben
  wäre. Aber dafür war gesorgt. Wie fast alle reichen Häuser, hatten auch
  die Van der Straatens einen Anhang ganz alter und halb alter Damen,
  die zu Weihnachten beschenkt und im Laufe des Jahres zu Kaffees und
  Landpartien eingeladen wurden. Es waren ihrer sieben oder acht, unter
  denen jedoch zwei durch eine besonders intime Stellung hervorragten,
  und zwar das kleine verwachsene Fräulein Friederike von Sawatzki und
  das stattlich hochaufgeschossene Klavier- und Singefräulein: Anastasia
  Schmidt. Ihrer apart bevorzugten Stellung entsprach es denn auch, daß
  sie jeden zweiten Osterfeiertag durch Van der Straaten in Person
  befragt wurden, ob sie sich entschließen könnten, seiner Frau während
  der Sommermonate draußen in der Villa Gesellschaft zu leisten, eine
  Frage, die jedesmal mit einer Verbeugung und einem freundlichen »ja«
  beantwortet wurde. Aber doch nicht +zu+ freundlich, denn man wollte
  nicht verraten, daß die Frage erwartet war.
  Und beide Damen waren auch in diesem Jahre, wie herkömmlich, als
  ~Dames d'honneur~ installiert worden, hatten den Umzug mitgemacht, und
  erschienen jeden Morgen auf der Veranda, um gegen neun Uhr mit den
  Kindern das erste und um zwölf mit Melanie das zweite Frühstück zu
  nehmen.
  Auch heute wieder.
  Es mochte schon gegen eins sein und das Frühstück war beendet. Aber
  der Tisch noch nicht abgedeckt. Ein leiser Luftzug, der ging und
  sich verstärkte, weil alle Türen und Fenster offen standen, bewegte
  das rotgemusterte Tischtuch und von dem am andern Ende des Korridors
  gelegenen Musikzimmer her hörte man ein Stück der Cramerschen
  Klavierschule, dessen mangelhaften Takt in Ordnung zu bringen Fräulein
  Anastasia Schmidt sich anstrengte. »Eins zwei, eins zwei.« Aber niemand
  achtete dieser Anstrengungen, am wenigsten Melanie, die neben Fräulein
  Riekchen, wie man sie gewöhnlich hieß, in einem Gartenstuhle saß und
  dann und wann von ihrer Handarbeit aufsah, um das reizende Parkbild
  unmittelbar um sie her, trotzdem sie jeden kleinsten Zug darin kannte,
  auf sich wirken zu lassen.
  Es war selbstverständlich die schönste Stelle der ganzen Anlage. Denn
  von hundert Gästen, die kamen, begnügten sich neunundneunzig damit,
  den Park von hier aus zu betrachten und zu beurteilen. Am Ende des
  Hauptganges, zwischen den eben ergrünenden Bäumen hin, sah man das
  Zittern und Flimmern des vorüberziehenden Stromes, aus der Mitte der
  überall eingestreuten Rasenflächen aber erhoben sich Aloen und Bosketts
  und Glaskugeln und Bassins. Eines der kleineren plätscherte, während
  auf der Einfassung des großen ein Pfauhahn saß und die Mittagsonne mit
  seinem Gefieder einzusaugen schien. Tauben und Perlhühner waren bis in
  unmittelbare Nähe der Veranda gekommen, von der aus Riekchen ihnen eben
  Krumen streute.
  »Du gewöhnst sie zu sehr an diesen Platz,« sagte Melanie. »Und wir
  werden einen Krieg mit Van der Straaten haben.«
  »Ich fecht' ihn schon aus,« entgegnete die Kleine.
  »Ja, du darfst es dir wenigstens zutrauen. Und wirklich, Riekchen, ich
  könnte ~jaloux~ werden, so sehr bevorzugt er dich. Ich glaube, du bist
  der einzige Mensch, der ihm alles sagen darf, und soviel ich weiß,
  ist er noch nie heftig gegen dich geworden. Ob ihm dein alter Adel
  imponiert? Sage mir deinen vollen Namen und Titel. Ich hör' es so gern
  und vergeß' es immer wieder.«
  »Aloysia Friederike Sawat von Sawatzki, genannt Sattler von der Hölle,
  Stiftsanwärterin auf Kloster Himmelpfort in der Uckermark.«
  »Wunderschön,« sagte Melanie. »Wenn ich doch so heißen könnte! Und du
  kannst es glauben, Riekchen, das ist es, was einen Eindruck auf ihn
  macht.«
  Alles das war in herzlicher Heiterkeit gesagt und von Riekchen auch so
  beantwortet worden. Jetzt aber rückte diese den Stuhl näher an Melanie
  heran, nahm die Hand der jungen Frau und sagte: »Eigentlich sollt' ich
  böse sein, daß du deinen Spott mit mir hast. Aber wer könnte dir böse
  sein?«
  »Ich spotte nicht,« entgegnete Melanie. »Du mußt doch selber finden,
  daß er dich artiger und rücksichtsvoller behandelt als jeden andren
  Menschen.«
  »Ja,« sagte jetzt das arme Fräulein und ihre Stimme zitterte vor
  Bewegung. »Er behandelt mich gut, weil er ein gutes Herz hat, ein
  viel besseres, als mancher denkt und vielleicht auch als du selber
  denkst. Und er ist auch gar nicht so rücksichtslos. Er kann nur nicht
  leiden, daß man ihn stört oder herausfordert, ich meine solche, die's
  eigentlich nicht sollten oder dürften. Sieh, Kind, dann beherrscht er
  sich nicht länger, aber nicht weil er's nicht könnte, nein, weil er
  nicht +will+. Und er braucht es auch nicht zu wollen. Und wenn man
  gerecht sein will, er kann es auch nicht wollen. Denn er ist reich,
  und alle reichen Leute lernen die Menschen von ihrer schlechtesten
  Seite kennen. Alles überstürzt sich, erst in Dienstfertigkeit und
  hinterher in Undank. Und Undank ernten, ist eine schlechte Schule für
  Zartheit und Liebe. Und deshalb glauben die Reichen an nichts Edles und
  Aufrichtiges in der Welt. Aber das sag' ich dir und muß ich dir immer
  wieder sagen, dein Van der Straaten ist besser, als mancher denkt und
  als du selber denkst.«
  Es entstand eine kleine Pause, nicht ganz ohne Verlegenheit, dann
  nickte Melanie freundlich dem alten Fräulein zu und sagte: »Sprich nur
  weiter. Ich höre dich gerne so.«
  »Und ich will auch,« sagte diese. »Sieh, ich habe dir schon gesagt, er
  behandelt mich gut, weil er ein gutes Herz hat. Aber das ist es noch
  nicht alles. Er ist auch so freundlich gegen mich, weil er mitleidig
  ist. Und mitleidig sein, ist noch viel mehr als bloß gütig sein und ist
  eigentlich das Beste, was die Menschen haben. Er lacht +auch+ immer,
  wenn er meinen langen Namen hört, geradeso wie du, aber ich hab' es
  gern, ihn so lachen zu hören, denn ich höre wohl heraus, was er dabei
  denkt und fühlt.«
  »Und was fühlt er denn?«
  »Er fühlt den Gegensatz zwischen dem Anspruch meines Namens und dem,
  was ich bin: arm und alt und einsam, und ein bloßes Figürchen. Und wenn
  ich sage Figürchen, so beschönige ich noch und schmeichle noch mir
  selbst.«
  Melanie hatte das Battisttuch ans Auge gedrückt und sagte: »Du hast
  recht. Du hast immer recht. Aber wo nur Anastasia bleibt, die Stunde
  nimmt ja gar kein Ende. Sie quält mir die Liddi viel zu sehr, und das
  Ende vom Lied ist, daß sie dem Kind einen Widerwillen beibringt. Und
  dann ist es vorbei. Denn ohne Lieb' und ohne Lust ist nichts in der
  Welt. Auch nicht einmal in der Musik ... Aber da kommt ja Teichgräber
  und will uns einen Besuch anmelden. Ich bin außer mir. Hätte viel
  lieber noch mit dir weiter geplaudert.«
  In eben diesem Augenblicke war der alte Parkhüter, der sich vergeblich
  nach einem von der Hausdienerschaft umgesehen hatte, bis an die Veranda
  herangetreten und überreichte eine Karte.
  Melanie las: »Ebenezer Rubehn (Firma Jakob Rubehn und Söhne) Leutnant
  in der Reserve des 5. Dragoner-Regiments ...«
  »Ah, sehr willkommen ... Ich lasse bitten ...« Und während sich der
  Alte wieder entfernte, fuhr Melanie gegen das kleine Fräulein in
  übermütiger Laune fort: »Auch wieder einer. Und noch dazu aus der
  Reserve! Mir widerwärtig, dieser ewige Leutnant. Es gibt gar keine
  Menschen mehr.«
  Und sehr wahrscheinlich, daß sie diese Betrachtungen fortgesetzt
  hätte, wenn nicht auf dem Kiesweg ein Knirschen hörbar geworden wäre,
  das über das rasche Näherkommen des Besuchs keinen Zweifel ließ. Und
  wirklich, im nächsten Augenblicke stand der Angemeldete vor der Veranda
  und verneigte sich gegen beide Damen.
  Melanie hatte sich erhoben und war ihm einen Schritt entgegengegangen.
  »Ich freue mich, Sie zu sehen. Erlauben Sie mir, Sie zunächst mit
  meiner lieben Freundin und Hausgenossin bekannt machen zu dürfen ...
  Herr Ebenezer Rubehn, ... Fräulein Friederike von Sawatzki!«
  Ein flüchtiges Erstaunen spiegelte sich ersichtlich in Rubehns Zügen,
  das, wenn Melanie richtig interpretierte, mehr noch dem kleinen
  verwachsenen Fräulein, als ihr selber galt. Ebenezer war indessen
  Weltmann genug, um seines Erstaunens rasch wieder Herr zu werden, und
  sich ein zweites Mal gegen die Freundin hin verneigend, bat er um
  Entschuldigung, seinen Besuch auf der Villa bis heute hinausgeschoben
  zu haben.
  Melanie ging leicht darüber hin, ihrerseits bittend, die Gemütlichkeit
  dieses ländlichen Empfanges und vor allem eines unabgeräumten
  Frühstückstisches entschuldigen zu wollen. »~Mais à la guerre, comme à
  la guerre~, eine kriegerische Wendung, an die mir's im übrigen ferne
  liegt, ernsthafte Kriegsgespräche knüpfen zu wollen.«
  »Gegen die Sie sich vielmehr unter allen Umständen gesichert haben
  möchten,« lachte Rubehn. »Aber fürchten Sie nichts. Ich weiß, daß sich
  Damen für das Kapitel Krieg nur so lange begeistern, als es Verwundete
  zu pflegen gibt. Von dem Augenblick an, wo der letzte Kranke das
  Lazarett verläßt, ist es mit dem Kriegseifer vorbei. Und wie die Frauen
  in allem recht haben, so auch hierin. Es ist das Traurigste von der
  
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