L'Adultera: Roman - 06

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und kennt trotzalledem nichts von dieser ganzen Herrlichkeit, als unser
Eß- und Musikzimmer und hier draußen die Veranda mit dem kreischenden
Pfau, der ihm natürlich ein Greuel ist. Aber er soll heute noch in
seinem halb freireichsstädtischen und halb überseeischen Hochmute
gedemütigt werden. Ich habe vor, mit deinem Obstgarten zu beginnen und
dem Obstgarten das Palmenhaus und dem Palmenhause das Aquarium folgen
zu lassen.«
»Ein gutes Programm, das mich nur hinsichtlich seiner letzten Nummer
etwas erschreckt oder wenigstens zur Vorsicht mahnen läßt. Sie müssen
nämlich wissen, Rubehn, was wir letzten Sommer in dieser erbärmlichen
Glaskastensammlung, die den stolzen Namen Aquarium führt, schaudernd
selbst erlebt haben. Nicht mehr und nicht weniger als einen Ausbruch,
Eruption, und ich höre noch Anastasias Aufschrei und werd' ihn hören
bis ans Ende meiner Tage. Denken Sie sich, eine der großen Glasscheiben
platzt, Ursache unbekannt, wahrscheinlich aber weil Gryczinski seinem
Füsiliersäbel eine falsche Direktive gegeben, und siehe da, ehe
wir drei zählen können, steht unser ganzer Aquariumflur nicht nur
handhoch unter Wasser, sondern auch alle Schrecken der Tiefe zappeln
um uns her, und ein großer Hecht umschnoppert Melanies Fußtaille mit
absichtlichster Vernachlässigung Tante Riekchens. Offenbar also ein
Kenner. Und in einem Anfalle wahnsinniger Eifersucht hab' ich ihn
schlachten lassen und seine Leber höchsteigenhändig verzehrt.«
Anastasia bestätigte die Zutreffendheit der Schilderung, und selbst
Melanie, die seit längerer Zeit ähnlichen Exkursen ihres Gatten mit
nur zu sichtlichem Widerstreben folgte, nahm heute wieder an der
allgemeinen Heiterkeit teil. Sie hatte sich schon vorher in dem
mit Rubehn geführten Gespräche derartig heraufgeschraubt, daß sie
wie geistig trunken und beinahe gleichgültig gegen Erwägungen und
Rücksichten war, die sie noch ganz vor kurzem gequält hatten. Sie sah
wieder alles von der lachenden Seite, selbst das Gewagteste, und faßte,
ohne sich Rechenschaft davon zu geben, den Entschluß, mit der ganzen
nervösen Feinfühligkeit dieser letzten Wochen ein für allemal brechen
und wieder keck und unbefangen in die Welt hinein leben zu wollen.
Van der Straaten aber, überglücklich, mit seinem Aquariumshecht einen
guten Abgang gefunden zu haben, griff nach Hut und Handschuh und
versprach, auf Eile dringen zu wollen, soweit sich, einem Minister
gegenüber, überhaupt auf irgend etwas dringen lasse.
Das waren seine letzten Worte. Gleich darauf hörte man das Knirschen
der Räder und empfing von außen her, über das Parkgitter hin, einen
absichtlich übertriebenen Feierlichkeitsgruß, in dem sich die ganze
Bedeutung eines Mannes ausdrücken sollte, der zum Minister fährt. Noch
dazu zum Finanzminister, der eigentlich immer ein Doppelminister ist.


12
Unter Palmen

Die Nachmittagsstunden vergingen, wie's Melanie geplant und Van der
Straaten gebilligt hatte. Dem anderthalbstündigen Musizieren folgte das
kleine Diner, opulenter als gedacht, und die Sonne stand eben noch über
den Bosketts, als man sich erhob, um draußen im »Orchard« ein zweites
Dessert von den Bäumen zu pflücken.
Dieser für allerhand Obstkulturen bestimmte Teil des Parkes lief,
an sonnigster Stelle, neben dem Fluß entlang und bestand aus einem
anscheinend endlosen Kieswege, der nach der Spree hin offen, nach
der Parkseite hin aber von Spalierwänden eingefaßt war. An diesen
Spalieren, in kunstvollster Weise behandelt und jeder einzelne Zweig
gehegt und gepflegt, reiften die feinsten Obstarten, während kaum
minder feine Sorten an nebenherlaufenden niederen Brettergestellen,
etwa nach Art großer Ananas-Erdbeeren, gezogen wurden.
Melanie hatte Rubehns Arm genommen, Anastasia folgte langsam und
in wachsenden Abständen; Heth aber auf ihrem Veloziped begleitete
die Mama, bald weit vorauf, bald dicht neben ihr, und wandte sich
dann wieder, ohne die geringste Ahnung davon, daß ihre rückseitige
Drapierung in ein immer komischeres und ungenierteres Fliegen
und Flattern kam. Melanie, wenn Heth die Wendung machte, suchte
jedesmal durch ein lebhafteres Sprechen über die kleine Verlegenheit
hinwegzukommen, bis Rubehn endlich ihre Hand nahm und sagte: »Lassen
wir doch das Kind. Es ist ja glücklich, beneidenswert glücklich. Und
Sie sehen, Freundin, ich lache nicht einmal.«
»Sie haben recht,« entgegnete Melanie. »Torheit und nichts weiter.
Unsere Scham ist unsere Schuld. Und eigentlich ist es rührend und
entzückend zugleich.« Und als der kleine Wildfang in eben diesem
Augenblicke wieder heranrollte, kommandierte sie selbst: »Rechtsum.
Und nicht zu nah an die Spree! Sehen Sie nur, wie sie hinfliegt.
Solange die Welt steht, hat keine Reiterei mit so fliegenden Fahnen
angegriffen.«
Unter solchem Gespräch waren sie bis an die Stelle gekommen, wo, von
der Parkseite her, ein breiter avenueartiger Weg in den langen und
schmalen Spaliergang einmündete. Hier, im Zentrum der ganzen Anlage,
erhoben sich denn auch, nach dem Vorbilde der berühmten englischen
Gärten in Kew, ein paar hohe, glasgekuppelte Palmenhäuser, an deren
eines sich ein altmodisches Treibhaus anlehnte, das, früher der
Herrschaft zugehörig, inzwischen mit all seinen Blattpflanzen und
Topfgewächsen in die Hände des alten Gärtners übergegangen und die
Grundlage zum Betrieb eines sehr einträglichen Privatgeschäftes
geworden war. Unmittelbar neben dem Treibhause hatte der Gärtner
seine Wohnung, ein nur zweifenstriges und ganz von Efeu überwachsenes
Häuschen, über das ein alter, schrägstehender Akazienbaum seine
Zweige breitete. Zwei, drei Steinstufen führten bis in den Flur und
neben diesen Stufen stand eine Bank, deren Rücklehne von dem Efeu mit
überwachsen war.
»Setzen wir uns,« sagte Melanie. »Immer vorausgesetzt, daß wir dürfen.
Denn unser alter Freund hier ist nicht immer guter Laune. Nicht wahr,
Kagelmann?«
Diese Worte hatten sich an einen kleinen und ziemlich häßlichen Mann
gerichtet, der, wiewohl kahlköpfig (was übrigens die Sommermütze
verdeckte) nichtsdestoweniger an beiden Schläfen ein paar lange glatte
Haarsträhnen hatte, die bis tief auf die Schulter niederhingen. Alles
an ihm war außer Verhältnis, und so kam es, daß, seiner Kleinheit
unerachtet, oder vielleicht auch um dieser willen, alles zu groß an
ihm erschien: die Nase, die Ohren, die Hände. Und eigentlich auch
die Augen. Aber diese sah man nur, wenn er, was öfters geschah, die
ganz verblakte Hornbrille abnahm. Er war eine typische Gärtnerfigur:
unfreundlich, grob und habsüchtig, vor allem auch seinem Wohltäter, dem
Kommerzienrat gegenüber, und nur wenn er die »Frau Rätin« sah, erwies
er sich auffallend verbindlich und guter Laune.
So nahm er denn auch heute das scherzhaft hingeworfene »wenn wir
dürfen« in bester Stimmung auf und sagte, während er mit der Rechten
(in der er einen kleinen Aurikeltopf hielt) seine großschirmige Mütze
nach hinten schob: »Jott, Frau Rätin, ob +Sie+ dürfen! Solche Frau!
Solche Frau wie Sie darf allens. Un warum? Weil Ihnen allens kleid't.
Un wen alles kleid't, der darf ooch alles. Ufs kleiden kommt's an. 'S
gibt welche, die sagen, die Blumen machen dumm und simplig. Aber daß es
ufs Kleiden ankommt, so viel lernt man bei de Blumens.«
»Immer mein galanter Kagelmann,« lachte Melanie. »Man merkt doch den
Unverheirateten, den Junggesellen. Und doch ist es unrecht, Kagelmann,
daß Sie so geblieben sind. Ich meine, so ledig. Ein Mann wie Sie, so
frisch und gesund, und ein so gutes Geschäft. Und reich dazu. Die Leute
sagen ja, Sie hätten ein Rittergut. Aber ich will es nicht wissen,
Kagelmann. Ich respektiere Geheimnisse. Nur das ist wahr, Ihr Efeuhaus
ist zu klein, immer vorausgesetzt, daß Sie sich noch mal anders
besinnen.«
»Ja, kleen is es man. Aber vor mir is es jroß genug, das heißt vor mir
alleine. Sonst ... Aber ich bin ja nu all sechzig.«
»Sechzig. Mein Gott, sechzig. Sechzig ist ja gar kein Alter.«
»Ne,« sagte Kagelmann. »En Alter is es eijentlich noch nich. Un es
jeht ooch allens noch. Un janz jut. Un es schmeckt ooch noch, un die
Gebrüder Benekens dragen einen ooch noch. Aber viel mehr is es ooch
nich. Un wen soll man denn am Ende nehmen? Sehen Se, Frau Rätin, die so
vor mir passen, die gefallen mir nich, un die mir gefallen, die passen
wieder nich. -- Ich wäre so vor dreißig oder so drum rum. Dreißig ist
jut, un dreißig zu dreißig, das stimmt ooch. Aber sechzig in dreißig
jeht nich. Un da sagt denn die Frau: borg' ich mir einen.«
Melanie lachte.
Kagelmann aber fuhr fort: »Ach, Frau Kommerzienrätin, Sie hören
so was nich, un glauben jar nich, wie die Welt is un was allens
passiert. Da war hier einer drüben bei Flatows, Cohn und Flatow,
großes Ledergeschäft (un sie sollen's ja von Amerika kriegen; na, mir
is es jleich), un war ooch en Gärtner, un war woll so sechsundfufzig.
Oder vielleicht ooch erst fünfundfufzig. Un der nahm sich ja nu so'n
Madamchen, so von'n Jahrer dreißig, un war ne Wittib, un immer janz
schwarz, un ne hübsche Person, un saß immer ins mittelste Zelt, Nummer
4, wo Kaiser Wilhelm steht, un wo immer die Musik is mit Klavier un
Flöte. Ja, du mein Jott, was hat er gehabt? Jar nichts hat er gehabt.
Und da sitzt er nu mit seine drei Würmer, und Madamchen is weg. Un mit
wen is se weg? Mit'n Gelbschnabel, un hatte noch keene zwanzig uff'n
Rücken, un Teichgräber sagt, er wär' erst achtzehn gewesen. Un möglich
is es. Aber ein fixer, kleiner Kerl war es, so was Italien'sches, un
war doch bloß aus Rathnow. Aber een Paar Oogen! Ich sag' Ihnen, Frau
Kommerzienrätin, wie'n Feuerwerk, un es war orntlich, als ob's man so
prasselte.«
»Ja, das ist traurig für den Mann,« lachte Melanie. »Aber doch am
traurigsten für die Frau. Denn wenn einer +solche+ Augen hat ...«
»Un so was is jetzt alle Tage,« schloß der Alte, der auf die
Zwischenbemerkung nicht geachtet hatte und wieder bei seinen Töpfen zu
stellen und zu kramen anfing.
Aber Melanie ließ ihm keine Ruhe. »Alle Tage,« sagte sie. »Natürlich,
alle Tage. Natürlich, alles kommt vor. Aber das darf einen doch nicht
abhalten. Sonst könnte ja keiner mehr heiraten und es gäbe gar kein
Leben und keine Menschen mehr. Denn ein kleiner fixer Gärtnerbursche,
nu, mein Gott, der find't sich zuletzt überall.«
»Ja, Frau Kommerzienrätin, das is schon richtig. Aber mitunter find't
er sich immer und mitunter find't er sich bloß manchmal. Heiraten! Nu
ja, hübsch muß es ja sind, sonst dhäten es nich so viele. Aber besser
is besser. Un ich denke, lieber bewahrt als beklagt.«
In diesem Augenblicke wurde, von der Hauptallee her ein Einspänner
sichtbar und hielt, indem er eine Biegung machte, vor der Bank, auf
der Rubehn und Melanie Platz genommen hatten. Es war ein auf niedrigen
Rädern gehendes Fuhrwerk, das den Geschäftsverkehr des kleinen
Privattreibhauses mit der Stadt vermittelte.
Kagelmann tat ein paar Fragen an den vorn auf dem Deichselbrette
sitzenden Kutscher, und nachdem er noch einen andern Arbeiter
herbeigerufen hatte, fingen alle drei an, die Palmenkübel abzuladen,
die, trotzdem sie nur von mäßiger Größe waren, den Rand des
Wagenkastens weit überragten und mit ihren dunklen Kronen, schon von
fern her, den Eindruck prächtig wehender Federbüsche gemacht hatten.
Alle drei waren ein paar Minuten lang emsig bei der Arbeit, als aber
schließlich alles abgeladen war, wandte sich Kagelmann wieder an seine
gnädige Frau und sagte, während er die zwei größten und schönsten
Palmen mit seinen Händen patschelte: »Ja, Frau Rätin, das sind nu
so meine Stammhalter, so meine zwei Säulen vons Geschäft. Un immer
unterwegs, wie'n Landbriefträger. Man bloß noch unterwegser. Denn der
hat doch'n Sonntag oder Kirchenzeit. Aber meine Palmen nich. Un ich
freue mir immer orntlich, wenn mal 'n Stillstand is und ich allens mal
wieder so zu sehen kriege. So wie heute. Denn mitunter seh ich meine
Palmen die janze Woche nich.«
»Aber warum nicht?«
»Jott, Frau Rätin, Palme paßt immer. Un is kein Unterschied ob Trauung
oder Begräbnis. Und manche taufen auch schon mit Palme. Und wenn ich
sage Palme, na so kann ich auch sagen Lorbeer oder Lebensbaum oder was
wir ~Thuja~ nennen. Aber Palme, versteht sich, is immer das Feinste. Un
is bloß man ein Metier, das is jrade so, janz akkurat ebenso bei Leben
und Sterben. Und is ooch immer dasselbe.«
»Ah, ich versteh,« sagte Melanie. »Der Tischler.«
»Nein, Frau Rätin, der Tischler nich. Er is woll auch immer mit dabei,
das is schon richtig, aber's is doch nich immer dasselbe. Denn ein
Sarg is keine Wiege nich und eine Wiege is kein Sarg nich. Un was en
richtiges Himmelbett is, nu davon will ich jar nich erst reden ...«
»Aber Kagelmann, wenn es nicht der Tischler ist, wer denn?«
»Der Domchor, Frau Rätin. Der is auch immer mit dabei un is immer
dasselbe. Jradeso wie bei mir. Un er hat auch so seine zwei
Stammhalter, seine zwei Säulen vons Geschäft: »'s is bestimmt in Gottes
Rat« oder »Wie sie so sanft ruhn.« Un es paßt immer un macht keinen
Unterschied, ob einer abreist oder ob einer begraben wird. Un grün is
grün, un is jradeso wie Lebensbaum und Palme.«
»Und doch, Kagelmann, wenn Sie nun mal heiraten und selber Hochzeit
machen (aber nicht hier in Ihrem Efeuhause; das ist zu klein), dann
sollen Sie doch beides haben: Gesang und Palme. Und was für Palmen! Das
versprech ich Ihnen! Denn ohne Palmen und Gesang ist es nicht feierlich
genug. Und aufs Feierliche kommt es an. Und dann gehen wir in das große
Treibhaus, bis dicht an die Kuppel, und machen einen wundervollen Altar
unter der allerschönsten Palme. Und da sollen Sie getraut werden. Und
oben in der Kuppel wollen wir stehn und ein schönes Lied singen, einen
Choral, ich und Fräulein Anastasia, und Herr Rubehn hier und Herr
Elimar Schulze, den Sie ja auch kennen. Und dabei soll Ihnen zumute
sein, als ob Sie schon im Himmel wären und hörten die Engel singen.«
»Glaub ich, Frau Rätin. Glaub ich.«
»Und zu vorläufigem Dank für all diese kommenden Herrlichkeiten sollen
Sie, liebster Kagelmann, uns jetzt in das Palmenhaus führen. Denn ich
weiß nicht Bescheid und kenne die Namen nicht, und der fremde Herr
hier, der ein paarmal um die Welt herumgefahren ist und die Palmen
sozusagen an der Quelle studiert hat, will einmal sehen, was wir haben
und nicht haben.«
Eigentlich kam alles dieses dem Alten so wenig gelegen wie möglich,
weil er seine Kübel und Blumentöpfe noch vor Dunkelwerden in das kleine
Treibhaus hineinschaffen wollte. Er bezwang sich aber, schob seine
Mütze, wie zum Zeichen der Zustimmung, wieder nach hinten und sagte:
»Frau Rätin haben bloß zu befehlen.«
Und nun gingen sie zwischen langen und niedrigen Backsteinöfen hin,
den bloß mannsbreiten Mittelgang hinauf, bis an die Stelle, wo dieser
Mittelgang in das große Palmenhaus einmündete. Wenige Schritte noch und
sie befanden sich wie am Eingang eines Tropenwaldes und der mächtige
Glasbau wölbte sich über ihnen. Hier standen die Prachtexemplare der
Van der Straatenschen Sammlung: Palmen, Drakäen, Riesenfarren, und eine
Wendeltreppe schlängelte sich hinauf, erst bis in die Kuppel und dann
um diese selbst herum und in einer der hohen Emporen des Langschiffes
weiter.
Unterwegs war nicht gesprochen worden.
Als sie jetzt unter der hohen Wölbung hielten, entsann sich Kagelmann,
etwas Wichtiges vergessen zu haben. Eigentlich aber wollt' er nur
zurück und sagte: »Frau Rätin wissen ja nu Bescheid un kennen die
Galerie. Da wo der kleine Tisch is un die kleinen Stühle, das ist
der beste Platz, un is wie ne Laube, un janz dicht. Un da sitzt ooch
immer der Herr Kommerzienrat. Un keiner sieht ihn. Un das hat er am
liebsten.« Und danach verabschiedete sich der Alte, wandte sich aber
noch einmal um, um zu fragen, »ob er das Fräulein schicken solle?«
»Gewiß, Kagelmann. Wir warten.«
Und als sie nun allein waren, nahm Rubehn den Vortritt und stieg
hinauf und eilte sich, als er oben war, der noch auf der Wendeltreppe
stehenden Melanie die Hand zu reichen. Und nun gingen sie weiter
über die kleinen klirrenden Eisenbrettchen hin, die hier als Dielen
lagen, bis sie zu der von Kagelmann beschriebenen Stelle kamen,
besser beschrieben, als er selber wissen mochte. Wirklich, es war
eine phantastisch aus Blattkronen gebildete Laube, fest geschlossen,
und überall an den Gurten und Ribben der Wölbung hin rankten sich
Orchideen, die die ganze Kuppel mit ihrem Duft erfüllten. Es atmete
sich wonnig aber schwer in dieser dichten Laube; dabei war es, als
ob hundert Geheimnisse sprächen, und Melanie fühlte, wie dieser
berauschende Duft ihre Nerven hinschwinden machte. Sie zählte jenen von
äußeren Eindrücken, von Luft und Licht abhängigen Naturen zu, die der
Frische bedürfen, um selber frisch zu sein. Über ein Schneefeld hin,
bei rascher Fahrt und scharfem Ost, -- da wär' ihr der heitere Sinn,
der tapfere Mut ihrer Seele wiedergekommen, aber diese weiche, schlaffe
Luft machte sie selber weich und schlaff, und die Rüstung ihres Geistes
lockerte sich und löste sich und fiel.
»Anastasia wird uns nicht finden.«
»Ich vermisse sie nicht.«
»Und doch will ich nach ihr rufen.«
»Ich vermisse sie nicht,« wiederholte Rubehn und seine Stimme zitterte.
»Ich vermisse nur das Lied, das sie damals sang, als wir im Boot über
den Strom fuhren. Und nun rate.«
»~Long, long ago ...~«
Er schüttelte den Kopf.
»O säh ich auf der Heide dort ...«
»Auch +das+ nicht, Melanie.«
»Rothtraut,« sagte sie leis.
Und nun wollte sie sich erheben. Aber er litt es nicht und kniete
nieder und hielt sie fest, und sie flüsterten Worte, so heiß und so
süß, wie die Luft, die sie atmeten.
Endlich aber war die Dämmerung gekommen, und breite Schatten fielen
in die Kuppel. Und als alles immer noch still blieb, stiegen sie die
Treppe hinab und tappten sich durch ein Gewirr von Palmen, erst bis in
den Mittelgang und dann ins Freie zurück.
Draußen fanden sie Anastasia.
»Wo du nur bliebst!« fragte Melanie befangen. »Ich habe mich geängstigt
um dich und mich. Ja, es ist so. Frage nur. Und nun hab' ich Kopfweh.«
Anastasia nahm unter Lachen den Arm der Freundin und sagte nur: »Und du
wunderst dich über Kopfweh! Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen.«
Melanie wurde rot bis an die Schläfe. Aber die Dunkelheit half es ihr
verbergen. Und so schritten sie der Villa zu, darin schon die Lichter
brannten.
Alle Türen und Fenster standen auf, und von den frisch gemähten Wiesen
her kam eine balsamische Luft. Anastasia setzte sich an den Flügel
und sang und neckte sich mit Rubehn, der bemüht war, auf ihren Ton
einzugehen. Aber Melanie sah vor sich hin und schwieg und war weit
fort. Auf hoher See. Und in ihrem Herzen klang es wieder: Wohin treiben
wir?!
Eine Stunde später erschien Van der Straaten und rief ihnen schon
vom Korridor her in Spott und guter Laune zu: »Ah, die Gemeinde der
Heiligen! Ich würde fürchten zu stören. Aber ich bringe gute Zeitung!«
Und als alles sich erhob und entweder wirklich neugierig war oder
sich wenigstens das Ansehen davon gab, fuhr er in seinem Berichte
fort: »Exzellenz sehr gnädig. Alles sondiert und abgemacht. Was noch
aussteht, ist Form und Bagatelle. Oder Sitzung und Schreiberei.
Melanie, wir haben heut einen guten Schritt vorwärts getan. Ich verrate
weiter nichts. Aber das glaub' ich sagen zu dürfen: von diesem Tag an
datiert sich eine neue Ära des Hauses Van der Straaten.«


13
Weihnachten

Die nächsten Tage, die viel Besuch brachten, stellten den unbefangenen
Ton früherer Wochen anscheinend wieder her, und was von Befangenheit
blieb, wurde, die Freundin abgerechnet, von niemandem bemerkt, am
wenigsten von Van der Straaten, der mehr denn je seinen kleinen und
großen Eitelkeiten nachhing.
Und so näherte sich der Herbst und der Park wurde schöner, je mehr sich
seine Blätter färbten, bis gegen Ende September der Zeitpunkt wieder da
war, der, nach altem Herkommen, dem Aufenthalt in der Villa draußen ein
Ende machte.
Schon in den unmittelbar voraufgehenden Tagen war Rubehn nicht
mehr erschienen, weil allernächstliegende Pflichten ihn an die
Stadt gefesselt hatten. Ein jüngerer Bruder von ihm, von einem
alten Prokuristen des Hauses begleitet, war zu rascher Etablierung
des Zweiggeschäfts herübergekommen, und ihren gemeinschaftlichen
Anstrengungen gelang es denn auch wirklich, in den ersten Oktobertagen
eine Filiale des großen Frankfurter Bankhauses ins Leben zu rufen.
Van der Straaten nahm an all diesen Hergängen den größten Anteil und
sah es als ein gutes Zeichen und eine Gewähr geschäftskundiger Leitung
an, daß Rubehns Besuche seltener wurden und in den Novemberwochen
beinahe ganz aufhörten. In der Tat erschien unser neuer »Filialchef«,
wie der Kommerzienrat ihn zu nennen beliebte, nur noch an den kleinen
und kleinsten Gesellschaftstagen, und hätte wohl auch an diesen am
liebsten gefehlt. Denn es konnt' ihm nicht entgehen, und entging ihm
auch wirklich nicht, daß ihm von Reiff und Duquede, ganz besonders
aber von Gryczinski, mit einer vornehm ablehnenden Kühle begegnet
wurde. Die schöne Jacobine suchte freilich durch halbverstohlene
Freundlichkeiten alles wieder ins gleiche zu bringen und beschwor ihn,
ihres Schwagers Haus doch nicht ganz zu vernachlässigen, um ihretwillen
nicht und um Melanies willen nicht, aber jedesmal, wenn sie den Namen
nannte, schlug sie doch verlegen die Augen nieder und brach rasch und
ängstlich ab, weil ihr Gryczinski sehr bestimmte Weisungen gegeben
hatte, jedwedes Gespräch mit Rubehn entweder ganz zu vermeiden oder
doch auf wenige Worte zu beschränken.
Um vieles heiterer gestalteten sich die kleinen Reunions, wenn
die Gryczinskis fehlten und statt ihrer bloß die beiden Maler und
Fräulein Anastasia zugegen waren. Dann wurde wieder gescherzt und
gelacht, wie damals in dem Stralauer Kaffeehaus, und Van der Straaten,
der mittlerweile von Besuchen, sogar von häufigen Besuchen gehört
hatte, die Rubehn in Anastasias Wohnung gemacht haben solle, hing in
Ausnutzung dieser ihm hinterbrachten Tatsache seiner alten Neigung
nach, alle dabei Beteiligten ins Komische zu ziehen und zum Gegenstande
seiner Schraubereien zu machen. Er sähe nicht ein, wenigstens für
seine Person nicht, warum er sich eines reinen und auf musikalischer
Glaubenseinigkeit aufgebauten Verhältnisses nicht aufrichtig freuen
solle, ja die Freude darüber würd' ihm einfach als Pflicht erscheinen,
wenn er nicht andererseits den alten Satz wieder bewahrheitet fände,
daß jedes neue Recht immer nur unter Kränkung alter Rechte geboren
werden könne. Das neue Recht (wie der Fall hier läge) sei durch
seinen Freund Rubehn, das alte Recht durch seinen Freund Elimar
vertreten, und wenn er diesem letzteren auch gerne zugestehe, daß er
in vielen Stücken er selbst geblieben, ja bei Tische sogar als eine
Potenzierung seiner selbst zu erachten sei, so läge doch gerade hierin
die nicht wegzuleugnende Gefahr. Denn er wisse wohl, daß dieses Plus
an Verzehrung einen furchtbaren Gleichschritt mit Elimars innerem
verzehrenden Feuer halte. Wes Namens aber dieses Feuer sei, ob Liebe,
Haß oder Eifersucht, das wisse nur +der+, der in den Abgrund sieht.
In dieser Weise zischten und platzten die reichlich umhergeworfenen Van
der Straatenschen Schwärmer, von deren Sprühfunken sonderbarerweise
diejenigen am wenigsten berührt wurden, auf die sie berechnet waren.
Es lag eben alles anders, als der kommerzienrätliche Feuerwerker
annahm. Elimar, der sich auf der Stralauer Partie weit über Wunsch
und Willen hinaus engagiert hatte, hatte durch Rubehns anscheinende
Rivalität eine Freiheit wiedergewonnen, an der ihm viel, viel mehr als
an Anastasias Liebe gelegen war, und diese selbst wiederum vergaß ihr
eigenes, offenbar im Niedergange begriffenes Glück in dem Wonnegefühl,
ein anderes hochinteressantes Verhältnis unter ihren Augen und ihrem
Schutze heranwachsen zu sehen. Sie schwelgte mit jedem Tage mehr in
der Rolle der Konfidenten und, weit über das gewöhnliche Maß hinaus
mit dem alten Evahange nach dem Heimlichen und Verbotenen ausgerüstet,
zählte sie diese Winterwochen nicht nur zu den angeregtesten ihres an
Anregungen so reichen Lebens, sondern erfreute sich nebenher auch noch
des unbeschreiblichen Vergnügens, den ihr ~au fond~ unbequemen und
widerstrebenden Van der Straaten gerade +dann+ am herzlichsten belachen
zu können, wenn dieser sich in seiner Sultanslaune gemüßigt fühlte,
+sie+ zum Gegenstand allgemeiner und natürlich auch seiner eigenen
Lachlust zu machen.
In der Tat, unser kommerzienrätlicher Freund hätte bei mehr
Aufmerksamkeit und weniger Eigenliebe stutzig werden und über das
Lächeln und den Gleichmut Anastasias den eigenen Gleichmut verlieren
müssen; er gab sich aber umgekehrt einer Vertrauensseligkeit hin, für
die, bei seinem sonst soupçonnösen und pessimistischen Charakter, jeder
Schlüssel gefehlt haben würde, wenn er nicht unter Umständen, und auch
jetzt wieder, der Mann völlig entgegengesetzter Voreingenommenheiten
gewesen wäre. In seiner Scharfsicht oft übersichtig und Dinge sehend,
die gar nicht da waren, übersah er ebensooft andere, die klar zutage
lagen. Er stand in der abergläubischen Furcht, in seinem Glücke von
einem vernichtenden Schlage bedroht zu sein, aber nicht heut und nicht
morgen, und je bestimmter und unausbleiblicher er diesen Schlag von
der Zukunft erwartete, desto sicherer und sorgloser erschien ihm die
Gegenwart. Und am wenigsten sah er sich von +der+ Seite her gefährdet,
von der aus die Gefahr so nahe lag und von jedem andern erkannt worden
wäre. Doch auch hier wiederum stand er im Bann einer vorgefaßten
Meinung und zwar eines künstlich konstruierten Rubehn, der mit dem
wirklichen eine ganz oberflächliche Verwandtschaft, aber in der Tat
auch nur +diese+ hatte. Was sah er in ihm? Nichts als ein Frankfurter
Patrizierkind, eine ganz und gar auf Anstand und Hausehre gestellte
Natur, die zwar in jugendliche Torheiten verfallen, aber einen
Vertrauens- und Hausfriedensbruch nie und nimmer begehen könne. Zum
Überflusse war er verlobt und um so verlobter, je mehr er es bestritt.
Und abends beim Tee, wenn Anastasia zugegen und das Verlobungsthema
mal wieder an der Reihe war, hieß es vertraulich und gut gelaunt:
»Ihr Weiber hört ja das Gras wachsen und nun gar erst +das+ Gras!
Ich wäre doch neugierig zu hören, an wen er sich vertan hat. Eine
Vermutung hab' ich und wette zehn gegen eins, an eine Freiin vom
deutschen Uradel, etwa Schreck von Schreckenstein oder Sattler von der
Hölle.« Und dann widersprachen beide Damen, aber doch so klug und so
vorsichtig, daß ihr Widerspruch, anstatt irgend etwas zu beweisen, eben
nur dazu diente, Van der Straaten in seiner vorgefaßten Meinung immer
fester zu machen.
Und so kam Heiligabend und im ersten Saale der Bildergalerie waren
all unsre Freunde, mit Ausnahme Rubehns, um den brennenden Baum her
versammelt. Elimar und Gabler hatten es sich nicht nehmen lassen,
auch ihrerseits zu der reichen Bescherung beizusteuern: ein riesiges
Puppenhaus, drei Stock hoch, und im Souterrain eine Waschküche mit Herd
und Kessel und Rolle. Und zwar eine altmodische Rolle mit Steinkasten
und Mangelholz. Und sie rollte wirklich. Und es unterlag alsbald keinem
Zweifel, daß das Puppenhaus den Triumph des Abends bildete, und beide
Kinder waren selig. Sogar Lydia tat ihre Vornehmheitsallüren beiseit
und ließ sich von Elimar in die Luft werfen und wieder fangen. Denn er
war auch Turner und Akrobat. Und selbst Melanie lachte mit und schien
sich des Glücks der andern zu freuen oder es gar zu teilen. Wer aber
schärfer zugesehen hätte, der hätte wohl wahrgenommen, daß sie sich
bezwang, und mitunter war es, als habe sie geweint. Etwas unendlich
Weiches und Wehmütiges lag in dem Ausdruck ihrer Augen, und der
Polizeirat sagte zu Duquede: »Sehen Sie, Freund, ist sie nicht schöner
denn je?«
»Blaß und angegriffen,« sagte dieser. »Es gibt Leute, die blaß
und angegriffen immer schön finden. Ich nicht. Sie wird überhaupt
überschätzt, in allem, und am meisten in ihrer Schönheit.«
An den Aufbau schloß sich wie gewöhnlich ein Souper und man endete mit
einem schwedischen Punsch. Alles war heiter und guter Dinge. Melanie
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