L'Adultera: Roman - 02

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ihm unrecht. Er ist nicht bloß christlich, er ist auch protestantisch,
so gut wie du und ich. Und wenn du noch zweifelst, so lasse dich durch
den Augenschein überzeugen.«
Und hierbei versuchte Van der Straaten aus einem kleinen gelben
Kuvert, das er schon bereit hielt, eine Visitenkartenphotographie
herauszunehmen. Aber Melanie litt es nicht und sagte nur in immer
wachsender Heiterkeit: »Sagtest du nicht New York? Sagtest du nicht
London? Ich war auf einen Gentleman gefaßt, auf einen Mann von Welt,
und nun schickt er sein Bildnis, als ob es sich um ein Rendezvous
handelte. Krugs Garten mit einer Verlobung im Hintergrund.«
»Und doch ist er unschuldig. Glaube mir. Ich wollte sichergehen,
um deinetwillen sichergehen, und deshalb schrieb ich an den alten
Goeschen, Firma Goeschen, Goldschmidt und Kompanie; diskreter alter
Herr. Und daher stammt es. Ich bin schuld, nicht er, wahr und
wahrhaftig, und wenn du mir das Wort gestattest, sogar ›auf Ehre‹.«
Melanie nahm das Kuvert und warf einen flüchtigen Blick auf das
eingeschlossene Bild. Ihre Züge veränderten sich plötzlich und sie
sagte: »Ah, der gefällt mir. Er hat etwas Distinguiertes: Offizier
in Zivil oder Gesandtschaftsattaché. Das lieb' ich. Und nun gar ein
Bändchen. Ist es die Ehrenlegion?«
»Nein, du kannst es näher suchen. Er stand bei den fünften Dragonern
und hat für Chartres und Poupry das Kreuz empfangen.«
»Ist das eine Schlacht von deiner Erfindung?«
»Nein. Dergleichen kommt vor, und als freie Schweizerin solltest du
wissen, daß fremde Sprachen nicht immer gebührende Rücksicht auf die
verpönten Klangformen einer anderen nehmen. Ja, Lanni, ich bin mitunter
besser als mein Ruf.«
»Und wann dürfen wir unseren neuen Hausfreund erwarten?«
»Hausgenossen,« verbesserte Van der Straaten. »Es ist nicht nötig,
ihn, mit Rücksicht auf seine militärische Charge, so Hals über Kopf
avancieren zu lassen. Übrigens ist er verlobt, oder so gut wie verlobt.«
»Schade.«
»Schade? Warum?«
»Weil Verlobte meistens langweilig sind. Sind sie beisammen, so sind
sie zärtlich, bedrückend zärtlich für ihre Umgebung, und sind sie
getrennt, so schreiben sie sich Briefe oder bereiten sich in ihrem
Gemüte darauf vor. Und der Bräutigam ist immer der schlimmere von
beiden. Und will man sich gar in ihn verlieben, so heißt das nicht mehr
und nicht weniger, als zwei Lebenskreise stören.«
»Zwei?«
»Ja, Bräutigam und Braut.«
»Ich hätte drei gezählt,« lachte Van der Straaten. »Aber so seid ihr.
Ich wette, du hast den Dritten in Gnaden vergessen. Ehemänner zählen
überhaupt nicht mit. Und wenn sie sich darüber wundern, so machen sie
sich ridikül. Ich werde mich übrigens davor hüten, den Mohren der
Weltgeschichte, das seid ihr, weiß waschen zu wollen. Apropos, kennst
du das Bild, die Mohrenwäsche?«
»Ach, Ezel, du weißt ja, ich kenne keine Bilder. Und am wenigsten
alte.«
»Süße Simplicitas aus dem Hause de Caparoux,« jubelte Van der Straaten,
der nie glücklicher war, wie wenn Melanie sich eine Blöße gab oder auch
klugerweise nur so tat. »Altes Bild! Es ist nicht älter als ich.«
»Nun, dann ist es gerade alt genug.«
»Bravissimo. Sieh, so hab' ich dich gern. Übermütig und boshaft. Und
nun sage, was beginnen wir, wohin gondeln wir?«
»Ich bitte dich, Ezel, nur keine Berolinismen. Du hast mir doch gestern
erst ...«
»Und ich halt' es auch. Aber wenn mir wohl ums Herze wird, da bricht es
wieder durch. Und jetzt komm, wir wollen zu Haas und uns einen Teppich
ansehen ... »Gerade alt genug« ... Vorzüglich, vorzüglich ... Und nun
sage Papachen, wie heißt die schönste Frau im Land?«
»Melanie.«
»Und die liebste, die klügste, die beste Frau?«
»Melanie, Melanie.«
»Gut, gut ... Und nun gehab' dich wohl, du Menschenkenner!«


4
Der engere Zirkel

Die »drei gestrengen Herren« waren ganz ausnahmsweise streng gewesen,
aber nicht zu Verdruß beider Van der Straatens, die vielmehr nun erst
wußten, daß der Winter all seine Pfeile verschossen und unweigerlich
und ohne weitere Widerstandsmöglichkeit seinen Rückzug angetreten
habe. Nun erst konnte man freien Herzens hinaus, hinaus ohne Sorge
vor frostigen Vormittagen, oder gar vor Eingeschneitwerden über
Nacht. Alles freute sich auf den Umzug, auch die Kinder, am meisten
aber Van der Straaten, der, um ihn selber sprechen zu lassen, »unter
allen vorkommenden Geburtsszenen einzig und allein der des Frühlings
beizuwohnen liebte«. Vorher aber sollte noch ein kleines Abschiedsdiner
stattfinden und zwar unter ausschließlicher Heranziehung des dem Hause
zunächst stehenden Kreises.
Es war das, übrigens von mehr verwandtschaftlicher als befreundeter
Seite her, in erster Reihe der in der Alsenstraße wohnende Major
von Gryczinski, ein noch junger Offizier mit abstehendem, englisch
gekräuseltem Backenbart und klugen blauen Augen, der vor etwa drei
Jahren die reizende Jacobine de Caparoux heimgeführt hatte, eine
jüngere Schwester Melanies und nicht voll so schön wie diese, aber
rotblond, was in den Augen einiger das Gleichgewicht zwischen beiden
wiederherstellte. Gryczinski war Generalstäbler und hielt, wie jeder
dieses Standes, an dem Glauben fest, daß es in der ganzen Welt nicht
zwei so grundverschiedene Farben gäbe, wie das allgemeine preußische
Militärrot und das Generalstabsrot. Daß er den Strebern zugehörte, war
eine selbstverständliche Sache, wohl aber verdient es, in Rücksicht
gegen den Ernst der Historie, schon an dieser Stelle hervorgehoben
zu werden, daß er, alles Strebertums unerachtet, in allen nicht zu
verlockenden Fällen ein bescheidenes Maß von Rücksichtnahme gelten
ließ und den Kampf ums Dasein nicht absolut als einen Übergang über
die Beresina betrachtete. Wie sein großer Chef war er ein Schweiger,
unterschied sich aber von ihm durch ein beständiges, jeden Sprecher
ermutigendes Lächeln, das er, alle nutzlose Parteinahme klug
vermeidend, über Gerechte und Ungerechte gleichmäßig scheinen ließ.
Gryczinski, wie schon angedeutet, war mehr Verwandter als Freund des
Hauses. Unter diesen letzteren konnte der Baron Duquede, Legationsrat
a. D., als der angesehenste gelten. Er war über sechzig, hatte bereits
unter Van der Straatens Vater dem damals ausgedehnteren Kreise des
Hauses angehört und durfte sich, wie um anderer Qualitäten so auch
schon um seiner Jahre willen, seinem hervorstechendsten Charakterzuge,
dem des Absprechens, Verkleinerns und Verneinens ungehindert hingeben.
Daß er, infolge davon, den Beinamen »Herr Negationsrat« erhalten
hatte, hatte selbstverständlich seine milzsüchtige Krakehlerei nicht
zu bessern vermocht. Er empörte sich eigentlich über alles, am
meisten über Bismarck, von dem er seit 66, dem Jahre seiner eigenen
Dienstentlassung, unaufhörlich versicherte, »daß er überschätzt werde«.
Von einer beinah gleichen Empörung war er gegen das zum Französieren
geneigte Berlinertum erfüllt, das ihn, um seines »qu« willen, als
einen Koloniefranzosen ansah und seinen altmärkischen Adelsnamen nach
der Analogie von Admiral Duquesne auszusprechen pflegte. »Was er sich
gefallen lassen könne,« hatte Melanie hingeworfen, von welchem Tag an
eine stille Gegnerschaft zwischen beiden herrschte.
Dem Legationsrat an Jahren und Ansehn am nächsten stand Polizeirat
Reiff, ein kleiner behäbiger Herr mit roten und glänzenden
Backenknochen, auch Feinschmecker und Geschichtenerzähler, der, solange
die Damen bei Tische waren, kein Wasser trüben zu können schien, im
Moment ihres Verschwindens aber in Anekdoten exzellierte, wie sie, nach
Zahl und Inhalt, immer nur einem Polizeirat zu Gebote stehn. Selbst
Van der Straaten, dessen Talente doch nach derselben Seite hin lagen,
erging sich dann in lautem und mitunter selbst stürmischem Beifall,
oder zwinkerte seinen Tischnachbarn seine neidlose Bewunderung zu.
Diese Tischnachbarn waren in der Regel zwei Maler: der Landschafter
Arnold Gabler, ebenfalls, wie Reiff und der Legationsrat, ein
Erbstück aus des Vaters Tagen her, und Elimar Schulze, Porträt- und
Genremaler, der sich erst in den letzten Jahren angefunden hatte. Seine
Zugehörigkeit zu der vorgeschilderten Tafelrunde basierte zumeist auf
dem Umstande, daß er nur ein halber Maler, zur andern Hälfte aber
Musiker und enthusiastischer Wagnerianer war, auf welchen »Titul« hin,
wie Van der Straaten sich ausdrückte, Melanie seine Aufnahme betrieben
und durchgesetzt hatte. Die bei dieser Gelegenheit abgegebene Bemerkung
ihres Eheherrn, »daß er gegen den Aufzunehmenden nichts einzuwenden
habe, wenn er einfach übertreten und seine Zugehörigkeit zu der
alleinseligmachenden Musik offen und ehrlich aussprechen wolle«, war
von dem immer gutgelaunten Elimar mit der Bitte beantwortet worden,
»ihm diesen Schritt erlassen zu wollen und zwar einfach deshalb,
weil doch schließlich nur das Gegenteil von dem Gewünschten dabei
herauskommen würde. Denn während er jetzt als Maler allgemein für einen
Musiker gehalten werde, werd' er als Musiker sicherlich für einen Maler
gehalten und dadurch vom Standpunkte des Herrn Kommerzienrats aus in
die relativ höhere Rangstufe wieder hinaufgehoben werden«.
Diesem Verwandten- und Freundeskreise waren die zu heute sieben Uhr
Geladenen entnommen. Denn Van der Straaten liebte die Spätdiners und
erging sich mitunter in nicht üblen Bemerkungen über den gewaltigen
Unterschied zwischen einer um vier Uhr künstlich hergestellten, und
einer um sieben Uhr natürlich erwachsenen Dunkelheit. Eine künstliche
Vieruhrdunkelheit sei nicht besser als ein junger Wein, den man in
einen Rauchfang gehängt und mit Spinnweb umwickelt habe, um ihn alt
und ehrwürdig erscheinen zu lassen. Aber eine feine Zunge schmecke
den jungen Wein und ein feines Nervensystem schmecke die junge
Dunkelheit heraus. Bemerkungen, die namentlich in ihrer »das feine
Nervensystem« betonenden Schlußwendung von Melanie regelmäßig mit einem
allerherzlichsten Lachen begleitet wurden.
Das Van der Straatensche Stadthaus -- wodurch es sich, neben anderem,
von der mit allem Komfort ausgestatteten Tiergarten-Villa unterschied
-- hatte keinen eigentlichen Speisesaal, und die zwei großen und vier
kleinen Diners, die sich über den Winter hin verteilten, mußten in
dem ersten, als Entree dienenden Zimmer der großen Gemäldegalerie
gegeben werden. Es griff dieser Teil der Galerie noch aus dem rechten
Seitenflügel in das Vorderhaus über und lag unmittelbar hinter Melanies
Zimmer, aus dem denn auch, sobald die breiten Flügeltüren sich
öffneten, der Eintritt stattfand.
Und wie gewöhnlich, so auch heute. Van der Straaten nahm den Arm seiner
blonden Schwägerin, Duquede den Melanies, während die vier anderen
Herren paarweise folgten, eine herkömmliche Form des Aufmarsches, bei
der der Major ebenso geschickt zwischen den beiden Malern zu wechseln,
als den Polizeirat zu vermeiden wußte. Denn so bereit und ergeben er
war, die Geschichten Reiffs bei Tag oder Nacht über sich ergehen zu
lassen, so konnt' er sich doch nicht entschließen, ihm ebenbürtig
den Arm zu bieten. Er stand vielmehr ganz in den Anschauungen seines
Standes und bekannte sich, mit einem durch persönliches Fühlen
unterstützten Nachdruck, zu dem alten Gegensatze von Militär und
Polizei.
Jeder der Eintretenden war an dieser Stelle zu Haus und hatte keine
Veranlassung mehr zum Staunen und Bewundern. Wer aber zum ersten Male
hier eintrat, der wurde sicherlich durch eine Schönheit überrascht,
die gerade darin ihren Grund hatte, daß der als Speisesaal dienende
Raum kein eigentlicher Speisesaal war. Ein reichgegliederter
Kronleuchter von französischer Bronze warf seine Lichter auf eine von
guter italienischer Hand herrührende prächtig eingerahmte Kopie der
Veronesischen »Hochzeit zu Kana«, die von Uneingeweihten auch wohl
ohne weiteres für das Original genommen wurde, während daneben zwei
Stilleben in fast noch größeren und reicheren Barockrahmen hingen. Es
waren, von einiger vegetabilischer Zutat abgesehen, Hummer, Lachs und
blaue Makrelen, über deren absolute Naturwahrheit sich Van der Straaten
in der ein für allemal gemünzten Bewunderungsformel ausließ, »es werd'
ihm, als ob er taschentuchlos über den Cöllnischen Fischmarkt gehe.«
Nach hinten zu stand das Büfett, und daneben war die Tür, die mit der
im Erdgeschoß gelegenen Küche bequeme Verbindung hielt.


5
Bei Tisch

»Nehmen wir Platz,« sagte Van der Straaten. »Meine Frau hat mich aller
Plazierungsmühen überhoben und Karten gelegt.«
Und dabei nahm er eine derselben in die Hand und ließ sein von Natur
gutes und durch vieles Sehen kunstgeübtes Auge darüber hingleiten. »Ah,
ah, sehr gut. Das ist Tells Geschoß. Gratuliere, Elimar. Allerliebst,
allerliebst. Natürlich Amor, der schießt. Daß ihr Maler doch über
diesen ewigen Schützen nicht wegkommen könnt.«
»Gegen dessen Abschaffung oder Dienstentlassung wir auch feierlich
protestieren würden,« sagte die rotblonde Schwester.
Alle hatten sich inzwischen plaziert, und es ergab sich, daß Melanie
bei der von ihr getroffenen Anordnung vom Herkömmlichen abgewichen
war. Van der Straaten saß zwischen Schwägerin und Frau, ihm gegenüber
der Major, von Gabler und Elimar flankiert, an den Schmalseiten aber
Polizeirat Reiff und Legationsrat Duquede.
Die Suppe war eben genommen und der im kommerzienrätlichen Hause von
alter Zeit her berühmte Montefiascone gerade herumgereicht, als Van der
Straaten sich über den Tisch hin zu seinem Schwager wandte.
»Gryczinski, Major und Schwager,« hob er leicht und mit überlegener
Vertraulichkeit an, »binnen heut und drei Monaten haben wir Krieg.
Ich bitte dich, sage nicht nein, wolle mir nicht widersprechen.
Ihr, die ihr's schließlich machen müßt, erfahrt es erfahrungsmäßig
immer am spätesten. Im Juni haben wir die Sache wieder fertig oder
wenigstens eingerührt. Es zählt jetzt zu den sogenannten berechtigten
Eigentümlichkeiten preußischer Politik, allen Geheimräten, wozu, in
allem was Karlsbad und Teplitz angeht, auch die Kommerzienräte gehören,
ihre Brunnen- und Badekur zu verderben. Helgoland mit eingeschlossen.
Ich wiederhole dir, in zwei Monaten haben wir die Sache fertig und in
drei haben wir den Krieg. Irgend etwas Benedettihaftes wird sich doch
am Ende finden lassen, und Ems liegt unter Umständen überall in der
Welt.«
Gryczinski zwirbelte mit der Linken an der breitesten Stelle
seines Backenbartes und sagte: »Schwager, du stehst zu sehr
unter Börsengerüchten, um nicht zu sagen unter dem Einfluß der
Börsenspekulation. Ich versichere dich, es ist kein Wölkchen am
Horizont, und wenn wir zurzeit wirklich einen Kriegsplan ausarbeiten,
so betrifft er höchstens die hypothetische Bestimmung der Stelle, wo
Rußland und England zusammenstoßen und ihre große Schlacht schlagen
werden.«
Beide Damen, die von der entschiedensten Friedenspartei waren, die
brünette, weil sie nicht gern das Vermögen, die blonde, weil sie nicht
gern den Mann einbüßen wollte, jubelten dem Sprecher zu, während
der Polizeirat, immer kleiner werdend, bemerkte: »Bitte dem Herrn
Major meine gehorsamste Zustimmung aussprechen zu dürfen und zwar
von ganzem Herzen und von ganzem Gemüte.« Wobei gesagt werden muß,
daß er mit Vorliebe von seinem Gemüte sprach. »Überhaupt,« fuhr er
fort, »nichts falscher und irriger, als sich Seine Durchlaucht den
Fürsten, einen in Wahrheit friedliebenden Mann, als einen Kanonier
mit ewig brennender Lunte vorzustellen, jeden Augenblick bereit das
Kruppsche Monstregeschütz eines europäischen Krieges auf gut Glück hin
abzufeuern. Ich sage, nichts falscher und irriger als das. Hazardieren
ist die Lust derer, die nichts besitzen, weder Vermögen noch Ruhm. Und
der Fürst besitzt beides. Ich wette, daß er nicht Lust hat, seinen
hochaufgespeicherten Doppelschatz immer wieder auf die Kriegskarte
zu setzen. Er gewann 64 (nur eine Kleinigkeit), dublierte 66 und
triplierte 70, aber er wird sich hüten, sich auf ein ~six-le-va~
einzulassen. Er ist ein sehr belesener Mann und kennt ohne Zweifel das
Märchen vom »Fischer un sine Fru ...«
»... Dessen pikante Schlußwendung uns unser polizeirätlicher Freund
hoffentlich nicht vorenthalten will,« bemerkte Van der Straaten, in
dem sich der Übermut der Tafelstimmung bereits zu regen begann.
Aber der Polizeirat, während er sich wie zur Gewährleistung jeder
Sicherheit gegen die Damen hin verneigte, ließ das Märchen und seine
notorische Schlußzeile fallen und sagte nur: »Wer alles gewinnen will,
verliert alles. Und das Glück ist noch launenhafter als die Damen.
Ja, meine Damen, als die Damen. Denn die Launenhaftigkeit, ich lebe
selbst in einer glücklichen Ehe, ist das Vorrecht und der Zauber ihres
Geschlechts. Der Fürst hat Glück gehabt, aber gerade weil er es gehabt
hat ...«
»... Wird er sich hüten, es zu versuchen,« schloß mit ironischer
Emphase der Legationsrat. »Aber wenn er es +dennoch+ täte? He?
Der Fürst hat Glück gehabt, versichert uns unser Freund Reiff mit
polizeirätlich unschuldiger Miene. Glück gehabt! Allerdings. Und
zwar kein einfaches und gewöhnliches, sondern ein stupendes, ein
nie dagewesenes Glück. Eines, das in seiner kolossalen Größe den
Mann selber wegfrißt und verschlingt. Und so wenig ich geneigt
bin, ihm dies Glück zu mißgönnen, ich kenne keine Mißgunst, so
reizt es mich doch, einen Heroenkultus an dieses Glück geknüpft zu
sehen. Er wird überschätzt, sag' ich. Glauben Sie mir, er hat etwas
Plagiatorisches. Es mögen sich Erklärungen finden lassen, meinetwegen
auch Entschuldigungen, eines aber bleibt: er wird überschätzt. Ja,
meine Freunde, den Heroenkultus haben wir und den Götterkultus +werden+
wir haben. Bildsäulen und Denkmäler sind bereits da, und die Tempel
werden kommen. Und in einem dieser Tempel wird sein Bildnis sein, und
Göttin Fortuna ihm zu Füßen. Aber man wird es nicht den Fortunatempel
nennen, sondern den Glückstempel. Ja, den Glückstempel, denn es wird
darin gespielt, und unser vorsichtiger Freund Reiff hat es mit seinem
~six-le-va~, das über kurz oder lang kommen wird, besser getroffen,
als er weiß. Alles Spiel und Glück, sag' ich, und daneben ein
unendlicher Mangel an Erleuchtung, an Gedanken und vor allem an großen
schöpferischen Ideen.«
»Aber lieber Legationsrat,« unterbrach hier Van der Straaten, »es
liegen doch einige Kleinigkeiten vor: Exmittierung Österreichs, Aufbau
des Deutschen Reiches ...«
»... Ekrasierung Frankreichs und Dethronisierung des Papstes! Pah, Van
der Straaten, ich kenne die ganze Litanei. Wem aber haben wir dafür zu
danken, wenn überhaupt dafür zu danken ist? Wem? Einer ihm feindlichen
Partei, feindlich ihm und mir, einer Partei, der er ihren Schlachtruf
genommen hat. Er hat etwas Plagiatorisches, sag' ich, er hat sich die
Gedanken anderer einfach angeeignet, gute und schlechte, und sie mit
Hilfe reichlich vorhandener Mittel in Taten umgesetzt. Das konnte
schließlich jeder, jeder von uns: Gabler, Elimar, du, ich, Reiff ...«
»Ich möchte doch bitten ...«
»In Taten umgesetzt,« wiederholte Duquede.
»Ein Umsatz- und Wechselgeschäft, das ich hasse, solange nicht der
selbsteigne Gedanke dahinter steht. Aber Taten mit gar keiner oder mit
erheuchelter oder mit erborgter Idee haben etwas Rohes und Brutales,
etwas Dschingiskhanartiges. Und ich wiederhole, ich hasse solche Taten.
Am meisten aber hass' ich sie, wenn sie die Begriffe verwirren und die
Gegensätze mengen, und wenn wir es erleben müssen, daß sich hinter den
altehrwürdigen Formen unseres staatserhaltenden Prinzips, hinter der
Maske des Konservatismus, ein revolutionärer Radikalismus birgt. Ich
sage dir, Van der Straaten, er segelt unter falscher Flagge. Und eines
seiner einschlägigsten Mittel ist der beständige Flaggenwechsel. Aber
ich hab' ihn erkannt und weiß, was seine eigentliche Flagge ist ...«
»Nennen ...«
»Die schwarze.«
»Die Piratenflagge?«
»Ja. Und Sie werden dessen über kurz oder lang alle gewahr werden.
Ich sage dir, Van der Straaten, und Ihnen, Elimar und Ihnen, Reiff,
der Sie's morgen in Ihr schwarzes Buch eintragen können, meinetwegen,
denn ich bin ein altmärkischer Edelmann und habe den Dienst dieses
mir widerstrebenden Eigennützlings längst quittiert, ich sag' es
jedem, alt oder jung: sehen Sie sich vor. Ich warne Sie vor Täuschung,
vor allem aber vor Überschätzung dieses falschen Ritters, dieses
Glückstempelherrn, an den die blöde Menge glaubt, weil er die Jesuiten
aus dem Lande geschafft hat. Aber wie steht es damit? Die Bösen sind
wir los, der Böse ist geblieben.«
Gryczinski hatte mit vornehmem Lächeln zugehört, Van der Straaten
indes, der, trotzdem er eigentlich ein Bismarckschwärmer war, in seiner
Eigenschaft als kritiksüchtiger Berliner nichts Reizenderes kannte, als
Größenniedermetzelung und Generalnivellierung, immer vorausgesetzt,
daß er selber als einsam überragender Bergkegel übrig blieb, grüßte
zu Duquede hinüber und rief einem der Diener zu, dem Legationsrat,
der sich geopfert habe, noch einmal von der letzten Schüssel zu
präsentieren.
»Eine spanische Zwiebel, Duquede. Nimm. Das ist etwas für dich. Scharf,
scharf. Ich mache mir nicht viel aus Spanien, aber um zweierlei beneid'
ich es: um seine Zwiebeln und um seinen Murillo.«
»Überrascht mich,« sagte Gabler. »Und am meisten überrascht mich die
dir entschlüpfte Murillo-, will also sagen Madonnenbewundrung.«
»Nicht entschlüpft, Arnold, nicht entschlüpft. Ich unterscheide
nämlich, wie du wissen solltest, kalte und warme Madonnen. Die
kalten sind mir allerdings verhaßt, aber die warmen hab' ich desto
lieber. ~A la bonne heure~, die berauschen mich, und ich fühl' es in
allen Fingerspitzen, als ob es elfer Rheinwein wäre. Und zu diesen
glühenden und sprühenden zähl' ich all diese spanischen Immaculatas
und Concepciones, wo die Mutter Gottes auf einer Mondsichel steht, und
um ihr dunkles Gewand her leuchten goldene Wolken und Engelsköpfe. Ja,
Reiff, dergleichen gibt es. Und so blickt sie brünstig oder sagen wir
lieber inbrünstig gen Himmel, als wolle die Seele flügge werden in
einem Brütofen von Heiligkeit.«
»In einem Brütofen von Heiligkeit,« wiederholte der Polizeirat, in
dessen Augen es heimlich und verstohlen zu zwinkern begann. »In
einem Brütofen! O, das ist ~magnifique~, das ist herrlich, und
eine Andeutung, die jeder von uns nach dem Maße seiner Erkenntnis
interpretieren und weiterspinnen kann.«
Beide junge Frauen, einigermaßen überrascht, ihren sonst so
zurückhaltenden Freund auf dieser Messerschneide balancieren zu sehen,
trafen sich mit ihren Blicken, und Melanie rasch erkennend, daß es sich
jeden Moment um eine jener Katastrophen handeln könne, wie sie bei
den kommerzienrätlichen Diners eben nicht allzu selten waren, suchte
vor allem von dem heiklen Murillothema loszukommen, was, bei Van der
Straatens Eigensinn, allerdings nur durch eine geschickte Diversion
geschehen konnte. Und solche gelang denn auch momentan, indem Melanie
mit anscheinender Unbefangenheit bemerkte: »Van der Straaten wird
mich auslachen, in Bild- und Malerfragen eine Meinung haben zu wollen.
Aber ich muß ihm offen bekennen, daß ich mich, wenn seine gewagte
Madonneneinteilung überhaupt akzeptiert werden soll, ohne weiteres für
eine von ihm ignorierte Mittelgruppe, nämlich für die temperierten
entscheiden würde. Die Tizianischen scheinen mir diese wohltuend
gemäßigte Temperatur zu haben. Ich lieb' ihn überhaupt.«
»Ich auch, Melanie. Brav, brav. Ich hab' es immer gesagt, daß ich
noch einen Kunstprofessor in dir großziehe. Nicht wahr, Arnold, ich
hab' es gesagt? Beschwör es. Eine Schwurbibel ist nicht da, aber
wir haben Reiff, und ein Polizeirat ist immer noch ebensogut wie
ein Evangelium. Du lachst, Schwager; natürlich; ihr merkt es nicht,
aber wir. Übrigens hat Reiff ein leeres Glas. Und Elimar auch.
Friedrich, alter Pomuchelskopf, steh nicht in Liebesgedanken. ~Allons
enfants.~ Wo bleibt der Mouet? Flink, sag' ich. Bei den Gebeinen des
unsterblichen Roller, ich lieb' es nicht, meinen Champagner in den
letzten fünf Minuten in kümmerlicher Renommage schäumen zu sehen.
Und noch dazu in diesen vermaledeiten Spitzgläsern, mit denen ich
nächstens kurzen Prozeß machen werde. Das sind Rechnungsrats-, aber
nicht Kommerzienratsgläser. Übrigens mit dem Tizian hast du doch
unrecht. Das heißt halb. Er versteht sich auf alles mögliche, nur
nicht auf Madonnen. Auf Frau Venus versteht er sich. Das ist seine
Sache. Fleisch, Fleisch. Und immer lauert irgendwo der kleine liebe
Bogenschütze. Pardon, Elimar, ich bin nicht für Massenamors auf
Tischkarten, aber für den Einzelamor bin ich, und ganz besonders
für den des Tizianischen roten Ruhebetts mit zurückgezogener grüner
Damastgardine. Ja, meine Herrschaften, da gehört er hin, und immer ist
er wieder reizend, ob er ihr zu Häupten oder zu Füßen sitzt, ob er
hinter dem Bett oder der Gardine hervorguckt, ob er seinen Bogen eben
gespannt oder eben abgeschossen hat. Und was ist vorzuziehen? Eine
feine Frage, Reiff. Ich denke mir, wenn er ihn spannt ... Und diese
ruhende linke Hand mit dem ewigen Spitzentaschentuch. O, superbe.
Ja, Melanie, +den+ Tag will ich deine Bekehrung feiern, wo du mir
zugestehst: ~Suum cuique~, dem Tizian die Venus und dem Murillo die
Madonna.«
»Ich fürchte, Van der Straaten, da wirst du lange zu warten haben, und
am längsten auf meine Murillobekehrung. Denn diese gelben Dunstwolken,
aus denen etwas inbrünstig Gläubiges in seelisch-sinnlicher Verzückung
aufsteigt, sind mir unheimlich. Es hat die Grenze des Bezaubernden
überschritten und statt des Bezaubernden find' ich etwas Behexendes
darin.«
Gryczinski nickte leise der Schwägerin zu, während jetzt Elimar das
Glas erhob und um Erlaubnis bat, nach dem eben gehörten Wort einer echt
deutschen Frau, (»Französin,« schrie Van der Straaten dazwischen) auf
das Wohl der schönen und liebenswürdigen Dame des Hauses anstoßen zu
dürfen. Und die Gläser klangen zusammen. Aber in ihren Zusammenklang
mischte sich für die schärfer Hörenden schon etwas wie Zittern und
Mißakkord, und ehe noch das allgemeine Lächeln verflogen war (das
des Polizeirats hielt sich am längsten) brach Van der Straaten durch
alle bis dahin mühsam eingehaltenen Gehege durch und debutierte mal
wieder ganz als er selbst. Er sei, so hob er an, leider nicht in der
Lage, der für die »Frau Kommerzienrätin« gewiß höchst wertvollen
Zustimmung seines Freundes Elimar Schulze (wobei er Vor- und Zuname
gleich ironisch betonte) +seinerseits+ zustimmen zu können. Es gebe
freilich einen Gegensatz von Bezauberung und Behexung, aber manches in
der Welt gelte für Behexung, was Bezauberung und noch mehr gelte für
Bezauberung, was Behexung sei. Und er bitte sagen zu dürfen, daß er es
seinerseits mit der Konsequenz halte und mit Farbe bekennen, und nicht
mit heute so und morgen so. Am verdrießlichsten aber sei ihm zweierlei
Maß.
Er hielt hier einen Augenblick inne und war vielleicht überhaupt
gewillt, es bei diesen Allgemeinsätzen bewenden zu lassen. Aber
die junge Gryczinska, die sich, nach Art aller Schwägerinnen etwas
herausnehmen durfte, sah ihn jetzt, in plötzlich wiedererwachtem Mute
keck und zuversichtlich an und bat ihn, aus seinen Orakelsprüchen
heraus und zu bestimmteren Erklärungen übergehn zu wollen.
»O gewiß, meine Gnädigste,« sagte der jetzt immer hitziger werdende
Van der Straaten. »O gewiß, mein geliebtes Rotblond. Ich stehe zu
Befehl und will aus allem Orakulosen und Mirakulosen heraus, und will
in die Trompete blasen, daß ihr aus eurer Dämmerung und meinetwegen
auch aus eurer Götterdämmerung erwachen sollt, als ob die Feuerwehr
vorüberführe.«
»Ah,« sagte Melanie, die jetzt auch ihrerseits alle Ruhe zu verlieren
begann. »Also da hinaus soll es.«
»Ja, süßer Engel, da hinaus. Da. Ihr stellt euch stolz und gemütlich
auf die Höhen aller Kunst und zieht als reine ~Casta diva~ am Himmel
entlang, als ob ihr von Ozon und Keuschheit leben wolltet. Und +wer+
ist euer Abgott? Der Ritter von Bayreuth, ein Behexer, wie es nur
je einen gegeben hat. Und an diesen Tannhäuser und Venusbergmann
setzt ihr, als ob ihr wenigstens die Voggenhuber wäret, eurer Seelen
Seligkeit und singt und spielt ihn morgens, mittags und abends. Oder
dreimal täglich, wie auf euren Pillenschachteln steht. Und euer Elimar
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