L'Adultera: Roman - 01

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Das Original ist in Fraktur gesetzt.
Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+.
Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~.
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Buches.
[Illustration]


Fischers Bibliothek
zeitgenössischer Romane

Erster Jahrgang
(Oktober 1908--September 1909)
1. Bd. Theodor Fontane, L'Adultera
2. Bd. Jakob Schaffner, Die Erlhöferin
3. Bd. Jonas Lie, Eine Ehe mit einer Einleitung von Herman Bang
4. Bd. Gabriele Reuter, Liselotte von Reckling
5. Bd. Gustaf af Geijerstam, Thora
6. Bd. Th. Mann, Der kleine Herr Friedemann
7. Bd. Hans Land, Stürme
8. Bd. H. Bang, Hoffnungslose Geschlechter
9. Bd. E. v. Keyserling, Beate und Mareile
10/11. Bd. Gabriele d'Annunzio, Lust (2 Bände)
12. Bd. Charlotte Knoeckel, Maria Baumann

Jeden Monat erscheint ein Band zum Preise von 1 Mark für das gebundene
Exemplar


L'Adultera
Roman von
Theodor Fontane
[Illustration]

S. Fischer, Verlag, Berlin


Alle Rechte vorbehalten


1
Kommerzienrat Van der Straaten

Der Kommerzienrat Van der Straaten, Große Petristraße 4, war einer
der vollgültigsten Finanziers der Hauptstadt, eine Tatsache, die
dadurch wenig alteriert wurde, daß er mehr eines geschäftlichen als
eines persönlichen Ansehens genoß. An der Börse galt er bedingungslos,
in der Gesellschaft nur bedingungsweise. Es hatte dies, wenn man
herumhorchte, seinen Grund zu sehr wesentlichem Teile darin, daß er
zu wenig »draußen« gewesen war und die Gelegenheit versäumt hatte,
sich einen allgemein gültigen Weltschliff oder auch nur die seiner
Lebensstellung entsprechenden Allüren anzueignen. Einige neuerdings
erst unternommene Reisen nach Paris und Italien, die übrigens niemals
über ein paar Wochen hinaus ausgedehnt worden waren, hatten an diesem
Tatbestande nichts Erhebliches ändern können und ihm jedenfalls
ebenso seinen spezifisch lokalen Stempel wie seine Vorliebe für
drastische Sprichwörter und heimische »geflügelte Worte« von der
derberen Observanz gelassen. Er pflegte, um ihn selber mit einer seiner
Lieblingswendungen einzuführen, »aus seinem Herzen keine Mördergrube
zu machen,« und hatte sich, als reicher Leute Kind, von Jugend auf
daran gewöhnt, alles zu tun und zu sagen, was zu tun und zu sagen er
lustig war. Er haßte zweierlei: sich zu genieren und sich zu ändern.
Nicht als ob er sich in der Theorie für besserungsunbedürftig gehalten
hätte, keineswegs, er bestritt nur in der Praxis eine besondere
Benötigung dazu. Die meisten Menschen, so hieß es dann wohl in seinen
jederzeit gern gegebenen Auseinandersetzungen, seien einfach erbärmlich
und so grundschlecht, daß er, verglichen mit ihnen, an einer wahren
Engelgrenze stehe. Er sähe mithin nicht ein, warum er an sich arbeiten
und sich Unbequemlichkeiten machen solle. Zudem könne man jeden Tag an
jedem beliebigen Konventikler oder Predigtamtskandidaten erkennen, daß
es +doch+ zu nichts führe. Es sei eben immer die alte Geschichte, und
um den Teufel auszutreiben, werde Beelzebub zitiert. Er zög' es deshalb
vor, alles beim alten zu belassen. Und wenn er so gesprochen, sah er
sich selbstzufrieden um und schloß behaglich und gebildet: »O rühret,
rühret nicht daran,« denn er liebte das Einstreuen lyrischer Stellen,
ganz besonders solcher, die seinem echt berlinischen Hange zum bequem
Gefühlvollen einen Ausdruck gaben. Daß er eben diesen Hang auch wieder
ironisierte, versteht sich von selbst.
Van der Straaten, wie hiernach zu bemessen, war eine
sentimental-humoristische Natur, deren Berolinismen und Zynismen nichts
weiter waren, als etwas wilde Schößlinge seines Unabhängigkeitsgefühls
und einer immer ungetrübten Laune. Und in der Tat, es gab nichts in
der Welt, zu dem er allezeit so beständig aufgelegt gewesen wäre, wie
zu Bonmots und scherzhaften Repartis, ein Zug seines Wesens, der sich
schon bei Vorstellungen in der Gesellschaft zu zeigen pflegte. Denn
die bei diesen und ähnlichen Gelegenheiten nie ausbleibende Frage
nach seinen näheren oder ferneren Beziehungen zu dem Gutzkowschen
Vanderstraaten ward er nicht müde, prompt und beinahe paragraphenweise
dahin zu beantworten, daß er jede Verwandtschaft mit dem von der Bühne
her so bekannt gewordenen Manasse Vanderstraaten ablehnen müsse, 1.
weil er seinen Namen nicht einwortig, sondern dreiwortig schreibe, 2.
weil er trotz seines Vornamens Ezechiel nicht bloß überhaupt getauft
worden sei, sondern auch das nicht jedem Preußen zuteil werdende Glück
gehabt habe, durch einen evangelischen Bischof, und zwar durch den
alten Bischof Roß, in die christliche Gemeinschaft aufgenommen zu sein,
und 3. und letztens weil er seit längerer Zeit des Vorzugs genieße,
die Honneurs seines Hauses nicht durch eine Judith, sondern durch eine
Melanie machen lassen zu können, durch eine Melanie, die, zu weiterem
Unterschiede, nicht seine Tochter, sondern seine »Gemahlin« sei. Und
dies Wort sprach er dann mit einer gewissen Feierlichkeit, in der
Scherz und Ernst geschickt zusammenklangen.
Aber der Ernst überwog, wenigstens in seinem Herzen. Und es konnte
nicht anders sein, denn die junge Frau war fast noch mehr sein Stolz
als sein Glück. Älteste Tochter Jean de Caparoux', eines Adligen
aus der französischen Schweiz, der als Generalkonsul eine lange
Reihe von Jahren in der norddeutschen Hauptstadt gelebt hatte, war
sie ganz und gar als das verwöhnte Kind eines reichen und vornehmen
Hauses großgezogen und in all ihren Anlagen aufs glücklichste
herangebildet worden. Ihre heitere Grazie war fast noch größer als
ihr Esprit, und ihre Liebenswürdigkeit noch größer als beides.
Alle Vorzüge französischen Wesens erschienen in ihr vereinigt. Ob
auch die Schwächen? Es verlautete nichts darüber. Ihr Vater starb
früh, und statt eines gemutmaßten großen Vermögens fanden sich nur
Debets über Debets. Und um diese Zeit war es denn auch, daß der
zweiundvierzigjährige Van der Straaten um die siebzehnjährige Melanie
warb und ihre Hand erhielt. Einige Freunde beider Häuser ermangelten
selbstverständlich nicht, allerhand Trübes zu prophezeien. Aber sie
schienen im Unrecht bleiben zu sollen. Zehn glückliche Jahre, glücklich
für beide Teile, waren seitdem vergangen, Melanie lebte wie die Prinzeß
im Märchen, und Van der Straaten seinerseits trug mit freudiger
Ergebung seinen Necknamen »Ezel«, in den die junge Frau den langatmigen
und etwas suspekten »Ezechiel« umgewandelt hatte. Nichts fehlte. Auch
Kinder waren da: zwei Töchter, die jüngere des Vaters, die ältere der
Mutter Ebenbild, groß und schlank und mit herabfallendem, dunklem Haar.
Aber während die Augen der Mutter immer lachten, waren die der Tochter
ernst und schwermütig, als sähen sie in die Zukunft.


2
L'Adultera

Die Wintermonate pflegten die Van der Straatens in ihrer Stadtwohnung
zuzubringen, die, trotzdem sie altmodisch war, doch an Komfort nichts
vermissen ließ. Jedenfalls aber bot sie für das gesellschaftliche
Treiben der Saison eine größere Bequemlichkeit, als die spreeabwärts am
Nordwestrande des Tiergartens gelegene Villa.
Der erste Subskriptionsball war gewesen, vor zwei Tagen, und Van
der Straaten und Frau nahmen wie gewöhnlich in dem hochpaneelierten
Wohn- und Arbeitszimmer des ersteren ihr gemeinschaftliches Frühstück
ein. Von dem beinah unmittelbar vor ihrem Fenster aufragenden
Petri-Kirchturme herab schlug es eben neun, und die kleine französische
Stutzuhr sekundierte pünktlich, lief aber in ihrer Hast und Eile den
dumpfen und langsamen Schlägen, die von draußen her laut wurden,
weit voraus. Alles atmete Behagen, am meisten der Hausherr selbst,
der, in einen Schaukelstuhl gelehnt und die Morgenzeitung in der
Hand, abwechselnd seinen Kaffee und den Subskriptionsballbericht
einschlürfte. Nur dann und wann ließ er seine Hand mit der Zeitung
sinken und lachte.
»Was lachst du wieder, Ezel,« sagte Melanie, während sie mit ihrem
linken Morgenschuh kokettisch hin und her klappte. »Was lachst du
wieder? Ich wette die Robe, die du mir heute noch kaufen wirst, gegen
dein häßliches, rotes und mir zum Tort wieder schief umgeknotetes
Halstuch, daß du nichts gefunden hast als ein paar Zweideutigkeiten.«
»Er schreibt +zu+ gut,« antwortete Van der Straaten, ohne den
hingeworfenen Fehdehandschuh aufzunehmen. »Und was mich am meisten
freut, sie nimmt es alles für Ernst.«
»Wer denn?«
»Nun wer! Die Maywald, deine Rivalin. Und nun höre. Oder lies es
selbst.«
»Nein, ich mag nicht. Ich liebe nicht diese Berichte mit
ausgeschnittenen Kleidern und Anfangsbuchstaben.«
»Und warum nicht? Weil du noch nicht an der Reihe warst. Ja, Lanni, er
geht stolz an dir vorüber.«
»Ich würd' es mir auch verbitten.«
»Verbitten! Was heißt verbitten? Ich verstehe dich nicht. Oder
glaubst du vielleicht, daß gewesene Generalkonsulstöchter in
vestalisch-priesterlicher Unnahbarkeit durchs Leben schreiten oder
sakrosankt sind wie Botschafter und Ambassaden! Ich will dir ein
Sprichwort sagen, das ihr in Genf nicht haben werdet ...«
»Und das wäre?«
»Sieht doch die Katz den Kaiser an. Und ich sage dir, Lanni, was man
ansehen darf, das darf man auch beschreiben. Oder verlangst du, daß ich
ihn fordern sollte? Pistolen und zehn Schritt Barriere.«
Melanie lachte. »Nein Ezel, ich stürbe, wenn du mir totgeschossen
würdest.«
»Höre, dies solltest du dir doch überlegen. Das Beste, was einer
jungen Frau wie dir passieren kann, ist doch immer die Witwenschaft,
oder »~le Veuvage~«, wie meine Pariser Wirtin mir einmal über das
andere zu versichern pflegte. Beiläufig, meine beste Reisereminiszenz.
Und dabei hättest du sie sehen sollen, die kleine, korpulente, schwarze
Madame ...«
»Ich sehne mich nicht danach. Ich will lieber wissen, wie alt sie war.«
»Fünfzig. Die Liebe fällt nicht immer auf ein Rosenblatt ...«
»Nun, da mag es dir und ihr verziehen sein.«
Und dabei stand Melanie von ihrem hochlehnigen Stuhl auf, legte den
Kanevas beiseite, an dem sie gestickt hatte, und trat an das große
Mittelfenster.
Unten bewegte sich das bunte Treiben eines Markttages, dem die junge
Frau gern zuzusehen pflegte. Was sie daran am meisten fesselte,
waren die Gegensätze. Dicht an der Kirchentür, an einem kleinen,
niedrigen Tische, saß ein Mütterchen, das ausgelassenen Honig in
großen und kleinen Gläsern verkaufte, die mit ausgezacktem Papier und
einem roten Wollfaden zugebunden waren. Ihr zunächst erhob sich eine
Wildhändlerbude, deren sechs aufgehängte Hasen mit traurigen Gesichtern
zu Melanie hinübersahen, während in Front der Bude (das erfrorene
Gesicht in einer Kapuze) ein kleines Mädchen auf und ab lief und ihre
Schäfchen, wie zur Weihnachtszeit, an die Vorübergehenden feilbot. Über
dem Ganzen aber lag ein grauer Himmel, und ein paar Flocken federten
und tanzten, und wenn sie niederfielen, wurden sie vom Luftzuge neu
gefaßt und wieder in die Höhe gewirbelt.
Etwas wie Sehnsucht überkam Melanie beim Anblick dieses Flockentanzes,
als müsse es schön sein, so zu steigen und zu fallen und dann wieder
zu steigen, und eben wollte sie sich vom Fenster her ins Zimmer
zurückwenden, um in leichtem Scherze, ganz wie sie's liebte, sich
und ihre Sehnsuchtsanwandlung zu persiflieren, als sie, von der
Brüderstraße her, eines jener langen und auf niedrigen Rädern gehenden
Gefährte vorfahren sah, die die hauptstädtischen Bewohner Rollwagen
nennen. Es konnte das Exemplar, das eben hielt, als ein Musterstück
seiner Gattung gelten, denn nichts fehlte. Nach hinten zu war der
zum Abladen dienende Doppelbaum in vorschriftsmäßigem rechten Winkel
aufgerichtet, vorn stand der Kutscher mit Vollbart und Lederschurz,
und in der Mitte lief ein kleiner Bastard von Spitz und Rattenfänger
hin und her, und bellte jeden an, der nur irgendwie Miene machte, sich
auf fünf Schritte dem Wagen zu nähern. Er hatte kaum noch ein Recht zu
diesen Äußerungen übertriebener Wachsamkeit, denn auf dem ganzen langen
Wagenbrette lag nur noch ein einziges Kolli, das der Rollkutscher jetzt
zwischen seine zwei Riesenhände nahm und in den Hausflur hineintrug,
als ob es eine Pappschachtel wäre.
Van der Straaten hatte mittlerweile seine Lektüre beendet und war an
ein unmittelbar neben dem Eckfenster stehendes Pult getreten, an dem er
zu schreiben pflegte.
»Wie schön diese Leute sind,« sagte Melanie. »Und so stark. Und dieser
wundervolle Bart! So denk' ich mir Simson.«
»Ich nicht,« entgegnete Van der Straaten trocken.
»Oder Wieland den Schmied.«
»Schon eher. Und über kurz oder lang denk' ich, wird diese Sache
spruchreif sein. Denn ich wette zehn gegen eins, daß ihn der »Meister«
in irgend etwas Zukünftigem bereits unterm Hammer hat. Oder sagen wir
auf dem Ambos. Es klingt etwas vornehmer.«
»Ich muß dich bitten, Ezel ... du weißt ...«
Aber ehe sie schließen konnte, wurde geklopft, und einer der jungen
Kontoristen erschien in der Tür, um seinem Chef, unter gleichzeitiger
Verbeugung gegen Melanie, einen Frachtbrief einzuhändigen, auf dem
in großen Buchstaben und in italienischer Sprache vermerkt war: »zu
eigenen Händen des Empfängers.«
Van der Straaten las und war sofort wie elektrisiert. »Ah, von
Salviati! ... Das ist hübsch, das ist schön ... Gleich die Kiste
heraufschaffen! ... Und du bleibst, Melanie ... Hat er doch Wort
gehalten ... Freut mich, freut mich wirklich. Und dich wird es auch
freuen. Etwas Venezianisches, Lanni ... Du warst so gern in Venedig.«
Und während er in derartig kurzen Sätzen immer weiter perorierte, hatte
er aus einem Kasten seines Arbeitstisches ein Stemmeisen herausgenommen
und hantierte damit, als die Kiste hereingebracht worden war, so
vertraut und so geschickt, als ob es ein Korkzieher oder irgendein
anderes Werkzeug alltäglicher Benutzung gewesen wäre. Mit Leichtigkeit
hob er den Deckel ab und setzte das daran angeschraubte Bild auf ein
großes staffeleiartiges Gestell, das er schon vorher aus einer der
Zimmerecken ans Fenster geschoben hatte. Der junge Kommis hatte sich
inzwischen wieder entfernt, Van der Straaten aber, während er Melanie
mit einer gewissen Feierlichkeit vor das Bild führte, sagte: »Nun,
Lanni, wie findest du's? ... Ich will dir übrigens zu Hilfe kommen ...
Ein Tintoretto.«
»Kopie?«
»Freilich,« stotterte Van der Straaten etwas verlegen. »Originale
werden nicht hergegeben. Und würden auch meine Mittel übersteigen.
Dennoch dächt' ich ...«
Melanie hatte mittlerweile die Hauptfiguren des Bildes mit ihrem
Lorgnon gemustert und sagte jetzt: »Ah, ~l'Adultera~! ... Jetzt erkenn'
ich's. Aber daß du gerade +das+ wählen mußtest! Es ist eigentlich ein
gefährliches Bild, fast so gefährlich wie der Spruch ... Wie heißt er
doch?«
»Wer unter euch ohne Sünde ist ...«
»Richtig. Und ich kann mir nicht helfen, es liegt so was Ermutigendes
darin. Und dieser Schelm von Tintoretto hat es auch ganz in diesem
Sinne genommen. Sieh nur! ... Geweint hat sie ... Gewiß ... Aber warum?
Weil man ihr immer wieder und wieder gesagt hat, wie schlecht sie sei.
Und nun glaubt sie's auch, oder +will+ es wenigstens glauben. Aber ihr
Herz wehrt sich dagegen und kann es nicht finden ... Und daß ich dir's
gestehe, sie wirkt eigentlich rührend auf mich. Es ist so viel Unschuld
in ihrer Schuld ... Und alles wie vorherbestimmt.«
Melanie, während sie so sprach, war ernster geworden und von dem Bilde
zurückgetreten. Nun aber fragte sie: »Hast du schon einen Platz dafür?«
»Ja, hier.« Und er wies auf eine Wandstelle neben seinem Schreibpult.
»Ich dachte,« fuhr Melanie fort, »du würdest es in die Galerie
schicken. Und offen gestanden, es wird sich an diesem Pfeiler etwas
sonderbar ausnehmen. Es wird ...«
»Unterbrich dich nicht.«
»Es wird den Witz herausfordern und die Bosheit, und ich höre schon
Reiff und Duquede medisieren, vielleicht auf deine Kosten und gewiß auf
meine.«
Van der Straaten hatte seinen Arm auf das Pult gelehnt und lächelte.
»Du lächelst, und sonst lachst du doch, mehr als gut ist und
namentlich lauter als gut ist. Es steckt etwas dahinter. Sage, was
hast du gegen mich? Ich weiß recht gut, du bist nicht so harmlos, wie
du dich stellst. Und ich weiß auch, daß es wunderliche Gemütlichkeiten
gibt. Ich habe mal von einem russischen Fürsten gelesen, ich glaube
Suboff war sein Name. Eigentlich waren es zwei, zwei Brüder. Die
spielten Karten und dann ermordeten sie den Kaiser Paul und dann
spielten sie wieder Karten. Ich glaube beinah, du könntest auch so was!
Und alles mit gutem Gewissen und gutem Schlaf.«
»Also +darum+ König Ezel!« lachte Van der Straaten.
»O nein. Nicht darum. Als ich dich so hieß, war ich noch ein halbes
Kind. Und ich kannte dich damals noch nicht. Jetzt aber kenn' ich dich
und weiß nur nicht, ob es etwas sehr Gutes oder etwas sehr Schlimmes
ist, was in dir steckt ... Aber nun komm. Unser Kaffee ist kalt
geworden.«
Und sie gab ihren Platz am Fenster auf, setzte sich wieder auf ihren
hochlehnigen Stuhl und nahm Nadel und Kanevas und tat ein paar rasche
Stiche. Zugleich aber ließ sie kein Auge von ihm, denn sie wollte
wissen, was in seiner Seele vorging.
Und er wollt' es auch nicht länger verbergen. War er doch ohnehin,
aller Freundschaft unerachtet, ohne Freund und Vertrauten, und so trieb
es ihn denn, angesichts dieses Bildes einmal aus sich herauszugehen.
»Ich habe dich nie mit Eifersucht gequält, Lanni.«
»Und ich habe dir nie Veranlassung dazu gegeben.«
»Nein. Aber heute rot und morgen tot. Das heißt, alles wechselt im
Leben. Und sieh, als wir letzten Sommer in Venedig waren und ich dies
Bild sah, da stand es auf einmal alles deutlich vor mir. Und da war
es denn auch, daß ich Salviati bat, mir das Bild kopieren zu lassen.
Ich will es vor Augen haben, so als ~Memento mori~, wie die Kapuziner,
die sonst nicht mein Geschmack sind. Denn sieh, Lanni, auch in ihrer
Furcht unterscheiden sich die Menschen. Da sind welche, die halten es
mit dem Vogel Strauß und stecken den Kopf in den Sand und wollen nichts
wissen. Aber andere haben eine Neigung, ihr Geschick immer vor sich
zu sehen und sich mit ihm einzuleben. Sie wissen genau, den und den
Tag sterb' ich, und sie lassen sich einen Sarg machen und betrachten
ihn fleißig. Und die beständige Vorstellung des Todes nimmt auch dem
Tode schließlich seine Schrecken. Und sieh, Lanni, so will ich es auch
machen, und das Bild soll mir dazu helfen ... Denn es ist erblich in
unserm Haus ... und so gewiß dieser Zeiger ...«
»Aber Ezel,« unterbrach ihn Melanie, »was hast du nur? Ich bitte dich,
wo soll das hinaus? Wenn du die Dinge +so+ siehst, so weiß ich nicht,
warum du mich nicht heut oder morgen einmauern läßt.«
»An dergleichen hab' ich auch schon gedacht. Und ich bekenne, »Melanie
die Nonne« klänge nicht übel, und es ließe sich eine Ballade darauf
machen. Aber es hilft zu nichts. Denn du glaubst gar nicht, was
Liebende bei gutem Willen alles durchsetzen. Und sie haben immer guten
Willen.«
»O, ich glaub' es schon.«
»Nun siehst du,« lachte Van der Straaten, den diese scherzhafte Wendung
plötzlich wieder zu heiterer Laune stimmte. »So hör' ich dich gern. Und
zur Belohnung: das Bild soll nicht an den Eckpfeiler, sondern wirklich
in die Galerie. Verlaß dich darauf. Und um dir nichts zu verschweigen,
ich hab' auch über all das so meine wechselnden und widerstreitenden
Gedanken, und mitunter denk' ich: ich sterbe vielleicht darüber hin.
Und das wäre das beste. Zeit gewonnen, alles gewonnen. Es ist nichts
Neues. Aber die trivialsten Sätze sind immer die richtigsten.«
»Dann vergiß auch nicht +den+, daß man den Teufel nicht an die Wand
malen soll!«
Er nickte. »Da hast du recht. Und wir +wollen's+ auch nicht, und wollen
diese Stunde vergessen. Ganz und gar. Und wenn ich dich je wieder
daran erinnere, so sei's im Geiste des Friedens und zum Zeichen der
Versöhnung. Lache nicht. Es kommt, was kommen soll. Und wie sagtest du
doch? Es sei so viel Unschuld in ihrer Schuld ...«
»... Und vorherbestimmt, sagt' ich. Prädestiniert! ... Aber
vorherbestimmt ist +heute+, daß wir ausfahren, und das ist die
Hauptsache. Denn ich brauche die Robe viel, viel nötiger, als du
den Tintoretto brauchst. Und ich war eigentlich eine Törin und ein
Kindskopf, daß ich alles so bitter ernsthaft genommen und dir jedes
Wort geglaubt habe! Du hast das Bild haben wollen, ~c'est tout~.
Und nun gehab' dich wohl, mein Dänenprinz, mein Träumer. Sein oder
Nichtsein ... Variationen von Ezechiel Van der Straaten!«
Und sie stand auf und lachte und stieg die kleine durchbrochene Treppe
hinauf, die, von Van der Straatens Zimmer aus, in die Schlafzimmer des
zweiten Stockes führte.


3
Logierbesuch

Van der Straaten, um es zu wiederholen, bewegte sich gern in dem
Gegensatze von derb und gefühlvoll, überhaupt in Gegensätzen, und
so war es wenig verwunderlich, daß das vor dem Tintoretto geführte
Gespräch in seinem Herzen nicht allzulange nachtönte. Freilich auch
nicht in dem seiner Frau. Nur solang es geführt worden war, war Melanie
wirklich überrascht gewesen, nicht um des sentimentalen Tones willen,
den sie kannte, sondern weil alles eine viel persönlichere Richtung
nahm als bei früheren Gelegenheiten. Aber nun war es vorüber. Das Bild
erhielt seinen Platz in der Galerie, man sah es nicht mehr, und Van
der Straaten, wenn er ihm zufällig begegnete, lächelte nur in beinah
heiterer Resignation. Er besaß eben ganz den fatalistischen Zug der
Humoristen, der sich verdoppelt, wenn sie nebenher auch noch Lebemänner
sind.
Es war eine belebte Saison gewesen; aber Ostern, trotzdem es spät fiel,
lag schon wieder zurück, und die Wochen waren wieder da, wo herkömmlich
die Frage verhandelt zu werden pflegte: »Wann ziehen wir hinaus?«
»Bald,« sagte Melanie, die bereits die Tage zählte.
»Aber die ›gestrengen Herren‹ waren noch nicht da.«
»Die regieren nicht lange.«
»Zugestanden,« lachte Van der Straaten. »Und um so lieber, als ich nur
+so+ meine Hausherrschaft garantiert finde. Wenigstens mittelbar. Und
immer noch besser schwach regieren, als gar nicht.«
Diese Worte waren an einem der letzten Apriltage beim Frühstück
gewechselt worden, und es mochte Mittag sein, als der Kommerzienrat
von seinem Kontor aus die Frau Kommerzienrätin bitten ließ, mit ihrer
Ausfahrt eine Viertelstunde warten zu wollen, weil er ihr zuvor eine
Mitteilung zu machen habe. Melanie ließ zurücksagen, »daß sie sich
freuen würde, ihn zu sehen, und rechne danach auf seine Begleitung.«
In Courtoisien dieser Art, denen übrigens auch ein gelegentlicher
Revers nicht fehlte, hatten sich die Van der Straatens seit Jahren
eingelebt, namentlich +er+, der nach seiner eigenen Versicherung »dem
adligen Hause de Caparoux einiges Ritterdienstliche schuldig zu sein
glaubte« und zu diesem Ritterdienstlichen in erster Reihe Pünktlichkeit
und Nichtwartenlassen zählte.
So erschien er denn auch heute, bald nach erfolgter Anmeldung, im
Zimmer seiner Frau.
Dieses Zimmer entsprach in seinen räumlichen Verhältnissen ganz dem
ihres Gatten, war aber um vieles heller und heiterer, einmal weil die
hohe Paneelierung, aber mehr noch weil die vielen nachgedunkelten
Bilder fehlten. Statt dieser vielen war nur ein einziges da: das
Porträt Melanies in ganzer Figur, ein wogendes Kornfeld im Hintergrund
und sie selber eben beschäftigt ein paar Mohnblumen an ihren Hut zu
stecken. Die Wände, wo sie frei waren, zeigten eine weiße Seidentapete,
tief in den Fensternischen erhoben sich Hyazinthenestraden und
vor einer derselben, auf einem zierlichen Marmortische, stand ein
blitzblankes Bauer, drin ein grauer Kakadu, der eigentliche Tyrann des
Hauses, sein von der Dienerschaft gleichmäßig gehaßtes und beneidetes
Dasein führte. Melanie sprach eben mit ihm, als Ezechiel in einer
gewissen humoristischen Aufgeregtheit eintrat und seine Frau, nach
vorgängiger respektvoller Verneigung gegen den Kakadu, bis an ihren
Sofaplatz zurückführte. Dann schob er einen Fauteuil heran und setzte
sich neben sie.
Die Feierlichkeit, mit der all dies geschah, machte Melanie lachen.
»Ist es doch, als ob du dich auf eine ganz besondere Beichte
vorzubereiten hättest. Ich will es dir aber leicht machen. Ist es etwas
Altes? Etwas aus deiner dunklen Vergangenheit ...?«
»Nein, Lanni, es ist etwas Gegenwärtiges.«
»Nun, da will ich doch abwarten und mich zu keinem Generalpardon
hinreißen lassen. Und nun sage, was ist es?«
»Eine Bagatelle.«
»Was deine Verlegenheit bestreitet.«
»Und doch eine Bagatelle. Wir werden einen Besuch empfangen, oder
vielmehr einen Gast, oder wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf,
einen Dauer-Gast. Also kurz und gut, denn was hilft es, es muß heraus:
einen neuen Hausgenossen.«
Melanie, die bis dahin ein Schokoladenbiskuit, das noch auf dem
Teller lag, zerkrümelt hatte, legte jetzt ihren Zeigefinger auf Van
der Straatens Hand und sagte: »Und das nennst du eine Bagatelle? Du
weißt recht gut, daß es etwas sehr Ernsthaftes ist. Ich habe nicht
den Vorzug, ein Kind dieser eurer Stadt zu sein, bin aber doch lange
genug in eurer exquisiten Mitte gewesen, um zu wissen, was es mit einem
»Logierbesuch« auf sich hat. Schon das Wort, das sich sonst nirgends
findet, kann einen ängstlich machen. Und was ist ein Logierbesuch gegen
eine neue Hausgenossenschaft ... Ist es eine Dame?«
»Nein, ein Herr.«
»Ein Herr. Ich bitte dich, Ezel ...«
»Ein Volontär, ältester Sohn eines mir befreundeten Frankfurter Hauses.
War in Paris und London, selbstverständlich, und kommt eben jetzt von
New York, um hier am Ort eine Filiale zu gründen. Vorher aber will
er in unserem Hause die Sitte dieses Landes kennen lernen, oder sag'
ich lieber +wieder+ kennen lernen, weil er sie draußen halb vergessen
hat. Es ist ein besonderer Vertrauensakt. Ich bin überdies dem Vater
verpflichtet und bitte dich herzlich, mir eine Verlegenheit ersparen
zu wollen. Ich denke, wir geben ihm die zwei leer stehenden Zimmer auf
dem linken Korridor.«
»Und zwingen ihn also, einen Sommer lang auf die Fliesen unseres Hofes
und auf Christels Geraniumtöpfe hinunter zu sehen.«
»Es kann nicht die Rede davon sein, mehr zu geben, als man hat. Und
er selbst wird es am wenigsten erwarten. Alle Personen, die viel in
der Welt umher waren, pflegen am gleichgültigsten gegen derlei Dinge
zu sein. Unser Hof bietet freilich nicht viel; aber was hätt' er
Besseres in der Front? Ein Stück Kirchengitter mit Fliederbusch, und an
Markttagen die Hasenbude.«
»~Eh bien~, Ezel. ~Faisons le jeu.~ Ich hoffe, daß nichts Schlimmes
dahinter lauert, keine Konspirationen, keine Pläne, die du mir
verschweigst. Denn du bist eine versteckte Natur. Und wenn es deine
Geheimnisse nicht stört, so möcht' ich schließlich wenigstens den Namen
unseres neuen Hausgenossen hören.«
»Ebenezer Rubehn ...«
»Ebenezer Rubehn,« wiederholte Melanie langsam und jede Silbe betonend.
»Ich bekenne dir offen, daß mir etwas Christlich-Germanisches lieber
gewesen wäre. Viel lieber. Als ob wir an deinem Ezechiel nicht schon
gerade genug hätten! Und nun Ebenezer. Ebenezer Rubehn! Ich bitte dich,
was soll dieser ~Accent grave~, dieser Ton auf der letzten Silbe?
Suspekt, im höchsten Grade suspekt!«
»Du mußt wissen, er schreibt sich mit einem h.«
»Mit einem h! Du wirst doch nicht verlangen, daß ich dies h für
echt und ursprünglich nehmen soll? Einschiebsel, versuchte Leugnung
des Tatsächlichen, absichtliche Verschleierung, hinter der ich
nichtsdestoweniger alle zwölf Söhne Jakobs stehen sehe. Und er selber
als Flügelmann.«
»Und doch irrst du, Lanni. Wie stand es denn mit Rubens? Ich meine mit
dem großen Peter Paul? Nun, der hatte freilich ein s. Aber was dem s
recht ist, ist dem h billig. Und kurz und gut, er ist getauft. Ob durch
einen Bischof, stehe dahin; ich weiß es nicht und wünsch' es nicht,
denn ich möcht' etwas vor ihm voraus haben. Aber allen Ernstes, du tust
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