L'Adultera: Roman - 05

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Knabe, und macht Augen und versichert euch seiner innigsten Teilnahme.
Denn ihr +müßtet+ unglücklich sein. Und nun wieder Seufzen und Pause.
Freilich, freilich, ihr hättet einen guten Mann (alle Männer seien
gut), aber ~enfin~, ein Mann müsse nicht bloß gut sein, ein Mann müsse
seine Frau +verstehen+. Darauf komm' es an, sonst sei die Ehe niedrig,
so niedrig, mehr als niedrig. Und dann seufzt er zum drittenmal.
Und wenn der Zwirn endlich abgewickelt ist, was natürlich solange
wie möglich dauert, so glaubt ihr es auch. Denn jede von euch ist
wenigstens für einen indischen Prinzen oder für einen Schah von Persien
geboren. Allein schon wegen der Teppiche.«
Melanie hatte während dieser echt Van der Straatenschen Expektoration
ihren Kopf gewiegt und erwiderte schnippisch und mit einem Anfluge von
Hochmut: »Ich weiß nicht, Ezel, warum du beständig von Zwirn sprichst.
Ich wickle Seide.«
Sehr wahrscheinlich, daß es dieser Bemerkung an einer spitzen Replik
nicht gefehlt hätte, wenn nicht eben jetzt eine dralle, kurzärmelige
Magd erschienen und auf Augenblicke hin der Gegenstand allgemeiner
Aufmerksamkeit geworden wäre. Schon um des virtuosen Puffs und Knalls
willen, womit sie, wie zum Debüt, ihr Tischtuch auseinanderschlug.
Und sehr bald nach ihr erschienen denn auch die dampfenden Schüsseln
und die hohen Weißbierstangen, und selbst der Anisette für Anastasia
war nicht vergessen. Aber es waren ihrer mehrere, da sich der lebens-
und gesellschaftskluge Gabler der allgemeinen Damenstellung zur
Anisette-Frage rechtzeitig erinnert hatte. Und in der Tat, er mußte
lächeln (und Van der Straaten mit ihm), als er gleich nach dem
Erscheinen des Tabletts auch Riekchen nippen und ihre Eulenaugen immer
größer und freundlicher werden sah.
Inzwischen war es dämmerig geworden und mit der Dämmerung kam die
Kühle. Gabler und Elimar erhoben sich, um aus dem Wagen eine Welt von
Decken und Tüchern heranzuschleppen, und Melanie, nachdem sie den
schwarz- und weißgestreiften Burnus umgenommen und die Kapuze kokett
in die Höhe geschlagen hatte, sah reizender aus als zuvor. Eine der
Seidenpuscheln hing ihr in die Stirn und bewegte sich hin und her, wenn
sie sprach, oder dem Gespräche der andern lebhaft folgte. Und dieses
Gespräch, das sich bis dahin medisierend um die Gryczinskis und vor
allem auch um den Polizeirat und die neue, katilinarische Verschwörung
gedreht hatte, fing endlich an sich näherliegenden und zugleich auch
harmloseren Thematas zuzuwenden, beispielsweise wie hell der »Wagen« am
Himmel stünde.
»Fast so hell wie der große Bär,« schaltete Riekchen ein, die nicht
fest in der Himmelskunde war. Und nun entsann man sich, daß dies gerade
die Sternschnuppennächte wären, auf welche Mitteilung hin Van der
Straaten nicht nur die fallenden Sterne zu zählen anfing, sondern sich
schließlich auch bis zu dem Satze steigerte, »daß alles in der Welt
eigentlich nur des Fallens wegen da sei: die Sterne, die Engel, und nur
die Frauen nicht.«
Melanie zuckte zusammen, aber niemand sah es, am wenigsten Van der
Straaten, und nachdem noch eine ganze Weile gezählt und gestritten
und der Abend inzwischen immer kälter geworden war, einigte man sich
dahin, daß es zur Bekämpfung dieser Polarzustände nur ein einzig
erdenkbares Mittel gäbe: eine Glühweinbowle. Van der Straaten selbst
machte den Vorschlag und definierte: »Glühwein ist diejenige Form des
Weines, in der der Wein nichts und das Gewürznägelchen alles bedeutet,«
auf welche Definition hin es gewagt und die Bestellung gemacht wurde.
Und siehe da, nach verhältnismäßig kurzer Zeit schon, erschien auch die
blonde Wirtin in Person, um die Bowle vorsorglich inmitten des Tisches
niederzusetzen.
Und nun nahm sie den Deckel ab und freute sich unter Lachen all
der aufrichtig dankbaren »Achs«, womit ihre Gäste den warmen und
erquicklichen Dampf einsogen. Ein reizender blonder Junge war mit ihr
gekommen und hielt sich an der Schürze der Mutter fest.
»Ihre?« fragte Van der Straaten mit verbindlicher Handbewegung.
»Na, wen sonst,« antwortete die Blondine nüchtern und suchte mit Rubehn
über den Tisch hin ein paar Blicke zu wechseln. Als es aber mißlang,
ergriff sie die blonden Locken ihres Jungen, spielte damit und sagte:
»Komm, Pauleken. Die Herrschaften sind lieber alleine.«
Elimar sah ihr betroffen nach und rieb sich die Stirn. Endlich rief er:
»Gott sei Dank, nun hab' ich's. Ich wußte doch, ich hatte sie schon
gesehn. Irgendwo. Triumphzug des Germanikus; Thusnelda, wie sie leibt
und lebt.«
»Ich kann es nicht finden,« erwiderte Van der Straaten, der ein
Piloty-Schwärmer war. »Und es stimmt auch nicht in Verhältnissen
und Leibesumfängen, immer vorausgesetzt, daß man von solchen Dingen
in Gegenwart unserer Damen sprechen darf. Aber Anastasia wird es
verzeihen, und um den Hauptunterschied noch einmal zu betonen, bei
Piloty gibt sich Thumelikus noch als ein Werdender, während wir ihn
hier bereits an der Schürze seiner Mutter hatten. An der weißesten
Schürze, die mir je vorgekommen ist. Aber sei weiß wie Schnee und
weißer noch. Ach, die Verleumdung trifft dich doch.«
Diese zwei Reimzeilen waren in einer absichtlich spöttischen
Singsangmanier von ihm gesprochen worden, und Rubehn, dem es mißfiel,
wandte sich ab und blickte nach links hin auf den von Lichtern
überblitzten Strom. Melanie sah es und das Blut schoß ihr zu Kopf,
wie nie zuvor. Ihres Gatten Art und Redeweise hatte sie, durch all
die Jahre hin, viel Hunderte von Malen in Verlegenheit gebracht, auch
wohl in bittere Verlegenheiten, aber dabei war es geblieben. Heute zum
ersten Male schämte sie sich seiner.
Van der Straaten indes bemerkte nichts von dieser Verstimmung und
klammerte sich nur immer fester an seinen Thusnelda-Stoff, in der
an und für sich ganz richtigen Erkenntnis, etwas Besseres für seine
Spezialansprüche nicht finden zu können.
»Ich frage jeden, ob dies eine Thusnelda ist? Höher hinauf, meine
Freunde. Göttin Aphrodite, die Venus dieser Gegenden, Venus
Spreavensis, frisch aus demselben Wasser gestiegen, das uns eben
erst unsern teuren Elimar zu rauben trachtete. Das Wasser rauscht,
das Wasser schwoll. Aus der Spree gestiegen, sag' ich. Aber so mich
nicht alles täuscht, haben wir hier +mehr+, meine Freunde. Wir
haben hier, wenn ich richtig beobachtet oder sagen wir, wenn ich
richtig geahnt habe, eine Vermählung von Modernem und Antikem: Venus
Spreavensis und Venus Kallipygos. Ein gewagtes Wort, ich räum' es
ein. Aber in Griechisch und Musik darf man alles sagen. Nicht wahr,
Anastasia? Nicht wahr, Elimar? Außerdem entsinn' ich mich, zu meiner
Rechtfertigung, eines wundervollen Kallipygosepigramms ... Nein, nicht
Epigramms ... Wie heißt etwas Zweizeiliges, was sich nicht reimt ...«
»Distichon.«
»Richtig. Also ich entsinne mich eines Distichons ... bah, da hab' ich
es vergessen ... Melanie, wie war es doch? Du sagtest es damals so
gut und lachtest so herzlich. Und nun hast du's auch vergessen. Oder
+willst+ du's bloß vergessen haben? ... Ich bitte dich ... Ich hasse
das ... Besinne dich. Es war etwas von Pfirsichpflaum und ich sagte
noch ›man fühl' ihn ordentlich‹. Und du fandst es auch und stimmtest
mit ein ... Aber die Gläser sind ja leer ...«
»Und ich denke, wir lassen sie leer,« sagte Melanie scharf und
wechselte die Farbe, während sie mechanisch ihren Sonnenschirm auf- und
zumachte. »Ich denke, wir lassen sie leer. Es ist ohnehin Glühwein. Und
wenn wir noch hinüber wollen, so wird es Zeit sein, +hohe+ Zeit,« und
sie betonte das Wort.
»Ich bin es zufrieden,« entgegnete Van der Straaten, aber in einem
Tone, der nur allzu deutlich erkennen ließ, daß seine gute Stimmung in
ihr Gegenteil umzuschlagen begann. »Ich bin es zufrieden und bedauere
nur, allem Anscheine nach, wieder einmal Anstoß gegeben und das adlige
Haus de Caparoux in seinen höheren Aspirationen verschnupft zu haben.
Es ist immer das alte Lied, das ich nicht gerne höre. +Wenn+ ich es
aber hören will, so lad' ich mir meinen Schwager-Major zu Tische, der
ist erster Kammerherr am Throne des Anstands und der Langenweile.
Heute fehlt er hier und ich hätte gern darauf verzichtet, ihn durch
seine Frau Schwägerin ersetzt zu sehen. Ich hasse Prüderien und jene
Prätensionen höherer Sittlichkeit, hinter denen nichts steckt. Im
günstigsten Falle nichts steckt. Ich darf das sagen und jedenfalls
+will+ ich es sagen, und was ich gesagt habe, das habe ich gesagt.«
Es antwortete niemand. Ein schwacher Versuch Gablers, wieder
einzulenken, mißlang, und in ziemlich geschäftsmäßigem, wenn auch
freilich wieder ruhiger gewordenem Tone wurden alle noch nötigen
Verabredungen zur Überfahrt nach Treptow in zwei kleinen Booten
getroffen; Ehm aber sollte, mit Benutzung der nächsten Brücke, die
Herrschaften am andern Ufer erwarten. Alles stimmte zu, mit Ausnahme
von Fräulein Riekchen, die verlegen erklärte, »daß Bootschaukeln,
von klein auf, ihr Tod gewesen sei«. Worauf sich Van der Straaten
in einem Anfalle von Ritterlichkeit erbot, mit ihr in der Glaslaube
zurückbleiben und das Anlegen des nächsten, vom »Eierhäuschen« her
erwarteten Dampfschiffes abpassen zu wollen.


10
Wohin treiben wir?

Es währte nicht lange, so steuerten von einer dunklen, etwas weiter
flußaufwärts gelegenen Uferstelle her, zwei Jollen auf das Floß zu,
jede mit einer Stocklaterne vorn an Bord. In der kleineren saß derselbe
Junge, der schon am Nachmittage die Reifen auf die Kirchhofswiese
hinausgetragen hatte, während die größere Jolle, leer und bloß
angekettet, im Fahrwasser der anderen nachschwamm. Es gab einen
hübschen Anblick, und kaum daß die beiden Fahrzeuge lagen, so stiegen
auch, vom Floß aus, die schon ungeduldig Wartenden ein: Rubehn und
Melanie in das kleinere, die beiden Maler und Anastasia in das größere
Boot, eine Verteilung, die sich wie von selber machte, weil Elimar und
Gabler gute Kahnfahrer waren und jeder anderweitigen Führung entbehren
konnten. Sie nahmen denn auch die Tete und der Junge mit der kleineren
Jolle folgte.
Van der Straaten sah ihnen eine Weile nach und sagte dann zu dem
Fräulein: »Es ist mir ganz lieb, Riekchen, daß wir zurückgeblieben sind
und auf das Dampfschiff warten müssen. Ich habe Sie schon immer fragen
wollen, wie gefällt Ihnen unser neuer Hausgenosse? Sie sprechen nicht
viel, und wer nicht viel spricht, der beobachtet gut.«
»O, er gefällt mir.«
»Und +mir+ gefällt es, Riekchen, daß er Ihnen gefällt. Nur das ›o‹
beklag' ich, denn es hebt ein gut Teil Lob wieder auf, und ›o, er
gefällt mir‹, ist eigentlich nicht viel besser, als ›o, er gefällt mir
+nicht+‹. Sie sehen, ich lasse Sie nicht wieder los. Also nur immer
tapfer mit der Sprache heraus. Warum nur o? Woran liegt es? Wo fehlt
es? Mißtrauen Sie seinen Dragonerreserveleutnants-Allüren? Ist er Ihnen
zu kavaliermäßig oder zu wenig? Ist er Ihnen zu laut oder zu still, zu
bescheiden oder zu stolz, zu warm oder zu kalt?«
»Damit möchten Sie's getroffen haben.«
»Womit?«
»Mit dem zu kalt. Ja, er ist mir zu kalt. Als ich ihn das erstemal
sah, hatt' ich einen guten Eindruck, obgleich nicht voll so gut wie
Anastasia. Natürlich nicht. Anastasia singt und ist exzentrisch und
will einen Mann haben.«
»Will jede.«
»Ich auch?« lachte die Kleine.
»Wer weiß, Riekchen.«
»... Also das erste war: er gefiel mir. Es war in der Veranda, gleich
nach dem zweiten Frühstück, wir hatten eben die blauen Milchsatten
zurückgeschoben, und es ist mir, als wär' es gestern gewesen. Da kam
der alte Teichgräber und brachte seine Karte. Und dann kam er selbst.
Nun, er hat etwas Distinguiertes und man sieht auf den ersten Blick,
daß er die kleine Not des Lebens nicht kennen gelernt hat. Und das
ist immer hübsch und das Hübsche davon soll ihm unbenommen sein. Er
hat aber auch etwas Reserviertes. Und wenn ich sage was Reserviertes,
so hab' ich noch sehr wenig gesagt. Denn Reserviertsein ist gut und
schicklich. Er übertreibt es aber. Anfangs glaubt' ich, es sei die
kleine gesellschaftliche Scheu, die jeden ziert, auch den Mann von
Welt, und er werd' es ablegen. Aber bald konnt' ich sehen, daß es nicht
Scheu war. Nein, ganz im Gegenteil. Es ist Selbstbewußtsein. Er hat
etwas amerikanisch Sicheres. Und so sicher er ist, so kalt ist er auch.«
»Ja, Riekchen, er war zu lange drüben, und drüben ist nicht der Platz,
um Bescheidenheit und warme Gefühle zu lernen.«
»Sie sind auch nicht zu lernen. Aber man kann sie leider +ver+lernen.«
»Verlernen?« lachte Van der Straaten. »Ich bitte Sie, Riekchen, er ist
ja ein Frankfurter!«
* * * * *
Während dieses Gespräch in dem Glassalon geführt wurde, steuerten die
beiden Boote der Mitte des Stromes zu. Auf dem größeren war Scherz
und Lachen, aber auf dem kleineren, das folgte, schwieg alles und
Melanie beugte sich über den Rand und ließ das Wasser durch ihre Finger
plätschern.
»Ist es immer nur das Wasser, dem Sie die Hand reichen Freundin?«
»Es kühlt. Und ich hab' es so heiß.«
»So legen Sie den Burnus ab« ... Und er erhob sich, um ihr behilflich
zu sein.
»Nein,« sagte sie heftig und abwehrend. »Mich friert.« Und er sah nun,
daß sie wirklich fröstelnd zusammenzuckte.
Und wieder fuhren sie schweigend dem andern Boote nach und horchten
auf die Lieder, die von dorther herüberklangen. Erst war es »~Long,
long ago~« und immer wenn der Refrain kam, summte Melanie die Zeile
mit. Und nun lachten sie drüben, und neue Lieder wurden intoniert und
ebenso rasch wieder verworfen, bis man sich endlich über eines geeinigt
zu haben schien. »O säh' ich auf der Heide dort.« Und wirklich, sie
hielten aus und sangen alle Strophen durch. Aber Melanie sang nicht
leise mehr mit, um nicht durch ein Zittern ihrer Stimme ihre Bewegung
zu verraten.
Und nun waren sie mitten auf dem Strom, außer Hörweite von den
Vorauffahrenden, und der Junge, der sie beide fuhr, zog mit einem Ruck
die Ruder ein und legte sich bequem ins Boot nieder und ließ es treiben.
»Er sieht auch zu den Sternen auf,« sagte Rubehn.
»Und zählt, wie viele fallen,« lachte Melanie bitter. »Aber Sie dürfen
mich nicht so verwundert ansehen, lieber Freund, als ob ich etwas
Besonderes gesagt hätte. Das ist ja, wie Sie wissen, oder wenigstens
seit +heute+ wissen müssen, der Ton unsres Hauses. Ein bißchen spitz,
ein bißchen zweideutig und immer unpassend. Ich befleißige mich der
Ausdrucksweise meines Mannes. Aber freilich ich bleibe hinter ihm
zurück. Er ist eben unerreichbar und weiß so wundervoll alles zu
treffen, was kränkt und bloßstellt und beschämt.«
»Sie dürfen sich nicht verbittern.«
»Ich verbittere mich nicht. Aber ich bin verbittert. Und weil ich
es bin und es los sein möchte, deshalb sprech' ich so. Van der
Straaten ...«
»Ist anders als andre. Aber er liebt Sie, glaub' ich ... Und er ist
gut.«
»Und er ist gut,« wiederholte Melanie heftig und in beinahe
krampfhafter Heiterkeit. »Alle Männer sind gut! ... Und nun fehlt
nur noch der Zwirnwickel und das Fußkissen mit dem Symbol der Treue
darauf, so haben wir alles wieder beisammen. O Freund, wie konnten Sie
nur +das+ sagen, und um ihn zu rechtfertigen so ganz in seinen Ton
verfallen!«
»Ich würde durch jeden Ton Anstoß gegeben haben.«
»Vielleicht ... Oder sagen wir lieber gewiß. Denn es war zu viel,
dieser ewige Hinweis auf Dinge, die nur unter vier Augen gehören,
und das kaum. Aber er kennt kein Geheimnis, weil ihm nichts des
Geheimnisses wert dünkt. Weil ihm nichts heilig ist. Und wer anders
denkt, ist scheinheilig oder lächerlich. Und das vor Ihnen ...«
Er nahm ihre Hand und fühlte, daß sie fieberte.
Die Sterne aber funkelten und spiegelten sich und tanzten um sie her,
und das Boot schaukelte leis und trieb im Strom und in Melanies Herzen
erklang es immer lauter: wohin treiben wir?
Und sieh, es war, als ob der Bootsjunge von derselben Frage beunruhigt
worden wäre, denn er sprang plötzlich auf und sah sich um, und
wahrnehmend, daß sie weit über die rechte Stelle hinaus waren, griff er
jetzt mit beiden Rudern ein und warf die Jolle nach linksherum, um so
schnell wie möglich aus der Strömung heraus und dem andern Ufer wieder
näher zu kommen. Und sieh, es gelang ihm auch, und ehe fünf Minuten um
waren, erkannte man die von zahllosen Lichtern erhellten Baumgruppen
des Treptower Parks, und Rubehn und Melanie hörten Anastasias Lachen
auf dem vorauffahrenden Boot. Und nun schwieg das Lachen und das Singen
begann wieder. Aber es war ein andres Lied und über das Wasser hin
klang es »Rothtraut, Schön-Rothtraut«, erst laut und jubelnd, bis es
schwermütig in die Worte verklang: »Schweig stille, mein Herze.«
»Schweig stille, mein Herze,« wiederholte Rubehn und sagte leise »soll
es?«
Melanie antwortete nicht. Das Boot aber lief ans Ufer, an dem Elimar
und Arnold schon in aller Dienstbeflissenheit warteten. Und gleich
darauf kam auch das Dampfschiff, und Riekchen und Van der Straaten
stiegen aus. Er heiter und gesprächig.
Und er nahm Melanies Arm und schien die Szene, die den Abend gestört
hatte, vollkommen vergessen zu haben.


11
Zum Minister

»Wohin treiben wir?« hatte es in Melanies Herzen gefragt und die Frage
war ihr unvergessen geblieben. Aber der fieberhaften Erregung jener
Stunde hatte sie sich entschlagen, und in den Tagen, die folgten, war
ihr die Herrschaft über sich selbst zurückgekehrt.
Und diese Herrschaft blieb ihr auch, und sie zuckte nur einen
Augenblick zusammen, als sie, nach Ablauf einer Woche, Rubehn am Gitter
draußen halten und gleich darauf auf die Veranda zukommen sah. Sie ging
ihm wie gewöhnlich einen Schritt entgegen und sagte: »Wie ich mich
freue, Sie wieder zu sehen! Sonst sahen wir Sie jeden dritten Tag, und
Sie haben diesmal eine Woche vergehen lassen, fast eine Woche. Aber die
Strafe folgt Ihnen auf dem Fuße. Sie treffen nur Anastasia und mich.
Unser Riekchen, das Sie ja zu schätzen wissen (wenn auch freilich nicht
genug), hat uns auf einen ganzen Monat verlassen und erzieht sieben
kleine Vettern auf dem Lande. Lauter Jungen und lauter Sawatzkis, und
in ihren übermütigsten Stunden auch mutmaßlich lauter Sattler von der
Hölle.«
»Sagen wir lieber gewiß. Und dazu Riekchen als Präzeptor und Regente.
Muß das eine Zügelführung sein!«
»O, Sie verkennen sie; sie weiß sich in Respekt zu setzen.«
»Und doch möcht' ich die Verzweiflung des Gärtners über zertretene
Rabatten und die des Försters über angerichteten Wildschaden nicht mit
Augen sehn. Denn ein kleiner Junker schießt alles, was kreucht und
fleucht. Und nun gar sieben. Aber ich vergesse, mich meines Auftrages
zu entledigen. Van der Straaten ... Ihr Herr Gemahl ... bittet, ihn zu
Tisch +nicht+ erwarten zu wollen. Er ist zum Minister befohlen und zwar
in Sachen einer Enquete. Freilich erst morgen. Aber heute hat er das
Vorspiel: das Diner. Sie wissen, meine gnädigste Frau, es gibt jetzt
nur noch Enqueten.«
»Es gibt nur noch Enqueten, aber es gibt keine gnädigste Frauen mehr.
Wenigstens nicht hier und am wenigsten zwischen uns. Eine Gnädigste
bin ich überhaupt nur bei Gryczinskis. Ich bin Ihre gute Freundin und
weiter nichts. Nicht wahr?« Und sie gab ihm ihre Hand, die er nahm und
küßte. »Und ich will nicht,« fuhr sie fort, »daß wir diese sechs Tage
nur gelebt haben, um unsre Freundschaft um ebenso viele Wochen zurück
zu datieren. Also nichts mehr von einer ›gnädigsten Frau‹.« Und dabei
zwang sie sich, ihn anzusehen. Aber ihr Herz schlug und ihre Stimme
zitterte bei der Erinnerung an den Abend, der nur zu deutlich vor ihrer
Seele stand.
»Ja, lieber Freund,« nahm sie nach einer kurzen Pause wieder das
Wort, »ich mußte das zwischen uns klar machen. Und da wir einmal
beim Klarmachen sind, so muß auch noch ein andres heraus, auch etwas
Persönliches und Diffiziles. Ich muß Ihnen nämlich endlich einen Namen
geben. Denn Sie haben eigentlich keinen Namen, oder wenigstens keinen,
der zu brauchen wäre.«
»Ich dächte doch ...« sagte Rubehn mit einem leisen Anfluge von
Verlegenheit und Mißstimmung.
»Ich dächte doch,« wiederholte Melanie und lachte. »Daß doch auch die
Klugen und Klügsten auf +diesen+ Punkt hin immer empfindlich sind! Aber
ich bitte Sie, sich aller Empfindlichkeiten entschlagen zu wollen. Sie
sollen selbst entscheiden. Beantworten Sie mir auf Pflicht und Gewissen
die Frage: ob Ebenezer ein Name ist? Ich meine ein Name fürs Haus,
fürs Geplauder, für die Causerie, die doch nun mal unser Bestes ist!
Ebenezer! O Sie dürfen nicht so bös aussehen. Ebenezer ist ein Name für
einen Hohenpriester oder für einen, der's werden will, und ich seh'
ihn ordentlich, wie er das Opfermesser schwingt. Und sehen Sie, davor
schaudert mir. Ebenezer ist ~au fond~ nicht besser als Aaron. Und es
ist auch nichts daraus zu machen. Aus Ezechiel habe ich mir einen Ezel
glücklich kondensiert. Aber Ebenezer!«
Anastasia weidete sich an Rubehns Verlegenheit und sagte dann: »Ich
wüßte schon eine Hilfe.«
»O, die weiß ich auch. Und ich könnte sogar alles in einen allgemeinen
und fast nach Grammatik klingenden Satz bringen. Und dieser Satz würde
sein: Um- und Rückformung des abstrusen Familiennamens Rubehn in den
alten, mir immer lieb gewesenen Vornamen Ruben.«
»Und das wollt' ich auch sagen,« eiferte Anastasia.
»Aber ich +hab'+ es gesagt.«
Und in diesem Prioritätsstreite scherzte sich Melanie mehr und mehr
in den Ton alter Unbefangenheit hinein und fuhr endlich, gegen
Rubehn gewendet, fort: »Und wissen Sie, lieber Freund, daß mir diese
Namensgebung wirklich etwas bedeutet? Ruben, um es zu wiederholen,
war mir von jeher der Sympathischste von den Zwölfen. Er hatte das
Hochherzige, das sich immer bei dem Ältesten findet, einfach weil
er der Älteste ist. Denken Sie nach, ob ich nicht recht habe. Die
natürliche Herrscherstellung des Erstgeborenen sichert ihn vor
Mesquinerie und Intrigue.«
»Jeder Erstgeborene wird Ihnen für diese Verherrlichung dankbar sein
müssen, und jeder Ruben erst recht. Und doch gesteh' ich Ihnen offen,
ich hätt' unter den Zwölfen eine andere Wahl getroffen.«
»Aber gewiß keine bessere. Und ich hoff' es Ihnen beweisen zu können.
Über die sechs Halblegitimen ist weiter kein Wort zu verlieren; Sie
nicken, sind also einverstanden. Und so nehmen wir denn, als erstes
Betrachtungsobjekt, die Nestküken der Familie, die Muttersöhnchen. Es
wird so viel von ihnen gemacht, aber Sie werden mir zustimmen, daß die
spätere ägyptische Exzellenz nicht so ganz ohne Not in die Zisterne
gesteckt worden ist. Er war einfach ein ~enfant terrible~. Und nun gar
der Jüngste! Verwöhnt und verzogen. Ich habe selbst ein Jüngstes und
weiß etwas davon zu sagen ... Und so bleiben uns denn wirklich nur die
vier alten Grognards von der Lea her. Wohl, sie haben alle vier ihre
Meriten. Aber doch ist ein Unterschied. In dem Levi spukt schon der
Levit, und in dem Juda das Königtum, -- ein Stückchen Illoyalität, das
Sie mir als freier Schweizerin zugute halten müssen. Und so sehen wir
uns denn vor den Rest gestellt, vor die beiden letzten, die natürlich
die beiden ersten sind. ~Eh bien~, ich will nicht mäkeln und feilschen
und will dem Simeon lassen, was ihm zukommt. Er war ein Charakter
und als solcher wollt' er dem Jungen ans Leben. Charaktere sind nie
für halbe Maßregeln. Aber da trat Ruben dazwischen, +mein+ Ruben,
und rettete den Jungen, weil er des alten Vaters gedachte. Denn er
war gefühlvoll und mitleidig und hochherzig. Und was Schwäche war,
darüber sag' ich nichts. Er hatte die Fehler seiner Tugenden, wie wir
alle. Das war es und weiter nichts. Und deshalb Ruben und immer wieder
Ruben. Und kein Appell und kein Refus. Anastasia, brich einen Tauf-
und Krönungszweig ab, da von der Esche drüben. Wir können sie dann die
Ruben-Esche nennen.«
Und dieses scherzhafte Geplauder würde sich mutmaßlich noch fortgesetzt
haben, wenn nicht in eben diesem Augenblicke der wohlbekannte,
zweirädrige Gig sichtbar geworden wäre, von dessen turmhohem Sitze
herab Van der Straaten über das Gitter weg mit der Peitsche salutierte.
Und nun hielt das Gefährt, und der Enqueten-Kommerzienrat erschien
in der Veranda, strahlend von Glück und freudiger Erregung. Er küßte
Melanie die Stirn und versicherte einmal über das andere, daß er
sich's nicht habe versagen wollen, die freie halbe Stunde bis zum
ministeriellen Diner ~au sein de sa famille~ zu verbringen.
Und nun nahm er Platz und rief in das Haus hinein: »Liddi, Liddi.
Rasch. Antreten. Immer flink. Und Heth auch; das Stiefkind, die
Kleine, die vernachlässigt wird, weil sie mir ähnlich sieht ...«
»Und von der ich eben erzählt habe, daß sie grenzenlos verwöhnt würde.«
Die Kinder waren inzwischen erschienen, und der glückliche Vater nahm
ein elegantes Tütchen mit papierenem Spitzenbesatz aus der Tasche und
hielt es Lydia hin. Diese nahm's und gab es an die Kleine weiter. »Da
Heth.«
»Magst du nicht?« fragte Van der Straaten. »Sieh doch erst nach. Es
sind ja Pralines. Und noch dazu von Sarotti.«
Aber Lydia sah mit einem Streifblick zu Rubehn hinüber und sagte:
»Tüten sind für Kinder. Ich mag nicht.«
Alles lachte, selbst Rubehn, trotzdem er wohl fühlte, daß er der Grund
dieser Ablehnung war. Van der Straaten indes nahm die kleine Heth
auf den Schoß und sagte: »Du bist deines Vaters Kind. Ohne Faxen und
Haberei. Lydia spielt schon die de Caparoux.«
»Laß sie,« sagte Melanie.
»Ich werde sie lassen +müssen+. Und sonderbar zu sagen, ich hasse die
Vornehmheitsallüren eigentlich nur für mich selbst. In meiner Familie
sind sie mir ganz recht, wenigstens gelegentlich, abgesehen davon,
daß sich auch für meine Person allerhand Wandlungen vorbereiten. Denn
in meiner Eigenschaft als Mitglied einer Enquetenkommission hab'
ich die Verpflichtung höherer gesellschaftlicher Formen übernommen,
und geht das so weiter, Melanie, so hältst du zwischen heut und
sechs Wochen einen halben Oberzeremonienmeister in deinen Händen.
In den Sechswochenschaften hat ja von Uranfang an etwas mysteriös
Bedeutungsvolles geschlummert.«
»Eine Wendung, lieber Van der Straaten, die mir vorläufig nur wieder
zeigt, wie weitab du noch von deiner neuen Charge bist.«
»Allerdings, allerdings,« lachte Van der Straaten. »Gut Ding will Weile
haben, und Rom wurde nicht an einem Tage gebaut. Und nun sage mir, denn
ich habe nur noch zehn Minuten, wie du diesen Nachmittag zu verbringen
und unsern Freund Rubehn zu divertieren gedenkst. Verzeih die Frage.
Aber ich kenne deine mitunter ängstliche Gleichgültigkeit gegen Tisch-
und Tafelfreuden und berechne mir in der Eile, daß deine Bohnen und
Hammelkotelettes, auch wenn die Bohnen ziepsig und die Kotelettes
zähe sind, nicht gut über eine halbe Stunde hinaus ausgedehnt werden
können. Auch nicht unter Heranziehung eines Desserts von Erdbeeren und
Stiltonkäse. Und so sorg' ich mich denn um euch, und zwar um so mehr,
als ihr nicht die geringste Chance habt, mich vor neun Uhr wieder hier
zu sehn.«
»Ängstige dich nicht,« entgegnete Melanie. »Es ist keine Frage, daß
wir dich schmerzlich entbehren werden. Du wirst uns fehlen, du +mußt+
uns fehlen. Denn wer könnt' uns, um nur eines zu nennen, den Hochflug
deiner bilderreichen Einbildungskraft ersetzen. Kaum, daß wir ihr zu
folgen verstehn. Und doch verbürg' ich mich für Unterbringung dieser
armen, verlorenen Stunden, die dir so viel Sorge machen. Und du sollst
sogar das Programm wissen.«
»Da wär' ich neugierig.«
»Erst singen wir.«
»Tristan?«
»Nein. Und Anastasia begleitet. Und dann haben wir unser Diner oder
doch das, was dafür aufkommen muß. Und es wird sich schon machen. Denn
immer, wenn du nicht da bist, suchen wir uns durch einen besseren Tisch
und ein paar eingeschobene süße Speisen zu trösten.«
»Glaub's, glaub's. Und dann?«
»Dann hab' ich vor, unsern lieben Freund, den ich dir übrigens, nach
einem allerjüngsten Übereinkommen, als Rubehn mit dem gestrichenen h,
also schlechtweg als unsern Freund Ruben vorstelle, mit den Schätzen
und Schönheiten unsrer Villa bekannt zu machen. Er ist eine Legion von
Malen, wenn auch immer noch nicht oft genug, unser lieber Gast gewesen
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