Schach von Wuthenow - 10

Total number of words is 4240
Total number of unique words is 1559
40.1 of words are in the 2000 most common words
51.0 of words are in the 5000 most common words
56.0 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
worüber am letzten Sonntag in der kleinen Melonenkürche gepredigt wurde,
die wieder sehr leer war, ich glaube nicht mehr als ölf oder zwölf. Aber
als Tante der lieben Braut, in welcher Beziehung ich wohl die älteste
bin, erheb ich dieses Glas, um noch einmal auf dem Wohle des jungen
Paares zu trinken.«
Und danach setzte sie sich wieder, um die Huldigungen der Gesellschaft
entgegenzunehmen. Schach versuchte der alten Dame die Hand zu küssen,
was sie jedoch wehrte, wogegen sie Victoirens Umarmung mit allerlei
kleinen Liebkosungen und zugleich mit der Versicherung erwiderte: »sie
hab es alles vorher gewußt, von dem Nachmittag an, wo sie die Fahrt nach
Tempelhof und den Gang nach der Kürche gemacht hätten. Denn sie hab es
wohl gesehen, daß Victoire neben dem großen für die Mama bestimmten
Veilchenstrauß auch noch einen kleinen Strauß in der Hand gehalten
hätte, den habe sie dem lieben Bräutigam, dem Herrn von Schach, in der
Kürchenthüre präsentiren wollen. Aber als er dann gekommen sei, habe sie
das kleine Bouquet wieder weggeworfen, und es sei dicht neben der Thür
auf ein Kindergrab gefallen, was immer etwas bedeute, und auch =dies=mal
etwas bedeutet habe. Denn so sehr sie gegen dem Aberglauben sei, so
glaube sie doch an Sympathie, natürlich bei abnehmendem Mond. Und der
ganze Nachmittag stehe noch so deutlich vor ihr, als wär es gestern
gewesen, und wenn manche so thäten, als wisse man nichts, so hätte man
doch auch seine zwei gesunden Augen, und wisse recht gut wo die besten
Kürschen hingen.« In diesen Satz vertiefte sie sich immer mehr, ohne daß
die Bedeutung desselben dadurch klarer geworden wäre.
Nach Tante Margueritens Toast löste sich die Tafelreihe; jeder verließ
seinen Platz, um abwechselnd hier oder dort eine Gastrolle geben zu
können, und als bald danach auch die großen Jostyschen Devisenbonbons
umhergereicht und allerlei Sprüche wie beispielsweise »Liebe wunderbare
Fee, Selbst dein Wehe thut nicht weh«, aller kleinen und undeutlichen
Schrift unerachtet, entziffert und verlesen worden waren, erhob man sich
von der Tafel. Alvensleben führte Frau von Carayon, Sander Tante
Marguerite, bei welcher Gelegenheit, und zwar über das Ruth-Thema, von
Seiten Sanders allerlei kleine Neckereien verübt wurden, Neckereien, die
der Tante so sehr gefielen, daß sie Victoiren, als der Kaffee servirt
wurde, zuflüsterte: »Charmanter Herr. Und so galant. Und so
bedeutungsvoll.«
Schach sprach viel mit Sander, erkundigte sich nach Bülow, »der ihm zwar
nie sympathisch, aber trotz all seiner Schrullen immer ein Gegenstand
des Interesses gewesen sei« und bat Sander, ihm, bei sich darbietender
Gelegenheit, dies ausdrücken zu wollen. In allem was er sagte, sprach
sich Freundlichkeit und ein Hang nach Versöhnung aus.
In diesem Hange nach Versöhnung stand er aber nicht allein da, sondern
begegnete sich darin mit Frau von Carayon. Als ihm diese persönlich eine
zweite Tasse präsentirte, sagte sie, während er den Zucker aus der
Schale nahm: »Auf ein Wort, lieber Schach. Aber im Nebenzimmer.«
Und sie ging ihm dahin vorauf.
»Lieber Schach,« begann sie, hier auf einem großgeblümten Kanapee Platz
nehmend, von dem aus beide mit Hilfe der offenstehenden Flügelthür einen
Blick auf das Eckzimmer hin frei hatten, »es sind dies unsere letzten
Minuten, und ich möchte mir, ehe wir Abschied von einander nehmen, noch
manches von der Seele heruntersprechen. Ich will nicht mit meinem Alter
kokettiren, aber ein Jahr ist eine lange Zeit, und wer weiß, ob wir uns
wiedersehen. Ueber Victoire kein Wort. Sie wird Ihnen keine trübe Stunde
machen: sie liebt Sie zu sehr, um es zu können oder zu wollen. Und Sie,
lieber Schach, werden sich dieser Liebe würdig zeigen. Sie werden ihr
nicht wehe thun, diesem süßen Geschöpf, das nur Demuth und Hingebung
ist. Es ist unmöglich. Und so verlang ich denn kein Versprechen von
Ihnen. Ich weiß im Voraus, ich hab es.«
Schach sah vor sich hin, als Frau von Carayon diese Worte sprach, und
tröpfelte, während er die Tasse mit der Linken hielt, den Kaffee langsam
aus dem zierlichen kleinen Löffel.
»Ich habe seit unsrer Versöhnung,« fuhr sie fort, »mein Vertrauen
wieder. Aber dies Vertrauen, wie mein Brief Ihnen schon aussprach, war
in Tagen, die nun glücklicher Weise hinter uns liegen, um vieles mehr
als ich es für möglich gehalten hätte, von mir gewichen, und in diesen
Tagen hab ich harte Worte gegen Sie gebraucht, harte Worte, wenn ich mit
Victoiren sprach, und noch härtere, wenn ich mit mir allein war. Ich
habe Sie kleinlich und hochmüthig, eitel und bestimmbar gescholten, und
habe Sie, was das Schlimmste war, der Undankbarkeit und der _lâcheté_
geziehen. Und das beklag ich jetzt, und schäme mich einer Stimmung, die
mich unsre Vergangenheit so vergessen lassen konnte.«
Sie schwieg einen Augenblick. Aber als Schach antworten wollte, litt
sie's nicht und sagte: »Nur ein Wort noch. Alles was ich in jenen Tagen
gesagt und gedacht habe, bedrückte mich, und verlangte nach dieser
Beichte. Nun erst ist alles wieder klar zwischen uns, und ich kann Ihnen
wieder frei ins Auge sehen. Aber nun genug. Kommen Sie. Man wird uns
ohnehin schon vermißt haben.«
Und sie nahm seinen Arm und scherzte: »Nicht wahr? _On revient toujours
à ses premiers amours._ Und ein Glück, daß ich es Ihnen lachend
aussprechen kann, und in einem Momente reiner und ganzer Freude.«
Victoire trat Schach und ihrer Mama von dem Eckzimmer her entgegen, und
sagte: »Nun, was war es?«
»Eine Liebeserklärung.«
»Ich dacht es. Und ein Glück, Schach, daß wir morgen reisen. Nicht wahr?
Ich möchte der Welt um keinen Preis das Bild einer eifersüchtigen
Tochter geben.«
Und Mutter und Tochter nahmen auf dem Sopha Platz, wo sich Alvensleben
und Nostitz ihnen gesellten.
In diesem Augenblick wurde Schach der Wagen gemeldet, und es war als ob
er sich bei dieser Meldung verfärbe. Frau von Carayon sah es auch. Er
sammelte sich aber rasch wieder, empfahl sich, und trat in den Korridor
hinaus, wo der kleine Groom mit Mantel und Hut auf ihn wartete. Victoire
war ihm bis an die Treppe hinaus gefolgt, auf der noch vom Hof her ein
halber Tagesschein flimmerte.
»Bis auf morgen,« sagte Schach, und trennte sich und ging.
Aber Victoire beugte sich weit über das Geländer vor und wiederholte
leise: »Bis auf morgen. Hörst Du?.... Wo sind wir morgen?«
Und siehe, der süße Klang ihrer Stimme verfehlte seines Eindrucks
=nicht=, auch in =diesem= Augenblicke nicht. Er sprang die Stufen wieder
hinauf, umarmte sie, wie wenn er Abschied nehmen wolle für immer, und
küßte sie.
»Auf Wiedersehn, Mirabelle.«
Und nachhorchend hörte sie noch seinen Schritt auf dem Flur. Dann fiel
die Hausthür ins Schloß, und der Wagen rollte die Straße hinunter.
Auf dem Bocke saßen Ordonnanz Baarsch und der Groom, von denen jener
sich's eigens ausbedungen hatte, seinen Rittmeister und Gutsherrn an
diesem seinem Ehrentage fahren zu dürfen. Was denn auch ohne weiteres
bewilligt worden war. Als der Wagen aus der Behren- in die
Wilhelmsstraße einbog, gab es einen Ruck oder Schlag, ohne daß ein Stoß
von unten her verspürt worden wäre.
»_Damm_,« sagte Groom. »_What's that?_«
»Wat et is? Wat soll et sind, Kleener? En Steen is et; en doter
Feldwebel.«
»_Oh no_, Baarsch. Nich _stone. 't was something .... dear me .... like
shooting._«
»Schuting? Na nu.«
»_Yes; pistol-shooting ...._«
Aber der Satz kam nicht mehr zu Ende, denn der Wagen hielt vor Schachs
Wohnung, und der Groom sprang in Angst und Eile vom Bock, um seinem
Herrn beim Aussteigen behilflich zu sein. Er öffnete den Wagenschlag,
ein dichter Qualm schlug ihm entgegen, und Schach saß aufrecht in der
Ecke, nur wenig zurückgelehnt. Auf dem Teppich zu seinen Füßen lag das
Pistol. Entsetzt warf der Kleine den Schlag wieder ins Schloß und
jammerte: »_Heavens, he is dead._«
Die Wirthsleute wurden alarmirt, und so trugen sie den Todten in seine
Wohnung hinauf.
Baarsch fluchte und flennte, und schob alles auf die »Menschheit«, weil
er's aufs Heirathen zu schieben nicht den Muth hatte. Denn er war eine
diplomatische Natur wie alle Bauern.


Zwanzigstes Kapitel.
Bülow an Sander.

=Königsberg=, 14. Sept. 1806. ».... Sie schreiben mir, lieber Sander,
auch von Schach. Das rein Thatsächliche wußt ich schon, die Königsberger
Zeitung hatte der Sache kurz erwähnt, aber erst Ihrem Briefe verdank ich
die Aufklärung, so weit sie gegeben werden kann. Sie kennen meine
Neigung (und dieser folg ich auch heut), aus dem Einzelnen aufs Ganze zu
schließen, aber freilich auch umgekehrt aus dem Ganzen aufs Einzelne,
was mit dem Generalisiren zusammenhängt. Es mag das sein Mißliches haben
und mich oft zu weit führen. Indessen wenn jemals eine Berechtigung dazu
vorlag, so hier, und speziell =Sie= werden es begreiflich finden, daß
mich dieser Schach-Fall, der nur ein Symptom ist, um eben seiner
symptomatischen Bedeutung willen aufs ernsteste beschäftigt. Er ist
durchaus Zeiterscheinung, aber wohlverstanden mit lokaler Begrenzung,
ein in seinen Ursachen ganz abnormer Fall, der sich in dieser Art und
Weise nur in Seiner Königlichen Majestät von Preußen Haupt- und
Residenzstadt, oder, wenn über diese hinaus, immer nur in den Reihen
unsrer nachgeborenen fridericianischen Armee zutragen konnte, einer
Armee, die statt der Ehre nur noch den Dünkel, und statt der Seele nur
noch ein Uhrwerk hat -- ein Uhrwerk, das bald genug abgelaufen sein
wird. Der große König hat diesen schlimmen Zustand der Dinge
vorbereitet, aber daß er =so= schlimm werden konnte, dazu mußten sich
die großen Königsaugen erst schließen, vor denen bekanntermaßen jeder
mehr erbangte, als vor Schlacht und Tod.
Ich habe lange genug dieser Armee angehört, um zu wissen daß ›Ehre‹ das
dritte Wort in ihr ist; eine Tänzerin ist charmant ›auf Ehre‹, eine
Schimmelstute magnifique ›auf Ehre‹, ja, mir sind Wucherer empfohlen und
vorgestellt worden, die süperb ›auf Ehre‹ waren. Und dies beständige
Sprechen von Ehre, von einer falschen Ehre, hat die Begriffe verwirrt
und die richtige Ehre todt gemacht.
All das spiegelt sich auch in diesem Schach-Fall, in Schach selbst, der,
all seiner Fehler unerachtet, immer noch einer der besten war.
Wie lag es denn? Ein Offizier verkehrt in einem adligen Hause; die
Mutter gefällt ihm, und an einem schönen Maitage gefällt ihm auch die
Tochter, vielleicht, oder sagen wir lieber sehr wahrscheinlich, weil ihm
Prinz Louis eine halbe Woche vorher einen Vortrag über »_beauté du
diable_« gehalten hat. Aber gleichviel, sie gefällt ihm, und die Natur
zieht ihre Konsequenzen. Was, unter so gegebenen Verhältnissen, wäre nun
wohl einfacher und natürlicher gewesen, als Ausgleich durch einen
Eheschluß, durch eine Verbindung, die weder gegen den äußeren Vortheil,
noch gegen irgend ein Vorurtheil verstoßen hätte. Was aber geschieht? Er
flieht nach Wuthenow, einfach weil das holde Geschöpf, um das sich's
handelt, ein paar Grübchen mehr in der Wange hat, als gerade modisch
oder herkömmlich ist, und weil diese »paar Grübchen zuviel« unsren
glatten und wie mit Schachtelhalm polirten Schach auf vier Wochen in
eine von seinen Feinden bewitzelte Stellung hätten bringen können. Er
flieht also, sag ich, löst sich feige von Pflicht und Wort, und als ihn
schließlich, um ihn selber sprechen zu lassen, sein »Allergnädigster
König und Herr« an Pflicht und Wort erinnert und strikten Gehorsam
fordert, da gehorcht er, aber nur, um im Momente des Gehorchens den
Gehorsam in einer allerbrüskesten Weise zu brechen. Er kann nun mal
Zietens spöttischen Blick nicht ertragen, noch viel weniger einen neuen
Ansturm von Karrikaturen, und in Angst gesetzt durch einen Schatten,
eine Erbsenblase, greift er zu dem alten Auskunftsmittel der
Verzweifelten: _un peu de poudre_.
Da haben Sie das Wesen der falschen Ehre. Sie macht uns abhängig von dem
Schwankendsten und Willkürlichsten, was es giebt, von dem auf Triebsand
aufgebauten Urtheile der Gesellschaft, und veranlaßt uns, die heiligsten
Gebote, die schönsten und natürlichsten Regungen eben diesem
Gesellschaftsgötzen zum Opfer zu bringen. Und diesem Kultus einer
falschen Ehre, die nichts ist als Eitelkeit und Verschrobenheit, ist
denn auch Schach erlegen, und Größeres als er wird folgen. Erinnern Sie
sich dieser Worte. Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand
gesteckt, um nicht zu hören und nicht zu sehen. Aber diese
Straußenvorsicht hat noch nie gerettet. Als es mit der Mingdynastie zur
Neige ging und die siegreichen Mandschuheere schon in die Palastgärten
von Peking eingedrungen waren, erschienen immer noch Boten und
Abgesandte, die dem Kaiser von Siegen und wieder Siegen meldeten, weil
es gegen ›den Ton‹ der guten Gesellschaft und des Hofes war, von
Niederlagen zu sprechen. O, dieser gute Ton! Eine Stunde später war ein
Reich zertrümmert und ein Thron gestürzt. Und warum? weil alles
Geschraubte zur Lüge führt und alle Lüge zum Tod.
Entsinnen Sie sich des Abends in Frau von Carayons Salon, wo bei dem
Thema ›_Hannibal ante portas_‹ Aehnliches über meine Lippen kam? Schach
tadelte mich damals als unpatriotisch. Unpatriotisch! Die Warner sind
noch immer bei diesem Namen genannt worden. Und nun! Was ich damals als
etwas blos Wahrscheinliches vor Augen hatte, jetzt ist es =thatsächlich=
da. Der Krieg ist erklärt. Und was das bedeutet, steht in aller
Deutlichkeit vor meiner Seele. Wir werden an derselben Welt des Scheins
zu Grunde gehn, an der Schach zu Grunde gegangen ist. Ihr =Bülow=.
=Nachschrift.= Dohna (früher bei der Garde du Corps), mit dem ich eben
über die Schachsche Sache gesprochen habe, hat eine Lesart, die mich an
frühere Nostitzsche Mittheilungen erinnerte. Schach habe die Mutter
geliebt, was ihn, in einer Ehe mit der Tochter, in seltsam peinliche
Herzenskonflikte geführt haben würde. Schreiben Sie mir doch darüber.
Ich persönlich find es pikant, aber nicht zutreffend. Schachs Eitelkeit
hat ihn zeitlebens bei voller Herzenskühle gehalten, und seine
Vorstellungen von Ehre (hier ausnahmsweise die richtige) würden ihn
außerdem, wenn er die Ehe mit der Tochter wirklich geschlossen hätte,
vor jedem _faux pas_ gesichert haben. B.«


Einundzwanzigstes Kapitel.
Victoire von Schach an Lisette von Perbandt.

=Rom=, 18. August 1807. _Ma chère Lisette._
Daß ich Dir sagen könnte, wie gerührt ich war über so liebe Zeilen! Aus
dem Elend des Krieges, aus Kränkungen und Verlusten heraus, hast Du mich
mit Zeichen alter, unveränderter Freundschaft überschüttet und mir meine
Versäumnisse nicht zum Ueblen gedeutet.
Mama wollte mehr als einmal schreiben, aber ich selber bat sie, damit zu
warten.
Ach, meine theure Lisette, Du nimmst Theil an meinem Schicksal und
glaubst, der Zeitpunkt sei nun da, mich gegen Dich auszusprechen. Und Du
hast Recht. Ich will es thun, so gut ich's kann.
»Wie sich das alles erklärt?« fragst Du und setzest hinzu: »Du stündest
vor einem Räthsel, das sich Dir nicht lösen wolle.« Meine liebe Lisette,
wie lösen sich die Räthsel? Nie. Ein Rest von Dunklem und Unaufgeklärtem
bleibt, und in die letzten und geheimsten Triebfedern andrer oder auch
nur unsrer eignen Handlungsweise hineinzublicken, ist uns versagt. Er
sei, so versichern die Leute, der schöne Schach gewesen, und ich, das
Mindeste zu sagen, die nicht-schöne Victoire, -- das habe den Spott
herausgefordert, und diesem Spotte Trotz zu bieten, dazu habe er nicht
die Kraft gehabt. Und so sei er denn aus Furcht vor dem Leben in den Tod
gegangen.
So sagt die Welt, und in vielem wird es zutreffen. Schrieb er mir doch
ähnliches und verklagte sich darüber. Aber wie die Welt strenger gewesen
ist, als nöthig, so vielleicht auch er selbst. Ich seh es in einem
andern Licht. Er wußte sehr wohl, daß aller Spott der Welt schließlich
erlahmt und erlischt, und war im Uebrigen auch Manns genug, diesen Spott
zu bekämpfen, im Fall er =nicht= erlahmen und =nicht= erlöschen wollte.
Nein, er fürchtete sich nicht vor diesem Kampf, oder wenigstens nicht
so, wie vermuthet wird; aber eine kluge Stimme, die die Stimme seiner
eigensten und innersten Natur war, rief ihm beständig zu, daß er diesen
Kampf =umsonst= kämpfen, und daß er, wenn auch siegreich gegen die Welt,
=nicht= siegreich gegen sich selber sein würde. =Das= war es. Er gehörte
durchaus, und mehr als irgendwer, den ich kennen gelernt habe, zu =den=
Männern, die =nicht= für die Ehe geschaffen sind. Ich erzählte Dir
schon, bei früherer Gelegenheit, von einem Ausfluge nach Tempelhof, der
überhaupt in mehr als einer Beziehung einen Wendepunkt für uns
bedeutete. Heimkehrend aus der Kirche, sprachen wir über Ordensritter
und Ordensregeln, und der ungesucht ernste Ton, mit dem er, trotz meiner
Neckereien, den Gegenstand behandelte, zeigte mir deutlich, welchen
Idealen er nachhing. Und unter diesen Idealen -- all seiner Liaisons
unerachtet, oder vielleicht auch um dieser Liaisons willen -- war
sicherlich =nicht= die Ehe. Noch jetzt darf ich Dir versichern, und die
Sehnsucht meines Herzens ändert nichts an dieser Erkenntniß, daß es mir
schwer, ja fast unmöglich ist, ihn mir _au sein de sa famille_
vorzustellen. Ein Kardinal (ich seh ihrer hier täglich) läßt sich eben
nicht als Ehemann denken. Und Schach auch nicht.
Da hast Du mein Bekenntniß, und ähnliches muß er selber gedacht und
empfunden haben, wenn er auch freilich in seinem Abschiedsbriefe darüber
schwieg. Er war seiner ganzen Natur nach auf Repräsentation und
Geltendmachung einer gewissen Grandezza gestellt, auf mehr =äußerliche=
Dinge, woraus Du sehen magst, daß ich ihn nicht überschätze. Wirklich,
wenn ich ihn in seinen Fehden mit Bülow immer wieder und wieder
unterliegen sah, so fühlt ich nur zu deutlich, daß er weder ein Mann von
hervorragender geistiger Bedeutung, noch von superiorem Charakter sei;
zugegeben das alles; und doch war er andererseits durchaus befähigt,
innerhalb enggezogener Kreise zu glänzen und zu herrschen. Er war wie
dazu bestimmt, der Halbgott eines prinzlichen Hofes zu sein, und würde
diese Bestimmung, Du darfst darüber nicht lachen, nicht bloß zu seiner
persönlichen Freude, sondern auch zum Glück und Segen andrer, ja vieler
anderer, erfüllt haben. Denn er war ein guter Mensch, und auch klug
genug, um immer das Gute zu wollen. An dieser Laufbahn als ein
prinzlicher Liebling und Plenipotentiaire, hätt ich ihn verhindert, ja,
hätt ihn, bei meinen anspruchslosen Gewohnheiten, aus all und jeder
Karrière herausgerissen und ihn nach Wuthenow hingezwungen, um mit mir
ein Spargelbeet anzulegen oder der Kluckhenne die Küchelchen
wegzunehmen. Davor erschrak er. Er sah ein kleines und beschränktes
Leben vor sich, und war, ich will nicht sagen auf ein großes gestellt,
aber doch auf ein solches, das =ihm= als groß erschien.
Ueber meine Nichtschönheit wär er hinweggekommen. Ich hab' ihm, ich
zögre fast es niederzuschreiben, nicht eigentlich mißfallen, und
vielleicht hat er mich wirklich geliebt. Befrag ich seine letzten, an
mich gerichteten Zeilen, so wär es in Wahrheit so. Doch ich mißtraue
diesem süßen Wort. Denn er war voll Weichheit und Mitgefühl, und alles
Weh, was er mir bereitet hat, durch sein Leben und sein Sterben, er
wollt es ausgleichen, so weit es auszugleichen war.
Alles Weh! Ach wie so fremd und strafend mich dieses Wort ansieht! Nein,
meine liebe Lisette, nichts von Weh. Ich hatte früh resignirt, und
vermeinte kein Anrecht an jenes Schönste zu haben, was das Leben hat.
Und nun hab ich es gehabt. Liebe. Wie mich das erhebt und durchzittert,
und alles Weh in Wonne verkehrt. Da liegt das Kind und schlägt eben die
blauen Augen auf. =Seine= Augen. Nein, Lisette, viel Schweres ist mir
auferlegt worden, aber es federt leicht in die Luft, gewogen neben
meinem Glück. --
Das Kleine, Dein Pathchen, war krank bis auf den Tod, und nur durch ein
Wunder ist es mir erhalten geblieben.
Und davon muß ich Dir erzählen.
Als der Arzt nicht mehr Hülfe wußte, ging ich mit unserer Wirthin (einer
ächten alten Römerin in ihrem Stolz und ihrer Herzensgüte) nach der
Kirche Araceli hinauf, einem neben dem Kapitol gelegenen alten
Rundbogenbau, wo sie den ›Bambino,‹ das Christkind, aufbewahren, eine
hölzerne Wickelpuppe mit großen Glasaugen und einem ganzen Diadem von
Ringen, wie sie dem Christkind, um seiner gespendeten Hülfe willen, von
unzähligen Müttern verehrt worden sind. Ich bracht ihm einen Ring mit,
noch eh ich seiner Fürsprache sicher war, und dieses Zutrauen muß den
Bambino gerührt haben. Denn sieh, er half. Eine Krisis kam unmittelbar,
und der Dottore verkündigte sein ›_va bene_‹; die Wirthin aber lächelte,
wie wenn sie selber das Wunder verrichtet hätte.
Und dabei kommt mir die Frage, was wohl Tante Marguerite, wenn sie davon
hörte, zu all dem ›Aberglauben‹ sagen würde? Sie würde mich vor der
›alten Kürche‹ warnen, und mit =mehr= Grund, als sie weiß.
Denn nicht nur =alt= ist Araceli, sondern auch trostreich und labevoll,
und kühl und schön.
Sein Schönstes aber ist sein Name, der ›=Altar des Himmels=‹ bedeutet.
Und auf diesem Altar steigt tagtäglich das Opfer meines Dankes auf.


Verlag von F. Fontane & Co. -- Berlin W 35

Unentbehrlich für jeden Gebildeten, der sich über die
litterarische Bewegung des In- und Auslandes auf
dem Laufenden halten will, ist
Das litterarische Echo
Halbmonatsschrift für Litteraturfreunde
Herausgeber: Dr. =Josef Ettlinger=
Dritter Jahrgang
Sammel-Organ für alle litterarischen Interessen
Essais, Biographien, Kritiken aus angesehenen Federn * Litteraturbriefe
aus allen Kulturländern * Gedrängte Revue der in- und ausländischen
Zeitschriften * Vollständige Bibliographie * Porträts * Proben aus neu
erscheinenden Werken * Nachrichten
In der »~Zeitschrift f. deutschen Unterricht~« (Leipzig, B. G. Teubner)
vom Februar 1899 widmete deren Herausgeber Prof. ~Dr. Otto Lyon~ dem
»Litt. Echo« eine dritthalb Seiten lange Besprechung, in der es u. a.
heißt:
»Das gesamte litterarische Leben unserer Nation wie in einem Spiegel
zusammenzufassen und den Litteraturfreunden so die Möglichkeit zu
verschaffen, dieses eigenartige und intime geistige Leben unseres Volkes
zu überschauen und mit lebendigem Anteil zu verfolgen, ist der Zweck der
vorliegenden neuen Zeitschrift. ~Daß eine solche Zeitschrift eine
unbedingte Notwendigkeit für unsere Zeit ist~, wird jeder zugestehen,
der mit uns der Meinung ist, daß in unserem Zeitalter nur das Volk auf
die Dauer lebens- und leistungsfähig bleibt, das durch das gemeinsame
Bindemittel einer tiefgehenden litterarischen Bildung fest
zusammengekittet wird ... darum ist es heute vielleicht unsere
allerwichtigste Aufgabe, die Kreise der Gebildeten unseres Volkes für
dessen Litteratur ~nachdrücklich zu interessieren~ und so unser Volk vor
Verflachung und gigerlhafter Verblödung, die uns leider in den Straßen
und Gesellschaftssälen unserer Hauptstädte schon vielfach entgegentritt,
zu bewahren. Eines fehlt gerade den maßgebenden Kreisen unseres Volkes
vielfach noch in großem Maße: Die Fähigkeit litterarisch zu genießen und
die zu litterarischem Genuß drängende Eß- oder Trinklust. Zu dieser muß
unser Volk seinem größten Teile nach erst erzogen werden, die Aufgabe,
eine solche Erziehung anzubahnen und in die rechten Formen zu leiten,
will die vorliegende Zeitschrift zu lösen versuchen. Ich glaube, dieses
Ziel ist so hoch und groß, daß alle, die unser Volk und sein geistiges
Leben lieben, sich freudig in den Dienst dieses reinen Strebens stellen
werden. Und ~jeder, der zur Verbreitung dieser Zeitung beiträgt, hilft
an der Erreichung des weitgesteckten Zieles thatkräftig mitarbeiten~. --
Und diese Zeitschrift verdient es, daß sie die ~weiteste Verbreitung vor
allem auch in Lehrer- und Schulkreisen~, den berufenen Erziehern unseres
Volkes, findet« u. s. w.
Preis vierteljährlich Mark 3.--
Probenummern kostenfrei
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter


Verlag von ~Wilhelm Hertz~ in Berlin W 9.
Werke von Theodor Fontane.

Gedichte.
Sechste Auflage.
=Mit einem Bildniß.=
8o. 462 Seiten.
~Preis brosch. 5 M., geb. in
Leinw. 6 M.~

Vor dem Sturm.
Roman aus dem Winter
1812 auf 1813.
Dritte, wohlfeile Volksausgabe in
1 Bande, 8o. 773 Seiten.
~Preis brosch. 4 M., geb. in
Leinw. 5 M.~

Quitt.
Roman.
8o. 338 Seiten.
~Preis brosch. 5 M., geb. in
Leinw. 6 M.~

Grete Minde.
Nach einer altmärkischen Chronik.
Zweite Auflage.
kl. 8o. 154 Seiten.
~Preis brosch. 3 M., geb. in
Leinw. 4 M.~

Unwiederbringlich.
Roman.
Dritte Auflage.
8o. 343 Seiten.
~Preis brosch. 4 M., geb. in
Leinw. 5 M.~

Ellernklipp.
Nach einem Harzer Kirchenbuch.
Zweite Auflage.
8o. 190 Seiten.
~Preis brosch. 3 M., geb. in
Leinw. 4 M.~

Wanderungen durch die Mark Brandenburg.
4 Bände. ~Wohlfeile Ausgabe.~
~Jeder Band brosch. 5 M., geb. in Leinw. 6 M.~
I. ~Die Grafschaft Ruppin.~ (559 S.)
II. ~Das Oderland.~ Barnim-Lebus. (506 S.)
III. ~Havelland.~ Die Landschaft um Spandau, Potsdam,
Brandenburg. (485 S.)
IV. ~Spreeland.~ Beeskow-Storkow u. Barnim-Teltow. (459 S.)

Fünf Schlösser.
Altes und Neues aus Mark Brandenburg.
8o. 468 Seiten.
~Preis brosch. 7 M., geb. in Leinw. 8 M. 20 Pf.~
=Inhalt:=
Quitzöwel. -- Plaue a. B. -- Hoppenrade. -- Liebenberg. -- Dreilinden.

Christian Friedrich Scherenberg
und das litterarische Berlin von 1840 bis 1860.
8o. 260 Seiten.
~Preis brosch. 5 M., geb. in Leinw. 6 M. 20 Pf.~


[ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
steht.
der in der Taille knapp anschließende Rock von niederländischen Tuche
der in der Taille knapp anschließende Rock von niederländischem Tuche
Kalenbergs und der Lüneburger Haide. _Nomen et omen._ Es ist der Sitz
Kalenbergs und der Lüneburger Haide. _Nomen est omen._ Es ist der Sitz
man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil, einst dem der
man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil einst dem der
räthselhaftesten aber aber ist es mir, daß sich Iffland dafür
räthselhaftesten aber ist es mir, daß sich Iffland dafür
Iffland ein Freimaurer.«
Iffland, ein Freimaurer.«
Es war Alvensleben, an dem sich die Frage gerichtet hatte. »Zu weit? O,
Es war Alvensleben, an den sich die Frage gerichtet hatte. »Zu weit? O,
tagein auf einem Drehschemmel ritt, und seine Befehle (gewöhnlich nur ein
tagein auf einem Drehschemel ritt, und seine Befehle (gewöhnlich nur ein
schon wieder schreit, und ob die Schulmeisters Tochter noch so lange
schon wieder schreit, und ob die Schulmeisterstochter noch so lange
»Wie das?« wiederholte Nostiz. »Was doch die Gelehrten, und wenn es
»Wie das?« wiederholte Nostitz. »Was doch die Gelehrten, und wenn es
Sie täuschen sich, Nostiz, wenn Sie daraus auf eine Partie schließen.
Sie täuschen sich, Nostitz, wenn Sie daraus auf eine Partie schließen.
gebessert, sondern auch die Luft, Alles in allem ein so schöner Tag, wie
gebessert, sondern auch die Luft. Alles in allem ein so schöner Tag, wie
von den Fernenstehenden entweder überhört oder aber mit Gleichgültigkeit
von den Fernerstehenden entweder überhört oder aber mit Gleichgültigkeit
ebengenannter Kirche, eitens des hochseligen Königs seinem Sohne, dem
ebengenannter Kirche, seitens des hochseligen Königs seinem Sohne, dem
wäre lieber am Kaffetische zurückgeblieben, als ihr aber der zu
wäre lieber am Kaffeetische zurückgeblieben, als ihr aber der zu
Victoriens Arm und trat mit dieser auf die Dorfstraße hinaus, während
Victoirens Arm und trat mit dieser auf die Dorfstraße hinaus, während
und keine Trauerbirken sind. _A propos_ über das Birkenwasser muß Du
You have read 1 text from German literature.
Next - Schach von Wuthenow - 11
  • Parts
  • Schach von Wuthenow - 01
    Total number of words is 4181
    Total number of unique words is 1544
    39.3 of words are in the 2000 most common words
    52.5 of words are in the 5000 most common words
    58.3 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 02
    Total number of words is 4226
    Total number of unique words is 1616
    41.1 of words are in the 2000 most common words
    51.6 of words are in the 5000 most common words
    56.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 03
    Total number of words is 4382
    Total number of unique words is 1562
    41.1 of words are in the 2000 most common words
    51.7 of words are in the 5000 most common words
    56.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 04
    Total number of words is 4268
    Total number of unique words is 1610
    40.1 of words are in the 2000 most common words
    51.4 of words are in the 5000 most common words
    56.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 05
    Total number of words is 4289
    Total number of unique words is 1548
    41.3 of words are in the 2000 most common words
    51.9 of words are in the 5000 most common words
    56.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 06
    Total number of words is 4327
    Total number of unique words is 1504
    41.9 of words are in the 2000 most common words
    53.5 of words are in the 5000 most common words
    59.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 07
    Total number of words is 4400
    Total number of unique words is 1650
    36.6 of words are in the 2000 most common words
    47.9 of words are in the 5000 most common words
    53.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 08
    Total number of words is 4432
    Total number of unique words is 1603
    38.5 of words are in the 2000 most common words
    49.0 of words are in the 5000 most common words
    54.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 09
    Total number of words is 4280
    Total number of unique words is 1576
    39.9 of words are in the 2000 most common words
    51.3 of words are in the 5000 most common words
    55.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 10
    Total number of words is 4240
    Total number of unique words is 1559
    40.1 of words are in the 2000 most common words
    51.0 of words are in the 5000 most common words
    56.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Schach von Wuthenow - 11
    Total number of words is 730
    Total number of unique words is 270
    55.0 of words are in the 2000 most common words
    61.5 of words are in the 5000 most common words
    65.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.