Schach von Wuthenow - 09

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ihrer natürlichen Entschlossenheit zurückgegeben.
»Ich wünschte den General von Köckritz zu sprechen,« wandte sie sich an
einen im Vestibül anwesenden Lakaien, der sich gleich beim Eintritt der
schönen Dame von seinem Sitz erhoben hatte.
»Wen hab ich dem Herrn General zu melden?«
»Frau von Carayon.«
Der Lakai verneigte sich und kam mit der Antwort zurück: »Der Herr
General lasse bitten in das Vorzimmer einzutreten.«
Frau von Carayon hatte nicht lange zu warten. General von Köckritz, von
dem die Sage ging, daß er außer seiner leidenschaftlichen Liebe zu
seinem Könige keine weitere Passion als eine Pfeife Tabak und einen
Rubber Whist habe, trat ihr von seinem Arbeitszimmer her entgegen,
entsann sich sofort der alten Zeit und bat sie mit verbindlichster
Handbewegung Platz zu nehmen. Sein ganzes Wesen hatte so sehr den
Ausdruck des Gütigen und Vertrauenerweckenden, daß die Frage nach seiner
Klugheit nur sehr wenig daneben bedeutete. Namentlich für solche, die
wie Frau von Carayon mit einem Anliegen kamen. Und das sind bei Hofe die
meisten. Er bestätigte durchaus die Lehre, daß eine =wohlwollende=
Fürstenumgebung einer geistreichen immer weit vorzuziehen ist. Nur
freilich sollen diese fürstlichen Privatdiener nicht auch Staatsdiener
sein und nicht mitbestimmen und mitregieren wollen.
General von Köckritz hatte sich so gesetzt, daß ihn Frau von Carayon im
Profil hatte. Sein Kopf steckte halb in einem überaus hohen und steifen
Uniformkragen, aus dem nach vorn hin ein Jabot quoll, während nach
hinten ein kleiner sauber behandelter Zopf fiel. Dieser schien ein
eigenes Leben zu führen und bewegte sich leicht und mit einer gewissen
Koketterie hin und her, auch wenn an dem Manne selbst nicht die
geringste Bewegung wahrzunehmen war.
Frau von Carayon, ohne den Ernst ihrer Lage zu vergessen, erheiterte
sich doch offenbar an diesem eigenthümlich neckischen Spiel, und erst
einmal ins Heitre gekommen, erschien ihr das, was ihr oblag, um vieles
leichter und bezwingbarer, und befähigte sie, mit Freimuth über all und
jedes zu sprechen, auch über =das=, was man als den »delikaten Punkt« in
ihrer oder ihrer Tochter Angelegenheit bezeichnen konnte.
Der General hatte nicht nur aufmerksam, sondern auch theilnahmevoll
zugehört und sagte, als Frau von Carayon schwieg: »Ja, meine gnädigste
Frau, das sind sehr fatale Sachen, Sachen, von denen Seine Majestät
nicht zu hören liebt, weshalb ich im allgemeinen darüber zu schweigen
pflege, wohlverstanden so lange nicht Abhilfe zu schaffen und überhaupt
nichts zu bessern ist. Hier aber =ist= zu bessern, und ich würde meine
Pflicht versäumen und Seiner Majestät einen schlechten Dienst erweisen,
wenn ich ihm einen Fall wie den Ihrigen vorenthalten oder da Sie selber
gekommen sind Ihre Sache vorzutragen, Sie, meine gnädigste Frau, durch
künstlich erfundene Schwierigkeiten an solchem Vortrage behindern
wollte. Denn solche Schwierigkeiten sind allemalen erfundene
Schwierigkeiten in einem Lande wie das unsre, wo von alter Zeit her die
Fürsten und Könige das Recht ihres Volkes wollen und nicht gesonnen
sind, der Forderung eines solchen Rechtes bequem aus dem Wege zu gehen.
Am allerwenigsten aber mein Allergnädigster König und Herr, der ein
starkes Gefühl für das =Ebenmäßige= des Rechts und eben deshalb einen
wahren Widerwillen und rechten Herzensabscheu gegen alle =die=jenigen
hat, die sich, wie manche Herren Offiziers, insonderheit aber die sonst
so braven und tapfren Offiziers von Dero Regiment Gensdarmes, aus einem
schlechten Dünkel allerlei Narrethei zu permittiren geneigt sind, und es
für angemessen und löblich oder doch zum mindesten für nicht unstatthaft
halten, das Glück und den Ruf Andrer ihrem Uebermuth und ihrer
schlechten _moralité_ zu opfern.«
Frau von Carayons Augen füllten sich mit Thränen. »_Que vous êtes bon,
mon cher General._«
»Nicht ich, meine theure Frau. Aber mein Allergnädigster König und Herr,
=der= ist gut. Und ich denke, Sie sollen den Beweis dieser seiner
Herzensgüte bald in Händen halten, trotzdem wir heut einen schlimmen
oder sagen wir lieber einen schwierigen Tag haben. Denn wie Sie
vielleicht schon in Erfahrung gebracht haben, der König erwartet in
wenig Stunden die Königin zurück, um nicht gestört zu werden in der
Freude des Wiedersehns, =des=halb befindet er sich hier, =des=halb ist
er hierher gegangen nach Paretz. Und nun läuft ihm in dies Idyll ein
Rechtsfall und eine Streitsache nach. Und eine Streitsache von so
delikater Natur. Ja, wirklich ein Schabernack ist es und ein rechtes
Schnippchen, das ihm die Laune der Frau Fortuna schlägt. Er will sich
seines Liebesglückes freuen (Sie wissen, wie sehr er die Königin liebt)
und in demselben Augenblicke fast, der ihm sein Liebesglück bringen
soll, hört er eine Geschichte von unglücklicher Liebe. Das verstimmt
ihn. Aber er ist zu gütig, um dieser Verstimmung nicht Herr zu werden,
und treffen wir's nur einigermaßen leidlich, so müssen wir uns aus eben
diesem Zusammentreffen auch noch einen besonderen Vortheil zu ziehen
wissen. Denn das eigne Glück, das er erwartet, wird ihn nur noch
geneigter machen als sonst, das getrübte Glück andrer wieder
herzustellen. Ich kenn ihn ganz in seinem Rechtsgefühl und in der Güte
seines Herzens. Und so geh ich denn, meine theure Frau, Sie bei dem
Könige zu melden.«
Er hielt aber plötzlich wie nachdenkend inne, wandte sich noch einmal
wieder und setzte hinzu: »Irr ich nicht, so hat er sich eben in den Park
begeben. Ich kenne seinen Lieblingsplatz. Lassen Sie mich also sehen. In
wenig Minuten bring ich Ihnen Antwort, ob er Sie hören will oder nicht.
Und nun noch einmal, seien Sie gutes Muthes. Sie dürfen es.«
Und damit nahm er Hut und Stock, und trat durch eine kleine Seitenthür
unmittelbar in den Park hinaus.
In dem Empfangszimmer, in dem Frau von Carayon zurückgeblieben war,
hingen allerlei Buntdruckbilder, wie sie damals von England her in der
Mode waren: Engelsköpfe von Josua Reynolds, Landschaften von
Gainsborough, auch ein paar Nachbildungen italienischer Meisterwerke,
darunter eine büßende Magdalena. War es die von Corregio? Das wundervoll
tiefblau getönte Tuch, das die Büßende halb verhüllte, fesselte Frau von
Carayons Aufmerksamkeit, und sie trat heran, um sich über den Maler zu
vergewissern. Aber ehe sie noch seinen Namen entziffern konnte, kehrte
der alte General zurück, und bat seinen Schützling ihm zu folgen.
Und so traten sie denn in den Park, drin eine tiefe Stille herrschte.
Zwischen Birken und Edeltannen hin schlängelte sich der Weg und führte
bis an eine künstliche, von Moos und Epheu überwachsene Felswand, in
deren Front (der alte Köckritz war jetzt zurückgeblieben) der König auf
einer Steinbank saß.
Er erhob sich, als er die schöne Frau sich nähern sah, und trat ihr
ernst und freundlich entgegen. Frau von Carayon wollte sich auf ein Knie
niederlassen, der König aber litt es nicht, nahm sie vielmehr
aufrichtend bei der Hand, und sagte: »Frau von Carayon? Mir sehr wohl
bekannt ... Erinnre Kinderball ... schöne Tochter ... Damals ...«
Er schwieg einen Augenblick, entweder in Verlegenheit über das ihm
entschlüpfte letzte Wort, oder aber aus Mitgefühl mit der tiefen
Bewegung der unglücklichen und beinah zitternd vor ihm stehenden Mutter,
und fuhr dann fort: »Köckritz mir eben Andeutungen gemacht .... =Sehr=
fatal .... Aber bitte .... sich setzen, meine Gnädigste .... Muth ....
Und nun sprechen Sie.«


Siebzehntes Kapitel.
Schach in Charlottenburg.

Eine Woche später hatten König und Königin Paretz wieder verlassen, und
schon am Tage danach ritt Rittmeister von Schach in Veranlassung eines
ihm in Schloß Wuthenow übergebenen Kabinetsschreibens nach
Charlottenburg hinaus, wohin inzwischen der Hof übersiedelt war. Er nahm
seinen Weg durchs Brandenburger Thor und die große Thiergartenallee,
links hinter ihm Ordonnanz Baarsch, ein mit einem ganzen Linsengericht
von Sommersprossen überdeckter Rothkopf mit übrigens noch rötherem
Backenbart, auf welchen rothen und etwas abstehenden Bart hin Zieten zu
versichern pflegte, »daß man auch =diesen= Baarsch an seinen Flossen
erkennen könne.« Wuthenower Kind und seines Gutsherrn und Rittmeisters
ehemaliger Spielgefährte, war er diesem und allem, was Schach hieß,
selbstverständlich in unbedingten Treuen ergeben.
Es war vier Uhr Nachmittags und der Verkehr nicht groß, trotzdem die
Sonne schien und ein erquickender Wind wehte. Nur wenige Reiter
begegneten ihnen, unter diesen auch ein paar Offiziere von Schachs
Regiment. Schach erwiderte ihren Gruß, passirte den Landwehrgraben und
ritt bald danach in die breite Charlottenburger Hauptstraße mit ihren
Sommerhäusern und Vorgärten ein.
Am türkischen Zelt, das sonst wohl sein Ziel zu sein pflegte, wollte
sein Pferd einbiegen; zwang er es aber weiter und hielt erst bei dem
Morellischen Kaffeehause, das ihm heute für den Gang, den er vorhatte,
bequemer gelegen war. Er schwang sich aus dem Sattel, gab der Ordonnanz
den Zügel und ging ohne Versäumniß auf das Schloß zu. Hier trat er nach
Passirung eines öden und von der Julisonne längst verbrannten
Grasvierecks erst in ein geräumiges Treppenhaus und bald danach in einen
schmalen Korridor ein, an dessen Wänden in anscheinend überlebensgroßen
Porträts die glotzäugigen blauen Riesen König Friedrich Wilhelms I.
paradirten. Am Ende dieses Ganges aber traf er einen Kammerdiener, der
ihn, nach vorgängiger Meldung, in das Arbeitskabinet des Königs führte.
Dieser stand an einem Pult, auf dem Karten ausgebreitet lagen, ein paar
Pläne der Austerlitzer Schlacht. Er wandte sich sofort, trat auf Schach
zu, und sagte: »Habe Sie rufen lassen, lieber Schach .... Die Carayon;
fatale Sache. Spiele nicht gern den Moralisten und Splitterrichter; mir
verhaßt; auch meine Verirrungen. Aber in Verirrungen nicht stecken
bleiben; wieder gut machen. Uebrigens nicht recht begreife. Schöne Frau,
die Mutter; mir =sehr= gefallen; kluge Frau.«
Schach verneigte sich.
»Und die Tochter! Weiß wohl, weiß; armes Kind .... Aber _enfin_, müssen
sie doch charmant gefunden haben. Und was man einmal charmant gefunden,
findet man, wenn man nur will, auch wieder. Aber das ist =Ihre= Sache,
geht mich nichts an. Was mich angeht, das ist die _honnêteté_. =Die=
verlang ich und um dieser _honnêteté_ willen verlang ich Ihre Heirath
mit dem Fräulein von Carayon. Oder Sie müßten denn Ihren Abschied nehmen
und den Dienst quittiren wollen.«
Schach schwieg, verrieth aber durch Haltung und Miene, daß ihm dies das
Schmerzlichste sein würde.
»Nun denn bleiben also; schöner Mann; liebe das. Aber Remedur muß
geschafft werden, und bald, und gleich. Uebrigens alte Familie, die
Carayons, und wird Ihren Fräulein Töchtern (Pardon, lieber Schach) die
Stiftsanwartschaft auf Marienfließ oder Heiligengrabe nicht verderben.
Abgemacht also. Rechne darauf, dringe darauf. Und werden mir Meldung
machen.«
»Zu Befehl, Ew. Majestät.«
»Und noch eines; habe mit der Königin darüber gesprochen; will Sie sehn;
Frauenlaune. Werden sie drüben in der Orangerie treffen .... Dank
Ihnen.«
Schach war gnädig entlassen, verbeugte sich und ging den Korridor
hinunter auf das am entgegengesetzten Flügel des Schlosses gelegene
große Glas- und Gewächshaus zu, von dem der König gesprochen hatte.
Die Königin aber war noch nicht da, vielleicht noch im Park. So trat er
denn in diesen hinaus und schritt auf einem Fliesengange zwischen einer
Menge hier aufgestellter römischer Kaiser auf und ab, von denen ihn
einige faunartig anzulächeln schienen. Endlich sah er die Königin von
der Fährbrücke her auf sich zukommen, eine Hofdame mit ihr, allem
Anscheine nach das jüngere Fräulein von Viereck. Er ging beiden Damen
entgegen, und trat in gemessener Entfernung bei Seite, um die
militärischen Honneurs zu machen. Das Hoffräulein aber blieb um einige
Schritte zurück.
»Ich freue mich Sie zu sehen, Herr von Schach. Sie kommen vom Könige.«
»Zu Befehl, Ew. Majestät.«
»Es ist etwas gewagt,« fuhr die Königin fort, »daß ich Sie habe bitten
lassen. Aber der König, der anfänglich dagegen war und mich darüber
verspottete, hat es schließlich gestattet. Ich bin eben eine Frau, und
es wäre hart, wenn ich mich meiner Frauenart entschlagen müßte, nur weil
ich eine =Königin= bin. Als Frau aber interessirt mich alles, was unser
Geschlecht angeht, und was ging uns näher an als eine solche _question
d'amour_.«
»Majestät sind so gnädig.«
»Nicht gegen Sie, lieber Schach. Es ist um des Fräuleins willen .... Der
König hat mir alles erzählt, und Köckritz hat von dem Seinen
hinzugethan. Es war denselben Tag, als ich von Pyrmont wieder in Paretz
eintraf, und ich kann Ihnen kaum aussprechen, wie groß meine Theilnahme
mit dem Fräulein war. Und nun wollen Sie, gerade =Sie=, dem lieben Kinde
diese Theilnahme versagen und mit dieser Theilnahme zugleich sein Recht.
Das ist unmöglich. Ich kenne Sie so lange Zeit und habe Sie jederzeit
als einen Kavalier und Mann von Ehre befunden. Und dabei, denk ich,
belassen wir's. Ich habe von den Spottbildern gehört, die publizirt
worden sind, und diese Bilder, so nehm ich an, haben Sie verwirrt und
Ihnen Ihr ruhiges Urtheil genommen. Ich begreife das, weiß ich doch aus
allereigenster Erfahrung, wie weh dergleichen thut und wie der giftige
Pfeil uns nicht bloß in unserem Gemüthe verwundet, sondern auch
verwandelt und =nicht= verwandelt zum Besseren. Aber wie dem auch sei,
Sie mußten sich auf sich selbst besinnen, und damit zugleich auch auf
=das=, was Pflicht und Ehre von Ihnen fordern.«
Schach schwieg.
»Und Sie =werden= es,« fuhr die Königin immer lebhafter werdend fort,
»und werden sich als einen Reuigen und Bußfertigen zeigen. Es kann Ihnen
nicht schwer werden, denn selbst aus der Anklage gegen Sie, so
versicherte mir der König, habe noch immer ein Ton der Zuneigung
gesprochen. Seien Sie dessen gedenk, wenn Ihr Entschluß je wieder ins
Schwanken kommen sollte, was ich nicht fürchte. Wüßt ich doch kaum
etwas, was mir in diesem Augenblicke so lieb wäre, wie die Schlichtung
dieses Streits und der Bund zweier Herzen, die mir für einander bestimmt
erscheinen. Auch durch eine recht eigentliche Liebe. Denn Sie werden
doch, hoff ich, nicht in Abrede stellen wollen, daß es ein
geheimnißvoller Zug war, was Sie zu diesem lieben und einst so schönen
Kinde hinführte. Das Gegentheil anzunehmen, widerstreitet mir. Und nun
eilen Sie heim, und machen Sie glücklich und werden Sie glücklich. Meine
Wünsche begleiten Sie, Sie =Beide=. Sie werden sich zurückziehen, so
lang es die Verhältnisse gebieten; unter allen Umständen aber erwart
ich, daß Sie mir Ihre Familienereignisse melden, und den Namen Ihrer
Königin als erste Taufpathin in Ihr Wuthenower Kirchenbuch eintragen
lassen. Und nun Gott befohlen.«
Ein Gruß und eine freundliche Handbewegung begleiteten diese Worte;
Schach aber, als er sich kurz vor der Gartenfront noch einmal umsah,
sah, wie beide Damen in einem Seitenweg einbogen und auf eine
schattigere, mehr der Spree zu gelegene Parthie des Parkes zuschritten.
Er selbst saß eine Viertelstunde später wieder im Sattel; Ordonnanz
Baarsch folgte.
Die gnädigen Worte beider Majestäten hatten eines Eindrucks auf ihn
nicht verfehlt; trotzdem war er nur getroffen, in nichts aber umgestimmt
worden. Er wußte, was er dem König schuldig sei: =Gehorsam=! Aber sein
Herz widerstritt, und so galt es denn für ihn, etwas ausfindig zu
machen, was Gehorsam und Ungehorsam in sich vereinigte, was dem Befehle
seines Königs und dem Befehle seiner eigenen Natur gleichmäßig
entsprach. Und dafür gab es nur =einen= Weg. Ein Gedanke, den er schon
in Wuthenow gefaßt hatte, kam ihm jetzt wieder und reifte rasch zum
Entschluß, und je fester er ihn werden fühlte, desto mehr fand er sich
in seine frühere gute Haltung und Ruhe zurück. »Leben,« sprach er vor
sich hin. »Was ist leben? Eine Frage von Minuten, eine Differenz von
heut auf morgen.« Und er fühlte sich, nach Tagen schweren Druckes, zum
ersten Male wieder leicht und frei.
Als er, heimreitend, bis an die Wegstelle gekommen war, wo eine alte
Kastanienallee nach dem Kurfürstendamm hin abzweigte, bog er in diese
Allee ein, winkte Baarsch an sich heran und sagte, während er den Zügel
fallen ließ und die linke Hand auf die Kruppe seines Pferdes stemmte:
»Sage Baarsch, was hältst Du eigentlich von heirathen?«
»Jott, Herr Rittmeister, wat soll ich davon halten? Mein Vater selig
sagte man ümmer: heirathen is gut, aber nich heirathen is noch besser.«
»Ja, das mag er wohl gesagt haben. Aber wenn =ich= nun heirathe,
Baarsch?«
»Ach, Herr Rittmeister werden doch nich!«
»Ja wer weiß .... Ist es denn ein solches Malheur?«
»Jott, Herr Rittmeister, vor =Ihnen= grade nich, aber vor =mir= ....«
»Wie das?«
»Weil ich mit Untroffzier Czepanski gewett't hab, es würd' =doch=
nichts. Un wer verliert, muß die ganze Corporalschaft freihalten.«
»Aber woher wußtet Ihr denn davon?«
»I Jott, des munkelt ja nu all lang. Un wie nu vorige Woch ooch noch die
Bilders kamen ....«
»Ah, so .... Nu sage, Baarsch, wie steht es denn eigentlich mit der
Wette? Hoch?«
»I nu, 's jeht, Herr Rittmeister. 'Ne Cottbusser un'n Kümmel. Aber vor
jed' een.«
»Nu, Baarsch, Du sollst dabei nicht zu Schaden kommen. Ich werde die
Wette bezahlen.«
Und danach schwieg er und murmelte nur noch vor sich hin »_et payer les
pots cassés_.«


Achtzehntes Kapitel.
Fata Morgana

Schach war zu guter Stunde wieder heim, und noch denselben Abend schrieb
er ein Billet an Frau von Carayon, in dem er in anscheinend aufrichtigen
Worten um seines Benehmens willen um Entschuldigung bat. Ein
Kabinetsschreiben, das er vorgestern in Wuthenow empfangen habe, hab ihn
heute Nachmittag nach Charlottenburg hinausgeführt, wo König und Königin
ihn an =das=, was seine Pflicht sei, gemahnt hätten. Er bedaure, solche
Mahnung verschuldet zu haben, finde den Schritt, den Frau von Carayon
gethan, gerechtfertigt, und bäte morgen im Laufe des Vormittags sich
beiden Damen vorstellen zu dürfen, um ihnen sein Bedauern über diese
neuen Versäumnisse persönlich zu wiederholen. In einer Nachschrift, die
länger als der Brief selbst war, war hinzugefügt, »daß er durch eine
Krisis gegangen sei; diese Krisis aber liege jetzt hinter ihm, und er
hoffe sagen zu dürfen, ein Grund an ihm oder seinem Rechtsgefühle zu
zweifeln, werde =nicht= wiederkehren. Er lebe nur noch dem einen Wunsch
und Gedanken, alles was geschehen sei, durch Gesetzlichkeit
auszugleichen. Ueber ein Mehr leg er sich vorläufig Schweigen auf.«
Dies Billet, das der kleine Groom überbrachte, wurde, trotz der schon
vorgerückten Stunde, von Frau von Carayon auf der Stelle beantwortet.
Sie freue sich, in seinen Zeilen einer so versöhnlichen Sprache zu
begegnen. Ueber alles, was seinem Briefe nach als ein nunmehr
Zurückliegendes anzusehen sei, werd es am besten sein zu schweigen; auch
=sie= fühle, daß sie ruhiger und rücksichtsvoller hätte handeln sollen,
sie habe sich hinreißen lassen, und nur das =Eine= werd ihr vielleicht
zur Entschuldigung dienen dürfen, daß sie von jenen hämischen Angriffen
in Wort und Bild, die sein Benehmen im Laufe der letzten Woche bestimmt
zu haben schienen, erst seit zwei Tagen Kenntniß habe. Hätte sie diese
Kenntniß früher gehabt, so würde sie vieles milder beurtheilt,
jedenfalls aber eine abwartende Haltung ihm und seinem Schweigen
gegenüber eingenommen haben. Sie hoffe jetzt, daß alles wieder
einklingen werde. Victoirens große Liebe (nur zu groß) und seine eigene
Gesinnung, die, wie sie sich überzeugt halte, wohl schwanken aber nie
dauernd erschüttert werden könne, gäben ihr die Gewähr einer friedlichen
und wenn ihre Bitten Erhörung fänden auch einer glücklichen Zukunft.
Am andern Vormittage wurde Schach bei Frau von Carayon gemeldet. Sie
ging ihm entgegen, und das sich sofort entspinnende Gespräch verrieth
auf beiden Seiten weniger Verlegenheit, als nach dem Vorgefallenen hätte
vorausgesetzt werden sollen. Und doch erklärte sich's auch wieder. Alles
was geschehen war, so schmerzlich es hüben und drüben berührt hatte, war
doch schließlich von jeder der beiden Parteien verstanden worden, und wo
Verständniß ist, ist auch Verzeihung oder wenigstens die Möglichkeit
einer solchen. Alles hatte sich in natürlicher Konsequenz aus den
Verhältnissen heraus entwickelt, und weder die Flucht, die Schach
bewerkstelligt, noch die Klage, die Frau von Carayon an oberster Stelle
geführt hatte, hatten Uebelwollen oder Gehässigkeit ausdrücken sollen.
Als das Gespräch einen Augenblick zu stocken begann, erschien Victoire.
Sie sah sehr gut aus, nicht abgehärmt, vielmehr frischer als sonst. Er
trat ihr entgegen, nicht kalt und ceremoniös, sondern herzlich, und der
Ausdruck einer innigen und aufrichtigen Theilnahme, womit er auf sie sah
und ihr die Hand reichte, besiegelte den Frieden. Es war kein Zweifel,
er war ergriffen, und während Victoire vor Freude strahlte, füllten
Thränen das Auge der Mutter.
Es war der beste Moment, das Eisen zu schmieden. Sie bat also Schach,
der sich schon erhoben hatte, seinen Platz noch einmal auf einen kurzen
Augenblick einnehmen zu wollen, um gemeinschaftlich mit ihm die
nöthigsten Festsetzungen zu treffen. Was sie zu sagen habe, seien nur
wenige Worte. So viel sei gewiß, Zeit sei versäumt worden, und diese
Versäumniß wieder einzubringen, empfehle sich wohl zunächst. Ihre
langjährige freundschaftliche Beziehung zum alten Konsistorialrath
Bocquet, der sie selber getraut und Victoiren eingesegnet habe, böte
dazu die beste Gelegenheit. Es werde leicht sein, an die Stelle des
herkömmlichen dreimaligen Aufgebots ein einmaliges zu setzen; das müsse
nächsten Sonntag geschehen, und am Freitage der nächsten Woche -- denn
die Freitage, die gemeinhin für Unglückstage gölten, hätte sie
persönlich von der durchaus entgegengesetzten Seite kennen gelernt --
werde dann die Hochzeit zu folgen haben. Und zwar in ihrer eignen
Wohnung, da sie Hochzeiten in einem Hotel oder Gasthause von ganzer
Seele hasse. Was dann weiter zu geschehen habe, das stehe bei dem jungen
Paare; sie sei neugierig, ob Venedig über Wuthenow oder Wuthenow über
Venedig den Sieg davon tragen werde. Die Lagunen hätten sie gemeinsam
und die Gondel auch, und nur um Eines müsse sie bitten, daß der kleine
Brückensteg unterm Schilf, an dem die Gondel liege, nie zur
Seufzerbrücke erhoben werde.
So ging das Geplauder, und so verging der Besuch.
Am Sonntage, wie verabredet, erfolgte das Aufgebot, und der Freitag, an
dem die Hochzeit stattfinden sollte, rückte heran. Alles im Carayonschen
Hause war Aufregung, am aufgeregtesten Tante Marguerite, die jetzt
täglich erschien, und durch ihre naive Glückseligkeit alles Unbequeme
balancirte, das sonst unzertrennlich von ihrem Erscheinen war.
Abends kam Schach. Er war heitrer und in seinem Urtheile milder als
sonst, und vermied nur in ebenso bemerkenswerther wie zum Glück
unbemerkt bleibender Weise von der Hochzeit und den Vorbereitungen dazu
zu sprechen. Wurd er gefragt, ob er dies oder jenes wünsche, so bat er
mit einer Art von Empressement, »ganz nach eigenem Dafürhalten verfahren
zu wollen; er kenne den Takt und guten Geschmack der Damen und wisse,
daß ohne sein Rathen und Zuthun alles am besten entschieden werden
würde; wenn ihm dabei manches dunkel und geheimnißvoll bleibe, so sei
dies ein Vortheil mehr für ihn, hab er doch von Jugend auf eine Neigung
gehabt, sich überraschen zu lassen.«
Unter solchen Ausflüchten entzog er sich jedem Geplauder, das, wie Tante
Marguerite sich ausdrückte, »den Ehrentag _en vue_ hatte,« war aber um
so plauderhafter, wenn das Gespräch auf die Reisetage =nach= der
Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben Widerrede der Frau
von Carayon zum Trotz, hatte doch schließlich über Wuthenow gesiegt, und
Schach, wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm sonst völlig
fremden Phantastik allen erdenklichen Reiseplänen und Reisebildern nach.
Er wollte nach Sizilien hinüber und die Sireneninseln passiren, »ob frei
oder an den Mast gebunden, überlaß er Victoiren und ihrem Vertrauen.«
Und dann wollten sie nach Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber
auf dem Wege dahin, sei die Stelle, wo der geheimnißvolle schwarze
Welttheil in Luftbildern und Spiegelungen ein allererstes Mal zu dem in
Nebel und Schnee gebornen Hyperboreer spräche. =Das= sei die Stelle, wo
die bilderreiche Fee wohne, die =stumme= Sirene, die mit dem Zauber
ihrer Farbe fast noch verführerischer locke, als die singende. Beständig
wechselnd seien die Scenen und Gestalten ihrer _Laterna magica_, und
während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben Sand ziehe, dehne
sichs plötzlich wie grüne Triften und unter der schattengebenden Palme
säße die Schaar der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in Brand,
und schwarz und braune Mädchen, ihre Flechten gelöst und wie zum Tanze
geschürzt, erhüben die Becken und schlügen das Tambourin. Und mitunter
sei's, als lach es. Und dann schwieg es und schwänd es wieder. Und diese
Spiegelung aus der geheimnißvollen Ferne, =das= sei das Ziel!
Und Victoire jubelte, hingerissen von der Lebhaftigkeit seiner
Schilderung.
Aber im selben Augenblick überkam es sie bang und düster, und in ihrer
Seele rief eine Stimme: =Fata Morgana=.


Neunzehntes Kapitel.
Die Hochzeit.

Die Trauung hatte stattgefunden und um die vierte Stunde versammelten
sich die zur Hochzeit Geladenen in dem nach dem Hofe hinaus gelegenen
großen Eßsaale, der für gewöhnlich als ein bloßes unbequemes Anhängsel
der Carayonschen Wohnung angesehen und seit einer ganzen Reihe von
Jahren heute zum erstenmale wieder in Gebrauch genommen wurde. Dies
erschien thunlich, trotzdem die Zahl der Gäste keine große war. Der alte
Konsistorialrath Bocquet hatte sich bewegen lassen, dem Mahle mit
beizuwohnen, und saß, dem Brautpaare gegenüber, neben der Frau von
Carayon; unter den anderweit Geladenen aber waren, außer dem Tantchen
und einigen alten Freunden aus der Generalfinanzpächterzeit her, in
erster Reihe Nostitz, Alvensleben und Sander zu nennen. Auf letzteren
hatte Schach, aller sonstigen, auch bei Feststellung der Einladungsliste
beobachteten Indifferenz unerachtet, mit besonderem Nachdruck bestanden,
weil ihm inzwischen das rücksichtsvolle Benehmen desselben bei
Gelegenheit des Verlagsantrages der drei Bilder bekannt geworden war,
ein Benehmen, das er um so höher anschlug, als er es von =dieser= Seite
her nicht erwartet hatte. Bülow, Schachs alter Gegner, war nicht mehr in
Berlin, und hätte wohl auch gefehlt, wenn er noch dagewesen wäre.
Die Tafelstimmung verharrte bis zum ersten Trinkspruch in der
herkömmlichen Feierlichkeit; als indessen der alte Konsistorialrath
gesprochen und in einem dreigetheilten und als »historischer Rückblick« zu
bezeichnenden Toast, erst des großväterlichen Generalfinanzpächterhauses,
dann der Trauung der Frau von Carayon und drittens (und
zwar unter Citirung des ihr mit auf den Lebensweg gegebenen
Bibelspruches) der Konfirmation Victoirens gedacht, endlich
aber mit einem halb ehrbaren, halb scherzhaften Hinweis auf den
»egyptischen Wundervogel, in dessen verheißungsvolle Nähe man sich
begeben wolle« geschlossen hatte, war das Zeichen zu einer Wandlung der
Stimmung gegeben. Alles gab sich einer ungezwungenen Heiterkeit hin, an
der sogar Victoire theilnahm, und nicht zum wenigsten, als sich
schließlich auch das zu Ehren des Tages in einem grasgrünen Seidenkleid
und einem hohen Schildpattkamme erschienene Tantchen erhob, um einen
=zweiten= Toast auf das Brautpaar auszubringen. Ihr verschämtes Klopfen
mit dem Dessertmesser an die Wasserkaraffe war eine Zeitlang unbemerkt
geblieben, und kam erst zur Geltung, als Frau von Carayon erklärte:
Tante Marguerite wünsche zu sprechen.
Diese verneigte sich denn auch zum Zeichen der Zustimmung, und begann
ihre Rede mit viel mehr Selbstbewußtsein, als man nach ihrer
anfänglichen Schüchternheit erwarten durfte. »Der Herr Konsistorialrath
hat so schön und so lange gesprochen, und ich ähnle nur dem Weibe Ruth,
das über dem Felde geht und Aehren sammelt, was auch der Text war,
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