Schach von Wuthenow - 05

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schönen Fräuleins von Carayon einigermaßen decken würde.«
»Königliche Hoheit halten zu Gnaden,« entgegnete Nostitz, »aber es
bleibt mir doch zweifelhaft, ob Königliche Hoheit die Kennzeichen der
_beauté du diable_ an Fräulein Victoire wahrnehmen würden. Das Fräulein
hat einen witzig-elegischen Ton, was auf den ersten Blick als ein
Widerspruch erscheint, und doch keiner ist, unter allen Umständen aber
als ihr charakteristischer Zug gelten kann. Meinen Sie nicht auch,
Alvensleben?«
Alvensleben bestätigte.
Der Prinz indessen, der ein sich Einbohren in Fragen über die Maßen
liebte, fuhr, indem er sich dieser Neigung auch heute hingab, immer
lebhafter werdend fort: »Elegisch« sagen Sie, »witzig-elegisch; ich
wüßte nicht, was einer _beauté du diable_ besser anstehn könnte. Sie
fassen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren. Alles was Ihnen dabei
vorschwebt, ist nur eine Spielart der alleralltäglichsten
Schönheitsform, der _beauté coquette_: das Näschen ein wenig mehr
gestubst, der Teint ein wenig dunkler, das Temperament ein wenig
rascher, die Manieren ein wenig kühner und rücksichtsloser. Aber damit
erschöpfen Sie die höhere Form der =beauté du diable= keineswegs. Diese
hat etwas Weltumfassendes, das über eine bloße Teint- und Rassenfrage
weit hinausgeht. Ganz wie die Katholische Kirche. Diese wie jene sind
auf ein Innerliches gestellt, und das Innerliche, das in =unserer= Frage
den Ausschlag giebt, heißt Energie, Feuer, Leidenschaft.«
Nostitz und Sander lächelten und nickten.
»Ja, meine Herren, ich gehe weiter und wiederhole ›was ist Schönheit?‹
Schönheit, bah! Es kann nicht nur auf die gewöhnlichen Schönheitsformen
verzichtet werden, ihr Fehlen kann sogar einen allerdirektesten Vorzug
bedeuten. In der That, lieber Schach, ich habe wunderbare Niederlagen
und noch wunderbarere Siege gesehn. Es ist auch in der Liebe wie bei
Morgarten und Sempach, die schönen Ritter werden geschlagen und die
häßlichen Bauern triumphiren. Glauben Sie mir, das Herz entscheidet,
=nur= das Herz. Wer liebt, wer die Kraft der Liebe hat, ist auch
liebenswürdig, und es wäre grausam, wenn es anders wäre. Gehen Sie die
Reihe der eigenen Erfahrungen durch. Was ist alltäglicher, als eine
schöne Frau durch eine nicht schöne Geliebte verdrängt zu sehn! Und
nicht etwa nach dem Satze _toujours perdrix_. O nein, es hat dies viel
tiefre Zusammenhänge. Das Langweiligste von der Welt ist die
lymphatisch-phlegmatische _beauté_, die _beauté par excellence_. Sie
kränkelt hier, sie kränkelt da, ich will nicht sagen immer und
nothwendig, aber doch in der Mehrzahl der Fälle, während meine _beauté
du diable_ die Trägerin einer allervollkommensten Gesundheit ist, jener
Gesundheit, die zuletzt alles bedeutet und gleichwerthig ist mit
höchstem Reiz. Und nun frag ich Sie, meine Herren, wer hätte mehr davon
als =die= Natur, die durch die größten und gewaltigsten
Läuterungsprozesse wie durch ein Fegefeuer gegangen ist. Ein paar
Grübchen in der Wange sind das Reizendste von der Welt, das hat schon
bei den Römern und Griechen gegolten, und ich bin nicht ungalant und
unlogisch genug, um einer Grübchen-Vielheit einen Respekt und eine
Huldigung zu versagen, die der Einheit oder dem Pärchen von Alters her
gebührt. Das paradoxe ›_le laid c'est le beau_‹ hat seine vollkommne
Berechtigung, und es heißt nichts andres, als daß sich hinter dem
anscheinend Häßlichen eine höhere Form der Schönheit verbirgt. Wäre
meine theure Pauline hier, wie sie's leider =nicht= ist, sie würde mir
zustimmen, offen und nachdrücklich, ohne durch persönliche Schicksale
captivirt zu sein.«
Der Prinz schwieg. Es war ersichtlich, daß er auf einen allseitigen
Ausdruck des Bedauerns wartete, Frau Pauline, die gelegentlich die
Honneurs des Hauses machte, heute =nicht= anwesend zu sehn. Als aber
Niemand das Schweigen brach, fuhr er fort: »Es fehlen uns die Frauen,
und damit dem Wein und unsrem Leben der Schaum. Ich nehme meinen Wunsch
wieder auf und wiederhole, daß es mich glücklich machen würde, die
Carayon'schen Damen in dem Salon meiner Freundin empfangen zu dürfen.
Ich zähle darauf, daß diejenigen Herren, die dem Kreise der Frau von
Carayon angehören, sich zum Interpreten meiner Wünsche machen. Sie
Schach, oder auch Sie, lieber Alvensleben.«
Beide verneigten sich.
»Alles in allem wird es das Beste sein, meine Freundin Pauline nimmt es
persönlich in die Hand. Ich denke, sie wird den Carayon'schen Damen
einen ersten Besuch machen, und ich sehe Stunden eines angeregtesten
geistigen Austausches entgegen.«
Die peinliche Stille, womit auch diese Schlußworte hingenommen wurden,
würde noch fühlbarer gewesen sein, wenn nicht Dussek in eben diesem
Moment auf den Balkon hinausgetreten wäre. »Wie schön,« rief er und wies
mit der Hand auf den westlichen, bis hoch hinauf in einem glühgelben
Lichte stehenden Horizont.
Alle waren mit ihm an die Brüstung des Balkons getreten, und sahen
flußabwärts in den Abendhimmel hinein. Vor dem gelben Lichtstreifen
standen schwarz und schweigend die hohen Pappeln und selbst die
Schloßkuppel wirkte nur noch als Schattenriß.
Einen jeden der Gäste berührte diese Schönheit. Am schönsten aber war
der Anblick zahlloser Schwäne, die, während man in den Abendhimmel sah,
vom Charlottenburger Park her in langer Reihe herankamen. Andre lagen
schon in Front. Es war ersichtlich, daß die ganze Flottille durch irgend
was bis in die Nähe der Villa gelockt sein mußte, denn sobald sie die
Höhe derselben erreicht hatte, schwenkten sie wie militärisch ein und
verlängerten die Front derer, die hier schon still und regungslos und
die Schnäbel unter dem Gefieder verborgen, wie vor Anker lagen. Nur das
Rohr bewegte sich leis in ihrem Rücken. So verging eine geraume Zeit.
Endlich aber erschien einer in unmittelbarer Nähe des Balkons, und
reckte den Hals, als ob er etwas sagen wollte.
»Wem gilt es?« fragte Sander. »Dem Prinzen oder Dussek oder der
Sinumbralampe.«
»Natürlich dem Prinzen,« antwortete Dussek.
»Und warum?«
»Weil er nicht blos Prinz ist, sondern auch Dussek und ›_sine umbra_‹.«
Alles lachte (der Prinz mit), während Sander allerförmlichst »zum
Hofkapellmeister« gratulirte. »Und wenn unser Freund,« so schloß er, »in
Zukunft wieder Strohhalme sammelt, um an ihnen zu sehen, »woher der Wind
weht,« so wird dieser Wind ihm allemal aus dem Lande geheiligter
Traditionen und nicht mehr aus dem Lande der Vorurtheile zu kommen
scheinen.«
Als Sander noch so sprach, setzte sich die Schwanenflottille, die wohl
durch die Dusseksche Musik herbeigelockt sein mußte, wieder in Bewegung,
und segelte flußabwärts, wie sie bis dahin flußaufwärts gekommen war.
Nur der Schwan, der den Obmann gemacht, erschien noch einmal, als ob er
seinen Dank wiederholen und sich in ceremoniellster Weise verabschieden
wolle.
Dann aber nahm auch er die Mitte des Flusses, und folgte den übrigen,
deren Tête schon unter dem Schatten der Parkbäume verschwunden war.


Achtes Kapitel.
Schach und Victoire.

Es war kurz nach diesem Diner beim Prinzen, daß in Berlin bekannt wurde,
der König werde noch vor Schluß der Woche von Potsdam herüberkommen, um
auf dem Tempelhofer Felde eine große Revue zu halten. Die Nachricht
davon weckte diesmal ein mehr als gewöhnliches Interesse, weil die
gesammte Bevölkerung nicht nur dem Frieden mißtraute, den Haugwitz mit
heimgebracht hatte, sondern auch mehr und mehr der Ueberzeugung lebte,
daß im Letzten immer nur unsre eigene Kraft auch unsere Sicherheit
beziehungsweise unsre Rettung sein werde. Welch andre Kraft aber hatten
wir als die Armee, die Armee, die, was Erscheinung und Schulung anging,
immer noch die friedericianische war.
In solcher Stimmung sah man dem Revuetage, der ein Sonnabend war,
entgegen.
Das Bild, das die Stadt vom frühen Morgen an darbot, entsprach der
Aufregung, die herrschte. Tausende strömten hinaus, und bedeckten vom
Halleschen Thor an die bergansteigende Straße, zu deren beiden Seiten
sich die »Knapphänse«, diese bekannten Zivilmarketender, mit ihren
Körben und Flaschen etablirt hatten. Bald danach erschienen auch die
Equipagen der vornehmen Welt, unter diesen =die= Schachs, die für den
heutigen Tag den Carayonschen Damen zur Disposition gestellt worden war.
Im selben Wagen mit ihnen befand sich ein alter Herr von der Recke,
früher Offizier, der, als naher Anverwandter Schachs, die Honneurs und
zugleich den militärischen Interpreten machte. Frau von Carayon trug ein
stahlgraues Seidenkleid und eine Mantille von gleicher Farbe, während
von Victoirens breitrandigem Italienerhut ein blauer Schleier im Winde
flatterte. Neben dem Kutscher saß der Groom und erfreute sich der Huld
beider Damen, ganz besonders auch der ziemlich willkürlich accentuirten
englischen Worte, die Victoire von Zeit zu Zeit an ihn richtete.
Für elf Uhr war das Eintreffen des Königs angemeldet worden, aber lange
vorher schon erschienen die zur Revue befohlenen, altberühmten
Infanterieregimenter Alt Larisch, von Arnim und Möllendorff, ihre
Janitscharenmusik vorauf. Ihnen folgte die Kavallerie: Garde du Corps,
Gensdarmes und Leibhusaren, bis ganz zuletzt in einer immer dicker
werdenden Staubwolke die Sechs- und Zwölfpfünder heranrasselten und
klapperten, die zum Theil schon bei Prag und Leuthen und neuerdings
wieder bei Valmy und Pirmasens gedonnert hatten. Enthusiastischer Jubel
begleitete den Anmarsch, und wahrlich, wer sie so heranziehen sah, dem
mußte das Herz in patriotisch stolzer Erregung höher schlagen. Auch die
Carayons theilten das allgemeine Gefühl, und nahmen es als bloße
Verstimmung oder Altersängstlichkeit, als der alte Herr von der Recke
sich vorbog und mit bewegter Stimme sagte: »Prägen wir uns diesen
Anblick ein, meine Damen. Denn glauben Sie der Vorahnung eines alten
Mannes, wir werden diese Pracht nicht wiedersehen. Es ist die
Abschiedsrevue der friedericianischen Armee.«
* * * * *
Victoire hatte sich auf dem Tempelhofer Felde leicht erkältet und blieb
in ihrer Wohnung zurück, als die Mama gegen Abend ins Schauspiel fuhr,
ein Vergnügen, das sie jederzeit geliebt hatte, zu keiner Zeit aber mehr
als damals, wo sich zu der künstlerischen Anregung auch noch etwas von
wohlthuender politischer Emotion gesellte. Wallenstein, die Jungfrau,
Tell erschienen gelegentlich, am häufigsten aber Holbergs »politischer
Zinngießer«, der, wie Publikum und Direktion gemeinschaftlich fühlen
mochten, um ein Erhebliches besser als die hohe Schillersche Muse zu
lärmenden Demonstrationen geeignet war.
Victoire war allein. Ihr that die Ruhe wohl und in einen türkischen
Shawl gehüllt, lag sie träumend auf dem Sopha, vor ihr ein Brief, den
sie kurz vor ihrer Vormittagsausfahrt empfangen und in jenem Augenblicke
nur flüchtig gelesen hatte. Desto langsamer und aufmerksamer freilich,
als sie von der Revue wieder zurückgekommen war.
Es war ein Brief von Lisette.
Sie nahm ihn auch jetzt wieder zur Hand, und las eine Stelle, die sie
schon vorher mit einem Bleistiftsstrich bezeichnet hatte: ».... Du mußt
wissen, meine liebe Victoire, daß ich, Pardon für dies offne Geständniß,
mancher Aeußerung in Deinem letzten Briefe keinen vollen Glauben
schenke. Du suchst Dich und mich zu täuschen, wenn Du schreibst, daß Du
Dich in ein Respektsverhältniß zu S. hineindenkst. Er würde selber
lächeln, wenn er davon hörte. Daß Du Dich plötzlich so verletzt fühlen,
ja, verzeihe, so piquirt werden konntest, als er den Arm Deiner Mama
nahm, verräth Dich, und giebt mir allerlei zu denken, wie denn auch
andres noch, was Du speziell in dieser Veranlassung schreibst. Ich lerne
Dich plötzlich von einer Seite kennen, von der ich Dich noch nicht
kannte, von der argwöhnischen nämlich. Und nun, meine theure Victoire,
hab ein freundliches Ohr für das, was ich Dir in Bezug auf diesen
wichtigen Punkt zu sagen habe. Bin ich doch die ältere. Du darfst Dich
ein für allemal nicht in ein Mißtrauen gegen Personen hineinleben, die
durchaus den entgegengesetzten Anspruch erheben dürfen. Und zu diesen
Personen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall
überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative stehst, und entweder
Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen =gegen= ihn fallen
lassen mußt. Er sei Kavalier, schreibst Du mir, ›ja, das Ritterliche‹,
fügst Du hinzu, ›sei so recht eigentlich seine Natur‹, und im selben
Augenblicke, wo Du dies schreibst, bezichtigt ihn Dein Argwohn einer
Handelsweise, die, träfe sie zu, das Unritterlichste von der Welt sein
würde. Solche Widersprüche giebt es nicht. Man ist entweder ein Mann von
Ehre, oder man ist es nicht. Im Uebrigen, meine theure Victoire, sei
gutes Muthes, und halte Dich ein für allemal versichert, =Dir lügt der
Spiegel=. Es ist nur =Eines=, um dessentwillen wir Frauen leben, wir
leben, um uns ein Herz zu gewinnen, aber =wodurch= wir es gewinnen, ist
gleichgiltig.«
Victoire faltete das Blatt wieder zusammen. »Es räth und tröstet sich
leicht aus einem vollen Besitz heraus; sie hat alles und nun ist sie
großmüthig. Arme Worte, die von des Reichen Tische fallen.«
Und sie bedeckte beide Augen mit ihren Händen.
In diesem Augenblick hörte sie die Klingel gehen, und gleich danach ein
zweites Mal, ohne daß jemand von der Dienerschaft gekommen wäre. Hatten
es Beate und der alte Jannasch überhört? Oder waren sie fort? Eine
Neugier überkam sie. Sie ging also leise bis an die Thür und sah auf den
Vorflur hinaus. Es war Schach. Einen Augenblick schwankte sie, was zu
thun sei, dann aber öffnete sie die Glasthür und bat ihn einzutreten.
»Sie klingelten so leise. Beate wird es überhört haben.«
»Ich komme nur, um nach dem Befinden der Damen zu fragen. Es war ein
prächtiges Paradewetter, kühl und sonnig, aber der Wind ging doch
ziemlich scharf ....«
»Und Sie sehen mich unter seinen Opfern. Ich fiebre, nicht gerade
heftig, aber wenigstens =so=, daß ich das Theater aufgeben mußte. Der
Shawl (in den ich bitte, mich wieder einwickeln zu dürfen) und diese
Tisane, von der Beate wahre Wunder erwartet, werden mir wahrscheinlich
zuträglicher sein als Wallensteins Tod. Mama wollte mir anfänglich
Gesellschaft leisten. Aber Sie kennen ihre Passion für alles, was
Schauspiel heißt, und so hab ich sie fortgeschickt. Freilich auch aus
Selbstsucht; denn daß ich es gestehe, mich verlangte nach Ruhe.«
»Die nun mein Erscheinen =doch= wiederum stört. Aber nicht auf lange,
nur gerade lange genug, um mich eines Auftrags zu entledigen, einer
Anfrage, mit der ich übrigens leichtmöglicherweise zu spät komme, wenn
Alvensleben schon gesprochen haben sollte.«
»Was ich nicht glaube, vorausgesetzt, daß es nicht Dinge sind, die Mama
für gut befunden hat, selbst vor mir als Geheimniß zu behandeln.«
»Ein sehr unwahrscheinlicher Fall. Denn es ist ein Auftrag, der sich an
Mutter und Tochter gleichzeitig richtet. Wir hatten ein Diner beim
Prinzen, _cercle intime_, zuletzt natürlich auch Dussek. Er sprach vom
Theater (von was andrem sollt er) und brachte sogar Bülow zum Schweigen,
was vielleicht eine That war.«
»Aber Sie medisiren ja, lieber Schach.«
»Ich verkehre lange genug im Salon der Frau von Carayon, um wenigstens
in den Elementen dieser Kunst unterrichtet zu sein.«
»Immer schlimmer, immer größere Ketzereien. Ich werde Sie vor das
Großinquisitoriat der Mama bringen. Und wenigstens der Tortur einer
Sittenpredigt sollen Sie nicht entgehen.«
»Ich wüßte keine liebere Strafe.«
»Sie nehmen es zu leicht .... Aber nun der Prinz ....«
»Er will Sie sehen, =beide=, Mutter und Tochter. Frau Pauline, die, wie
Sie vielleicht wissen, den Zirkel des Prinzen macht, soll Ihnen eine
Einladung überbringen.«
»Der zu gehorchen, Mutter und Tochter sich zu besondrer Ehre rechnen
werden.«
»Was mich nicht wenig überrascht. Und Sie können, meine theure Victoire,
dies kaum im Ernste gesprochen haben. Der Prinz ist mir ein gnädger
Herr, und ich lieb ihn _de tout mon coeur_. Es bedarf keiner Worte
darüber. Aber er ist ein Licht mit einem reichlichen Schatten, oder,
wenn Sie mir den Vergleich gestatten wollen, ein Licht, das mit einem
Räuber brennt. Alles in allem, er hat den zweifelhaften Vorzug so vieler
Fürstlichkeiten, in Kriegs- und in Liebesabenteuern gleich hervorragend
zu sein, oder es noch runder heraus zu sagen, er ist abwechselnd ein
Helden- und ein Debauchenprinz. Dabei grundsatzlos und rücksichtslos,
sogar ohne Rücksicht auf den Schein. Was vielleicht das Allerschlimmste
ist. Sie kennen seine Beziehungen zu Frau Pauline?«
»Ja.«
»Und ....«
»Ich billige sie nicht. Aber sie nicht billigen, ist etwas andres als
sie verurtheilen. Mama hat mich gelehrt, mich über derlei Dinge nicht zu
kümmern und zu grämen. Und hat sie nicht Recht? Ich frage Sie, lieber
Schach, was würd aus uns, ganz speziell aus uns zwei Frauen, wenn wir
uns innerhalb unsrer Umgangs- und Gesellschaftssphäre zu Sittenrichtern
aufwerfen und Männlein und Weiblein auf die Korrektheit ihres Wandels
hin prüfen wollten? Etwa durch eine Wasser- und Feuerprobe. Die
Gesellschaft ist souverän. Was sie gelten läßt, gilt, was sie verwirft,
ist verwerflich. Außerdem liegt hier alles exzeptionell. Der Prinz ist
ein Prinz, Frau von Carayon ist eine Wittwe, und ich .... bin ich.«
»Und bei diesem Entscheide soll es bleiben, Victoire?«
»Ja. Die Götter balanciren. Und wie mir Lisette Perbandt eben schreibt:
›wem genommen wird, dem wird auch gegeben‹. In meinem Falle liegt der
Tausch etwas schmerzlich, und ich wünschte wohl, ihn nicht gemacht zu
haben. Aber andrerseits geh ich nicht blind an dem eingetauschten Guten
vorüber, und freue mich meiner Freiheit. Wovor andre meines Alters und
Geschlechts erschrecken, das darf ich. An dem Abende bei Massows, wo man
mir zuerst huldigte, war ich, ohne mir dessen bewußt zu sein, eine
Sklavin. Oder doch abhängig von hundert Dingen. Jetzt bin ich frei.«
Schach sah verwundert auf die Sprecherin. Manches, was der Prinz über
sie gesagt hatte, ging ihm durch den Kopf. Waren das Ueberzeugungen oder
Einfälle? War es Fieber? Ihre Wangen hatten sich geröthet, und ein
aufblitzendes Feuer in ihrem Auge traf ihn mit dem Ausdruck einer
trotzigen Entschlossenheit. Er versuchte jedoch sich in den leichten
Ton, in dem ihr Gespräch begonnen hatte, zurückzufinden, und sagte:
»Meine theure Victoire scherzt. Ich möchte wetten, es ist ein Band
Rousseau, was da vor ihr liegt, und ihre Phantasie geht mit dem
Dichter.«
»Nein, es ist nicht Rousseau. Es ist ein anderer, der mich =mehr=
interessirt.«
»Und =wer=, wenn ich neugierig sein darf?«
»Mirabeau.«
»Und warum =mehr=?«
»Weil er mir näher steht. Und das Allerpersönlichste bestimmt immer
unser Urtheil. Oder doch fast immer. Er ist mein Gefährte, mein
spezieller Leidensgenoß. Unter Schmeicheleien wuchs er auf. ›Ah, das
schöne Kind,‹ hieß es tagein, tagaus. Und dann eines Tags war alles hin,
hin wie .... wie ....«
»Nein, Victoire, Sie sollen das Wort nicht aussprechen.«
»Ich =will= es aber, und würde den Namen meines Gefährten und
Leidensgenossen zu meinem =eigenen= machen, wenn ich es könnte. Victoire
=Mirabeau= de Carayon, oder sagen wir Mirabelle de Carayon, das klingt
schön und ungezwungen, und wenn ich's recht übersetze, so heißt es
Wunderhold.«
Und dabei lachte sie voll Uebermuth und Bitterkeit. Aber die Bitterkeit
klang vor.
»Sie dürfen =so= nicht lachen, Victoire, nicht =so=. Das kleidet Ihnen
nicht, das verhäßlicht Sie. Ja, werfen Sie nur die Lippen, --
=verhäßlicht= Sie. Der Prinz hatte doch Recht, als er enthusiastisch von
Ihnen sprach. Armes Gesetz der Form und der Farbe. Was allein gilt, ist
das ewig Eine, daß sich die Seele den Körper schafft oder ihn
durchleuchtet und verklärt.«
Victoirens Lippen flogen, ihre Sicherheit verließ sie, und ein Frost
schüttelte sie. Sie zog den Shawl höher hinauf, und Schach nahm ihre
Hand, die eiskalt war, denn alles Blut drängte nach ihrem Herzen.
»Victoire, Sie thun sich Unrecht; Sie wüthen nutzlos gegen sich selbst,
und sind um nichts besser als der Schwarzseher, der nach allem Trüben
sucht und an Gottes hellem Sonnenlicht vorüber sieht. Ich beschwöre Sie,
fassen Sie sich und glauben Sie wieder an Ihr Anrecht auf Leben und
Liebe. War ich denn blind? In dem bittren Wort, in dem Sie sich
demüthigen wollten, in eben diesem Worte haben Sie's getroffen, ein für
allemal. Alles ist Märchen und Wunder an Ihnen; ja Mirabelle, ja
Wunderhold!«
Ach, das waren die Worte, nach denen ihr Herz gebangt hatte, während es
sich in Trotz zu waffnen suchte.
Und nun hörte sie sie willenlos und schwieg in einer süßen Betäubung.
* * * * *
Die Zimmeruhr schlug neun und die Thurmuhr draußen antwortete. Victoire,
die den Schlägen gefolgt war, strich das Haar zurück und trat ans
Fenster und sah auf die Straße.
»Was erregt Dich?«
»Ich meinte, daß ich den Wagen gehört hätte.«
»Du hörst zu fein.«
Aber sie schüttelte den Kopf, und im selben Augenblicke fuhr der Wagen
der Frau von Carayon vor.
»Verlassen Sie mich .... Bitte.«
»Bis auf morgen.«
Und ohne zu wissen, ob es ihm glücken werde, der Begegnung mit Frau von
Carayon auszuweichen, empfahl er sich rasch und huschte durch Vorzimmer
und Korridor.
Alles war still und dunkel unten, und nur von der Mitte des Hausflurs
her fiel ein Lichtschimmer bis in die Nähe der obersten Stufen. Aber das
Glück war ihm hold. Ein breiter Pfeiler, der bis dicht an die
Treppenbrüstung vorsprang, theilte den schmalen Vorflur in zwei Hälften,
und hinter diesen Pfeiler trat er und wartete.
Victoire stand in der Glasthür und empfing die Mama.
»Du kommst so früh. Ach, und wie hab ich Dich erwartet!«
Schach hörte jedes Wort. »Erst die Schuld und dann die Lüge,« klang es
in ihm. »Das alte Lied.«
Aber die Spitze seiner Worte richtete sich gegen ihn und nicht gegen
Victoire.
Dann trat er aus seinem Versteck hervor und schritt rasch und
geräuschlos die Treppe hinunter.


Neuntes Kapitel.
Schach zieht sich zurück.

»Bis auf morgen,« war Schachs Abschiedswort gewesen, aber er kam nicht.
Auch am zweiten und dritten Tage nicht. Victoire suchte sich's
zurechtzulegen, und wenn es nicht glücken wollte, nahm sie Lisettens
Brief und las immer wieder die Stelle, die sie längst auswendig wußte.
»Du darfst Dich, ein für allemal, nicht in ein Mißtrauen gegen Personen
hineinleben, die durchaus den entgegengesetzten Anspruch erheben dürfen.
Und zu diesen Personen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich
den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative stehst, und
entweder Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn
fallen lassen mußt.« Ja, Lisette hatte Recht und doch blieb ihr eine
Furcht im Gemüthe. »Wenn doch alles nur ....« Und es übergoß sie mit
Blut.
Endlich am vierten Tage kam er. Aber es traf sich, daß sie kurz vorher
in die Stadt gegangen war. Als sie zurückkehrte, hörte sie von seinem
Besuch; er sei sehr liebenswürdig gewesen, habe zwei-, dreimal nach ihr
gefragt, und ein Bouquet für sie zurückgelassen. Es waren Veilchen und
Rosen, die das Zimmer mit ihrem Dufte füllten. Victoire, während ihr die
Mama von dem Besuche vorplauderte, bemühte sich, einen leichten und
übermüthigen Ton anzuschlagen, aber ihr Herz war zu voll von
widerstreitenden Gefühlen, und sie zog sich zurück, um sich in zugleich
glücklichen und bangen Thränen auszuweinen.
Inzwischen war der Tag herangekommen, wo die »Weihe der Kraft« gegeben
werden sollte. Schach schickte seinen Diener und ließ anfragen, ob die
Damen der Vorstellung beizuwohnen gedächten? Es war eine bloße Form,
denn er wußte, daß es so sein werde.
Im Theater waren alle Plätze besetzt. Schach saß den Carayons gegenüber
und grüßte mit großer Artigkeit. Aber bei diesem Gruße blieb es, und er
kam nicht in ihre Loge hinüber, eine Zurückhaltung, über die Frau von
Carayon kaum weniger betroffen war, als Victoire. Der Streit indessen,
den das hinsichtlich des Stücks in zwei Lager getheilte Publikum führte,
war so heftig und aufregend, daß beide Damen ebenfalls mit hingerissen
wurden und momentan wenigstens alles Persönliche vergaßen. Erst auf dem
Heimweg kehrte die Verwunderung über Schachs Benehmen zurück.
Am andern Vormittage ließ er sich melden. Frau von Carayon war erfreut,
Victoire jedoch, die schärfer sah, empfand ein tiefes Unbehagen. Er
hatte ganz ersichtlich diesen Tag abgewartet, um einen bequemen
Plauderstoff zu haben und mit Hilfe desselben über die Peinlichkeit
eines ersten Wiedersehens mit ihr leichter hinwegzukommen. Er küßte der
Frau von Carayon die Hand und wandte sich dann gegen Victoire, um dieser
sein Bedauern auszusprechen, sie bei seinem letzten Besuche verfehlt zu
haben. Man entfremde sich fast, anstatt sich fester anzugehören. Er
sprach dies so, daß ihr ein Zweifel blieb, ob er es mit tieferer
Bedeutung oder aus bloßer Verlegenheit gesagt habe. Sie sann darüber
nach, aber ehe sie zum Abschluß kommen konnte, wandte sich das Gespräch
dem Stücke zu.
»Wie finden Sie's?« fragte Frau von Carayon.
»Ich liebe nicht Komödien,« antwortete Schach, »die fünf Stunden
spielen. Ich wünsche Vergnügen oder Erholung im Theater, aber keine
Strapaze.«
»Zugestanden. Aber dies ist etwas Aeußerliches, und beiläufig ein
Mißstand, dem ehestens abgeholfen sein wird. Iffland selbst ist mit
erheblichen Kürzungen einverstanden. Ich will Ihr Urtheil über das
Stück.«
»Es hat mich =nicht= befriedigt.«
»Und warum nicht?«
»Weil es alles auf den Kopf stellt. =Solchen= Luther hat es Gott sei
Dank nie gegeben, und wenn solcher je käme, so würd er uns einfach dahin
zurückführen, von wo der echte Luther uns seinerzeit wegführte. Jede
Zeile widerstreitet dem Geist und Jahrhundert der Reformation; alles ist
Jesuitismus oder Mysticismus, und treibt ein unerlaubtes und beinah
kindisches Spiel mit Wahrheit und Geschichte. Nichts paßt. Ich wurde
beständig an das Bild Albrechts Dürers erinnert, wo Pilatus mit
Pistolenhalftern reitet oder an ein ebenso bekanntes Altarblatt in
Soest, wo statt des Osterlamms ein westfälischer Schinken in der
Schüssel liegt. In diesem seinwollenden Lutherstück aber liegt ein
allerpfäffischster Pfaff in der Schüssel. Es ist ein Anachronismus von
Anfang bis Ende.«
»Gut. Das ist Luther. Aber ich wiederhole, das =Stück=?«
»Luther ist das Stück. Das andre bedeutet nichts. Oder soll ich mich für
Katharina von Bora begeistern, für eine Nonne, die schließlich keine
war.«
Victoire senkte den Blick und ihre Hand zitterte. Schach sah es, und
über seinen _faux pas_ erschreckend, sprach er jetzt hastig und in sich
überstürzender Weise von einer Parodie, die vorbereitet werde, von einem
angekündigten Proteste der lutherischen Geistlichkeit, vom Hofe, von
Iffland, vom Dichter selbst, und schloß endlich mit einer übertriebenen
Lobpreisung der eingelegten Lieder und Kompositionen. Er hoffe, daß
Fräulein Victoire noch den Abend in Erinnerung habe, wo er diese Lieder
am Klavier begleiten durfte.
All dies wurde sehr freundlich gesprochen, aber so freundlich es klang,
so fremd klang es auch, und Victoire hörte mit feinen Ohren heraus, daß
es nicht =die= Sprache war, die sie fordern durfte. Sie war bemüht, ihm
unbefangen zu antworten, aber es blieb ein äußerliches Gespräch bis er
ging.
Den Tag nach diesem Besuche kam Tante Marguerite. Sie hatte bei Hofe von
dem schönen Stücke gehört, »das so schön sei, wie noch gar keins,« und
so wollte sie's gerne sehn. Frau von Carayon war ihr zu Willen, nahm sie
mit in die zweite Vorstellung, und da wirklich sehr gekürzt worden war,
blieb auch noch Zeit daheim eine halbe Stunde zu plaudern.
»Nun Tante Marguerite,« fragte Victoire, »wie hat es Dir gefallen?«
»Gut, liebe Victoire. Denn es berührt doch den Hauptpunkt in unsrer
gereinigten Kürche.«
»Welchen meinst Du, liebe Tante?«
»Nun =den= von der chrüstlichen Ehe.«
Victoire zwang sich ernsthaft zu bleiben und sagte dann: »Ich dachte,
dieser Hauptpunkt in unsrer Kirche läge doch noch in etwas andrem, also
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