Schach von Wuthenow - 02

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sich immer dünner machend, und wirklich hieß es auf der Hut sein, denn
in Front der zu beiden Seiten liegenden Oel- und Weinfässer, standen
Zitronen- und Apfelsinenkisten, deren Deckel nach vorn hin aufgeklappt
waren. »Achtung,« sagte der Küfer. »Is hier allens voll Pinnen und
Nägel. Habe mir gestern erst einen eingetreten.«
»Also auch spanische Reiter .... O, Bülow! In solche Lage bringt einen
ein militärischer Verlag.«
Dieser Sandersche Schmerzensschrei stellte die Heiterkeit wieder her,
und unter Tappen und Tasten war man endlich bis in die Nähe der Hofthür
gekommen, wo, nach rechts hin, einige der Fässer weniger dicht
nebeneinander lagen. Hier zwängte man sich denn auch durch, und gelangte
mit Hülfe von vier oder fünf steilen Stufen in eine mäßig große
Hinterstube, die gelb gestrichen und halb verblakt und nach Art aller
»Frühstücksstuben« um Mitternacht am vollsten war. Ueberall, an
niedrigen Panelen hin, standen lange, längst eingesessene Ledersophas,
mit kleinen und großen Tischen davor, und nur =eine= Stelle war da, wo
dieses Mobiliar fehlte. Hier stand vielmehr ein mit Kästen und Realen
überbautes Pult, vor welchem einer der Repräsentanten der Firma tagaus
tagein auf einem Drehschemel ritt, und seine Befehle (gewöhnlich nur ein
Wort) in einen unmittelbar neben dem Pult befindlichen Keller
hinunterrief, dessen Fallthür immer offen stand.
Unsere drei Freunde hatten in einer dem Kellerloch schräg gegenüber
gelegenen Ecke Platz genommen, und Sander, der grad lange genug Verleger
war, um sich auf lukullische Feinheiten zu verstehen, überflog eben die
Wein- und Speisekarte. Diese war in russisch Leder gebunden, roch aber
nach Hummer. Es schien nicht, daß unser Lukull gefunden hatte, was ihm
gefiel; er schob also die Karte wieder fort und sagte: »Das Geringste,
was ich von einem solchen hundstäglichen April erwarten kann, sind
Maikräuter, _Asperula odorata Linnéi_. Denn ich hab auch Botanisches
verlegt. Von dem Vorhandensein frischer Apfelsinen haben wir uns draußen
mit Gefahr unseres Lebens überzeugt, und für den Mosel bürgt uns die
Firma.«
Der Herr am Pult rührte sich nicht, aber man sah deutlich, daß er mit
seinem Rücken zustimmte, Bülow und Alvensleben thaten desgleichen, und
Sander resolvirte kurz: »Also Maibowle.«
Das Wort war absichtlich laut und mit der Betonung einer Ordre
gesprochen worden, und im selben Augenblicke scholl es auch schon vom
Drehstuhl her in das Kellerloch hinunter »Fritz!« Ein zunächst nur mit
halber Figur aus der Versenkung auftauchender, dicker und kurzhalsiger
Junge, wurde, wie wenn auf eine Feder gedrückt worden wäre, sofort
sichtbar, übersprang diensteifrig, indem er die Hand aufsetzte, die
letzten zwei, drei Stufen und stand im Nu vor Sander, den er, allem
Anscheine nach, am besten kannte.
»Sagen Sie, Fritz, wie verhält sich die Firma Sala Tarone zur Maibowle?«
»Gut. Sehr gut.«
»Aber wir haben erst April, und so sehr ich im allgemeinen der Mann der
Surrogate bin, so hass' ich doch eins: die Toncabohne. Die Toncabohne
gehört in die Schnupftabacksdose, nicht in die Maibowle. Verstanden?«
»Zu dienen, Herr Sander.«
»Gut denn. Also Maikräuter. Und nicht lange ziehen lassen. Waldmeister
ist nicht Kamillenthee. Der Mosel, sagen wir ein Zeltlinger oder ein
Brauneberger, wird langsam über die Büschel gegossen; das genügt.
Apfelsinenschnitten als bloßes Ornament. Eine Scheibe zuviel macht
Kopfweh. Und nicht zu süß, und eine Cliquot extra. Extra, sag ich.
Besser ist besser.«
Damit war die Bestellung beendet und ehe zehn Minuten um waren, erschien
die Bowle, darauf nicht mehr als drei oder vier Waldmeisterblättchen
schwammen, nur gerade genug, den Beweis der Aechtheit zu führen.
»Sehen Sie, Fritz, das gefällt mir. Auf mancher Maibowle schwimmt es wie
Entengrütze. Und das ist schrecklich. Ich denke wir werden Freunde
bleiben. Und nun grüne Gläser.«
Alvensleben lachte. »Grüne?«
»Ja. Was sich dagegen sagen läßt, lieber Alvensleben, weiß ich und laß
es gelten. Es ist in der That eine Frage, die mich seit länger
beschäftigt, und die, neben anderen, in die Reihe jener Zwiespalte
gehört, die sich, wir mögen es anfangen wie wir wollen, durch unser
Leben hinziehen. Die Farbe des Weins geht verloren, aber die Farbe des
Frühlings wird gewonnen, und mit ihr das festliche Gesammtkolorit. Und
dies erscheint mir als der wichtigere Punkt. Unser Essen und Trinken, so
weit es nicht der gemeinen Lebensnothdurft dient, muß mehr und mehr zur
symbolischen Handlung werden, und ich begreife Zeiten des späteren
Mittelalters, in denen der Tafelaufsatz und die Fruchtschalen mehr
bedeuteten, als das Mahl selbst.«
»Wie gut Ihnen das kleidet, Sander,« lachte Bülow. »Und doch dank ich
Gott, Ihre Kapaunenrechnung nicht bezahlen zu müssen.«
»Die Sie schließlich =doch= bezahlen.«
»Ah, das =erste= Mal, daß ich einen dankbaren Verleger in Ihnen
entdecke. Stoßen wir an .... Aber alle Welt, da steigt ja der lange
Nostitz aus der Versenkung. Sehen Sie, Sander, er nimmt gar kein
Ende ....«
Wirklich, es war Nostitz, der, unter Benutzung eines geheimen Eingangs,
eben die Kellertreppe hinaufstolperte, Nostitz von den Gensdarmes, der
längste Lieutenant der Armee, der, trotzdem er aus dem Sächsischen
stammte, seiner sechs Fuß drei Zoll halber so ziemlich ohne Widerrede
beim Elite-Regiment Gensdarmes eingestellt und mit einem verbliebenen
kleinen Reste von Antagonismus mittlerweile längst fertig geworden war.
Ein tollkühner Reiter und ein noch tollkühnerer Kour- und
Schuldenmacher, war er seit lang ein Allerbeliebtester im Regiment, so
beliebt, daß ihn sich der »Prinz«, der kein anderer war als Prinz Louis,
bei Gelegenheit der vorjährigen Mobilisirung, zum Adjutanten erbeten
hatte.
Neugierig, woher er komme, stürmte man mit Fragen auf ihn ein, aber erst
als er sich in dem Ledersopha zurecht gerückt hatte, gab er Antwort auf
all das, was man ihn fragte. »Woher ich komme? Warum ich bei den
Carayons geschwänzt habe? Nun, weil ich in Französisch-Buchholz
nachsehen wollte, ob die Störche schon wieder da sind, ob der Kuckuck
schon wieder schreit, und ob die Schulmeisterstochter noch so lange
flachsblonde Flechten hat, wie voriges Jahr. Ein reizendes Kind. Ich
lasse mir immer die Kirche von ihr zeigen, und wir steigen dann in den
Thurm hinauf, weil ich eine Passion für alte Glockeninschriften habe.
Sie glauben gar nicht, was sich in solchem Thurme Alles entziffern läßt.
Ich zähle das zu meinen glücklichsten und lehrreichsten Stunden.«
»Und eine Blondine, sagten Sie. Dann freilich erklärt sich alles. Denn
neben einer Prinzessin Flachshaar kann unser Fräulein Victoire nicht
bestehn. Und nicht einmal die schöne Mama, die schön ist, aber doch am
Ende brünett. Und blond geht immer vor schwarz.«
»Ich möchte das nicht geradezu zum Axiom erheben,« fuhr Nostitz fort.
»Es hängt doch alles noch von Nebenumständen ab, die hier freilich
ebenfalls zu Gunsten meiner Freundin sprechen. Die schöne Mama, wie Sie
sie nennen, wird siebenunddreißig, bei welcher Addition ich
wahrscheinlich galant genug bin, ihr ihre vier Ehejahre =halb= statt
doppelt zu rechnen. Aber das ist Schachs Sache, der über kurz oder lang
in der Lage sein wird, ihren Taufschein um seine Geheimnisse zu
befragen.«
»Wie das?« fragte Bülow.
»Wie das?« wiederholte Nostitz. »Was doch die Gelehrten, und wenn es
gelehrte Militärs wären, für schlechte Beobachter sind. Ist Ihnen denn
das Verhältniß zwischen Beiden entgangen? Ein ziemlich vorgeschrittenes,
glaub' ich. _C'est le premier pas, qui coûte ...._«
»Sie drücken sich etwas dunkel aus, Nostitz.«
»Sonst nicht gerade mein Fehler.«
»Ich meinerseits glaube Sie zu verstehen,« unterbrach Alvensleben. »Aber
Sie täuschen sich, Nostitz, wenn Sie daraus auf eine Partie schließen.
Schach ist eine sehr eigenartige Natur, die, was man auch an ihr
aussetzen mag, wenigstens manche psychologische Probleme stellt. Ich
habe beispielsweise keinen Menschen kennen gelernt, bei dem alles so
ganz und gar auf das Aesthetische zurückzuführen wäre, womit es
vielleicht in einem gewissen Zusammenhange steht, daß er überspannte
Vorstellungen von Intaktheit und Ehe hat. Wenigstens von einer Ehe, wie
=er= sie zu schließen wünscht. Und so bin ich denn wie von meinem Leben
überzeugt, er wird niemals eine Wittwe heirathen, auch die schönste
nicht. Könnt' aber hierüber noch irgend ein Zweifel sein, so würd' ihn
=ein= Umstand beseitigen, und dieser eine Umstand heißt: »=Victoire=.«
»Wie das?«
»Wie schon so mancher Heirathsplan an einer unrepräsentablen Mutter
gescheitert ist, so würd' er hier an einer unrepräsentablen Tochter
scheitern. Er fühlt sich durch ihre mangelnde Schönheit geradezu genirt,
und erschrickt vor dem Gedanken, seine Normalität, wenn ich mich so
ausdrücken darf, mit ihrer Unnormalität in irgend welche Verbindung
gebracht zu sehen. Er ist krankhaft abhängig, abhängig bis zur Schwäche,
von dem Urtheile der Menschen, speziell seiner Standesgenossen, und
würde sich jederzeit außer Stande fühlen, irgend einer Prinzessin oder
auch nur einer hochgestellten Dame, Victoiren als seine Tochter
vorzustellen.«
»Möglich. Aber dergleichen läßt sich vermeiden.«
»Doch schwer. Sie zurückzusetzen, oder ganz einfach als Aschenbrödel zu
behandeln, das widerstreitet seinem feinen Sinn, dazu hat er das Herz zu
sehr auf dem rechten Fleck. Auch würde Frau von Carayon das einfach
nicht dulden. Denn so gewiß sie Schach liebt, so gewiß liebt sie
Victoire, ja, sie liebt diese noch um ein gut Theil =mehr=. Es ist ein
absolut ideales Verhältniß zwischen Mutter und Tochter, und gerade dies
Verhältniß ist es, was mir das Haus so werth gemacht hat und noch
macht.«
»Also begraben wir die Partie,« sagte Bülow. »Mir persönlich zu
besondrer Genugthuung und Freude, denn ich schwärme für diese Frau. Sie
hat den ganzen Zauber des Wahren und Natürlichen, und selbst ihre
Schwächen sind reizend und liebenswürdig. Und daneben dieser =Schach=!
Er mag seine Meriten haben, meinetwegen, aber mir ist er nichts als ein
Pedant und Wichtigthuer, und zugleich die Verkörperung jener preußischen
Beschränktheit, die nur drei Glaubensartikel hat: erstes Hauptstück »die
Welt ruht nicht sichrer auf den Schultern des Atlas, als der preußische
Staat auf den Schultern der preußischen Armee«, zweites Hauptstück »der
preußische Infanterieangriff ist unwiderstehlich«, und drittens und
letztens »eine Schlacht ist nie verloren, so lange das Regiment Garde du
Corps nicht angegriffen hat«. Oder natürlich auch das Regiment
Gensdarmes. Denn sie sind Geschwister, Zwillingsbrüder. Ich verabscheue
solche Redensarten, und der Tag ist nahe, wo die Welt die Hohlheit
solcher Rodomontaden erkennen wird.«
»Und doch unterschätzen Sie Schach. Er ist immerhin einer unserer
Besten.«
»Um so schlimmer.«
»Einer unsrer Besten, sag ich, und =wirklich= ein Guter. Er spielt nicht
blos den Ritterlichen, er =ist= es auch. Natürlich auf seine Weise.
Jedenfalls trägt er ein ehrliches Gesicht und keine Maske.«
»Alvensleben hat Recht,« bestätigte Nostitz. »Ich habe nicht viel für
ihn übrig, aber das ist wahr, alles an ihm ist echt, auch seine steife
Vornehmheit, so langweilig und so beleidigend ich sie finde. Und =darin=
unterscheidet er sich von uns. Er ist immer er selbst, gleichviel ob er
in den Salon tritt, oder vorm Spiegel steht, oder beim Zubettegehn sich
seine saffranfarbenen Nachthandschuh anzieht. Sander, der ihn nicht
liebt, soll entscheiden und das letzte Wort über ihn haben.«
»Es ist keine drei Tage,« hob dieser an, »daß ich in der Haude und
Spenerschen gelesen, der Kaiser von Brasilien habe den Heiligen Antonius
zum Obristlieutenant befördert und seinen Kriegsminister angewiesen,
besagtem Heiligen die Löhnung bis auf Weiteres gut zu schreiben. Welche
Gutschreibung mir einen noch größeren Eindruck gemacht hat, als die
Beförderung. Aber gleichviel. In Tagen derartiger Ernennungen und
Beförderungen wird es nicht auffallen, wenn ich die Gefühle dieser
Stunde, zugleich aber den von mir geforderten Entscheid und
Richterspruch, in die Worte zusammenfasse: Seine Majestät der
Rittmeister von Schach, er lebe hoch.«
»O, vorzüglich Sander,« sagte Bülow, »damit haben Sie's getroffen. Die
ganze Lächerlichkeit auf einen Schlag. Der kleine Mann in den großen
Stiefeln! Aber meinetwegen, er lebe!«
»Da haben wir denn zum Ueberfluß auch noch die Sprache von »Sr. Majestät
getreuster Opposition,« antwortete Sander und erhob sich. »Und nun
Fritz, die Rechnung. Erlauben die Herren, daß ich das Geschäftliche
arrangire.«
»In besten Händen,« sagte Nostitz.
Und fünf Minuten später traten alle wieder ins Freie. Der Staub wirbelte
vom Thor her die Linden herauf, augenscheinlich war ein starkes Gewitter
im Anzug, und die ersten großen Tropfen fielen bereits.
»_Hâtez-vous._«
Und Jeder folgte der Weisung und mühte sich, so rasch wie möglich und
auf nächstem Wege seine Wohnung zu erreichen.


Viertes Kapitel.
In Tempelhof.

Der nächste Morgen sah Frau von Carayon und Tochter in demselben
Eckzimmer, in dem sie den Abend vorher ihre Freunde bei sich empfangen
hatten. Beide liebten das Zimmer, und gaben ihm auf Kosten aller andern
den Vorzug. Es hatte drei hohe Fenster, von denen die beiden unter
einander im rechten Winkel stehenden auf die Behren- und
Charlottenstraße sahen, während das dritte, thürartige, das ganze, breit
abgestumpfte Eck einnahm, und auf einen mit einem vergoldeten
Rokoko-Gitter eingefaßten Balkon hinausführte. Sobald es die Jahreszeit
erlaubte, stand diese Balkonthür offen, und gestattete, von beinah jeder
Stelle des Zimmers aus, einen Blick auf das benachbarte Straßentreiben,
das, der aristokratischen Gegend unerachtet, zu mancher Zeit ein
besonders belebtes war, am meisten um die Zeit der Frühjahrsparaden, wo
nicht blos die berühmten alten Infanterieregimenter der Berliner
Garnison, sondern, was für die Carayons wichtiger war, auch die
Regimenter der Garde du Corps und Gensdarmes unter dem Klang ihrer
silbernen Trompeten an dem Hause vorüberzogen. Bei solcher Gelegenheit
(wo sich dann selbstverständlich die Augen der Herrn Offiziers zu dem
Balkon hinaufrichteten) hatte das Eckzimmer erst seinen eigentlichen
Werth, und hätte gegen kein anderes vertauscht werden können.
Aber es war auch an stillen Tagen ein reizendes Zimmer, vornehm und
gemüthlich zugleich. Hier lag der türkische Teppich, der noch die
glänzenden, fast ein halbes Menschenalter zurückliegenden Petersburger
Tage des Hauses Carayon gesehen hatte, hier stand die malachitne
Stutzuhr, ein Geschenk der Kaiserin Katharina, und hier paradirte vor
allem auch der große, reich vergoldete Trumeau, der der schönen Frau
täglich aufs Neue versichern mußte, daß sie noch eine schöne Frau sei.
Victoire ließ zwar keine Gelegenheit vorübergehn, die Mutter über diesen
wichtigen Punkt zu beruhigen, aber Frau von Carayon war doch klug genug,
es sich jeden Morgen durch ihr von ihr selbst zu kontrolirendes
Spiegelbild neu bestätigen zu lassen. Ob ihr Blick in solchem Momente zu
dem Bilde des mit einem rothen Ordensband in ganzer Figur über dem Sopha
hängenden Herrn von Carayon hinüberglitt, oder ob sich ihr ein
stattlicheres Bild vor die Seele stellte, war für Niemanden zweifelhaft,
der die häuslichen Verhältnisse nur einigermaßen kannte. Denn Herr von
Carayon war ein kleiner, schwarzer Koloniefranzose gewesen, der außer
einigen in der Nähe von Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer
ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation, nichts Erhebliches
in die Ehe mitgebracht hatte. Am wenigsten aber männliche Schönheit.
Es schlug elf, erst draußen, dann in dem Eckzimmer, in welchem beide
Damen an einem Tapisserierahmen beschäftigt waren. Die Balkonthür war
weit auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen gedauert hatte,
stand die Sonne schon wieder hell am Himmel und erzeugte so ziemlich
dieselbe Schwüle, die schon den Tag vorher geherrscht hatte. Victoire
blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'schen kleinen
Groom, der mit Stulpenstiefeln und zwei Farben am Hut, von denen sie zu
sagen liebte, daß es die Schach'schen »Landesfarben« seien, die
Charlottenstraße heraufkam.
»O sieh nur,« sagte Victoire, »da kommt Schachs kleiner Ned. Und wie
wichtig er wieder thut! Aber er wird auch zu sehr verwöhnt, und immer
mehr eine Puppe. Was er nur bringen mag?«
Ihre Neugier sollte nicht lange unbefriedigt bleiben. Schon einen
Augenblick später hörten beide die Klingel gehn, und ein alter Diener in
Gamaschen, der noch die vornehmen Petersburger Tage miterlebt hatte,
trat ein, um auf einem silbernen Tellerchen ein Billet zu überreichen.
Victoire nahm es. Es war an Frau von Carayon adressirt.
»An =Dich= Mama.«
»Lies nur,« sagte diese.
»Nein, Du selbst; ich hab eine Scheu vor Geheimnissen.«
»Närrin,« lachte die Mutter und erbrach das Billet und las: »Meine
gnädigste Frau. Der Regen der vorigen Nacht hat nicht nur die Wege
gebessert, sondern auch die Luft. Alles in allem ein so schöner Tag, wie
sie der April uns Hyperboreern nur selten gewährt. Ich werde vier Uhr
mit meinem Wagen vor Ihrer Wohnung halten, um Sie und Fräulein Victoire
zu einer Spazierfahrt abzuholen. Ueber das Ziel erwarte ich Ihre
Befehle. Wissen Sie doch wie glücklich ich bin, Ihnen gehorchen zu
können. Bitte Bescheid durch den Ueberbringer. Er ist gerade firm genug
im Deutschen, um ein »ja« oder »nein« nicht zu verwechseln. Unter Gruß
und Empfehlungen an meine liebe Freundin Victoire (die zu größerer
Sicherheit vielleicht eine Zeile schreibt) Ihr Schach.«
»Nun, Victoire, was lassen wir sagen ...?«
»Aber Du kannst doch nicht ernsthaft fragen, Mama?«
»Nun denn also ›ja‹.«
Victoire hatte sich mittlerweile bereits an den Schreibtisch gesetzt,
und ihre Feder kritzelte: »Herzlichst acceptirt, trotzdem die Ziele
vorläufig im Dunkeln bleiben. Aber ist der Entscheidungsmoment erst da,
so wird er uns auch das Richtige wählen lassen.«
Frau von Carayon las über Victoires Schulter fort. »Es klingt so
vieldeutig,« sagte sie.
»So will ich ein bloßes Ja schreiben, und Du kontrasignirst.«
»Nein; laß es nur.«
Und Victoire schloß das Blatt, und gab es dem draußen wartenden Groom.
Als sie vom Flur her in das Zimmer zurückkehrte, fand sie die Mama
nachdenklich. »Ich liebe solche Pikanterien nicht, und am wenigsten
solche Räthselsätze.«
»=Du= dürftest sie auch nicht schreiben. Aber ich? Ich darf alles. Und
nun höre mich. Es muß etwas geschehen, Mama. Die Leute reden so viel,
auch schon zu mir, und da Schach immer noch schweigt und Du nicht
sprechen =darfst=, so muß =ich= es thun statt Eurer und Euch
verheirathen. Alles in der Welt kehrt sich einmal um. Sonst verheirathen
Mütter ihre Tochter, hier liegt es anders, und ich verheirathe Dich. Er
liebt Dich und Du liebst ihn. In den Jahren seid ihr gleich, und ihr
werdet das schönste Paar sein, das seit Menschengedenken im
französischen Dom oder in der Dreifaltigkeitskirche getraut wurde. Du
siehst, ich lasse Dir wenigstens hinsichtlich der Prediger und der
Kirche die Wahl; mehr kann ich nicht thun in dieser Sache. Daß Du mich
mit in die Ehe bringst, ist nicht gut, aber auch nicht schlimm. Wo viel
Licht ist, ist viel Schatten.«
Frau von Carayons Auge wurde feucht. »Ach meine süße Victoire, Du siehst
es anders, als es liegt. Ich will Dich nicht mit Bekenntnissen
überraschen, und in bloßen Andeutungen zu sprechen, wie Du gelegentlich
liebst, widerstreitet mir. Ich mag auch nicht philosophiren. Aber =das=
laß Dir sagen, es liegt alles vorgezeichnet in uns, und was Ursach
scheint, ist meist schon wieder Wirkung und Folge. Glaube mir, Deine
kleine Hand wird das Band =nicht= knüpfen, das Du knüpfen möchtest. Es
geht nicht, es kann nicht sein. Ich weiß es besser. Und warum auch?
Zuletzt lieb' ich doch eigentlich nur =Dich=.«
Ihr Gespräch wurde durch das Erscheinen einer alten Dame, Schwester des
verstorbenen Herrn von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienstag ein für
allemal zu Mittag geladen war, und unter »zu Mittag« pünktlicherweise
zwölf Uhr verstand, trotzdem sie wußte, daß bei den Carayons erst um
drei Uhr gegessen wurde. Tante =Marguerite=, das war ihr Name, war noch
eine echte Koloniefranzösin, d. h. eine alte Dame, die das damalige,
sich fast ausschließlich im Dativ bewegende Berlinisch mit geprüntem
Munde sprach, das ü dem i vorzog, entweder »Kürschen« aß, oder in die
»Kürche« ging, und ihre Rede selbstverständlich mit französischen
Einschiebseln und Anredefloskeln garnirte. Sauber und altmodisch
gekleidet, trug sie Sommer und Winter denselben kleinen Seidenmantel,
und hatte jene halbe Verwachsenheit, die damals bei den alten
Koloniedamen so allgemein war, daß Victoire einmal als Kind gefragt
hatte: »Wie kommt es nur, liebe Mama, das fast alle Tanten so ›ich weiß
nicht wie‹ sind?« Und dabei hatte sie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem
Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch noch ein Paar seidene
Handschuhe, die sie ganz besonders in Ehren hielt, und immer erst auf
dem obersten Treppenabsatz anzog. Ihre Mittheilungen, an denen sie's nie
fehlen ließ, entbehrten all und jedes Interesses, am meisten aber dann,
wenn sie, was sie sehr liebte, von hohen und höchsten Personen sprach.
Ihre Spezialität waren die kleinen Prinzessinnen der königlichen
Familie: _la petite princesse Charlotte, et la petite princesse
Alexandrine_, die sie gelegentlich in den Zimmern einer ihr befreundeten
französischen Erzieherin sah, und mit denen sie sich derartig liirt
fühlte, daß, als eines Tages die Brandenburger Thorwache beim
Vorüberfahren von _la princesse Alexandrine_ versäumt hatte, rechtzeitig
ins Gewehr zu treten und die Trommel zu rühren, sie nicht nur das
allgemeine Gefühl der Empörung theilte, sondern das Ereigniß überhaupt
ansah, als ob Berlin ein Erdbeben gehabt habe.
Das war das Tantchen, das eben eintrat.
Frau von Carayon ging ihr entgegen und hieß sie herzlich willkommen,
herzlicher als sonst wohl, und das einfach deshalb, weil durch ihr
Erscheinen ein Gespräch unterbrochen worden war, das selbst fallen zu
lassen, sie nicht mehr die Kraft gehabt hatte. Tante Marguerite fühlte
sofort heraus, wie günstig heute die Dinge für sie lagen, und begann
denn auch in demselben Augenblicke, wo sie sich gesetzt und die
Seidenhandschuh in ihren Pompadour gesteckt hatte, sich dem hohen Adel
königlicher Residenzien zuzuwenden, diesmal mit Umgehung der
»Allerhöchsten Herrschaften«. Ihre Mittheilungen aus der Adelssphäre
waren ihren Hofanekdoten in der Regel weit vorzuziehn, und hätten ein
für allemal passiren können, wenn sie nicht die Schwäche gehabt hätte,
die doch immerhin wichtige Personalfrage mit einer äußersten
Geringschätzung zu behandeln. Mit andern Worten, sie verwechselte
beständig die Namen, und wenn sie von einer Escapade der Baronin
Stieglitz erzählte, so durfte man sicher sein, daß sie die Gräfin Taube
gemeint hatte. Solche Neuigkeiten eröffneten denn auch das heutige
Gespräch, Neuigkeiten, unter denen =die=, »daß der Rittmeister von
Schenk vom Regiment Garde du Corps der Prinzessin von Croy eine Serenade
gebracht habe« die weitaus wichtigste war, ganz besonders als sich nach
einigem Hin- und Herfragen herausstellte, daß der Rittmeister von Schenk
in den Rittmeister von Schach, das Regiment Garde du Corps in das
Regiment Gensdarmes, und die Prinzessin von Croy in die Prinzessin von
Carolath zu transponiren sei. Solche Richtigstellungen wurden von Seiten
der Tante jedesmal ohne jede Spur von Verlegenheit entgegengenommen, und
solche Verlegenheit kam ihr denn auch =heute= nicht, als ihr, zum Schluß
ihrer Geschichte, mitgetheilt wurde, daß der Rittmeister von Schenk
_alias_ Schach noch im Laufe dieses Nachmittags erwartet werde, da man
eine Fahrt über Land mit ihm verabredet habe. Vollkommener Kavalier wie
er sei, werde er sich sicherlich freuen, eine liebe Verwandte des Hauses
an dieser Ausfahrt mit theilnehmen zu sehen. Eine Bemerkung, die von
Tante Marguerite sehr wohlwollend aufgenommen und von einem
unwillkürlichen Zupfen an ihrem Taftkleide begleitet wurde.
Um Punkt drei war man zu Tische gegangen und um Punkt vier --
_l'exactitude est la politesse des rois_, würde Bülow gesagt haben --
erschien eine zurückgeschlagene Halbchaise vor der Thür in der
Behrenstraße. Schach, der selbst fuhr, wollte die Zügel dem Groom geben,
beide Carayons aber grüßten schon reisefertig vom Balkon her, und waren
im nächsten Moment mit einer ganzen Ausstattung von Tüchern, Sonnen- und
Regenschirmen unten am Wagenschlag. Mit ihnen auch Tante Marguerite, die
nunmehr vorgestellt und von Schach mit einer ihm eigenthümlichen
Mischung von Artigkeit und Grandezza begrüßt wurde.
»Und nun das dunkle Ziel, Fräulein Victoire.«
»Nehmen wir Tempelhof,« sagte diese.
»Gut gewählt. Nur Pardon, es ist das undunkelste Ziel von der Welt.
Namentlich heute. Sonne und wieder Sonne.«
In raschem Trabe ging es, die Friedrichsstraße hinunter, erst auf das
Rondel und das Hallesche Thor zu, bis der tiefe Sandweg, der zum
Kreuzberg hinaufführte, zu langsamerem Fahren nöthigte. Schach glaubte
sich entschuldigen zu müssen, aber Victoire, die rückwärts saß und in
halber Wendung bequem mit ihm sprechen konnte, war, als echtes
Stadtkind, aufrichtig entzückt über all und jedes, was sie zu beiden
Seiten des Weges sah, und wurde nicht müde Fragen zu stellen und ihn
durch das Interesse, das sie zeigte, zu beruhigen. Am meisten amüsirten
sie die seltsam ausgestopften Alt-Weiber-Gestalten, die zwischen den
Sträuchern und Gartenbeeten umher standen, und entweder eine
Strohhutkiepe trugen oder mit ihren hundert Papilloten im Winde
flatterten und klapperten.
Endlich war man den Anhang hinauf, und über den festen Lehmweg hin, der
zwischen den Pappeln lief, trabte man jetzt wieder rascher auf Tempelhof
zu. Neben der Straße stiegen Drachen auf, Schwalben schossen hin und
her, und am Horizonte blitzten die Kirchthürme der nächstgelegenen
Dörfer.
Tante Marguerite, die, bei dem Winde der ging, beständig bemüht war,
ihren kleinen Mantelkragen in Ordnung zu halten, übernahm es
nichtsdestoweniger den Führer zu machen, und setzte dabei beide
Carayonsche Damen ebenso sehr durch ihre Namensverwechselungen, wie
durch Entdeckung gar nicht vorhandener Aehnlichkeiten in Erstaunen.
»Sieh, liebe Victoire, dieser Wülmersdörfer Kürchthürm! Aehnelt er nicht
unsrer Dorotheenstädtschen Kürche?«
Victoire schwieg.
»Ich meine nicht um seiner Spitze, liebe Victoire, nein, um seinem Corps
de Logis.«
Beide Damen erschraken. Es geschah aber was gewöhnlich geschieht, =das=
nämlich, das alles das was die Näherstehenden in Verlegenheit bringt,
von den Fernerstehenden entweder überhört oder aber mit Gleichgültigkeit
aufgenommen wird. Und nun gar Schach! Er hatte viel zu lang in der Welt
alter Prinzessinnen und Hofdamen gelebt, um noch durch irgend ein
Dummheits- oder Nicht-Bildungszeichen in ein besondres Erstaunen gesetzt
werden zu können. Er lächelte nur und benutzte das Wort
»Dorotheenstädtische Kirche«, das gefallen war, um Frau von Carayon zu
fragen »ob sie schon von dem Denkmal Kenntniß genommen habe, das in
ebengenannter Kirche, seitens des hochseligen Königs seinem Sohne, dem
Grafen von der Mark errichtet worden sei?«
Mutter und Tochter verneinten. Tante Marguerite jedoch, die nicht gerne
zugestand, etwas =nicht= zu wissen oder wohl gar nicht gesehen zu haben,
bemerkte ganz ins allgemeine hin. »Ach, der liebe, kleine Prinz. Daß er
so früh sterben mußte. Wie jämmerlich. Und ähnelte doch seiner
hochseligen Frau Mutter um beiden Augen.«
Einen Augenblick war es, als ob der in seinem Legitimitätsgefühle stark
verletzte Schach antworten und den »von seiner hochseligen Mutter«
geborenen »lieben kleinen Prinzen« aufs schmählichste dethronisiren
wollte, rasch aber übersah er die Lächerlichkeit solcher Idee, wies also
lieber um doch wenigstens etwas zu thun, auf das eben sichtbar werdende
grüne Kuppeldach des Charlottenburger Schlosses hin, und bog im nächsten
Augenblick in die große, mit alten Linden bepflanzte Dorfgasse von
Tempelhof ein.
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