Schach von Wuthenow - 04

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Sander waren bereits da, Massenbach und Phull dagegen hatten sich
entschuldigen lassen. Schach war es zufrieden, fand schon Bülow mehr als
genug, und trug kein Verlangen die Zahl der Genialitätsleute verstärkt
zu sehen. Es war heller Tag noch, aber in dem Speisesaal, in den sie von
dem Vestibul aus eintraten, brannten bereits die Lichter und waren
(übrigens bei offenstehenden Fenstern) die Jalousien geschlossen. Zu
diesem künstlich hergestellten Licht, in das sich von außen her ein
Tagesschimmer mischte, stimmte das Feuer, in dem in der Mitte des Saales
befindlichen Kamine. Vor eben diesem, ihm den Rücken zukehrend, saß der
Prinz, und sah, zwischen den offenstehenden Jalousiebrettchen hindurch,
auf die Bäume des Thiergartens.
»Ich bitte fürlieb zu nehmen,« begann er, als die Tafelrunde sich
arrangirt hatte. »Wir sind hier auf dem Lande, das muß als
Entschuldigung dienen, für alles was fehlt. ›_A la guerre, comme à la
guerre._‹ Massenbach, unser Gourmé, muß übrigens etwas derart geahnt,
respektive gefürchtet haben. Was mich auch nicht überraschen würde.
Heißt es doch, lieber Sander, Ihr guter Tisch habe mehr noch als Ihr
guter Verlag die Freundschaft zwischen Ihnen besiegelt.«
»Ein Satz, dem ich kaum zu widersprechen wage, Königliche Hoheit.«
»Und doch =müßten= Sie's eigentlich. Ihr ganzer Verlag hat keine Spur
von jenem ›_laisser passer_,‹ das das Vorrecht, ja, die Pflicht aller
gesättigten Leute ist. Ihre Genies (Pardon, Bülow) schreiben alle wie
Hungrige. Meinetwegen. Unsre Paradeleute geb ich Ihnen Preis, aber daß
Sie mir auch die Oesterreicher so schlecht behandeln, das mißfällt mir.«
»Bin =ich= es, Königliche Hoheit? Ich, für meine Person, habe nicht die
Prätension höherer Strategie. Nebenher freilich, möcht ich, so zu sagen
aus meinem Verlage heraus, die Frage stellen dürfen: »war Ulm etwas
Kluges?«
»Ach, mein lieber Sander, was ist klug? Wir Preußen bilden uns beständig
ein, es zu sein; und wissen Sie, was Napoleon über unsre vorjährige
thüringische Aufstellung gesagt hat? Nostitz, wiederholen Sie's!.... Er
will nicht. Nun, so muß ich es selber thun. ›_Ah, ces Prussiens_‹ hieß
es, ›_ils sont encore =plus= stupides, que les Autrichiens_‹. Da haben
Sie Kritik über unsere vielgepriesene Klugheit, noch dazu Kritik von
einer allerberufensten Seite her. Und hätt er's damit getroffen, so
müßten wir uns schließlich zu dem Frieden noch beglückwünschen, den uns
Haugwitz erschachert hat. Ja, erschachert. Erschachert, indem er für ein
Mitbringsel unsre Ehre preisgab. Was sollen wir mit Hannover? Es ist der
Brocken, an dem der preußische Adler ersticken wird.«
»Ich habe zu der Schluck- und Verdauungskraft unsres preußischen Adlers
ein besseres Vertrauen,« erwiderte Bülow. »Gerade =das= kann er und
versteht er von alten Zeiten her. Indessen =darüber= mag sich streiten
lassen; worüber sich aber =nicht= streiten läßt, das ist der Friede, den
uns Haugwitz gebracht hat. Wir brauchen ihn wie das tägliche Brot und
mußten ihn haben, so lieb uns unser Leben ist. Königliche Hoheit haben
freilich einen Haß gegen den armen Haugwitz, der mich insoweit
überrascht, als dieser Lombard, der doch die Seele des Ganzen ist, von
jeher Gnade vor Eurer Königlichen Hoheit Augen gefunden hat.«
»Ah, Lombard! Den Lombard nehm ich nicht ernsthaft, und stell ihm
außerdem noch in Rechnung, daß er ein halber Franzose ist. Dazu hat er
eine Form des Witzes, die mich entwaffnet. Sie wissen doch, sein Vater
war =Friseur= und seiner Frau Vater ein =Barbier=. Und nun kommt eben
diese Frau, die nicht nur eitel ist bis zum Närrischwerden, sondern auch
noch schlechte französische Verse macht, und fragt ihn, was schöner sei:
›_L'hirondelle =frise= la surface des eaux_‹ oder ›_l'hirondelle =rase=
la surface des eaux_?‹ Und was antwortet er? ›Ich sehe keinen
Unterschied, meine Theure; _l'hirondelle =frise=_ huldigt =meinem= Vater
und _l'hirondelle =rase=_ dem =Deinigen=.‹ In diesem Bonmot haben Sie
den ganzen Lombard. Was mich aber persönlich angeht, so bekenn ich Ihnen
offen, daß ich einer so witzigen Selbstpersiflage nicht widerstehen
kann. Er ist ein Polisson, kein Charakter.«
»Vielleicht, daß sich ein Gleiches auch von Haugwitz sagen ließe, zum
Guten wie zum Schlimmen. Und wirklich, ich geb Eurer Königlichen Hoheit
den =Mann= preis. Aber =nicht= seine Politik. Seine Politik ist gut,
denn sie rechnet mit gegebenen Größen. Und Eure Königliche Hoheit wissen
das besser als ich. Wie steht es denn in Wahrheit mit unsren Kräften?
Wir leben von der Hand in den Mund und warum? weil der Staat Friedrichs
des Großen nicht ein Land mit einer Armee, sondern eine Armee mit einem
Lande ist. Unser Land ist nur Standquartier und Verpflegungsmagazin. In
sich selber entbehrt es aller großen Ressourcen. Siegen wir, so geht es;
aber Kriege führen dürfen nur solche Länder, die Niederlagen ertragen
können. Das können wir =nicht=. Ist die Armee hin, so ist alles hin. Und
wie schnell eine Armee hin sein kann, das hat uns Austerlitz gezeigt.
Ein Hauch kann uns tödten, gerad auch =uns=. ›Er blies, und die Armada
zerstob in alle vier Winde.‹ _Afflavit Deus et dissipati sunt._«
»Herr von Bülow,« unterbrach hier Schach, »möge mir eine Bemerkung
verzeihn. Er wird doch, denk ich, in dem Höllenbrodem, der jetzt über
die Welt weht, nicht den Odem Gottes erkennen wollen, nicht =den=, der
die Armada zerblies.«
»=Doch=, Herr von Schach. Oder glauben Sie wirklich, daß der Odem Gottes
im Spezialdienste des Protestantismus, oder gar Preußens und seiner
Armee steht?«
»Ich hoffe, ja.«
»Und ich fürchte, =nein=. Wir haben die ›propreste Armee‹, das ist
alles. Aber mit der ›Propretät‹ gewinnt man keine Schlachten. Erinnern
sich Königliche Hoheit der Worte des großen Königs, als General Lehwald
ihm seine dreimal geschlagenen Regimenter in Parade vorführte? ›Propre
Leute‹ hieß es. ›Da seh' er meine. Sehen aus wie die Grasdeibel, =aber
beißen=‹. Ich fürchte, wir haben jetzt zu viel Lehwaldsche Regimenter
und zu wenig altenfritzige. Der Geist ist heraus, alles ist Dressur und
Spielerei geworden. Giebt es doch Offiziere, die, der großen Prallheit
und Drallheit halber, ihren Uniformrock direkt auf dem Leibe tragen.
Alles Unnatur. Selbst das Marschiren-können, diese ganz gewöhnliche
Fähigkeit des Menschen, die Beine zu setzen, ist uns in dem ewigen
Paradeschritt verloren gegangen. Und Marschiren-können ist jetzt die
erste Bedingung des Erfolges. Alle modernen Schlachten sind mit den
Beinen gewonnen worden.«
»Und mit =Gold=,« unterbrach hier der Prinz. »Ihr großer Empereur,
lieber Bülow, hat eine Vorliebe für kleine Mittel. Ja, für
allerkleinste. Daß er lügt, ist sicher. Aber er ist auch ein Meister in
der Kunst der Bestechung. Und wer hat uns die Augen darüber geöffnet? Er
selber. Lesen Sie, was er unmittelbar vor der Austerlitzer Bataille
sagte. ›Soldaten‹ hieß es, ›der Feind wird marschiren und unsre Flanke
zu gewinnen suchen; bei dieser Marschbewegung aber wird er die seinige
preisgeben. Wir werden uns auf diese seine Flanke werfen, und ihn
schlagen und vernichten.‹ Und genau so verlief die Schlacht. Es ist
unmöglich, daß er aus der bloßen Aufstellung der Oesterreicher auch
schon ihren Schlachtplan errathen haben könnte.«
Man schwieg. Da dies Schweigen aber dem lebhaften Prinzen um vieles
peinlicher war als Widerspruch, so wandt er sich direkt an Bülow und
sagte: »Widerlegen Sie mich.«
»Königliche Hoheit befehlen und so gehorch ich denn. Der Kaiser wußte
genau was geschehen werde, =konnt= es wissen, weil er sich die Frage
›was thut hier die =Mittelmäßigkeit=‹ in vorausberechnender Weise nicht
blos gestellt, sondern auch beantwortet hatte. Die höchste Dummheit, wie
zuzugestehen ist, entzieht sich ebenso der Berechnung wie die höchste
Klugheit, -- das ist eine von den großen Seiten der echten und
unverfälschten Stupidität. Aber jene ›Mittelklugen‹, die gerade klug
genug sind, um von der Lust ›es auch einmal mit etwas Geistreichem zu
probiren‹, angewandelt zu werden, diese Mittelklugen sind allemal am
leichtesten zu berechnen. Und warum? Weil sie jederzeit nur die Mode
mitmachen und heute kopiren, was sie gestern sahn. Und das alles wußte
der Kaiser. _Hic haeret._ Er hat sich nie glänzender bewährt, als in
dieser Austerlitzer Aktion, auch im Nebensächlichen nicht, auch nicht in
jenen Impromptus und witzigen Einfällen auf dem Gebiete des Grausigen,
die so recht eigentlich das Kennzeichen des Genies sind.«
»Ein Beispiel.«
»Eines für hundert. Als das Centrum schon durchbrochen war, hatte sich
ein Theil der russischen Garde, vier Bataillone, nach ebenso viel
gefrorenen Teichen hin zurückgezogen, und eine französische Batterie
fuhr auf, um mit Kartätschen in die Bataillone hineinzufeuern. In diesem
Augenblick erschien der Empereur. Er überblickte sofort das Besondere
der Lage. ›Wozu hier ein sich Abmühen _en détail_?‹ Und er befahl mit
Vollkugeln auf das =Eis= zu schießen. Eine Minute später und das Eis
barst und brach, und alle vier Bataillone gingen _en carré_ in die
morastige Tiefe. Solche vom Moment eingegebenen Blitze hat nur immer das
Genie. Die Russen werden sich jetzt vornehmen, es bei nächster
Gelegenheit ebenso zu machen, aber wenn Kutusow auf Eis wartet, wird er
plötzlich in Wasser oder Feuer stecken. Oesterreich-russische Tapferkeit
in Ehren, nur nicht ihr Ingenium. Irgendwo heißt es: ›In meinem
Wolfstornister, Regt sich des Teufels Küster, Ein =Kobold=, heißt
›Genie‹ -- nun, in dem russisch-österreichischen Tornister ist dieser
›Kobold und Teufelsküster‹ nie und nimmer zu Hause gewesen. Und um dies
Manko zu kassiren, bedient man sich der alten, elenden Trostgründe:
Bestechung und Verrätherei. Jedem Besiegten wird es schwer, den Grund
seiner Niederlagen an der einzig richtigen Stelle, nämlich =in sich
selbst= zu suchen, und auch Kaiser Alexander, mein ich, verzichtet auf
ein solches Nachforschen am recht eigentlichsten Platz.«
»Und wer wollt ihm darüber zürnen?« antwortete Schach. »Er that das
seine, ja mehr. Als die Höhe schon verloren und doch andrerseits die
Möglichkeit einer Wiederherstellung der Schlacht noch nicht geschwunden
war, ging er klingenden Spiels an der Spitze neuer Regimenter vor; sein
Pferd ward ihm unter dem Leibe erschossen, er bestieg ein zweites, und
eine halbe Stunde lang schwankte die Schlacht. Wahre Wunder der
Tapferkeit wurden verrichtet, und die Franzosen selbst haben es in
enthusiastischen Ausdrücken anerkannt.«
Der Prinz, der, bei der vorjährigen Berliner Anwesenheit des
unausgesetzt als _deliciae generis humani_ gepriesenen Kaisers, keinen
allzu günstigen Eindruck von ihm empfangen hatte, fand es einigermaßen
unbequem, den »liebenswürdigsten der Menschen« auch noch zum
»heldischsten« erhoben zu sehen. Er lächelte deshalb und sagte: »Seine
kaiserliche Majestät in Ehren, so scheint es mir doch, lieber Schach,
als ob Sie französischen Zeitungsberichten mehr Gewicht beilegten, als
ihnen beizulegen =ist=. Die Franzosen sind kluge Leute. Je mehr Rühmens
sie von ihrem Gegner machen, desto größer wird ihr eigner Ruhm, und
dabei schweig ich noch von allen möglichen politischen Gründen, die
jetzt sicherlich mitsprechen. ›Man soll seinem Feinde goldene Brücken
bauen‹, sagt das Sprichwort, und sagt es mit Recht, denn, wer heute mein
Feind war, kann morgen mein Verbündeter sein. Und in der That, es spukt
schon dergleichen, ja, wenn ich recht unterrichtet bin, so verhandelt
man bereits über eine neue Theilung der Welt, will sagen über die
Wiederherstellung eines morgenländischen und abendländischen
Kaiserthums. Aber lassen wir Dinge, die noch in der Luft schweben, und
erklären wir uns das dem Heldenkaiser gespendete Lob lieber einfach aus
dem Rechnungssatze: ›wenn der unterlegene russische Muth einen vollen
Centner wog, so wog der siegreich französische natürlich =zwei=‹.«
Schach, der, seit Kaiser Alexanders Besuch in Berlin, das Andreaskreuz
trug, biß sich auf die Lippen und wollte repliziren. Aber Bülow kam ihm
zuvor und bemerkte: »Gegen ›unter dem Leibe erschossene Kaiserpferde‹
bin ich überhaupt immer mißtrauisch. Und nun gar hier. All diese
Lobeserhebungen müssen Seine Majestät sehr in Verlegenheit gebracht
haben, denn es giebt ihrer zu viele, die das Gegentheil bezeugen können.
Er ist der ›gute Kaiser‹ und damit Basta.«
»Sie sprechen das so spöttisch, Herr von Bülow,« antwortete Schach. »Und
doch frag ich Sie, giebt es einen schöneren Titel?«
»O gewiß giebt es den. Ein =wirklich= großer Mann wird nicht um seiner
Güte willen gefeiert und noch weniger danach benannt. Er wird umgekehrt
ein Gegenstand beständiger Verleumdungen sein. Denn das Gemeine, das
überall vorherrscht, liebt nur das, was ihm gleicht. Brenkenhof, der,
trotz seiner Paradoxien, mehr gelesen werden sollte, als er gelesen
wird, behauptet geradezu, ›daß in unserm Zeitalter die besten Menschen
die schlechteste Reputation haben müßten‹. Der gute Kaiser! Ich bitte
Sie. Welche Augen wohl König Friedrich gemacht haben würde, wenn man ihn
den ›guten Friedrich‹ genannt hätte.«
»Bravo, Bülow,« sagte der Prinz, und grüßte mit dem Glase hinüber. »Das
ist mir aus der Seele gesprochen.«
Aber es hätte dieses Zuspruches nicht bedurft. »Alle Könige,« fuhr Bülow
in wachsendem Eifer fort, »die den Beinamen des ›guten‹ führen, sind
solche, die das ihnen anvertraute Reich zu Grabe getragen oder doch bis
an den Rand der Revolution gebracht haben. Der letzte König von Polen
war auch ein sogenannter ›guter‹. In der Regel haben solche
Fürstlichkeiten einen großen Harem und einen kleinen Verstand. Und geht
es in den Krieg, so muß irgend eine Kleopatra mit ihnen, gleichviel mit
oder ohne Schlange.«
»Sie meinen doch nicht, Herr von Bülow,« entgegnete Schach, »durch
Auslassungen wie =diese=, den Kaiser Alexander charakterisirt zu haben.«
»Wenigstens annähernd.«
»Da wär ich doch neugierig.«
»Es ist zu diesem Behufe nur nöthig, sich den letzten Besuch des Kaisers
in Berlin und Potsdam zurückzurufen. Um was handelte sich's? Nun,
anerkanntermaßen um nichts Kleines und Alltägliches, um Abschluß eines
Bündnisses auf Leben und Tod, und wirklich, bei Fackellicht trat man in
die Gruft Friedrichs des Großen, um sich, über dem Sarge desselben, eine
halbmystische Blutsfreundschaft zuzuschwören. Und was geschah
unmittelbar danach? Ehe drei Tage vorüber waren, wußte man, daß der aus
der Gruft Friedrichs des Großen glücklich wieder ans Tageslicht
gestiegene Kaiser, die fünf anerkanntesten _beautés_ des Hofes in eben
so viele Schönheitskategorien gebracht habe: _beauté coquette_ und
_beauté triviale_, _beauté céleste_ und _beauté du diable_, und endlich
fünftens ›_beauté, qui inspire seul du vrai sentiment_‹. Wobei wohl
jeden die Neugier angewandelt haben mag, das Allerhöchste ›_vrai
sentiment_‹ kennen zu lernen.«


Siebentes Kapitel.
Ein neuer Gast.

All diese Sprünge Bülows hatten die Heiterkeit des Prinzen erregt, der
denn auch eben mit einem ihm bequem liegenden Capriccio über _beauté
céleste_ und _beauté du diable_ beginnen wollte, als er, vom Korridor
her, unter dem halbzurückgeschlagenen Portièrenteppich, einen ihm
wohlbekannten kleinen Herrn von unverkennbaren Künstlerallüren
erscheinen und gleich danach eintreten sah.
»Ah, Dussek, das ist brav,« begrüßte ihn der Prinz. »_Mieux vaut tard
que jamais._ Rücken Sie ein. Hier. Und nun bitt ich alles was an
Süßigkeiten noch da ist, in den Bereich unsres Künstlerfreundes bringen
zu wollen. Sie finden noch _tutti quanti_, lieber Dussek. Keine
Einwendungen. Aber was trinken Sie? Sie haben die Wahl. Asti,
Montefiascone, Tokayer.«
»Irgend einen Ungar.«
»Herben?«
Dussek lächelte.
»Thörichte Frage,« korrigirte sich der Prinz und fuhr in gesteigerter
guter Laune fort: »Aber nun, Dussek, erzählen Sie. Theaterleute haben,
die Tugend selber ausgenommen, allerlei Tugenden, und unter diesen auch
=die= der Mittheilsamkeit. Sie bleiben einem auf die Frage ›was Neues‹
selten eine Antwort schuldig.«
»Und auch heute nicht, Königliche Hoheit,« antwortete Dussek, der,
nachdem er genippt hatte, eben sein Bärtchen putzte.
»Nun, so lassen Sie hören. Was schwimmt obenauf?«
»Die ganze Stadt ist in Aufregung. Versteht sich, wenn ich sage, ›die
ganze Stadt‹, so mein ich das Theater.«
»Das Theater =ist= die Stadt. Sie sind also gerechtfertigt. Und nun
weiter.«
»Königliche Hoheit befehlen. Nun denn, wir sind in unsrem Haupt und
Führer empfindlich gekränkt worden und haben denn auch aus eben diesem
Grunde nicht viel weniger als eine kleine Theateremeute gehabt. =Das=
also, hieß es, seien die neuen Zeiten, =das= sei das bürgerliche
Regiment, =das= sei der Respekt vor den preußischen ›_belles lettres et
beaux arts_.‹ Eine ›Huldigung der Künste‹ lasse man sich gefallen, aber
eine Huldigung =gegen= die Künste, die sei so fern wie je.«
»Lieber Dussek,« unterbrach der Prinz, »Ihre Reflexionen in Ehren. Aber
da Sie gerade von Kunst sprechen, so muß ich Sie bitten, die Kunst der
Retardirung nicht übertreiben zu wollen. Wenn es also möglich ist,
Thatsachen. Um was handelt es sich?«
»Iffland ist gescheitert. Er wird den Orden, von dem die Rede war,
=nicht= erhalten.«
Alles lachte, Sander am herzlichsten, und Nostitz skandirte:
»_Parturiunt montes nascetur ridiculus mus._«
Aber Dussek war in wirklicher Erregung, und diese wuchs noch unter der
Heiterkeit seiner Zuhörer. Am meisten verdroß ihn Sander. »Sie lachen,
Sander. Und doch trifft es in diesem Kreise nur Sie und mich. Denn gegen
wen anders ist die Spitze gerichtet, als gegen das Bürgerthum
überhaupt.«
Der Prinz reichte dem Sprecher über den Tisch hin die Hand. »Recht,
lieber Dussek. Ich liebe solch Eintreten. Erzählen Sie. Wie kam es?«
»Vor allem ganz unerwartet. Wie ein Blitz aus heitrem Himmel. Königliche
Hoheit wissen, daß seit lange von einer Dekorirung die Rede war, und wir
freuten uns, alles Künstlerneides vergessend, als ob wir den Orden
mitempfangen und mittragen sollten. In der That, alles ließ sich gut an,
und die ›Weihe der Kraft‹, für deren Aufführung der Hof sich
interessirt, sollte den Anstoß und zugleich die spezielle Gelegenheit
geben. Iffland ist Maçon (auch =das= ließ uns hoffen), die Loge nahm es
energisch in die Hand, und die Königin war gewonnen. Und nun =doch=
gescheitert. Eine kleine Sache, werden Sie sagen; aber nein, meine
Herren, es ist eine große Sache. Dergleichen ist immer der Strohhalm, an
dem man sieht, woher der Wind weht. Und er weht bei uns nach wie vor von
der alten Seite her. _Chi va piano va sano_, sagt das Sprüchwort. Aber
im Lande Preußen heißt es ›_pianissimo_.‹«
»Gescheitert, sagten Sie, Dussek. Aber gescheitert woran?«
»An dem Einfluß der Hofgeneralität. Ich habe Rüchels Namen nennen hören.
Er hat den Gelehrten gespielt und darauf hingewiesen, wie niedrig das
Histrionenthum immer und ewig in der Welt gestanden habe, mit alleiniger
Ausnahme der neronischen Zeiten. Und =die= könnten doch kein Vorbild
sein. Das half. Denn welcher allerchristlichste König will Nero sein
oder auch nur seinen Namen hören. Und so wissen wir denn, daß die Sache
vorläufig _ad acta_ verwiesen ist. Die Königin ist chagrinirt, und an
diesem Allerhöchsten Chagrin müssen wir uns vorläufig genügen lassen.
Neue Zeit und alte Vorurtheile.«
»Lieber Kapellmeister,« sagte Bülow, »ich sehe zu meinem Bedauern, daß
Ihre Reflexionen Ihren Empfindungen weit voraus sind. Uebrigens ist das
das Allgemeine. Sie sprechen von Vorurtheilen, in denen wir stecken, und
stecken selber drin. Sie, sammt Ihrem ganzen Bürgerthum, das keinen
neuen freien Gesellschaftszustand schaffen, sondern sich nur eitel und
eifersüchtig in die bevorzugten alten Klassen einreihen will. Aber damit
schaffen Sie's nicht. An die Stelle der Eifersüchtelei, die jetzt das
Herz unsres dritten Standes verzehrt, muß eine Gleichgiltigkeit gegen
alle diese Kindereien treten, die sich einfach überlebt haben. Wer
Gespenster wirklich ignorirt, für den giebt es keine mehr, und wer Orden
ignorirt, der arbeitet an ihrer Ausrottung. Und dadurch an Ausrottung
einer wahren Epidemie ....«
»Wie Herr von Bülow umgekehrt an Errichtung eines neuen Königreichs
Utopien arbeitet,« unterbrach Sander. »Ich meinerseits nehme vorläufig
an, daß die Krankheit, von der er spricht, in der Richtung von Osten
nach Westen immer weiter wachsen, aber nicht umgekehrt in der Richtung
von Westen nach Osten hin absterben wird. Im Geiste seh ich vielmehr
immer neue Multiplikationen, und das Erblühen einer Ordens-Flora mit 24
Klassen wie das Linnésche System.«
Alle traten auf die Seite Sanders, am entschiedensten der Prinz. Es
müsse durchaus etwas in der menschlichen Natur stecken, das, wie
beispielsweise der Hang zu Schmuck und Putz, sich auch zu =dieser= Form
der Quincaillerie hingezogen fühle. »Ja,« so fuhr er fort, »es giebt
kaum einen Grad der Klugheit, der davor schützt. Sie werden doch alle
Kalkreuth für einen klugen Mann halten, ja mehr, für einen Mann, der,
wie wenige, von dem ›Alles ist eitel‹ unsres Thuns und Trachtens
durchdrungen sein muß. Und doch, als er den rothen Adler erhielt,
während er den schwarzen erwartet hatte, warf er ihn wüthend ins
Schubfach und schrie: ›Da liege, bis du =schwarz= wirst.‹ Eine
Farbenänderung, die sich denn auch mittlerweile vollzogen hat.«
»Es ist mit Kalkreuth ein eigen Ding,« erwiderte Bülow, »und offen
gestanden, ein andrer unsrer Generäle, der gesagt haben soll: ›ich gäbe
den schwarzen drum, wenn ich den rothen wieder los wäre,‹ gefällt mir
noch besser. Uebrigens bin ich minder streng, als es den Anschein hat.
Es giebt auch Auszeichnungen, die =nicht= als Auszeichnung ansehn zu
wollen, einfach Beschränktheit oder niedrige Gesinnung wäre. Admiral
Sidney Smith, berühmter Vertheidiger von St. Jean d'Acre und Verächter
aller Orden, legte =doch= Werth auf ein Schaustück, das ihm der Bischof
von Acre mit den Worten überreicht hatte: ›Wir empfingen dieses
Schaustück aus den Händen König Richards Coeur de Lion, und geben es,
nach sechshundert Jahren, einem seiner Landsleute zurück, der,
heldenmüthig wie er, unsre Stadt vertheidigt hat.‹ Und ein Elender und
Narr, setz ich hinzu, der sich einer =solchen= Auszeichnung =nicht= zu
freuen versteht.«
»Schätze mich glücklich, ein solches Wort aus Ihrem Munde zu hören,«
erwiderte der Prinz. »Es bestärkt mich in meinen Gefühlen für Sie,
lieber Bülow, und ist mir, Pardon, ein neuer Beweis, daß der Teufel
nicht halb so schwarz ist, als er gemalt wird.«
Der Prinz wollte weiter sprechen. Als aber in eben diesem Augenblick
einer der Diener an ihn heran trat und ihm zuflüsterte, daß der
Rauchtisch arrangirt und der Kaffee servirt sei, hob er die Tafel auf,
und führte seine Gäste, während er Bülows Arm nahm, auf den an den
Eßsaal angebauten Balkon. Eine große, blau und weiß gestreifte Marquise,
deren Ringe lustig im Winde klapperten, war schon vorher herabgelassen
worden, und unter ihren weit niederhängenden Fransen hinweg, sah man,
flußaufwärts, auf die halb im Nebel liegenden Thürme der Stadt,
flußabwärts aber auf die Charlottenburger Parkbäume, hinter deren eben
ergrünendem Gezweige die Sonne niederging. Jeder blickte schweigend in
das anmuthige Landschaftsbild hinaus, und erst als die Dämmrung
angebrochen und eine hohe Sinumbralampe gebracht worden war, nahm man
Platz und setzte die holländischen Pfeifen in Brand, unter denen jeder
nach Gefallen wählte. Dussek allein, weil er die Musikpassion des
Prinzen kannte, war phantasirend an dem im Eßsaale stehenden Flügel
zurückgeblieben, und sah nur, wenn er den Kopf zur Seite wandte, die
jetzt draußen wieder lebhafter plaudernden Tischgenossen und ebenso die
Lichtfunken, die von Zeit zu Zeit aus ihren Thonpfeifen aufflogen.
Das Gespräch hatte das Ordensthema nicht wieder aufgenommen, wohl aber
sich der ersten Veranlassung desselben, also Iffland und dem in Sicht
stehenden neuen Schauspiele zugewandt, bei welcher Gelegenheit
Alvensleben bemerkte, »daß er einige der in den Text eingestreuten
Gesangsstücke während dieser letzten Tage kennen gelernt habe.
Gemeinschaftlich mit Schach. Und zwar im Salon der liebenswürdigen Frau
von Carayon und ihrer Tochter Victoire. Diese habe gesungen und Schach
begleitet.«
»Die Carayons,« nahm der Prinz das Wort. »Ich höre keinen Namen jetzt
öfter als =den=. Meine theure Freundin Pauline, hat mir schon früher von
beiden Damen erzählt, und neuerdings auch die Rahel. Alles vereinigt
sich, mich neugierig zu machen und Anknüpfungen zu suchen, die sich,
mein ich, unschwer werden finden lassen. Entsinn ich mich doch des
schönen Fräuleins vom Massowschen Kinderballe her, der, nach Art aller
Kinderbälle, des Vorzugs genoß, eine ganz besondre Schaustellung
erwachsener und voll erblühter Schönheiten zu sein. Und wenn ich sage,
›voll erblühter‹, so sag ich noch wenig. In der That, an keinem Ort und
zu keiner Zeit hab ich je so schöne Dreißigerinnen auftreten sehen, als
auf Kinderbällen. Es ist, als ob die Nähe der bewußt oder unbewußt auf
Umsturz sinnenden Jugend, alles, was heute noch herrscht, doppelt und
dreifach anspornte, sein Uebergewicht geltend zu machen, ein
Uebergewicht, das vielleicht morgen schon nicht mehr vorhanden ist. Aber
gleichviel, meine Herren, es wird sich ein für allemal sagen lassen, daß
Kinderbälle nur für Erwachsene da sind, und dieser interessanten
Erscheinung in ihren Ursachen nachzugehen, wäre so recht eigentlich ein
Thema für unsren Gentz. Ihr philosophischer Freund Buchholtz, lieber
Sander, ist mir zu solchem Spiele nicht graziös genug. Uebrigens nichts
für ungut; er ist Ihr Freund.«
»Aber doch nicht so,« lachte Sander, »daß ich nicht jeden Augenblick
bereit wäre, ihn Euer Königlichen Hoheit zu opfern. Und wie mir bei
dieser Gelegenheit gestattet sein mag, hinzuzusetzen, nicht bloß aus
einem allerspeziellsten, sondern auch noch aus einem ganz allgemeinen
Grunde. Denn wenn die Kinderbälle, nach Ansicht und Erfahrung Euer
Königlichen Hoheit, eigentlich am besten ohne Kinder bestehen, so die
Freundschaften am besten ohne Freunde. Die Surrogate bedeuten überhaupt
alles im Leben, und sind recht eigentlich die letzte Weisheitsessenz.«
»Es muß sehr gut mit Ihnen stehn, lieber Sander,« entgegnete der Prinz,
»daß Sie sich zu solchen Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können.
_Mais révenons à notre belle Victoire._ Sie war unter den jungen Damen,
die durch lebende Bilder das Fest damals einleiteten, und stellte, wenn
mich mein Gedächtniß nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus eine
Schale reichte. Ja, so war es, und indem ich davon spreche, tritt mir
das Bild wieder deutlich vor die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von
jener Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen scheint. Aber sie
zerbrechen nie. ›_Comme un ange_‹, sagte der alte Graf Neale, der neben
mir stand, und mich durch eine Begeisterung langweilte, die mir einfach
als eine Karrikatur der meinigen erschien. Es wäre mir eine Freude, die
Bekanntschaft der Damen erneuern zu können.«
»Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein Victoire nicht wieder
erkennen,« sagte Schach, dem der Ton, in dem der Prinz sprach, wenig
angenehm war. »Gleich nach dem Massowschen Balle wurde sie von den
Blattern befallen, und nur wie durch ein Wunder gerettet. Ein gewisser
Reiz der Erscheinung ist ihr freilich geblieben, aber es sind immer nur
Momente, wo die seltene Liebenswürdigkeit ihrer Natur einen
Schönheitsschleier über sie wirft, und den Zauber ihrer früheren Tage
wiederherzustellen scheint.«
»Also _restitutio in integrum_,« sagte Sander.
Alles lachte.
»Wenn Sie so wollen, ja,« antwortete Schach in einem spitzen Tone,
während er sich ironisch gegen Sander verbeugte.
Der Prinz bemerkte die Verstimmung und wollte sie coupiren. »Es hilft
Ihnen nichts, lieber Schach. Sie sprechen, als ob Sie mich abschrecken
wollten. Aber weit gefehlt. Ich bitte Sie, was ist Schönheit? Einer der
allervaguesten Begriffe. Muß ich Sie an die fünf Kategorien erinnern,
die wir in erster Reihe Sr. Majestät dem Kaiser Alexander und in zweiter
unsrem Freunde Bülow verdanken? =Alles ist schön= und =nichts=. Ich
persönlich würde der _beauté du diable_ jederzeit den Vorzug geben, will
also sagen einer Erscheinungsform, die sich mit der des _ci-devant_
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