Schach von Wuthenow - 07

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gegeben. Aber das, woran ihn das Billet seiner Freundin jetzt aufs neue
gemahnte, das war =mehr=, das hieß einfach Hochzeit, Ehe, Worte, deren
bloßer Klang ihn von alter Zeit her erschreckte. Hochzeit! Und Hochzeit
mit =wem=? Mit einer Schönheit, die, wie der Prinz sich auszudrücken
beliebt hatte, »durch ein Fegefeuer gegangen war.« »Aber,« so fuhr er in
seinem Selbstgespräche fort, »ich stehe nicht auf dem Standpunkte des
Prinzen, ich schwärme nicht für ›Läuterungsprozesse‹, hinsichtlich deren
nicht feststeht, ob der Verlust nicht größer ist als der Gewinn, und
wenn ich mich auch persönlich zu diesem Standpunkte bekehren könnte, so
bekehr ich doch nicht die Welt .... Ich bin rettungslos dem Spott und
Witz der Kameraden verfallen, und das Ridikül einer allerglücklichsten
›Land-Ehe‹, die wie das Veilchen im Verborgenen blüht, liegt in einem
wahren Musterexemplare vor mir. Ich sehe genau, wie's kommt: ich
quittire den Dienst, übernehme wieder Wuthenow, ackre, meliorire, ziehe
Raps oder Rübsen, und befleißige mich einer allerehelichsten Treue.
Welch Leben, welche Zukunft! An =einem= Sonntage Predigt, am =andern=
Evangelium oder Epistel, und dazwischen Whist _en trois_, immer mit
demselben Pastor. Und dann kommt einmal ein Prinz in die nächste Stadt,
vielleicht Prinz Louis in Person, und wechselt die Pferde, während ich
erschienen bin um am Thor oder am Gasthof ihm aufzuwarten. Und er
mustert mich und meinen altmodischen Rock und frägt mich: ›wie mir's
gehe?‹ Und dabei drückt jede seiner Mienen aus: ›O Gott, was doch drei
Jahr aus einem Menschen machen können.‹ Drei Jahr .... Und vielleicht
werden es dreißig.«
Er war in seinem Zimmer auf und abgegangen, und blieb vor einer
Spiegelkonsole stehen, auf der der Brief lag, den er während des
Sprechens bei Seite gelegt hatte. Zwei, drei mal hob er ihn auf und ließ
ihn wieder fallen. »Mein Schicksal. Ja, ›der Moment entscheidet.‹ Ich
entsinne mich noch, so schrieb sie damals. Wußte sie, was kommen würde?
=Wollte= sie's? O pfui, Schach, verunglimpfe nicht das süße Geschöpf.
Alle Schuld liegt bei =Dir=. Deine =Schuld= ist Dein Schicksal. Und ich
will sie tragen.«
Er klingelte, gab dem Diener einige Weisungen, und ging zu den Carayons.
Es war, als ob er sich durch das Selbstgespräch, das er geführt, von dem
Drucke, der auf ihm lastete, frei gemacht habe. Seine Sprache der alten
Freundin gegenüber war jetzt natürlich, beinah herzlich, und ohne daß
auch nur eine kleinste Wolke das wiederhergestellte Vertrauen der Frau
von Carayon getrübt hätte, besprachen beide was zu thun sei. Schach
zeigte sich einverstanden mit allem: in einer Woche Verlobung, und nach
drei Wochen die Hochzeit. Unmittelbar nach der Hochzeit aber sollte das
junge Paar eine Reise nach Italien antreten, und nicht vor Ablauf eines
Jahres in die Heimath zurückkehren, Schach nach der Hauptstadt, Victoire
nach Wuthenow, dem alten Familiengute, das ihr, von einem früheren
Besuche her, (als Schachs Mutter noch lebte) in dankbarer und
freundlicher Erinnerung war. Und war auch das =Gut= inzwischen in Pacht
gegeben, so war doch noch das =Schloß= da, stand frei zur Verfügung, und
konnte jeden Augenblick bezogen werden.
Nach Festsetzungen wie diesen, trennte man sich. Ein Sonnenschein lag
über dem Hause Carayon, und Victoire vergaß aller Betrübniß die
vorausgegangen war.
Auch Schach legte sich's zurecht. Italien wiederzusehen, war ihm seit
seinem ersten, erst um wenige Jahre zurückliegenden Aufenthalte
daselbst, ein brennender Wunsch geblieben; =der= erfüllte sich nun, und
kehrten sie dann zurück, so ließ sich ohne Schwierigkeit auch aus der
geplanten doppelten Wirthschaftsführung allerlei Nutzen und Vortheil
ziehen. Victoire hing an Landleben und Stille. Von Zeit zu Zeit nahm er
dann Urlaub und fuhr oder ritt hinüber. Und dann gingen sie durch die
Felder und plauderten. O, sie plauderte ja so gut, und war einfach und
espritvoll zugleich. Und nach abermals einem Jahr, oder einem zweiten
und dritten, je nun, da hatte sich's verblutet, da war es todt und
vergessen. Die Welt vergißt so leicht, und die Gesellschaft noch
leichter. Und dann hielt man seinen Einzug in das Eckhaus am
Wilhelmsplatz und freute sich beiderseits der Rückkehr in Verhältnisse,
die doch schließlich nicht blos seine, sondern auch =ihre= Heimath
bedeuteten. Alles war überstanden und das Lebensschiff an der Klippe des
Lächerlichen =nicht= gescheitert.
Armer Schach! Es war anders in den Sternen geschrieben.
Die Woche, die bis zur Verlobungsanzeige vergehen sollte, war noch nicht
um, als ihm ein Brief mit voller Titelaufschrift und einem großen rothen
Siegel ins Haus geschickt wurde. Den ersten Augenblick hielt er's für
ein amtliches Schreiben (vielleicht eine Bestallung) und zögerte mit dem
Oeffnen, um die Vorfreude der Erwartung nicht abzukürzen. Aber woher kam
es? von wem? Er prüfte neugierig das Siegel und erkannte nun leicht, daß
es überhaupt kein Siegel, sondern ein Gemmenabdruck sei. Sonderbar. Und
nun erbrach er's und ein Bild fiel ihm entgegen, eine radirte Skizze mit
der Unterschrift: _Le choix du Schach_. Er wiederholte sich das Wort,
ohne sich in ihm oder dem Bilde selbst zurecht finden zu können und
empfand nur ganz allgemein und aufs Unbestimmte hin etwas von Angriff
und Gefahr. Und wirklich, als er sich orientirt hatte, sah er, daß sein
erstes Gefühl ein richtiges gewesen war. Unter einem Thronhimmel saß der
persische Schach, erkennbar an seiner hohen Lammfellmütze, während an
der untersten Thronstufe zwei weibliche Gestalten standen und des
Augenblicks harrten, wo der von seiner Höhe her kalt und vornehm
Dreinschauende seine Wahl zwischen ihnen getroffen haben würde. Der
persische Schach aber war einfach =unser= Schach und zwar in
allerfrappantester Porträtähnlichkeit, während die beiden ihn fragend
anblickenden, und um vieles flüchtiger skizzirten Frauenköpfe,
wenigstens ähnlich genug waren, um Frau von Carayon und Victoire mit
aller Leichtigkeit erkennen zu lassen. Also nicht mehr und nicht weniger
als eine Karrikatur. Sein Verhältniß zu den Carayons hatte sich in der
Stadt herumgesprochen und einer seiner Neider und Gegner, deren er nur
zu viel hatte, hatte die Gelegenheit ergriffen, seinem boshaften Gelüst
ein Genüge zu thun.
Schach zitterte vor Scham und Zorn, alles Blut stieg ihm zu Kopf, und es
war ihm, als würd er vom Schlage getroffen.
Einem natürlichen Verlangen nach Luft und Bewegung folgend, oder
vielleicht auch von der Ahnung erfüllt, daß der letzte Pfeil noch nicht
abgeschossen sei, nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu machen.
Begegnungen und Geplauder sollten ihn zerstreuen, ihm seine Ruhe
wiedergeben. Was war es denn schließlich? Ein kleinlicher Akt der Rache.
Die Frische draußen that ihm wohl; er athmete freier und hatte seine
gute Laune fast schon wiedergewonnen, als er vom Wilhelmsplatz her die
Linden einbiegend, auf die schattigere Seite der Straße hinüberging, um
hier ein paar Bekannte, die des Wegs kamen, anzusprechen. Sie vermieden
aber ein Gespräch und wurden sichtlich verlegen. Auch Zieten kam, grüßte
nonchalant und wenn nicht alles täuschte sogar mit hämischer Miene.
Schach sah ihm nach, und sann und überlegte noch, was die Suffisance des
einen und die verlegenen Gesichter der andern bedeutet haben mochten,
als er, einige Hundert Schritte weiter aufwärts, einer ungewöhnlich
großen Menschenmenge gewahr wurde, die vor einem kleinen Bilderladen
stand. Einige lachten, andre schwatzten, alle jedoch schienen zu fragen
»was es eigentlich sei?« Schach ging im Bogen um die Zuschauermenge
herum, warf einen Blick über ihre Köpfe weg, und wußte genug. An dem
Mittelfenster hing dieselbe Karrikatur, und der absichtlich niedrig
normirte Preis war mit Rothstift groß darunter geschrieben.
Also eine Verschwörung.
Schach hatte nicht die Kraft mehr seinen Spaziergang fortzusetzen, und
kehrte in seine Wohnung zurück.
Um Mittag empfing Sander ein Billet von Bülow: »Lieber Sander. Eben
erhalte ich eine Karrikatur, die man auf Schach und die Carayonschen
Damen gemacht hat. Im Zweifel darüber, ob Sie dieselbe schon kennen,
schließ ich sie diesen Zeilen bei. Bitte, suchen Sie dem Ursprunge
nachzugehn. Sie wissen ja alles, und hören das Berliner Gras wachsen.
Ich meinerseits bin empört. =Nicht= Schachs halber, der diesen ›Schach
von Persien‹ einigermaßen verdient (denn er ist wirklich so was), aber
der Carayons halber. Die liebenswürdige Victoire! So blosgestellt zu
werden. Alles Schlechte nehmen wir uns von den Franzosen an, und an
ihrem Guten, wohin auch die Gentilezza gehört, gehen wir vorüber. Ihr
B.«
Sander warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild, das er kannte,
setzte sich an sein Pult und antwortete: »_Mon Général!_ Ich brauche dem
Ursprunge nicht nachzugehen, er ist =mir= nachgegangen. Vor etwa vier,
fünf Tagen erschien ein Herr in meinen Kontor und befragte mich, ob ich
mich dazu verstehen würde, den Vertrieb einiger Zeichnungen in die Hand
zu nehmen. Als ich sah, um was es sich handelte, lehnte ich ab. Es waren
drei Blätter, darunter auch _le choix du Schach_. Der bei mir
erschienene Herr gerirte sich als ein Fremder, aber er sprach, alles
gekünstelten Radebrechens unerachtet, das Deutsche so gut, daß ich seine
Fremdheit für eine bloße Maske halten mußte. Personen aus dem Prinz
R.schen Kreise, nehmen Anstoß an seinem Gelieble mit der Prinzessin, und
stecken vermuthlich dahinter. Irr ich aber in dieser Annahme, so wird
mit einer Art von Sicherheit auf Kameraden seines Regiments zu schließen
sein. Er ist nichts weniger als beliebt, wer den Aparten spielt, ist es
nie. Die Sache möchte hingehn, wenn nicht, wie Sie sehr richtig
hervorheben, die Carayons mit hineingezogen wären. Um =ihret=willen
beklag ich den Streich, dessen Gehässigkeit sich in diesem =einem= Bilde
schwerlich erschöpft haben wird. Auch die beiden andern, deren ich
Eingangs erwähnte, werden muthmaßlich folgen. Alles in diesem anonymen
Angriff ist klug berechnet, und klug berechnet ist auch der Einfall, das
Gift nicht gleich auf einmal zu geben. Es wird seine Wirkung nicht
verfehlen, und nur auf das ›wie‹ haben wir zu warten. _Tout à vous. S._«
In der That, die Besorgniß, die Sander in diesen Zeilen an Bülow
ausgesprochen hatte, sollte sich nur als zu gerechtfertigt erweisen.
Intermittirend wie das Fieber, erschienen in zweitägigen Pausen auch die
beiden andern Blätter, und wurden, wie das erste, von jedem
Vorübergehenden gekauft oder wenigstens begafft und besprochen. Die
Frage Schach-Carayon war über Nacht zu einer _cause celèbre_ geworden,
trotzdem das neubegierige Publikum nur die Hälfte wußte. Schach, so hieß
es, habe sich von der schönen Mutter ab- und der unschönen Tochter
zugewandt. Ueber das Motiv erging man sich in allerlei Muthmaßungen,
ohne dabei das Richtige zu treffen.
Schach empfing auch die beiden andern Blätter unter Kouvert. Das Siegel
blieb dasselbe. Blatt 2 hieß »_la gazza ladra_« oder die »diebische
=Schach=-Elster,« und stellte eine Elster dar, die, zwei Ringe von
ungleichem Werthe musternd, den unscheinbareren aus der Schmuckschale
nimmt.
Am weitaus verletzendsten aber berührte das den Salon der Frau von
Carayon als Szenerie nehmende dritte Blatt. Auf dem Tische stand ein
Schachbrett, dessen Figuren, wie nach einem verloren gegangenen Spiel
und wie um die Niederlage zu besiegeln, umgeworfen waren. Daneben saß
Victoire, gut getroffen, und ihr zu Füßen kniete Schach, wieder in der
persischen Mütze des ersten Bildes. Aber diesmal bezipfelt und
eingedrückt. Und darunter stand: »Schach -- matt.«
Der Zweck dieser wiederholten Angriffe wurde nur =zu= gut erreicht.
Schach ließ sich krank melden, sah niemand und bat um Urlaub, der ihm
auch umgehend von seinem Chef, dem Obersten von Schwerin, gewährt wurde.
So kam es, daß er am selben Tag, an dem, nach gegenseitigem Abkommen,
seine Verlobung mit Victoire veröffentlicht werden sollte, Berlin
verließ. Er ging auf sein Gut, ohne sich von den Carayons (deren Haus er
all die Zeit über nicht betreten hatte) verabschiedet zu haben.


Vierzehntes Kapitel.
In Wuthenow am See.

Es schlug Mitternacht, als Schach in Wuthenow eintraf, an dessen
entgegengesetzter Seite das auf einem Hügel erbaute, den Ruppiner See
nach rechts und links hin überblickende =Schloß= Wuthenow lag. In den
Häusern und Hütten war alles längst in tiefem Schlaf, und nur aus den
Ställen her hörte man noch das Stampfen eines Pferds oder das halblaute
Brüllen einer Kuh.
Schach passirte das Dorf und bog am Ausgang in einen schmalen Feldweg
ein, der, allmählich ansteigend, auf den Schloßhügel hinauf führte.
Rechts lagen die Bäume des Außenparks, links eine gemähte Wiese, deren
Heugeruch die Luft erfüllte. Das Schloß selbst aber war nichts als ein
alter, weißgetünchter und von einer schwarzgetheerten Balkenlage
durchzogener Fachwerkbau, dem erst Schachs Mutter, die »verstorbene
Gnädige«, durch ein Doppeldach, einen Blitzableiter und eine prächtige,
nach dem Muster von Sanssouci hergerichtete Terrasse, das Ansehen
allernüchternster Tagtäglichkeit genommen hatte. Jetzt freilich, unter
dem Sternenschein, lag alles da wie das Schloß im Märchen, und Schach
hielt öfters an und sah hinauf, augenscheinlich betroffen von der
Schönheit des Bildes.
Endlich war er oben und ritt auf das Einfahrtsthor zu, das sich in einem
flachen Bogen zwischen dem Giebel des Schlosses und einem
danebenstehenden Gesindehause wölbte. Vom Hof her vernahm er im selben
Augenblick ein Bellen und Knurren und hörte, wie der Hund wüthend aus
seiner Hütte fuhr und mit seiner Kette nach rechts und links hin an der
Holzwandung umherschrammte.
»Kusch Dich, Hektor.« Und das Thier, die Stimme seines Herrn erkennend,
begann jetzt vor Freude zu heulen und zu winseln, und abwechselnd auf
die Hütte hinauf- und wieder hinunterzuspringen.
Vor dem Gesindehause stand ein Wallnußbaum mit weitem Gezweige. Schach
stieg ab, schlang den Zügel um den Ast, und klopfte halblaut an einen
der Fensterläden. Aber erst als er das zweite Mal gepocht hatte, wurd es
lebendig drinnen, und er hörte von dem Alkoven her eine halb
verschlafene Stimme: »Wat is?«
»Ich, Krist.«
»Jott, Mutter, dat's joa de junge Herr.«
»Joa, dat is hei. Steih man upp un mach flink.«
Schach hörte jedes Wort und rief gutmüthig in die Stube hinein, während
er den nur angelegten Laden halb öffnete: »Laß Dir Zeit, Alter.«
Aber der Alte war schon aus dem Bette heraus, und sagte nur immer,
während er hin und her suchte: »Glieks, junge Herr, glieks. Man noch en
beten.«
Und wirklich nicht lange, so sah Schach einen Schwefelfaden brennen, und
hörte, daß eine Laternenthür auf- und wieder zugeknipst wurde. Richtig,
ein erster Lichtschein blitzte jetzt durch die Scheiben, und ein paar
Holzpantinen klappten über den Lehmflur hin. Und nun wurde der Riegel
zurückgeschoben, und Krist, der in aller Eile nichts als ein leinenes
Beinkleid übergezogen hatte, stand vor seinem jungen Herrn. Er hatte vor
manchem Jahr und Tag, als der alte »Gnädge-Herr« gestorben war, den
durch diesen Todesfall erledigten Ehren- und Respektstitel auf seinen
jungen Herrn übertragen wollen, aber dieser, der mit Krist das erste
Wasserhuhn geschossen und die erste Bootfahrt über den See gemacht
hatte, hatte von dem neuen Titel nichts wissen wollen.
»Jott, junge Herr, sunst schrewens doch ümmer ihrst, o'r schicken uns
Baarsch'en o'r den kleenen inglischen Kierl. Un nu keen Wort nich. Awers
ick wußt' et joa, as de Poggen hüt Oabend mit ehr Gequoak nich to Enn'
koam' künn'n. ›Jei, jei, Mutter,‹ seggt ick, ›dat bedüt' wat.‹ Awers as
de Fruenslüd' sinn! Wat seggt se? ›Wat sall et bedüden?‹ seggt se,
›Regen bedüt et. Un dat's man gaud. Denn uns' Tüffeln bruken't.‹«
»Ja, ja,« sagte Schach, der nur mit halbem Ohr hingehört hatte, während
der Alte die kleine Thür aufschloß, die von der Giebelseite her ins
Schloß führte. »Ja, ja. Regen ist gut. Aber geh nur vorauf.«
Krist that wie sein junger Herr ihm geheißen, und beide gingen nun einen
mit Fliesen gedeckten schmalen Korridor entlang. Erst in der Mitte
verbreiterte sich dieser und bildete nach links hin eine geräumige
Treppenhalle, während nach rechts hin eine mit Goldleisten und
Rokokoverzierungen reich ausgelegte Doppelthür in einen Gartensalon
führte, der als Wohn- und Empfangszimmer der verstorbenen Frau Generalin
von Schach, einer sehr vornehmen und sehr stolzen alten Dame gedient
hatte. Hierher richteten sich denn auch die Schritte beider, und als
Krist die halb verquollene Thür nicht ohne Müh und Anstrengung geöffnet
hatte, trat man ein.
Unter dem Vielen, was an Kunst- und Erinnerungsgegenständen in diesem
Gartensalon umherstand, war auch ein bronzener Doppelleuchter, den
Schach selber, vor drei Jahren erst, von seiner italienischen Reise mit
nach Hause gebracht und seiner Mutter verehrt hatte. Diesen Leuchter
nahm jetzt Krist vom Kamin und zündete die beiden Wachslichter an, die
seit lange schon in den Leuchtertellern steckten, und ihrerzeit der
verstorbenen Gnädigen zum Siegeln ihrer Briefe gedient hatten. Die
Gnädige selbst aber war erst seit einem Jahre todt, und da Schach, von
jener Zeit an, nicht wieder hier gewesen war, so hatte noch alles den
alten Platz. Ein paar kleine Sophas standen wie früher an den
Schmalseiten einander gegenüber, während zwei größere die Mitte der
Längswand einnahmen und nichts als die vergoldete Rokoko-Doppelthür
zwischen sich hatten. Auch der runde Rosenholztisch (ein Stolz der
Generalin) und die große Marmorschale, darin alabasterne Weintrauben und
Orangen und ein Pinienapfel lagen, standen unverändert an ihrem Platz.
In dem ganzen Zimmer aber, das seit lange nicht gelüftet war, war eine
stickige Schwüle.
»Mach ein Fenster auf,« sagte Schach. »Und dann gieb mir eine Decke. Die
da.«
»Wullen's sich denn =hier= hen leggen, junge Herr?«
»Ja, Krist. Ich habe schon schlechter gelegen.«
»Ick weet. Jott, wenn de oll jnädge Herr uns =doa=vunn vertellen deih!
Uemmer so platsch in'n Kalkmodder 'rin. Nei, nei, dat wihr nix för mi.
›Jott, jnädge Herr,‹ seggt ick denn ümmer, ›ick gloob de Huut geit em
runner‹. Awers denn lachte joa de oll jnädge Herr ümmer, un seggte:
›Nei, Krist, =uns'= Huut sitt fast.‹«
Während der Alte noch so sprach und vergangener Zeiten gedachte, griff
er zugleich doch nach einem breiten, aus Rohr geflochtenen Ausklopfer,
der in einer Kaminecke stand, und versuchte damit das eine Sopha, das
sich Schach als Lagerstätt ausgewählt hatte, wenigstens aus dem Gröbsten
herauszubringen. Aber der dichte Staub, der aufstieg, zeigte nur das
Vergebliche solcher Bemühungen, und Schach sagte mit einem Anfluge von
guter Laune: »Störe den Staub nicht in seinem Frieden.« Und erst als
er's gesprochen hatte, fiel ihm der Doppelsinn darin auf, und er
gedachte der Eltern, die drunten in der Dorfkirche in großen
Kupfersärgen und mit einem aufgelötheten Kruzifix darauf in der alten
Gruft der Familie standen.
Aber er hing dem Bilde nicht weiter nach und warf sich aufs Sopha.
»Meinem Schimmel gieb ein Stück Brod und einen Eimer Wasser; dann hält
er aus bis morgen. Und nun stelle das Licht ans Fenster und laß es
brennen .... Nein, nicht da, nicht ans offene; an das daneben. Und nun
gute Nacht, Krist. Und schließe von außen zu, daß sie mich nicht
wegtragen.«
»Ih, se wihren doch nich ....«
Und Schach hörte bald darnach die Pantinen, wie sie den Korridor
hinunterklappten. Ehe Krist aber die Giebelthür noch erreicht, und von
außen her zugeschlossen haben konnte, legte sich's schon schwer und
bleiern auf seines Herrn überreiztes Gehirn.
Freilich nicht auf lang. Aller auf ihm lastenden Schwere zum Trotz,
empfand er deutlich, daß etwas über ihn hinsumme, ihn streife und
kitzle, und als ein sich Drehen und Wenden und selbst ein
unwillkürliches und halbverschlafenes Umherschlagen mit der Hand nichts
helfen wollte, riß er sich endlich auf und zwang sich ins Wachen zurück.
Und nun sah er, was es war. Die beiden eben verschweelenden Lichter, die
mit ihrem Qualme die schon stickige Luft noch stickiger gemacht hatten,
hatten allerlei Gethier vom Garten her in das Zimmer gelockt, und nur
über Art und Beschaffenheit desselben war noch ein Zweifel. Einen
Augenblicke dacht er an Fledermäuse; sehr bald aber mußt er sich
überzeugen, daß es einfach riesige Motten und Nachtschmetterlinge waren,
die zu ganzen Dutzenden in dem Saale hin und her flogen, an die Scheiben
stießen und vergeblich das offene Fenster wieder zu finden suchten.
Er raffte nun die Decke zusammen und schlug mehrmals durch die Luft, um
die Störenfriede wieder hinauszujagen. Aber das unter diesem Jagen und
Schlagen immer nur ängstlicher werdende Geziefer schien sich zu
verdoppeln und summte nur dichter und lauter als vorher um ihn herum. An
Schlaf war nicht mehr zu denken, und so trat er denn ans offene Fenster
und sprang hinaus, um, draußen umhergehend, den Morgen abzuwarten.
Er sah nach der Uhr. Halb zwei. Die dicht vor dem Salon gelegene
Gartenanlage bestand aus einem Rondeel mit Sonnenuhr, um das herum, in
meist dreieckigen und von Buchsbaum eingefaßten Beeten, allerlei
Sommerblumen blühten: Reseda und Rittersporn und Lilien und Levkojen.
Man sah leicht, daß eine ordnende Hand hier neuerdings gefehlt hatte,
trotzdem Krist zu seinen vielfachen Aemtern auch das eines Gärtners
zählte; die Zeit indeß, die seit dem Tode der Gnädigen vergangen war,
war andrerseits eine viel zu kurze noch, um schon zu vollständiger
Verwilderung geführt zu haben. Alles hatte nur erst den Charakter eines
wuchernden Blühens angenommen, und ein schwerer und doch zugleich auch
erquicklicher Levkojenduft lag über den Beeten, den Schach in immer
volleren Zügen einsog.
Er umschritt das Rondeel, einmal, zehnmal, und balancirte, während er
einen Fuß vor den andern setzte, zwischen den nur handbreiten Stegen
hin. Er wollte dabei seine Geschicklichkeit proben und die Zeit mit
guter Manier hinter sich bringen. Aber diese Zeit wollte nicht
schwinden, und als er wieder nach der Uhr sah, war erst eine
Viertelstunde vergangen.
Er gab nun die Blumen auf und schritt auf einen der beiden Laubengänge
zu, die den großen Parkgarten flankirten und von der Höhe bis fast an
den Fuß des Schloßhügels herniederstiegen. An mancher Stelle waren die
Gänge nach obenhin überwachsen, an andern aber offen, und es unterhielt
ihn eine Weile den abwechselnd zwischen Dunkel und Licht liegenden Raum
in Schritten auszumessen. Ein paarmal erweiterte sich der Gang zu
Nischen und Tempelrundungen, in denen allerhand Sandsteinfiguren
standen: Götter und Göttinnen, an denen er früher viele hundertmale
vorübergegangen war, ohne sich auch nur im geringsten um sie zu kümmern
oder ihrer Bedeutung nachzuforschen; heut aber blieb er stehn und freute
sich besonders aller derer, denen die Köpfe fehlten, weil sie die
dunkelsten und unverständlichsten waren, und sich am schwersten errathen
ließen. Endlich war er den Laubengang hinunter, stieg ihn wieder hinauf
und wieder hinunter und stand nun am Dorfausgang und hörte daß es zwei
schlug. Oder bedeuteten die beiden Schläge halb? War es halb drei? Nein,
es war erst zwei.
Er gab es auf, das Auf und Nieder seiner Promenade noch weiter
fortzusetzen und beschrieb lieber einen Halbkreis um den Fuß des
Schloßhügels herum, bis er in Front des Schlosses selber war. Und nun
sah er hinauf, und sah die große Terrasse, die von Orangeriekübeln und
Cypressenpyramiden eingefaßt, bis dicht an den See hinunterführte. Nur
ein schmal Stück Wiese lag noch dazwischen, und auf eben dieser Wiese
stand eine uralte Eiche, deren Schatten Schach jetzt umschritt, einmal,
vielemal, als würd er in ihrem Bann gehalten. Es war ersichtlich, daß
ihn der Kreis, in dem er ging, an einen andern Kreis gemahnte, denn er
murmelte vor sich hin: könnt' ich heraus!
Das Wasser, das hier so verhältnißmäßig nah an die Schloßterrasse
herantrat, war ein bloßer todter Arm des Sees, nicht der See selbst. Auf
diesen See hinauszufahren aber war in seinen Knabenjahren immer seine
höchste Wonne gewesen.
»Ist ein Boot da, so fahr ich.« Und er schritt auf den Schilfgürtel zu,
der die tief einmündende Bucht von drei Seiten her einfaßte. Nirgends
schien ein Zugang. Schließlich indeß fand er einen überwachsenen Steg,
an dessen Ende das große Sommerboot lag, das seine Mama viele Jahre lang
benutzt hatte, wenn sie nach Karwe hinüberfuhr, um den Knesebecks einen
Besuch zu machen. Auch Ruder und Stangen fanden sich, während der flache
Boden des Boots, um einen trockenen Fuß zu haben, mit hochaufgeschüttetem
Binsenstroh überdeckt war. Schach sprang hinein, löste die
Kette vom Pflock und stieß ab. Irgend welche Ruderkünste zu
zeigen war ihm vor der Hand noch unmöglich, denn das Wasser war so
seicht und schmal, daß er bei jedem Schlage das Schilf getroffen haben
würde. Bald aber verbreiterte sichs und er konnte nun die Ruder
einlegen. Eine tiefe Stille herrschte; der Tag war noch nicht wach, und
Schach hörte nichts als ein leises Wehen und Rauschen und den Ton des
Wassers, das sich glucksend an dem Schilfgürtel brach. Endlich aber war
er in dem großen und eigentlichen See, durch den der Rhin fließt, und
die Stelle, wo der Strom ging, ließ sich an einem Gekräusel der sonst
spiegelglatten Fläche deutlich erkennen. In diese Strömung bog er jetzt
ein, gab dem Boote die rechte Richtung, legte sich und die Ruder ins
Binsenstroh und fühlte sofort, wie das Treiben und ein leises Schaukeln
begann.
Immer blasser wurden die Sterne, der Himmel röthete sich im Osten und er
schlief ein.
Als er erwachte, war das mit dem Strom gehende Boot schon weit über die
Stelle hinaus, wo der todte Arm des Sees nach Wuthenow hin abbog. Er
nahm also die Ruder wieder in die Hand und legte sich mit aller Kraft
ein, um aus der Strömung heraus und an die verpaßte Stelle
zurückzukommen, und freute sich der Anstrengung die es ihn kostete.
Der Tag war inzwischen angebrochen. Ueber dem First des Wuthenower
Herrenhauses hing die Sonne, während drüben am andern Ufer die Wolken im
Widerschein glühten und die Waldstreifen ihren Schatten in den See
warfen. Auf dem See selbst aber begann es sich zu regen, und ein die
Morgenbrise benutzender Torfkahn glitt mit ausgespanntem Segel an Schach
vorüber. Ein Frösteln überlief diesen. Aber dies Frösteln that ihm wohl,
denn er fühlte deutlich, wie der Druck, der auf ihm lastete, sich dabei
minderte. »Nahm er es nicht zu schwer? Was war es denn am Ende? Bosheit
und Uebelwollen. Und wer kann sich =dem= entziehn! Es kommt und geht.
Eine Woche noch, und die Bosheit hat sich ausgelebt.« Aber während er so
sich tröstete, zogen auch wieder andre Bilder herauf, und er sah sich in
einem Kutschwagen bei den prinzlichen Herrschaften vorfahren, um ihnen
Victoire von Carayon als seine Braut vorzustellen. Und er hörte
deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter, der schönen
Radziwill, zuflüsterte: »_Est-elle riche?_« »_Sans doute._« »_Ah, je
comprends._«
Unter so wechselnden Bildern und Betrachtungen bog er wieder in die kurz
vorher so stille Bucht ein, in deren Schilf jetzt ein buntes und
bewegtes Leben herrschte. Die darin nistenden Vögel kreischten oder
gurrten, ein paar Kibitze flogen auf, und eine Wildente, die sich
neugierig umsah, tauchte nieder, als das Boot plötzlich in Sicht kam.
Eine Minute später, und Schach hielt wieder am Steg, schlang die Kette
fest um den Pflock, und stieg unter Vermeidung jedes Umwegs die Terrasse
hinauf, auf deren oberstem Absatz er Krists Frau, der alten Mutter
Kreepschen begegnete, die schon auf war, um ihrer Ziege das erste
Grünfutter zu bringen.
»Tag, Mutter Kreepschen.«
Die Alte schrak zusammen, ihren drinnen im Gartensalon vermutheten
jungen Herrn (um dessentwillen sie die Hühner nicht aus dem Stall
gelassen hatte, bloß damit ihr Gackern ihn nicht im Schlafe stören
sollte) jetzt von der Frontseite des Schlosses her auf sich zukommen zu
sehn.
»Jott, junge Herr. Wo kümmen's denn her?«
»Ich konnte nicht schlafen, Mutter Kreepschen.«
»Wat wihr denn los? Hätt et wedder spökt?«
»Beinah. Mücken und Motten waren's. Ich hatte das Licht brennen lassen.
Und der eine Fensterflügel war auf.«
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