Die Träger des deutschen Idealismus - 07

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seiner ewigen Wahrheit von vergänglichen Formen: »Der Geist der
neuen Zeit geht mit sichtbarer Konsequenz aus Vernichtung aller bloß
endlichen Formen, und es ist Religion, ihn auch hierin zu erkennen.«
* * * * *
Was die Historie anbelangt, so führt Schelling den härtesten
Kampf gegen eine lehrhafte Geschichtschreibung, welche eine
subjektiv-menschliche Betrachtungsweise in die Geschichte trage, da
doch selbst unter dem Heiligsten nichts sei, was heiliger wäre als die
Geschichte, dieser große Spiegel des Weltgeistes, dieses ewige Gedicht
des göttlichen Verstandes. Die echte Behandlung der Geschichte muß
eine künstlerische sein. »Die Kunst ist es, wodurch die Historie,
indem sie Wissenschaft des Wirklichen als solchen ist, zugleich über
dasselbe auf das höhere Gebiet des Idealen erhoben wird, auf dem
die Wissenschaft steht.« »Der absolute Standpunkt der Historie ist
demnach der der historischen Kunst.« Indem bei solcher Betrachtung
die einzelnen Handelnden bei aller subjektiven Freiheit als Werkzeuge
und Mittel einer höheren Notwendigkeit erscheinen, die sich hier als
Schicksal darstellt, »kann die Geschichte die Wirkung des größten
und erstaunenswürdigsten Dramas nicht verfehlen, das nur in einem
unendlichen Geist gedichtet sein kann«. Wir brauchen nur an Ranke zu
denken, um uns zu vergegenwärtigen, welchen Einfluß diese Fassung der
Geschichte und der Geschichtschreibung auf die wissenschaftliche Arbeit
gewonnen hat.
* * * * *
Mit der Historie verbindet Schelling eng die Jurisprudenz als die
Wissenschaft vom Staate. Denn der Hauptgegenstand der Historie im
engeren Sinne ist ihm die Bildung eines »objektiven Organismus der
Freiheit oder des Staates«. Auch der Staat wird hier über das Vermögen
und die Zwecke des bloßen Menschen hinausgehoben, auch er ist eine
Darstellung des absoluten Organismus und hat daher seinen Zweck in sich
selbst.
* * * * *
[Randnotiz: Bildende Kunst und Natur]
Schellings Art, künstlerische Probleme zu behandeln, erscheint in
besonders fesselnder Gestalt in der Abhandlung über das Verhältnis
der bildenden Künste zur Natur. Wie aus überströmendem Reichtum
streut hier der Denker eine Fülle packender und klärender Gedanken
aus, Gedanken über Form, Anmut, Charakter, Seele im Schaffen der
bildenden Kunst, er verficht dabei die Behauptung, daß nur durch die
Vollendung der Form die Form vernichtet werden könne, er findet dieses
Ziel der Kunst im Charakteristischen erreicht. »Die äußere Seite oder
Basis aller Schönheit ist die Schönheit der Form. Da aber Form ohne
Wesen nicht sein kann, so ist, wo nur immer Form ist, in sichtbarer
oder nur empfindbarer Gegenwart auch Charakter. Charakteristische
Schönheit ist daher die Schönheit in ihrer Wurzel, aus welcher dann
erst die Schönheit als Frucht sich erheben kann; das Wesen überwächst
wohl die Form, aber auch dann bleibt das Charakteristische die noch
immer wirksame Grundlage des Schönen.« »Die Schönheit der Seele
an sich, mit sinnlicher Anmut verschmolzen: diese ist die höchste
Vergöttlichung der Natur.« Nach einer Darstellung und Vergleichung
der Eigentümlichkeit der antiken und der modernen bildenden Kunst
in Plastik und Malerei wendet er sich zur eigenen Zeit und spricht
auch für sie zuversichtliche Hoffnungen aus, stets die Überzeugung
bekennend, daß die Schicksale der Kunst von den allgemeinen Schicksalen
des menschlichen Geistes abhängig sind. Wenn die Kunst nur aus
der lebhaftesten Bewegung der innersten Gemüts- und Geisteskräfte
entspringt, die Begeisterung genannt wird, wenn es ohne einen großen
allgemeinen Enthusiasmus keine öffentliche Meinung, keinen befestigten
Geschmack gibt, so bedarf auch das künstlerische Schaffen unserer
Zeit einer solchen Begeisterung. »Warum sollten wir aber eine solche
nicht für sie erwarten können, da doch in ihr eine neue Welt sich
bildet, die allen bisherigen Maßstäben entwächst? Sollte nicht jener
Sinn, dem sich Natur und Geschichte lebendiger wieder aufgeschlossen,
auch der Kunst ihre großen Gegenstände zurückgeben?« Es bedarf dazu
aber einer Veränderung in den Ideen, es bedarf eines neuen Wissens,
eines neuen Glaubens, um die Kunst zu der Arbeit zu begeistern,
»wodurch sie in einem verjüngten Leben eine der vorigen ähnliche
Herrlichkeit offenbarte«. So gilt es nicht rückwärts, sondern vorwärts
zu schauen und der eigenen Kraft zu vertrauen. Dafür ist Schelling
stets eingetreten, daß die Befassung mit der Geschichte die eigene
Aufgabe der Gegenwart in keiner Weise schädigen dürfe. »Aus der Asche
des Dahingesunkenen Funken ziehen und aus ihnen ein allgemeines Feuer
wieder anfachen wollen, ist eitle Bemühung.« Solche Hoffnung einer
Neubelebung der Kunst setzt Schelling namentlich auf Deutschland.
»Dieses Volk, von welchem die Revolution der Denkart in dem neueren
Europa ausgegangen, dessen Geisteskraft die größten Erfindungen
bezeugen, das dem Himmel Gesetze gegeben -- er denkt dabei an erster
Stelle sicherlich an den von ihm aufs höchste geschätzten Kepler -- und
am tiefsten von allen die Erde durchforscht hat, dem die Natur einen
unverrückten Sinn für das Rechte und die Neigung zur Erkenntnis der
ersten Ursachen tiefer als irgendeinem anderen eingepflanzt, dieses
Volk muß in einer eigentümlichen Kunst endigen.«
* * * * *
[Randnotiz: Das deutsche Volk]
Die besondere Art und Begabung des deutschen Volkes hat Schelling oft
beschäftigt, freilich ganz überwiegend vom Standpunkt der Philosophie
und der eigenen Arbeit aus. Am eingehendsten geschieht das in einem
Fragment aus dem handschriftlichen Nachlaß »Über das Wesen deutscher
Wissenschaft«. In der deutschen Wissenschaft sieht Schelling »das wahre
Innere, das Wesen, das Herz der Nation«. Zeugnisse dieser Behauptung
sind die religiösen und wissenschaftlichen Revolutionen, mit denen
dieses Volk allen anderen vorangegangen, und in denen es ein Interesse
des Gemüts und Geistes für den Grund aller Erkenntnis an den Tag gelegt
hat, wie keine andere Nation je getan. »Zu eigentümlich von Gemüt und
Geist ist dieses Volk gebildet, um auf dem Weg anderer Nationen mit
diesen gleichen Schritt zu halten. Es muß seinen eigenen Weg gehen,
und wird ihn gehen, und sich nicht irren noch abwenden lassen, wie es
immer vergebens gesucht wurde.« Als die Geburtsstunde der deutschen
Wissenschaft betrachtet Schelling die Zeit der Reformation, er sieht in
der konfessionellen Spaltung, welche sie brachte, kein Unglück, da er
hofft, daß der deutsche Geist »die Einheit, die er als einen Zustand
erkenntnislosen Friedens verließ, auf einer höheren Stufe als bewußte
Einheit, in größerem Sinn und weiterem Umfang einst wiederherstellen
werde«. Die deutsche Wissenschaft hat die Aufgabe, »die Lebendigkeit
aller Dinge und der ganzen Natur anschauend, sich bis zu dem Urquell
aller Ichheit, dem zu erheben, von dem alles andere Ich in der
Absonderung nur Schatten und Schein, in der Einheit betrachtet das
lebendige Teil und reale Ebenbild ist«. Nach dieser Richtung haben
Kepler und Leibniz, Jakob Böhme und Hamann gewirkt; seine höchste Höhe
erreichte aber dies Streben in der Bewegung, die mit Kant begann. »Das
Urteil der Geschichte wird sein, nie sei ein größerer äußerer und
innerer Kampf um die höchsten Besitztümer des menschlichen Geistes
gekämpft worden, in keiner Zeit habe der wissenschaftliche Geist in
seinem Bestreben tiefere und an Resultaten reichere Erfahrungen gemacht
als seit Kant.« Als die Vollendung dieser Bewegung betrachtet Schelling
seine eigene Philosophie.
* * * * *
[Randnotiz: Die Aufgabe des deutschen Geistes]
Als besonders charakteristisch für den deutschen Geist erscheint
seine Richtung auf Metaphysik und das eng damit verbundene Verlangen,
Religion und Wissenschaft zur Freundschaft zusammenzubringen. »Die
deutsche Nation strebt mit ihrem ganzen Wesen nach Religion, aber ihrer
Eigentümlichkeit gemäß nach Religion, die mit Erkenntnis verbunden und
auf Wissenschaft gegründet ist.« Von der Metaphysik spricht Schelling
in höchsten Tönen, er meint, alles Hohe und Große in der Welt sei
durch etwas geworden, das im allgemeinsten Sinne Metaphysik heißen
könne. Metaphysik aber beruhe auf dem Talent, ein Vieles unmittelbar in
Einem und hinwiederum Eines in Vielem begreifen zu können, mit einem
Wort »auf dem Sinn für Totalität«.
Selbst den Krieg bringt Schelling in Verbindung mit der Metaphysik
in diesem weiteren Sinne. »Es gibt keinen rechtlichen Krieg, als der
um der Idee willen geführt wird, d. h. der religiös ist. Nicht als
Maschine, die von Willkür bewegt wird, sondern dem Gesetz Gottes und
der Natur gehorchend, die den Krieg eingesetzt haben, soll der Streiter
siegen oder fallen.« Unumwunden legt Schelling dar, wie gerade dem
Deutschen große Gefahren drohen, wie er sich besonders leicht der
Tiefe des eigenen Wesens entfremde, aber das erschüttert nicht sein
Vertrauen, daß er sich immer wieder zu sich selbst zurückfinden wird,
und daß er vornehmlich jetzt sich vor einem neuen Aufstieg befindet.
»Wiedergeburt der Religion durch die höchste Wissenschaft, dieses
eigentlich ist die Aufgabe des deutschen Geistes, das bestimmte Ziel
aller seiner Bestrebungen. Nach der notwendigen Zeit des Übergangs und
der Entzweiung nehmen wir dieses durch die religiöse Revolution eines
früheren Jahrhunderts begonnene Werk an eben dem Punkte auf, wo es
verlassen wurde. Jetzt fängt die Zeit der Vollführung und Vollendung
an.«
Endlich sucht er aus dem Gedanken, daß die Weite des Wesens und die
Offenheit selbst für Widersprüche eine eigentümliche Größe des Menschen
sei, einen Vorzug deutscher Art zu begründen. »Man hat es oft bemerkt,
daß alle übrigen Nationen von Europa durch ihren Charakter viel
bestimmter sind als die deutsche, welche daher wegen ihrer allgemeinen
Empfänglichkeit als die Wurzel, wegen der in ihr liegenden Kraft der
Vereinigung des Widerstreitenden wohl als die Potenz der anderen
Nationen betrachtet werden könnte. Sollte nicht das Los des Deutschen
darin das allgemeine des Menschen sein, daß auch er die verschiedenen
Stufen, welche andere Völker gesondert darstellen, allein alle
durchliefe, um auch am Ende die höchste und reichste Einheit, deren die
menschliche Natur fähig ist, darzustellen?«
* * * * *
[Randnotiz: Die Wendung zur Religion]
Wie in dieser Schilderung des deutschen Wesens das Verhältnis zur
Religion das Bild wie die Schätzung beherrscht, so wird bei Schelling
überhaupt immer mehr die Religion zur Seele des Strebens. Es besagte
das eine große Wendung, die keinen völligen Bruch mit der bisherigen
Überzeugung darstellt, die aber doch eine Ablenkung von ihr vollzieht.
Die Religion bedeutete immer dieser Philosophie sehr viel, da ihr
Grundcharakter ein Versuch des Sehens und Verstehens der Wirklichkeit
aus der sie begründenden Einheit ist; so haben auch die früheren
Schriften viel Beziehung zur Religion. Aber das Verhältnis von
Gott und Welt stellte sich früher und später sehr verschieden dar,
es war ein weit stärkeres Hervortreten des Problems des Bösen, das
diese Wandlung bewirkte. Früher galt Schelling die Welt als eine
ungetrübte Offenbarung der ewigen Einheit, und das Böse war nur ein
Versuch, ein vergeblicher Versuch des Endlichen, sich dem Unendlichen
entgegenzuwerfen. Jetzt aber wird das Böse weit tiefer in den Kern
der Wirklichkeit zurückverlegt und als eine »positive Verkehrtheit
der Prinzipien« erklärt, ernst und nachdrücklich wird jetzt zu seiner
vollen Würdigung aufgefordert. Schelling meint, man müsse das Böse mit
dem Herzen ignorieren, nicht mit dem Kopf; er erklärt es für einen
großen Irrtum, das gute Prinzip ohne das Böse erkennen zu wollen.
Denn »wie in dem Gedicht des Dante geht auch in der Philosophie nur
durch den Abgrund der Weg zum Himmel«. In Wahrheit bestimmt dieser
Punkt durchgängig mehr als irgendwelcher anderer die Hauptrichtung
des geistigen Strebens. Seit Jahrtausenden besteht ein harter Kampf
der erlesensten Geister darüber, ob das Böse der Welt, das keine
unbefangene Betrachtung leugnen kann, sich in eine Vernunftordnung
irgendwie einfügen und dadurch für die letzte Betrachtung zum
Verschwinden bringen lasse, oder ob es sich starr behaupte, ein
rationales Bild der Wirklichkeit hindere, damit aber das Streben und
Denken entweder zur Verzweiflung oder zum Suchen neuer Ordnungen
treibe. Der deutsche Idealismus stand im großen und ganzen zu der
ersteren Überzeugung. Allerdings hatte er nichts mit jenem flachen
Optimismus gemein, den sich Welt und Leben ohne weiteres bequem
zurechtlegt, er erkannte mit voller Klarheit die Schäden des nächsten
Standes, er forderte mit größtem Ernst eine Erhöhung oder gar Umwälzung
seiner, er hat stets mit voller Entschiedenheit alles Idealisieren
des Daseins als eine Unwahrheit abgelehnt. Aber er stand zugleich zu
dem Glauben, daß geistige Kraft den Schäden gewachsen sei, daß eine
überlegene Vernunft im menschlichen Leben walte und sich durch volle
Aufbietung unseres Vermögens auch in eigenen Besitz verwandeln lasse.
Alle Schäden der Menschen erschütterten nicht die Überzeugung von einer
Größe und Würde des Menschen. Aus solcher Überzeugung wurde dann das
Bild unserer Welt entworfen.
Das alles verschiebt sich nun bei Schelling, und indem es sich
verschiebt, treten ganz andere Seiten der Wirklichkeit in den
Vordergrund und entstehen ganz neue Probleme.
* * * * *
[Randnotiz: Das Böse in der Welt]
Schelling findet das Böse schon in der Natur, in durchgehenden
Hemmungen und Verunstaltungen ihres Lebens, auch in der
allesbeherrschenden Macht des Todes. Es steigert sich weiter im
Bereich des menschlichen Lebens, im besonderen ist es das Sinnlose
des unaufhörlichen Kommens und Gehens, was den Denker bedrückt und
weitertreibt. »Die ganze Natur müht sich ab und ist in unaufhörlicher
Arbeit begriffen. Auch der Mensch seinerseits ruht nicht, es ist, wie
ein altes Buch sagt, alles unter der Sonne so voll Mühe und Arbeit, und
doch sieht man nicht, daß etwas gefördert, wahrhaft erreicht werde,
etwas nämlich, wobei man stehen bleiben könnte. Ein Geschlecht vergeht,
das andere kommt, um selbst wieder zu vergehen. Vergebens erwarten
wir, daß etwas Neues geschehe, woran endlich diese Unruhe ein Ziel
finde; alles was geschieht, geschieht nur, damit wieder etwas anderes
geschehen kann, das selbst wieder gegen ein anderes zur Vergangenheit
wird, im Grunde also geschieht alles umsonst, und es ist in allem Tun,
in aller Mühe und Arbeit der Menschen selbst nichts als Eitelkeit:
alles ist eitel, denn eitel ist alles, was eines wahrhaften Zweckes
ermangelt.« An diesen Schäden hat die Gegenwart besonders zu tragen,
da ihr ein innerer Halt verloren gegangen ist. Es haben sich nämlich
die überkommenen Überzeugungen, welche das Leben trugen, gelockert
und ihre ursprüngliche Kraft verloren, aber das wagt man sich nicht
zu gestehen. »Aus Furcht, den behaglichen Zustand zu zerstören,
vermeidet man der Sache auf den Grund zu sehen oder es auszusprechen,
daß die moralischen und geistigen Mächte, durch welche die Welt, wenn
auch bloß gewohnheitsmäßig, noch zusammengehalten worden, durch die
fortschreitende Wissenschaft längst untergraben sind.«
Indem solche Eindrücke Schelling dahin treiben, das Böse in die
tiefsten Gründe der Wirklichkeit zu versetzen und es als einen Abfall
von Gott zu verstehen, treibt ihn sein Erkenntnisverlangen, solchen
Abfall irgendwie begreiflich zu machen und demgemäß den Weltanblick
zu gestalten. Das Hauptproblem liegt darin, daß das Böse letzthin nur
aus Freiheit stammen und daher eine von Gott unabhängige Wurzel haben
muß, daß andererseits aber nichts gänzlich außer Gott gesetzt werden
kann. Diese Verwicklung treibt unseren Denker zu kühner Spekulation in
der Art eines Jakob Böhme. Das Böse soll aus einem dunkeln Naturgrunde
stammen, der nur eine Stufe einer weiteren Bewegung bedeuten sollte,
der aber sich selbständig gemacht hat, nun den Fortgang hemmt, nun die
Lebenskräfte in seine Dienste zieht und ihren wahren Zielen entfremdet.
Damit hat das Böse eine unheimliche Macht erlangt, von der nur eine
überlegene Hilfe, eine Offenbarung göttlicher Macht uns und die Welt
erlösen kann.
* * * * *
Dieser Gedankengang ist begreiflich, wie immer man sich zu ihm stellen
mag, die nähere Ausführung ist aber so gewagt, so wunderlich, sie
entspricht so wenig der von Kant verlangten kritischen Selbstbesinnung
des Menschen, daß ein derartiges Verfahren uns heute ganz fremd
geworden ist. Solche Ablehnung braucht aber nicht die Anerkennung
dessen zu hindern, daß hier manche bedeutende Gedanken entwickelt
sind, manches in neue Beleuchtung gestellt ist. Besondere Beachtung
findet jetzt das Problem der Freiheit, ihr Zusammenhang mit dem
Ganzen der Weltansicht wird dem Denker zu einer »notwendigen Aufgabe,
ohne deren Auflösung der Begriff selber wankend, die Philosophie
aber völlig ohne Wert sein würde«. »Denn diese große Aufgabe allein
ist die unbewußte und unsichtbare Triebfeder alles Strebens nach
Erkenntnis von dem Niedrigsten bis zum Höchsten; ohne den Widerspruch
von Notwendigkeit und Freiheit würde nicht Philosophie allein, sondern
jedes höhere Wollen des Geistes in den Tod versinken, der jenen
Wissenschaften eigen ist, in welchen er keine Anwendung hat.«
[Randnotiz: Wollen als Grundlage aller Natur]
Solcher Schätzung der Freiheit entspricht es, daß als Grundkraft der
Seele hier mit großer Bestimmtheit das Wollen verkündigt wird, ja daß
es heißt, »Wollen ist die Grundlage aller Natur.« Auch Fichte hatte
das Wollen als die Hauptkraft des Lebens erklärt, aber es war das bei
ihm das von Vernunft erfüllte und auf Vernunft gerichtete Wollen;
Schelling dagegen bringt das Dunkle, Triebhafte, Dämonische in ihm
zur vollen Anerkennung; ihm wird damit das Leben nicht eine sichere
Fortentwicklung, sondern ein beständiger Kampf zwischen Höherem und
Niederem, fortwährend bedarf es eines Ringens mit der dunkeln Tiefe
unserer Natur, fortwährend gilt es, das in uns bewußtlos Wirkende
durch freie Tat zum Bewußtsein zu erheben. Zugleich aber glaubt
Schelling einen kräftigeren Begriff vom Guten zu gewinnen und das Ganze
des Lebens zu vertiefen. »Ein Gutes, wenn es nicht ein überwundenes
Böse in sich hat, ist kein volles lebendiges Gute.« »Die aktivierte
Selbstheit ist notwendig zur Schärfe des Lebens; ohne sie ist nur
völliger Tod, ein Einschlummern des Guten. Wo nicht Kampf ist, da ist
nicht Leben.« Damit soll auch der Begriff der Persönlichkeit mehr
Gehalt und Kraft gewinnen, ihm ist eigentümlich eine innere Bewegung,
welche die Natur des Selbst durch Freiheit zur Geistigkeit erhebt. Der
Begriff des Geistes aber fällt nach Schelling nicht schon mit dem des
Guten zusammen. Denn auch in den Geist reicht der Zwiespalt hinein,
der die Welt auseinanderreißt, auch innerhalb des Geistes müssen wir
kämpfen, ja »die höchste Korruption ist auch die geistigste«. Auch
beim Gottesbegriff erstrebt Schelling eine Überwindung abstrakter
Fassungen, die mit einem bloßen Allgemeinbegriff das Wesen zu treffen
glaubten, und eine Kräftigung des Gehalts; in dieser Hinsicht heißt es:
»Nicht die Vernunft ist die Ursache des vollkommenen Geistes, sondern
nur, weil dieser ist, gibt es eine Vernunft.« »Das allgemeine Wesen
existiert nur, wenn das absolute Einzelwesen es ist.« Auch verlangt
Schelling eine möglichst anthropomorphe Fassung des Gottesbegriffes, da
nur ein lebendiger und uns naher Gott Hilfe und Rettung bringen könne.
[Randnotiz: Gott und der Weltprozeß]
Auf eine solche Rettung aber vertraut Schelling felsenfest, und er
begründet sein Vertrauen durch seine Fassung der Geschichte und des
gesamten Weltprozesses, die auf eine solche Rettung angelegt sind. Es
gilt nur, daß der Mensch die großen göttlichen Taten erkenne und sein
eigenes Leben dadurch erfüllen lasse, daß er eintrete in die Bewegung
der Welt, in den Kampf um ihre Vollendung. Diese Überzeugung läßt ihn
auch die Zeichen der Zeit trotz alles Ernstes günstig deuten. »Je
greller man den Unfrieden, die Zerwürfnisse, die Auslösung drohenden
Erscheinungen unserer Zeit schildern mag, desto gewisser kann der
wahrhaft Unterrichtete in diesem allen nur die Vorzeichen einer neuen
Schöpfung, einer großen und belebenden Wiederherstellung erblicken,
die allerdings ohne schmerzliche Wehen nicht möglich war, der die
rücksichtslose Zerstörung alles dessen, was faul, brüchig und schadhaft
geworden, vorausgehen mußte.« Der Philosophie, im besonderen seiner
eigenen, teilt Schelling dabei eine große Rolle zu.
* * * * *
Eine weite Kluft zwischen den hier so eindringlich geschilderten
Schäden der menschlichen Lage und dem empfohlenen Heilmittel ist
unmöglich zu verkennen. Wie kann eine Veränderung der Weltanschauung so
viel erreichen lassen? Schelling selbst sucht den Einwand abzuwehren,
daß die Philosophie solcher Aufgabe nicht gewachsen sei, es müsse,
so meint er, nur eine starke Philosophie sein, »eine solche, die
mit dem Leben sich messen kann, die ihre Kraft aus der Wirklichkeit
selbst nimmt und darum auch selbst wieder Wirkendes und Dauerndes
hervorbringt.« Aber es bleibt doch dabei, daß ein Wandel der Begriffe
ohne weiteres auch einen Wandel der Gesinnung mit sich bringen soll;
was aber ist das anderes als Rationalismus, und zwar ein Rationalismus,
der um so mehr zum Widerspruch reizt, als er eben das für irrational
Erklärte rational zu verstehen sucht? Schellings Versuch, das
Christentum als den Kern und Sinn der ganzen Wirklichkeit zu erweisen,
ist ein großes Wollen unmöglich abzusprechen, aber die Ausführung
zeigt dasselbe Überspringen der menschlichen Schranken und dieselbe
Vergewaltigung des Tatbestandes im Gebiet der Geschichte, wie in dem
der Natur die Naturphilosophie.
* * * * *
[Randnotiz: Philosophie der Mythologie]
Dasselbe gilt von Schellings Philosophie der Mythologie, welche die
ganze Fülle der geschichtlichen Religionen als eine aufsteigende
Stufenfolge mit dem Christentum als Höhe- und Zielpunkt zu verstehen
sucht. Auch hier blitzen glänzende Gedanken auf, auch hier fehlt es
nicht an packenden Schilderungen. So ist es namentlich anziehend, wie
Schelling sich mit dem Pantheismus auseinandersetzt, der in seiner
eigenen Natur so tief wurzelte, und über den ihn doch der Fortgang
seines Strebens zwingend hinaustrieb. »Der Pantheismus in seiner bloßen
Möglichkeit ist der Grund der Gottheit und aller wahren Religion.
-- Der Monotheismus ist nichts anderes, als der esoterisch, latent,
innerlich gewordene Pantheismus. -- Nichts hat je über die Gemüter der
Menschen wahre Gewalt erlangt, dem nicht eigentlich dieser, zur Ruhe
gebrachte und befriedigte (zum Frieden gebrachte) Pantheismus zugrunde
lag.«
* * * * *
Der Abschluß der äußeren Laufbahn Schellings war wenig glücklich. Unter
großen Erwartungen wurde er 1841 nach Berlin berufen, um Zeitströmungen
zu bekämpfen, die man für bedenklich hielt. Auch er selbst steckte
das Ziel sich hoch, hoffte er doch »eine Burg zu gründen, in welcher
die Philosophie von nun an sicher wohnen soll«. Das Ergebnis war
eine Enttäuschung; es kamen noch andere Gründe hinzu, Schelling zur
Einstellung seiner Tätigkeit zu bewegen. Leider beherrscht dieser
Ausgang noch immer zu sehr die gesamte Schätzung des Mannes.
* * * * *
[Randnotiz: Anregungen und Ergebnisse]
Denn darüber kann kein Zweifel sein: Schelling gehört in die erste
Reihe unserer großen Denker, und das deutsche Geistesleben verdankt
ihm viel. Aber es liegt das mehr in Anregungen als in fertigen
Ergebnissen. Wenn gesagt ward, daß oft die Werke größer sind als die
Menschen, oft aber auch die Menschen größer als ihre Werke, so gilt
letzteres besonders von Schelling. Reichste geistige Gaben trafen
bei ihm zusammen, mit gewaltiger Kraft hat er alles behandelt, was er
ergriff. Alle Kleinheit lag ihm fern, er wußte alles ins Große zu heben
und aus dem Ganzen zu sehen. Er widerstand aller Verengung des Lebens
nach besonderen Richtungen hin, er steht sicher über dem Gegensatz
eines Moralismus und Ästhetizismus, er hat auch bei der Wendung zur
Religion dem Denken volle Freiheit gewahrt und eine »christliche«
Philosophie entschieden abgelehnt, er hat dem menschlichen Leben
eine metaphysische Tiefe gegeben, das Geheimnisvolle in ihm stark
empfunden und kräftig zur Darstellung gebracht. Auch daß er selbst
stets im Suchen verblieb, gibt seiner Untersuchung eine eigentümliche
Frische und Ursprünglichkeit, hält ihr alles Lehrhafte fern. Daß
aber solche Größe in seinen Werken nicht zu entsprechendem Ausdruck
kam, das lag vornehmlich an einem Widerspruch zwischen seinem Wesen
und seinem Wollen, einem Widerspruch, den man wohl als tragisch
bezeichnen kann. Sein Wesen macht ihn stark in der künstlerischen
Intuition, im Sehen und Beleben großer Umrisse, im kraftvollen
Anschlagen der Grundstimmungen einer Gedankenwelt, dabei ergreift er
uns oft mit zauberischer Gewalt; sein Wille aber drängte ihn zu einem
systematischen Aufbau, zu einem Durchbilden und Gliedern bis ins
einzelne hinein, und dabei versagte seine Kraft.
Aber es bleibt dabei, daß er die verschiedenen Gebiete und Probleme
des Lebens mit einer Frische und Anschaulichkeit uns nahebringt wie
kein anderer unserer großen Denker, der schwächste Systematiker ist er
zugleich der mächtigste Künstler unter allen. Er hat das Lebensproblem
der Menschheit auf eine Höhe gehoben, die noch immer belebender
Wirkungen fähig ist. So wollen wir dieses Große bei ihm suchen und
uns seiner erfreuen; bei seinen Irrungen aber wollen wir des Wortes
gedenken, das er selbst in seiner Berliner Antrittsvorlesung sprach:
»Hat einer mehr geirrt, so hat er mehr gewagt, hat er sich vom Ziel
verlaufen, so hat er einen Weg verfolgt, den die Vorgänger ihm nicht
verschlossen hatten.«


Schleiermacher

Schleiermachers (1768--1834) geistige Art teilt mit der Schellings
manche Züge. Auch er stand zu Beginn seiner Laufbahn den Romantikern
nahe, auch er hat seine Selbständigkeit gewahrt und ist später weit
über jene hinausgewachsen; auch sein Denken zerlegt die Welt in
Gegensätze, aber es will sie umspannen und sie ohne Verwischung ihrer
Unterschiede zusammenhalten, so namentlich Denken und Sein, Reales
und Ideales, Natur und Geist, Freiheit und Notwendigkeit; auch in
ihm wirkt stark eine künstlerische Art, läßt ihn das Mannigfache
zusammenschauen und beherrscht auch seine Darstellung. Aber zugleich
bleiben beträchtliche Unterschiede. Es fehlt Schleiermacher das
Gigantische und Umwälzende, aber auch das Gewagte und Gewaltsame des
Schellingschen Verfahrens; Schleiermacher stellt sich nicht kühn und
keck der Welt gegenüber, um sie nach seinen Entwürfen umzugestalten,
sondern er versetzt sich liebevoll in die Dinge hinein und sucht sie
bei sich zu beleben, um dann eine fruchtbare Wechselwirkung mit der
eigenen Seele herzustellen. Er schmiedet die Gegensätze nicht mit
diktatorischem Gebot zu einer Einheit zusammen, aber er bringt sie in
ein Verhältnis gegenseitiger Beziehung und Förderung, er verbindet
sie zu einem seelenvollen Gewebe; er führt weniger in stürmischem Zuge
das Leben auf neue Bahnen, als er mit hingebender Betrachtung mehr in
ihm entdeckt, mehr aus ihm macht, seinen ganzen Umfang liebevoll klärt
und veredelt. So ist er durchaus ein Denker eigener Art und will als
solcher gewürdigt sein.
* * * * *
[Randnotiz: Geistesart und Lebensarbeit]
Auch seine Lebensarbeit setzt die Kantische Befreiung des Menschen
von einer fremden Welt voraus, auch im Hinausgehen über Kant hat sie
diese Grundlage festgehalten. Aber wenn auch für Schleiermacher damit
das Subjekt in die erste Linie trat, so hat er ihm ein eigentümliches
Verhältnis zur Wirklichkeit gegeben, das ihn von den Romantikern
deutlich scheidet. Er hat den Hauptstandort des Lebens in der
Innerlichkeit der Seele gesucht, er hat hier nicht nur ein stilles
Heiligtum, sondern auch einen festen Halt gegen die Nöte und Wirren des
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