Die Träger des deutschen Idealismus - 04

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getraust du dich nicht zu reden, so laß es ganz sein. Tue nichts halb!«
Sein Interesse ist ganz überwiegend dem Menschen und dem Menschenleben
zugewandt, hier will er bessern und bekehren, umwandeln und erneuern,
die übrige Welt bleibt ihm bloße Umgebung. Solches Drängen zum
Wirken fordert gerade Linien und entschiedene Antworten; der reine
Denker kann Fragen offenlassen und in der Zurückhaltung selbst eine
Größe erweisen; wer die Menschen zum Handeln aufruft, der darf nicht
zwischen verschiedenen Zielen schwanken und auch nicht auf halbem Wege
stehenbleiben.
[Randnotiz: Das »Ich«]
Aus solcher geistigen Art empfand Fichte die Kantische Begrenzung als
eine unerträgliche Einengung, ja er glaubte erst die volle Konsequenz
der Kantischen Bewegung zu ziehen, Kant selbst erst recht zu verstehen,
wenn er alle solche Schranken niederriß, den Begriff der Dinge an
sich gänzlich strich, die geistige Tätigkeit zu schöpferischem Wirken
aufrief und alle Wirklichkeit als ihr Erzeugnis zu verstehen suchte.
Er konnte das natürlich nicht, ohne im Menschen ein ursprünglicheres
und kräftigeres Leben aufzudecken, als das unmittelbare Seelenleben
zeigt, er fand das im »Ich«, das ihm nicht einen ruhenden Punkt,
sondern ein tätiges Prinzip, ein aus sich selbst bewegtes und
zu sich zurückkehrendes Handeln bedeutete, es war ihm nicht das
einzelne Individuum, sondern als »reines« Ich, als »absolutes« Ich,
als »Intelligenz« eine alle Individuen durchdringende, bewegende,
weitertreibende Macht. Diese Macht sollte mit ihrer durch Satz und
Gegensatz fortschreitenden Bewegung in sicherem Zuge die ganze
Wirklichkeit erzeugen; die Welt aber, die als scheinbar in sich selbst
beruhend uns gegenüberliegt, sollte in diese Tätigkeit zurückgenommen,
dadurch erst wahrhaft durchleuchtet und in ein Reich der Vernunft
verwandelt werden.
* * * * *
Die nähere Ausführung dessen kann uns hier nicht beschäftigen, zur
gerechten Würdigung des Unternehmens sei nur daran erinnert, daß es
einer Zeit angehört, die ganz an den Problemen des Menschenlebens
hing und das Weltall mit feiner Natur ganz im Hintergrunde beließ;
nicht minder sei dessen gedacht, daß die philosophische Arbeit von
hier aus stärkste Antriebe zu einem systematischen Zusammenhange und
zur Anerkennung einer durch den Gegensatz fortschreitenden Bewegung
empfangen hat. Soll doch die »Wissenschaftslehre«, welche die Lehre
von einem absoluten Ich in ihre Konsequenzen zu entwickeln hat, »für
alle möglichen Wissenschaften die Grundsätze und die systematische Form
begründen«.
Wir beschränken uns auf die Darlegung der Hauptantriebe, welche die
Gestaltung des Lebens von dieser Lehre empfangen hat.
[Randnotiz: Das Wollen als Hauptkraft der Seele]
Zunächst erscheint es als ein unermeßlicher Gewinn, wenn nicht von
einer Tatsache, sondern von einem Handeln begonnen wird. »Geht die
Philosophie von der Tatsache aus, so stellt sie sich in die Mitte
des Seins und der Endlichkeit, und es wird ihr schwer werden, aus
dieser einen Weg zum Unendlichen und Übersinnlichen zu finden; geht
sie von der Tathandlung aus, so steht sie gerade auf dem Punkte,
der beide Welten verknüpft, und von welchem aus sie mit Einem Blick
übersehen werden können.« Zugleich wird gezeigt, daß unser Handeln
und Wollen nicht von den Systemen unserer Vorstellungen, sondern daß
das System der Vorstellungen von unserem Triebe und unserem Wollen
abhängt. So wird das Wollen zur Hauptkraft der Seele, zur Kraft,
welche letzthin auch über die Richtung des Denkens entscheidet. »Die
Sphäre unserer Erkenntnis wird bestimmt durch unser Herz; nur durch
unser Streben umfassen wir, was je für uns dasein wird.« Namentlich
ist der Hauptgegensatz in der Stellung zur Welt, wie er nach Fichtes
Ausdruck in Dogmatismus und Idealismus vorliegt, nach ihm nicht durch
wissenschaftliche Erörterung zu entscheiden, sondern er fordert eine
Entscheidung des ganzen Menschen. Der Dogmatismus anerkennt eine
gegebene Welt und macht sich zugleich von ihr abhängig, der Idealismus
hebt über alle solche Bindung hinaus, versteht alle Wirklichkeit aus
dem Handeln der Intelligenz und gewährt uns zugleich volle Freiheit. An
dieser entscheidenden Stelle gilt das Wort: »Was für eine Philosophie
man wähle, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist.«
* * * * *
Das Ziel der Ziele wird hier Selbsttätigkeit um der Selbsttätigkeit
willen, das aber nicht als eine Sache blinden Naturtriebs, sondern
als eine Forderung und eine Pflicht. Es gilt unser empirisches Ich
dem absoluten Ich unterzuordnen und dieses in jenem möglichst rein
darzustellen, unser ganzes Leben verwandelt sich damit in eine Aufgabe
und eine Pflicht, eine Pflicht an erster Stelle nicht gegen andere,
sondern gegen uns selbst, in einen unablässigen Antrieb zur Erringung
unseres echten Wesens, zur Abschüttelung alles dessen, was uns beengt
und niederdrückt, zur Ausbildung voller Freiheit und Selbständigkeit.
Daher ist die Pflicht kein von draußen auferlegtes Gebot, keine bloße
Polizei des Lebens, sondern die stärkste Lebensbewegung selbst, ein
mutiger Aufstieg zur eigenen Höhe.
* * * * *
[Randnotiz: Selbsttätigkeit]
Damit erhält der Mensch den Antrieb, nichts von dem, was er draußen
um sich findet, unbesehens und gutgläubig hinzunehmen, vielmehr
werde alles gewissenhaft geprüft und nichts geduldet, was nicht
aus unserm eigenen Denken und Leben hervorgeht und nicht vor der
Vernunft sein gutes Recht zu erweisen vermag. Auch in unserm Innern
bleibe nichts in trägem Schlummer, werde nichts bloß gewohnheitsmäßig
fortgeführt, sondern alles werde belebt, alles unter der Leitung der
Vernunft zu möglichst kräftiger Betätigung aufgerufen. Als Quelle
aller Laster erscheint hier die Faulheit, als das »radikale Übel« die
Trägheit; eine starre Routine aber, welche die Steigerungsfähigkeit
menschlichen Vermögens verkennt, wird gewarnt, die Stärke, die ein
großer Entschluß geben wird, nicht nach der zu beurteilen, die wir alle
Tage haben. Aller ängstlichen Berechnung des Vermögens stellt Fichte
die Überzeugung entgegen, daß der Mensch kann, was er soll, und daß
er nicht wahrhaft will, wenn er sagt, daß er nicht kann. In diesem
Gedankengange erscheint als der Zweck des Erdenlebens der Menschheit
der, daß sie alle Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft
einrichte, und die Kultur wird definiert als »Übung aller Kräfte auf
den Zweck der völligen Freiheit, der völligen Unabhängigkeit von allem,
was nicht wir selbst, unser reines Selbst ist«. Solcher Überzeugung
wird alles wertvoll, was die Tätigkeit zu steigern verspricht, so das
Bedürfnis, so selbst der Schmerz, indem er zur Tätigkeit reizt.
Als selbstverständlich erscheint dabei die Forderung, daß der Mensch
aus eigener Entscheidung handle und sich nicht durch etwas Fremdes
bestimmen lasse; »sei dir selbst alles oder du bist nichts«; »wer auf
Autorität hin handelt, handelt notwendig gewissenlos«. Nur eigene
Freiheit führt zur Moralität. In unverkennbarem Hinblick auf Kant und
in deutlicher Scheidung von ihm wird die Formel aufgestellt: »Handle
so, daß du die Maxime deines Willens als ewiges Gesetz für dich denken
kannst«; vollkommene Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst
bildet das höchste Ziel.
Aber die Begründung des Menschen auf sein eigenes Wollen und Wesen
bedeutet für Fichte nicht eine Isolierung, nicht eine Absonderung von
andern Menschen. Wie es Fichte persönlich in allem, was er dachte und
tat, zum Menschen und zum Wirken auf den Menschen trieb, so verficht er
auch als Philosoph die Überzeugung, daß der Mensch, als Vernunftswesen,
nur unter Menschen ein Mensch wird.
Die menschliche Gesellschaft ist recht gefaßt nicht eine Hemmung,
sondern eine Förderung der Freiheit und Selbsttätigkeit, sie sei
aber gefaßt als »die Beziehung der vernünftigen Wesen aufeinander«,
ihr Charakter ist »Wechselwirkung durch Freiheit«. Es entwickelt
sich hier das Verhältnis des Rechts. Es kann nämlich das endliche
Vernunftwesen nicht noch andere endliche Vernunftwesen außer sich
annehmen, ohne sich zu diesen in ein bestimmtes Verhältnis zu
setzen, und dies eben nennt man das Rechtsverhältnis. »Ich kann einem
bestimmten Vernunftwesen nur zumuten, mich für ein vernünftiges Wesen
anzuerkennen, inwiefern ich es selbst als ein solches behandle.« So muß
ich meine Freiheit so weit einschränken, daß seine Freiheit möglich
wird. Jede Person hat das Recht, in der Sinnenwelt nur Ursache zu
sein. Das Recht entspringt nicht aus dem Staat, sondern aus unserer
vernünftigen Natur; der Staat erscheint als ein besonderes Mittel zur
Herstellung einer vollkommenen Gesellschaft. »Die Übereinkunft über die
gemeinschaftlichen Rechte in der Sinnenwelt heißt der Staatsvertrag,
und die Gemeine, die übereingekommen ist, der Staat.« Da der Staat
ein bloßes Mittel ist, kann er nicht als Selbstzweck gelten und von
bleibender Dauer sein; es heißt daher: »der Staat geht, wie alle
menschlichen Institute, die bloße Mittel sind, auf seine eigene
Vernichtung aus; es ist der Zweck aller Regierung, die Regierung
überflüssig zu machen«.
[Randnotiz: Der Rechts- und Freiheitsstaat]
So entsteht der Rechts- und Freiheitsstaat, der vor allem den Schutz
der Selbständigkeit der Individuen zum Ziele hat. Es liegt in der
Idee dieses Staates, daß jeder als Staatsbürger an der Gesetzgebung
mitwirke, denn nur so wird das Gesetz sein eigener Wille und erlangt
für ihn eine verpflichtende Kraft. »Kein Mensch kann verbunden werden
ohne durch sich selbst.« Wir dürfen nicht aus unsrer Art andere
beglücken wollen, sondern jeder hat sich selbst zu kultivieren.
Niemand darf sich von der Gemeinschaft absondern und einen Staat
im Staate bilden wollen, niemand überhebe sich über andre; »jeder,
der sich für einen Herrn anderer hält, ist selbst ein Sklave«.
Unterschiede der bürgerlichen Stellung sind unvermeidlich, aber sie
haben zurückzutreten vor der »Gleichheit alles dessen, was menschliches
Angesicht trägt«. Aus solcher Überzeugung erörtert Fichte die Frage,
ob, wenn ein Mensch in Lebensgefahr gerät, ein jeder, wie immer seine
bürgerliche Stellung sei, auch unter Einsetzung seines eigenen Lebens
zur Hilfe verpflichtet sei. Fichte bejaht diese Frage bedingungslos,
da vor dem höchsten Gesetz Menschenleben von gleichem Werte sei; er
billigt durchaus das dem Prinzen Leopold von Braunschweig, der 1785 bei
Rettung Überschwemmter in der Oder ertrank, zugeschriebene Wort: »Hier
gilt es Menschenleben; was bin ich da mehr als ihr?«
* * * * *
Schon in solcher warmen Schätzung des Menschen überschreitet Fichte
den herkömmlichen Rechts- und Freiheitsstaat, er tut es weiter mit
seiner Forderung, dem Gelehrtenstand solle die oberste Aufsicht über
den Fortgang des Menschengeschlechts und die Beförderung dieses
Fortgangs anvertraut werden, er tut es am meisten in der kräftigen
Betonung der sozialen Aufgaben, wie wir es heute nennen würden. Die
Selbständigkeit der Persönlichkeit fordert nach seiner Überzeugung,
daß jeder Staatsbürger ein Eigentum habe; verlangt wird ferner, daß
jeder arbeite und daß er von seiner Arbeit leben könne; »jeder muß
das Unentbehrliche haben, das ist unveräußerliches Menschenrecht«:
entstehen dabei Verwicklungen, so müssen die einen, die in Luxus leben,
Entbehrliches aufgeben, damit die andern Unentbehrliches haben.
Vielleicht haben nach dieser Richtung die Jugenderfahrungen Fichtes
mitgewirkt, jedenfalls bekundet die Wärme, die er gerade bei diesen
Fragen zeigt, wie sehr sie seine Seele bewegen.
* * * * *
Wir werden sehen, wie diese Richtung ihn später zu einem eigentümlichen
Staatsideal geführt hat, müssen aber zunächst einer durchgehenden
Verschiebung seiner Denkart gedenken, die keineswegs einen Abfall von
seiner Hauptrichtung bedeutete, die aber eine Seite an ihr vor der
anderen mehr hervortreten ließ. Mit ganzer Kraft erfaßt Fichte Freiheit
und Selbsttätigkeit als die höchsten Güter, ja als die einzig wahren
Güter. Aber diese Freiheit war ihm nicht eine Eigenschaft des bloßen
Menschen, sondern des Menschen als eines Trägers der Vernunft, als
eines Gliedes des Reiches der Freiheit; die Vernunft aber ist etwas
Ganzes und Gemeinsames, so schließt das Streben nach Vernunft auch die
Sorge für das Ganze und Gemeinsame ein. Daher konnte er sagen, der
moralische Endzweck jedes vernünftigen Wesens sei Selbständigkeit der
Vernunft überhaupt, sei Moralität aller vernünftigen Wesen. So konnte
es schon in dieser ersten Epoche heißen: »Die wahre Tugend besteht im
Handeln, im Handeln für die Gemeine, wobei man sich selbst gänzlich
vergesse.«
* * * * *
[Randnotiz: Der Vorwurf des Atheismus]
Diese Gemeinsamkeit der Vernunft, ihre Einheit, sowie das
Angewiesensein jedes Einzelnen darauf, hob sich aber noch weit mehr
hervor, seit Fichte sich in heftigen Kämpfen gegen den Vorwurf des
Atheismus zu verteidigen hatte. Fichte war im Grunde seines Wesens
eine tiefreligiöse Natur, er hatte durch sein ganzes Leben einen
festen Glauben an eine unmittelbare Leitung seiner Geschicke durch
eine Vorsehung. Aber er begründete und entwickelte seine Überzeugungen
mit philosophischer Freiheit nach eigener Art, und diese Art konnten
Fernerstehende oder gar unfreundlich Gesinnte leicht mißdeuten. Ihm
war das Göttliche die moralische Ordnung, die wir annehmen müssen,
er lehrte aber in dieser Epoche kein besonderes Wesen als die
Ursache jener Weltordnung. Das klang wie Atheismus, war es aber im
Zusammenhange seiner Gedankenwelt nicht, da er überhaupt kein Sein
jenseits der Tätigkeit gelten ließ, sondern es ganz in diese aufnahm.
Er wollte nicht die Seele leugnen, wenn er sagte: »Deine Seele ist
nichts als dein Denken, Begehren, Fühlen selbst«; so wollte er auch
nicht die Gottheit leugnen, wenn er sagte: »Gott ist nichts als das
notwendig anzunehmende Schaffen, Erhalten, Regieren selbst.« Aber
das Mißverständnis war erklärlich, und Fichte hatte harte Angriffe
abzuwehren. Solche Abwehr führte aber dazu, früher im Hintergrunde
stehende Überzeugungen mehr hervorzukehren und damit, wenn auch
unbewußt, eine Verschiebung zu vollziehen. Mit höchster Energie
verficht er von nun an die Überlegenheit des Gottesgedankens. »Die
übersinnliche Welt ist unser Geburtsort und unser einziger fester
Standpunkt, die sinnliche Welt ist nur der Widerschein der ersteren.
Du glaubst nicht an Gott, weil du an die Welt glaubst, du erblickst
vielmehr eine Welt lediglich darum, weil du an Gott zu glauben bestimmt
bist.« In diesem Zusammenhange fällt auch das Wort, die Welt sei
nur das »versinnlichte Materiale unserer Pflicht«. So sehr er daran
festhält, daß Moralität und Religion eins sind, beides ein Ergreifen
eines Übersinnlichen, das erste durch Tun, das zweite durch Glauben, so
wird ihm Gott doch mehr als eine moralische Ordnung, er erscheint als
»selbsttätige Vernunft«, auch als Wille, in dem unser Wille wirkt, und
von dem die Stimme des Gewissens kommt; es entwickelt sich damit weit
mehr ein persönliches Verhältnis, eine Hingebung an die höhere Macht,
ein Voranstellen der Liebe vor das Handeln, eine weichere und innigere
Gemütsstimmung. So entsteht eine moderne Mystik und findet in der
Anweisung zum seligen Leben einen glutvollen Ausdruck. Das menschliche
Leben erscheint hier als vom göttlichen getragen, das unmittelbar in
der Seele gegenwärtig ist, das aber ergriffen und angeeignet werden
muß, wenn der Mensch vollen Anteil an göttlicher Liebe und Seligkeit
gewinnen will. Der Zustand der Seligkeit aber ist für Fichte nichts
anderes als die Zurückziehung unsrer Liebe aus dem Mannigfaltigen auf
das Eine. Diese Seligkeit sollen wir ja nicht erst im Jenseits suchen
und damit die Religion in ein bloßes Harren und Hoffen verwandeln, da
uns das Göttliche nie näher kommt als es schon hier und heute ist.
»Durch das bloße Sichbegrabenlassen kommt man nicht in die Seligkeit.«
Die Religion erhebt ihren Jünger unmittelbar über die Zeit und
Vereinzelung und versetzt ihn in den Besitz der ewigen Einheit. So
heißt es denn:
[Randnotiz: Das Ewig-Eine]
Das Ewig-Eine
Lebt mir im Leben, sieht in meinem Sehen.
Gar klar die Hülle sich vor dir erhebet,
Dein Ich ist sie; es sterbe was vernichtbar,
Und fortan lebt nur Gott in deinem Streben.
Durchschaue was dies Sterben überlebet,
So wird die Hülle dir als Hülle sichtbar,
Und unverschleiert siehst du göttlich Leben.
Eine Religion, die so auf das Grundmenschliche, einem jeden in innerer
Erhebung unmittelbar Zugängliche gerichtet ist, kann sich nicht auf
historische Daten und auf sinnliche Wunder stützen. Mit vollem Eifer
dringt Fichte darauf, daß die Anerkennung der höheren Welt unabhängig
gemacht werde vom historischen Glauben und von der Gemütslage der
einzelnen Menschen. Selig, so meint er, macht nicht das Historische,
sondern nur das Metaphysische. Beides sei deutlich auseinandergehalten.
»Man sage nicht, was schadets, wenn auch auf dieses Historische
gehalten wird. Es schadet, wenn Nebensachen in gleichen Rang mit
der Hauptsache gestellt oder wohl gar für die Hauptsache ausgegeben,
und diese dadurch unterdrückt und die Gewissen geängstigt werden, zu
begreifen und zu glauben, was sie unter solcher Anweisung nimmermehr
glauben können.« Gewiß ist echter Religion das Wunder unentbehrlich,
aber der Denker kann dieses nicht in einmaligen geschichtlichen
Ereignissen, sondern nur in fortlaufenden Bekundungen göttlichen
Lebens finden. »Diese Wunder in der Sinnenwelt (vom Himmel) leugne ich
entschieden, lehrend übrigens einen lebendigen und wirkenden Gott in
der Geisterwelt. Daß er allen, die zu ihm sich nahen, ein neues Herz
schafft, ist sein ewiges großes Wunder.«
* * * * *
Das Bild, das Fichte aus solchen Überzeugungen vom Stande der
Menschheit entwirft, kann nicht wohl günstig sein. Freilich hat er es
immer abgelehnt, den Menschen als von Natur verderbt, als einen ganz
und gar auf übernatürliche Rettung angewiesenen Sünder zu betrachten,
aber wenn er ihn nach seinen Maßstäben mißt, so findet er ihn matt,
träge, schwankend, überall zur Halbheit und Bequemlichkeit geneigt,
in weitem Abstand von dem, was die Idee der Menschheit fordert.
Den Glauben an diese Idee kann ihm aber alle Unzulänglichkeit des
vorgefundenen Standes nicht im mindesten erschüttern. »Von der
unmittelbaren Wirklichkeit kann man oft nicht schlecht genug denken. So
niedrig man oft ihr Bild nimmt, so übertrifft es doch die Erfahrung.
Wer aber von der Menschheit nach ihrem allgemeinen Vermögen schlecht
denkt, der lästert die Vernunft und verurteilt nebenbei sich selbst.«
Auch an der eigenen Zeit findet Fichte wenig Gefallen. Sie läßt, wie
er meint, nur die sinnliche Existenz der Individuen gelten, macht das
Verständnis dieser zum Maßstab aller Wahrheit und entbehrt lebendiger
und belebender Leitgedanken. Vor trübem Verzagen aber schützt unsern
Denker nicht nur seine prinzipielle Überzeugung, sondern auch seine
Fassung der Geschichte. Er glaubt nämlich in ihr eine aller Irrung der
einzelnen überlegene Bewegung zu finden, eine Bewegung zu dem Ziel, daß
die Menschheit alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft
einrichte, daß sie sich in Freiheit zu dem mache, worauf die Natur sie
angelegt hat. Eine derartige Bewegung sucht er in ihren Hauptzügen
näher aufzuweisen. Sie begann mit einem Unschuldsstande; dieser mußte
zugunsten der Freiheit verlassen werden; die nächste Betätigung dieser
war ein Abfall, aber aus ihm ringt der Mensch sich wieder empor, um
dann in unablässigem Fortschritt jenes Ziel einer freien Vernunft zu
erreichen. Auch das Ideal eines ewigen Friedens wird in solche Hoffnung
eingeschlossen.
* * * * *
[Randnotiz: Die Bestimmung des Menschen]
Ein Gesamtbild des menschlichen Lebens entwirft Fichte in der Schrift:
»Die Bestimmung des Menschen«, die sich nicht an Fachphilosophen
wendet, sondern Leser aller Kreise anziehen, erwärmen und »kräftig
von der Sinnlichkeit zum Übersinnlichen fortreißen« möchte. In
schwungvoller, bisweilen ans Rhetorische streifender Darstellung wird
hier zunächst der Gegensatz eines an die gegebene Welt gebundenen
Spinozismus und einer Lebensführung aus Selbsttätigkeit vor Augen
gestellt, dann aber ein Überblick des Lebens von der letzteren
Überzeugung aus gegeben.
Dem Spinozismus entsteht und entwickelt sich auch der Denkende nach
Naturgesetzen, die Freiheit ist bloßer Schein, »der Tugendhafte ist
eine edle, der Lasterhafte eine unedle und verwerfliche, jedoch aus
dem Zusammenhange des Universums notwendige Natur«. Der Freiheitslehre
aber gilt die Überzeugung: »Von dem Bedürfnis des Handelns geht das
Bewußtsein der wirklichen Welt aus, nicht umgekehrt vom Bewußtsein der
Welt das Bedürfnis des Handelns; dieses ist das erste, nicht jenes,
jenes ist das Abgeleitete. Wir handeln nicht, weil wir erkennen,
sondern wir erkennen, weil wir zu handeln bestimmt sind, die praktische
Vernunft ist die Wurzel aller Vernunft.« Aus dem übersinnlichen Wesen
des Menschen schöpfen wir nicht nur Mut und Kraft für das Leben,
sondern auch eine felsenfeste Überzeugung von unserer Unsterblichkeit.
»Aller Tod in der Natur ist Geburt, und gerade im Sterben erscheint
sichtbar die Erhöhung des Lebens. Es ist kein tötendes Prinzip in der
Natur, denn die Natur ist durchaus lauter Leben, nicht der Tod tötet,
sondern das lebendigere Leben, welches, hinter dem alten verborgen,
beginnt und sich entwickelt. Tod und Geburt ist bloß das Ringen des
Lebens mit sich selbst, um sich stets verklärter und ihm selbst
ähnlicher darzustellen.«
* * * * *
[Randnotiz: Der geschlossene Handelsstaat]
Auch die spätere Epoche Fichtes zeigt im einzelnen manche Bewegung,
doch müssen wir uns hier auf das beschränken, was das politische und
nationale Leben betrifft. Hier sind Wandlungen besonders greifbar,
es erfolgt dabei eine immer weitere Entfernung von dem Rechts- und
Freiheitsstaat des Anfangs, freilich unter entschiedener Wahrung
der Selbsttätigkeit und des gleichen Rechtes aller Menschen. Eine
merkwürdige Erscheinung ist zunächst »der geschlossene Handelsstaat«
(1800), der das ganze wirtschaftliche Leben der Menschen auf eine
neue Grundlage stellen und damit eine wesentliche innere Hebung des
Ganzen herbeiführen möchte. Gleich zu Anfang äußert Fichte sich dahin,
die Zurückweisung des falschen Satzes, der Staat sei unumschränkter
Vormünder der Menschheit für alle ihre Angelegenheiten, habe zu einem
ebenso falschen Gegensatze geführt, zu einer zu engen Beschränkung
der Pflichten und der Rechte des Staates. Im besonderen genüge es
nicht, daß der Staat einen jeden in seinem Eigentum schütze, er müsse
vielmehr zuerst dafür sorgen, daß jeder ein Eigentum habe; dann
erst könne er ihn darin schützen. Fichte erklärt es für den wahren
Zweck des Staates, allen zu demjenigen zu verhelfen, was ihnen als
Teilhabern der Menschheit gehört, es gehört dazu aber nach seiner
durchgehenden Überzeugung ein gewisses Eigentum, sowie auch das Recht,
so echt menschlich auf der Erde zu leben, als es die Natur nur irgend
gestattet. »Der Mensch soll arbeiten; aber nicht wie ein Lasttier, das
unter seiner Bürde in den Schlaf sinkt und nach der notdürftigsten
Erholung der erschöpften Kraft zum Tragen derselben Bürde wieder
aufgestört wird. Er soll angstlos, mit Lust und mit Freudigkeit
arbeiten und Zeit übrig behalten, seinen Geist und sein Auge zum Himmel
zu erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist. Er soll nicht gerade mit
seinem Lasttier essen, sondern seine Speise soll von desselben Futter,
seine Wohnung von desselben Stalle sich ebenso unterscheiden, wie sein
Körperbau von jenes Körperbau unterschieden ist. Dies ist sein Recht,
darum weil er nun einmal ein Mensch ist.« So ist es Fichte, der aus
der hohen Schätzung, welche der deutsche Idealismus dem Menschen als
Menschen zollt, auch die sozialen Konsequenzen zieht.
* * * * *
[Randnotiz: Organisation der Arbeit]
Das Mittel aber, das Fichte zur Erreichung jenes Zweckes für
notwendig hält, bezeichnet schon der Titel der Schrift »Der
geschlossene Handelsstaat«. Der Denker möchte die verschiedenen
Staaten wirtschaftlich ganz auf sich selber stellen, den einzelnen
Bürgern einen Handel mit dem Ausland streng verbieten, ein Landesgeld
einführen, das nur innerhalb des besonderen Staates gilt; weiter will
er innerhalb der Staaten die Arbeit organisieren, der Staat soll ihre
Verteilung gewissenhaft überwachen und sowohl dafür sorgen, daß ein
Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion erhalten bleibt, als
auch dafür, daß jeder einzelne den ihm zukommenden Besitz erhält und
ein menschenwürdiges Auskommen findet.
* * * * *
In diesem Zusammenhange wird eine Forderung erhoben, für die wir
Deutschen gerade in der gegenwärtigen Kriegslage ein entgegenkommendes
Verständnis haben. Fichte verlangt nämlich zur vollen Unabhängigkeit
des Landes, daß möglichst alle notwendigen Waren innerhalb seiner
Grenzen hervorgebracht werden, er fordert uns auf, wenn gewisse
Rohstoffe sich nicht in unserem Klima erzeugen lassen, stellvertretende
Stoffe anzubauen und zu veredeln. »Fast jedes Klima hat seine eigenen
Stellvertreter für jedes ausländische Produkt, nur daß der erste Anbau
die Mühe nicht lohnt.« So hält er z. B. einen Ersatz für Baumwolle für
ganz wohl möglich. »Tragen nicht mehrere Grasarten, Stauden, Bäume
in unseren Klimaten eine wohl ebenso feine und durch Kultur sehr zu
veredelnde Wolle?« Wir wissen, wie dies Problem auch die Gegenwart
beschäftigt; was Fichte überhaupt erstrebt, die Herstellung einer
vollen wirtschaftlichen Selbständigkeit unseres Staates, das zu suchen
hat uns die Not des Krieges gezwungen.
Fichte kann die Staaten nicht so scharf gegen einander abschließen,
ohne daß auch die Frage eines eigentümlichen Nationalcharakters
auftaucht. Das Bedenken, daß durch solche gegenseitige Abschließung die
Vielseitigkeit der Bildung Schaden leide, weist er energisch zurück.
»Wohl: wenn wir nur erst Völker und Nationen wären, und irgendwo
eine feste Nationalbildung vorhanden wäre, die durch den Umgang der
Völker miteinander in eine allseitige, rein menschliche übergehen und
zusammenschmelzen könnte. Aber, so wie mir es scheint, sind wir über
dem Bestreben, alles zu sein und allenthalben zu Hause, nichts recht
und ganz geworden und befinden uns nirgends zu Hause.« Das stimmt zu
dem Bilde, das Frau v. Staël in ihrem Buch über Deutschland von den
Deutschen jener Zeit entwarf. Auch sie meinte, der Deutsche kenne alle
Zeiten, nur nicht die Gegenwart, er sei überall zu Hause, nur nicht bei
sich selbst.
* * * * *
Fichte erwartet übrigens zuversichtlich vom Allgemeinwerden des
vorgeschlagenen Systems einen ewigen Frieden zwischen den Völkern,
da sie sich dann gegenseitig gar nicht mehr stören würden. Für einen
inneren Zusammenhang der Menschheit aber wird die Wissenschaft Sorge
tragen. »Es gibt nichts, das allen Unterschied der Lage und der
Völker rein aufhebe und bloß und lediglich dem Menschen als solchen,
nicht aber dem Bürger angehöre, außer der Wissenschaft. Durch diese,
aber auch nur durch sie, werden und sollen die Menschen fortdauernd
zusammenhängen, nachdem für alles übrige ihre Absonderung in Völker
vollendet ist. Nur diese bleibt ihr Gemeinbesitz, nachdem sie alles
übrige unter sich geteilt haben.«
* * * * *
Wie weit hat sich hier der Denker von dem Rechts- und Freiheitsstaat
des Anfangs entfernt! Die Sorge, daß jeder einzelne zur Entfaltung
seiner Kräfte und zu einem menschenwürdigen Dasein gelange, überwiegt
augenscheinlich die um die Freiheit seiner Bewegung.
* * * * *
[Randnotiz: Die Wendung zum Kulturstaat]
In anderer Richtung erscheint bei Fichte eine Wendung zum Kulturstaat,
so namentlich in den »Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters«, die
bis nahe zu der politischen Katastrophe von 1806 reichen, und deren
Fortsetzung ursprünglich die Reden an die deutsche Nation bilden
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