Die Träger des deutschen Idealismus - 09

Total number of words is 4073
Total number of unique words is 1404
40.9 of words are in the 2000 most common words
54.9 of words are in the 5000 most common words
61.4 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
immer schätzt er das Individuum nur als eine Verkörperung des Ganzen.
»Das Gesetztsein der an sich selbst gleichen und selbigen Vernunft
zu einer Besonderheit des Daseins«, das bleibt der Grundstein seiner
Überzeugung und zugleich der Quell eines eigentümlichen Lebens.
* * * * *
Weiter aber hat Schleiermacher eine besondere Stärke darin, alle
Lebensverhältnisse in eine ethische Beleuchtung zu stellen, und
damit auch das zu vertiefen, ja zu heiligen, was leicht der bloßen
Oberfläche des Lebens anzugehören scheint. Über Ehe, über häusliches
Leben, über Erziehung usw., auch über gesellige Umgangsformen ist kaum
je treffender und edler gesprochen worden als von Schleiermacher. In
höchstem Maße schätzt er aber Staat und Vaterland, er erweist sich in
ihrer Verfechtung als einen der tüchtigsten und mutigsten Vorkämpfer
unseres Volkes vor und in den Freiheitskriegen. Mit Unrecht wird das
Große, das er in dieser Richtung gewirkt hat, hinter die Leistung
Fichtes ganz und gar zurückgestellt; man kann diesen sehr schätzen
und muß es dennoch unrichtig finden, wenn er als der einzige geistige
Führer der Befreiungskriege hingestellt wird, da Schleiermachers Wirken
dem seinigen durchaus ebenbürtig war.
* * * * *
[Randnotiz: Beteiligung am bürgerlichen Leben]
Schleiermacher brauchte nicht erst durch die Katastrophe von Jena
aus dem Weltbürgertum aufgerüttelt zu werden wie Fichte, er hat
sich schon vorher als sein Gegner bekannt, er hat gemäß seiner
Richtung auf Individualität und Mannigfaltigkeit stets sowohl den
allgemeinen Gedanken der Nation als seinen besonderen Staat in hohen
Ehren gehalten. Kurz vor jener Schlacht bekennt er die Überzeugung,
jedes Volk solle durch seine besondere Einrichtung und Lage eine
besondere Seite des göttlichen Ebenbildes darstellen; der Sache
der Menschheit dienen könne man nur, wenn man vom Wert des eigenen
Volkes überzeugt sei. »Nur wer die Bestimmung des eigenen Volkes
kennt, wird die rechte Freude haben an der Sache der Menschheit.« So
hat er wiederholt schöne Worte gesprochen über die Bedeutung eines
Volkes, zugleich hat er Pflichten des einzelnen daraus abgeleitet.
»Ein Volk ist ein ausdauerndes Gewächs in dem Garten Gottes; es
überlebt manchen traurigen Winter, der es seiner Zierden beraubt, und
oft wiederholt es seine Blüten und Früchte.« »Ein Volk soll eine
lange Reihe aufeinanderfolgender Geschlechter aufs engste verbinden,
die alte heilige Gemeinschaft ihr Recht in jedem Gemüt ausüben und
das Gemeinwesen jedem wichtiger sein als alles, was sich auf sein
persönliches Wohl bezieht.« Demgemäß hat Schleiermacher eine allgemeine
Beteiligung am öffentlichen Leben für eine Pflicht im besondern auch
des Christen erklärt. Er findet es, so spricht es eine Predigt von 1809
aus, dem Christentum widersprechend, nur um der Strafe willen untertan
zu sein und nur zu gehorchen, um ein Übel zu vermeiden. Denn das Wesen
der Frömmigkeit sei Selbständigkeit und fester Mut -- wer aber nicht
aus Lust und Liebe sich am bürgerlichen Leben beteilige, der verliere
diesen Geist. Solcher Schätzung des Volkes und eines politischen
Wirkens entsprach die entschiedenste Absage an den Kosmopolitismus
jener Zeit. Schon vor der großen Katastrophe mahnte Schleiermacher:
»Wer anstatt auf sein Volk und mit seinem Vaterlande zu wirken,
sich weiter ausstreckt und es gleich auf das Ganze des menschlichen
Geschlechts anlegt, der wird in der Tat erniedrigt, anstatt erhöht zu
werden. Denn wer jene große Haltung, jene mächtige Hilfe verschmäht,
kann doch auf das Ganze unmittelbar nicht anders wirken, als indem
er als einzelner auf einzelne wirkt.« Mit großer Energie verwirft er
»die gemeine Rede, die, dem Himmel sei Dank, noch jung ist und nur
einer schlechten erschlafften Zeit angehört, daß die wissenschaftlich
Gebildeten am wenigsten ein Vaterland hätten«. Dem setzt er die Worte
entgegen: »Alle, die Gott zu etwas Großem berufen hat in dem Gebiete
der Wissenschaften, in den Angelegenheiten der Religion, sind immer
solche gewesen, die von ganzem Herzen ihrem Vaterlande und ihrem Volke
anhingen und dieses fördern, heilen, stärken wollten.« Auch den Krieg
für das Vaterland findet er mit seiner religiösen Überzeugung ganz wohl
vereinbar: »Wo Gott ist, ist Friede; wo das Göttliche sich erst bildet,
Streit.« »Gott kämpft immer gegen das Böse und bleibt ein Gott des
Friedens.«
* * * * *
Solche Schätzung hat Schleiermacher naturgemäß an erster Stelle seinem
eigenen Volk und Vaterlande gezollt. Schon in einer wenig beachteten
Stelle der Reden über die Religion (1799) hat er das »väterliche
Land« im Gegensatz zu England und Frankreich als eine besonders
geeignete Stätte »für heilige und göttliche Dinge« gepriesen; als dann
die schwere Erschütterung kam, hat er seine nationale Überzeugung
noch kräftiger bekannt und inmitten aller Wirren und Zweifel sie
unerschütterlich festgehalten.
In einem Augenblick, wo nach der großen Katastrophe alle Aussicht auf
einen Aufstieg zu verschwinden schien, schrieb er die Worte: »Niemals
kann ich dahin kommen, am Vaterland zu verzweifeln. Ich glaube zu fest
daran, ich weiß es zu bestimmt, daß es ein auserwähltes Werkzeug und
Volk Gottes ist. Es ist möglich, daß alle unsere Bemühungen vergeblich
sind und vorderhand harte und drückende Zeiten eintreten -- aber das
Vaterland wird gewiß herrlich daraus hervorgehen in kurzem.« In solcher
Gesinnung hat Schleiermacher in den Jahren der Vorbereitung und der
Erhebung aufs kräftigste gewirkt, er hat auch politische Sendungen
übernommen, besonders aber hat er weiteste Kreise durch seine Predigten
in Berlin bewegt, von denen nach allgemeinem Zeugnis eine gewaltige
Kraft der Befestigung und der Erneuerung ausgegangen ist. Den Höhepunkt
dieses Wirkens bildete seine Predigt am 28. März 1813 bei der Feier des
Kriegsanfanges. Ihm zu Füßen saßen die Freiwilligen, die ihre Gewehre
draußen an die Wand der Kirche gelehnt hatten. Von der Wirkung dieser
Predigt wird berichtet: »Und als er zuletzt noch mit dem Feuer der
Begeisterung die zum Kampfe gerüsteten edeln Jünglinge anredete, dann
an deren großenteils anwesende Mütter sich wandte -- da durchzuckte es
die ganze Versammlung, und in das laute Weinen und Schluchzen derselben
rief Schleiermacher sein versiegelndes Amen.«
* * * * *
[Randnotiz: Volk und Vaterland]
Schleiermacher hat sich dabei Volk und Vaterland stets in engster
Verbindung mit dem Staate und seiner Verbindung der Kräfte zu einer
dauernden Einheit gedacht. Besonders dem preußischen Staate war
seine treue Hingebung zugewandt, und von ihm hat er alles Heil für
Deutschlands Zukunft erwartet. Wie klar er in diese Zukunft sah, das
zeigen Äußerungen vom 12. Juni 1813 (in einem Briefe an Friedrich
Schlegel): »Nach der Befreiung ist mein höchster Wunsch auf ein wahres
deutsches Kaisertum, kräftig und nach außen hin allein das ganze
deutsche Volk und Land repräsentierend, das aber wieder nach innen den
einzelnen Ländern und ihren Fürsten recht viele Freiheit läßt, sich
nach ihrer Eigentümlichkeit auszubilden und zu regieren.« Österreich
ward dabei ausgeschlossen. So sah Schleiermacher das Werk des Mannes
voraus, der später unter seinen Konfirmanden war.
* * * * *
Alles zusammen rechtfertigt es vollauf, daß wir auch Schleiermacher
zu den Hauptträgern des deutschen Idealismus rechnen, ihn als solchen
achten und ehren. Uns Deutsche treibt unsere Natur mit gleicher Stärke
sowohl zum Aufbau einer unsichtbaren Welt im Reiche des Gedankens und
Gemütes als zu einem kräftigen Wirken und Schaffen in der sichtbaren
Welt; daß beides nicht nur aufs beste vereinbar ist, sondern sich
gegenseitig zu fördern vermag, das zeigt uns die Persönlichkeit und das
Lebenswerk Schleiermachers.


Hegel

Unter den Nachfolgern Kants hat auf das Ganze des Geisteslebens niemand
größeren Einfluß geübt als Hegel (1770--1831), zeitweilig hatte er auch
Kant in den Hintergrund gedrängt; rasch ist dann ein jäher Rückschlag
gekommen, aber wenn Hegel längere Zeit überwiegend Widerspruch und
Ablehnung fand, so hat er niemals aufgehört, auf das Kulturleben stark
zu wirken; das wird neuerdings immer mehr anerkannt, und es wächst
zugleich das Verlangen nach einer unbefangenen Würdigung des zweifellos
hervorragenden Denkers.
* * * * *
Hegel ist im Kreise der deutschen Denker vornehmlich der Logiker
und Systematiker, in sicherem und ruhigem Fortgang hat er seine
Gedankenwelt herausgearbeitet und seine Art der Betrachtung über alle
Gebiete ausgedehnt. Man muß bis Aristoteles zurückgehen, um ein System
zu finden, das so sehr alle Verzweigung des Lebens in seine Beleuchtung
gestellt hat; ja in der Straffheit der Anordnung dürfte Hegel selbst
Aristoteles übertreffen. Dagegen fehlt ihm dessen ruhige, alle Fülle
des einzelnen liebevoll aneignende und in ihrer Eigentümlichkeit
anerkennende Art, eine starke Gewaltsamkeit ist bei Hegel nicht zu
verkennen. Aber es bleibt die Größe und der Reiz der Gestaltung der
gesamten Gedankenwelt aus einem einzigen Guß, dazu erhalten in dieser
Gestaltung Bewegungen eine philosophische Verkörperung und Steigerung,
welche dem Ganzen der modernen Kultur eigentümlich und wesentlich sind.
Hegel selbst ist ein wichtiges Glied der allgemeinen Kulturbewegung,
schon deshalb verlangt und verdient er eine eingehende Würdigung.
* * * * *
[Randnotiz: Hegel und Kant]
Auch Hegel läßt sich nur von Kant aus verstehen. Kant hatte das Denken
und mit ihm das Erkennen über die bloßen Individuen hinausgehoben, er
hatte ihm eigne Gesetze und Kräfte zuerkannt, ja er hatte in ihm das
Vermögen eines Weltbildens aufgedeckt. Aber nach seiner Überzeugung
blieb bei Entwicklung dieses Vermögens das Denken an einen fremden
Stoff gebunden, bei Ablösung davon schien es in völlige Leere zu
fallen. Allem Streben des Menschen, die letzten Tiefen der Wirklichkeit
zu ergründen, ward damit eine unüberwindliche Schranke gesetzt. Hegel
glaubte, diese Schranke überschreiten, das Denken von der Bindung an
den Stoff befreien, es ganz auf sich selber stellen und in ein Erzeugen
der Wirklichkeit verwandeln zu können. Es schien ihm das dadurch
erreichbar, daß er das Denken nicht als eine geschlossene Größe,
sondern als ein Werdendes, als ein Sichselbersuchen und -vollenden,
als einen aus sich selbst fortschreitenden Prozeß verstand, einen
Prozeß, der im Hindurchgehen durch Satz und Gegensatz immer mehr
Gehalt gewinnt und schließlich die ganze Welt als sein eignes Werk
erkennt. Die Philosophie wird hier zur Beschäftigung des Denkens mit
sich selbst, von allgemeinsten Umrissen beginnend scheint es dadurch
fortzuschreiten, daß es Widersprüche sowohl aus sich hervortreibt
als sie überwindet, daß es somit auseinander geht und sich wieder
zusammenfaßt; die Logik, welche seine Gesetze ermittelt, scheint nicht
neben der Wirklichkeit zu stehen, sondern ihre innerste Seele und ihre
treibende Kraft zu bilden; »es ist ihr nicht um ein Denken über etwas,
das für sich außer dem Denken zugrunde läge, zu tun, um Formen, welche
bloße Merkmale der Wahrheit abgeben sollten, sondern die notwendigen
Formen und eignen Bestimmungen des Denkens sind der Inhalt und die
höchste Wahrheit selbst.«
Von der Welt aus angesehen hat die Philosophie die Aufgabe, die
Zerstreuung des ersten Anblicks zu überwinden, alle Mannigfaltigkeit
aus der Entfaltung eines Ganzen zu verstehen, alles scheinbar Ruhende
in Fluß zu bringen, die verschiedenen Seiten und Beziehungen der Dinge
als gegenseitig bedingt und aufeinander angewiesen zu begreifen, die
bloße Tatsächlichkeit in Notwendigkeit zu verwandeln. In dem »bunten
Spiel der Welt, als des Inbegriffs des Existierenden, zeigt sich
zunächst nirgends ein fester Halt, alles erscheint hier nur als ein
Relatives, bedingt durch anderes und ebenso anderes bedingend.« Die
Philosophie gewährt diesen Halt, sie läßt vom Ganzen her sehen und aus
seiner Bewegung alles einzelne verstehen. »Das Wesen ist das Ganze, das
Ganze aber ist nur das sich durch seine Entwicklung vollendende Wesen.«
Daher ist Wahrheit des Erkennens hier nicht eine Übereinstimmung mit
der Welt, wie sie um uns liegt, sondern zu ihrer Erreichung bedarf
es einer Umwandlung und Durchleuchtung dieser Welt; die Welt denken
heißt hier »ihre empirische Form umändern und sie in ein Allgemeines
verwandeln«.
Dies Allgemeine bedeutet hier nicht eine bloße Gemeinschaft gewisser
Eigenschaften, sondern ein unendliches Gesamtleben, das die Welt
in sich trägt und sie aus sich heraus entwickelt. »Das wahrhafte
unendliche Allgemeine ist schöpferische Macht.« Daß dieses Unendliche,
das Ganze und Allgemeine, als das wahrhaft Seiende anerkannt werde,
nicht aber das Endliche als solches gelte, da es in Wahrheit nur in
jenem ist, darin wird hier der Idealismus der Philosophie gesetzt.
* * * * *
[Randnotiz: Denken und Wirklichkeit]
Indem so das Denken bei sich selbst eine Geschichte gewinnt, es
zugleich aber als der Kern aller Wirklichkeit gilt, trägt es in alle
Gebiete eine geschichtliche Bewegung hinein, und zwar eine Bewegung,
die sich nicht in ruhigem Aufstieg allmählich, sondern durch Gegensatz
und Kampf hindurch in großen Umwälzungen vollzieht. Aus dem Ja wächst
alsbald ein Nein hervor, über These und Antithese treibt es hinaus zu
einer überlegenen Synthese, aber aus dieser entsteht bald wieder ein
Gegensatz, und so geht es weiter und weiter, bis endlich das Denken
sich völlig durchgebildet und sich zugleich des ganzen Umfangs der
Wirklichkeit bemächtigt hat und in ihr sein eignes Werk erkennt.
* * * * *
Diese Fassung des Denkens muß auch Hegels Verfahren gegen das Kants
aufs wesentlichste verändern. Kant beginnt von Gesamtleistungen,
vornehmlich der Bildung einer Erfahrung, als unbestreitbaren Tatsachen,
und ermittelt dann, was an geistigem Vermögen in diesen Tatsachen
steckt, seine Methode ist daher analytisch-regressiv; die Hegels
dagegen ist synthetisch-progressiv, sie hat ihre Stärke darin, die
Begriffe einander zu verketten, alles Starre in Fluß zu bringen, vom
einen zum andern überzuleiten, an jedem Punkt die Bewegung des Ganzen
gegenwärtig zu halten.
Dieses Selbständigwerden des Denkens und sein weltbildendes Schaffen
aus eignen Gesetzen und Kräften stellt an den Menschen eigentümliche
Forderungen. Er hat sich jener Bewegung unbedingt unterzuordnen und
ihren Notwendigkeiten willig zu folgen, er muß sich hüten, seine
eignen Meinungen und Zwecke in sie hineinzutragen und dadurch ihr
Bild zu verzerren. In solcher freien Unterordnung unter den Lauf des
Ganzen besteht alle echte Moral. Hat aber der Mensch die Unterordnung
vollzogen und sich ganz in die Bewegung des Denkens versetzt, so darf
er volles Vertrauen daraus haben im Reiche der Wahrheit zu stehen.
Denn die in uns waltende Vernunft ist Vernunft überhaupt, ist das
Göttliche im Menschen, nicht etwas Bloßmenschliches. »Der Geist,
sofern er Geist Gottes ist, ist nicht ein Geist jenseits der Sterne,
jenseits der Welt, sondern Gott ist gegenwärtig, allgegenwärtig und als
Geist in allen Geistern.« So dürfen wir nicht nur guten Mutes bei der
Erforschung der Wahrheit sein, wir müssen es sein, um unsere Kraft voll
einzusetzen: »Der Mut der Wahrheit, Glaube an die Macht des Geistes ist
die erste Bedingung des philosophischen Studiums, der Mensch soll sich
selbst ehren und sich des Höchsten würdig achten. Von der Größe und
Macht des Geistes kann er nicht groß genug denken. Das verschlossene
Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mut des
Erkennens Widerstand leisten könnte; es muß sich vor ihm auftun und
seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse
bringen.«
[Randnotiz: Größe und Macht des Geistes]
»Was im Leben wahr, groß und göttlich ist, ist es durch die Idee;
das Ziel des Philosophen ist, sie in ihrer wahrhaften Gestalt und
Allgemeinheit zu erfassen. Die Natur ist darunter gebunden, die
Vernunft nur mit Notwendigkeit zu vollbringen; aber das Reich des
Geistes ist das Reich der Freiheit. Alles was das menschliche Leben
zusammenhält, was Wert hat und gilt, ist geistiger Natur, und dies
Reich des Geistes existiert allein durch das Bewußtsein von Wahrheit
und Recht, durch das Erfassen der Ideen.«
In diesem Zusammenhange stellt sich das Geschick alles einzelnen, des
Individuums, eines Volkes, eines Zeitabschnittes, höchst eigentümlich
dar. Sie sind bloße Stücke der Bewegung, die durch sie hindurch sich
vollzieht, sie dürfen davon abgesondert nichts sein und bedeuten
wollen; über sie geht mit Unerbittlichkeit der Lauf des Ganzen hinweg,
eben in dem Augenblick, wo etwas seine höchste Reife erreicht, beginnt
sein Untergang; nachdem es sein Werk getan, hat es kein Recht weiter
fortzubestehen. So verknüpft sich Werden und Vergehen, und es wird das
Leben ein unablässiges Sterben. Aber dies Sterben ist keine völlige
Vernichtung, das äußere Verschwinden kein gänzlicher Untergang. Denn
was »aufgehoben« d. h. vernichtet wird in seinem besonderen Sein, das
wird »aufgehoben«, d. h. bewahrt als ein Stück und eine Stufe des
Ganzen, innerhalb seiner wirkt es zeitüberlegen fort. So brauchen wir
uns nur in das Ganze zu versetzen, um eine Auferstehung des Gestorbenen
zu erleben und in einen bleibenden Besitz zu verwandeln, was äußerlich
vorüberzog und scheinbar als Vergangenheit hinter uns liegt. So ist
die altgriechische Welt äußerlich untergegangen aber sie ist darum
nicht gänzlich erloschen, sie wirkt mit ihrer Wahrheit und Schönheit
innerhalb unseres eignen Lebens fort und ist ihm gegenwärtig zu halten,
sie ist die unentbehrliche und die beharrende Voraussetzung aller
weiteren geistigen Arbeit. So gewiß demnach die geistige Bewegung
innerhalb der Zeit verläuft, sie wird keineswegs der bloßen Zeit
ausgeliefert, sie erhebt sich immerfort über sie und erreicht eine
Betrachtung der Welt »unter der Form der Ewigkeit« (~sub specie
aeternitatis~).
* * * * *
[Randnotiz: Die Vernunft der Wirklichkeit]
Wie hier durchgängig ein fester Glaube an die Vernunft der Wirklichkeit
waltet, so wird zur Hauptaufgabe der Philosophie, diese Vernunft zu
voller Klarheit herauszustellen; sie soll nicht belehren, wie die Welt
sein soll, sondern sie soll sich in sie versetzen, die Dinge aus sich
selbst und ihren Zusammenhängen verstehen und dadurch eine Versöhnung
mit dem Ganzen der Wirklichkeit vollziehen. Das vor allem bildet die
Stärke der Hegelschen Art, die Welt mit ihrem Geschehen bei sich selbst
zu erfassen und in sich selbst zu vertiefen, überall geistige Inhalte,
eigne Triebkräfte, innere Notwendigkeiten aufzudecken, dem Menschen
durch das Teilgewähren daran eine Befreiung von kleinmenschlicher Art
und eine innere Größe zu verleihen, zugleich aber bei allem Ernst eine
feste und freudige Lebensstimmung zu erzeugen.
Dabei erhält die Philosophie ein eigentümliches Verhältnis zur
Gesellschaft und zur Geschichte. Die Philosophie ist nicht das
Erzeugnis eines bloßen Individuums, sondern sie ist »ihre Zeit in
Gedanken gefaßt«; sie bildet in der Entwicklung der Zeiten nicht den
Anfang, sondern den Abschluß, »als der Gedanke der Welt erscheint
sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß
vollendet und sich fertiggemacht hat«. »Die Eule der Minerva beginnt
erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.« Ein aufrüttelndes und
erneuerndes Wirken wird der Philosophie damit abgesprochen, sie hat nur
zum Bewußtsein zu bringen und damit zu vollenden, was im Grundbestande
schon vorliegt. Wir dürfen sagen, daß das mehr dem Bilde der alten als
dem der neueren Philosophie entspricht.
Schon dies Wenige zeigt das Hegelsche System als ein gewaltiges Werk
von großer Kraft und Geschlossenheit, als eine geistige Bewegung,
welche die ganze Wirklichkeit ergreift und nach ihren Maßen gestaltet.
Ob die Größe nicht durch eine starke Einseitigkeit erkauft wird,
ja ob das Gesamtunternehmen nicht überkühn, nicht ein gefährlicher
Ikarusflug ist, das läßt sich sehr wohl fragen. Verkürzt nicht das
hier waltende Sehen aus dem Ganzen unbillig die Individualität der
einzelnen Bildungen? Ist es nicht eine Überhebung der Menschheit, ihr
Geistesleben ohne weiteres als absolutes zu behandeln? Ist Geistesleben
nicht weit mehr als Denken, ja kann das Denken lediglich aus eigner
Kraft überhaupt einen Inhalt erzeugen? Würde es nicht, streng auf sich
selbst beschränkt, in ein Reich bloßer Schatten und Schemen führen?
Und entgeht Hegel dieser Gefahr nicht bloß dadurch, daß den logischen
Größen unablässig und unvermerkt aus dem Reichtum der Überlieferung und
Umgebung Leben und Inhalt zuströmt?
Auch die Sprache Hegels verrät, daß seine Gedankenwelt verschiedene
Schichten enthält. Ihre durchgehende Art ist sehr abstrakt, bloße
Neutra »das Allgemeine«, »das Unendliche«, »das Einzelne« spielen z.
B. in ihr eine große Rolle, sie kann in solcher Abstraktheit ermüden,
ja zum Unwillen reizen. Aber dann kommen immer wieder Stellen, wo
kräftigere Töne aus dem Innern der Seele zum Durchbruch kommen, die
Gedanken erhalten dabei oft eine so anschauliche Verkörperung, eine
so treffende Zuspitzung, eine so durchschlagende Kraft, daß sie in
dieser Form zu weitester Verbreitung gelangt sind. Deutlich erkennen
wir hier, daß Hegels Gedankenwelt einen tieferen Hintergrund hat,
den sie selber nicht erklärt. -- Solche Bedenken seien nicht gering
genommen, aber sie lassen alle miteinander eine gewaltige Größe des
Mannes unangefochten. Sehen wir auch von den vielfachen Wirkungen ab,
die er auf das Ganze des Kulturlebens ausgeübt hat, seine energische
Verwandlung der ganzen Wirklichkeit in einen einzigen aus eigner
Kraft bewegten und weitergetriebenen Gedankenprozeß unternimmt eine
Lösung des Wahrheitsproblems, mit der sich jedes tiefergehende Streben
auseinanderzusetzen hat.
* * * * *
[Randnotiz: Der Staat]
Unsre Durchwanderung des hier gebotenen weiten Gedankenreiches muß sich
auf die Gebiete beschränken, wo die Stärke des Mannes liegt, und von wo
fruchtbare Anregungen auf das gemeinsame Leben ausgegangen sind. Dahin
gehört vor allem das geschichtlich-gesellschaftliche Zusammensein.
Zunächst ist es der Staat, der Hegel eine höhere Schätzung verdankt.
Gewiß war er nicht der einzige und nicht der erste, der nach dieser
Richtung gewirkt hat, die Abwendung von dem bloßen Rechtsstaat, der das
Wirken des Staates auf den Schutz der individuellen Kreise beschränkte,
den Lassalle später als einen »Nachtwächterstaat« verspottet hat, lag
im Zuge der Zeit. Aber Hegel hat diesen Zug energisch vertieft und aus
dem Ganzen einer Gedankenwelt begründet; es wirkte dahin namentlich
seine Überzeugung von der unmittelbaren Gegenwart des Geistes in
unserer Welt. Auf das Staatsleben zunächst bezieht sich sein Wort, daß
das Wirkliche vernünftig und das Vernünftige wirklich sei; so hat er
hier diese Überzeugung auch mit besonderer Gründlichkeit durchgebildet.
* * * * *
Mit großer Entschiedenheit verwirft er die übliche Neigung, am Staate
herumzumäkeln und einzelne mißliebige Erscheinungen sein Gesamtbild
bestimmen zu lassen, das dann natürlich arg verzerrt wird. Dem setzt
er die Erwägung entgegen: »Der Staat ist kein Kunstwerk, er steht
in der Welt, somit in der Sphäre der Willkür, des Zufalls und des
Irrtums, übles Benehmen kann ihn nach vielen Seiten defigurieren. Aber
der häßlichste Mensch, der Verbrecher, ein Kranker und Krüppel ist
immer doch ein lebender Mensch; das Affirmative, das Leben, besteht
trotz des Mangels, und um dieses Affirmative ist es hier zu tun.« Wir
verkennen das Große, was der Staat für uns bedeutet, leicht deshalb,
weil »die Gewohnheit das unsichtbar macht, worauf unsre ganze Existenz
beruht«. Um gerecht gegen einen Staat zu sein, müssen wir seinen
Gesamtcharakter zu erfassen suchen und von ihm her die einzelnen
Äußerungen als notwendig verstehen, nicht aber unsere Sondermeinungen
und Sonderwünsche das Urteil bestimmen lassen. Der Staat ist es nach
Hegel, in dem sich der Geist zu wirklicher Gestalt und Organisation
entfaltet, in ihm erst kommt die sittliche Idee zur Wirklichkeit, er
erst gewährt einen festen Boden für geistige Kultur, für Wissenschaft,
Kunst usw. So kann es nicht befremden, wenn Hegel verlangt, man solle
den Staat wie ein »Irdisch-Göttliches« verehren.
* * * * *
Hegels »Grundlinien der Philosophie des Rechts« entwickeln den
Grundgedanken bis ins einzelne hinein und stellen die Verhältnisse
überall in ein eigentümliches Licht. In sicher aufsteigendem Zuge führt
das Werk von Stufe zu Stufe bis an den Punkt, wo der einzelne Staat ein
Glied der weltgeschichtlichen Bewegung wird. Auch dieses Gebiet zeigt
eine Bewegung durch den Gegensatz hindurch, im besonderen hat bei Hegel
hier wie auch in der Behandlung der Geschichte der Gedanke größten
Einfluß, daß der Ausgangspunkt der Entwicklung eine noch ungeschiedene
Einheit von Subjekt und Objekt zeige; auf der zweiten Stufe reißt das
Subjekt sich los und stellt sich dem Objekt entgegen; auf der dritten
wird eine Versöhnung erreicht, indem das Objekt selbst in die geistige
Tätigkeit aufgenommen und aus ihr gestaltet wird.
* * * * *
[Randnotiz: Das Recht]
Als die Hauptstufen des gemeinsamen Lebens unterscheidet Hegel Recht,
Moralität, Sittlichkeit. Das Recht steht im Dienste der Freiheit, es
gibt dem freien Willen zuerst ein Dasein, aber es gibt ihm das im
Bereich des Äußeren und enthält daher die Möglichkeit eines Zwanges.
Beim Strafrecht hat namentlich Hegels Versuch, die prinzipielle
Berechtigung des Strafens zu erweisen, viel Beachtung gefunden, obwohl
er mehr in der Form als in der Sache Neues bringt. Hegel bezeichnet
die Strafe als die Negation der Negation, der Verbrecher hat die
Rechtsordnung negiert, nun negiert diese ihn durch die Strafe und
stellt dadurch ihre erschütterte Macht wieder her.
Vom Rechte, das als strenges Recht nicht nach dem Grundsatze und der
Absicht des Handelnden fragt, scheidet Hegel die Moralität, welche die
Frage nach der Triebfeder des Willens wie nach dem Vorsatze stellt;
sie bringt eine Schätzung des Wertes des Menschen nach seiner inneren
Handlung. Damit entsteht das Recht der subjektiven Freiheit, ihr
Hervortreten bildet nach Hegel den Wendepunkt zwischen Altertum und
moderner Welt. »Dies Recht in seiner Unendlichkeit ist im Christentum
ausgesprochen und zum allgemeinen wirklichen Prinzip einer neuen Form
der Welt gemacht worden.« Es entsteht aber auf der Stufe der bloßen
Moralität die Gefahr, daß das Subjekt sich dem Objekt entgegensetze und
in der Absonderung seine Befriedigung suche, auch sein eigenes Vermögen
überspanne; auch das liegt hier nahe, große Taten der Weltgeschichte
aus bloß subjektiven Beweggründen zu erklären und sie damit
herabzuwürdigen; über dem Subjektiven das Substantielle zu übersehen,
das sei die Ansicht »der psychologischen Kammerdiener, für welche es
keine Helden gibt, nicht weil diese keine Helden, sondern weil jene nur
die Kammerdiener sind«.
Die Probleme des Gewissens und der Pflicht, auch des Bösen und der
Schuld werden hier mit weitem Blick und aus großer Tiefe behandelt.
* * * * *
[Randnotiz: Die Sittlichkeit]
Eine Einigung des Guten im subjektiven und im objektiven Sinne bringt
die Sittlichkeit, Form und Gehalt des Willens stimmen hier zusammen,
hier erst erreicht das Leben einen festen Grund. »Das Rechtliche und
das Moralische kann nicht für sich existieren, sie müssen das Sittliche
zum Träger und zur Grundlage haben, denn dem Rechte fehlt das Moment
der Subjektivität, das die Moral wiederum für sich allein hat, und so
haben beide Momente für sich keine Wirklichkeit.« In der Sittlichkeit
wird die Stufe erreicht, wo die Freiheit zu fester Gestaltung gelangt,
das Leben beharrende Zusammenhänge bildet und dadurch den Menschen
sicher über das kleine Ich hinaushebt; solche Zusammenhänge sind aber
You have read 1 text from German literature.
Next - Die Träger des deutschen Idealismus - 10
  • Parts
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 01
    Total number of words is 4024
    Total number of unique words is 1404
    40.7 of words are in the 2000 most common words
    53.4 of words are in the 5000 most common words
    60.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 02
    Total number of words is 4036
    Total number of unique words is 1295
    41.9 of words are in the 2000 most common words
    55.3 of words are in the 5000 most common words
    61.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 03
    Total number of words is 4090
    Total number of unique words is 1405
    39.8 of words are in the 2000 most common words
    54.7 of words are in the 5000 most common words
    61.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 04
    Total number of words is 4043
    Total number of unique words is 1373
    40.4 of words are in the 2000 most common words
    53.5 of words are in the 5000 most common words
    60.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 05
    Total number of words is 4075
    Total number of unique words is 1458
    39.3 of words are in the 2000 most common words
    51.9 of words are in the 5000 most common words
    58.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 06
    Total number of words is 4049
    Total number of unique words is 1343
    39.3 of words are in the 2000 most common words
    53.2 of words are in the 5000 most common words
    60.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 07
    Total number of words is 4076
    Total number of unique words is 1363
    38.9 of words are in the 2000 most common words
    52.8 of words are in the 5000 most common words
    58.4 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 08
    Total number of words is 4047
    Total number of unique words is 1292
    43.0 of words are in the 2000 most common words
    55.4 of words are in the 5000 most common words
    61.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 09
    Total number of words is 4073
    Total number of unique words is 1404
    40.9 of words are in the 2000 most common words
    54.9 of words are in the 5000 most common words
    61.4 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 10
    Total number of words is 4050
    Total number of unique words is 1280
    41.1 of words are in the 2000 most common words
    53.9 of words are in the 5000 most common words
    60.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 11
    Total number of words is 4067
    Total number of unique words is 1338
    38.5 of words are in the 2000 most common words
    51.8 of words are in the 5000 most common words
    58.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Träger des deutschen Idealismus - 12
    Total number of words is 147
    Total number of unique words is 105
    66.5 of words are in the 2000 most common words
    76.8 of words are in the 5000 most common words
    81.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.