Die Träger des deutschen Idealismus - 03

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Schätzung der Tapferkeit, wie er denn die Tugend geradezu als
moralische Tapferkeit bezeichnet, deren Fahne es hochzuhalten gilt.
So ist das Leben, das hier entsteht, wahrlich nicht leicht und
bequem, es verlangt unaufhörliche Anspannung aller Kraft, es verlangt
fortwährende Selbstüberwindung, aber es erlangt in dem allen auch
eine unvergleichliche Größe und Freude, es hat seinen Lohn in sich
selbst, braucht ihn nicht von draußen her zu empfangen, es hebt über
das gewöhnliche Glück hinaus und trägt in sich selbst eine hohe
Befriedigung.
* * * * *
Wenn Kant von der Moral als der herrschenden Macht alle Lebensgebiete
gestaltet, so mag das eine große Gefahr für die Entfaltung der
Eigentümlichkeit dieser dünken. In Wahrheit ist eine Verengung
nicht zu leugnen, da Kant die Moral lediglich auf das Verhältnis zu
Menschen beschränkt, nur Pflichten des Menschen gegen Menschen kennt.
Andererseits verhindert die hohe Fassung der Moral als eines Reiches
der Freiheit und Selbsttätigkeit mit Sicherheit ein Sinken zu einem
bloßen Moralismus, der alles nur daraufhin ansieht, wie weit es der
Besserung der Individuen nütze; die Moral greift hier weniger in den
näheren Bestand der Gebiete ein, als sie ihrem Ganzen die Richtung
auf höchste Zwecke, auf jenes Reich der Freiheit gibt; so wirkt sie
konzentrierend, klärend und kräftigend auf den ganzen Umfang des Lebens.
* * * * *
[Randnotiz: Kant und die Religion]
Am wenigsten erlangt wohl ihr volles Recht die Religion, wenn sie
als »die Erkenntnis aller unsrer Pflichten als göttlicher Gebote«
verstanden wird. Denn streng genommen würde sie damit ein bloßes Mittel
zur Verstärkung der Moral, und es wäre dabei nicht einmal gewiß, ob
das bloß eine Hilfe für menschliche Schwäche wäre, die ein Starker
wohl auch entbehren könnte, oder ob sie eine Wahrheit aus eigenem
Rechte besitzt. Was aber den Inhalt betrifft, so liegt nach Kant in
der Religion aller Wert am Tun. Dabei läßt sich vollauf anerkennen,
daß der eigentümliche Charakter der Religion wenig zur Geltung kommt,
und doch die Energie bewundern, mit der die moralische Seite der
Religion hervorgekehrt, allem Scheinwesen in ihr widerstanden, ihr
Leben vor allem in unmittelbare Gegenwart gestellt wird. Bezeichnend
sind hier die Worte: »Alles was außer dem guten Lebenswandel der
Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden,
ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes,« und die anderen:
»daß ein Geschichtsglaube Pflicht sei und zur Seligkeit gehöre, ist
Aberglaube.« Es ist aber »Aberglaube der Hang, in das, was als nicht
natürlicherweise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu
setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären läßt, -- es sei
im Physischen oder Moralischen«. Kant ist darum besorgt, daß die
Selbständigkeit der Moral durch ihre Verkettung mit der Religion
Schaden leide; so dringt er mit höchstem Eifer darauf, daß nicht die
Moral auf die Religion, sondern die Religion auf die Moral gegründet
werde. Kants persönliche Religion war ohne Zweifel weit reicher
und tiefer als die von ihm in Begriffe gefaßte, ein Bewußtsein der
Abhängigkeit von einer höheren Macht und ein Vertrauen auf diese Macht
geht durch alle seine Schriften. Ein bloßer Moralist konnte nicht
sagen, daß, wenn man von einem letzten Zwecke der Welt sprechen dürfe,
er nicht in der Glückseligkeit der vernünftigen Wesen zu suchen sei,
sondern in der Ehre Gottes.
* * * * *
[Randnotiz: Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit]
Zu größerem Reichtum entfaltet sich die moralische Grundanschauung
Kants in der Gestaltung des menschlichen Zusammenseins. Hier haben
sich in allen Verhältnissen die beiden Tugenden zu bewähren, die
ihm als die höchsten gelten: Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit. Die
Pflicht der Wahrhaftigkeit geht in erster Linie nicht gegen andere,
sondern gegen uns selbst, in der Lüge und Unaufrichtigkeit schaden
wir vornehmlich uns selbst, indem wir dadurch die Achtung zerstören,
die wir uns selbst als einem moralischen Wesen schulden. Zur Pflicht
der Wahrhaftigkeit gehört auch, daß wir überall aus selbständiger
Entscheidung und eigner Überzeugung handeln, auch uns davor hüten,
blinde und äußere Bekenntnisse nachzusprechen. Gewiß schützt auch
strenge Gewissenhaftigkeit uns nicht vor Irrung, aber diese trifft dann
nicht unsere Gesinnung. »Es kann sein, daß nicht alles wahr ist, was
ein Mensch dafür hält (denn er kann irren), aber in allem, was er sagt,
muß er wahrhaft sein.«
Das Verhältnis der Menschen untereinander werde aber durch die Idee
der Gerechtigkeit bestimmt, sowohl im privaten Verkehr als im Staate
als im weltbürgerlichen Verkehr der Völker. Wie hoch Kant von der
Gerechtigkeit denkt, das zeigen die Worte: »Wenn die Gerechtigkeit
untergeht, hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben«;
von der Ungerechtigkeit aber sagt er: »Niemals empört etwas mehr als
Ungerechtigkeit, alle anderen Übel, die wir ausstehen, sind nichts
dagegen.«
Demnach empfiehlt es sich, das Verhältnis von Mensch zu Mensch mehr auf
Gerechtigkeit und gegenseitige Achtung als auf Liebe zu stellen. Liebe
kann nicht geboten werden, und Mitleid ist kein großes Gegenmittel
gegen den Eigennutz. Es fällt hier stark ins Gewicht, daß Kant wenig
von den Neigungen des Menschen hält und sie viel zu veränderlich
findet, um auf sie unser Leben zu bauen.
Aus der Selbstachtung aber, die ich als Glied eines Reiches der
Freiheit haben darf, geht unmittelbar eine Achtung auch der anderen
hervor; umgekehrt läßt sich sagen, daß, wo diese Achtung fehlt, es
im Grunde auch an echter Selbstachtung gebricht. »Der Hochmütige ist
jederzeit im Grunde seiner Seele niederträchtig.«
* * * * *
[Randnotiz: Kants Staatsideal]
Im Staatswesen aber wirkt die Kantische Grundüberzeugung zur
Voranstellung der Ideen Recht und Freiheit. Die hohe Schätzung der
Freiheit, welche Kant im Ganzen des Lebens bekundet, muß natürlich
auch hierher wirken; vom Recht aber sagt er, daß es der Augapfel Gottes
auf Erden sei. Der enge Zusammenhang von Recht und Freiheit erhellt
aus der Definition des Rechts als »des Inbegriffs der Bedingungen,
unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach
einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden
kann«. Den Staat aber definiert er als eine »Vereinigung einer Menge
von Menschen unter Rechtsgesetzen«. So ist der Staat hier vor allem
Rechtsgemeinschaft, er gilt als von den Individuen her entstanden; mag
Kant seine Entstehung aus einem Vertrage als Faktum bekämpfen, als
Idee hält er sie fest. So kann hier von einem nationalen Staate, auch
von einem Kulturstaate nicht die Rede sein; diese Begriffe blieben
einer späteren Entwicklung vorbehalten. In die nähere Ausführung
wirken Gedanken ein, welche die Französische Revolution, namentlich
ihr Beginn, auch in Deutschland weiten Kreisen zugeführt hatte. Die
Forderungen der Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit spielen bei Kant
eine große Rolle, aber er hat sie ethisch vertieft und auch in der
näheren Ausführung maßvoll gestaltet. Sein politisches Ideal ist eine
Repräsentationsverfassung, »alle wahre Republik ist und kann nichts
anderes sein als ein repräsentatives System im Volke«. Bei aller
Freiheitsliebe hat er wenig Sympathie für die Demokratie, er sieht
in ihr eine Gefahr für die Freiheit des einzelnen, die ihm besonders
am Herzen liegt, »Volksmajestät« erklärt er für einen »ungereimten
Ausdruck«. Eine nahe Verwandtschaft mit den Lehren des englischen
Liberalismus ist in diesem Aufbau des Staates von den Individuen her
nicht zu verkennen, aber solche Verwandtschaft darf erhebliche innere
Unterschiede nicht übersehen lassen. Dort ist es der Mensch, wie er
leibt und lebt, dem die Freiheit und mit ihr ein hoher Wert zuerkannt
wird, bei Kant ist es die Persönlichkeit als Glied einer sittlichen
Welt; dort ist das höchste Ziel das Wohlergehen der Gesellschaft,
bei Kant dagegen die Begründung eines Reiches der Freiheit und
Gerechtigkeit auf dem eigenen Boden der Menschheit; dort mußte man,
um die eigenen Ziele erreichbar zu finden, den Menschen moralisch
vortrefflich denken und ihn damit idealisieren, bei Kant verhindert,
wie wir sahen, alle Hochschätzung der Vernunft im Menschenwesen nicht
die volle Anerkennung schwerer Mängel und Schäden. Es hängt damit
eng zusammen, daß seine Art der Freiheit keine Weichheit kennt,
vielmehr einen strengen Charakter hat; dafür ist z. B. bezeichnend
die entschiedene Verteidigung der Todesstrafe als einer Forderung der
Gerechtigkeit.
* * * * *
Das Verlangen einer Ordnung der menschlichen Verhältnisse aus der
Idee der Gerechtigkeit hat Kant auch auf das Verhältnis der Völker
ausgedehnt und auch für die äußere Politik eine Leitung durch die
Idee des Rechts verlangt. Hier stößt er besonders hart mit den
Durchschnittsverhältnissen und auch mit den Durchschnittsmeinungen
zusammen, aber hier zeigt er auch besonders deutlich die unbeugsame
Festigkeit seiner Überzeugung, sein Vermögen, unbeirrt durch allen
Widerspruch mit ruhiger Kraft den eigenen Weg zu verfolgen. Mit größter
Energie tritt er dafür ein, daß nie das Recht der Politik, wohl aber
die Politik jederzeit dem Rechte angepaßt werde. Was eine vom Rechte
absehende Politik an äußeren Vorteilen etwa gewinnen lassen kann,
das wiegt nach seiner Überzeugung weitaus nicht den Schaden auf, der
aus der Geringachtung dessen hervorgeht, was dem menschlichen Leben
allein einen Wert zu geben vermag. Wohl ist, so meint er, Ehrlichkeit
nicht immer die beste Politik, aber sie ist besser als alle Politik.
Politiker, die nur auf den Erfolg ausgehen und sich dabei ihrer
Menschenkenntnis rühmen, mögen die Menschen kennen, nicht aber kennen
sie den Menschen und was aus ihm gemacht werden kann.
* * * * *
[Randnotiz: Der ewige Friede]
Aus solchem Zusammenhange ist auch die Schrift vom ewigen Frieden zu
verstehen, der das 18. Jahrhundert von früh an beschäftigt hatte, der
aber von Kant mit besonderem Nachdruck vertreten wird. Er entwickelt
diesen Gedanken nicht bloß in jener Schrift, er verficht ihn eifrig
auch sonst, er erklärt dabei den Krieg als »das größte Hindernis des
Moralischen«, er stellt die Forderung, den Krieg erstlich nach und nach
menschlicher zu gestalten, ihn darauf seltener zu machen, ihn endlich
als Angriffskrieg ganz verschwinden zu lassen.
Sein Ideal ist ein »allgemeiner Staatenverein (analogisch mit
dem, wodurch ein Volk Staat wird)«, nur er vermöge einen wahren
Friedensstand herbeizuführen. Die Schwierigkeiten dessen entgehen
Kant freilich nicht, in seiner Rechtslehre führte ihn ihre Erwägung
sogar dahin, den ewigen Frieden eine »unausführbare Idee« zu nennen.
Aber er bleibt ihm doch das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts, und
für ausführbar erklärt er die »politischen Grundsätze, die darauf
abzwecken, nämlich solche Verbindungen der Staaten einzugehen, als zur
kontinuierlichen Annäherung zu denselben dienen«. An einer anderen
Stelle erklärt er, der ewige Friede sei »keine leere Idee, sondern eine
Ausgabe, die, nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele (weil die Zeiten, in
denen gleiche Fortschritte geschehen, hoffentlich immer kürzer werden)
beständig näher kommt«.
* * * * *
Beim Fortschrittsgedanken, der uns hier begegnet, ist Kants
Stellung eigentümlich genug. Seine Geringschätzung der moralischen
Beschaffenheit des Menschen, namentlich seine Überzeugung von der
tiefen Wurzel des Übels, macht es ihm schwer, einen Fortschritt
anzunehmen, spricht er doch von einem »traurigen Anblick, nicht sowohl
der Übel, die das menschliche Geschlecht aus Naturursachen drücken,
als vielmehr derjenigen, welche die Menschen sich untereinander
selbst antun«. So erklärt er es für unmöglich, daß der Fortschritt
zum Besseren »durch den Gang der Dinge von unten hinauf« erfolge.
Andererseits kann er nicht auf den Fortschritt gänzlich verzichten,
da ohne eine Hoffnung besserer Zeiten »eine ernstliche Begierde,
etwas dem allgemeinen Wohl Ersprießliches zu tun, nie das menschliche
Herz erwärmt hätte«. So müssen wir notwendig auf einen Fortschritt
zum Besseren hoffen, aber er ist nicht sowohl von dem zu erwarten,
was wir tun, »sondern von dem, was die menschliche Natur in und mit
uns tun wird, um uns in ein Gleis zu nötigen, in welches wir uns von
selbst nicht leicht fügen würden. Denn von ihr, oder vielmehr (weil
höchste Weisheit zur Vollendung dieses Zweckes erfordert wird) von der
Vorsehung allein können wir einen Erfolg erwarten, der aufs Ganze und
von da auf die Teile geht.« Ähnlich sagt Kant an einer anderen Stelle,
daß die Hoffnung des »Fortschreitens nur in einer Weisheit von oben
herab« begründet sei.
So sehen wir Kant auch bei diesen Fragen eigene Wege verfolgen.
* * * * *
[Randnotiz: Das Reich des Schönen]
Die Energie, welche Kant an die moralische Aufgabe setzt, und der
schwere Ernst, den er dem menschlichen Leben gibt, könnten erwarten
lassen, daß er das Reich des Schönen geringschätzig oder doch
nebensächlich behandelt hätte; die stoische Gesinnung, der doch Kant
eng verwandt ist, war im allgemeinen der Kunst wenig hold. In Wahrheit
steht es bei ihm völlig anders. Er hat nicht nur im einzelnen viel
Interesse für künstlerische Leistungen und Probleme, er sucht auch
das gesamte Reich des Schönen in seine Gedankenwelt aufzunehmen
und es tiefer in der Seele zu begründen. Mag er schließlich das
Schöne dem Guten als »Symbol des Sittlichguten« unterordnen und den
Geschmack als ein »Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher
Ideen« verstehen, in die Erörterung selbst greift das wenig ein,
sie behandelt das Schöne als ein eigenes Reich und befreit dies von
herkömmlicher Vermengung mit anderen Gebieten. Das Schöne wird weit
über das Angenehme der Sinne hinausgehoben und schon dadurch von
ihm deutlich geschieden, daß das Angenehme Sache des Einzelnen ist,
während das Schöne als Gegenstand eines allgemeinen Wohlgefallens
vorgestellt wird. Gegen das Gute aber grenzt es sich dadurch ab, daß
das Gute vermittelst der Vernunft durch den bloßen Begriff gefällt
und mit Interesse verknüpft ist, während das Wohlgefallen am Schönen
interesselos ist und ohne Begriffe entsteht. Dieser Anspruch des
Schönen auf Allgemeingültigkeit wird für Kant ein großes Problem und
führt ihn wiederum zu einer Verschiebung von der Außenwelt in die
Seele; das Schöne liegt nicht in den Dingen, sondern es hat seinen
Ursprung im Geiste, wir erfahren in ihm nicht eine Harmonie der Dinge,
sondern eine Harmonie unserer eigenen Geisteskräfte; auch hier ist
es die Form, worin die geistige Leistung besteht, auch hier wird
damit das Erlebnis über einen niederen Seelenstand hinausgehoben. Wie
das Gute eine Überlegenheit gegen alle Neigung besaß, so wird das
Geschmacksurteil als völlig unabhängig von Reiz und Rührung erklärt
und ganz und gar auf die Form gerichtet; es entspringt nicht aus der
Lust, sondern es geht ihr vorher. Auch damit gewinnt das Leben an
Selbständigkeit, es befreit sich am Sinnlichen selbst durch die Macht
der Form vom Drucke bloßer Sinnlichkeit. So wird dieses Reich ein
unentbehrliches Bindeglied zwischen dem erhabenen Reich der Moral und
der bunten Fülle des sinnlichen Daseins, und das Ganze gestaltet sich
letzthin zu einem Gewinne der Freiheit. »Der Geschmack macht gleichsam
den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse ohne
einen gar zu gewaltsamen Sprung möglich, indem er die Einbildungskraft
auch in ihrer Freiheit als zweckmäßig für den Verstand bestimmbar
darstellt und sogar an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz
ein freies Wohlgefallen finden lehrt.« Solche Emporhebung des Schönen
über alle niedrige Lust, solche Anerkennung seiner Selbständigkeit,
solche Verlegung seines Ursprungs in die innere Werkstatt des Geistes
wirkten zusammen dahin, unsere großen Dichter mit Kant zu verbinden und
sie mit größter Schätzung seiner zu erfüllen; so konnte auch Goethe
trotz vielfachen sonstigen Gegensatzes die großen Hauptgedanken der
Kritik der Urteilskraft seinem eigenen Schaffen, Tun, Denken »ganz
analog« finden. Die Behandlung des ganzen Gebietes empfängt aus solchem
Verstehen von innen her den Antrieb, die inneren Bedingungen und das
innere Gewebe des Schaffens zu voller Klarheit herauszuarbeiten.
[Randnotiz: Schön und Erhaben]
Wie sich damit der Anblick verwandelt, das zeigt mit besonderer
Deutlichkeit die Behandlung des Erhabenen, dem Kant von früh an viel
Aufmerksamkeit zugewandt hatte. Das Gefühl des Erhabenen enthält
augenscheinlich einen Kontrast. Diesen Kontrast erklärte man bisher als
einen Zusammenstoß von menschlichem Vermögen und Außenwelt, Kant aber
verlegt ihn ganz und gar in die eigene Seele des Menschen. »Erhaben
ist die Natur in denjenigen ihrer Erscheinungen, deren Anschauung die
Idee ihrer Unendlichkeit mit sich führt. Dieses letztere kann nun nicht
anders geschehen als durch die Unangemessenheit selbst der größten
Bestrebung unserer Einbildungskraft in der Größenschätzung eines
Gegenstandes.« Wenn aber so das Erhabene daraus entsteht, daß die ganze
Macht der Einbildungskraft den Ideen der Vernunft unangemessen befunden
wird, so liegt die wahre Erhabenheit nicht im Naturobjekte, sondern im
Gemüte des Urteilenden. Damit ist wiederum der Schwerpunkt des Lebens
in die Innenwelt verlegt.
* * * * *
[Randnotiz: Kants einzigartige Größe]
Zum Rückblick und Abschluß seien nur einige Worte gestattet. Wie immer
man sich zu den einzelnen Problemen stellen mag, eine einzigartige
Größe Kants wird kein Unbefangener bestreiten. Eine ungeheure Kraft
erweist sich darin, alle Wissensgebiete nicht nur, sondern auch alle
Lebensinteressen der Menschheit mit offnem Blick zu umspannen und sie
doch zur Einheit zusammenzuzwängen, zugleich aber ihnen den eigenen
Stempel aufzuprägen. Kant stand überall auf dem Boden strenger, ja
strengster Wissenschaft, aber die Wissenschaft ist ihm, um einen
Ausdruck von ihm selbst zu gebrauchen, »die enge Pforte geworden, die
zur Weisheitslehre führt«. Das Ganze seines Werkes ist bei aller Ruhe
und Gründlichkeit seiner Arbeit voll innerer Bewegung, verschiedene
Strömungen entstehen und scheinen zunächst einander zu widerstreiten,
aber es gelingt, sie nicht nur miteinander auszugleichen, sondern
sie zu gegenseitiger Verstärkung zu verbinden. Ein wunderbares
Gleichgewicht der Stimmung entsteht daraus, daß dem Menschen nicht
nur sowohl eine Größe als eine Grenze zuerkannt wird, sondern daß
beides aufeinander angewiesen wird und sich gegenseitig zu fördern
vermag: nur die Grenze unseres Wissens macht die Größe unseres Handelns
möglich, und diese Größe selbst gibt der Begrenzung einen Wert.
Dem entspricht auch der Ton der Darstellung: durchgängig schlicht,
klar bestimmend, scharf scheidend, besonnen abwägend, nicht selten
schulmäßig schwerfällig; dann aber auf den Höhepunkten ein Durchbrechen
eines reinen und echten Enthusiasmus und zugleich eine ergreifende
Wärme und Einfalt der Darstellung. Überall der vollste Ernst, die
lauterste Wahrhaftigkeit, das Ganze wie ein offnes Bekenntnis von den
höchsten Dingen. Als Gesamtergebnis eine Befreiung des Menschen vom
Drucke der Außenwelt, eine unermeßliche Steigerung seiner Tätigkeit,
aber nicht in der Richtung nach außen hin, sondern in der gegen
sich selbst, eine Vertiefung des Seelenlebens, ja eine Entdeckung
und Belebung einer ganzen Welt in der Seele. Zugleich ein gewaltiger
Ansporn des Lebens, ein Aufruf zur Erringung seines eigenen Wesens und
zum unermüdlichen Kampf gegen alles, was draußen und mehr noch drinnen
unseren höchsten Aufgaben widersteht. Kant hat mehr in dem Menschen
sehen gelehrt und mehr aus dem Menschen gemacht. Das können nur große
Denker, und er ist einer der größten. Uns Deutschen aber hat er, ohne
daß er viel vom deutschen Wesen sprach, den eigentümlichen Idealismus
ausgebildet, auf den unser Wesen angelegt ist. Das ist ein anderer
Idealismus als der indische mit seiner Verflüchtigung der Welt und
seinem Ersehnen tatloser Ruhe, ein anderer auch als der griechische mit
seiner Schätzung der Welt als eines herrlichen Kunstwerkes und seiner
Erfüllung des Lebens durch die lustvolle Anschauung der ewigen Zier.
Vielmehr ist es ein herber und kräftiger Idealismus, ein Idealismus
der Tat, der die Welt um uns voller Verwicklung findet, der aber in
uns das Vermögen entdeckt, eine neue Welt zu entfalten, der in solcher
Entfaltung eine schwere Aufgabe findet, aber dabei auch eine innere
Erhöhung erfährt und aus ihr stark genug wird, allen Gegnern draußen
und drinnen zu trotzen und mutig den Kampf gegen die Unvernunft
unseres Daseins aufzunehmen. Dieser Idealismus, der von alters her
in uns Deutschen wirkt, hat durch die Befreiungstat Kants auch einen
festen wissenschaftlichen Boden erhalten; auf diesem Boden haben die
Nachfolger weitergebaut, und auch wir wollen ihn nicht verlassen.
* * * * *
[Randnotiz: Kant und Schiller]
Die gewaltige Wirkung Kants bedarf keiner Schilderung; daß er nicht
nur die Philosophie in eine neue Bahn getrieben, sondern auch das
allgemeine Leben aufrüttelnd, vertiefend, befestigend ergriffen hat,
das steht uns deutlich vor Augen. So sei nur mit einigen Worten seiner
Förderung unseres größten dramatischen Dichters gedacht. Bei Schiller
kam einer Philosophie der Tat ein starker Trieb zum Handeln aus der
eignen Natur entgegen, aber dieser Trieb erhielt durch die Berührung
mit jener Philosophie eine Läuterung und Veredlung. Mit ganzer Seele
stand Schiller zur kantischen Freiheitslehre, zu seiner Erhebung des
Menschen über allen Mechanismus der bloßen Natur, zu seiner Erweckung
eines stolzen Selbstbewußtseins des Menschenwesens als eines Gliedes
des Reiches der Freiheit. Ebenso wie bei Kant verhindert aber auch bei
Schiller der feste Glaube an menschliche Größe nicht eine unbefangene
Würdigung all des Trüben und Schlechten, was nicht nur die Verhältnisse
draußen, sondern auch die menschlichen Gesinnungen zeigen. Auch
Schiller gewinnt eine Sicherheit und Freudigkeit gegenüber dem tiefen
Dunkel des Lebens nicht durch eine bequeme Verständigung mit der Welt,
die uns umgibt, er gewinnt sie durch die Erhebung in ein der Seele
gegenwärtiges Reich der Vernunft, das den Menschen der Welt überlegen
macht und eine neue Schätzung der Güter einführt. So teilt Schiller
mit Kant auch die gewaltige Kraft der Aufrüttelung und Bewegung, die
tapfere Gesinnung, den Antrieb zu Kampf und Sieg. Was Goethe von sich
bekannte, Schiller habe ihn auf sich selbst zurückgeführt und ihm eine
zweite Jugend verschafft, das gilt über die einzelne Persönlichkeit
hinaus für das Ganze des deutschen Volkes: der große Dichter, der durch
die Schule des großen Denkers gegangen ist, kann auch auf die kommenden
Geschlechter zur Befreiung, Befestigung, Verjüngung wirken. Seine Kunst
ist uns vielfach ferngerückt, seine Denkweise muß uns bleiben.


Fichte

Keiner von unseren großen Denkern berührt sich so eng mit der
politischen Lage und den nationalen Fragen der Gegenwart wie Johann
Gottlieb Fichte (1762--1814). Er hat den jähen Zusammenbruch des alten
Staatssystems in tiefer Erschütterung miterlebt, er hat dann sofort
seine ganze Kraft in den Dienst eines Neuaufbaues gestellt, und er
hat in seinen im Winter 1807/08 gehaltenen Reden an die deutsche
Nation sein Volk sowohl aufgerüttelt als ihm festen Mut eingeflößt.
Er konnte das, weil auch die schwersten Ereignisse nicht im mindesten
seinen Glauben an unser Volk und seine Zukunft erschütterten, er fand
Glauben und er erweckte Glauben, weil ein solcher aus seiner Seele
quoll; sein felsenfestes Vertrauen auf eine siegreiche Auferstehung des
deutschen Volkes hat er in einer Zeit verkündet, wo Berlin noch von
französischen Truppen besetzt war, und wo bisweilen der Trommelschlag
ihrer vorüberziehenden Bataillone die Stimme des Redners übertönte. Mit
solcher Kraft und solcher Wirkung zu seinem Volke sprechen konnte er
aber nur, weil hinter seinen Worten eine charaktervolle Persönlichkeit
und auch eine selbständige Gedankenwelt stand; an die Ausbildung dieser
hatte er die Arbeit seines ganzen Lebens gesetzt; erst ein Einblick
in diese Welt und eine Vergegenwärtigung der Persönlichkeit, die sie
schuf, läßt uns die volle Wucht seiner nationalen Arbeit verstehen.
* * * * *
[Randnotiz: Leben und eigentümliche Art]
Fichte, der Sohn eines Leinewebers aus der Lausitz, hatte sich
aus dürftigen Verhältnissen mühsam und unter vielfachen Sorgen
emporgearbeitet. Aber er war eine starke Natur; was die Not des
Lebens ihm an äußerer Abhängigkeit auferlegte, das hat seine innere
Unabhängigkeit, ja Überlegenheit nicht im mindesten angetastet. Wie
er auch im Dienen zu herrschen verstand, das zeigt zum Beispiel die
Tatsache, daß er in Zürich als Hauslehrer in einer bürgerlichen
Familie die Mutter der Kinder zwang, jeden Sonntag anzuhören, welche
Erziehungsfehler im Laufe der Woche begangen seien. Schwerer aber
als alle äußeren Kämpfe waren Verwicklungen in seiner Seele, war ein
ungelöster Widerspruch zwischen seinem Denken und seinem Streben. Aus
tiefster Natur heraus trieb es ihn zu rastlosem Wirken und ließ ihn für
solches Wirken volle Freiheit verlangen; sein Verstand aber war dem
Spinozismus verfallen, der ihm die Welt als eine strenggeschlossene
Verkettung von Ursachen und Wirkungen vorhielt und daher der Freiheit
nicht den mindesten Platz gewährte. Aus diesem Zwiespalt erlöste ihn
die Kantische Philosophie, er fand in ihrer Erweisung der Kausalität
als einer bloßmenschlichen Anordnung der Wirklichkeit eine Rettung der
Freiheit auf dem eigenen Boden der Wissenschaft, er ergriff sofort mit
feurigem Eifer das Ziel, diese Philosophie zu verkünden und zugleich
sie weiter auszubauen.
* * * * *
Denn nach einem solchen Ausbau drängte allerdings die eigentümliche
Art seiner Seele und zugleich das Verlangen seines Denkens. Seine Art
war von der Kants in wesentlichen Stücken verschieden. Kant ging im
Forscherleben auf; wohl hielt er der Menschheit mit zwingender Kraft
ein Reich der Freiheit vor und vertiefte damit aufs wesentlichste
ihr Leben, aber die ungeheure Arbeit der geistigen Umwälzung, die
er vollzog, beherrschte ihn viel zu ausschließlich, als daß es ihn
irgendwie zu einer praktischen Tätigkeit, einem Eingreifen in den
Befund der Dinge hätte drängen können. Wie ferner seine Arbeit mit
aller vordringenden Kraft höchste Sorgfalt und Besonnenheit verband, so
war er peinlich darauf bedacht, die dem Menschen neu eröffnete Größe
gewissenhaft abzugrenzen; die Selbsttätigkeit der Vernunft fand beim
Erkennen eine feste Schranke, indem hier ein unerforschliches Reich
der Dinge den unentbehrlichen Stoff zu liefern hatte; alles ward hier
aufs sorgsamste abgewogen, eben die Ausgleichung der verschiedenen
Interessen, die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen ihnen, bildet
eine unbestreitbare Höhe der Kantischen Leistung.
* * * * *
Fichtes eigentümliche Art drängte nach wesentlich anderer Richtung,
jene überlegene Weisheit konnte ihm nicht das letzte Wort bedeuten. So
groß seine Denkkraft war, in ihm überwog der Trieb des Handelns, riß
das Denken mit sich fort, ja verwandelte es selbst in ein Handeln, in
ein Aneignen, Umwandeln, Beherrschen der Gegenstände. So sucht Fichtes
Denken einfache, gerade Linien, es entwirft große Umrisse und geht
rasch über das Einzelne weg, mit unerbittlicher Konsequenz verfolgt
er seine Bahn, wird durch keine Versuchung abgelenkt, wirft alles
nieder, was ihm den Weg versperrt. Sein Ja verficht er mit männlicher
Unerschrockenheit und ohne die mindeste Einschränkung, sein Streben
geht stets auf etwas Ganzes, Letztes, Unbedingtes, er liebt das Wort
»schlechthin«, er haßt das »gewissermaßen«; »ich bekenne, daß ich dies
›gewissermaßen‹ und ihre ganze Familie nicht liebe. Weißt du etwas
Gründliches und willst du es uns sagen, so rede bestimmt und ziehe
statt deines ›gewissermaßen‹ eine scharfe Grenze; weißt du nichts oder
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