Die Träger des deutschen Idealismus - 10

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Familie, Gesellschaft, Staat. Bei der Familie findet Hegel zum Preise
der Liebe hohe Werte, sie sei ein Gewinnen des Selbst in einer anderen
Person, die wiederum dasselbe in mir erreicht. Damit erscheint die
Liebe als der »ungeheuerste Widerspruch, den der Verstand nicht lösen
kann«, aber wie das Hervorbringen, so ist sie auch die Auflösung des
Widerspruchs, dieses aber als sittliche Einigkeit. Gesellschaft und
Staat hat Hegel mit aller Deutlichkeit voneinander geschieden, jene
erscheint als der Inbegriff der Verhältnisse, welche die einzelnen im
gegenseitigen Verkehr zueinander ausbilden können; fiele der Staat
mit der bürgerlichen Gesellschaft zusammen, so wäre das Interesse der
einzelnen als solcher der letzte Zweck. Der Staat dagegen enthält eine
feste Organisation des gemeinsamen Willens und hat damit seinen Zweck
in sich selbst. Er baut sich in den Stufen des inneren Staatsrechts,
des äußeren Staatsrechts, der Weltgeschichte auf. In der inneren
Verfassung verficht Hegel die konstitutionelle Monarchie, da in der
Person des Monarchen die Persönlichkeit und Souveränität des Ganzen
erst voll zum Ausdruck komme und hier die notwendige Umsetzung des
gemeinsamen Strebens in bestimmte Willensentscheidung erfolge. Auf die
Individualität des Monarchen komme es dabei weniger an. »Es ist bei
einer formellen Organisation nur um die Spitze formellen Entscheidens
zu tun, und man braucht zu einem Monarchen nur einen Menschen, der
›Ja‹ sagt und den Punkt auf das i setzt; denn die Spitze soll so sein,
daß die Besonderheit des Charakters nicht das Bedeutende ist.« So
erscheint auch hier die Geringschätzung des Individuellen, die Hegel
eigentümlich ist; überhaupt erklärt er für das politische Gebiet den
öffentlichen Zustand für um so vollkommener, »je weniger dem Individuum
für sich nach seiner besonderen Meinung zu tun übrig bleibt«. Es stimmt
dazu die Art, wie Hegel das Verhältnis des großen Mannes zu seiner
Umgebung faßt. Daran zweifelt er nicht, daß die großen Wendungen
der Weltgeschichte keine Wirkungen der Masse sind, sondern sich in
einzelnen hervorragenden Individuen vollziehen, aber diese Individuen
sind groß nicht durch das, was sie an Besonderem haben, sondern durch
das, was sie an Bewegungen der Gemeinschaft zum Bewußtsein bringen. »In
der öffentlichen Meinung ist alles Falsche und Wahre, aber das Wahre in
ihr zu finden, ist Sache des großen Mannes. Wer, was seine Zeit will,
anspricht, ihr sagt und vollbringt, ist der große Mann der Zeit.«
Hegel will eine Volksvertretung, aber sie soll weniger in den Gang
des Staatslebens eingreifen als dahin wirken, es auf eine höhere
Stufe des Bewußtseins zu heben. Sein Ideal ist die Herrschaft der
Intelligenz, und eine solche scheint ihm in unserer Zeit am ehesten ein
philosophisch gebildetes Beamtentum zu bieten. Augenscheinlich schweben
ihm dabei die damaligen Verhältnisse des preußischen Staates vor, die
er in verklärendem Lichte sah, gemäß seiner Neigung, das Wirkliche als
ein Vernünftiges zu verstehen.
* * * * *
[Randnotiz: Der Krieg]
Bei den äußeren Verhältnissen verteidigt Hegel mit großer
Entschiedenheit den Krieg, das aber in engem Zusammenhang mit seiner
philosophischen Grundüberzeugung. Er versteht die Weltgeschichte
als in unablässiger Fortbewegung begriffen, und das Hauptmittel des
Fortschritts ist ihm der Kampf; das gilt nicht nur für das geistige
Schaffen, sondern auch für das staatliche Leben. Jedes einzelne Volk
ist nur ein Teil des Ganzen, im Ganzen aber verschiebt sich unablässig
die Kraft des Lebens und verlegt sich von einem Volk in ein anderes;
das kann nicht ohne Zusammenstoß und harten Kampf geschehen, so wird
der Krieg ein Mittel, das Leben in frischem Fluß zu halten und seinen
Fortgang zu befördern, »er hat die höhere Bedeutung, daß durch ihn
die sittliche Gesundheit der Völker in ihrer Indifferenz gegen das
Festwerden der endlichen Bestimmtheiten erhalten wird, wie die Bewegung
der Winde die See vor der Fäulnis bewahrt, in welche sie eine dauernde
Ruhe, wie die Völker ein dauernder oder gar ein ewiger Friede versetzen
würde.« Zur Ausführung fügt er hinzu: »Im Frieden dehnt sich das
bürgerliche Leben mehr aus, alle Sphären hausen sich ein, und es ist
auf die Länge ein Versumpfen der Menschen; ihre Partikularitäten werden
immer fester und verknöchern.«
In engem Zusammenhang mit dieser Stellung zum Kriege steht die
Hegelsche Fassung des Verhältnisses von Moral und Politik. So wenig er
die Politik aus der Moral herausfallen lassen möchte, so meint er, daß
beim Staate mit seinen eigentümlichen Aufgaben die Moral selbst eine
andere werde als in den privaten Verhältnissen. Das Wohl des Staates
habe eine ganz andere Berechtigung als das Wohl der einzelnen, und zwar
habe der Staat sein Recht in seiner »konkreten Existenz«, und es könne
»nur diese konkrete Existenz, nicht einer der vielen für moralische
Gebote gehaltenen allgemeinen Gedanken Prinzip seines Handelns und
Benehmens sein«.
* * * * *
[Randnotiz: Die Weltgeschichte]
Das Leben des einzelnen Staates mündet nach Hegel ein in die
Gesamtbewegung der Weltgeschichte. Denn nach seiner Überzeugung ist
immer ein einzelnes Volk der Träger der jeweiligen Entwicklungsstufe
des Ganzen. Dieses auf der Höhe befindliche Volk hat dann ein absolutes
Recht gegen andere, freilich nur insofern es der allgemeinen Bewegung,
der »Idee des Weltgeistes« dient. Hegel meint, daß eine solche Höhe
einem Volk nur ein einziges Mal beschieden sei.
* * * * *
Die nähere Fassung des weltgeschichtlichen Prozesses bildet eine der
Höhen der Hegelschen Gedankenarbeit; seine immanente Art, die Welt
zu betrachten, findet hier einen besonders großartigen Ausdruck. Mit
fester Energie weist Hegel diejenigen ab, welche in respektierender
Betrachtung nützliche Lehren aus der Geschichte ableiten möchten; er
verurteilt das mit den Worten: »Was die Erfahrung und die Geschichte
lehren, ist dieses, daß Völker und Regierungen niemals etwas aus
der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen
gewesen wären, gehandelt hätten. Jede Zeit hat so eigentümliche
Umstände, ist ein so individueller Zustand, daß in ihm aus ihm selbst
entschieden werden muß und allein entschieden werden kann.« Eine
Voraussetzung allerdings hat die Philosophie an die Geschichte als
ihre denkende Betrachtung heranzubringen, die Voraussetzung, daß eine
Vernunft in ihr walte, daß es auch in der Weltgeschichte vernünftig
zugegangen sei; nur wenn wir Vernunft in ihr suchen, kann sie uns
Vernunft offenbaren; »wer die Welt vernünftig ansieht, den sieht
sie auch vernünftig an; beides ist in Wechselbestimmung.« Zugleich
bekämpft er sowohl diejenigen, welche zwar an eine Vorsehung für die
einzelnen Individuen glauben, nicht aber an eine solche für das Große
und Ganze, sowie auch diejenigen, welche sich bei dem allgemeinen
Gedanken einer weltgeschichtlichen Vorsehung begnügen und nicht eine
nähere Ausführung dieses Gedankens wagen. »Wir können nicht bei jener,
sozusagen, Kleinkrämerei des Glaubens an die Vorsehung stehen bleiben
und ebensowenig bei dem bloß abstrakten, unbestimmten Glauben, der nur
zu dem Allgemeinen, daß es eine Vorsehung gebe, fortgehen will, aber
nicht zu den bestimmteren Taten derselben. Wir haben vielmehr Ernst
damit zu machen, die Wege der Vorsehung, die Mittel und Erscheinungen
in der Geschichte zu erkennen, und wir haben diese auf jenes allgemeine
Prinzip zu beziehen.«
* * * * *
[Randnotiz: Der Kern der Geschichte]
Hegels Lösung der großen Frage nach dem Sinn und dem Verlauf der
Geschichte ist aber folgende: Den Kern der Geschichte bildet die
Bewegung des Geistes, das Wesen des Geistes aber ist die Freiheit,
Freiheit im Sinne des Beisichselbstseins, nicht im Sinne einer
Wahlfreiheit, »Freiheit ist nur da, wo kein anderes für mich ist, das
ich nicht selbst bin«. Das Bewußtsein einer solchen Freiheit aber hat
der Geist erst zu erringen, und dies eben ist es, was in der Geschichte
erfolgt. »Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der
Freiheit«; ja als der Endzweck der Welt erscheint damit »das Bewußtsein
des Geistes von seiner Freiheit«.
Hier besonders kommt zur Geltung, daß der Aufstieg nicht in ruhigem
Fortgang, sondern durch schroffe Gegensätze und härtesten Kampf
hindurch erfolgt. »Die Entwicklung, die in der Natur ein ruhiges
Hervorgehen ist, ist im Geist ein harter unendlicher Kampf gegen sich
selbst. Was der Geist will, ist seinen eigenen Begriff zu erreichen,
aber er selbst verdeckt sich denselben, ist stolz und voll von Genuß
in dieser Entfremdung seiner selbst.« »Die Entwicklung ist auf diese
Weise nicht das harm- und kampflose bloße Hervorgehen, wie die des
organischen Lebens, sondern die harte unwillige Arbeit gegen sich
selbst.«
* * * * *
[Randnotiz: Große Menschen]
So gewiß die Träger dieser Bewegung die Menschen sind, sie dient nicht
ihrem Befinden, und nicht ihre Absichten sind es, welche den Weltlauf
bestimmen. Vielmehr sind die Menschen nur Mittel und Werkzeuge der
Bewegung des Geisteslebens, sie dienen ihm auch dann, wenn sie nur
ihre eignen Zwecke zu fördern glauben. »Sie vollbringen ihr Interesse,
aber es wird noch ein Ferneres damit zustande gebracht, was auch
innerlich darin liegt, aber das nicht in ihrer Absicht lag.« »Die
Leidenschaften zerstören sich gegenseitig, die Vernunft allein wacht,
verfolgt ihren Zweck und macht sich geltend.« So spricht Hegel auch von
einer »List« der Idee. Aus dem allgemeinen Getriebe aber heben sich
als große Menschen solche hervor, welche die allgemeine Notwendigkeit
zu ihrer eignen Lebensaufgabe machen. »Dies sind die großen Menschen
in der Geschichte, deren eigne partikularen Zwecke das Substantielle
enthalten, welches Wille des Weltgeistes ist. Dieser Gehalt ist ihre
wahrhafte Macht.« Diese Menschen aber kommen nach Hegel eben zu
der Zeit, welche ihrer bedarf. »Wir müssen überzeugt sein, daß das
Wesen die Natur hat durchzudringen, wenn seine Zeit gekommen, und
daß es nur erscheint, wenn diese gekommen, und deswegen nie zu früh
erscheint noch ein unreifes Publikum findet.« Wie Hegel in dem allen
der weltgeschichtlichen Bewegung eine Überlegenheit gegen die Zwecke
der Individuen zuerkennt, so verlangt er auch für ihre Beurteilung
einen anderen Standort als den der privaten Moral. »Die Weltgeschichte
bewegt sich auf einem höheren Boden, als der ist, auf dem die Moralität
ihre eigentliche Stätte hat, welche die Privatgesinnung, das Gewissen
der Individuen, ihr eigentümlicher Wille und ihre Handlungsweise ist;
diese haben ihren Wert, Imputation, Lohn und Bestrafung für sich.«
»Die Taten der großen Menschen, welche Individuen der Weltgeschichte
sind, erscheinen so nicht nur in ihrer inneren bewußtlosen Bedeutung
gerechtfertigt, sondern auch auf dem weltlichen Standpunkte. Aber von
diesem aus müssen gegen welthistorische Taten und deren Vollbringer
sich nicht moralische Ansprüche erheben, denen sie nicht angehören. Die
Litanei von Privattugenden der Bescheidenheit, Demut, Menschenliebe
und Mildtätigkeit muß nicht gegen sie erhoben werden.« Gewiß liegt in
solchem Gedanken eine Wahrheit, aber die Art, wie Hegel ihn überspannt,
enthält augenscheinlich die Gefahr, die Moral der geistigen Kraft
gänzlich unterzuordnen; er sah in der Moral nicht wie Kant die Quelle
einer neuen Welt, sondern nur die subjektive Gesinnung des einzelnen,
und daß diese nicht die bewegende Kraft der Weltgeschichte bildet,
daran läßt sich nicht zweifeln. Wie hier, so ist überhaupt die Größe
Hegels eng mit starker Einseitigkeit verquickt; wer ihn richtig
beurteilen will, hat beides miteinander gegenwärtig zu halten.
Die nähere Durchführung des Grundgedankens hat darzutun, daß alle
Mannigfaltigkeit des Geschehens der Entwicklung des Geistes zum
Bewußtsein der Freiheit dient. Das ist nun nicht wohl möglich ohne
eine energische Zusammendrängung und vielfache Gewaltsamkeit, die
Individualität des Geschehens findet bei weitem nicht ihr gebührendes
Recht. Aber andererseits erweist sich eine gewaltige Kraft in dem
Vermögen, ausgedehnte Gebiete zu strenger Einheit zusammenzufassen
und mit knappen, oft sehr treffenden Worten zu charakterisieren. Auch
sei bei der Beurteilung gegenwärtig, daß sich damals das Bild der
Geschichte unvergleichlich enger und einfacher ausnahm als in der
Gegenwart. Den Mittelpunkt bildete dort das Verhältnis des Altertums
zur Neuzeit durch das Christentum hindurch; das Leben des Orients mit
all seinem Reichtum wurde als eine bloße Vorstufe angesehen, es war das
die Zeit des stolzen Selbstbewußtseins Europas, die Zeit, der Europa
als einziger Sitz höherer Bildung galt, und wo man, um mit F. A. Wolf
zu reden »Asiaten und Afrikaner als literarisch nicht kultivierte, nur
zivilisierte Völker« von der höheren Bildung ausschloß. Demgegenüber
hat Hegel schon eine größere Weite.
* * * * *
Seinem Gesamtverfahren gemäß zerlegt Hegel die Geschichte in drei
Hauptperioden: das Versenktsein des Geistes in die Natürlichkeit,
das Heraustreten in das Bewußtsein seiner Freiheit (aber noch mit
der unmittelbaren Natürlichkeit als einem Momente behaftet), das
Selbstbewußtsein und Selbstgefühl des Wesens der Geistigkeit. In der
näheren Entwicklung nimmt die Religion eine hervorragende Stelle ein,
erst die Anerkennung einer höheren Ordnung gibt nach Hegel dem Menschen
einen Wert bei sich selbst. So sagt er (zunächst im Hinblick auf die
Neger): »Daraus, daß der Mensch als das Höchste gesetzt ist, folgt,
daß er keine Achtung vor sich selber hat, denn erst mit dem Bewußtsein
eines höheren Wesens erlangt der Mensch einen Standpunkt, der ihm
eine wahre Achtung gewährt.« In allen verschiedenen geschichtlichen
Gestaltungen der Religion bemüht sich Hegel einen Vernunftgehalt
aufzuweisen. »In jeder Religion ist göttliche Gegenwart, ein göttliches
Verhältnis, und eine Philosophie der Geschichte hat in den verkümmerten
Gestalten ein Moment des Geistigen aufzusuchen.« Aber zugleich tritt
er aufs entschiedenste dafür ein, daß die Religion nur zusammen mit
der geistigen Arbeit, nicht von ihr abgelöst, segensreich wirken
könne. In der Absonderung vermöge die Religion die Leidenschaften
und Begierden nicht zu bezwingen. »Damit das Herz, der Wille, die
Intelligenz wahrhaft werden, müssen sie durchbildet werden, das Rechte
muß zur Sitte, zur Gewohnheit werden, die wirkliche Tätigkeit muß zu
einem vernünftigen Tempel erhoben sein, der Staat muß eine vernünftige
Organisation haben, und diese macht erst den Willen der Individuen zu
einem wirklich rechtlichen. Das byzantinische Reich ist ein großes
Beispiel, wie die christliche Religion bei einem gebildeten Volke
abstrakt bleiben kann, wenn nicht die ganze Organisation des Staates,
der Gesetze nach dem Prinzipe derselben rekonstruiert wird. Das
Christentum war zu Byzanz in den Händen des Abschaums.«
[Randnotiz: Die germanische Welt]
Die Höhe und den Abschluß der geschichtlichen Entwicklung findet Hegel
in der »germanischen Welt«; die Neuzeit habe hier die Aufgabe, die
Innerlichkeit des Geisteslebens, die durch das Christentum eröffnet,
aber zunächst im Gegensatze zur Welt verblieben sei, dieser zuzuführen
und ihre ganze Weite damit zu durchdringen.
Das Ganze klingt in eine befriedigte, ja freudige Stimmung aus. »Die
Entwicklung des Prinzips des Geistes ist die wahrhafte Theodizee, denn
sie ist die Einsicht, daß der Geist sich nur im Elemente des Geistes
befreien kann, und daß das, was geschehen ist und alle Tage geschieht,
nicht nur von Gott kommt, sondern Gottes Werk selber ist.«
* * * * *
Im geistigen Schaffen, im Reich des »absoluten Geistes«, wie Hegel
es nennt, unterscheidet er drei Hauptgebiete: Kunst, Religion,
Philosophie. Alle haben zum Inhalt dieselbe Wahrheit, aber sie stellen
diese in verschiedener Weise dar und bilden dabei eine Stufenfolge.
Die Kunst gibt die Wahrheit in der Form der sinnlichen Anschauung,
die Religion in der der Vorstellung und des Gefühls, die Philosophie
als die Vollenderin des Ganzen in der des reinen Denkens. In jedem
der Gebiete aber wird eine Bewegung aus eigner Kraft und sachlicher
Notwendigkeit aufzuweisen gesucht, die durch Satz und Gegensatz
verläuft. So treten alle Gebiete geistigen Lebens in dasselbe Licht
und verbinden sich zu einem großen Ganzen, überall ist es der
Gedankengehalt, der sie beherrscht und gestaltet; ob sie dabei ihre
Individualität vollauf zu wahren vermögen, ob überhaupt das Leben
damit nicht in eine zu enge Bahn geleitet wird, das ist eine andere
Frage. Namentlich der Religion wird es hier schwer gemacht, eine
Selbständigkeit gegen die Philosophie zu behaupten.
* * * * *
Indem Hegel das Schöne als »eine bestimmte Weise der Äußerung und der
Darstellung des Wahren« faßt, stellt er die Aufgabe, überall einen
Gedankengehalt aufzusuchen und alles künstlerische Schaffen von da aus
zu verstehen; die Kunst befreit durch ihre Darstellungen innerhalb
der sinnlichen Sphäre zugleich von der Macht der Sinnlichkeit.
Durch solches Verlangen eines Gehalts tritt Hegel in einen geraden
Gegensatz zu denen, welche die Form für das Wesentliche am Kunstwerk
erklären und in ihr den Grund des Gefallens am Schönen finden. Hegels
Fassung enthält den Antrieb, die Kunst mit dem Ganzen des geistigen
Lebens in einen engen Zusammenhang zu bringen und auch in ihr eine
der Gesamtbewegung des Geistes entsprechende Entwicklung durch Satz
und Gegensatz aufzuweisen. Das hat er in Wahrheit durch ebenso
ausgebreitete wie tiefeindringende Arbeit getan, seine Forschungen
zur Ästhetik sind das Bedeutendste, was unsere Literatur auf diesem
Gebiete besitzt. Daß die Wirkung dieser Lehre oft minder günstig war,
indem sie zum Aufstöbern eines Begriffes, eines »Grundgedankens« in
den Kunstwerken drängte und dabei viel unerquickliches Räsonnement
hervorrief, ist nicht ohne weiteres dem Denker selbst zur Last zu legen.
* * * * *
[Randnotiz: Religion]
Besonders tief hat Hegels Arbeit in die Behandlung der Religion
eingegriffen. Er bringt ihr die höchste Schätzung entgegen, er hat
sich von früh an mit ihren Problemen eifrig befaßt, auf keinem
anderen Gebiet erreicht seine Sprache eine solche Wärme wie hier.
Die Religion ist ihm im allgemeinsten Sinne »Beschäftigung mit
Gott«. »Als Tätigkeit tut sie nichts anderes als die Ehre Gottes zu
manifestieren, die Herrlichkeit desselben zu offenbaren. Die Völker
haben dann dies religiöse Bewußtsein als ihre wahrhafte Würde, als
den Sonntag des Lebens angesehen; aller Kummer, alle Sorge, diese
Sandbank der Zeitlichkeit, verschwebt in diesem Äther, es sei im
gegenwärtigen Gefühl der Andacht oder in der Hoffnung. In dieser Region
des Geistes strömen die Lethefluten, aus denen Psyche trinkt, worin
sie allen Schmerz versenkt, alle Härten, Dunkelheiten der Zeit zu
einem Traumbild gestaltet und zum Lichtglanze des Ewigen verklärt.«
Seine wissenschaftliche Erörterung und Begründung der Religion hat
sich zunächst nach zwei Richtungen hin zu rechtfertigen: einmal gegen
eine bloß historische Behandlung, dann aber gegen eine Begründung der
Religion auf das Gefühl, wie Schleiermacher sie unternommen hatte.
Der bloß historischen Betrachtungsweise hält Hegel entgegen, es sei
ein unabweisbares Bedürfnis der Gegenwart, die Religion nicht auf
bloße Autorität hinzunehmen, sondern »durch denkende Vernunft Gott zu
erkennen«. »Die Vernunft ist der Boden, auf dem die Religion allein
zu Hause sein kann.« Auch könnten unmöglich der historische Glaube
und die philosophische Forschung ruhig nebeneinander stehen bleiben.
»Wäre das Erkennen der Religion nur historisch, so müßten wir solche
Theologen wie Kontorbedienten eines Handelshauses ansehen, die nur über
fremden Reichtum Buch und Rechnung führen, die nur für andere handeln,
ohne eigenes Vermögen zu bekommen.« Auch sei es eine Verkehrung der
Philosophie, sie als nur mit der Welt befaßt, als »Weltweisheit« und
göttlichen Dingen fremd darzustellen, im Gegenteil habe die Philosophie
Gott zum Gegenstande und eigentlich zum einzigen Gegenstande: »Auch
die Philosophie hat keinen anderen Gegenstand als Gott, und ist so
wesentlich rationelle Theologie, und als im Dienst der Wahrheit
fortdauernder Gottesdienst.« Es sei dabei freilich nicht vergessen,
daß Hegel den Gottesbegriff ganz im Sinne seiner eignen Philosophie
versteht und damit die ganze Religion wesentlich umgestaltet. »Gott ist
das an und für sich schlechthin Allgemeine.«
[Randnotiz: Religion und Vernunft]
In anderer Richtung bekämpft Hegel die Begründung der Religion auf
das bloße Gefühl, wobei er aber die eigentümliche Fassung des Gefühls
bei Schleiermacher verkennt und diesem in seiner Kritik entschiedenes
Unrecht tut. Die Zurückführung des Glaubens auf das Gefühl würde, so
meint er, jenen ganz subjektiv machen, das Gefühl habe den zufälligsten
Inhalt, »es sproßt die königlichste Blume auf demselben Boden neben
dem wucherndsten Unkraut auf«. Nach Hegel empfängt das Gefühl seine
Wahrheit erst durch den Gedanken: »Der wahre Nerv ist der wahrhafte
Gedanke; nur wenn er wahr ist, ist das Gefühl auch wahr.« Damit wird
das Gefühl nicht verworfen, aber es hat seinen wahrhaften Inhalt erst
von der Philosophie zu empfangen.
Der Inhalt der Religion ist nun bei Hegel, wie sich schon zeigte,
derselbe wie der der Philosophie, nur gibt die Religion die Wahrheit
in der Form der Vorstellung, die Philosophie in der Form des Begriffs,
des reinen Denkens; dort stehen die einzelnen Sätze als Tatsachen
unmittelbar nebeneinander, hier werden sie als zusammenhängend und
notwendig dargetan. Die Religion ist für alle Menschen, nicht aber die
Philosophie. So hat denn die Philosophie »die Vernunft zu versöhnen
mit der Religion und diese in ihren mannigfaltigen Gestaltungen als
notwendig zu erkennen«. Der gemeinsame Inhalt von Philosophie und
Religion ist nach Hegel, »sich als einzelner als das Allgemeine zu
setzen und sich als einzelner aufhebend sein wahrhaftes Selbst als das
Allgemeine zu finden«; so wird Religion »Beziehung des Geistes auf
den absoluten Geist«; da aber diese Beziehung schließlich innerhalb
des absoluten Geistes liegt, das Endliche letzthin in Gott ist, so
ist Religion im höchsten Sinne nicht ein Verhältnis des Menschen zu
Gott, sondern ein Verhältnis Gottes zu sich selbst. »Gott setzt das
andere und hebt es auf in seiner ewigen Bewegung.« Die Religion ist
letzthin »die Idee des Geistes, der sich zu sich selbst verhält, das
Selbstbewußtsein des absoluten Geistes«. Durch den Weltprozeß hindurch
erfolgt hier eine Selbsterfassung und Selbstvollendung Gottes, wie denn
Hegel auch geradezu sagt: »Ohne Welt ist Gott nicht Gott.«
* * * * *
[Randnotiz: Das Christentum]
Diese »Religion des absoluten Geistes« sucht dann Hegel als identisch
mit dem Christentum, als eine Erhebung des Christentums zu voller
philosophischer Klarheit nachzuweisen; die christliche Lehre von der
Erlösung durch ein Eingehen Gottes in die Welt, von einem Ausgehen
und Zurückkehren zu sich selbst, ist dabei der verbindende Gedanke.
Eine große Künstlichkeit dieses Verfahrens ist nicht zu verkennen,
doch werden zugleich bedeutende Gedanken entwickelt. Ein solcher ist,
entsprechend der Hegelschen Art vom Ganzen her zu verstehen, daß
auch in der Religion an der einzelnen Stelle nichts geschehen kann,
was nicht im Ganzen begründet und von dort zugeführt ist. »Daß der
Gegensatz an sich aufgehoben ist, macht die Bedingung, Voraussetzung
aus, die Möglichkeit, daß das Subjekt auch für sich ihn aufhebe.« »Nur
vermittels dieses Glaubens, daß die Versöhnung an und für sich und
gewiß vollbracht ist, ist das Subjekt fähig, imstande, sich selbst in
diese Einheit zu setzen. Diese Vermittlung ist absolut notwendig.«
Ferner verficht Hegel mit großer Entschiedenheit die Unabhängigkeit
der Substanz der Religion von sinnlichen Zeichen und Wundern. »Die
Beglaubigung des Sinnlichen, sie mag einen Inhalt haben, welchen sie
will, bleibt unendlichen Einwendungen unterworfen«; »was für den Geist
Wahrheit haben, was er glauben soll, muß nicht sinnliches Glauben sein;
was für den Geist wahr ist, ist ein solches, für welches die sinnliche
Erscheinung heruntergesetzt wird. Indem der Geist vom Sinnlichen
anfängt und zu diesem seiner Würdigen kommt, ist sein Verhalten gegen
das Sinnliche zugleich ein negatives Verhalten.« So ist die sinnliche
Geschichte für den Geist nur Ausgangspunkt, über den es fortzuschreiten
gilt. Ferner dringt Hegel auch in diesen Ausführungen stets darauf,
die Religion als eine Sache nicht der Vergangenheit und des gelehrten
Wissens, sondern der lebendigen Gegenwart zu behandeln. »Was der Geist
tut, ist keine Historie; es ist ihm nur um das zu tun, was an und für
sich ist, nicht Vergangenes, sondern schlechthin Präsentes.«
* * * * *
So enthält auch Hegels Religionsphilosophie wertvollste Anregungen.
Aber daß diese Religion eines Ausgehens und Zurückkehrens der Gottheit
zu sich selbst der christlichen Religion nur durch recht künstliche
Deutung gleichgesetzt werden kann, daran läßt sich nicht zweifeln;
alle Größen sind dabei verschoben, alles ist vom Moralischen ins
Intellektuelle umgedeutet.
* * * * *
[Randnotiz: Die Philosophie]
Den Gipfel des Lebens findet Hegel in der Philosophie, sie ist eine
Erfassung der Wahrheit in der Form des Denkens, sie ist »der sich
in Geistesgestalt wissende Geist oder das begreifende Wissen«. Ihre
Entwicklung aber liegt in ihrer Geschichte, sie ist nichts besonderes
neben dieser. Nur muß die Geschichte in ein Ganzes zusammengefaßt
und vom Gedanken durchleuchtet werden. Die Lehren der einzelnen
Denker sind nicht bloße Meinungen und Einfälle der Individuen,
sondern in dem, was an ihnen wahr ist, sind sie notwendige Stufen des
Gedankenprozesses. Diese Überzeugung drängt dahin, den Platz jeder
einzelnen Leistung innerhalb des Ganzen aufzusuchen, sein Hervorgehen
und sein Einmünden in das Ganze darzustellen, auch bei den einzelnen
Denkern in aller Mannigfaltigkeit eine Hauptidee zu erkennen und diese
mit voller Klarheit herauszuheben; alles Nebensächliche wird dabei
energisch abgestreift. Der Fortschritt der Bewegung erfolgt aber
wieder nach dem Gesetze des Gegensatzes, mittels eines Hindurchgehens
durch These und Antithese, bis endlich eine allumfassende Synthese
gewonnen wird. Diese glaubt Hegel aber in der Gegenwart erreicht.
So kann es nicht als vermessen erscheinen, von hier aus den ganzen
Bereich der Vergangenheit aufzuhellen und den Wahrheitsgehalt jeder
besonderen Leistung festzustellen. Das Ganze erscheint damit als
ein »in sich zurückkehrender Kreis, der seinen Anfang voraussetzt
und ihn nur im Ende erreicht«. »Jeder Schritt des Fortgangs ist auch
eine Rückannäherung an den Anfang.« Ein solches Insichzurückkehren
erscheint Hegel als die wahre Unendlichkeit, während er die schlechte
Unendlichkeit einer ins Endlose fortlaufenden geraden Linie vergleicht.
In jener wahren Unendlichkeit erreicht das Leben ein volles
Beisichselbstsein und zugleich inmitten der unablässigen Bewegung ein
sicheres Ruhen in sich selbst.
* * * * *
Auch in diesem Abschluß zeigt Hegel eine gewaltige Kraft des
Denkens mit gewagter, höchst angreifbarer Behauptung aufs engste
verbunden. Es erfolgt hier eine kräftige Gegenwirkung gegen
ein Auseinanderfallenlassen der Gedankenbewegung in zerstreute
Einzelleistungen, auch gegen ein Gleichsetzen von Haupt- und
Nebensachen und ein Verweilen bei diesen; bloße Gelehrsamkeit wird von
Hegel wenig geschätzt, er meint, daß sie »da immer am breitesten sich
ausdehnt, wo am wenigsten zu holen ist«. Indem eine Gesamtbewegung
alles umfaßt, alles einzelne aus sich hervortreibt und in sich
zurücknimmt, wird ein packendes Bild geboten. Aber auch die Gefahren
dieses Verfahrens liegen deutlich zutage, an Widerspruch konnte es
nicht fehlen.
* * * * *
Es ist nicht leicht, zum Ganzen der Hegelschen Gedankenwelt Stellung
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