Die Träger des deutschen Idealismus - 11

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zu nehmen. Da alle Mannigfaltigkeit einem einzigen Grundgedanken
dient, so scheint die Sache damit auf ein schroffes Entweder -- Oder zu
kommen: entweder völlige Billigung oder völlige Ablehnung. Die nähere
Erörterung dieser Frage ist eine Sache der Philosophie, sie wird dabei
die Mahnung Hegels gegenwärtig zu halten haben, daß Systeme nur durch
Systeme zu widerlegen sind. -- Unsere Würdigung kann sich nur an die
geschichtlichen Wirkungen halten, diese aber waren unbestreitbar groß.
Die hier mit gewaltiger Energie erhobene Forderung, eine den Meinungen
und Zwecken der Menschen überlegene sachliche Wahrheit anzuerkennen und
ihren Forderungen nachzukommen, sich in die Dinge selbst zu versetzen
und sie aus sich selbst zu verstehen, hat stärkend und erhöhend
auf die geistige Arbeit gewirkt. Die Voranstellung des Ganzen vor
alles Einzelne, das Sehen vom Ganzen her, hat der wissenschaftlichen
Forschung fruchtbare Anregungen gegeben, indem sie überall auf ein
Begreifen des Einzelnen aus den Zusammenhängen drang und die Individuen
als einen Ausdruck ihrer Zeit zu verstehen suchte; sie hat noch mehr
auf politischem und sozialem Gebiet gewirkt, indem sie die Aufgabe
des Ganzen vor alle Interessen der Individuen zu stellen und die
Macht wie den Wirkungskreis des Ganzen zu steigern antrieb; aus Hegel
haben nicht nur die sozialdemokratischen Theorien geschöpft (Marx,
Engels, Lassalle), man kann sagen, daß seine Auffassung den geistigen
Hintergrund des gesamten sozialen Wirkens des modernen Staates bildet.
Daß Hegel in aller Mannigfaltigkeit des Nacheinander eine durchgehende
Bewegung aufwies, in ihr einen Fortschritt aus eigener Kraft verfocht,
alle Erscheinungen in ein Verhältnis gegenseitiger Bedingtheit brachte,
alles sich gegenseitig suchen, tragen, fördern ließ, das hat nicht nur
im Ergebnis vieles gewinnen lassen, es hat auch die Art des Denkens
geschmeidiger und flüssiger gemacht, es hat ihm eine freiere Stellung
zum Stoffe gegeben. Daß Hegel die ungeheure Macht der Verneinung im
menschlichen Leben, die aufrüttelnde und weitertreibende Macht des
Widerspruches in ihm vollauf zur Anerkennung brachte, das hat einen
großen Ernst in die Behandlung der Dinge gebracht, aber da seinem Nein
immer auch ein Ja gegenwärtig war, zugleich eine innere Erhebung. Es
ist ein großartiger Versuch, in der Wirklichkeit durch Schmerz und
Leid hindurch das Walten einer Vernunft zu enthüllen, ein großartiger
Versuch auch, mit voller Hingebung an die Bewegung der Zeit eine
Betrachtung zeitüberlegener Art zu verbinden und damit den Lebensdrang
bei sich selbst zur Ruhe zu bringen. Wohl ist hier das letzte Ziel eine
Versöhnung mit dem Ganzen der Wirklichkeit, aber diese fordert eine so
völlige Umwandlung des nächsten Anblicks der Dinge und kostet so viel
Arbeit und Opfer, daß sie mit dem landläufigen Optimismus nicht das
mindeste gemein hat.
* * * * *
[Randnotiz: Hegels Nachwirkung]
Hegel hat immer darauf gedrungen, die Philosophie nicht als das Werk
der bloßen Individuen, sondern als einen Ausdruck der Zeit, als eine
Offenbarung ihres Strebens und Wollens zu verstehen. Auch von seiner
eigenen Philosophie läßt sich sagen, daß sie Hauptbewegungen der
Zeit die höchste wissenschaftliche Fassung gibt. Die Neuzeit bekennt
die höchste Schätzung des Denkens und Erkennens, bei Hegel wird es
zu weltschaffender Macht erhoben und soll wie ein Sauerteig alle
Verhältnisse durchdringen; die Neuzeit trägt in sich einen starken
Fortschrittsglauben, bei Hegel erhält er die tiefste Rechtfertigung
aus dem Ganzen einer großen Gedankenwelt; die Neuzeit enthält einen
kräftigen Lebenstrieb, von ihm aus sieht sie Vernunft in die Welt
hinein und neigt zur Bejahung des Lebens; diese Bejahung kann keinen
großartigeren Ausdruck finden, als sie bei Hegel gefunden hat.
* * * * *
Das alles hat auch eine Gegenseite. Punkt für Punkt ist es Zweifeln und
Einwendungen ausgesetzt; diese möge jeder bei sich selbst erwägen und
danach seine Stellung zu Hegel nehmen. Das aber läßt sich von allen
verlangen, daß sie auch ihm selbst gegenüber die Forderung erfüllen,
die er uns immer von neuem ans Herz gelegt hat: aus dem Ganzen zu sehen
und die Dinge nicht nach einem fremden Maßstab zu messen, sondern sie
aus ihrem eigenen Wollen und Wesen zu verstehen.


Zeitgenossen Hegels

Aus der Reihe der deutschen Denker haben wir nur eine beschränkte
Auswahl geboten, wir glaubten uns dabei an diejenigen halten zu sollen,
von denen eine Kraft der Lebensbejahung ausgeht, und die damit zu
weiteren Kreisen sprachen, nicht bloß zur gelehrten Zunft. Aber es
bleibe nicht unerwähnt, daß neben den geschilderten Denkern in der
Bewegung, die mit Kant begann, andere hervorragende Männer stehen, die,
ebenfalls Idealisten, entweder andere Wege gingen oder in ihrem Wirken
nicht so weite Kreise gewannen. Wenigstens einige davon seien hier
angeführt.
* * * * *
[Randnotiz: Die Pädagogik. Schopenhauer. Fries]
Waren die Denker, die wir schilderten, an erster Stelle damit befaßt,
große Weltbilder zu entwerfen und von ihnen her das menschliche Leben
zu deuten, so widerstand Herbart entschieden dieser »kosmischen« Art,
mit eindringender Schärfe und Klarheit durchforschte und zergliederte
er in unermüdlicher Arbeit das menschliche Gedankengewebe, suchte
er mehr Anknüpfung an das unmittelbare Seelenleben und wies in ihm
einfache Gesetze, feste Verkettungen, durchgehende Zusammenhänge
auf; er hat damit namentlich der Erziehungslehre wertvollste Dienste
geleistet. Herbart ist es, welcher der Pädagogik zuerst eine eigene
Begriffswelt schuf und sie damit erst zu einer strengen Wissenschaft
erhob. Sein Einfluß geht in dieser Richtung durch die ganze gebildete
Welt.
* * * * *
So verschieden die von uns betrachteten Denker waren, sie gelangten
schließlich alle zu einer Lebensbejahung, sie alle glaubten mit
Sicherheit eine Vernunft unserer Wirklichkeit dartun zu können.
Dem widerspricht mit großer Energie und in krystallklarer Sprache
Schopenhauer, insbesondere bildet er ein volles Gegenstück zu Hegel.
Suchte Hegel alle Mannigfaltigkeit durch die Arbeit des Denkens zu
verketten und die Welt in ein wohlgegliedertes Begriffsreich zu
verwandeln, so folgt Schopenhauer dem unmittelbaren Eindruck und
der nächsten Empfindung der Dinge, weniger ein logisches Gefüge
als eigentümliche Stimmungen halten mit starken Schwingungen seine
Gedankenwelt zusammen; wollte Hegel das Wirkliche durchweg als ein
Vernünftiges erweisen und durch das Denken mit der Welt versöhnen,
so steht Schopenhauer ganz und gar unter dem Eindruck einer tiefen
Unvernunft des Daseins und weiß sie packend zu schildern; als höchste
Aufgabe der Philosophie erscheint hier die, eine Befreiung von dieser
elenden Wirklichkeit, eine Erlösung einzuleiten. Damit treten ganz
andere Seiten der Welt in den Vordergrund: es wird namentlich das
Dunkle, das Triebhafte, das Unbewußte in ihr hervorgekehrt; das Böse
erscheint hier nicht als eine bloße Minderung des Guten, sondern
als eine positive Macht; mehr Geheimnis umhüllt damit den Kern der
Wirklichkeit. Ein Zusammenhang mit der Romantik ist unverkennbar, nur
ist hier alles mehr ins Negative, aber auch ins Gewaltige gewandt.
Indem eine Tiefe hinter der Welt, eine völlig andere Art des Seins mehr
geahnt als wissenschaftlich ergriffen wird, erfolgt ein entschiedener
Bruch mit einer niederen Lebensgier und den Gütern, die für sie gelten,
es erfolgt eine kräftige Aufrüttelung, eine gänzliche Umkehr wird
gefordert, eine Annäherung an eine religiöse Lebensgestaltung vollzogen.
* * * * *
Auch des edlen Fries sei gedacht, der die Kantische Erkenntnislehre zur
Psychologie in engere Beziehung setzte, nach Wissen, Glauben und Ahnen
drei Arten des Erkennens und zugleich drei Hauptgebiete des Lebens
voneinander schied und jedes in seiner Eigentümlichkeit zu würdigen
suchte, der dabei Religion und Kunst in enge Verbindung brachte. Bei
aller Zartheit der Empfindung war er zugleich ein fester Charakter, ein
tapferer Vorkämpfer deutscher Einheit.
* * * * *
Endlich sei auch das nicht vergessen, daß der philosophischen Bewegung
die Führer der deutschen Erziehung getreulich zur Seite standen,
daß sie den deutschen Idealismus nach einer besonderen Richtung hin
aufs glücklichste entwickelt haben. Sie alle waren einig in der
allgemeinsten Fassung des Erziehungsideales. Der Mensch soll nicht
für einen außer ihm liegenden Zweck, sondern er soll für sich selbst
und zwar zur Selbsttätigkeit, zur Persönlichkeit erzogen werden. Darin
liegt zugleich die Anerkennung des Selbstwertes und der Überlegenheit
einer Innenwelt, auch eine eigentümliche Schätzung menschlicher Güter;
auch wächst in diesen Zusammenhängen die Bedeutung der Erziehung und
des Unterrichts weit über die gewöhnliche Fassung hinaus. Denn sie
beschränken sich nun nicht mehr darauf, den vorhandenen Kulturbesitz
dem neu heranwachsenden Geschlechte mitzuteilen, sondern sie möchten
im Zurückgehen auf die ersten Anfänge, die das Leben im ursprünglichen
Aufquellen zeigen, den Gesamtstand der Menschheit zu größerer Einfalt
und Wahrheit führen, sie bekämpften die »Fremdheit der Bildung«
(Fröbel), sie suchten die Grundüberzeugungen aus dem Leben selbst
zu entwickeln; so sah Pestalozzi im »reinen menschlichen Gefühl für
Dank und Liebe die Quelle des Glaubens« und schöpfte aus dem »reinen
Kindersinn der Menschheit« die Hoffnung ewigen Lebens. Demnach haben
diese Männer als Reformatoren der Erziehung zugleich zur Veredlung
des Lebens gewirkt und gehören daher auch in die Reihe der deutschen
Idealisten.


Rückblick und Ausblick

Die deutschen Idealisten waren keineswegs bloße Kinder ihrer Zeit,
Dolmetscher ihres Strebens, sie fühlten sich vielmehr mit jener oft
in schroffem Widerspruch, sie haben sie oft hart gescholten und haben
sich in ihrem Wirken weit über sie erhoben. Aber wenn ihre Lösung der
Probleme den Durchschnitt der Zeit weit überstieg, so empfingen sie
die Probleme aus der geistigen Atmosphäre, die sie umfing, sie stehen
insofern doch mit ihrer Zeit in Zusammenhang. Es war das aber eine
Zeit, die vorwiegend mit dem Individuum und seiner Erhöhung beschäftigt
war, die in Kunst, Literatur und Philosophie den Hauptinhalt des Lebens
sah und zugleich über die sichtbare Welt hinaus zu einer unsichtbaren
strebte; diese Zeit hatte wenig Einsicht in die Natur und vermochte
wenig ihr gegenüber, auch die politischen, sozialen, ökonomischen
Verhältnisse enthielten damals wenig, was aufstrebende Geister anziehen
konnte. Bei aller Größe, welche eine so geartete Zeit auf ihren
Höhepunkten erreichte, und bei aller Verinnerlichung, die sie dem
gemeinsamen Leben brachte, ist bei ihr eine starke Einseitigkeit nicht
zu verkennen; einem gesunden und kräftigen Volk konnte dies Leben auf
die Dauer unmöglich genügen.
So kam denn ein Umschlag zur sichtbaren Welt und bemächtigte sich
der Gemüter. Es kann etwa die Zeit um 1830 als der Punkt gelten, wo
die Wendung deutlich hervortritt. In der Weltanschauung verdrängt
die Naturwissenschaft mehr und mehr die Philosophie, und aus der
Naturwissenschaft geht die Technik hervor, welche das gesamte Leben des
Menschen wesentlich umgestaltet, es bereichert, kräftigt, beschleunigt,
geradezu neue Menschen bildet. Wohl gingen mit den großen Erfolgen
große Probleme Hand in Hand -- denken wir nur an die soziale Frage --,
aber wie die Erfolge, so ketten auch die Probleme den Menschen immer
fester an die sichtbare Welt und gewinnen ihr seine Kraft und seine
Gesinnung. Ferner entwickelt das menschliche Zusammensein Fragen und
Aufgaben bedeutendster Art: politische Freiheit, nationale Einheit
und Selbständigkeit, möglichste Hebung alles dessen, was menschliches
Angesicht trägt, beherrschen und bewegen die Gemüter. Dazu die
Beziehungen und der Kampf der Nationen, das Streben von Handel und
Industrie, die ganze Welt zu umspannen; in dem allen ist die sichtbare
Welt dem Menschen unvergleichlich mehr geworden; die Deutschen aber
haben sich an dieser Bewegung nicht nur eifrig beteiligt, sondern sie
sind immer mehr in die erste Linie getreten und haben sich dadurch viel
Neid und Haß mißgünstiger Nachbarn zugezogen.
* * * * *
[Randnotiz: Die Wendung zur sichtbaren Welt]
Solches Wirken zur sichtbaren Welt war kein Abfall der Deutschen von
ihrer echten Art, wie die Gegner es darzustellen lieben, sondern
man braucht nur einen flüchtigen Blick auf die ältere deutsche
Geschichte zu werfen, auf die Blüte der deutschen Städte, auf Hanse
und Ritterorden, um zu sehen, wie tüchtig und leistungsfähig die
deutsche Arbeit war, wie großartig sich das deutsche Wirken auch in
der sichtbaren Welt ausnahm. Nur besondere geschichtliche Ereignisse
haben diese Seite unseres Wesens zeitweilig zurückgedrängt und uns
die sichtbare Welt als minder bedeutend dargestellt. Wenn wir das nun
glücklich überwunden haben und wieder mit frischer Kraft und freudigem
Mut die sichtbare Welt ergreifen, so werden wir damit uns selbst nicht
untreu, sondern wir nehmen eine zeitweilig verkümmerte Seite unseres
Wesens wieder auf.
Aber es bleibt eine Gefahr, die Gefahr, daß dies Neue uns
ausschließlich beschäftige, die Richtung des Lebens allein bestimme,
die Innerlichkeit, die bisher unser Stolz und unsere Größe bildete,
zurückdränge oder doch minder schätzen lasse; es besteht oder bestand
die Gefahr einer Störung des Gleichgewichts unseres Lebens, die Gefahr
eines Abhängigwerdens vom Äußeren, eines Verkümmerns unserer Seele,
eines Materialismus in der Gestaltung des Lebens und schließlich
auch in der Weltanschauung. So waren für einige Zeit auch die großen
Idealisten sehr in den Hintergrund getreten, sie erschienen vielen
als bloße Schwärmer, die bei aller geistigen Kraft das Streben doch
in die Irre führten. Auch dagegen ist aber bald ein Rückschlag
gekommen, denn das deutsche Volk, das Volk des Gemütes, kann seine
Innerlichkeit nicht lange verleugnen; so kam schon vor dem Krieg eine
Bewegung zu ihrer Verstärkung auf, und die Aufgaben und Erfahrungen
des Krieges haben das weiter gefördert. Denn für seinen Aufruf zu
höchsten Leistungen und sein Auferlegen schwerster Opfer kann er die
Gesinnung des ganzen Menschen nur gewinnen, wenn diese hohe Ziele einer
unsichtbaren Welt anerkennt und andere Güter in Ehren hält als die der
sinnlichen Lebenserhaltung. Wer aus ganzer Seele willig und freudig
Tag für Tag sein Leben für das Vaterland in die Schanze schlägt, der
hat mehr Idealismus als alle Philosophie zu geben vermag. Aber gerade
weil er für sich selbst des Grundgedankens gewiß ist, wird er gern
Gesinnungsgenossen suchen, die ihm eine Bekräftigung und weitere
Ausführung jenes Gedankens verheißen; solche aber findet er in den
Trägern des deutschen Idealismus.
* * * * *
Sehen wir, wie sie uns erscheinen, wenn wir sie heute betrachten und
zu unseren eigenen Aufgaben in Beziehung setzen. Daß wir sie jetzt
aus einer gewissen Ferne sehen, macht es uns möglich, von allem
Kleinen und Bloßmenschlichen abzusehen, das auch ihnen anhaftet, die
unterscheidenden Züge vor den gemeinsamen zurückzustellen oder sie
doch ihnen unterzuordnen; die einzelnen Leistungen verbinden sich uns
mehr zu einer Gesamterscheinung, als es in der eigenen Zeit geschehen
konnte, wo die Unterschiede stärker empfunden wurden und leicht zu
schroffem Gegensatz führten.
* * * * *
[Randnotiz: Der Mensch kein bloßes Naturwesen]
Alle die Männer, die wir betrachteten, stehen zu der Überzeugung
---- und das eben macht sie zu Idealisten --, daß der Mensch, wenn
auch aus der Natur erwachsen, mehr als ein bloßes Naturwesen ist,
und daß sein Leben nicht in die natürliche Selbsterhaltung aufgeht,
daß vielmehr in ihm eine neue Stufe der Wirklichkeit durchbricht,
eine neue Welt erscheint, ihm eine eigentümliche Würde und Größe
verleiht und seinem Handeln hohe Ziele vorhält. Das aber, was nach
ihrer Überzeugung den Menschen veredelt und deutlich von aller Natur
abhebt, ist die Freiheit, das Vermögen einer Gestaltung des Lebens
aus Selbsttätigkeit; sie fassen diese Freiheit verschieden, indem sie
bald mehr als Willensentscheidung, bald mehr als geistige Bewältigung
der Wirklichkeit verstanden wird; darin aber sind sie alle einig,
daß in der Freiheit eine neue Ordnung der Dinge erscheint, die dem
Leben einen neuen Inhalt gegenüber dem nächsten Dasein gewährt und
aus ihm eine neue Welt geistiger Größen und Güter hervorgehen läßt.
Es ist das Teilhaben an dieser Welt, ja das Miterzeugen dieser Welt,
was den Menschen weit über die Grenzen der Natur hinaushebt, ihm ein
ursprüngliches und unendliches Leben eröffnet. Die neue Welt, die so
aus geistiger Arbeit aufstieg, blieb jenen Männern aber nicht getrennt
von der nächsten Welt, vielmehr bestanden sie eifrig darauf, sie mit
dieser in enge Verbindung zu bringen und diese erhöhend und veredelnd
möglichst in sie hineinzuziehen; dabei kamen freilich die Denker zu
einem verschiedenen Ergebnis, den einen verblieb ein Gegensatz und
damit eine große Spannung, die anderen glaubten, die neue Stufe zu
einem reinen Siege bringen und dadurch eine volle Versöhnung mit
der Wirklichkeit erreichen zu können, aber gemeinsam ist allen das
Zusammenbringen und Aneinanderhalten zweier Welten, gemeinsam das
freie Schweben der geistigen Arbeit zwischen, ja über beiden Welten,
gemeinsam das Streben, die höhere Welt zum Siege über die niedere
zu bringen, gemeinsam die Verwandlung des Lebens in ein Wirken und
Schaffen größten Stiles, gemeinsam die Hochschätzung der Tat. Ein
hochgemutes Wirken gibt dem Ganzen des menschlichen Lebens und Seins
einen hohen Wert; so wenig jene Denker an dem vorgefundenen Stande der
Dinge Gefallen fanden, so viel Hemmung, Dunkel und Schmerz sie in ihm
erkannten, die geistige Arbeit fühlte sich allem Widerstand gewachsen,
ja überlegen, und alle Schwere des Kampfes, aller tiefe Ernst hemmte
nicht einen freudigen Lebensmut, nicht ein festes Vertrauen auf einen
Sinn des Lebens und eine Bedeutung menschlicher Arbeit.
[Randnotiz: Indischer und griechischer Idealismus]
Alles miteinander ergibt einen eigentümlich deutschen Idealismus,
der sich vom indischen wie vom griechischen aufs deutlichste
unterscheidet. Der indische Idealismus erklärt die ganze Welt mit ihrem
rast- und sinnlosen Wandel für ein Reich des Scheins, an den sich das
Herz des Menschen nicht hängen dürfe, er eröffnet, im Gegensatz dazu,
eine Einheit göttlichen Seins, in der eine unwandelbare Ruhe herrscht
und der wilde Lebensdrang erlischt. Hier gibt es keine Zurückwendung
zur Welt und keinen Versuch, sie für die Vernunft zu gewinnen, im
besonderen den Stand der Menschheit durch die Arbeit der Weltgeschichte
zu heben. -- Der griechische Idealismus dagegen sieht in der Welt ein
wunderbares Kunstwerk, einen herrlichen Kosmos, dessen Anschauung
reinstes Glück verheißt; wohl bedarf es zu ihrer Erringung energischer
geistiger Arbeit, aber diese hat nur Vorhandenes aufzudecken, nicht
eine Wandlung herbeizuführen. Denn so gewiß der einzelne immer wieder
zur Höhe jener Anschauung aufklimmen muß, die Welt als Ganzes bedarf
keiner Veränderung, in unbeirrtem Rhythmus des Steigens und Fallens
verläuft hier das Leben des Alls von Ewigkeit zu Ewigkeit. Auch hier
entsteht keine Geschichte, keine weltgeschichtliche Arbeit. -- Anders
im deutschen Leben. Eine neue Welt steigt ihm auf, eine Welt der
Freiheit und Tat, eine Welt selbständiger Innerlichkeit, sie ist in
sich selbst begründet, nicht auf fremde Hilfe angewiesen, aber sie hat
sich dem Menschen erst voll zu entwickeln, und sie kann das nicht, ohne
mit der vorgefundenen Welt in Beziehung zu treten, sie weiterzubilden,
sie möglichst in sich aufzunehmen. So gibt es unendlich viel zu tun, es
gilt die Aufbietung aller Kraft, es gilt einen gewaltigen Kampf; damit
gewinnt auch die Geschichte, sowohl von innen heraus als im Verhältnis
des Menschen zu seiner Umgebung, den höchsten Wert, die Welt wird zur
Werkstatt des Geistes.
* * * * *
[Randnotiz: Der deutsche Idealismus]
Solcher Zusammenhang ergibt auch eine eigentümliche Schätzung der
Lebensgüter. Allen Arten des Idealismus, dem indischen, griechischen,
deutschen, ist gemeinsam die Erhebung über die Güter der sinnlichen
Lebenserhaltung und des sinnlichen Lebensgenusses, überall hebt sich
ein Gutes als unbedingter Selbstwert von dem Nützlichen und Angenehmen
des bloßen Menschen ab. Aber dies Gute gewinnt dem deutschen Idealismus
dadurch einen eigentümlichen Charakter, daß hier die Belebung
selbständiger Innerlichkeit, die ethische Tat, die Treue der Hingebung
an das Werk des Ganzen die höchste Schätzung erhält. Die Führer des
Idealismus geben dem einen verschiedenen Ausdruck, aber im Grunde
stehen sie alle zu dem Bekenntnis Kants: »Es ist überall nichts in der
Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne
Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter
Wille.« So sehen sie in diesem allein das, was unser menschliches Leben
bei aller Mühe und Arbeit lebenswert macht, ja es über den ganzen
Bereich von Mühe und Arbeit hinaushebt. Zugleich gewinnt hier der
Gedanke der Pflicht eine überragende Stellung. Die geistige Bewegung,
welche unser Leben von den Niederungen zur Höhe führt, den Menschen zum
Menschen macht, ist nicht eine Privatangelegenheit des Individuums, und
sie entwickelt sich nicht in bequemem Fortgang aus dem gegebenen Stande
heraus, sondern sie hebt den einzelnen in große Zusammenhänge und hält
ihm deren Aufgaben als heilige Forderungen vor. Aber diese Forderungen
werden ihm kein drückender Zwang, da er als geistiges Wesen jene
Zusammenhänge in seinen eigenen Willen aufnimmt und daher im Grunde
nicht fremden Geboten, sondern seiner eigenen Entscheidung folgt; der
Gehorsam selbst und er vor allem bekundet hier seine Freiheit.
* * * * *
Wie der deutsche Idealismus die Moral eigentümlich gestaltet, so hat
er auch ein eigentümliches Verhältnis zur Religion. Sie ist ihm ein
wesentliches Stück, ja der innerste Kern des Lebens. Denn wie könnte
der Mensch den Aufbau einer neuen Welt unternehmen und sie in einen
unerbittlichen Kampf mit der ganzen Umgebung führen, wüßte er sich
nicht von überlegener Macht getragen und geleitet, empfände er nicht
alles, was in seinem eigenen Leben wahrhaft groß und edel ist, als
ihr Werk, ihre Gabe und Gnade? Ohne Religion findet die dem Deutschen
unentbehrliche Innerlichkeit nicht den Weg zu einer Innenwelt und
zugleich keine Befestigung, all sein Streben zur Höhe schwebt dann
haltlos in leerer Luft. Aber eben weil der deutsche Idealismus die
Religion so eng mit dem Leben verbindet, muß er darauf bestehen,
daß sie sich von diesem aus entwickele und sich in seiner Förderung
erweise. Der deutsche Idealismus verlangt eine Begründung der Religion
auf das, was jedem unmittelbar gegenwärtig ist und sich von ihm
erleben läßt, er bindet die Religion nicht starr an die Satzungen der
Vergangenheit, er verlangt eine Gestaltung aus lebendiger Gegenwart,
einer Gegenwart freilich nicht des wechselnden Augenblicks, sondern
eines zeitüberlegenen Schaffens. So gewiß der deutsche Idealismus
ferner die unsichtbare Welt der Religion über die sichtbare Welt
hinaushebt, er will keine Absonderung von ihr, die Weltüberlegenheit
bedeutet ihm nicht eine Flucht vor der Welt; nach seiner Überzeugung
gilt es, das Göttliche auch in dieser Welt kräftig zur Wirkung zu
bringen und »Ewigdauerndes zu verflößen in das irdische Tagewerk«.
* * * * *
[Randnotiz: Der Reichtum des deutschen Idealismus]
Wenn in dem allen der deutsche Idealismus eine durchaus eigentümliche
Lebensgestaltung verficht, so verleiht er der gemeinsamen
Grundüberzeugung recht verschiedene Gestalten, er bildet sie nach sehr
verschiedenen Richtungen aus: die einen finden den Schwerpunkt des
Lebens in der Richtung der Gesinnung und der moralischen Haltung der
Persönlichkeit, die anderen beim Kulturaufbau mit seiner sachlichen
Arbeit; der eine stellt das praktisch-politische Leben, der andere
die Kunst, der andere die Religion voran; jeder einzelne aber hat in
sein Werk seine ganze Persönlichkeit hineingelegt und gibt seiner
Arbeit die Wucht einer geistigen Selbsterhaltung. Jeder hat dabei
seine Eigentümlichkeit auch seiner Sprache mitgeteilt, ihr einen hohen
Schwung und einen ausgeprägten Charakter gegeben, jeder einzelne
spricht zu uns in einer unvergleichlichen Weise, jeder vermag zu uns
ein persönliches Verhältnis zu gewinnen. Dieser Reichtum ist ein großer
Vorzug des deutschen Idealismus, er behütet die Gemeinschaft der
Grundüberzeugung vor aller Enge und Einseitigkeit.
* * * * *
So ist das Ganze des deutschen Idealismus ein kostbarer Besitz unseres
Volkes, ein Besitz freilich, der als ein geistiger sich nicht mühelos
übertragen läßt, sondern den es immer wieder neu zu erringen gilt.
Aber wie er aus deutschem Wesen geboren ist, so kann deutsches Wesen
besonders leicht den Weg zu ihm finden, sich an ihm verjüngen und
erhöhen.
* * * * *
Solches verjüngende und erhöhende Wirken vermag er namentlich in
einer Zeit großer Gefahr und höchster Spannung zu üben, wie es die
Gegenwart ist. Eine solche Zeit wirft mit ihren Aufgaben, Gefahren und
Nöten den Menschen auf sein innerstes Wesen zurück, sie rüttelt ihn
zwingend auf aus dem stumpfen Dahintreiben des Alltags, sie hält ihm
eindringlich das große Entweder--Oder vor Augen, das alles menschliche
Leben durchdringt, sich ihm sonst aber leicht verdunkelt, sie treibt
ihn zu einer klaren Entscheidung über dieses Entweder--Oder. Es
handelt sich nämlich darum, ob der Mensch ganz und gar darin aufgeht,
sinnliche Natur zu sein, bloß einer sinnlichen Welt anzugehören und
daher auch nur sinnliche Güter zu schätzen, oder ob sich seinem Innern
eine Geisteswelt offenbart, ein neues Leben in ihm pflanzt, ihn zu
einem neuen Sein emporhebt, ihm zugleich auch alle Größen und Güter
verwandelt. Sich für das erstere entscheiden, das heißt allen Sinn des
Lebens zerstören, das heißt auch das Große unerklärlich machen, was
heute in Kampf und Opfer alltäglich um uns geschieht. Das zweite ist
unbedingt notwendig, da der Mensch unmöglich sich selbst vernichten
kann; aber seine Bejahung hat ungeheure Schwierigkeiten draußen und
drinnen zu überwinden, sie fordert geistige Stärke, sie fordert
Heroismus der Gesinnung. In solchem Heroismus aber können uns jene
großen Denker stärken, stärken nicht nur durch ihre Lehren, sondern
durch ihr ganzes Leben und Wesen. Auch sie waren tapfere Helden, auch
sie haben einen harten Kampf zu führen gehabt und haben ihn siegreich
bestanden; so sind sie uns Zeugen der Macht und der Gegenwart jener
Welt, die sich mit mächtigen Wirkungen auch in der Gegenwart offenbart.
* * * * *
[Randnotiz: Die Aufgaben unserer Zeit]
Wenn wir mit ihrer Hilfe die Aufgaben unserer Zeit in dem großen
Zusammenhange einer Weltüberzeugung sehen, so verheißt das eine
Vertiefung des Lebens und eine Steigerung der Kraft. Denn der Kampf
für das Vaterland erscheint dann zugleich als ein Kampf für die
idealen Güter der Menschheit, für eine Aufrechterhaltung einer höheren
Welt in unserem Bereich; Kämpfende sowohl als leidende erscheinen
dann als Mehrer des Reiches des Geistes. Trägt eine unsichtbare
Welt unser menschliches Leben, und gibt erst die Beziehung auf sie
unserem Handeln und unseren Schicksalen einen Wert, so verändert
und vertieft sich wesentlich auch der Anblick dessen, was wir heute
erfahren: auch was äußerlich untergeht, kann für eine ewige Ordnung
der Dinge unmöglich verloren sein, und auch schwerste Verluste können
nicht zur Verzweiflung treiben, wenn aus dem Leid eine seelische
Vertiefung hervorgeht, und im Schmerze selbst sich eine höhere Welt mit
lebendiger Gegenwart offenbart. So muß die Verknüpfung mit den letzten
Überzeugungen zur Veredlung der Arbeit, zur Heiligung des Schmerzes
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