Der Jungbrunnen: Neue Märchen von einem fahrenden Schüler - 9

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habt Ihr was zu befehlen und großzusprechen. -- Alte, ich kann die
anzüglichen Redensarten nicht ausstehn! drohte Fedelint. Am besten
ist's, wir reden kein Wort zusammen bis zum Schatze. -- Ja ja, der
Schatz, der Schatz! murmelte die Alte halblaut und schmunzelte. Ist
noch ein bischen weit hin. -- Sie waren zum Thore hinaus, und da fing
gleich der stockfinstre Wald an. Nur ein schwacher Mondblitz fiel von
Zeit zu Zeit auf den Weg, den sie einschlugen; aber die Alte mußte
Augen haben, wie eine rechte Eule, denn sie stieß kein einzig Mal an
einen Baum oder stolperte über eine Wurzel; vielmehr glaubte Fedelint
zu bemerken, daß die Aeste und Sträucher scheu vor ihr ausbogen.
Am Ende ist's eine Hexe, dachte er bei sich. Es lief ihm ein bischen
kalt über den Rücken. Dann aber dacht' er gleich: Was kann sie mir
thun? An meinem Leben liegt mir nicht so viel; da würd' ich der Qual
um Funzifudelchen auf einmal los. Aber wenn sie mich gar heirathete!
Solche alte Schachteln denken gewöhnlich, sie sind immer noch viel
zu gut für so ein junges Blut. Ach, was schiert's mich! Wenn sie's
zu arg macht, kann ich ja doch immer noch Nein sagen. -- Sie gingen
neben einem blanken Bach vorbei, in den der Mond gar hell und silbern
hineinsah. Da hörte Fedelint, wie die Alte ein Lied vor sich sang,
gerade als wüßte sie, was er gedacht hatte:
Und bild' dir keine Narrheit ein!
Du bist mir viel zu jung;
Hast kaum drei Haar' unterm Näschen dein,
Das ist mir nicht genung.
Und wenn ich einen heirathen thu',
Muß sein ein Reiter zu Roß,
Noch 'mal so breit und lang wie du,
Sein Bart dreier Ellen groß.
Sein Rößlein saus't in Windeslauf,
Sein Bart der deckt mich zu;
Ich sitz' vor ihm am Sattelknauf,
Und hinterm Ofen du!
Eben wollte Fedelint anfangen, der Alten den Text zu lesen über solch
ein ehrenrühriges Lied, da machte der Weg eine Schwenkung und sie
standen vor einer schaurigen Schlucht, in die der Bach schäumend sich
hinabwarf und ein gewaltiges schwarzes Mühlenrad trieb. Die Mühle lag
in dunkeln Umrissen dahinter, an den Berg angelehnt, drüber gelagert
großmächtige Eichen und Edeltannen, die die Hütte wie mit Adlersflügeln
zu decken und zu bewachen schienen. Junger Herr Studiosus, flüsterte
die Alte freundlich grinsend und faßte ihn mit der spindeldürren Hand
am Arm, da den Steg hinab, da geht's zum Schatze. Fedelint folgte
zögernd und hatte sich nur in Acht zu nehmen, daß sein Schlafrock nicht
alle Augenblicke an den spitzen Felszacken hangen blieb. Ein morscher
Baumstamm lag über dem Bach, der unter ihren Füßen krachte, und die
Wellen murmelten: kullerkuller, hüt' dich! hüt' dich, Studentchen!
gluck! gluck! Aber Fedelint war ganz gutes Muths, denn er dachte an
Funzifudelchen.
Sie waren schon hart an der Mühle, doch konnte Fedelint die alte
wohlbekannte Hütte nicht wiedererkennen; auch der Grund, in dem sie
lag, schien ihm verändert, wilder und schauerlicher, und die Berge,
die sonst ein gut Stück von einander entfernt waren, rückten ganz nahe
zusammen und drohten einander mit den überhangenden Kuppen, wie riesige
Stiere, die einander die Hörner weisen. Anstatt der verfallnen Hütte
aber, in der nur der alte Müller wohnte, stand eine verwilderte Burg,
ganz in Trümmern, die zerrissene Arme gegen den Nachthimmel streckte,
und zwischen den Fensterlücken, wo das Nachtgevögel kreischend aus-
und einflog, drängten sich die Mondstrahlen und zitterten über die
Schlinggewächse, die aus allen Ritzen vorbrachen. Ein einziges
Erkerchen war wohlerhalten und schien bewohnt. »Seht Ihr, Herr
Studiosus? da wo das Licht blinkt, zwischen den weißen Hängen, da ist
der Schatz verborgen.« Wie die Alte das sagte, fing eine Guitarre leise
an zu klimpern und eine holdselige Stimme sang dazu. Fedelint horchte
mit verhaltenem Athem auf folgende Worte:
Fedelint! Fedelint!
Die Nacht ist lang;
Da wird so bang
Deinem treuen Kind!
Alt Eule schreit,
Des Windes Saus
Geht rings ums Haus;
Was bist so weit?
Komm, komm geschwind!
Mein Herz und Sinn
Zu dir steht hin,
Fedelint! Fedelint!
Wollt Ihr sie verschmachten lassen, junger Herr? flüsterte die Alte.
Ruft ihr zu, daß Ihr kommen wollt. -- Ich weiß nicht, Alte, sagte
Fedelint, mir sitzt was im Hals, ich kann nicht rufen; laßt mich
hineinschaun. -- Kommt, erwiederte die Alte, ich will Euch huckepack
zum Erkerfensterchen tragen. -- Damit hatte sie den leichten Studenten
schon auf den Rücken genommen und war mit ihm nach dem Fenster
getrippelt. Der Wind stieß die Vorhänge fort, daß das Licht drinnen
flackerte und der Schlafrock Fedelints der Alten weit über den Rücken
wehte. Den aber kümmerte es nicht; mit den Händen klammerte er sich ans
Fenstersims und schaute hinein. Da lag ein wunderschönes Mädchen mit
tiefschwarzem Haar im Großvaterstuhl, die Guitarre in den schwellenden
weißen Armen, und die weißen Finger glitten eben wieder über die
Saiten, als Fedelint den Kopf zum Fenster hineinsteckte. Da schlug sie
die langen Wimpern zu ihm auf, sah ihn mit wehmüthiger Sehnsucht an und
sang:
Fedelint! Fedelint!
Mußt fest dich klammern
An meiner Kammern
Fensterlein fest,
Auf daß dich läßt
Hangen der Wind, der Wind!
Doch mußt vorher
Verschwör'n, vergessen
Die kleine Prinzessen;
Darfst sonst nicht ein
Zur Liebsten dein,
Küssen sie nimmer, nimmermehr!
Hihihi! kicherte die Alte unten und schob den Schlafrock weg, daß der
auf ihrem Rücken besser hören möchte, seid doch klug, Herr Studiosus!
was soll Euch das blinde, verwunschene Ding? -- Darauf wurde es stille;
nur der Mühlbach rauschte gewaltig auf. Fedelint packte ein eisiger
Schrecken am Schopf; das schöne Mädchen stand auf vom Großvaterstuhl,
ging lächelnd und winkend auf ihn zu, und wollt' ihm die Hand reichen,
um ihm hineinzuhelfen. Plötzlich trat ihm Funzifudelchens Bild vor die
Seele, wie sie so hold und blumenhaft im Bettchen lag und war so lieb
und gut und wäre so gern erlös't worden, und er faßte sich ein Herz
und schrie: In die Hölle, ihr Hexenpack, jung und alt! -- Da that das
schöne Mädchen einen gewaltigen Schrei, die Alte kreischte laut auf,
schleuderte den armen Fedelint hoch in die Luft, und wie er wieder zu
sich und auf die Erde kam, war Alles verschwunden. Er stand hart an der
Thür der wohlbekannten Mühlenhütte; es war wieder der alte freundliche
Grund, und der Mühlbach trieb ruhig das Rad, daß der Schaum im Mond
glitzerte.
Fedelint rieb sich an der Stirn; es war ihm, als hätte er geträumt; und
doch war Alles so lebendig gewesen, er meinte noch immer das heisere
Kichern der Alten zu hören. Leise klinkte er die Thür auf und trat
hinein. Innen hörte er zwei Leute schnarchen; das Mondlicht, das durchs
Fenster schien, ließ ihn den Müller und seinen Mühljungen erkennen,
die lagen auf dem Stroh und Jeder hatte einen mächtigen Mühlstein als
Kissen unterm Kopf. Behutsam machte sich Fedelint fort und zog die Thür
leise hinter sich zu. -- Bin ich denn nicht bei Sinnen, oder ist's das
Fasten im Carcer, das mich so schwach gemacht hat? murmelte er vor
sich hin, als er weiter ging. Der morsche Balken war verschwunden;
dafür ging er über den alten festen Steg und hielt sich am Geländer
fest, weil ihm schwindelte vor all seinen Gedanken. Muß machen, daß
ich nach Haus komme, sagte er; die alte Schneiderin (das war nämlich
seine Wirthin) soll mir einen rechtschaffnen Fliederthee kochen, damit
ich das Fieber los werde. -- So ging er die dunkeln Waldwege nach der
Stadt zurück. Ein leiser Regenschauer machte ihn frösteln; doch wurde
er ganz lustig und sang alte, schöne Studentenlieder, und dachte an
Funzifudelchen. Der Regen hörte allmählich auf, und die Wolken flogen
fort, die den Mond verhüllt hatten. An einem heimlichen Plätzchen
machte er einen Augenblick Halt; da glänzte der Mond gar zu schön und
die Wellen liefen lustig murmelnd vorüber. Ein Weidenbaum hing quer
über den Bach, daß der Stamm eine ordentliche Brücke bildete. Ei, da
muß sich's schön sitzen lassen! dachte Fedelint, schwang sich behend
auf den Stamm, und ließ Füße und Schlafrock herunterhangen, daß die
Wellen ihm die Sohlen seiner Stiefel benetzten; aber der Schlafrock
bekam einen wundervollen nassen Saum. Wie er so saß, kam ihm wieder ein
Lied in den Sinn, und er sang:
Wie bin ich nun in kühler Nacht
Im Wald herumgestrichen!
Die Bäume, noch von Regen schwer,
Die wogten tropfend hin und her;
Hätt' nicht mein Herz gebrannt so sehr,
Nach Haus wär' ich gewichen.
Die lohe Glut kein Regen mag,
Kein Thau zu kühlen taugen.
Der rothe Blitz entflammt' sie nicht,
Der jäh die schwarzen Eichen bricht;
Das that der Liebsten Angesicht
Mit den zwei lichten Augen.
Ach Gott! dachte er und hielt ein, da hab' ich wahrhaftig eine Lüge
gesungen! Es ist doch ein Jammer, wenn man eine Liebste hat, die
verwunschen ist und die Augen nicht aufschlagen darf; darauf ist kein
einziges altes Lied eingerichtet. -- Er saß so eine Weile und sann;
dann sang er weiter:
Es geht ein Wehen durch den Wald,
Die Windsbraut hör' ich singen.
Sie singt von einem Buhlen gut,
Und bis sie dem in Armen ruht,
Muß sie noch weit in bangem Muth
Sich durch die Lande schwingen.
Der Sang der klingt so schauerlich,
Der klingt so wild, so trübe.
Das heiße Sehnen ist erwacht;
Mein Schatz, zu tausend gute Nacht!
Es kommt der Tag, eh du's gedacht,
Der eint getreue Liebe.


Viertes Kapitel.
Wie Fedelint durch ein Unglück ein Glück macht.

Eben war Fedelint im Begriff, seinen kühlen Sitz zu verlassen, und
dachte daran, wie er doch so ein leichtsinniger Mensch sei, und
nun müsse er sich eine doppelte Portion Fliederthee bei der alten
Schneiderin bestellen; da rauschte es nicht gar weit von ihm in den
Wellen, daß er neugierig in die Höhe sah. An einer breiteren Stelle
des Wildbachs war's, da ging eine ordentliche Bucht ins Ufer hinein,
rings von dichtem Busch bekränzt, daß man nicht wohl anders hinsehn
konnte, als von der Stelle, wo Fedelint saß. Da mußte das Wasser gar
tief sein, denn es war blau und still und kein Kiesel schimmerte vom
Grunde. Ein blondes Weib tauchte aus der Tiefe auf, die langen Haare
von Vergißmeinnicht und Wasserlilien gekrönt, ein griechisches langes
Gewand umgeworfen, weiß und silberglänzig. Sie setzte sich, Fedelint
abgewandt, auf einen der großen mit Moos überwachsenen Granitblöcke,
die der Bach im Frühling mit sich hinabreißt, und begann ihre gelös'ten
Haare in einen Wellenscheitel zu ordnen, wie es Fedelint bei den alten
Marmorbildern der Göttinnen gesehn hatte; dabei sang sie folgendes
Lied:
Dein Herzlein mild,
Du liebes Bild,
Das ist noch nicht erglommen,
Und drinnen ruht
Verträumte Glut,
Wird bald zu Tage kommen.
Es hat die Nacht
Einen Thau gebracht
Den Knospen all im Walde,
Und Morgens drauf
Da blüht's zuhauf
Und duftet durch die Halde.
Die Liebe sacht
Hat über Nacht
Dir Thau ins Herz gegossen,
Und Morgens dann,
Man sieht dir's an,
Das Knösplein ist erschlossen.
Sie hatte kaum geendet, da hörte sie hinter sich ein gewaltiges
Krachen, und gleich darauf fiel ein schwerer Körper ins Wasser. Wie sie
umblickte, gewahrte sie Fedelint, bemüht sich aufzurichten zwischen
den Steinen und Wellen; die Weide hing gebrochen über ihm. Er war, in
das Lied versunken, zu weit aufs obere Ende hinaufgerutscht, um die
Sängerin besser zu sehen. Die aber wandte sich halb erschrocken, halb
zürnend um, und als sie den Mann im Schlafrock gewahrte, wie er den
reißenden Wellen kaum Widerstand leisten konnte, rief sie: Frevler,
der du gewagt hast mich in der Waldeinsamkeit zu belauschen, zur Strafe
sollen dir auf der Stirn wie weiland Aktäon zwei Hörnlein wachsen!
-- Damit wollte sie eilig in die Tiefe hinabtauchen; aber Fedelint,
der mit Entsetzen auf seinem Kopf das Geweih wachsen fühlte, rief ihr
flehentlich zu: Allerschönste Göttin oder Nymphe, wer du auch seiest,
ich beschwöre dich bei der waldschützenden Diana, bleibe und laß mich
nicht unverdient büßen! -- Es lag so etwas Rührendes in seiner sanften
Bitte, daß die erzürnte Schöne unwillkürlich zögerte. Fedelint schwang
sich indessen ans Ufer, und als er in dem wogenden Silberspiegel
sich beschaute und den stattlichen Kopfschmuck ganz unbefangen als
wenn's gar nichts wäre auf seiner Stirn sitzen sah, mußte er, so
traurig er war, doch laut auflachen. Er kam sich gerade so vor, wie
der Moses in den alten Bilderbibeln, oder gar wie der leibhaftige
Gottseibeiuns. Das muß wahr sein, Fräulein, sagte er mit ganz lustiger
Stimme, da werdet Ihr keinen Mann kriegen, wenn's ruchtbar wird, daß
Ihr's Hörneraufsetzen so gut versteht! Ich bin doch aber wahrhaftig
unschuldig dazu gekommen. Habt Ihr ja ein ganz ehrbares Gewand bis über
die Fußspitzen, und Diana seligen Andenkens saß gerade im Bad, als der
Waidmann Aktäon des Wegs kam. Wenn Ihr mir nur in aller Welt sagtet,
wie Ihr auf den Einfall mit den Hörnern gekommen seid! -- Ach, sagte
die Nixe, das ist eine lange Geschichte! -- Sie schien ein bischen
betrübt, säumte aber nicht, sondern schritt durch die Wellen, die ihr
ehrfurchtsvoll die Hand küßten, nach dem Ufer, wo Fedelint stand und
das Wasser aus seinem Schlafrock rang. Sie setzte sich ins Gras dicht
neben den Weidenstamm, der so tückisch unter Fedelint zusammenbrach,
und hieß den jungen Mann neben sich sitzen. Seid nur dreist! rief sie,
als sie bemerkte, daß er fortwährend besorgt nach dem Saume ihres
Gewandes sah, ob nicht etwa ein garstiger Fischschwanz hervorguckte --
ich bin kein Ungethüm, wie es Eure Poeten mir nachsagen; da seht! --
Und damit streckte sie zwei rosige Füßchen aus den Wellen hervor, die
der Mondschein küßte, daß das rothe Blut in den Adern viel lustiger
zu rinnen schien. Fedelint fuhr nach dem Kopf und meinte gleich, es
wüchsen ihm neue Hörner. Die Nixe lachte. Seid doch nicht wunderlich!
sagte sie; Ihr sollt die ersten nicht behalten, viel weniger neue
haben. An all dem Unglück ist doch nur der Schlafrock Schuld. Aber wer
seid Ihr so eigentlich? fragte sie. Da erzählte ihr Fedelint treuherzig
seine ganze Geschichte. Sein Vater war Schulmeister in einem kleinen
Nest gewesen, hatte ihn früh auf die Universität gebracht und seinen
einzigen Bruder auch. Der war aber in die Welt gelaufen; denn er war
ein Musikant und spielte die Fiedel wie Einer, aber hinter den Büchern
sitzen mochte er nicht. Nun kam die ganze Geschichte von seiner Liebe
zu Funzifudelchen, und wie er heut Abend, nachdem er bei Wasser und
Butterbrod im Carcer gesessen, von der alten Hexe vexirt sei. -- Ach
du armer Schelm! sagte die Nix, den Spuk hat dir die böse Fee Aurora
Mesopotamia angerichtet; denn wenn du dich hättest verführen lassen,
wär' Funzifudelchen dir auf immer verloren gegangen. Aber du mußt ja
recht hungrig sein! will dir gleich was holen lassen. -- Sie pflückte
in Eil von den Blümelein Vergißnichtmein, die häufig am Bach wuchsen,
schlang ein Kränzchen und warf's gerade auf die tiefe Stelle. Dazu sang
sie:
Kränzlein von den Blumen blau,
Schwimm zu meiner Kammerfrau!
Sag' ihr, daß sie bring' herbei,
Was vom Vesper übrig sei:
Fischsalat von Lachsforellen,
Butterbrödchen mit Sardellen,
Grünen Aal und blauen Hecht;
Schwimm und meld' ihr Alles recht,
Daß sie sei in Eile da!
Dies befiehlt dir Undula.
Das Kränzlein war Augenblicks hinabgesunken. Fedelint aber saß in
tiefen Gedanken. Fräulein Nixe, fing er an, ist Undula wirklich Euer
Taufnamen? -- Die Nixe wurde roth. Man kennt mich jetzt nur unter
diesem, sprach sie; früher hieß ich +Wellindchen+. Wenn Ihr mir zuhören
wollt, sollt Ihr die ganze Geschichte wissen; dann werden sich auch
manche andere Räthsel lösen. Wißt nun also vor allen Dingen, daß ich
wirklich die Undula bin, die die böse Fee Mesopotamia meinte, als sie
Euer Funzifudelchen verwunschen hat; und das Lied, das Ihr von mir
hörtet, ist das, wonach jetzt alle Welt aus ist. Früher aber -- doch
laßt uns abbrechen; ich sehe da meine Kammerfrau auftauchen, und es
ist nicht gut, wenn die Dienstboten um die Familiengeheimnisse ihrer
Herrschaft wissen.
Wirklich tauchte an der tiefen Stelle ein junges Nixlein auf und trug
auf dem Haupte ein Brett mit einer reichlichen Collation. Sie kam mit
niedergeschlagenen Augen auf die Stelle zu, wo Undula und Fedelint
saßen, und stellte das Brett auf einen breiten Steinblock, der wie
gemacht schien zum Tisch, konnte aber nicht unterlassen, den schönen
Studenten verführerisch anzublinzen. Undula sah's gleich und machte ein
bös Gesicht. Kannst du das Liebäugeln und Coquettiren noch immer nicht
lassen? rief sie zürnend. In euch leichtfertiges Volk ist doch gar
keine Sittsamkeit zu bringen! -- Das Nixlein wurde hochroth und eilte,
wieder hinabzutauchen. Undula aber nöthigte ihren Gast zu essen, machte
die üblichen Entschuldigungen der Hausfrau und bat, vorlieb zu nehmen.
Sie selbst aß nichts, ließ die Perlen ihres Halsbands durch die Hand
gleiten, und während Fedelint mit einem rechten Studentenappetit zu
essen anfing, erzählte sie Folgendes.


Fünftes Kapitel.
Abenteuer der Nixe Undula mit dem Professor Theophilus Sutorius.

Es ist nun schon zwanzig Jahr her oder gar drüber, da saß ich eines
Tages in dem Wipfel jenes Erlenbäumchens, das, wie Ihr sehn könnt, die
Zweige zu einem förmlichen Sitz ausbreitet. Es war das meine liebste
Zuflucht, wenn meine Freundinnen mich geärgert hatten; denn ich war
damals noch sehr jung und durfte auf den großen Nixenbällen nicht
tanzen, und da sahn sie mich zuweilen über die Achsel an und schimpften
mich einen Backfisch. Darum zog ich mich, wenn wieder Ball war, in mein
Schmollwinkelchen zurück, oben auf den Baum, und weinte.
Da saß ich also wieder einmal und weinte, und hatte meine langen Haare
um mich gehüllt, daß sie fast bis auf den Boden herabreichten, als ich
einen jungen Menschen daherkommen sah, das Ränzel auf dem Rücken und
den Wanderstab in der Hand. Er sang:
Den Plato und den Cicero,
Die hab' ich wohl im Kopf;
Und doch sagt mir die Burschenschaft,
Ich sei ein dummer Tropf.
Das kommt daher, das kommt daher,
Daß ich nicht küssen kann.
Ach käm' ein einsam Dirnchen doch,
Die mir es zeigte an!
Weiß Gott, sagte er, das ist ein wundervoller Platz zum Ruhen! Es macht
doch herzlich müde, wenn man einmal die Nase in den Wald steckt. Aber
schön ist er, und im Horaz und Virgil steht nichts davon. -- Er hielt
diesen Monolog lateinisch, was ich damals noch nicht verstand; aber
weil er ausführlich Tagebuch führte über jedes Wort, was er gesprochen
und gedacht hatte, und die guten Gedanken in ein besonderes Heft
excerpirte, hat er mir's nachher zu lesen gegeben. Er schnallte nun
sein Ränzel ab und war eben im Begriff sich ins Gras zu strecken, da
sah er mein langes Haar herniederwehen. Ei der Tausend! rief er aus
und weiter nichts, sondern stand mit offnem Munde da und hatte die
blaue Kappe in der Hand, und mit der andern spielte er an den Schnüren
seiner schwarzen Sammetpikesche. Ich sah nun eigentlich erst, daß er
ein bildhübscher Mensch war; nur blaß war er, und wie er so mit offnem
Mund und großen Augen dastand, sah er ein bischen dumm aus. Ich war
damals ein muthwilliges Ding und rief ihm zu: Junger Herr, macht nur
den Mund zu und setzt die Kappe auf, und wenn Ihr ein Stündchen Zeit
habt, klettert herauf zu mir; da ist noch ein prächtiger Ast für Euch,
wir wollen eins plaudern zusammen. -- Er folgte etwas verlegen meinen
Worten, kletterte unbeholfen hinauf, und saß mir stumm gegenüber,
über und über roth vor Verlegenheit. Nun, sagte ich, Ihr seid mir ein
schöner Held, fürchtet Euch vor einem armen jungen Nixchen, das sie
Alle Backfisch schimpfen! -- Wie ich den Namen Nixe aussprach, sah er,
gerade wie Ihr, Fedelint, ängstlich nach dem Saume meines Gewandes,
ließ sich aber eben so geschwind von seinem Aberglauben heilen.
Erzählt doch, fing ich wieder an, wer Ihr seid; glaubt, ich thue Euch
nichts zu Leide! -- und dabei mußt' ich die Augen senken, denn ich
fühlte, daß er meinem unerfahrnen Herzen schon was zu Leide gethan
hatte. -- Aengstlich fing er an: ~Natus ego sum, Theophilus Sutorius~
-- ach verzeiht, schönes Fräulein! unterbrach er sich, ich muß es
auf Deutsch sagen; Ihr versteht ja kein Latein. Ich heiße +Gottlieb
Schuster+, nenne mich Theophilus Sutorius, weil das anständiger ist,
und bin Student im dritten Semester. Meine Kameraden nennen mich einen
Philister, weil ich lieber hinter den Büchern, als hinterm Wirthstisch
sitze, und lachen mich aus, daß ich nicht küssen kann. Ich sagte ihnen,
ich wollt's ja herzlich gern lernen, wenn sie nur Einen wüßten, der
darüber Vorlesungen hielte. Da wiesen sie mich zu verschiedenen alten
Professoren; ich sollte sie bitten, mir ein ~privatissimum~ übers
Küssen zu halten. Die aber schüttelten den Kopf und schickten mich
zu ihren alten Haushälterinnen, bei denen könnt' ich's lernen. Aber
die alten garstigen Fliegen wollten mich umarmen und sagten, als ich
mich wehrte, das gehöre auch dazu, das wären die Elemente. Da lief ich
fort, und wie ich auf die Kneipe kam und meinen Kameraden das erzählte,
lachten sie mich ganz gewaltig aus und sagten, ich sollte in den Ferien
eine Reise ins Gebirg machen, und wenn ich an einer einsamen Stelle
eine hübsche Dirne träfe, die sollte ich bitten, mir Unterricht im
Küssen zu geben; sie würde es wohl ohne Honorar thun. Ja seht, schönes
Fräulein, schloß er, da bin ich nun zu Euch gekommen. Wollt Ihr mich's
lehren?
Jetzt war die Reihe an mir, zu erröthen; aber der arme Mensch dauerte
mich, wie er mich so bittend ansah, und am Ende hätte er's von einer
andern gelernt, und das war mir ein unausstehlicher Gedanke. Ich sagte
also: Wenn's denn sein müßte, ja! aber so ganz ohne Honorar ging' es
nicht; er müsse mir ein bischen Latein beibringen. Das war er denn
auch zufrieden, und ich sagte ihm, er solle nur herabsteigen und mir
die Hand reichen, daß ich bequem zur Erde käm'. Mit einem Sprung war
er unten und stand und hielt die Arme ausgebreitet, freilich wie eine
Gliederpuppe, aber er war doch gar zu schön! Ich flocht in der Eil
meine Zöpfe auf und sprang vom Baum; ich weiß nicht, wie es zuging,
daß ich gerade in seine Arme sank, und in der Bestürzung, wie ich so
wankte, drückte ich meine Lippen auf seinen Mund, um mich an ihm zu
halten. Ich fühlte, er wurde ganz verwirrt, sagte aber: Nicht wahr,
ich kann's noch nicht, Fräulein? -- Ach, antwortete ich ihm, Ihr seid
nicht ohne Talent; ich hoffe, Ihr sollt es bald aus dem Grunde können.
-- Nun war's aber schon spät geworden und ich mußte fort. Lieber
Theophilus Sutorius, sagt' ich, ich muß wahrhaftig fort und kann Euch
nicht mitnehmen; Ihr möchtet mir ertrinken, denn das Wasser ist Euch
gar zu ungewohnt. Aber die Nächte sind jetzt mild genug; da könnt Ihr
im Freien hausen, und wenn unten Alles schläft, komme ich zu Euch zum
Unterricht und bringe Euch zu essen. -- Indem hört' ich von unten
rufen: Backfisch! Backfisch! Wellindchen! wo steckst du denn? -- Also
Wellindchen heißt Ihr, sagte er. Wißt Ihr was? Ihr sollt jetzt Undula
getauft werden; das paßt besser in die lateinische Ode, die ich auf
Euch machen will; und hört einmal, wenn Ihr mich anredet, müßt Ihr
immer Theophile Sutori sagen; das ist der Vocativ, und sonst macht
Ihr einen groben Schnitzer gegen die Zumpt'sche Grammatik. -- Wie Ihr
wollt, sagt' ich; doch nun lebt wohl! ich höre schon wieder nach mir
rufen. In drei Stunden geht der Mond auf, da komm' ich zu Euch. Adieu!
-- Pros't! sagte Theophilus, und ich sah ihn am Ufer stehn und mir
nachschaun, wie ich in die Tiefe niedertauchte.
Fedelint hatte der Nixe mit steigendem Erstaunen zugehört und ganz den
Fischsalat und die Sardellenbrödchen vergessen. Theophilus Sutorius!
rief er aus. Das ist ja der Professor der Philologie und Nixologie
an unserer Universität, der das Buch »Ueber die Nichtexistenz der
Fischschwänze bei der Gattung ~Nixa aquosa~« geschrieben hat. -- Ja,
ja, derselbe! seufzte Undula, und all seine Weisheit hat er von mir,
der Undankbare! Hört nur weiter. Ich kam also in der Nacht, als mein
Vater und meine Freundinnen schliefen, wieder herauf und fand ihn,
wie er eben seine Ode auf mich fertig hatte. Ich verstand noch kein
Sterbenswörtchen; aber es klang doch schön, wie er's so im Mondschein
declamirte; wenn er nur nicht mit den Armen so steif in der Luft
herumgefahren wäre! Da aß er nun erst, was ich ihm mitgebracht hatte,
rein auf; damals erfuhr ich zuerst, was Studentenappetit ist. Dann
fing er seine lateinische Stunde an, und da ich gut begriff, wie wir
Nixen alle, kamen wir in der ersten Lection gleich bis ~amo~. Das
war ein passender Uebergang zu +meinem+ Unterricht, und ich kann
Euch versichern, Fedelint -- und dabei sah sie erröthend auf ihre
Perlenschnur -- er machte eben so schnelle Fortschritte im Küssen, wie
ich vorher im Lateinischen.
So hatte der gegenseitige Unterricht ungefähr einen Monat gedauert, und
ich war es so gewohnt, in altgriechischem Gewande zu erscheinen, daß
ich auch jetzt, wo gar Vieles anders geworden ist, mich nur so kleide,
wie Ihr mich seht, lieber Fedelint. Da kam ich eines Abends herauf,
und meine Augen glitten geschwind nach der Stelle, wo ich sonst den
Freund immer fand; aber ach, sie war leer! Der Wind, der klagend in dem
Erlenbaum flüsterte, wehte mir ein Blättchen Papier zu, darauf stand:
Vielgeliebte Undula,
Theuerste ~discipula~!
Zeit ist's, daß ich dich verlass',
Nicht mehr hab' ich ~ferias~.
Doch zum Abschied drückte dir
Auf die linke Ecke hier
Seinen allerschönsten Kuß
Theophilus Sutorius.
Ihr könnt denken, Fedelint, wie sehr ich betrübt war; aber ich verzieh
ihm, denn er hatte bei mir ausgelernt und hatte mich den Werth einer
höheren wissenschaftlichen Ausbildung so hoch schätzen gelehrt, daß
ich es ihm nicht verdenken konnte, wenn er Jemand suchte, der ihm
über die neuesten Systeme der Kunst zu küssen Aufschluß geben könnte.
Denn wir armen Geschöpfe leben gar zu einsam, um je andere Weisheit
zu lernen, als die sich von Mutter zu Tochter fortpflanzt. Ich kehrte
also traurig in die Tiefe zurück und lebte ganz im Andenken an den
Verlornen; aber von der Zeit an ließ ich mich Undula nennen und trug
griechische Kleider. Da erfuhr ich vor einigen Jahren, er habe ein Buch
geschrieben, worin er unser ganzes Leben und Treiben klärlich schildert
und alle Geheimnisse, die ich ihm anvertraut hatte, bekannt macht. Da
verwandelte sich meine Liebe zu ihm in einen glühenden Haß. Zwar hat
zum Glück noch kein Mensch an sein Buch geglaubt; es kam ihnen allzu
wunderbar vor, wie wahr es auch ist. Aber die Treulosigkeit ist doch
dieselbe. -- Dabei vergoß Undula einige Thränen, die von den schönen
Perlemuttermuscheln aufgefangen wurden, und sich sogleich in Perlen
verwandelten.
Ja, fuhr Fedelint auf, das alte Kameel! Und wißt Ihr denn, schöne
Weinende, daß er neulich ein Buch geschrieben hat »Ueber die Nixe
Undula« und daß Ihr als eine allegorisch-phantastisch-etymologische
Mythe aufzufassen seid? -- Ach, seufzte Undula, der Schändliche!
Und doch schleicht er hier beständig herum in seinem großblumigen
Schlafrock mit der langen Pfeife und in Pantoffeln und ruft nach
mir. Denn er möchte Funzifudelchen gern haben und das halbe Reich,
und das Buch hat er nur geschrieben, um die Andern irre zu führen.
Ich bin schon seit Monden nicht heraufgetaucht und habe das Lied
nicht gesungen. Aber heut kam mich eine unwiderstehliche Lust an,
den Mondschein zu schaun, und da es schon so weit nach Mitternacht
war, glaubt' ich, ich hätte von Sutorius nichts mehr zu befürchten.
Da habt Ihr mich denn belauscht, und weil Euer Schlafrock ganz eben
so aussieht, wie der des Sutorius, hab' ich wahrhaftig geglaubt, den
Verhaßten zu sehen, und Euch die Hörnlein angezaubert, um ihn klassisch
zu bestrafen. So wißt Ihr nun, wie Alles gekommen ist.


Sechstes Kapitel.
Fiedler und Student.

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