Der Jungbrunnen: Neue Märchen von einem fahrenden Schüler - 3

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nicht, und da öffneten sie die Thür, schlüpften mit Glückspilzchen
hindurch und die kleine Treppe hinab und schlossen ihr unten gar
traurig die große Thür auf. Sie hatten schon Abschied von einander
genommen und dem kleinen Mädchen noch zu guter Letzt das Ohrläppchen
geküßt, da sagte die Großmama: Nur noch ein paar Augenblicke warte, bis
dir meine Enkel noch was vorgetanzt haben. Das mußte Glückspilzchen der
guten Alten schon zu Gefallen thun, die auf ihre Familie nicht wenig
eitel war, und so wurden die Musikanten gerufen, der Zeisig, der Fink
und der Vogel Bülow, und die Eichkätzchen führten ein zierliches Ballet
auf, den großen Ast auf und ab. Wie aber Glückspilzchen den kleinen
Tänzern zuschaute, wurde sie wieder ganz munter, und vergaß Bruder
und Käke und den blonden Hansel nach ihrer leichtsinnigen Art. -- Nun
sollt ihr mich erst tanzen sehn! sagte sie, da das Ballet zu Ende war,
und sogleich kletterte sie zur Thür hinaus, ließ die Musikanten ein
frisches Stücklein anfangen und tanzte dann so artig und klapperte so
geschickt mit den blanken Dreiern in der Sparbüchse, daß eine ganze
Menge Vögel und Waldthiere herzukamen, auch die Rehe herbeiliefen und
oben nach dem Ast und der kleinen Tänzerin guckten. Zuletzt ward sie
doch müde; da that sie die Sparbüchse auf, warf den Eichkätzchen die
Dreier zu und rief, sie sollten sie zum Andenken an einem Bändchen
um den Hals tragen. Dann rief sie noch einmal: Lebewohl! und tausend
schön Dank! und kletterte behende den Baum hinab, indem sie den
liebenswürdigen Thierchen viele süße Kußfinger zuwarf.
Als sie nun unten so allein herumlief und von ihrer Reisegesellschaft
keine Spur erblickte, wurde ihr wind und weh. Sie kam zu den drei
Bächlein, die über Nacht entsprungen waren. Der lange Poet und der
Hansel waren verschwunden, die Käke auch; von der aber hing das kleine
Hütchen mit dem grünen Schleier am Ufer zwischen den Vergißmeinnicht;
da weinte Glückspilzchen wieder heftiger. Ein Verschen von dem langen
Poeten, das er auf ein Baumblatt geritzt und an einen Stamm geheftet
hatte, kam nicht in ihre Hände; das hatte der Kapellmeister, der Herr
von Grasemück, mit in sein Nest genommen, um es in Musik zu setzen,
weil es ihm gar so gefiel. Von dem hab' ich hinterdrein erfahren, daß
es so lautet:
Es plaudern in Linden und Buchen
So lustig die Vögel im Chor.
Ich muß wandern und traurig suchen
Meine Schwester, die ich verlor!
Es sind viel Bahnen und Straßen
Und blühen wohl alle so schön,
Und bist du nicht trüb und verlassen,
Du magst sie in Freuden gehn.
Mir aber vor Gram und Sehnen
Im Wandern das Herze bricht.
Ich seh vor den leidigen Thränen
Den blühenden Frühling nicht.
Ein Glück war's eigentlich, daß der Zettel von dem Kapellmeister
aufgefangen wurde; denn er hätte Glückspilzchen nur noch betrübter
gemacht, und sie war's schon genug. Da kam aber auf einmal eine
garstige alte Frau hinterm Baum vor, weiß Gott, wo sie eigentlich
gewachsen war, hatte eine tüchtige Birkenruthe in der Hand und rief:
Wart nur, du böses Kind! deinen armen Tanten wegzulaufen, die sich nun
abgrämen, und du bist's gar nicht werth. Nun lauf nur vor mir her,
ich will dich schon heim bringen! -- Damit fing sie an, die Ruthe zu
rühren und sie auf Glückspilzchens Rücken zu schwingen, daß die eilig
sich auf die Beine machte; aber die Alte war eben so flink hinterher
trotz ihrer grauen Haare, und kein Schlag ging verloren. Ach, rief
das kleine Mädchen ganz außer Athem, wer seid Ihr denn, Ihr häßliche
alte Frau! Au! das war aber grob! -- Was da grob! erwiederte die Alte,
und schlug noch ärger, du hast's nicht gelinder verdient. Ich bin die
Frau Bösgewissen, und laure dir schon seit vorgestern auf, und werde
dich nicht eher in Ruhe lassen, als bis du dich besserst und nimmer so
eine leichtfertige Person bleibst, sondern hübsch Sitzefleisch hast
und artig zu Haus und fleißig in der Schule wirst. Verstehst mich? --
Ach ja, liebe Frau Bösgewissen, rief Glückspilzchen und lief dabei,
als hätte sie Feuer unter den Sohlen, laßt's nur für diesmal genug
sein! ich will ja auch ein frommes Kind werden. -- Nun denn, sagte die
Alte und steckte die Ruthe ein, noch einmal will ich dir's nachsehn.
Aber nimm dich in Acht; ich hause nicht im Wald allein, und kann dich
auch bei deinen drei Tanten besuchen. Also sei gut und denk' an mich!
-- Nach diesen Worten war's plötzlich stille, und als Glückspilzchen
besorglich umschaute, war von der Frau Bösgewissen nichts mehr zu sehn;
aber ihre Ruthe war als wie zur Warnung an den nächsten Baum gebunden,
und Glückspilzchen that der Rücken noch immer weh. Ach und wie sie noch
zehn Schritte gethan hatte, da ward's hell zwischen den Bäumen und der
Wald hatte ein Ende. Am Saume des Waldes aber saßen -- nun rathet
einmal! Ich will unterdessen ein neues Kapitel anfangen.


Sechstes Kapitel.
Wie sich Alle wieder zusammenfinden und der lange Poet seine
Fährlichkeiten erzählt.

Die drei Tanten waren's nämlich und die Pedanterliese, und saßen alle
Vier auf einer Bank, die sie dazu mitgebracht hatten aus der Stadt. Die
Tanten weinten gar heftig, und die Quellen ihrer Augen hatten die drei
Waldbächlein gebildet, auf deren einem die arme Käke davongeschwommen
war. Die Pedanterliese weinte nicht, dazu war sie viel zu böse, und
sagte in einem fort: Warum läuft sie auch weg und ist noch so wenig
gesetzt! Da bin ich doch viel besser erzogen. Tante Strickerina verwies
ihr das, hatte aber nicht Alles gehört, weil sie eifrig bei ihrem
Strumpf war. Buchstabiria las auch ganz eifrig ein Erziehungsbüchlein.
Die dritte hieß Tante Schönekünstchen, und weil sie so viel zeichnete,
war ihr ein Bleistift an die rechte Hand festgewachsen; den konnte
man spitzen so viel man wollte, und er nahm doch kein Ende. Sie hatte
auch ein Zeichenbuch mitgebracht, aber vorläufig hatte sie so viel zu
weinen, daß sie's nicht brauchen konnte; denn sie hatte Glückspilzchen
viel lieber als die andern Tanten.
Ach liebe gute Tanten! rief auf einmal eine feine Stimme, und eh sie
noch Zeit hatten sich recht zu besinnen, lag ihnen Glückspilzchen am
Hals und herzte und küßte sie und bat so rührend ab, daß die Thränen
plötzlich zu fließen aufhörten und die drei Bächlein zwischen den
Gräsern verrannen. -- Da erzählte Glückspilzchen Alles, wie es ihr
ergangen, und als sie an die Geschichte mit Frau Bösgewissen kam,
machte sie's so natürlich, daß der Pedanterliese himmelangst wurde.
Tante Buchstabiria aber nahm sie gehörig ins Gebet; da ging sie
ernsthaft in sich, fiel Buchstabiria reuig um den Hals und bat mit
vielen Thränen und guten Gelöbnissen alle ihre Unarten ab.
Das wäre nun so weit ganz schön gewesen, wenn sie nur gewußt hätten,
was aus dem langen Poeten, dem blonden Schusterjungen und der Käke
geworden sei. Wie sie nun eben wieder zu weinen anfangen wollten,
hörten sie noch zu rechter Zeit eine Ziehharmonica aus dem Walde, und
Einer pfiff dazu, während ein Anderer sang:
Alle Sternlein sind verblaßt,
Gleich dem Mond, dem silberblanken.
Siehe, wie der goldne Glast
Zittert über Busch und Ranken.
So du schwer gerungen hast
In der Nächte irrem Schwanken,
Menschenkind, o sei gefaßt,
Wenn die letzten Sterne sanken!
Denn dereinst nach kühler Rast
Sollst du, frei von Leibes Schranken,
Ew'gen Sonnenlichtes Gast
Heilen deines Busens Kranken.
Da kommen sie! schrie das kleine Glückspilzchen, und in demselben
Augenblick trat der lange Poet mit dem blonden Schusterhansel aus
dem Walde heraus, und der Poet trug auf dem einen Arm die Käke, auf
dem andern den kleinen waldursprünglichen Kerl aus Tannenzapfen mit
dem Frack von Sandpapier und dem Korbe auf dem Rücken, darinnen die
Schwefelhölzchen noch alle vorhanden waren. Glückspilzchen aber lief
ihrem Bruder winkend und rufend entgegen; da setzte er was er trug
nieder und fing sie in seinen Armen auf,
Und die Engel im Himmel sich's zeigen,
Entzückt bis in Herzensgrund,
Wenn Bruder und Schwester sich neigen
Und küssen sich auf den Mund.
Dann lief Glückspilzchen auf die Käke zu, nahm sie streichelnd und
schmeichelnd in die Arme, und die Pedanterliese hatte nichts dagegen
einzuwenden.
Mittlerweile hatte der Lange die drei Tanten mit dem blonden Hansel
bekannt gemacht, der ein bischen sehr verblüfft dastand, und besonders
verlegen nach Pedanterlieschen schielte, was seinem Geschmack
eigentlich keine Schande machte. Er mußte sich indessen neben Tante
Schönekünstchen setzen, weil Die Absichten auf ihn hatte, nicht ihn
zu heirathen, sondern ihn zu zeichnen. Der lange Poet saß indessen
auf einem niedrigen Steine vor den drei Damen und brachte seine Beine
nur kümmerlich unter. Dann fing er an seine Schicksale zu erzählen,
während der unglückselige Hansel ohne Gnade still sitzen mußte.

Was dem langen Poeten im Walde begegnet.
Ich habe böse Träume gehabt die Nacht über, erzählte er, und wachte
ganz gegen meine Gewohnheit in der frühen Morgendämmerung auf. Mein
erster Gedanke war gleich an Glückspilzchen, und ihr könnt denken,
daß ich einen Tausendschreck hatte, wie ich mich mutterseeleneinsam
in dem grünen Gras liegen sah, Glückspilzchen weg, der blonde Hansel
verschwunden und die Käke dazu. Nur zwei kleine Holzhauerbuben waren
bei mir; die fuhren nicht wenig erschrocken in die Höh', als ich
mich aufrichtete, denn sie hatten meine langen dünnen Beine in den
grauen Hosen für zwei Baumwurzeln gehalten und sich gemüthlich darauf
niedergelassen, um zu frühstücken. Ich befragte sie, ob sie nicht ein
kleines Mädchen gesehn hätten, so und so angethan; aber sie schüttelten
den Kopf und liefen furchtsam davon. Da ward mir gar blümerant zu
Sinne; ich schrieb ein paar weinerliche Verse auf ein Baumblatt
und machte mich dann auf die Beine, Glückspilzchen nach und meinem
Tannenmusje, den ich unterwegs irgendwo zu erwischen hoffte.
Ich war noch gar nicht weit gegangen, da sah ich einen kuriosen Kerl
daher kommen, und ein Lakai lief hinterdrein mit einem großen Korbe,
daraus verschiedene Flaschen mit Käppchen von schönem rothen Siegellack
hervorschauten. Der Kuriose kam gerade auf mich zu, sagte mir, er sei
Prinz Schnudi und freue sich, endlich einen Menschen zu finden in der
schauderösen Wildniß, in die ihn Prinzessin Marzebille verbannt habe.
In die sei er nämlich ganz unsterblich verliebt; aber sie wolle ihm
nicht eher Gehör schenken, als bis er seine Liebe dadurch erprobt habe,
daß er in der Wildniß herumlaufe und eine poetische Liebeserklärung
zu Stande bringe. Mit dem Herumwildnissen ging' es passabel, so mäßig
er leben müsse; aber er habe sein Lebtag nicht zwei Verse gemacht und
werde sich nächstens, sobald sein Wein zu Ende gehe, bei lebendigem
Leibe todtschießen, denn er halte es nicht länger aus vor Gram.
Wie ich ihn von solchen Aengsten behaftet sah, jammerte er mich und ich
war sehr freundlich zu ihm, trotzdem daß er ein Prinz war. Ich sagte
ihm, ich wär' meines Zeichens ein Poet und wollte ihm gern mit einigen
Reimen unter die Arme greifen, so gut ich's halt könnte ohne mein
Feuerzeug. Indessen wüchse hier herum Waldmeister in Menge; er sollte
doch einen Maitrank bereiten, auf daß ich mich hinterher stärken könne;
denn ich war noch nüchtern wie ein Sieb. Da hättet ihr die königliche
Hoheit Luftsprünge machen sehn sollen, ging auch flugs mit dem Lakaien
ans Werk, während ich in seine allerhöchste Schreibtafel folgende Verse
schrieb:
O du süße Marzebille!
Warum bannt dein strenger Wille
Mich in dieser Wälder Stille?
Wär' ich, ach, die Nachtigall
Mit der Lieder holdem Schall,
Daß mich bald ein Vogler finge
Und in deine Kammer hinge!
Wär' ich einer von den Hirschen,
Daß mich könnt' der Jäger birschen,
Und auf deine Tafel schicken
Meine Keulen, Brust und Rücken!
O wie würde mich's beglücken,
Schnittst du trauernd sie in Stücken,
Aeßest dann sie mit Entzücken,
Wie du jetzt mit Liebestücken
Mir das Herze thatst berücken,
Daß mir weiter nichts will glücken,
Meine Sehnsucht auszudrücken,
Als mich tief vor dir zu bücken
Und zu bitten unterthänig,
Lindre meine Qual ein wenig!
Nachschrift. Königliche Hoheit,
Uebersieh die arge Rohheit
Dieses Briefs und meiner Schrift.
Thust du 's nicht, so nehm' ich Gift,
Und dann schließt auf ewig zu die
Augen der verliebte Schnudi.
Als ich diese Verse dem Prinzen vorlas, war er vor Entzücken ganz außer
sich. Er bat mich tausendmal um Entschuldigung, wenn er augenblicklich
in seinen Wagen stiege, der am Saume des Waldes warte, denn er könne
sein Glück nicht länger aufgeschoben sehen. Noch ehe ich mich besinnen
konnte, war er mit der Schreibtafel, dem Lakaien und dem Korbe
verschwunden und hatte mich allein zurück gelassen unter vier Augen mit
einer Flasche Maitrank, die mich so ziemlich über den eiligen Abschied
der prinzlichen kuriosen Person tröstete.
Ich hatte einen Augenblick meiner kleinen Schwester und des
Tannenmusjes vergessen, denen ich doch eigentlich nachlief. Nun
aber ging ich gar wehmüthig fürbaß, trank von Zeit zu Zeit aus der
ehrlichen Flasche und war kreuzunglücklich, denn von den Verlornen
fand ich keine Spur. Ich weiß nun nicht, kam's von der Betrübniß oder
vom Maiwein, kurz und gut, mir ward ganz träumerisch, dazwischen ein
bischen toll und unsinnig, daß ich bald die Bäume umarmte und ihnen
lange Reden hielt, bald auf einem Bein über Stock und Stein sprang und
Glückspilzchen richtig wieder vergaß. Wenn ich dann aber den traurigen
Rappel bekam, mußte ich gleich wieder an den verlornen Wildfang denken
und klagte Sonne, Mond und Sternen mein Leid. Ich habe dabei eine ganze
Menge Verse aus dem Stegreif losgelassen, kann mich aber auf keinen
mehr besinnen.
Da kam auf einmal eine steinalte Frau des Weges, einen Korb auf dem
Rücken, ein Reisbündel in der Schürze vor sich, und hatte mehr Runzeln
im Gesicht, als Haare auf dem Kopf. Ich aber in meiner Verdrehtheit
denke: So wahr ich Paul heiße, ist die da nicht mein alter Schatz, die
mir gerade vorm Jahre den Dienst aufgekündigt hat? Und da schoß mir
richtig die alte Liebe wieder so stark zum Herzen, daß ich vor Wallung
nimmer weiter konnte und mich der Herzallerliebsten gerade in den Weg
stellte. Dabei sagte ich ungefähr folgendes:
Es weht aus einander der lose Wind
Die Wellen und Wolken und Flammen.
Zwei Herzen, die für einander sind,
Die finden sich immer zusammen.
Mein Haar ist worden dünn und grau,
Meine Wange welk und bleich.
Mein Liebchen, blicke mich an genau,
Und du erkennst mich gleich.
Somit breitete ich die Arme aus und wollte sie gerührt an mein Herz
drücken. Da fing sie ganz entsetzlich an zu keifen, was das für ein
Nestküken sei, der ein altes Weib am Narrenseil zu leiten gedächte, und
ich sollte sie ihrer Wege gehn lassen. Weiß der Himmel was ich dachte!
so viel ist gewiß, ich ließ sie nicht los, umfing sie vielmehr zärtlich
und sang:
Kehr um, kehr um und tanz mit mir
Und weich mir nicht von der Seiten.
Die Vöglein singen so lockend hier,
Im Takte die Bächlein gleiten.
Ich bin beglänzt, du bist beglänzt
Von Maiwein und von Liebe.
Der Wald der ist von Sonne beglänzt,
Daß er nicht nüchtern bliebe.
Die ganze Welt hat einen Glanz,
Sie tanzt mit uns in die Runde.
Und sind wir Alle müde vom Tanz,
Das ist die jüngste Stunde.
Und nun begann ich so ausgelassen zu tanzen, daß die Vögel im Wald
glaubten, es käme ein Erdbeben, und meiner schönen Tänzerin wackelten
die alten Knochen und sie schrie gar gottserbärmlich. Laßt mich los!
rief sie und wollte sich mir entwinden. Ich aber immer noch in dem
guten Glauben, es sei mein altes Liebchen und sie wolle nur nichts von
mir wissen, hielt sie nur fester und schwätzte ihr das ungewaschenste
Zeug in die Ohren. -- Er Nichtsnutz! war die Antwort, laß Er mich los,
ich rath's Ihm, oder es bekommt Ihm schlimm. Joseph, Joseph! rief sie
darauf. Ich meinte, sie riefe den Pflegevater des Christkindleins um
Hülfe an; wie ich aber eben wieder einen prächtigen Luftsprung mit ihr
gethan hatte, kam plötzlich ein stämmiger Gesell von der Seite her auf
mich zu, hatte einen tüchtigen Stecken in der Hand und prügelte so
wacker auf mich ein, daß mir Hören und Sehen verging und ich über eine
Baumwurzel stolpernd gar unsanft zu Boden fiel.
Da lag ich nun längelangs, und der Glanz verging mir; denn ich konnte
mich nicht regen, so zerschlagen war ich. Ich hörte aber, wie das Weib
dem Joseph die Historie berichtete, und der darauf sagte: Er wird's
nimmer wieder thun, ich hab ihm den Garaus gemacht. Was hast aber da
für eine Puppe im Korb? -- Ist mir heut unter die Finger gerathen,
da ich Holz sammelte, erwiederte das Weib. Wollt's unserm Enkelkind
als Spielzeug geben. -- Es hat ein gefährlich Ansehn, sagte der Joseph
darauf. Wirf's weg! kannst nicht wissen, ob's nicht behext ist oder der
Teufel selbst, den du dir auflädst und wirst ihn nimmer los danach. --
Ich hörte was fallen ins Gras; dann schritten die Beiden weiter und
ließen mich allein mit meinen Beulen und meinem Aerger, daß ich so eine
alte Schachtel für mein junges Liebchen angesehn hatte.
Nach und nach ward mir besser zu Muth; da richtete ich mich auf und
schaute um. Neben mir lag mein grauer Hut und war eine einzige Beule;
ich zog ihn wieder zurecht und suchte emsig umher im Grase; denn
ich war neugierig auf die verdächtige Puppe der Alten. Da könnt ihr
denken, wie ich froh überrascht wurde, als ich meinen Tannenmusje
liegen sah und alle Schwefelhölzchen hatte er noch, die er von mir
mitgenommen hatte. Er wäre mir am Ende auch wieder entwischt; aber beim
Fallen aus dem Korbe hatte er das Bein verstaucht, somit war ihm das
Getragenwerden bequemer.
Wir haben uns nun mitsammen auf den Weg gemacht, und wenn ich nicht
die Angst um Glückspilzchen ausgestanden hätte, wäre ich leidlich
fidel gewesen. Zum Glück kam da so eine alte Hexe mit einer Ruthe
in der Hand hinterm Busch hervor und erzählte mir, sie sei die Frau
Bösgewissen und habe für Glückspilzchen schon gesorgt und ihr die Wege
gewiesen. Eigentlich habe sie mit mir auch ein Hühnchen zu rupfen, daß
ich dem Maiwein so zugethan sei und den schönen Mädchen und sonst ein
leichtsinniger Patron sei; aber sie wolle es diesmal noch vergeben,
wenn ich Besserung angelobte. Und nun ich mein Feuerzeug wieder habe,
solle ich nur gleich an mein Heldengedicht gehen und nicht auf der
Bärenhaut liegen. Uebrigens wäre der Weg geradeaus der richtige.
Damit machte sich die Dame Bösgewissen wieder unsichtbar, fitzte mich
nur noch leise mit der Ruthe, daß mich's im Weitergehn ein Bischen
brannte. Und so fand ich bald den blonden Schusterjungen mit der Käke
auf dem Arm, und der Weg zu euch war nimmermehr eine Tagereise.


Siebentes Kapitel.
Wie sie noch Einiges zu schwätzen haben und sich dann auf den Heimweg
machen.

Jetzt schwieg der lange Poet, und ein Engel ging durch die
Gesellschaft, wie man zu sagen pflegt. Indessen nahm Tante Buchstabiria
das Wort und sagte: Lieber blonder Schusterjunge, nun erzähle auch, was
dir begegnet ist und wie du zu der Käke gekommen bist. -- Ach Gott, ich
bin eben an der Unterlippe! rief Tante Schönekünstchen. -- Das half
aber Alles nichts; die beiden andern Tanten bestanden darauf, daß sie
das Buch zumachen und der blonde Hansel erzählen sollte.
Da wurde der gar verlegen, räusperte sich und schielte nach
Pedanterlieschen hinüber, und dann fing er so an: Es war mitten in der
Nacht, da fuhr ich ganz erschrocken in die Höhe; denn die Maikäfer
hielten Ball auf meiner Nase und das krabbelte und kribbelte, daß es
nicht auszuhalten war. Ich wischte sie mit der Hand herunter, saß dann
und überdachte meine Lage. Ich war ausgezogen, um die Fleischtöpfe
Aegypti zu finden, und die hatte ich nicht gefunden; vielmehr war ich
von der verdrehten Gärtner- und Vogler-Gesellschaft herausgeworfen
worden, hatte eine halbe Nacht unter freiem Himmel geschlafen, und die
Maikäfer waren mir auf der Nase herumgesprungen. Da entschloß ich mich
rasch, ich wollte die Reisegesellschaft verlassen -- denn da war ich
doch der Dümmste von Allen -- und auf eigne Hand und eignen Füßen nach
Rom wandern, von da mich übersetzen zu lassen nach Aegyptenland. Ich
nahm also meine Ziehharmonica mit acht Klappen und drei Luftlöchern,
lud mein Bündel auf den Rücken und drückte dem schlafenden langen
Poeten die Hand; die kleine Mamsell aber ward ich nicht gewahr. Dann
suchte ich so gut es ging vorwärts zu kommen in dem stockdustern Wald;
aber die Bäume mußten wohl böse sein, daß ich sie im Schlaf störte,
denn sie stießen mich rechts und links und richteten mich erbärmlich
zu, daß ich froh war, wie's endlich Tag wurde.
Mir ist aber keine Seele begegnet, weder der verliebte Prinz Schnudi,
noch die Alte mit dem Reisbündel, noch endlich die Dame Bösgewissen.
Ich hatte nur Hunger und Durst, und das ist auch natürlich, denn
ich will ein ganzer Schusterjunge sein, und die sind immer hungrig,
auch wenn sie eben vom Essen kommen. So lief ich die Kreuz und Quer
im Walde herum und fand nicht heraus. Auf einmal aber kam ich an
drei Bächlein, die neben einander durchs Gras flossen; da stand ich
still und hätte gern getrunken; aber das Wasser war bittersalzig. Ich
simulirte eben, wie ich hinüber kommen sollte, da sah ich wie die Puppe
der kleinen Mamsell dahergeschwommen kam, und weil ich fürchtete, sie
müsse am Ende ersaufen, obwohl sie ganz gemächlich auf dem Rücken lag
und ihr Kleidchen sie trug, warf ich die Jacke, das Bündel und die
Ziehharmonica mit den acht Klappen und drei Luftlöchern am Ufer nieder
und stürzte mich der Puppe nach.
Ich erwischte sie auch richtig und hielt sie fest; aber die Strömung
war so reißend, daß ich selbst mit fortgerissen wurde und, so stark ich
mit den Armen arbeitete, nicht ans Ufer gelangte. Gewiß wär' ich dabei
zu Grunde gegangen, wenn nicht wie durch ein Wunder der Bach auf einmal
in den Sand gelaufen wäre und mich auf dem Trocknen liegen gelassen
hätte. Da stand ich ganz munter auf, nahm die Käke in den Arm und ging
zu der Stelle zurück, wo meine drei Siebensachen noch ungestohlen
beisammen waren. So wanderte ich weiter und traf den langen Herrn
Poeten, was mir jetzunder ganz recht ist, denn -- ich habe all mein
Lebtag so was Schönes nicht mit Augen gesehn -- als -- --
Da stockte der Hansel und wurde blutroth im Gesicht und schielte immer
auf die Pedanterliese, die auch längst schon aufgehört hatte, sich mit
der Käke abzugeben, und keinen Blick von dem blonden Schusterjungen
wandte. Der Poet aber rieb sich stillvergnügt die Hände und sang leise
vor sich hin:
Ein Stündlein sind sie beisammen gewest,
Ein Stündlein läuft so geschwind,
Und saßen einander im Herzen schon fest;
Die Liebe die kommt wie ein Wind.
Du junger Gesell, nun hüte dich fein,
Nun hüte dich, schönes Kind,
Und verriegele gut deines Herzens Schrein;
Denn die Liebe die geht wie ein Wind.
Tante Buchstabiria aber trat zu ihm und hatte eine Menge Einwendungen
zu machen. Die Erziehung sei noch nicht beendet; sie müsse erst noch
Stunden nehmen über die Pflichten der Gattin und Mutter; auch sei der
Hansel arm, und das sei bei einer Heirath das Allerschlimmste. Auf
all das hörte der Lange nicht; er sagte, so müsse es von Gottes- und
Rechtswegen immer hergehn, daß der Gänsejunge die Prinzessin oder der
Schusterjunge das Pedanterlieschen heirathe, und der blonde Hansel sei
ein gar reputirlicher Freier und gerade wie gemacht für sie. Uebrigens
sollten sie ihn nur machen lassen, er werde die ganze Geschichte nach
Wunsch zu Ende bringen; denn dafür sei er Poet und könne machen, was
ihm gut schiene, und die Großmuth koste ihn nichts.
Da ergab sich Tante Buchstabiria, ließ eilig anspannen, und die ganze
Gesellschaft fuhr nach Hause. Die Bank hatten sie zurückgelassen vor
lauter Freude, daß sie Alle wieder beisammen waren, und vollführten im
Wagen eine erschreckliche Ausgelassenheit; nur der Schusterjunge und
die Pedanterliese waren stumm. Der Lange aber hatte die Beine, die er
im Wagen nicht unterbringen konnte, zum Schlage herausbaumeln, warf
allen Bauerdirnlein, die vorbeigingen, Kußhände zu und sang:
Zehnerlei Kräuter hauchen
So süßen Duft im Maien;
Könnt' ich in Wein sie tauchen,
Bliebe mir Sorge fern.
Von Durst mich zu befreien,
Auf Rath vergebens denk' ich.
Ach hätt' ich Geld, wie tränk' ich
Mir einen Glanz so gern!
Liebe den Andern winket
In jungen Lenzes Schimmer.
Wenn mir nur Maiwein blinket,
Neid' ich sie nicht den Herrn.
Durch schöne Augen nimmer
In Leid und Kummer sänk' ich --
Ach, hätt' ich Geld, wie tränk' ich
Mir einen Glanz so gern!
Muß ich auch einsam gehen,
Wenn Liebe schleicht zu Zweien,
Kann ich doch doppelt sehen
Frühling und Mond und Stern'.
Drum hoch, du Trank des Maien!
Allstund an dich gedenk' ich --
Ach hätt' ich Geld, wie tränk' ich
Mir einen Glanz so gern!
Und dabei jodelte er und trillerte so laut, daß die Käke, die in
Glückspilzchens Arm eingeschlafen war, aufwachte, sich die Augen
rieb und sagte: Ach nun haben sie Alle Geschichten erzählt, und mich
fragt keiner, was mir begegnet sei. -- Du armes Dummerchen, fiel
Glückspilzchen ein, wer denkt auch, daß du schon was erlebst! Erzähle
aber nur. -- Da spitzten sie alle die Ohren, und die Käke fing an: Wie
mich der Bach mit fortnahm, war ich sehr angst, ich möchte ertrinken.
Da strampelte ich mit Händen und Füßen, und weinte. Auf einmal hörte
ich wie der Bach sagte: Sei ruhig, Püppchen, will dir auch ein Märchen
erzählen. Das ließ ich mir denn gern gefallen und er erzählte

Das Märlein von Perlemutter und Perlevater.
Unten tief auf dem Meeresgrunde, wo es ganz klar und stille ist, liegt
eine große Wiese von Meergras, und auf der Wiese steht das Haus von
Perlemutter und Perlevater. Das sind zwei uralte wunderliche Leute,
können das Wasser vertragen wie die auf der Erde die Luft, und der
Perlevater hat einen langen Bart von Schilfgras, aber die Perlemutter
trägt ein glänzendes Kleid und eine Haube von silbernen Fischschuppen.
In ihrem Hause ist ein großer Saal und stehen unzählige Bettlein darin;
da schlafen die Nacht über alle ungebornen Kindlein, so noch nicht
ans Tageslicht gekommen sind, und warten bis der Storch sie abholt.
Tagsüber jedoch sitzen sie auf kleinen Sandbänkchen um Perlemutter und
Perlevater im Kreise auf der großen Meergraswiese, und Perlemutter
erzählt den Mädchen traurige Märlein, Perlevater aber den Buben, bis
sie alle die Thränen nicht mehr halten können. Alle Thränen aber
werden zu Perlen, die die Alten Nachts, wenn die Kinder zu Bett sind,
aufsammeln, in die Perlenmuscheln thun und noch vom Mond ein bischen
versilbern lassen.
So geht es tagaus tagein, bis für Jedes die Stunde schlägt, daß es
auf die Welt kommen soll. Die weiß aber Perlevater und Perlemutter
ganz genau, und da nehmen sie das Kind Nachts aus dem Bettchen und
steigen damit hinauf an die Meeresfläche, wo der Storch schon wartet
mit hübschen trocknen Windeln und es warm eingewickelt davon trägt. Am
Morgen vermissen die andern das entführte Gespiel wohl; aber sie haben
keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn sie müssen gleich
wieder die Märlein von Perlemutter und Perlevater hören und Perlen
weinen.
Das Kind aber, das nun droben in der Wiege liegt, ist von dem hellen
Sonnenglanz und den vielen Menschen, die es auf den Arm nehmen und
herzen und küssen, ganz betäubt und blöde worden, und weil es kein
Wort versteht -- denn der Perlevater und die Perlemutter haben eine
ganz andre Sprache geredet -- weint es und schläft es den ganzen Tag.
Allmählich aber wird es inne, daß es ihm doch noch nirgends so wohl
gewesen ist, als auf dem Schoß der Mutter, und da klammert es sich
mit den kleinen Armen fest an sie an und hört sorgfältig auf jedes
ihrer Worte, bis es alle gelernt hat. Darüber vergißt es aber alle die
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