Der Jungbrunnen: Neue Märchen von einem fahrenden Schüler - 2

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schwarzbraunes Mägdlein trug er auf der Schulter, mit Augen so schwarz
wie die Heidelbeeren und schlanken Gliederchen, um die ein blaues
Kleid flatterte. Sie trug eine große Puppe im einen Arm und den andern
hatte sie um den Kopf des Langen geschlungen, damit sie fest säße.
Beide nickten dem Hansel freundlich zu und der Lange sagte: Lieber
Schusterjunge, wohin des Weges? -- Nach den Fleischtöpfen Aegypti,
erwiederte der. -- Es ist just nicht unser Weg, sagte der Lange darauf.
Aber der Gesellschaft zu Liebe, wollen wir eine Strecke zusammen
wandern, wenn dir's recht ist, und setz' nur deine Mütze wieder
auf, daß du keinen Sonnenstich weg hast, eh du's merkst; brauchst
auch keinen absonderlichen Respekt zu haben. -- Wer seid Ihr denn
eigentlich? fragte Hansel, indem sie weiter gingen. -- Ich bin nur
ein simpler Poet, gab der Lange zur Antwort, und die kleine leichte
Mamsell da oben ist meine Schwester und heißt Glückspilzchen. Nun hör'
aber nur, weßhalb wir auf Reisen sind. Ich bin da gestern Nacht in der
Schenke und trinke mir einen rechtschaffnen Glanz in Maiwein. Da kommt
mir plötzlich ein Gedicht an, daß ich nach Haus laufe und denke, du
willst es gleich warm niederschreiben. Nun war die Nacht kühl, und mir
verging unterwegs das Feuer ein bischen; ich ließ mich's aber wenig
schmerzen, komme in meine Stub' und lange nach dem Kleiderschrank
hinauf, wo mein Männchen aus Tannenzapfen steht, der die Streichhölzer
auf dem Rücken trägt; der sollte mir wieder zu Feuer verhelfen. Der
Spitzbub war aber weg, und weil die Thür offen stand, merkte ich's
gleich, daß er davongelaufen sei in den Wald hinaus. Ich hab's ihm
lange vorher am Gesicht angesehn, daß er Heimweh hatte. Weil ich ihn
aber nicht entbehren kann und ein Poet ohne Feuer nicht fertig wird,
mußte ich gern oder ungern wieder in die Nacht hinaus und ihm nach. --
So war ich kaum zwei Gassen weit gegangen, da sah ich so ein kleines
Pflänzchen auf mich zu hüpfen, und der Mond schien hell genug, daß
ich Glückspilzchen erkennen konnte, die bei den drei Tanten wohnt. Du
Wetterkind, sagt' ich, wo willst du hin in der späten Nacht? Marsch,
mache daß du heim kommst! -- Ach höre nur, rief das liebe Geschöpf;
die Pedanterliese, meine böse Schwester! da hat sie mir die Puppe
wegnehmen wollen, meine Käke, die mir Tante Buchstabiria geschenkt hat,
und wie ich sie nicht hergeben wollte, ist sie bitterbös geworden,
noch viel erzböser, als sie gewöhnlich ist. Ich habe die halbe Nacht
im Bette gelegen und geweint, und die Käke hat auch geweint, denn sie
will von der Pedanterliese nichts wissen. Zuletzt aber bekam ich eine
so gewaltige Angst, daß ich leise, ganz leise aufgestanden bin, meine
Sparbüchse mit den blanken Dreiern in die Tasche steckte und zum Hause
hinaushuschte. Und nun will ich nicht mehr zurück, und du mußt mich
beschützen. -- Mich jammerte es, wie ich Glückspilzchen und die Käke
weinen sah, und weil ich noch ganz beglänzt war vom Maiwein, sagte ich,
sie solle gutes Muths sein, wir wollten fort zusammen. Da hab' ich sie
auf die Schulter gehoben, und so sind wir die Nacht durch gewandert und
in den Tag hinein, bis wir dich gefunden haben, geliebter Schusterjunge!
Glückspilzchen drückte ihre Puppe fester an sich und sagte mit einer
ganz feinen Stimme: Ach ja, Hansel, meine Schwester solltest du kennen.
Immer strickt sie und lies't und zankt mich aus, wenn ich ein bischen
mit der Puppe spiele oder im Garten herumlaufe. Und dann verklagt sie
mich bei Tante Buchstabiria oder Strickerina, und ich werde gefitzt.
-- Weine nur nicht, sagte der gute Hansel; ich spiel' dir auch was vor
auf der Harmonica. Da wurde Glückspilzchen ganz fröhlich, holte ihre
Sparbüchse heraus und klapperte den Takt dazu mit den Dreiern, während
Hansel spielte und der lange Poet folgendes Lied sang:
Ein Bruder und eine Schwester --
Nichts Treueres kennt die Welt.
Kein Goldkettlein hält fester,
Als Eins am Andern hält.
Zwei Liebsten so oft sich scheiden;
Denn Minne die ist voll Wank.
Geschwister in Lust und Leiden
Sich lieben ihr Lebelang.
So treulich, als wie beisammen
Der Mond und die Erde gehn,
Als wie der Sternelein Flammen
Alle Nacht bei einander stehn.
Die Engel im Himmel sich's zeigen,
Entzückt bis in Herzensgrund,
Wenn Bruder und Schwester sich neigen
Und küssen sich auf den Mund.
Und als er das gesungen hatte, bog sich Glückspilzchen herunter und
wäre beinah gefallen; aber er fing sie auf in den Arm und sie küßte
ihn dreimal auf den Mund, weil ihr das Lied so gefallen hatte; dann
kletterte sie ihm wieder auf die Schulter und saß und spielte mit der
Puppe. Hansel aber sagte: Was mich wundert, ist, daß Ihr eine so volle
und tiefe Stimme habt und seid doch so dünn und hoch. -- Ja, sagte
der Poet, ich habe mein Lebtag hoch hinaus gewollt, und daß ich so
schmächtig bin, kommt daher, weil ich so oft abgezeichnet bin von Tante
Schönekünstchen; da ist zuletzt nichts mehr an mir geblieben. -- Ich
bin auch abgemagert; das kam aber von der schlechten Kost der Frau
Meisterin, versetzte Hansel. Uebrigens seh' ich dahinten eine einsame
Schenke; wärt ihr wohl so gut, für mich auszulegen? -- All mein Geld
hab' ich zu Hause in dem braunen Ueberrock stecken lassen, sagte der
Poet. Wir müssen mit Glückspilzchen ihrer Sparbüchse Haus halten. Du
hast doch nichts dagegen, Schwesterchen? -- Die Kleine schüttelte
lachend den Kopf und reichte ihm ihre blanken Dreier herunter, die er
freundlich dankend in die Tasche steckte.
Während dem Allen waren sie zu dem einsamen Häuschen gekommen, das aber
in der Nähe nicht wie eine Schenke aussah; denn es hatte kein Schild
vor der Thür, auch keinen grünen Kranz. Innen aber schien eine lustige
Gesellschaft zu hausen und zu schmausen, denn man hörte Gläser klingen
und Gabeln klappern, und die armen Wandersleute vor der Thür wurden
noch einmal so hungrig. Aber der Poet war gar dreist, klopfte kecklich
an die Thür, und als Einer kam und fragte, wer draußen sei, antwortete
er:
Ein Poet mit fixem Züngelchen
Und Glückspilzchen, das feine Dingelchen,
Auch ein blondes Schusterjüngelchen;
Müde sind wir alle Drei,
Ganz verschmachtet auch dabei.
Wollt uns nur um Gottslohn speisen!
Werden eilig weiter reisen.
Oeffne drum die Thüre, Besterchen,
Blanke Dreier hat mein Schwesterchen!
Darauf hörten sie wie ein Riegel zurückgeschoben wurde, und ein
wunderhübsches Mädchen öffnete ihnen. -- Willkommen! sagte sie überaus
freundlich, und tretet nur näher. Des alten Vogelstellers Sohn hält
Hochzeit mit des alten Gärtners Tochter; ihr kommt gerade recht, uns
Musik vorzumachen und hübsche Reime zu sagen. Nachher wär' ohnedies aus
dem Tanzen nichts geworden. -- Da sprang Glückspilzchen dem schönen
Mädchen in die Arme; die trug sie ein paar Stufen hinauf, und sie
traten allzusammen in den großen Hochzeitssaal.


Drittes Kapitel.
Was ihnen auf der Hochzeit begegnet.

Das war aber ein stattlicher Saal, denn inwendig war das einsame Haus
viel größer als von außen. Er war so mit Blumen geschmückt, daß man
fast nichts sah von den Wänden, und oben an der Decke hingen eine Menge
Vögel in Käfigen, die das Laub fast verbarg, und das gab eine schöne
Tafelmusik. Die Eintretenden hatten jedoch kaum Zeit, einen flüchtigen
Blick auf all die Herrlichkeiten zu werfen; denn schon hatte sie das
schöne Mädchen zu dem jungen Paare geführt und Glückspilzchen, den
Poeten und den blonden Hansel vorgestellt. -- Habe ich doch schon immer
einmal einen Poeten zu sehn gewünscht, rief die Braut ganz vergnügt,
und nun kommt gerade einer zu meiner Hochzeit. Ihr seht ja aber ganz
aus wie ein gewöhnlicher Mensch, nur daß Ihr so ungewöhnlich lang und
unmenschlich schlank seid. Ach, aber Ihr müßt mir gleich einen hübschen
Vers machen!
Laß sie doch erst was essen! fiel das schöne Mädchen ein; die armen
Leute sind ganz ermattet und hungrig. Damit führte sie die Drei an das
Trompetertischchen in der Ecke, das unbesetzt war, weil die Trompeter
und die andern Musikanten ausgeblieben waren, und da konnten sie sich
erlaben nach Herzenslust.
Unterdessen kam das junge Volk, lauter Vogelstellerbursche und
Gärtnermägdlein, und sah ihnen zu; denn sie waren gar neugierig zu
wissen, wer die wunderliche Gesellschaft sei. Da sputete sich der lange
Poet mit dem Essen, schenkte sich dann vom Frischen ein und trat mit
dem Glase vor das Paar. Darauf ward alles ringsum mausstill und der
Poet sprach folgenden Vers:
Gärtnerin, von allen Vögeln
Fingst du heut den Schönsten ein.
Vogler, unter allen Arten
Blumen in dem Erdengarten
Ward die wundersamste dein.
Vogler, mußt dein Blümlein hüten,
Daß sich's recht ans Herz dir schmiegt;
Und +du+ mußt des Vogels pflegen,
Mußt ihn warm am Busen hegen,
Daß er nicht von dannen fliegt!
Jedes mag vom Andern lernen,
Was das Herz beglücken kann;
Auf der Erde froh zu blühen,
Und nach allen ird'schen Mühen
Sich zu schwingen himmelan!
Es lebe das edle Paar! Vivat hoch! rief der Poet, und Alle stießen
jubelnd mit den Gläsern an und waren gar guter Dinge. Die Braut aber
konnte des Danks und Lobes kein Ende finden über die schönen Verse und
hätte sie sich gar zu gern ins Stammbuch schreiben lassen. Der Poet
aber entschuldigte sich, er habe sie schon wieder vergessen, weil sie
aus dem Stegreif gedichtet wären; auch sei nicht viel dran; er könne es
weit besser, wenn er nur sein Feuerzeug habe, dem er eben nachlaufe.
Nun sollte sich die Gesellschaft aber was vortanzen lassen von seiner
kleinen Schwester Glückspilzchen, und der blonde Schusterjunge würde
dazu aufspielen. -- Freilich, das waren Alle zufrieden, rückten die
Tische beiseit und Jeder suchte sich seinen Schatz und setzte sich
mit ihm an ein heimliches Plätzchen, und wer keinen Schatz hatte, saß
allein. Der Poet aber gab Glückspilzchen ihre Kupferdreier wieder
in die Büchse, damit sie was zu klappern hätte beim Tanzen; dann
setzte er sich selbst zu dem schönen Mädchen, das sie herein gelassen
hatte; denn die Beiden mochten sich gut leiden, und es war als ob sie
alte Bekannte wären, denn sie hatten hinter den Rosengewinden viele
heimliche liebliche Dinge mit einander zu reden.
Wie nun Glückspilzchen zu tanzen anfing und dabei wieder den Takt mit
der Sparbüchse klapperte und der Hansel seinen allerschönsten Hopser
spielte, da konnte man sein blaues Wunder sehn. Denn sie tanzte so
allerliebst, daß sie allen die Köpfe verdrehte und die Liebespärchen,
die Brautleute an der Spitze, nicht lange sitzen blieben, sondern
lustig drauf los walzten; aber es konnt' es Keiner so gut. Auch
der lange Poet hatte das schöne Mädchen umarmt und hopste mit den
Spinnebeinen mitten unter den andern, und die Vögel oben in den
Käfigen stießen sich fast die Köpfe entzwei, so eifrig waren sie,
es Glückspilzchen nachzumachen. Die Blumen hätten auch gar zu gern
mitgehalten, aber sie konnten nicht von den dummen Stengeln loskommen;
dafür zitterten und tanzten die Fensterscheiben desto besser und das
ganze Haus wackelte; aber Glückspilzchen tanzte doch besser, als alle.
Da ging mit einem Male die Thür auf, und der alte Vogelsteller und der
Vater der Braut, die nebenan geraucht und gekannegießert hatten, traten
ganz verbrümmelt in den Saal. Was ist das für eine tolle Wirthschaft!
rief der alte Vogelsteller. Soll uns das Haus überm Kopf einfallen? --
Da stand Glückspilzchen still und plötzlich auch all die Andern, und
der blonde Hansel hörte auf zu spielen. Oben aber die Vöglein lagen
mit blutigen Köpfchen halbtodt und sagten kein Pieps mehr, und die
Blumen waren von der Anstrengung welk und bleich geworden. Wie das die
beiden Alten gewahr wurden, erbos'ten sie sich immer mehr. Wie ist das
Hexenpack hier herein gekommen? schrie der alte Gärtner. Hinaus damit!
-- Und so schoben sie eifrig scheltend trotz aller Reden und Bitten der
jungen Leute Glückspilzchen, den blonden Schusterjungen und den langen
Poeten zur Thür hinaus.
Draußen war's abendlich und der Thau fiel. Da standen die Drei ziemlich
niedergeschlagen; nur der Poet hatte noch ein bischen Humor übrig.
Er hob Glückspilzchen, die die weinende Käke tröstete und beruhigte,
wieder auf seine Schulter, summte ein Liedel in seinen hoffnungsvollen
Schnurrbart hinein und schritt voran. Der Hansel zottelte wie im Traum
hinterher, und wie die Käke mit Weinen fertig war, fing Glückspilzchen
an und lamentirte ganz herzbrechend. Ach was werden die drei Tanten
sagen, wenn sie mich nicht finden! jammerte sie. Und in der Schule,
da werde ich so viel Schelte bekommen, daß ich nicht da bin! -- Dem
Langen fiel's auch aufs Herz wegen der Tanten. Daran hatte er nimmer
gedacht, weil er ein leichtsinniger Patron war, wie die Poeten alle;
aber er suchte sein Schwesterchen zu beruhigen und sagte: Die werden
froh genug sein, daß sie uns los geworden; und umkehren thu' ich einmal
auf keinen Fall, bis ich mein Feuerzeug wieder habe. Weine nur nicht!
ich schreibe dir schon einen Entschuldigungszettel für die Schule. --
Da wurde Glückspilzchen ein wenig stiller; aber der Hansel seufzte
immerfort: Ach wann komme ich nun nach den Fleischtöpfen Aegypti! Ich
dummer Holzleisten! Warum bin ich von Gansdorf fortgelaufen, wo ich
doch Nachts ein Bett hatte und ein Obdach! So klagte er, und da wollte
alles Zureden des langen Poeten nichts helfen.
Es war nun schon völlige Nacht geworden, da kamen sie in einen
großmächtigen Wald, darinnen das Mondlicht sein Wesen trieb. Der Poet
ward ganz fidel, als er die prächtigen Eichen rauschen hörte und die
schlanken Rehe und Hirsche vorbeiwandeln sah. Er wäre gern die ganze
Nacht so herumgestrichen; aber Glückspilzchen war eingeschlafen auf
seiner Schulter vor Betrübniß und Angst, und da hob er sie sachte herab
und nahm sie in den Arm, aber er wollte sie nicht aufwecken. Darum
legte er sie leise ins Gras gerade unter einer steinalten Eiche, gab
ihr die Käke in den Arm, die auch schon schlief und deckte sein Hütchen
über seiner kleinen Schwester Gesicht, damit kein Käfer drüber weg
laufen könnte. Der Hansel hatte sich auch gleich ins Gras gestreckt und
schlief im Umsehn, und da wußte der lange Poet auch nichts besseres,
als sich schlafen zu legen. Wie er aber so auf dem Rücken lag und zu
dem Monde hinaufsah, fiel ihm eins seiner alten Lieder ein, das sang
er ganz leise; denn er konnte nie einschlafen, ohne was gesungen zu
haben. Das Lied lautete so:
Waldesnacht, du wunderkühle,
Die ich tausend Male grüß',
Nach dem lauten Weltgewühle
O wie ist dein Rauschen süß!
Träumerisch die müden Glieder
Berg' ich weich ins Moos,
Und mir ist, als würd' ich wieder
All der irren Qualen los.
Fernes Flötenlied, vertöne,
Das ein weites Sehnen rührt,
Die Gedanken in die schöne,
Ach! mißgönnte Ferne führt.
Laß die Waldesnacht mich wiegen,
Stillen jede Pein!
Und ein seliges Genügen
Saug' ich mit den Düften ein.
In den heimlich engen Kreisen
Wird dir wohl, du wildes Herz,
Und ein Friede schwebt mit leisen
Flügelschlägen niederwärts.
Singet, holde Vögellieder,
Mich in Schlummer sacht!
Irre Qualen, lös't euch wieder;
Wildes Herz, nun gute Nacht!
Als er den letzten Ton gesungen hatte, fielen ihm leise die Augen zu
und da hatte er sich selbst in Schlaf gesungen.


Viertes Kapitel.
Wie Glückspilzchen gar seltsam gebettet wird.

Wie sie nun eine Weile so gelegen hatten, fing der blonde Hansel auf
einmal laut an zu schnarchen, und dann schwätzte er wieder unsinniges
Zeug aus dem Traum, als: O ich Pechvogel! Fleischtöpfe! Holzleisten!
Sie ist ein knauseriges Weibsbild, Frau Meisterin! O ich Pechvogel! --
Davon wachte Glückspilzchen auf, richtete sich in die Höhe und warf
das graue Hütchen vom Gesicht. Sie war recht traurig, denn sie hatte
von den drei Tanten geträumt und von der Pedanterliese, und ihre Käke
wär' ihr gestohlen worden. Damit war's aber nicht so schlimm; die
Käke lag schlafend in ihrem Arm. Es war schaurig und kühl unter den
Bäumen, und Glückspilzchen gruselte vor dem Mondlicht und dem blonden
Schusterjungen, der aus dem Schlaf faselte. Da stand sie endlich leise
auf, legte ihrem Bruder den Hut hin und küßte ihn auf die Stirn. Er
mußte es gemerkt haben, denn er sagte halblaut:
O du Grashupferchen,
Du Sachtschlupferchen
Mit den blanken Dreiern von Kupferchen,
Hol' dir von der Kühle kein Schnupferchen!
Glückspilzchen mußte im Stillen lächeln, band sich aber doch ihr
seidnes Halstuch fester, nahm die Käke unter die Schürze und kletterte
behend wie ein Kätzchen den alten Baum hinauf, bis sie den blonden
Hansel nicht mehr hörte. Da suchte sie sich einen schönen breiten Ast
aus, legte sich zum Schlafen zurecht und sang, bevor sie die Augen
schloß:
Englein mit den Flügeln hold,
Mit dem Haar aus eitel Gold!
Wenn ich etwa fallen sollt',
Seid viel tausendmal gebeten,
Unten auf das Gras zu treten
Und die Aermchen auszubreiten,
Daß ich sanft mag niedergleiten.
Nehmet auch, o seid so gut,
Meine Käke recht in Hut!
Daß sich keines Schaden thue,
Schenkt uns eine sanfte Ruhe.
Und so schlief sie sorglos ein.
Es dauerte gar nicht lange, da ließ sie die Puppe wirklich los, die
sie vor dem Einschlafen fest an sich gedrückt hatte, und sie fiel
unter der Schürze weg von dem hohen Ast hinab. Ein Glück war's nur,
daß Glückspilzchen die Engel gebeten hatte, ein wenig Achtung zu
geben; sonst hätte sich die Käke den kleinen Kopf elendiglich an
den Eichenwurzeln zerschlagen. So aber legten sie die Englein unter
Vergißmeinnicht und Veilchen ins Gras, und da schlief sie den Schreck
vom Fall gar sanft und ruhig aus.
Nun will ich aber erzählen, wie wunderlich es mit Glückspilzchen
zuging während der Nacht. Wie sie nämlich so auf dem Ast der Eiche
schwebte, das Köpfchen an die Rinde gedrückt, die kleinen Arme um
das Holz geschlungen, kam auf einmal eine ganze Eichkätzchenfamilie
dahergehüpft, die zu Besuch gewesen waren bei ihrer Sippschaft und sich
verspätet hatten mit dem Heimweg. Ganz lustig und ein wenig bespitzt
von dem vielen Eichelschnaps, den sie hatten trinken müssen, hüpften
sie ihres Wegs, obwohl die Nachtwächterin, die Frau Nachtigall, schon
längst die Polizeistunde geflötet hatte. Hie und da saß noch in einem
Vogelnest ein gelehrter Spatz oder Fink und schaute hinauf nach den
Sternen, oder eine Lerche probirte mit halber Stimme die Arie, die sie
morgen beim Frühconcert singen sollte; sonst war Alles zur Ruhe. Die
Eichkätzchen aber sputeten sich, denn sie hatten den Hausschlüssel
vergessen, und wenn die alte Großmutter schon schlief, konnten sie
im Freien übernachten. Da kamen sie zufällig über den Ast, auf dem
Glückspilzchen lag und schlief, und waren zu Tode verwundert über das
zierliche Geschöpfchen. Nein, was für ein liebes Thierchen! riefen
sie unter einander. Was sie für hübsche Zöpflein hat und so blanke
Lederschuh'! Ach aber sie ist ganz feucht von dem Thau, und wird am
Ende krank, oder fällt gar, weil sie keine scharfen Nägel hat an Händen
und Füßen! -- Da hielten sie flink Rath über das schlafende Mägdlein,
und beschlossen dann allezusammen, sie nach ihrer Wohnung zu tragen
und die Nacht über bei sich zu behalten. Vorher fuhren sie ihr mit den
weichen rothen Schwänzchen über Wangen und Stirn und das blaue Kleid
und fegten alle den Thau herab. Dann hoben sechs der stärksten sie
sacht in die Höhe, zwei gingen voran, zwei hinterdrein, und nun ging
die Reise behutsam, aber geschwind den Ast entlang, und Glückspilzchen
lag so weich auf den Schultern ihrer kleinen Freunde, als wie zu Haus
bei den drei Tanten in ihrem Federbettchen. Oben mußte der Mond gar
herzlich über den seltsamen Zug lachen, und die Frau Nachtwächterin
wunderte sich auch, aber sie schwieg ganz still, so daß man nichts
ringsum hörte, als die Winde, die in den Wipfeln die Runde machten,
und die leisen Schritte der Eichkätzchen und das Klappern der blanken
Kupferdreier in Glückspilzchens Sparbüchse.
So kamen sie allgemach an den großen, dicken Stamm, darin die
Eichkätzchen ihr Quartier hatten; es war aber schon zugeschlossen. Nun
klopfte der Vorderste, den sie Springinslaub nannten, gar manierlich an
und rief:
Liebe braune Großmama,
Deine Enkel sind nun da,
Bringen dir ein Kind zu Gaste,
Das da schlief auf unserm Aste.
Mond scheint kühl und Thau fällt naß;
Großmama, bedenke das!
Da dauerte es nicht lange und man konnte innen ein Schlüsselbund
rasseln hören und Jemand husten. Die Thür ging auf und die alte
Eichkätzchengroßmutter ließ die Gesellschaft herein. Sie hatte einen
braunen Pelz, der wegen des großen Alters sehr nachgedunkelt war und
oft hatte geflickt werden müssen, dazu eine Nachtmütze über Ohren und
Stirn. -- Landstreicher! brummte sie mit zahnlosem Munde, und wollte
noch eine lange Gardinenpredigt halten. Wie sie aber Glückspilzchen
gewahr wurde, erheiterten sich ihre Augen; sie fuhr dem schlafenden
Mägdlein mit der kleinen Pfote über den Scheitel und küßte ihm das
Ohrläppchen. -- Und wo soll sie die Nacht bleiben? fragte sie dann.
-- Die Fremdenstube ist leer, erwiederte Springinslaub; da steht
das weiche Moosbette, wo sie schlafen kann, bis die Sonne kommt. --
Die Alte nickte stillschweigend und ließ ihre Enkel Glückspilzchen
hinauftragen, die immerfort schlief. Sie selbst ging in ihre Kammer
und holte den Pelz ihres seligen Mannes, der in einem Schränkchen von
Nußschalen als ein heiliges Andenken hing. Ich muß dem lieben Thierchen
doch was Absonderliches zu Gefallen thun, sagte sie vor sich hin,
als wollte sie's bei dem Schatten des Seligen entschuldigen. Darauf
stieg sie die kleine Treppe hinauf ihren Enkeln nach, die unterdeß
ihre kleine Freundin sorglich niedergelegt, auch das Fenster verhängt
hatten, damit der Mond ihr nicht gerade in die Augen scheinen und sie
am Ende wecken könnte. Die alte braune Großmama aber deckte ihr den
Pelz über die Füße, setzte ihr ihre eigne Nachtmütze auf das schwarze
Haar und gab ihr eine Haselnuß in jede Hand, weil das Glück bringt nach
dem Eichkatz-Aberglauben. Dann küßte ihr einer nach dem andern das
Ohrläppchen und schlüpften allezusammen zur Thür hinaus.


Fünftes Kapitel.
Wie Glückspilzchen ihre Nachtherberge verläßt und mit der Frau
Bösgewissen Bekanntschaft macht.

Die Waldvöglein in Zweigen
Stehn singend auf beizeit,
Derweil noch schlafen und schweigen
Der Menschen Lust und Leid.
O Jubel und o Wonne,
Nach Nächten, dunkel und bang,
Zu grüßen die liebe Sonne
Mit frohem Lied und Klang!
Zu schweben und zu schwanken
Da droben hoch im Blau'n,
Zu trösten die Müden und Kranken,
Die drunten auf Träume bau'n;
Und zu rufen hinab in die Lande:
Wacht auf nun, nah und fern!
Es kommt in des Frühroths Brande
Ein neuer Tag vom Herrn.
Wohlauf denn und frisch gesungen,
Ein Jedes nach seinem Brauch!
Ist's nur vom Herzen erklungen,
Gefällt's dem Himmel auch.
So ungefähr sang die Lerche, die am Morgen beim Frühconcert die erste
Stimme trillerte; es war nur Alles noch viel besser und fröhlicher, so
köstlich daß man's gar nicht mit bloßen Worten wiedergeben kann, und
die andern lustigen Sänger hielten sich auch brav dran. Da stand auch
die Sonne bald auf, wischte sich die Nebel vom Auge und hielt nicht
länger mit ihrem goldnen Schein hinterm Berg.
Glückspilzchen aber, wie es auffuhr aus dem Schlaf, wußt' es erst
gar nicht, wo es war; denn daß das Zimmerchen in einer alten hohlen
Eiche stecke, fiel ihm nicht ein. Das Licht fiel spärlich durch
ein rundes Astloch, das die alte Base Spinne aus Gefälligkeit mit
Spinneweb wie mit einer Fensterscheibe überzogen hatte, und davor
hatten die Eichkätzchen gestern Nacht ein großes Blatt geheftet, um
den Mond abzuwehren, so daß eine halbe Dämmerung ringsum war. Da bekam
Glückspilzchen rechte Furcht, und wie sie ihren Bruder, den langen
Poeten, nicht fand, auch die Käke nicht mehr im Arm hatte, setzte
sie sich wieder auf das Moosbettchen, nahm die Schürze vors Gesicht
und weinte bitterlange Zähren; denn von der Thür fand sie auch keine
Spur, weil die Fugen in der Rinde nicht bemerkbar waren. Sie hatte
aber kaum ein paar Dutzend Thränen geweint, da ging die Thür auf und
Springinslaub trat herein, und hinter ihm die alte Großmama, die trug
auf einem Brett den wundervollsten Eichelkaffee in Wallnußschalen und
prächtige Erdbeeren, die ihre Enkel schon in aller Frühe im Walde
gesucht hatten. Glückspilzchen hörte plötzlich ein bischen auf mit
Weinen, denn sie verwunderte sich gar zu sehr über den zierlichen
Besuch. Die alte Eichkätzchengroßmama aber setzte sich freundlich und
liebreich neben sie und erzählte ihr, wie sie gestern von ihren Enkeln
hereingebracht wäre, und sie solle nur bleiben, so lange sie wolle,
und sie würden's ihr schon angenehm machen. Glückspilzchen saß wie im
Traum, ließ sich aber von der Alten und den Andern, die nach und nach
Alle Visite machten, geduldig das Ohrläppchen küssen und zum Frühstück
nöthigen; denn sie meinte, es wäre doch Alles Traum, und sie würde bald
aufwachen und Käke und ihren Bruder und auch den blonden Schusterjungen
wiedersehen.
Indessen rief die Großmama eins von den Eichkätzchen heran und sagte:
Knackzähnchen, erzähl' wo du gewesen bist und was du gesehn hast beim
Erdbeersammeln. Da sagte das Eichkätzchen mit feiner Stimme:
Wo die blauen Veilchen sprossen,
Sind drei Bächlein hergeflossen
Ueber Nacht, wie wunderbar!
Salz'ge Bächlein, rasch und klar,
Drüber sich die Zweige spreiten.
Auf dem einen sah ich gleiten
Eine Puppe klein und schmächtig,
Augen funkelhell und prächtig,
Zähne blank wie Elfenbein;
Gar erbärmlich that sie schrein.
Sagt, weß mag die Puppe sein?
Ach Gott, seufzte Glückspilzchen, das ist am Ende meine Puppe Käke
gewesen! -- Ei es giebt viel Puppen auf der Welt, sagte die alte
Großmama, um sie zu beruhigen. Nun komm du, Rothbärtchen, und erzähle.
Das Rothbärtchen aber fing an:
Einsam sprang ich durch die Buchen,
Beeren, roth und süß, zu suchen,
Schaut' umher nach allen Seiten.
Da auf einmal sah ich schreiten
Einen blonden Schusterjungen
Durch die Büsche, dichtverschlungen.
Mütze saß auf einem Ohr;
Spielte sich ein Liedel vor
Auf der blanken Ziehharmonik,
Wie ein Spielmann aus der Chronik,
Pfiff und schimpfte auch mitunter,
Kam vom rechten Weg herunter,
Lauft nun so in Tag hinein.
Sagt, wer mag sein Meister sein?
Das war ganz gewiß der blonde Hansel, mit dem wir gekommen sind, sagte
Glückspilzchen. Ach Gott, wenn ich nur erst draußen wär'! -- Ei es
giebt so viel Schusterjungen, sagte die alte Großmama rasch; bleib du
nur hier bei uns; und nun soll Nußfresserchen erzählen, was ihr passirt
ist. Nußfresserchen aber trat kecklich vor, machte einen Knix und
declamirte dann mit vielem Ausdruck:
Drunten tief im Lindenhag,
Da noch kaum erglomm der Tag
Und nur wenig Vögel sangen,
Kam ein langer Herr gegangen,
Grauen Filzhut in der Hand,
Drauf ein schwarzrothgülden Band
Flatterte im Morgenhauche,
Und er rief bei jedem Strauche:
Saht ihr nicht, ihr schwanken Aesterchen,
Mein verlornes kleines Schwesterchen?
All ihr Gräser, Blumen, Pilzchen,
Saht ihr nicht das Unglückspilzchen?
Rabenschwarz ist Aug' und Haar,
Und der Wuchs ist ganz und gar
Einer Arabeske ähnlich,
Nase, Mund und Kinn gewöhnlich,
Trug ein blaues Thibetkleidchen --
Ach Himmel! rief Glückspilzchen auf einmal, das ist mein Bruder, der
lange Poet, der sucht nach mir, und ich Unglückspilzchen sitze hier
bei Eichelkaffee und Erdbeeren und mache ihm so viel Herzeleid! Ich
muß fort, geschwinde fort, ich halt's gar nicht mehr aus. -- Die
Eichkätzchen wollten sie freilich gerne behalten, aber das ging doch
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