Der Jungbrunnen: Neue Märchen von einem fahrenden Schüler - 8

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Wer sieht es genau?
* * *
Da drunten im Thal
Da blühen die Rosen;
Da will ich dich küssen
Viel tausendmal.
Wer Röselein bricht,
Den stechen die Dornen;
Und sei mir nicht bös,
Wenn mein Schnurrbart dich sticht.
* * *
Am Wildbach die Weiden
Die schwanken Tag und Nacht.
Die Liebe von uns beiden
Hat Gott so fest gemacht.
Am Wildbach die Weiden
Die haben nicht Wort und Ton.
Wenn sich die Augen besprechen,
So wissen die Herzen davon.
Und dergleichen mehr und dachte sich nichts dabei, eben so wenig beim
Kuhblumenpflücken; aber die alte Melkmarei hatte ihren heimlichen Spaß
daran.
Darüber hätt' ich aber fast zu erzählen vergessen, wie es der Blindekuh
ging. Das arme Thier wachte in grauer Frühe auf; denn es war ja gar
nicht gewohnt, ~stante pede~ zu schlafen. Wie es nun so mit dem Kopf
ruckte, blieben die Spatzen auch nicht lange still in den Federn,
reckten sich erst ein wenig und huschten dann hinaus. O weh! da war von
ihrem Herrn nichts zu sehen; nur die Leine, an der er die Prinzessin
geführt hatte, lag auf dem Moose. Frau! sagte der Spatzenvater zu
seiner Ehehälfte, was thun wir nun? -- Hole die Leine, erwiederte die
Spätzin, und bitte die Blindekuh, sie wieder ins Maul zu nehmen;
und dann wollen wir weiter bis ins nächste Dorf zu dem Bauer, dessen
Hausspätzin ich war, bevor du mich heirathetest. Und unsere Jungen,
Gelbschnabel und Grünschnabel, können Kuhblumen besorgen, während ich
die Gnitzen und Gnatzen wegfange. -- Das hatte aber die Blindekuh
gehört und fragte ängstlich: Lieber Kuhjohn, wo bist du? und wann
geht's weiter? Ich habe auch Appetit auf einige Kuhblumen. -- Darauf
flog der alte Spatz dicht an ihr Ohr und sagte ihr Alles, wie seine
Frau es gerathen hatte. Ach, da wurde Naserümpfchen betrübt! Aber
weil's doch nicht anders ging, nahm sie die Leine gutwillig zwischen
ihre Perlenzähne, und nun flatterte der Spatz bedächtig voran, dicht
über dem Boden, da es der Blindekuh sonst zu schnell gewesen wäre, und
seine Familie sorgte für das Uebrige. Es war aber doch ein schwieriges
Geschäft; denn immer wenn die Blindekuh eine gelbe Blume kaute, fiel
ihr die Leine aus dem Munde, und es wurde dem Spatzen schwerer, sie
wieder hineinzustecken, als es dem kleinen Kuhjohn geworden war. Dabei
seufzte die Prinzessin oft, und das klang jedesmal Muh! worüber die
Vögel erschraken. Das einzige Gute war, daß sie Zeit genug hatte,
bescheidner zu werden und eine rechte Sehnsucht nach dem guten Kuhjohn
bekam, den sie früher immer nur ausgelacht hatte.
Wie sie nun so die Landstraße hinab zogen nach dem Dörfchen zu,
kam ihnen eine Schaar von Schulkindern entgegen, die hinter die
Schule gegangen waren, um sich im Walde lustig zu machen. Als sie
die Blindekuh kommen sahen und die Vögel umher, fingen sie laut an
zu lachen und waren sehr ausgelassen und unartig, daß die Vögel
scheu wurden und sich zwitschernd in das Nest zwischen den Hörnern
verkrochen. Da stand die arme Prinzessin still und fragte: Was ist
denn das? Lassen sie mich denn Alle im Stich? -- Die Schulkinder
aber umringten sie und riefen durch einander: Hört doch einmal! die
Blindekuh kann sprechen. Einer von ihnen, der älteste und ein gar
übermüthiger Junge, gab ihr geschwind die Leine wieder, führte sie
eine Strecke vorwärts und sagte: Blindekuh, ich führe dich. -- Wohin
denn? fragte die Prinzessin ganz verblüfft. -- In den Kuhstall! war
die Antwort. -- Und was soll ich da? -- Milch essen, Blindekuh. --
Ach Gott, ich habe ja keinen Löffel. -- Dann such dir einen, rief
der böse Bube lachend und ließ die Leine fahren. Nun tappte die
Blindekuh ängstlich im Kreise herum; aber die Schulkinder wichen ihr
neckend und spottend aus, und da sie nicht wußte, wohin sie ging,
lief sie gerade auf die Bäume zu und hätte sich gewiß den Kopf ganz
wund gestoßen. Da trat noch zur rechten Zeit der kleine Kuhjohn aus
dem Walde heraus, eine Menge Kuhblumen unter dem Arm, und wie er so
plötzlich Naserümpfchen vor sich sah, freute er sich wie ein König,
obgleich er seinen Verstand zwischen dem Farnkraut gelassen hatte. Er
ging geschwind zu ihr heran, streichelte sie und gab ihr seine Blumen
zu fressen. Wie sie aber die letzte verschluckt hatte, da war's gerade
der Haufen, von dem die Melkmarei in dem Zauberspruch geredet hatte,
und sie stand als die wunderschöne Prinzessin da, die sie gewesen war.
Nur hatte sie einen wunderlichen Kopfputz von Heu und das Nest lag oben
auf. Da flogen die Spatzen lustig herunter und ihrem Herrn auf die
Schultern und konnten sich gar nicht lassen vor Freude. Der aber ging
muthig auf Naserümpfchen zu, umarmte sie und küßte sie wer weiß wie
oft. Denn sein Respekt war mit dem Miethszettel in die Höslein gestopft
und drin elendiglich erstickt.
Man begreift, was für alberne Gesichter die Schulkinder bei alle dem
machten; aber die Prinzessin schenkte ihnen ihr Schnupftuch, damit sie
sich die Lippen fegen und reinen Mund halten sollten, was sie auch
versprachen. Dann spazierte sie mit dem Kuhjohn nach der Stadt zurück,
und was sie sich alles gesagt haben, mag der Himmel wissen. Ich kann
nur ein Lied verrathen, das die Prinzeß sang, und der Kuhjohn brummte
die zweite Stimme. Das hieß so:
Es pirscht ein Jäger durch den Hain,
Schießt allem Wild ins Herz hinein.
Freikugeln hat er geladen;
Die fehlen nicht und knallen nicht,
Thun allerort viel Schaden.
Du sprödes Reh, es hilft dir nicht,
Gehst du abseit im Walde dicht;
Bist dennoch schlecht geborgen.
Des Jägers Meute find't dich doch;
Das sind die bösen Sorgen.
Die Sorgen bös, die Sorgen lind,
Die Wunden weh und lieblich sind.
Und wer es nie empfunden,
Der weiß auch nicht, wie süß es thut,
An lieben Lippen gesunden.
Das sangen sie denn, und Jedes dachte sich sein Theil dabei und die
Spatzen auch. Wie sie aber in die Stadt kamen zum König Grobianus,
war der hocherfreut, seine Tochter wieder zu haben und wollte nun
geschwind wissen, wer der fremde Herr sei; denn er erkannte ihn nicht,
weil ihm der Miethszettel fehlte. Da erzählte der Kuhjohn die ganze
Begebenheit und wer er wäre; aber er fand überall Unglauben, und die
Bücherwürmer und Rathschläger wurden befragt. Die ersteren ließen
sich's nun sehr wurmen, und die Rathschläger schlugen Rath daß sie
schwitzten, erkannten aber einstimmig, der Kuhjohn wär's einmal nicht;
erstens fehle der Miethszettel, und dann sei vom Kuhjungenverstand
keine Spur bei ihm zu finden. Ja das sei natürlich, bemerkte der
Kuhjohn; er habe ihn unterwegs im Farnkraut verloren. Da ließ der
König wieder einen Steckbrief in die Zeitung setzen: wo sich ein
herrenloser Kuhjungenverstand, so und so angethan, blicken ließe, der
auf den Namen Kuhjohn höre, solle männiglich auf ihn fahnden und ihn
dem Bräutigam von Naserümpfchen gegen eine angemessene Belohnung wieder
ausliefern. Die Hochzeit aber wurde gleich gehalten, und Grobianus war
die Höflichkeit selbst, zog auch mit Bleistift einen Strich mitten
durch sein Reich und schenkte die eine Hälfte seinem Eidam. Weil
aber Naserümpfchen das Spatzennest noch immer auf dem Haupt behielt,
machten's ihr bei der Hochzeit alle Hofdamen nach und zwar von ihren
eignen Haaren, so daß seitdem die Sitte, ein Nest auf dem Kopf zu
tragen, sehr gewöhnlich geworden ist.
Am andern Morgen, als das junge Ehepaar aufwachte und Naserümpfchen
eben zu ihrem Kuhjohn sagte: Ich weiß doch, daß du mein Kuhjohn bist,
und habe dich nur noch lieber darum -- kam plötzlich die Melkmarei ins
Zimmer geflogen, krächzte in einem Athem: Guten Morgen! und ade! und
legte was auf den Nachttisch, worauf sie zum Fenster hinaushuschte.
Als die Beiden die Bescherung besahn, da war's denn richtig des jungen
Ehemanns Kuhjungenverstand. Mit dem hat er lange gerecht regiert und
alle Jahr ein Fest feiern lassen, an dem die Schulkinder hinter die
Schule gingen, Blindekuh spielten und jedes ein Taschentuch geschenkt
bekam. Der Melkmarei wurde nach des Grobianus Tode eine herrliche
Bildsäule auf demselben Platz errichtet, wo sie verbrannt worden war,
und alljährlich den Armen Brodsuppe vertheilt zu ihrem Andenken.
Die Nachkommen des Kuhjohn aber haben all diese Stiftungen eingehn
lassen, die Brodsuppe selber gegessen und mit den Taschentüchern ihre
eigne Nase geputzt. Leider schlugen sie überhaupt völlig aus der Art,
schrieben sich auf französische Mode Cujon und sind weiter nichts
nutz gewesen, als daß sie sprichwörtlich genannt werden, wo von einem
unausstehlichen Plagegeist die Rede ist.


Fedelint und Funzifudelchen.


Erstes Kapitel.
Wie es sich ereignet, daß Funzifudelchen, noch ehe sie in der Welt war,
von der bösen Fee Aurora Mesopotamia verwunschen wurde.

Es war einmal ein guter kleiner König, der hieß +Muffel+ der Erste,
ein gar leutseliger Herr, der, wenn er spazieren ging, vor Jedem, der
ihn grüßte, seine goldene Krone abnahm. Weil er aber erschrecklich
viel Zeit übrig hatte, schaffte er sich einen ganzen Marstall der
allerschönsten Steckenpferde an und lebte nach dem Grundsatz: Man muß
das Angenehme mit dem Angenehmen zu verbinden wissen. Morgens früh zog
er eine kleine Maschine auf, die an seinem Bett stand; das war die
sogenannte Staatsmaschine, und die sorgte dafür, daß die Regierung
ihren gehörigen Gang nahm. Dann ging Muffel der Erste in seinen
Marstall, ließ sich irgend ein Steckenpferd satteln und ritt den lieben
langen Tag darauf herum, daß es so eine Art hatte.
Wie aber Jedermann weiß, ist keine Viehart kostspieliger zu
unterhalten, als die Rößlein des guten Königs, so daß die armen
Unterthanen oft sich das liebe Brod nicht gönnen durften, um nur die
schweren Steuern zu erschwingen für den Marstall. Da thaten sie sich
zusammen und beriethen sich, wie dem abzuhelfen sei. Endlich kam Einer
auf den Einfall, man sollte dem gnädigen Herrn eine Frau verschaffen.
Bei dem ewigen Hagestolziren käme der beste Mensch auf kostspielige
Gedanken, und wenn der König gar ein Kindchen hätte, das würde ihm
lieber sein, als die hölzernen Gäule. Schickten also eine Gesandtschaft
an Muffel den Ersten, die ihm das Ding plausibel machte, in tiefster
Ehrfurcht erstarb, und mit dem sehr tröstlichen Bescheide entlassen
wurde, Seine Majestät werde sich's überlegen.
Nun ging der gute kleine Monarch in seinen Thiergarten und überlegte
aus Leibeskräften. Aber es waren zu viel schöne Dinge im Garten, als
daß er ungestört hätte denken können. Gleich vom Schlosse aus mußte
er durch eine lange Allee von Invaliden, die Drehorgel spielten,
sobald Muffel sich sehen ließ; und Jeder spielte ein anderes Stück,
denn der König wollte den Künstler in seiner Eigenthümlichkeit nicht
beschränken. Wie aber die Allee zu Ende war, kam man zu einem großen
Drathhause, in dem lauter vergoldete Mohrenkinder auf dem Seil tanzten
oder Purzelbäume schlugen. Dazwischen brüllten die wilden Bestien und
die Papageien schrien: Heil dir im Siegerkranz! und die andern Vögel
führten eine Pastoral-Symphonie aus, daß es einen Höllenspektakel gab.
Da drückte sich der König die Krone tiefer über die Ohren und ging
nach einem stillen Plätzchen im Garten, wo lauter schwermüthige Weiden
wuchsen und nur Trauermäntel und Todtenköpfe fliegen durften, weil der
gute Muffel dort seine wehmüthigen Stunden abwartete, deren ja jeder
Mensch hat. Nun wollte er heut nur in der Stille dort die Heirath
bedenken und freute sich, daß die Löwen, Invaliden und Mohrenkinder
weit genug entfernt waren, um ihn nicht zu stören. Aber wie erschrak
er, als ihm aus den Schatten eine etwas abgesungene Frauenstimme
entgegentönte, die folgendes Lied gar melancholisch hören ließ:
Von Sorgen wie bin ich
Umstrickt und befangen!
Kein Liebster herzinnig
Im Arme mich hält!
In Lüften da hangen
Die Sterne mit Prangen;
Doch ach -- ohne Liebe
Wie dunkel die Welt!
Gar lustig zusammen
Vier Aeugelein scheinen,
In seligen Flammen
Einander gesellt.
Vertrübt sind die meinen
Von Wachen und Weinen;
Denn ach -- ohne Liebe
Wie dunkel die Welt!
Das machen meine Invaliden doch besser! dachte Muffel bei sich, der
in der Musik sehr stark war, trat aber neugierig näher. Da hatte er
den seltsamsten Anblick von der Welt. Eine fremde Dame saß auf der
Rasenbank und sah halb verschämt, halb innig nach dem König um. Sie war
freilich nicht mehr jung, aber auch nichts weniger als schön. Uebrigens
war sie in großem Putz und nur an den Manschetten saßen einige gelehrte
Tintenflecke. Um sie herum aber lag ein ganzer Haufen Bücher, auf
deren Rücken in Gold gedruckt stand: Sämmtliche Werke der Fee Aurora
Mesopotamia.
Der König war ein bischen verlegen geworden, drehte die Krone zwischen
den Händen herum und brachte endlich heraus: Angenehme Unbekannte,
wer sind Sie eigentlich? -- Die Dame spielte zierlich mit dem Fächer
und flüsterte: Ich bin die Fee Aurora Mesopotamia, und diese Bücher
sind meine sämmtlichen Werke. Monarch, fuhr sie dann mit Wärme fort,
ich weiß, Sie gehn auf Freiersfüßen. Warum soll das Weib nicht zum
Manne sagen: Ich liebe dich! Muffel meines Herzens, wirst du diese
federkundige, zarte Feenhand ausschlagen? -- Sie reichte ihm gar
schmachtend ihre Rechte, und meinte, er würde sie hastig ergreifen und
küssen. Aber der König setzte ruhig die Krone wieder auf und sagte:
Entschuldigen Sie! Sie könnten meine Großmutter sein, schon nach den
sämmtlichen Werken zu urtheilen. -- Die Fee erröthete und sprach: Ich
bin freilich über die Jahre thörichter Jugend hinaus. Aber ich bringe
Ihnen ein Herz voll edler Weiblichkeit entgegen, voll Sinn für das
Höhere und mit der Fähigkeit begabt, ein schönes Mannesherz glücklich
zu machen. -- Wie der König das hörte, sagte er weiter nichts als: Es
thut mir leid, Fräulein; aber aus der Partie kann nichts werden! -- und
dann machte er eine Verbeugung und kehrte spornstreichs um, als wäre er
dem Fegefeuer entronnen.
Die Fee aber rief ihm nach: Verblendeter! Grober Charakter! So
verwünsche ich denn das Kind, das dir eine Andere schenken wird, daß es
sein Lebtag die Augen nicht öffnen soll, wenn ihm nicht einer das Lied
der Nixe Undula um Mitternacht vorsingen wird. -- Und dann schlug sie
ein höhnisches Gelächter auf, zertrat die lieben, unschuldigen Blumen
im Garten und verschwand, und es sollen, wie der Gärtner versichert,
die schwermüthigen Weiden so voller Tintenflecke gewesen sein, daß
aller Thau des Himmels sie nicht wieder rein waschen konnte.
Wie nun Muffel der Erste, noch ganz erschreckt von der Verwünschung
und der verwünschten Person selbst, in tiefen Gedanken seinem Schlosse
wieder zuging, sangen auf einmal alle Nachtigallen in den Büschen wie
verabredet:
Prinzessin Rapudanzia
Die hole dir zum Tanz, ja ja,
Ziküth, ziküth, ziküth!
Und da fielen alle Leierkasten ein und spielten »Wir winden dir den
Jungfernkranz«, daß der gute König ganz begeistert ausrief: Natur und
Kunst sprechen für dich -- du mußt die Meine werden! Schrieb auch
gleich ein sehr zärtliches Briefchen an die Schöne und ihren Vater, den
König Lillabullero, von dem er noch denselben Tag durch einen Eilboten
folgende Antwort erhielt:
König Muffel, mit Vergnügen
Kannst du meine Tochter kriegen.
Zeichne mich mit Achtung Dero
Ew'ger Freund Lillabullero.
Die Prinzessin aber hatte ganz fein und zierlich unter den Brief
geschrieben: Lieber Bräutigam, ich habe dich von Herzen lieb, und wir
wollen uns vertragen wie die Engel im Himmel.


Zweites Kapitel.
Wie der alte verrückte Kapellmeister den aufrührischen Bassisten
nachläuft.

Die Hochzeit wurde mit großer Pracht und Herrlichkeit gefeiert, auch
bald nachher der ganze Marstall meistbietend versteigert, und nur die
Invaliden-Allee blieb im Garten, weil auch die Königin eine große
Freundin von guter Musik war. Die vergoldeten Mohrenkinder aber wurden
von den Tabackshändlern gekauft und neben die Ladenschilder gestellt,
eine Cigarre im Mund und einen Federbusch auf dem Kopfe.
Da nun die Zeit erfüllet war, genas Rapudanzia eines feinen,
wunderlieblichen Mägdleins, der man den Namen Funzifudelchen gab.
Da war aber erst Freude im Lande! Drei Tage lang war blauer Montag
und Volksjubel mit Tanz und Kegelschieben, und die guten Unterthanen
illuminirten von Morgens früh bis um Mitternacht alle Fenster, was ich
bezweifeln würde, wenn ich's nicht aus den besten Quellen hätte.
Aber leider Gottes wurde die Freude bald in Trauer verkehrt.
Funzifudelchen nämlich, so schön und holdselig sie auch in der
diamantenen Wiege lag, war doch nicht im Stande die kleinen Augen
aufzuschlagen. Muffel der Erste, ingleichen die hohe Wöchnerin waren in
Verzweiflung; alle Bemühungen der Aerzte erwiesen sich fruchtlos, denn
das kleine Prinzeßchen fing kläglich an zu schreien, sobald man ihr
nur die Augenlieder berührte. Da gedachte der trauernde König an die
Verwünschung der bösen Fee Aurora Mesopotamia und dessen, was sie ihm
von der Nixe Undula zugerufen hatte. Er ließ also am schwarzen Brett in
der Universität, weil da alle Tage die klügsten Leute aus- und eingehn,
Dem das halbe Königreich und die ganze Prinzessin versprechen, der
seiner Tochter um Mitternacht das Lied von der Nixe Undula vorsingen
könne. Natürlich solle mit der Hochzeit bis nach der Einsegnung
gewartet werden; das halbe Königreich werde er gleich erhalten. Da
zerbrachen sich die gelehrtesten Professoren den Kopf, schrieben dicke
Bücher über die Nixe Undula, von tausend verschiednen Standpunkten, und
stellten die verschiedensten Systeme darüber auf.
Noch mehr aber als den Professoren war den Studenten die Prinzessin zu
Kopf gestiegen. Denn die wohnten Alle in einem kleinen Stadtviertelchen
zusammen, und der Weg zur Universität führte gerade beim Schlosse
vorbei. Der König aber hatte seiner Tochter einen gläsernen Pavillon
bauen lassen, wo jeder sie in ihrem Bettchen liegen sehn konnte, und
da standen die Herrn Studenten im Vorübergehn still und schauten das
Wunderkind an, und kamen regelmäßig zu spät, wozu die Professoren
gewiß lange Gesichter gemacht hätten, hätten sie sich nicht bei ihren
Forschungen über die Nixe Undula ebenfalls jedesmal verspätet. Ein
Student aber verspätete sich gewöhnlich so gewaltig, daß er gerade sich
satt gesehen hatte, wenn alle Lehrstunden zu Ende waren, und dann auch
noch nicht ganz satt. Denn oft zu nachtschlafender Zeit ließ es ihn zu
Haus nicht ruhn, er mußte durchaus aufstehn und nach dem Glas-Pavillon
laufen und wieder hineingucken. Das war aber eigentlich verboten; denn
da stand die Prinzessin auf und aß und trank, wie alle Andre, und ging
in der Stube umher, und das trauernde Königspaar machte ihr Besuch und
fragte, wie sie sich befinde und ob sie Fortschritte im Französischen
mache und in Allem, was sie sonst lernen mußte. Denn sie hatte zu Nacht
Unterricht bei den besten Meistern und war sehr klug, und lernte darum
nicht minder gut, weil sie die Augen nicht aufschlagen konnte. Wie
gesagt, das durfte aber Niemand mit ansehn, und +Fedelint+ -- so hieß
der neugierige Student -- mußte oft den Tag über im Carcer sitzen,
weil der Nachtwächter ihn bei dem Glas-Pavillon getroffen hatte.
Ja das half Alles nicht, sitzen mußt' er, und machte im Carcer die
allerschönsten Sonette auf Funzifudelchen, die man nur lesen konnte.
In der Stadt wohnte auch ein alter Kapellmeister, der zugleich
Kantor und Organist am Dom war, ein kleines dürres Männchen, krumm
wie ein Fiedelbogen, der hieß +Bratsche+. Weil er aber immer so
wunderliche Reden führte und ganz sonderbar einherging, nannten ihn
die Currende-Jungen und bald auch die ganze Stadt nicht anders als den
alten verrückten Kapellmeister. Der hatte sich auch ganz sterblich in
Funzifudelchen verliebt, und war er früher beim Choralsingen oft in
eine andre Melodie gerathen, so that er's jetzt erst recht oft, so daß
die andächtigen Leute den Kopf schüttelten und sagten: Es wird doch
immer ärger mit unserm alten verrückten Kapellmeister. Der aber kehrte
sich viel dran! Er hatte nichts anders im Sinn, als das Lied der Nixe
Undula, und setzte seinen Kopf drauf, es müsse aus ~C moll~ sein. Er
hatte das schon allen Leuten vertraut; aber was wollte die bloße Tonart
helfen! Damit bekam er weder die Prinzessin, noch das halbe Königreich.
Eines Abends saß er oben in seinem Dachkämmerchen ohne Licht, denn er
war gar zu blutarm; aber der Mond schien ihm gerade auf seinen Tisch,
der mit Noten und Instrumenten bepackt war. Nebenan schlief die alte
Ursel, seine Haushälterin; aber sie hatte einen sehr leisen Schlaf,
und er mußte des Abends immer fein still sein und stumme Musik machen,
weil sie sonst aufwachte, und dann war sie immer sehr bös. Da saß er
nun und sah zum Monde hinauf und meinte, die Flecken drin wären am
Ende Noten. Denkt einmal, so verrückt war er schon! Wie er nun eben
dran ging, sie herauszubringen, und dachte wahrhaftig, darin wär' das
Lied der Nixe Undula enthalten: hörte er unten auf der Gasse einen
gewaltig tiefen brummenden Ton. Das ging aber so zu. Es war um die
Zeit der Pfingsten, wo die Kinder gewöhnlich das Spielzeug, das sie zu
Weihnachten bekommen haben, wegwerfen und ins Freie laufen, um sich die
eingefrornen Glieder in der frischen Frühlingsluft aufthauen zu lassen.
Dadurch waren unter andern auch die Waldteufel in Ruhestand versetzt
worden, und weil das von Natur ein verteufelt brummiges Volk ist, auch
Haare auf den Zähnen hat und den Umschwung der Dinge liebt, war es im
Stillen zu einer Verschwörung unter ihnen gekommen. Sie hatten sich aus
den Bodenkammern, wohin sie verbannt waren, auf die Dächer geschwungen
und auf einem geräumigen, flachen Dache in einer schönen Nacht eine
Volksversammlung gehalten. Einer, der durch seine Dicke und Größe
ausgezeichnet war, auch das Bild Muffels des Ersten auf der Brust trug,
wurde zum König gewählt, schwang sich würdevoll auf einen Schornstein
und hielt folgende Rede: Verehrte Bassisten! (denn so nennen sich die
Waldteufel in amtlichen Sachen) Man hat uns als dumme Teufel behandelt
und in eine unthätige Ruhe verurtheilt, die der Tod unsrer schönen
Stimmen sein würde. Wir sind waldursprüngliche, freie Geschöpfe; wir
brauchen uns das nicht bieten zu lassen. Meine Herren! kehren wir in
den Urzustand zurück! Flüchten wir in die böhmischen Wälder! -- --
Allgemeines Bravo ließ den Redner nicht endigen. Es wurde beschlossen,
in der nächsten Nacht aufzubrechen, und Alles trennte sich, um
bis dahin in der Rumpelkammer seinen Träumen nachzuhängen und der
ehrenrührigen Gesellschaft, in der man sich befand, noch verächtlicher
als sonst den Rücken zu drehen. Was sind auch Bälle, Peitschen,
Steckenpferde und bleierne Soldaten gegen einen waldursprünglichen
Bassisten, der den großen Gedanken der Freiheit zum ersten Male gedacht
hat!
In der folgenden Nacht setzte sich nun wirklich das ganze geschwänzte
und gestielte Heer in Bewegung und flog gerade durch die Gasse, wo
der alte verrückte Kapellmeister den Mann im Monde für ein Notenblatt
ansah. Bratsche spitzte die Ohren. Ursel! rief er, Ursel! hört Sie
nicht? -- Was ist denn, Herr Kapellmeister? rief die heisere Alte aus
dem Nebenzimmer. -- Es ist ein gräulicher Rumor auf der Straße. Was
mag's sein? -- Ach nix! Hundelärm! gab die Alte zur Antwort und drehte
sich ärgerlich auf die andere Seite. Bratsche horchte hoch auf. Nixe?
Undula? wiederholte er. Wahrhaftig! ich glaube, sie hat Recht. Klang
mir's doch gleich wie ~C moll~. Da muß ich nach! O ich glücklichster
Kapellmeister unter dem Monde!
Und damit stürzte er barhaupt und im Schlafrock die Treppe hinunter und
den Bassisten nach zum Thore hinaus.


Drittes Kapitel.
Wie Fedelint mit der alten rothnasigen Hexe in den Wald geht.

In derselben Nacht saß Fedelint in seinem Studentenstübchen am Pult
und hatte einen großen griechischen Folianten in Schweinsleder vor
sich. Er war eben wieder aus dem Carcer gelassen worden, darin er bei
Wasser und Butterbrod vier und zwanzig Stunden hatte sitzen müssen.
Dessenungeachtet war er gleich zum Glas-Pavillon gelaufen, um sein
geliebtes Funzifudelchen zu sehn; aber zwei Nachtwächter standen da
Schildwacht und ließen ihn nicht herankommen. Man hatte ihnen freilich
die Augen verbunden, und ihren großen Bulldoggen auch, damit sie nicht
selbst das Verbot übertreten möchten, das sie überwachen sollten; aber
sie fochten die ganze Nacht hindurch mit großen Spießen rings um sich
her in die blaue Luft, und die Hunde waren so abgerichtet, daß sie
beständig die Zähne fletschten, so daß der arme Fedelint, so viel Herz
er auch hatte, doch unmöglich herzukonnte. So schlenderte er also trübe
nach Haus, und wie er durch die mondhellen Gassen ging, fiel ihm ein
Lied ein und er sang:
In der Mondnacht, in der Frühlingsmondnacht
Gehen Engel um auf leisen Sohlen;
Blonde Engel, innig und verstohlen
Küssen sie im Traum die schönsten Blumen.
Süßes Herzlieb, allerschönste Blume!
Weiß es wohl, woher die Glorie stammet,
Die dir heut das Antlitz überflammet;
Bist noch in den Traum der Nacht verloren.
Denkst der Engel, die durchs offne Fenster
Sich auf Mondesstrahlen zu dir schwangen,
Hauchten leisen Kuß auf Mund und Wangen
In der Mondnacht, in der Frühlingsmondnacht!
Ja wenn ich nur ein Engel wär' und auf den Mondstrahlen reiten
könnte! sagte er vor sich hin. Dann schlich er unter Seufzern und
Stoßgebetlein heim, kletterte die vier Treppen hinauf und trat in seine
Stube. Sein Schlafgesell lag schon im Bett und schnarchte für Vier.
Er schien ziemlich selig nach Haus gekommen zu sein; denn er lag mit
Kanonenstiefeln und Sammetrock da und hielt den Korb des Schlägers, an
dem die Cereviskappe noch vom Landesvater her steckte, steif in der
rechten Faust, über die der dicke Lederhandschuh gezogen war. Fedelint
achtete das nicht, setzte sich, nachdem er ein Licht angezündet, hin
und schlug den Folianten auf, aus dem er eifrig zu übersetzen schien.
Aber weiß Gott, was da in dem alten vergriffenen Codex stand, oder
ob Fedelint nicht recht lesen konnte; kurz und gut, es kamen lauter
Sonette an Funzifudelchen aufs Papier.
Da klopfte es dreimal an die Thür. Nur immer herein! rief der am
Pult. Die Thür ging schreiend auf, denn sie war, wie das so in
Studentenwirthschaften zu gehn pflegt, lange nicht geschmiert worden,
und ein altes vertrocknetes Mütterchen trat ein mit einer wunderschönen
rothen Nase, die wie lauter Rubin funkelte. Sie wäre trotz ihrer Jugend
immer noch eine ganz leidliche Frau gewesen, wenn sie ein paar Zähne
mehr und ein paar Falten im Gesicht weniger gehabt hätte. Junger Herr
Studiosus, fing sie an und zwinkerte schlau mit den Augen, junger
Herr Studiosus! -- Was wollt Ihr denn noch so spät, gute Alte? sagte
Fedelint und bot der Alten den einzigen noch nicht zerbrochenen Stuhl
an, nachdem er ein Dutzend Bücher weggeräumt hatte. -- Nicht sitzen,
junger Herr, nicht sitzen! Mit mir müßt Ihr gehn, in den Wald hinaus,
links an der Mühle vorbei; da liegt ein Schatz, hihihi! viel roth
Gold! Sollt ihn haben, wenn Ihr mitkommt. -- Fedelint bedachte sich
nicht lange. Das Geld war ihm dummer Weise schon seit vierzehn Tagen
ausgegangen, und die Philister wollten nicht länger borgen. -- Wartet,
alte Hexe, rief er, ich will nur meinen Schlafrock anziehn. Es sind
böse Nebel zu Nacht. Damit schlupfte er in den großblumigen Schlafrock
hinein, setzte die Mütze auf die braunen Locken, und folgte der Alten,
die kichernd die Treppen hinabrutschte. Sie gingen zusammen durch die
verzwicktesten Gäßchen, immer an den Häusern entlang, die im Schatten
standen, und die Alte trippelte mit erstaunlicher Geschwindigkeit
voraus. Zum Kuckuk! rief Fedelint, lauft nicht so, Alte! Ich bin müde,
habe vierundzwanzig Stunden im Carcer gesessen und nichts zu beißen
gehabt, als erbärmliches Butterbrod. -- Hihihi! kicherte die Alte. --
Hört einmal, fing Fedelint wieder an, laßt mir auch das ewige Kichern;
es wird einem ganz unheimlich dabei. -- O du liebe Zeit! sagte die
Alte; Euch Herrn Studiosen ist auch gar nichts recht zu machen. Immer
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