Der Jungbrunnen: Neue Märchen von einem fahrenden Schüler - 7

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weißen Händchen. Mit einem Male bückte sie sich, setzte sich nieder auf
den schwellenden Rasen und zog einen ihrer blauseidenen Schuhe aus, daß
das zarte Füßchen unter dem weißen Kleide neugierig hervorsah; bald
folgte der andere Fuß, und nun steckte sie einen nach dem andern in das
klare Wasser und ergötzte sich an der angenehmen Kühle und wie sich
die Kreise der Wellen an ihren Füßchen wie an kleinen Felsen brachen.
Plötzlich rief eine Stimme aus dem Garten her ihren Namen, und im Nu
waren die Füßchen heraus, die Schuhe angezogen, und mit hocherröthendem
Gesicht schlüpfte sie wieder durch die Zweige hin und eilte fort.
Veilchenprinz sah ihr betrübt nach und verfolgte mit den Augen den
Schimmer ihres weißen Kleides, bis er nichts mehr sah; da ließ er
seine Blicke nach der Stelle gehen, wo sie gesessen hatte, und dachte
an ihre funkelnden Augen, und in seinem Herzen war's, wie wenn's auf
einmal Tag geworden wäre. Allmählich wachten die Veilchen alle auf
und keines hatte etwas gesehn. Heute aber hatte der König besonders
viel an seinem Sohn zu hofmeistern, der seine Cousine mehr als je
vernachlässigte und ganz verwirrt in Gedanken war. Er hoffte den ganzen
Tag, das Mädchen würde wiederkommen, aber vergebens; und der Abend
brach herein, und sie war noch nicht dagewesen. Veilchenprinz schlief
vor vielem Denken und Sinnen ein, und im Traum sah er die funkelnden
Augen und das ganze liebe Mädchen, wie es die zarten Füßchen in dem
Springbrunnen badete.
Am folgenden Morgen war er mit dem ersten Sonnenstrahl wach; aber
seine Sehnsucht wurde nicht gestillt. Im Lauf des Tages hörte er viele
Stimmen im Garten, und es kamen Leute sogar vorbei, den Weg daher, der
zur Fontäne führte; ja einmal glaubte er sogar ihre Stimme zu hören,
dann aber war Alles wieder still und die Klänge verloren sich in die
Tiefen des Gartens. Ganz spät aber, als schon Alles rings dämmerig
verzaubert dalag und die weißen Nebel sich aus den Bäumen erhoben,
vernahm Veilchenprinz einen bekannten Ton und hörte dann ganz deutlich,
wie sie herzukam; aber sie schien nicht allein zu sein. Veilchenprinz
durchschauerte ein süßes Gefühl, und sein kleines Herz schlug gar
gewaltig, als wollt' es ihm zerspringen. Die Zweige bogen sich wieder
aus einander, und sie war es wirklich, aber Arm in Arm mit einem
jungen Manne, mit dem sie in vertraulichem Gespräch war. Der volle Mond
küßte leise ihre weiße Stirn, und die Sterne schienen neidisch auf den
Glanz der süßen Augen, die wie damals funkelten und Veilchenprinz immer
fester bannten.
»Sieh nur, Lieber,« rief sie lebhaft aus, »wie traulich es hier ist!
Ich war gestern Morgen hier, ganz früh, als du noch schliefst; aber
heute Abend ist's viel tausendmal schöner. Jetzt bin ich auch an deiner
Seite; da gefällt mir's besser, weil du's mitgenießest.« Der junge Mann
lächelte freundlich und sagte: »Es ist wirklich sehr schön hier und das
Plätzchen mir völlig unbekannt. Im vorigen Jahr war's hier lange nicht
so freundlich; weißt du noch? da war's viel wilder und unfreundlicher.«
-- »Ja«, sagte das Mädchen, »das macht der neue Gärtner, der Alles
so hübsch in Ordnung hält«; und indem sie das sagte, war sie schon
wieder durchgeschlüpft, und Veilchenprinz hörte draußen ihr fröhliches
Lachen über den jungen Mann, der nicht sogleich die Stelle finden
konnte, wo die Zweige sich leicht aus einander biegen ließen. Nun
hörte er, wie sie den kleinen Hügel hinangingen, und als sie oben
waren, sah er ihre Köpfe über die Wipfel der Trauerweiden herausragen.
Sie setzten sich, in stillem Anschaun der herrlichen Aussicht. Fern
hörte man eine Flöte eine wehmüthige Melodie spielen, die langgehalten
durch die reine Sommerluft hinzitterte und in einem leisen Seufzer
erstarb. Rings im Grase zirpten die Heimchen, kleine Goldkäfer
schwirrten durch die Nacht, und die Schmetterlinge wiegten sich wie
schlaftrunken in den Kelchen der Blumen. Dazwischen plätscherte der
Springbrunnen, und die Schatten des Gartens wurden immer dunkler und
dunkler, je heller das Mondlicht auf den hervortretenden Zweigen
sich anklammerte. Veilchenprinz hörte, wie die Beiden auf dem Hügel
aufstanden und langsam hinabgingen, stumm und wortlos, überwältigt von
dem allesergreifenden Zauber der Sommernacht. Und wie ihre Tritte mehr
und mehr verhallten, sank auf ihn der Schlummer nieder, und er schlief
unter lieben Träumen, in die nur das Bild des jungen Mannes sich
störend drängte.
Eine ganze Woche hindurch sah er das junge Mädchen fast jeden Tag.
Gewöhnlich kam sie des Abends an der Hand des jungen Mannes, der, wie
Veilchenprinz aus ihren Worten merkte, ihr Bruder war. Sie schien
ihn sehr lieb zu haben und er sie auch, und oft saßen sie zusammen
auf dem Bänkchen und plauderten. Veilchenprinz konnte ganz deutlich
sehen, wie sie sich traulich umschlungen hielten und die Schwester ihr
Köpfchen an des Bruders Schulter lehnte. Auch schienen sie ihm immer
sehr ernste Dinge zu besprechen, denn wenn sie hinabgingen, waren sie
feierlich still; aber er wußte nicht, daß Worte einer reinen Liebe wie
Orgelklänge die Seele ergreifen und harmonisch bis in die innersten
Tiefen bewegen.
Und so hing Veilchenprinz mit ganzer Seele an dem jungen Mädchen und
wußte es selbst nicht. Wenn sie einen Tag nicht kam, senkte er das
Köpfchen und hatte nimmer Freude, wenn auch die Sonne noch so hell
schien. Einmal aber hatte er sie schon drei Tage lang nicht gesehn
und war trostlos. Alle Verweise seines Vaters, alle Bitten seiner
Braut hatten nicht vermocht, seinen Trübsinn zu verscheuchen, und er
wurde sichtlich blaß und mager. So merkte er es auch eines Abends
nicht, daß der bunte Schmetterling herangeflogen kam, den er sonst
nie hatte leiden mögen. Der war aber auch ganz trübselig, und da
wurde Veilchenprinz aufmerksam und fragte, was ihm wäre. »Ach«, sagte
der Schmetterling, »denk nur, Veilchenprinz, in einer Stunde muß ich
sterben! und da komme ich nur her, um Abschied zu nehmen, vornehmlich
von deiner Braut; und da ich nun doch bald sterben soll, so kann ich's
ja sagen, wie sehr ich sie geliebt habe!« -- Veilchenprinz war bis zu
Thränen gerührt; er umarmte den Schmetterling und bedauerte ihn von
Herzen. »Ist denn kein Mittel, dir zu helfen, armer Schelm?« sagte er.
-- »O ja, es giebt wohl eins, aber das ist so gut wie keins; denn es
läßt sich nicht ausführen. Es müßt' ein Blumenelf meine Flügel nehmen
und mich in seine Blume lassen; dann würd' ich fortleben, er aber würde
nach einer Stunde sterben müssen. Wer wollte das wohl thun?« setzte
er traurig hinzu. -- Wie ein Blitz fuhr es Veilchenprinz durch den
Kopf. »Hör'«, sprach er, »ich hätte nicht übel Lust dazu. Mein Vater
behandelt mich hart, meine Braut mag ich nicht, und das Leben ist
mir verhaßt; also mach' ich den Tausch von Herzen gern. Ich dacht'
es mir immer herrlich, so in der freien Luft herumzugaukeln, und für
eine einzige Stunde solcher Lust will ich gern mein ganzes Leben
hingeben.« -- Der Schmetterling war edelmüthig genug, den Vorschlag
abzulehnen. Als er aber sah, daß es Veilchenprinz ganz Ernst war,
ging er, wiewohl mit Widerstreben, darauf ein. Der König schlief
schon, und die Braut ließ es nicht ungern geschehen, obwohl sie auch
Veilchenprinz recht lieb gehabt hatte, weil er so gar sanft und gut
war. In wenig Augenblicken hatte er die Flügel an den Schultern und zu
seiner Freude konnte er sie ganz leicht gebrauchen. Nicht ohne Wehmuth
nahm er Abschied von seinen schlummernden Freunden, und nachdem er den
Springbrunnen noch einmal umkreis't hatte und auf der Stelle geruht, wo
er seine Freundin zum ersten Male sah, schwang er seine Flügel höher
und flog über die Trauerweiden hinweg in die kühle Nacht, durch den
duftenden Garten.
Eine neue, unbekannte Welt that sich vor ihm auf. Ringsum rüttelte
der Wind an den Sträuchern, und in dem Laube der Bäume wispert' es
und rauschte, wie verworrene Klänge ferner Stimmen, und wunderlich
streckten die Bäume ihre dunkeln Aeste heraus, wie wenn sie drohend
den Finger aufheben wollten. Er aber achtete auf nichts, sondern flog
weiter und weiter, nur ihr Bild im Herzen und den heißen Wunsch sie
zu sehn. Das Haus konnte man mit seinen erleuchteten Fenstern durch
den ganzen Garten gewahr werden, und das Ziel, das Veilchenprinz
verfolgte, war zwar etwas weit, aber nicht zu verfehlen. Einigemal
gönnte er sich eine kurze Ruhe; dann aber ging's um so eiliger
vorwärts, und mit unendlicher Freude sah er das Haus nun vor sich.
Aber ach! die ersten Fenster, an die er kam, waren verschlossen, und
er flatterte ängstlich weiter von Fenster zu Fenster; das letzte von
allen war offen, und der Schein der Lampe strahlte in die nächtlichen
Dunkel dämmrig hinein. Drinnen saß der Bruder mit der Laute im Arm, ihm
zu Füßen auf einem Bänkchen seine Schwester, weiß gekleidet und einen
Kranz von frischen Rosen im Haar. Sie hatten eben gesungen und schauten
nun träumerisch in die sternenhelle Landschaft. Die Jungfrau fuhr
mit der Hand über die Stirn und sagte: »Bitte, singe mir die letzten
Strophen noch einmal! sie haben mich tief gerührt.« Und der gefällige
Bruder griff wieder in die Saiten und begleitete folgende Worte:
Und gehst du über den Kirchhof,
Da find'st du ein frisches Grab;
Da senkten sie mit Thränen
Ein schönes Herz hinab.
Und fragst du, woran's gestorben?
Kein Grabstein Antwort giebt;
Doch leise flüstern die Lüftchen:
Es hatte zu heiß geliebt.
Eine wehmüthige Stille durchzog das Gemach, die Keins zu brechen wagte.
Endlich aber sagte der Bruder: »Sieh den schönen Schmetterling, der da
hereingeflogen ist, wie er in deiner Nähe herumflattert! jetzt sitzt
er auf deiner Stirn; sieh nur, wie zärtlich er thut!« Wirklich flog
ein kleiner blauer Schmetterling um der Jungfrau Angesicht her und
berührte sogar leise ihre Lippen. Die Geschwister lächelten. Es lag
ein eigenthümlich Gemisch von Scheu und Inbrunst in den Bewegungen des
kleinen Wesens, und eine ganze Zeitlang sahen sie ihm mit Vergnügen
zu. Plötzlich aber taumelte er zurück und stürzte todt in den Schoß
der Jungfrau. Betroffen sahen sich die Beiden an. Der zärtliche Bruder
sagte: »Er ist so lange um das Licht herumgeflogen, bis er sich die
Flügel verbrannt hat.« Die Schwester aber war aufgestanden, lehnte sich
sinnend an das Fenster, und mit dem kleinen entseelten Schmetterling in
der Hand schaute sie hinaus. Ein kühler Nachtwind fuhr durch die Saiten
der Laute, und wie im Traum lispelte die Jungfrau: »Er hatte zu heiß
geliebt!«


Das Märchen von Blindekuh.

Es war einmal ein kleiner königlicher Kuhjunge, der hieß John, und
hatte Sonntag wie Alltag einen Miethszettel hinten heraushängen
(nämlich den Hemdenzipfel, der aus den Höschen vorguckte). Darum
nannten ihn die Kammerjungfern und Lakayen nie anders, als den Kuhjohn
mit dem Miethszettel; und das nahm er sich sehr zu Herzen, denn er
konnt' es doch einmal nicht ändern. Da seine Mutter selig ans Sterben
kam, hatte sie ihm gehörig eingeschärft, er solle bei Hofe nur immer
brav Respekt haben; dann werd' es ihm schon wohl gehn. Nun merkte er
sich's und hatte erstaunlich viel Respekt, den ganzen Tag über bis spät
in die Nacht, wo er sich auf dem Futterboden schlafen legte. Da ging's
ihm denn auch wirklich recht wohl, für einen Kuhjungen zumal. Denn
oben auf dem Boden hatte er ein Nest aufgespürt an der Dachluke, darin
logirte eine Spatzenfamilie, die bei ihm in Kost ging. Ei, dachte er,
wenn er ihnen Brodkrümchen streute, so giebt's doch auch Leute, die vor
+mir+ Respekt haben! Außerdem hatte er gute Freundschaft geschlossen
mit der alten Melkmarei, die ihm oft eine Brodsuppe kochte; denn das
war eigentlich ihr Fach, und des Großmoguls Koch hätte es nicht besser
verstanden. Nebenher aber war die Melkmarei eine richtige Hexe, und
kein Mensch wußte es, und der kleine Kuhjohn auch nicht.
Der König nun, dem der Kuhstall gehörte, hieß Grobianus und hatte eine
wunderschöne Tochter, die Naserümpfchen genannt wurde. Wenn der kleine
Kuhjohn der Prinzessin ansichtig ward, hatte er noch zehnmal so viel
Respekt als sonst, und noch weit mehr, als vor ihrem Vater, weil der
sich mit all seinen Leuten gar so gemein machte und ihm selbst einmal
höchsteigenhändig einen Fußtritt gab. Dergleichen fiel Naserümpfchen
nicht ein; sie zuckte nur immer die Achseln und sagte zu Allem, was ihr
nicht recht war, auf Französisch: puh!
Eines Tages ging sie gerade beim Kuhstall vorbei und bekam Lust,
die Nase hineinzustecken. Der kleine Kuhjohn machte eben dem lieben
Rindvieh die Streu und war so geschäftig, daß ihm sein Miethszettelchen
fleißig hin und her wackelte. Wie er die Prinzessin in der Stallthür
stehen sah, zog er seine Kappe in aller Eile und präsentirte seine
Mistgabel nach Art der Soldaten. Darüber fing Naserümpfchen laut an zu
lachen und sagte: Puh! 's ist doch entsetzlich muffig hier. Ach, und
der kleine Kuhjohn mit dem Miethszettel ist ein rechter Mistfink! --
Zufällig saß die Melkmarei auch im Stall und hörte das Alles. Es griff
aber sehr an ihre Ehre; denn der Kleine war ja ihr Freund und für den
Stall hatte sie mit zu sorgen. Da wurde sie so erbos't, daß sie ihren
Topf mit Brodsuppe Naserümpfchen über den Kopf goß und dabei folgenden
Hexenspruch sagte:
~Panorama Diorama
Spargnapani Cosmorama.~
Naserümpfchen, werde zu
Einer weißen Blindekuh!
Sollst so lang vierfüßig laufen,
Bis du einen ganzen Haufen
Von Kuhblumen aufgefressen
Und den Hochmuth hast vergessen.
Will sich dann ein Mensch mit Grämen
Dein Geschick zu Herzen nehmen,
Daß er den Verstand verliert,
Dann ist Blindekuh kurirt.
Hokuspokus, Naserümpfchen
Mit den weißen Kuhhaarstrümpfchen!
~Maccaroni Melodrama
Capuletti Monodrama!~
Sie war kaum damit fertig, da war auch die Verwandlung schon vollendet,
und statt der schönen Prinzessin stand eine gar zierliche weiße
Blindekuh vor dem Stalle. Die Melkmarei ging hustend und schmunzelnd
ihrer Wege und warf kaum noch einen Blick auf das arme verwunschene
Naserümpfchen. Aber der kleine Kuhjohn bekam einen so gewaltigen
Schreck, daß ihm die Mistgabel aus der Hand fiel. Darauf überlegte er,
ob es nicht gegen den Respekt wäre, wenn er zu der Prinzessin ginge
und sich erkundigte, ob er ihr was helfen könne. Er that's endlich
und sagte ganz sanft: Königliche Hoheit, befehlt nur, was Ihr von mir
wollt; ich bin Euer unterthäniger Diener. -- Die arme Blindekuh konnte
zuerst nichts weiter antworten, als Muh!! und da erschrak der Kleine
wieder, denn es klang ihm fast wie ihr gewöhnliches Puh! Dann aber kam
die Prinzessin wieder zur Besinnung und sagte ganz verständlich: Ach
lieber Freund! so kann ich mich doch nirgend sehn lassen; also sei so
gut und führe mich weg, irgendwohin; denn ich fühle wohl, ich bin eine
abscheuliche Kuh geworden, und blind wie ich bin, weiß ich auch nicht
Weg und Steg. -- Das rührte den Kleinen; er sagte, er werde gleich
wieder da sein und stieg hinauf in den Futterboden, um ein wenig Heu zu
holen und es um ihre Hörner zu wickeln, damit sie nicht so drückten.
Wie er bei seiner Spatzenfamilie vorbeiging, riefen die kleinen
Vögelchen:
Bitte bitt',
Nimm uns mit,
Liebster Kuhjohn!
Verdienst dir Gotteslohn.
Da nahm er das ganze Nest mit und befestigte es zwischen den Hörnern
der Blindekuh auf dem Heu. Es ist zwar eigentlich gegen den Respekt,
dacht' er, aber sie sieht's ja nicht. Darauf holte er noch eine lange
Schnur, bat die Prinzessin, das eine Ende in den Mund zu nehmen, und
so führte er sie von dannen, die Landstraße entlang, die durch den
dicken dicken Wald läuft.
Nun ging die Blindekuh gesenkten Hauptes fürbaß, denn sie war sehr
betrübt. Der kleine Kuhjohn schritt auch ganz verlegen nebenher und
wußte sich nicht recht zu benehmen. Es ist doch eigentlich gegen den
Respekt, sagte er sich, daß ich die Prinzeß so an der Nase herumführe.
-- Aber es half einmal nichts. Wenn die Fliegen und Bremsen kamen und
die Blindekuh stechen wollten, hätte er sie gern mit seinem Taschentuch
weggejagt. Das ging aber nicht an; einmal besaß er keins und dann hätte
er ja die Prinzessin schlagen können, und es war ein Glück, daß er
seine Spatzen mit hatte, denen rief er leise:
Fangt, liebe Spatzen,
Die Gnitzen und Gnatzen,
Die Fliegen und Mücken
Von Prinzeß Naserümpfchens Rücken!
Da waren die Vögel flink hinterher und schnappten das Geziefer alles
weg. Dabei schaute der kleine Kuhjohn beständig um sich, ob er keine
Kuhblume entdecken könne. Leider waren sie in dem Jahre gerade schlecht
gerathen und fanden sich nur hier und da am Wege. Nun durfte der Kleine
aber die Leine nicht los lassen, an der er die Prinzessin führte, rief
also wieder den Vögeln:
Liebe Spatzen, pflückt geschwind
Gelbe Blumen, so viel da sind!
Bringt sie her mit Stengel und Stümpfchen;
Heilsam sind sie Naserümpfchen.
Da flogen die Spatzen wieder gar eifrig nach den Blumen, bissen sie
ganz unten ab mit ihren scharfen Schnäbeln und brachten sie ihrem
Herrn. Der sagte ganz leise Brrrr! und fragte dann die Prinzessin,
ob sie die Kuhblumen wohl aus seiner Hand essen wolle; einen Teller
habe er leider nicht, aber sie sei ganz appetitlich und sauber. Die
Blindekuh erwiederte: Danke schön, und mach' nur keine Umstände!
Darauf fraß sie die Blumen betrübt in sich hinein und ging weiter, und
das wiederholte sich, so oft die Vögel einige zusammengeholt hatten.
Ach, dachte der Kuhjohn, zu einem Haufen ist es doch zu wenig! Und
wie soll ich's nun gar anfangen, mein bischen Verstand zu verlieren?
O die böse Melkmarei! ich hätt' ihr so was nimmer zugetraut. -- In
solchen Gedanken machte er die Reise niedergeschlagen weiter und sein
Miethszettel wedelte wehmüthig hinterdrein.
Der König Grobianus aber, wie er merkte, daß seine Tochter verschwunden
war, gerieth in einen kirschbraunen Zorn und ließ sogleich
nachforschen, wie es wohl zugegangen sein könne. Da fand sich denn,
daß der kleine Kuhjohn auch vermißt wurde, und der König kam auf den
Verdacht, der Kleine habe die Prinzessin entführt, worüber er sehr
grob wurde. Er schickte sogleich eine Menge Soldaten nach allen
Richtungen aus, um die Entflohenen zu suchen, und ließ von allen
Thürmen Sturm läuten, damit der Skandal in der Stadt noch lauter würde,
als die skandalöse Entführung. Die Soldaten fanden auch nichts; denn
als der eine Trupp den Weg entlang kam, den die Blindekuh mit ihrem
Gefolge eingeschlagen hatte, hörte die Prinzeß schon von ferne das
Pferdegetrappel und flüsterte ihrem Führer ängstlich zu: Ach, das sind
meines Vaters Reiter, die er uns nachgeschickt hat. Versteck mich
irgendwo! -- Der Kuhjohn aber war gescheidt genug; er rief den Vögeln
und sagte:
Der Prinzessin zu Gefallen
Nehmet Sand in Schnabel und Krallen,
Streut ihn in der Reiter Augen,
Daß sie nicht zum Spähen taugen;
Aber Spätzlein, macht geschwind,
Eh ein böser Blick uns find't!
Nun hätte man die Vögel sehen sollen, wie geschickt sie den Reitern
Sand in die Augen streuten, daß die ganz betroffen umkehrten und
einfach sagten, sie hätten nichts gefunden. Da wurde der König noch
böser und ließ einen langen Steckbrief in die Zeitung setzen, in
welchem dem ehrlichen Finder, der die Prinzessin und einen sichern
Kuhjohn mit dem Miethszettel wiederbrächte, die Prinzessin und das
halbe Königreich versprochen wurde. Die Melkmarei aber, die von bösen
Zungen als Hexe verschrieen wurde, ließ der König auf offnem Markte
verbrennen. Da ward es klar, daß sie eine richtige Hexe war. Denn als
die Lohe hoch aufschlug, hörte man inmitten der Flammen eine heisere
Stimme singen:
Der König Rex
Hat Macht so viel,
Ist doch ein Spiel
Griesegrauer Hex!
Sein Töchterlein,
Vom Zauber bezwungen,
Läuft mit dem Kuhjungen
In die Welt hinein.
Weh, Windchen weh!
Dann geht's in die Höh.
Herr König, ade!
Siehst sie nimmermeh!
Und da flog wahrhaftig eine schwarze Rabe in die Höhe, krächzte oben
noch ganz höhnisch und flog davon, nachdem sie zuvor auf des Königs
Krone etwas hatte fallen lassen, wovon das blanke Gold eben so blind
ward, wie des jungen Tobias Augen dereinst.
Der kleine John mit der Blindekuh war indessen immer weiter gegangen
und fing allmählich an, sich nach den Brodsuppen der Melkmarei zu
sehnen. Obenein sah er's auch den Spatzen an, daß sie Hunger hatten;
denn es war gerade die Stunde, wo sie sonst zu Nacht aßen, da sie bei
ihm in Kost gingen auf dem Futterboden. Nun schaute er ringsum, ob er
keine Beeren sehn könnte; aber es wuchs auch nicht das Geringste in dem
bösen öden Walde. Wie er den weißen Mond hinten durch die Bäume gucken
sah, glaubte er erst, es wär' ein großer Käse, der sich irgendwie auf
die Wipfel verlaufen hätte. Nachher aber sah er seinen Irrthum betrübt
ein, und da wußte er gar nichts besseres anzufangen, als daß er ein
altes Lied sang:
Das Fechten ist verboten,
Das Mausen ist nicht erlaubt;
Da dürst' ich nun nach Noten,
Ermattet und verstaubt!
Auf Schusters Rappen sieht sich
Die Welt passabel an,
Hat man nur brav im Beutel,
Womit man klimpern kann.
Doch sind dem Wandergesellen
Die Taschen beide leer,
Sein Magen thut ihm bellen,
Sein Ränzel wird ihm schwer!
Gebraten und Gesotten,
In jeder Schenk' ein Bier,
Und hoch zu Rosse trotten --
Solch Wandern lob' ich mir!
Da geschah es recht zum Glück, daß die schwarze Rabe, die Melkmarei,
über den Wald geflogen kam, und hörte was ihr Liebling sang. Sie
hatte gar kein Rabenherz, und da sie eine Jägerhütte wußte, nicht weit
von der Landstraße ab, flog sie geschwind dorthin und stahl Käse und
Brod durchs offne Fenster dem Jägerskind vor dem Munde weg, um es dem
kleinen Kuhjohn zu bringen. Sie warf's aber gerade in das Nest zwischen
den Hörnern der Blindekuh, daß die Prinzessin ganz erschrocken war und
fragte: Lieber kleiner Kuhjohn, wer warf mich da? -- Der Kleine war
noch mehr erschrocken, denn er dachte, es wäre doch ganz gegen den
Respeckt, wenn so das erste beste Stück Käse und Brod der Prinzessin
auf den Kopf fiele; sagte also ganz schüchtern: Es muß der Wind gewesen
sein, der Tannenzäpfchen abschüttelt. -- Dann rief er aber die Vögel
und gab ihnen von dem Brode, und den Rest sammt dem Käse aß er allein.
Und wie er den Mund mit dem Aermel geputzt hatte, sagte er: Gesegnete
Mahlzeit! und war wieder ganz guter Dinge.
Nun wurde es aber stockfinster, denn der Mond war noch nicht hoch
herauf. Die Prinzessin sah zwar die Finsterniß nicht, weil sie ja
blind war; aber sie war doch erstaunlich müde, und der Kuhjohn merkte
ihr's wohl an. Zufällig kamen sie an eine Stelle, wo ein seltsames
Moos wuchs. Der junge Jäger nämlich hatte sich vor Zeiten dort seinen
Backenbart abrasirt, und der hatte in dem fetten schwarzen Boden Wurzel
geschlagen und mächtig gewuchert, daß man so weich drauf lag, wie auf
einer Pferdehaarmatratze. Da hielt der kleine Kuhjohn still und fragte
die Blindekuh, ob sie hier übernachten wollten. -- Ach ja, erwiederte
das verwunschene Naserümpfchen. Es ist nur fatal, daß ich mit meinen
vier Beinen so unbeholfen bin und mich nicht niederlegen kann; am Ende
weiß ich mir morgen nicht wieder aufzuhelfen! Und in den Kleidern muß
ich auch bleiben; denn die Kuhhaarstrümpfchen gehn nicht ab und die
gespaltenen Schuhe auch nicht. Ach Gott, wenn ich nur erlös't wäre! --
Der kleine John wurde durch ihre Worte immer trauriger, nahm ihr sanft
die Leine aus dem Maul, und so schlief sie ~stante pede~ die ganze
Nacht, und die Spatzen schlupften in das Nest zwischen ihren Hörnern
und schnarchten ein wunderschönes Concert zusammen.
Der Kuhjohn hätte sich gar zu gern auf das weiche Haarmoos gestreckt;
aber das gab doch der Respekt nicht zu, daß er lag, während die
Prinzessin stand. Er kauerte sich also mit untergeschlagenen Beinen
neben sie und faltete die Hände, so daß es fast so aussah, als ob
er sie anbete. Aber weil er so viel Sorgen hatte ihretwegen, auch
gar unbequem saß, kam er zu keinem rechten Schlaf und wachte alle
Augenblick auf. Nun wurde es aber nach und nach blitzeblank am Himmel;
denn es war große Illumination, dem Geburtstag der Jungfrau Maria zu
Ehren. Weil aber das Gewimmel von Sternen gar zu groß war, verlor hie
und da ein junger unerfahrner die Balance und fiel dann radschlagend
auf die Erde herunter ins Gras. Das sah der kleine Kuhjohn nicht,
sondern gewahrte mit seinen verschlafenen Augen nur das gelbe Flimmern
durch das Grün, und weil er in Gedanken immer bei der Prinzessin war
und ihrer Erlösung, meinte er, es seien lauter Kuhblumen und machte
sich halb im Traum auf, sie zu pflücken. Dazu kam noch, daß die
Irrwische jedesmal, wenn ein Stern gefallen war, herbeihüpften, um
wo möglich was Neues zu erfahren aus dem himmlischen Reich. Aber die
Sterne fielen immer so hart auf den Kopf, daß ihr Lebensflämmchen
erlosch, und da konnten sie auch nichts mehr sagen, als höchstens ein
Stoßgebetlein ums ewige Leben. Da wurde der kleine Kuhjohn immer von
neuem betrogen; denn es flimmerte wohl überall gelb und goldig, aber
sobald er nahe kam, erlosch der Schein, daß er sich ganz erhitzte und
doch nichts haschte. Und so lief er weit weit weg, immer den Kuhblumen
nach, bis er ganz erschöpft ins Gras sank und einschlief.
Als die Sonne aufging am andern Morgen, wunderte sie sich nicht wenig,
den kleinen Kuhjohn in der Waldwildniß zu sehn und die Blindekuh fernab
am Wege auf dem weichen Bartmoos. Der Kleine aber, wie er die Augen
aufthat und noch halb verschlafen fragte, wie Prinzeß Naserümpfchen
geruht habe, erschrak und wurde im Gesicht so kreideweiß wie sein
Miethszettel. Er lief die Kreuz und Quer zwischen dem hohen Farnkraut
herum und rief nach der Prinzessin; aber da bekam er keine Antwort,
kein Muh! und kein Puh! Nun malte er sich's immer deutlicher aus, wie
es doch gegen den Respekt wäre, die blinde Prinzessin so im Stich
zu lassen und wie übel es ihr nun ergehen könne; das machte ihm das
Herz fast zerspringen. Die alte Rabe kam geflogen und brachte ihm
einen Topf mit Brodsuppe, den sie irgendwo gestohlen hatte. Sie setzte
ihn gerade vor seine Nase auf einen Baumstumpf; aber der Kuhjohn war
ziemlich kalt dagegen. Brodsuppe hin, Brodsuppe her! sagte er. Sie
hat's eingebrockt und ich muß es ausessen. Ach die arme Prinzessin! Ach
mein schöner Respekt! wo ist der hin? Könnt' ich nur wenigstens den
Verstand verlieren! -- Damit warf er sich längelangs in das Farnkraut
und weinte, daß es nur so schwamm und alle Pilze versalzen wurden. Dann
stand er wieder auf und wehklagte hin und her durch die Waldeinsamkeit,
bis es zuletzt dahin kam, daß er wirklich den Verstand verlor. Da
lag nun der schöne Kuhjungenverstand zwischen dem Farnkraut, und die
Käfer liefen als ob's gar nichts wäre darum herum und befühlten ihn
mit den dünnen Vorderbeinchen. Der frühere Besitzer aber ging weiter,
hörte mit einmal auf zu weinen und sagte: Gott sei Dank! da hab' ich
meinen Verstand verloren, und nun wird noch Alles gut. -- Es war zwar
nicht viel, was er von Verstand bei sich führte; aber zuweilen war's
ihm doch unbequem gewesen. Ei wie er nun sang und sprang, als wäre
er einen Stein vom Herzen los geworden! Die Melkmarei aber, die alte
Rabe, hatte sich die Stelle wohl gemerkt, wo der Verstand lag, flog nun
hinter ihm her, und steckte ihm ganz sacht, so daß er's nicht inne
ward, den Miethszettel hinten in die Höslein. Sie hatte ihre guten
Gründe dabei, wie sie überhaupt alles bisher nur ihrem Freunde zum
Besten eingerichtet hatte. Der ging immer zu, pflückte Kuhblumen ab,
wo er welche sah, und sagte im Stillen: Es muß da hinten bei meinem
Miethszettel etwas nicht richtig sein; am Ende hat mein Verstand darin
gesessen und er ist mit verloren, denn ich fühle nichts mehr baumeln.
Weiter forschte er aber nicht, weil er eben keinen Verstand mehr hatte.
Er sang auch unterwegs kuriose Lieder, die einen guten Klang hatten,
und es war doch kein Verstand darin. Unter anderm:
Die Berge sind spitz
Und die Berge sind kalt.
Mein Schatz steigt zu Berge
Und ich in den Wald.
Da tröpfelt das Laub
Von Regen und Thau.
Ob die Augen da tröpfeln,
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