Deutsche Humoristen, 2. Band (von 8) - 3

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mehreren Pfoten, manche auch mit dem Schwanz in die fest geschlossenen
Austern eingeklemmt waren. Als ich dies angezeigt, mußten die Soldaten
heran und sie sämtlich erlegen. Da aber die Flut nahte, zogen wir uns
ans Land zurück, und die ganze Katzen-Versammlung, welche gestern so
lebhaft vor der ersten Woge geflohen war, wurde jetzt von der Flut
mausetot ans Ufer gespült, worauf wir, den guten Major herzlich mit
seinen Hexen auslachend, nach Hause marschierten.
Die Sache aber war folgende: Die Katzen, welche die Austern über alles
lieben, zogen sie mit den Pfoten aus den Schalen, und das gelang nicht
länger, als bis sie von den sich schließenden Muscheln festgeklemmt
wurden, wo sie sich dann so lange mit Wehklagen unterhielten, bis
die Austern, von der Flut überschwemmt, sich wieder öffneten und
ihre Gefangenen entließen; und ich glaube, bei strenger Untersuchung
und weniger Phantasie würde unser Freund bei seinem Katzen-Abenteuer
ebensogut lauter Fisch-Diebe, wie wir Auster-Diebe entdeckt haben.«

Baciochis Erzählung vom wilden Jäger.
Nachdem die Aufklärung dieses Ereignisses die Erzählung des Kroaten
in ihrer Schauerlichkeit sehr gemildert hatte, kam man auf allerlei
Jagdgespenster zu sprechen, und Lindpeindler fragte: ob einer in der
Gesellschaft vielleicht je den wilden Jäger gesehen oder gehört habe?
Da sagte der Feuerwerker: »Mir kam er schon so nahe, daß ich das Blanke
in den Augen sah, und wenn die Jungfer Nanny sich tapfer halten und
die ganze ehrsame Gesellschaft wenigstens so lange daran glauben will,
bis die Geschichte zu Ende ist, so will ich sie erzählen.« Nanny
erwiderte: »Erzähle nur, Baciochi, du kennst mein Temperament und wirst
es nicht zu arg machen.« »Erzählen Sie,« fiel Devillier ein, »wenn
wir die Geschichte auch am Ende für eine Lüge erklären, so soll Ihnen
bis dahin geglaubt werden;« und bald waren alle Stimmen vereint, den
Feuerwerker einzuladen, welcher alle aufforderte, sich an ihre Plätze
zu setzen und seiner Erzählung einen eigentümlichen theatralischen
Charakter zu geben wußte. Alle saßen an Ort und Stelle; er machte eine
Pause, steckte sich eine Pfeife Tabak an und schlug mit der Faust so
unerwartet heftig auf den Tisch, daß die Lichter verlöschten und alle
laut aufschrieen.
»Meine Feuerwerke fangen immer mit einem Kanonenschuß an,« sagte er,
»erschrecken Sie nicht,« und in demselben Augenblicke brannte er
mehrere Sprühkegel an, die er aus Pulver und vergossenem Wein in der
Stille geknetet hatte, und sagte: »Stellen Sie sich vor, Sie wären
bei meinem großen Feuerwerk in Venedig, welches ich am Krönungstage
Napoleons dort abbrannte. Es mußten mir einige Körner prophetischen
Schießpulvers in die Masse gekommen sein. Kurz gesagt: als der Thron
und die Krone und das große Notabene: NB, Napoleon Bonopartes Namenszug
im vollen Brillantfeuer, von hunderttausend Schwärmern und Raketen
umzischt, kaum eine Viertelstunde von einer hohen Generalität und dem
verehrten Publikum beklatscht worden waren, fing mein Feuerwerk an,
ein wenig zu frösteln. Es platzte und zischte manches zu früh und zu
spät ab, eine gute Partie einzelne Sonnen und Räder brannten mir in
einer Scheune nieder, die dabei das Dach verlor. Das Schauspiel war so
grandios angelegt, daß man diesen ganzen kunstlosen Scheunenbrand für
seinen Triumph hielt, man klatschte und paukte und trompetete; schnell
ließ ich alle meine übrigen Stücke in die Lücken stellen und von neuem
losfigurieren. Aber der Satan fuhr mir mit dem Schwanze drüber, und
die ganze Pastete flog auf einmal in die Luft. Die Menschen fuhren
gräßlich auseinander, Gerüste brachen ein, alle Einzäunungen wurden
niedergerissen, die Menge stürzte nach den Gondeln, die Gondelführer
wehrten ab, die Bürger prügelten sich mit den französischen Soldaten,
meine Kasse wurde geplündert; es war eine Verwirrung, als sei der
Teufel in die Schweine gefahren, und diese stürzten dem Meere zu.
Unsereins kennt sein Handwerk, man ist auf dergleichen gefaßt, mein
persönlicher Rückzug war gedeckt. Ich ließ nichts zurück als alle
meine Schulden, meine Reputation und meinen halben Daumen. Meine
selige Frau, welcher der Rock am Leibe brannte, riß mich in die
Gondel ihres Bruders, eines Schiffers, und der brachte mich an einen
Zufluchtsort, worauf wir am folgenden Morgen die Stadt verließen. Als
wir das Gebirge erreichten, nahten wir uns auf Abwegen einer Kapelle,
bei welcher ich mit meinem liebsten Gesellen Martino verabredet
hatte wieder zusammenzutreffen, wenn wir durch irgend ein Unglück
auseinandergesprengt werden sollten. Mein gutes Weib hatte ein Stück
von einer Wachsfackel, die bei der Leiche unseres seligen Töchterleins
gebrannt hatte, in der Tasche, und pflegte, wenn sie nähte, ihren
Zwirn damit zu wichsen. Aus diesem Wachs hatte sie während unseres
Weges die Figur eines Daumens geknetet, und hängte dieselbe, nebst
einem Rosenkranz von roten und schwarzen Beeren, den sie auch sehr
artig eingefädelt hatte, dem kleinen Jesulein auf dem Schoß der Mutter
Gottes in der Kapelle, als ein Opfer, an das Händchen, und wir beteten
beide von Herzen, daß mein Daumen heilen und wir glücklich über die
Grenze in das Österreichische kommen möchten. Wir lagen noch auf den
Knieen, als ich die Stimme Martinos rufen hörte: »+Sia benedetto il
San Marco!+« Da schrie ich wieder: »+E la Santissima vergine Maria!+«
wie wir verabredet hatten, und lief mit meinem Weibe vor die Kapelle.
Da trat uns Martino in einem tollen Aufzug entgegen. Er hatte bei
dem Feuerwerke den Meergott Neptun vorgestellt und in seinem vollen
Kostüm Reißaus genommen. Er hatte den Schilfgürtel noch um den Leib,
einen Wams von Seemuscheln an und eine Binsenperücke auf; sein langer
Bart war von Seegras; auf der Schulter trug er den Dreizack, auf
welchem er ein tüchtiges Bauernbrot und drei fette Schnepfen, die er
mitsamt dem Neste erwischte, gespießt hatte. Nach herzlicher Umarmung
erzählte er uns, wie ihn seine Kleidung glücklich gerettet habe. Die
Strickreiter seien ihm auf der Spur gewesen, da habe er sich in das
Schilf eines Sumpfes versteckt, und sein Schilfgürtel machte ihn da
nicht bemerkbar. Als er stilleliegend sie vorbeireiten lassen, hätten
sich die drei Schnepfen sorglos neben ihm in ihr Nest niedergelassen,
und er habe sie mit der Hand alle drei ergriffen. Das Brot hatte er von
einem Kontrebandier um einige Pfennige gekauft, der ihm zugleich die
nächste Herberge auf der Höhe des Gebirges beschrieben, aber nicht eben
allzu vorteilhaft; denn der ganze Wald sei nicht recht geheuer, der
wilde Jäger ziehe darin um und pflege gerade in dieser Herberge sein
Nachtquartier zu halten.
»Wohlauf denn!« sagte ich, »so haben wir heute Nacht gute Gesellschaft.
Ich hätte den Kerl lange gern einmal gesehen, um seinen Jagdzug recht
natürlich in einem Feuerwerke darstellen zu können.« Mein Weib Marinina
aber, welche, um ja nichts zu versäumen, alles miteinander glaubte,
machte ein saures Gesicht zu der Herberge. Das konnte aber nichts
helfen, wir mußten den Weg wählen; er war ganz entlegen und sicher
und ein Schleichweg der Kontrebandiers, mit welchen Martino einige
Bekanntschaft hatte.
Die Nacht brach herein, es nahte ein Gewitter, und wir mußten uns auf
den Weg machen. Martino machte unsere Wanderschaft etwas lustiger, er
übergab meiner Marinina die Schnepfen und sagte: »Rupft sie unterwegs,
damit wir in der Herberge dem wilden Jäger bald einen Braten vorsetzen
können.« Und nun marschierte er mit tausend Späßen in seinem tollen
Habit wie ein vazierender Waldteufel voraus. Ich folgte ihm auf dem
schmalen Waldpfad und hatte meinen halben Daumen, der mich nicht
wenig schmerzte, meistens in dem Mund, und hinter mir zog -- daß
Gott erbarm! -- meine selige Marinina und rupfte die Schnepfen unter
Singen und Beten. Über der rechten Hüfte war ihr ein ziemliches Loch
in den Rock gebrannt, und sie schämte sich vorauszugehen, daß Martino,
der seinen Witz in allen Nestern auszubrüten pflegte, an ihrer Blöße
nicht Ärgernis nehmen möchte. Der Weg war steil, unheimlich und
beschwerlich; der Sturm sauste durch den Wald, es blitzte in der
Ferne, Marinina schlug ein Kreuz über das andere. Aber die Müdigkeit
vertrieb ihre Furcht vor dem wilden Jäger immer mehr, von welchem
Martino die tollsten Geschichten vorbrachte. »Es ist gut,« sagte er,
»daß wir selbst Proviant bei uns haben; denn, wenn wir mit ihm essen
müßten, dürften wir leicht mit dem Schenkel eines Gehängten oder mit
einem unmarinierten Pferdekopf bewirtet werden. Fasset Mut, Frau
Marinina, schaut mich nur an, ärger kann er nicht aussehen!« Unter
solchen Gesprächen hatten wir die Gebirgshöhe erstiegen und waren
ein ziemliches Stück Wegs in den wilden finsteren Wald geschritten,
da hörten wir ein abscheuliches Katzengeheul, und kamen bald an eine
Hütte mit Stroh und Reisern gedeckt; alte Lumpen hingen auf dem
Zaun, und an einer Stange war ein großes Stachelschwein über der Tür
herausgesteckt als Schild. »Da sind wir,« sagte Martino, »wie glaubt
Ihr, daß dies vornehme Gasthaus heiße?« »Zum Stachelschwein!« sagte
ich. »Nein!« erwiderte Martino, »es hat mehrere Namen. Einige nennen es
des Teufels Zahnbürste, andere des Teufels Pelzmütze, andere gar seinen
Hosenknopf.« Wir lachten über die närrischen Namen. Die Katze saß vor
der Tür auf einem zerbrochenen Hühnerkorb, machte einen Buckel gegen
uns und ein Paar feurige Augen und hörte nicht auf zu solfeggieren. In
dem Hause aber rumpelte es wie in einem Raspelhause und leeren Magen.
Nun schlug Martino mit der Faust gegen die Tür und schrie: »Holla,
Frau Susanne, für Geld und gute Worte Einlaß und Herberge; Eure
Katze will auch hinein.« Da krähte eine Stimme heraus: »Wer seid Ihr
Schalksknechte zu nachtschlafender Zeit?« und Martino, der in Reimen
wie ein Improvisator schwatzen konnte, schrie: »Ich bin ja der Rechte
und komme von weit!« Nun keifte die Stimme wieder: »Wenn die Katze
nicht draußen wär', ich ließ Euch nimmermehr ein!« Und Martino sagte:
»Ihr denket so zärtlich ungefähr wie Euer Schild, das Stachelschwein.«
Marinina war in tausend Ängsten; sie bat immer den Martino, die alte
Wirtin nicht zu schelten, sie sei gewiß eine Hexe und werde uns nichts
Gutes antun. Da ging die Tür auf, ein schwarzbraunes, zerlumptes, sonst
glattes und hübsches Mägdlein, glänzend und schlank wie ein brauner
Aal, leuchtete uns aus der Küche mit einer Kienfackel ins Gesicht,
und war nicht wenig erschrocken, als Martino in seinem wilden Aufzug
ihr rasch entgegenschritt und, indem er drängend sie verhinderte, die
Tür wieder zuzuschlagen, ihr sagte: »Brauner Schatz, mach' uns Platz!
Menschen sind wir, schönes Kind; hier hast zum Zeichen diesen Schmatz!«
und somit küßte er sie herzlich; wir drangen indessen hinein. Die
kleine Braune aber sagte: »Und wenn Du auch nicht der Satan selbst
bist, so könnt Ihr heute hier doch nicht bleiben; meine Großmutter
ist sehr brummig, sie fürchtet, das Waldgespenst komme heute Nacht,
und da nimmt sie keine Gäste, um die Herberge nicht in bösen Ruf zu
bringen; unsere Kammer, wo wir schlafen, ist eng, und sie rückt schon
alten Hausrat vor ihr Bett, um das Gespenst nicht zu sehen, welches
oft quer durch unsere Hütte zieht.« Martino aber erwiderte: »Eben in
dieser Kammer wollen wir schlafen, und eben dieses Waldgespenst wollen
wir mit gebratenen Schnepfen bewirten; wir sind des wilden Jägers
Küchengesinde!« Und somit packte er ein Bund Stroh auf, das in der
Ecke lag, und marschierte in die Kammer; wir kamen nach, trotz aller
Zeremonien, welche die nußbraune Jungfer machen wollte.
Es war gar keine alte Großmutter in der Hütte; das Mädchen log uns
etwas vor. Martino breitete das Stroh an die Erde, und Marinina,
furchtsam und müde, legte sich gleich, mit dem Gesicht, über das sie
noch ihre Schürze deckte, gegen die Wand gekehrt, nieder und rührte
sich nicht. Martino begab sich mit den Schnepfen wieder in die Küche,
in welcher die braune Jungfer schmollend und brummend zurückgeblieben
war, und ich sah mich einstweilen in der Stube um. Eine Kienfackel
brannte in der Mitte; sie war in einen Kürbis festgesteckt, der
neben schmutzigen Spielkarten auf einem breiten Eichstumpfe lag,
welcher als Tisch und Hackstock diente, und fest genug stand, denn er
steckte noch mit allen seinen Wurzeln in der Erde, welche ungedielt
der ganzen Hütte ihren Grund und Boden gab. Ein paar Bretter, auf
eingepfählte Stöcke befestigt, waren die unbeweglichen Sitze. Die Wände
bestanden aus Flechtwerk, mit Lehm und Erde verstrichen, und einzelne
hereinragende Äste bildeten mancherlei Wandhaken, an denen zerlöcherte
Körbe, Lumpen, Zwiebelbündel, Hasen-, Hunde-, Katzen- und Dachsfelle
hingen, auch einige zerbrochene Garten-Werkzeuge. Auf einem derselben
aber saß ein gräuliches Tier, eine ungeheure Ohreule, welche gegen die
Kienfackel mit den Augen blinzte und sich in die Schultern warf, wie
ein alter Professor, der soeben den Theriak erfunden hat. In einem
ausgebauten Winkel der Stube lag auf zwei Baumstücken die Bettstelle
der Großmutter, die sehr dauerhaft in einer ausgehöhlten Eiche bestand,
an der die Rinde noch saß. Sonst war das Bett wohl bedacht, denn seine
schmutzigen Federkissen lagen so hoch aufgebauscht, daß die niedere
Hüttendecke, aus der das Stroh herabhing, weder hoch noch hart gefallen
wäre, wenn sie einstürzte; aber, sich noch zu besinnen, schien sie
unentschlossen hin und her zu schwanken. Der Hausrat, von welchem das
Mädchen gelogen hatte, daß die Großmutter ihn vor das Bett rücke,
bestand in einer zerbrochenen Tür und einer alten Tonne, mit welcher
wahrscheinlich der Lärm gemacht worden war, den wir in der Hütte
hörten. Sie waren beide vor den Bett-Trog der Großmutter gerückt.
Außer allem diesen sah man nichts als eine sehr baufällige Leiter, die
an einem Loch in der Ecke lehnte, durch welches ich einige Hühner oben
gackern hörte, die das Geräusch unserer Ankunft erweckt hatte; die
Katze nicht zu vergessen, welche auf einer alten Trommel hinter der Tür
schlief. Eine Geige, ein Triangel und ein Tamburin hingen an der Wand,
und neben ihnen ein zerrissener bunter tiroler Teppich. Ich hatte kaum
alle diese Herrlichkeiten betrachtet, als Martino hereintrat und zu
mir sagte: »Meister, ich habe alle Schwierigkeiten geebnet und weiß,
wo wir sind. Wir hausen bei einer alten Zigeunerin, welche außer ihren
Privatgeschäften, der Wahrsagerei, Hexerei, Dieberei, Viehdoktorei,
auch eine Hehlerin der Kontrebandiers macht. Die Kleine draußen ist ihr
Tochterkind, das auf der hohen Schule bei ihr ist, und der Großmutter
Tod abwarten soll, um hinter einen Topf voll Gold zu kommen, von dem
sie immer spricht, ohne doch je zu sagen, wo sie ihn hin versteckt
hat. Das hat mir das Mädchen alles anvertraut. Ich habe ihr Herzchen
gerührt, sie ist kirre wie ein Zeisig, und wenn wir wollen, läßt sie
die Großmutter und den Goldtopf im Stich, läuft morgen mit uns und
verdient uns das Brot mit Purzelbäumen, deren sie ganz wunderbare
schlagen kann. Für all dies Vertrauen habe ich ihr versprechen müssen,
zu glauben, daß der wilde Jäger heute Nacht wirklich durch die Hütte
zieht, wir sollen uns nur um Gotteswillen ruhig halten. Die Großmutter
wird in kurzer Zeit zurückkommen; sie ist mit Lebensmitteln zu einem
Zuge Schleichhändler gegangen, der über das Gebirge zieht. Der wilde
Jäger, sagt sie, treibe um Mitternacht durch die Stube, und wenn
wir uns ruhig hielten, werde er uns kein Haar krümmen, sonst aber
riskierten wir Leib und Leben. Ich denke aber, wir wollen es mit ihm
versuchen.« Nun legte er meinen Prügel und seinen Dreizack neben uns
auf das Stroh nieder und fuhr fort: »Es ist beinahe elf Uhr, die Kleine
hat es an der Sanduhr gesehen; die Schnepfen weiß sie nicht am Spieße
zu braten, sie hat sie mit Zwiebeln gefüllt in einen Topf gesteckt,
und wenn wir die Schnepfensuppe gegessen, sollen wir das Fleisch mit
Essig und Olivenöl als Salat verzehren; Wein muß hier in der Kammer ein
Schlauch voll sein.« Da suchte Martino herum und fand unter einigen
alten Brettern ein tiefes Loch in der Erde, das als Keller einen alten
Dudelsack voll Wein enthielt. Er zog ihn heraus, wir setzten die zwei
Pfeifen an den Mund und drückten den vollen Sack so zärtlich an das
Herz, daß uns der süße Wein in die Kehle stieg. Nie hat ein Dudelsack
so liebliche Musik gemacht. Wir labten uns herzlich. Ich weckte meine
Marinina, und sie mußte auch eins drauf spielen. Dazu verzehrten wir
unser Brot und einige Zwiebeln aus dem Vorrate, der an der Wand hing,
und streckten uns, in der Erwartung des Weiteren, zur Ruhe auf das
Stroh.
Marinina schlief fest ein. Ich betete mit Martino noch eine Litanei;
dann legten wir uns neben unsere Waffen bequem, und Martino sagte:
»Laßt uns nun ruhen; mir ist so rund und so wohl, daß mir das Blut
in den Adern flimmert; wer den wilden Jäger zuerst sieht, stößt
den andern, dann springen wir mit unsern Tröstern über ihn her und
schlagen den Kerl zu Brei; ich habe noch einen Schwärmer in der
Tasche, den will ich dem Schelm unter die Nase brennen.« Ich freute
mich an seinem frischen Herzen; wir empfahlen uns dem Schutze des
heiligen Markus und lauschten dem Schlaf entgegen, der uns den Rücken
hinaufkroch und uns schon hinter den Ohren krabbelte. Nun ward alles
mäuschenstill. Der Donner rollte fern, der Sturm hatte sich in den
Waldwipfeln schlafen gelegt, die ihn mit leisem Rauschen einwiegten.
Die Kienfackel knisterte, Grillen sangen, die Katze schnurrte auf
der Trommel, welche, von dem Ton erschüttert, das ferne Donnern zu
begleiten schien, Marinina pfiff durch die Nase, denn sie hatte sich
einen Schnupfen geholt, in der Küche knackte das grüne Holz im Feuer,
die Schnepfensuppe sauste im Topf, und unsere braune Köchin sang mit
einer klaren und starken Stimme, wie ich noch keine Primadonna gehört,
folgendes Lied:
»Mitidika! Mitidika!
Wien üng quatsch
Ba nu, Ba nu n'am tsche fatsch,
Waja, waja, Kur libu,
Ich bin ich, und du bist du;
Ich, spricht Stolz,
Du, spricht Lieb'!
Wer sich scheut vor Galgenholz,
Wird im grünen Wald zum Dieb.
Mitidika! Mitidika!
Wien üng quatsch.
Ba nu, ba nu n'am tsche fatsch,
Singt die Magd, so kocht der Brei,
Singt das Huhn so legt's ein Ei,
Er, spricht Schimpf,
Sie, spricht Fremd';
Fehlen mir gleich Schuh' und Strümpf',
Hab' ich doch ein buntes Hemd.
Mitidika! Mitidika!
Wien üng quatsch
Ba nu, ba nu n'am tsche fatsch,
Hör', was pocht dort an der Tür?
Draußen schrei'n sie nach Quartier.
Ist's der Er?
Ist's der Sie?
Mach' ich auf wohl nimmermehr,
Nur du Lieber, du schläfst hie.
Mitidika! Mitidika!
Wien üng quatsch
Ba nu, ba nu n'am tsche fatsch,
Waja, waja Kur libu,
In dem Topf hat's nimmer Ruh';
Saus und Braus,
'Rab und 'rauf',
Küchenteufel drinnen haus':
Daß es mir nicht überlauf'.««
Als der Feuerwerker den Anfang dieses Liedes: Mitidika! Mitidika!
gesagt, nahm der Zigeuner Michaly seine Violine und sang es unter den
lieblichsten Variationen der Gesellschaft vor: Alle dankten ihm, der
Feuerwerker aber sagte: »Michaly, du sangst das nämliche Lied, wie
die kleine Braune, und hast eine Ähnlichkeit mit ihr in der Stimme.«
»Kann sein,« sagte Michaly lächelnd. »Aber erzähl' nur weiter, ich
bin auf den wilden Jäger sehr begierig.« »Ich hob a a Schneid' uf den
soakrische Schlankl,« sagte der Tiroler. Alle drangen auf die weitere
Erzählung, und der Feuerwerker fuhr fort:
»Als die Kleine das Lied sang, ward sie von einem Schlage gegen die Tür
unterbrochen: »Mitidika!« rief es draußen mit einer rauhen, heiseren
Stimme. »Gleich, Großmutter!« antwortete sie, öffnete die Tür und
erzählte ihr von den Gästen. Die Großmutter brummte allerlei, was ich
nicht verstand, und trat sodann zu uns in die Stube. Ihr Schatten sah
aus wie der Teufel, der sich über die Leiden der Verdammten bucklicht
gelacht, und wäre er nicht vor ihr her in die Stube gefallen, um einen
ein wenig vorzubereiten, ich hätte geglaubt, der Alp komme, mich zu
würgen, als sie eintrat. Sie war von oben und rings herum eine Borste,
ein Pelz und eine Quaste, und sah darin aus wie der Oberpriester der
Stachelschweine. Sie ging nicht, lief nicht, hüpfte nicht, kroch nicht,
schwebte nicht, sie rutschte, als hätte sie Rollen unter den Beinen,
wie großer Herren Studierstühle. Wie die kleine flinke Braune hinter
ihr drein und um sie her schlüpfte, um sie zu bedienen, dachte ich:
So mag des Erzfeindes Großmutter aussehen, und die Schlange, ihre
Kammerjungfer.
»Mache mir das Bett, Mitidika!« sagte sie, »und wenn ich ruhe, kannst
du die Gäste besorgen.« Während das Mädchen die Kissen aufschüttelte,
begann die Alte sich zu entkleiden, und ich weiß nicht zu sagen, ob
ihre Kleidung oder ihr Bett aus mehreren Stücken bestand. Sie zog einen
Schreckenswams, eine Schauderjacke und Zauberkapuze um die andere aus,
und die ganze Wand, an der sie die Schalen aufhängte, ward eine Art
Zeughaus. Ich dachte alle Augenblicke: noch eine Hülse herunter, so
liegt ein bißchen Lung' und Leber an der Erde, das frißt die Katze auf,
und die Großmutter ist all; keine Zwiebel häutet sich so oft. Bei jedem
Kissen, welches die Kleine ins Bett legte und aufschüttelte, brummte
die Alte und legte es anders, und befahl ihr dann, es ganz sein zu
lassen und ihr ein Rauchbad zu geben: sie müsse in einen Ameisenhaufen
getreten haben, das Gewitter mache alles Vieh lebendig. Da setzte
sich die Alte auf die zerbrochene Leiter und hängte die tiroler Decke
über sich, und die Junge zündete Kräuter unter ihr an und machte
einen scheußlichen Qualm, den sie uns, da sie von neuem anfing, die
Federbetten hin und her zu werfen, in dicken Wolken auf den Leib jagte,
als gehörten wir auch zu den Ameisen, die vertrieben werden sollten.
Es sah ziemlich aus, als wenn man eine Hexe verbrennte oder einen
ungeheuren Taschenkrebs räuchre, als die Alte so über dem Dampfe wie
eine Mumie, in den bunten tiroler Teppich gehüllt, auf der Leiter
saß.« -- »Da sieht man, Wastl,« sprach der Zigeuner zu dem Tiroler,
»wozu ihr die Teppiche fabriziert: um die Hexen darin zu räuchern.«
»Potz Schlackri,« erwiderte Wastl, »wonns daine sakrische ziganerische
Großmuetta is, so loß is poassira, i bin gawis, es möga a Legion
Spodifankerl aus ihr raussi floga sein, un du bist a ains dervo.« Die
Gesellschaft lachte über Wastls Antwort, und die Kammerjungfer, wie
auch Lindpeindler, baten den Feuerwerker: er möge machen, daß die Alte
ins Bett komme, die Schnepfen könnten übergar werden. »Ganz recht,«
sagte Baciochi, »das meinte Martino auch, denn als der sie in der Decke
zappeln sah, wie Hunde und Katzen, die in einen Sack gesteckt sind,
und der Rauch zu dick zu werden begann, sprang er vom Stroh auf, trat
vor die Alte hin und sagte: »Hochverehrte Frau Wirtin, ich versichere
Euch im Namen Eurer Gäste, daß wir kein Rauchfleisch zu essen bestellt
haben, und daß wir auch von keinem verpesteten Orte kommen, um eines so
kostbaren Rauchkerzchens zu bedürfen; seid so gütig, dem Wohlgeruch ein
Ende zu machen, wir müssen sonst mit all den Ameisen, die euch plagen,
davon laufen.«
Da fing die Alte eine weitläufige Gegenrede an und sagte: »Schicksale
und Verhältnisse haben mich so weit gebracht.« Martino aber nahm keine
Vernunft an, packte die Alte mit beiden Händen, und warf sie von der
Leiter in ihre Federbetten. Sie zappelte wie eine Meerspinne, aber er
wälzte ein Federbett über sie, und sang ihr ein Wiegenlied mit so viel
gutem Humor vor, indem er sie mit beiden Händen festhielt, daß sie
endlich selbst mitlachte und sagte: »Nun, legt Euch nur wieder nieder,
hätte ich doch nicht gedacht, heute von einem so lustigen Gesellen
zu Bette gebracht zu werden. Mitidika, gib den Kavalieren zu essen!«
und somit kriegte sie den Martino beim Kopf, und gab ihm unter großem
Gelächter einen Kuß. »Profiziat!« sprach dieser, »schlaf wohl, du
allerschönster Schatz!« und legte sich mit einem sauern Gesichte wieder
neben mich.
»Gott sei Dank, Martino, daß sie weg ist!« flüsterte ich. »Hast du
gewacht, Meister?« sprach der Schelm. »Leider Gottes!« erwiderte ich,
»du hast ein Kunststück gemacht; sie raucht wie ein nasses Feuerwerk;
für einen Hutmacher wäre sie ein sauberes Gestell, alle seine Mützen
daran aufzuhängen, er brauchte keinen Nagel einzuschlagen.« »Ich werde
mich wohl häuten müssen, da sie mich geküßt hat,« sagte Martino.
»Warum?« fragte ich. »Ei,« entgegnete er, »ich werde sonst die Augen
nie wieder zukriegen können und die Zähne immer blecken wie ein Mops;
die Haut ist mir vor Schrecken zu kurz geworden.«
Unter diesen Scherzreden hörten wir die Alte einschnarchen. Mitidika
ging ab und zu, und verbaute leise das Bett der Alten mit der Tonne und
mit der Türe; die Küchentüre ließ sie auf, daß der Dampf hinaus zog.
Dann zupfte sie den Martino bei den Haaren und flüsterte: »Komm hinaus,
deine Schnepfen sind gar, ich habe die Brühe abgegossen, ich muß das
Feuer löschen, die zwölfte Stunde naht, denn fährt der wilde Jäger mir
durch das Feuer, steckt er uns die ganze Hütte an.«
Martino ging hinaus, und ich streckte den Kopf nach der Tür und
hörte ihre Scherzreden. Mitidika sagte: »Ich habe dir deine Vögel
trefflich gekocht und dir auch Kräuter an die Suppe getan, was
gibst du mir nun?« -- »Geben?« sagte Martino, »ich will dich mit
der Münze bezahlen, welche hier zu gelten scheint, und in der mich
deine Großmutter bezahlte; einen Kuß will ich dir geben.« »Das läßt
sich hören,« erwiderte sie, »aber die Großmutter gab dir ein altes
Schaustück, das kann ich nicht brauchen, die Münze ist verschlagen.«
»Auch du bist verschlagen, Schelm!« erwiderte Martino, »ich will dir
kleine Münze geben, wenn du herausgeben und wechseln kannst; wärst
du nur nicht so schwarz!« »Und du nicht so weiß,« sagte sie. »Ich
werde dir einen Schein geben, einen Wechsel schwarz auf weiß, aber
gib mir keine Scheidemünze!« sagte sie. »Die kriegst du morgen früh
beim Abschied,« erwiderte Martino, faßte sie beim Kopfe, küßte sie
herzlich, und sagte: »Ich habe dich lieb und bleibe dir treu.« »Ei so
lüge, daß du schwarz wirst!« sprach sie. »Dann wäre ich deinesgleichen
und es könnte etwas daraus werden,« sprach Martino, und schenkte ihr
eine Nadelbüchse von Elfenbein und Ebenholz, die er bei sich trug. Das
Mädchen dankte und sprach: »Sieh, wie artig schwarz auf weiß zusammen
aussehn; bleib bei uns, wenn die Alte stirbt, finden wir den Goldtopf
und kontrebandieren.« »Ja, auf die Galeere!« sprach Martino. »Ich gehe
mit auf die Galeere!« sagte sie; »pitsch, patsch! geht das Ruder, und
ich singe dir dazu.« »Das wollen wir überlegen,« meinte Martino, »es
ist eine zu glänzende Aussicht um Mitternacht.«
Da traten sie mit der Suppe und den Schnepfen herein, und stellten
sie auf den Eichenblock. Die Suppe tranken wir aus dem Topf, ich
wollte meine Marinina nicht wecken und ließ ihr Teil in die warme
Asche setzen, die Vögel wollten wir morgen früh verzehren. Nun begann
sich der Sturm in dem Walde wieder zu heben, und das Gewitter zog mit
Macht heran. »Ach Gott!« sagte Mitidika, »lege dich nieder, Martino,
und schlafe ein; hörst du das Wetter? Der Jäger bläst sein Horn, er
wird gewiß bald kommen; lege dich nieder, gleich, gleich!« Dabei sah
sie ängstlich in der Stube umher. »Nun, nun, was fehlt dir?« fragte
Martino, und sie sagte: »Schlafen sollst du und das Angesicht von mir
kehren, denn ich muß mich entkleiden und schlafen gehn, und das sollst
du nicht sehen; ach, dreh dich um, Blanker!« »Bravo!« sagte Martino,
»es freut mich, daß du so auf Zucht hältst, putze nur den Kien aus,
bei der Nacht sind alle Kühe schwarz, selbst die schwarzen.« »Ja,«
sagte sie, »auch die blanken Esel! Dreh dich um, ich bitte dich, ich
will den Kien schon löschen, wenn es Zeit ist.« Da drehte sich der
ehrliche Martino um. »Gute Nacht, Mitidika!« sagte er. »Gute Nacht,
Martino!« sprach sie.
Nun breitete sie sich eine bunte wollene Decke an der Erde aus neben
dem Eichenblocke, stellte einen halben Kürbis voll Wasser darauf, holte
einen kleinen zierlichen Kasten gar heimlich hinter der Trommel hervor
und setzte ihn neben sich auf die Bank, wobei sie sich ängstlich nach
uns umsah. Ich blinzte durch die Augen und schnarchte, als läge ich im
tiefsten Schlafe. Mitidika traute und schloß das Kästlein leise auf,
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