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Deutsche Humoristen, 2. Band (von 8) - 8

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   konserviere. -- Des Dichters Schwert ist das Wort, der Gesang.
   Ich will meinem Nebenbuhler auf den Leib fahren mit tyrtäischen
   Schlachtliedern, ihn niederstoßen mit spitzen Epigrammen, ihn
   niederhauen mit Dithyramben voll Liebeswut -- das sind die Waffen
   des echten, wahren Dichters, die immerdar siegreich ihn sicher
   stellen gegen jeden Angriff, und so gewaffnet und gewappnet werde ich
   erscheinen und mir deine Hand erkämpfen, o Anna!
   Lebe wohl, nochmals drücke ich dich an meine Brust! -- Hoffe alles
   von meiner Liebe und vorzüglich von meinem Heldenmut, der keine
   Gefahr scheuen wird, dich zu befreien aus den schändlichen Netzen, in
   die dich allem Anschein nach ein dämonischer Unhold verlockt hat!« --
  Fräulein Ännchen erhielt diesen Brief, als sie gerade mit dem
  bräutigamlichen König Daucus Carota dem Ersten auf der Wiese hinter
  dem Garten Haschemännchen spielte und große Freude hatte, wenn sie
  sich in vollem Lauf schnell niederduckte und der kleine König über sie
  wegschoß. Aber nicht wie sonst, steckte sie das Schreiben des Geliebten
  ohne es zu lesen in die Tasche, und wir werden gleich sehen, daß es zu
  spät gekommen.
  Gar nicht begreifen konnte Herr Dapsul von Zabelthau, wie Fräulein
  Ännchen ihren Sinn so plötzlich geändert und den Herrn Porphyrio von
  Ockerodastes, den sie erst so abscheulich gefunden, liebgewonnen
  hatte. Er befragte darüber die Gestirne; da diese ihm aber auch keine
  befriedigende Antwort gaben, so mußte er dafür halten, daß des Menschen
  Sinn unerforschlicher sei als alle Geheimnisse des Weltalls und sich
  durch keine Konstellation erfassen lasse. -- Daß nämlich bloß die
  höhere Natur des Bräutigams auf Ännchen zur Liebe gewirkt haben solle,
  konnte er, da es dem Kleinen an Leibesschönheit gänzlich mangelte,
  nicht annehmen. War, wie der geneigte Leser schon vernommen, der
  Begriff von Schönheit, wie ihn Herr Dapsul von Zabelthau statuierte,
  auch himmelweit von dem Begriff verschieden, wie ihn junge Mädchen in
  sich tragen, so hatte er doch wenigstens so viel irdische Erfahrung,
  um zu wissen, daß besagte Mädchen meinen, Verstand, Witz, Geist, Gemüt
  seien gute Mietsleute in einem schönen Hause, und daß ein Mann, dem
  ein modischer Frack nicht zum besten steht, und sollte er sonst ein
  Shakespeare, ein Goethe, ein Tieck, ein Friedrich Richter sein, Gefahr
  läuft, von jedem hinlänglich angenehm gebauten Husarenleutnant in der
  Staatsuniform gänzlich aus dem Felde geschlagen zu werden, sobald es
  ihm einfällt, einem jungen Mädchen entgegen zu rücken. -- Bei Fräulein
  Ännchen hatte sich nun zwar das ganz anders zugetragen, und es handelte
  sich weder um Schönheit noch um Verstand; indessen trifft es sich wohl
  selten, daß ein armes Landfräulein plötzlich Königin werden soll, und
  konnte daher von dem Herrn Dapsul von Zabelthau nicht wohl vermutet
  werden, zumal ihn auch hier die Gestirne im Stich ließen.
  Man kann denken, daß die drei Leute, Herr Porphyrio von Ockerodastes,
  Herr Dapsul von Zabelthau und Fräulein Ännchen, ein Herz und eine Seele
  waren. Es ging so weit, daß Herr Dapsul von Zabelthau öfter, als sonst
  jemals geschehn, den Turm verließ, um mit dem geschätzten Eidam über
  allerlei vergnügliche Dinge zu plaudern, und vorzüglich pflegte er nun
  sein Frühstück jedesmal unten im Hause einzunehmen. Um diese Zeit kam
  denn auch Herr Porphyrio von Ockerodastes aus seinem seidenen Palast
  hervor, und ließ sich von Fräulein Ännchen mit Butterbrot füttern.
  »Ach, ach,« kickerte Fräulein Ännchen ihm oft ins Ohr, »ach, ach, wenn
  Papa wüßte, daß Sie eigentlich ein König sind, bester Corduanspitz.«
  -- »Halt' dich, Herz,« erwiderte Daucus Carota der Erste, »halt' dich,
  Herz, und vergeh' nicht in Wonne. -- Nah, nah ist dein Freudentag!« --
  Es begab sich, daß der Schulmeister dem Fräulein Ännchen einige Bund
  der herrlichsten Radiese aus seinem Garten verehrt hatte. Dem Fräulein
  Ännchen war das über alle Maßen lieb, da Herr Dapsul von Zabelthau sehr
  gern Radiese aß, Ännchen aber aus dem Gemüsegarten, über den der Palast
  erbaut war, nichts entnehmen konnte. Überdem fiel ihr aber auch jetzt
  erst ein, daß sie unter den mannigfaltigsten Kräutern und Wurzeln im
  Palast nur allein Radiese nicht gewahrt hatte.
  Fräulein Ännchen putzte die geschenkten Radiese schnell ab, und trug
  sie dem Vater auf zum Frühstück. Schon hatte Herr Dapsul von Zabelthau
  mehreren unbarmherzig die Blätterkrone weggeschnitten, sie ins Salzfaß
  gestippt und vergnüglich verzehrt, als Corduanspitz hereintrat. »O,
  mein Ockerodastes, genießen Sie Radiese!« so rief ihm Herr Dapsul
  von Zabelthau entgegen. Es lag noch ein großer, vorzüglich schöner
  Radies auf dem Teller. Kaum erblickte Corduanspitz aber diesen, als
  seine Augen grimmig zu funkeln begannen und er mit fürchterlich
  dröhnender Stimme rief: »Was, unwürdiger Herzog, Ihr wagt es noch, vor
  meinen Augen zu erscheinen, ja Euch mit verruchter Unverschämtheit
  einzudrängen in ein Haus, das beschirmt ist von meiner Macht? Habe ich
  Euch, der mir den rechtmäßigen Thron streitig machen wollte, nicht
  verbannt auf ewige Zeiten? -- Fort, fort mit Euch, verräterischer
  Vasall!« Dem Radies waren plötzlich zwei Beinchen unter dem dicken
  Kopf gewachsen, mit denen er schnell aus dem Teller hinabsprang;
  dann stellte er sich dicht hin vor Corduanspitz und ließ sich also
  vernehmen: »Grausamer Daucus Carota der Erste, der du vergebens
  trachtest, meinen Stamm zu vernichten! Hat je einer deines Geschlechts
  einen solchen großen Kopf gehabt als ich und meine Verwandten? --
  Verstand, Weisheit, Scharfsinn, Courtoisie, mit allem dem sind wir
  begabt, und während Ihr Euch herumtreibt in Küchen und in Ställen und
  nur in hoher Jugend etwas geltet, so daß recht eigentlich der +diable
  de la jeunesse+ nur Euer schnell vorüberfliehendes Glück macht, so
  genießen wir des Umgangs hoher Personen, und mit Jubel werden wir
  begrüßt, sowie wir nur unsere grünen Häupter erheben! -- Aber ich
  trotze dir, o Daucus Carota, bist du auch gleich ein ungeschlachter
  Schlingel wie alle deinesgleichen! Laß sehen, wer hier der Stärkste
  ist!« -- Damit schwang der Radiesherzog eine lange Peitsche und ging
  ohne weiteres dem König Daucus Carota dem Ersten zu Leibe. Dieser
  zog aber schnell seinen kleinen Degen und verteidigte sich auf die
  tapferste Weise. In den seltsamsten, tollsten Sprüngen balgten sich nun
  die beiden Kleinen im Zimmer umher, bis Daucus Carota den Radiesherzog
  so in die Enge trieb, daß er genötigt wurde, mit einem kühnen Sprung
  durchs offne Fenster das Weite zu suchen. König Daucus Carota,
  dessen ganz ungemeine Behendigkeit dem geneigten Leser schon bekannt
  ist, schwang sich aber nach und verfolgte den Radiesherzog über den
  Acker. -- Herr Dapsul von Zabelthau hatte dem schrecklichen Zweikampf
  zugeschaut in dumpfer, lautloser Erstarrung. Nun brach er aber heulend
  und schreiend los: »O Tochter Anna! -- o meine arme, unglückselige
  Tochter Anna! -- verloren -- ich -- du -- beide sind wir verloren,
  verloren.« -- Und damit lief er aus der Stube und bestieg so schnell,
  als er es nur vermochte, den astronomischen Turm. --
  Fräulein Ännchen konnte gar nicht begreifen, gar nicht vermuten, was
  in aller Welt den Vater auf einmal in solch grenzenlose Betrübnis
  versetzt. Ihr hatte der ganze Auftritt ungemeines Vergnügen verursacht,
  und sie war noch in ihrem Herzen froh, bemerkt zu haben, daß der
  Bräutigam nicht allein Stand und Reichtum, sondern auch Tapferkeit
  besaß, wie es denn wohl nicht leicht ein Mädchen auf Erden geben mag,
  die einen Feigling zu lieben im stande. Nun sie eben von der Tapferkeit
  des Königs Daucus Carota des Ersten überzeugt worden, fiel es ihr erst
  recht empfindlich auf, daß Herr Amandus von Nebelstern sich nicht mit
  ihm schlagen wollen.
  Hätte sie noch geschwankt, den Herrn Amandus dem Könige Daucus dem
  Ersten aufzuopfern, sie würde sich jetzt dazu entschlossen haben, da
  ihr die ganze Herrlichkeit ihres neuen Brautstandes einleuchtete. Sie
  setzte sich flugs hin und schrieb folgenden Brief:
   »Mein lieber Amandus!
   Alles in der Welt kann sich ändern, alles ist vergänglich, sagt
   der Herr Schulmeister, und er hat vollkommen Recht. Auch du, mein
   lieber Amandus, bist ein viel zu weiser und gelehrter Student, als
   daß du dem Herrn Schulmeister nicht beipflichten und dich nur im
   Mindesten verwundern solltest, wenn ich dir sage, daß auch in meinem
   Sinn und Herzen sich eine kleine Veränderung zugetragen hat. -- Du
   kannst es mir glauben, ich bin dir noch recht sehr gut, und kann
   es mir recht vorstellen, wie hübsch du aussehen mußt in der roten
   Sammtmütze mit Gold, aber was das Heiraten betrifft -- sieh, lieber
   Amandus, so gescheit du auch bist und so hübsche Verslein du auch
   zu machen verstehst, König wirst du doch nun und nimmermehr werden,
   und -- erschrick nicht, Liebster -- der kleine Herr von Corduanspitz
   ist nicht der Herr von Corduanspitz, sondern ein mächtiger König,
   namens Daucus Carota der Erste, der da herrscht über das ganze
   Gemüsreich und mich erkoren hat zu seiner Königin! -- Seit der Zeit,
   daß mein lieber kleiner König das Inkognito abgeworfen, ist er auch
   viel hübscher geworden, und ich sehe jetzt erst recht ein, daß der
   Papa recht hatte, wenn er behauptete, daß der Kopf die Zierde des
   Mannes sei und daher nicht groß genug sein könne. Dabei hat aber
   Daucus Carota der Erste -- du siehst, wie gut ich den schönen Namen
   behalten und nachschreiben kann, da er mir ganz bekannt vorkommt --
   ja, ich wollte sagen, dabei hat mein kleiner königlicher Bräutigam
   ein so angenehmes, allerliebstes Betragen, daß es gar nicht
   auszusprechen. Und welch einen Mut, welche Tapferkeit besitzt der
   Mann! Vor meinen Augen hat er den Radiesherzog, der ein unartiger,
   aufsässiger Mensch zu sein scheint, in die Flucht geschlagen, und
   hei! wie er ihm nachsprang durchs Fenster! du hättest das nur sehen
   sollen! -- Ich glaube auch nicht, daß mein Daucus Carota sich aus
   deinen Waffen etwas machen wird, er scheint ein fester Mann, dem
   Verse, sind sie auch noch so fein und spitzig, nicht viel anhaben
   können. -- Nun also, lieber Amandus, füge dich in dein Schicksal
   wie ein frommer Mensch, und nimm es nicht übel, daß ich nicht deine
   Frau, sondern vielmehr Königin werde. Sei aber getrost, ich werde
   immer deine wohlaffektionierte Freundin bleiben, und willst du
   künftig bei der Karottengarde, oder da du nicht sowohl die Waffen
   als die Wissenschaften liebst, bei der Pastinakakademie oder bei dem
   Kürbisministerium angestellt sein, so kostet dich's nur ein Wort,
   und dein Glück ist gemacht. Lebe wohl und sei nicht böse auf deine
   sonstige Braut, jetzt aber wohlmeinende Freundin und künftige Königin
   Anna von Zabelthau
   (bald aber nicht mehr von Zabelthau, sondern bloß Anna).
   N.S. Auch mit den schönsten virginischen Blättern sollst du gehörig
   versorgt werden, du kannst dich darauf festiglich verlassen. So wie
   ich beinahe vermuten muß, wird zwar an meinem Hofe gar nicht geraucht
   werden, deshalb sollen aber doch sogleich nicht weit vom Thron
   unter meiner besondern Aufsicht einige Beete mit virginischem Tabak
   angepflanzt werden. Das erfordert die Kultur und die Moral, und mein
   Daucuschen soll darüber ein besonderes Gesetz schreiben lassen.«
  
  Fünftes Kapitel.
   In welchem von einer fürchterlichen Katastrophe Nachricht gegeben,
   und mit dem weitern Verlauf der Dinge fortgefahren wird.
  Fräulein Ännchen hatte gerade ihr Schreiben an den Herrn Amandus von
  Nebelstern fortgesendet, als Herr Dapsul von Zabelthau hereintrat und
  mit dem weinerlichsten Ton des tiefsten Schmerzes begann: »O meine
  Tochter Anna! auf welche schändliche Weise sind wir beide betrogen!
  Dieser Verruchte, der dich in seine Schlingen verlockte, der mir weiß
  machte, er sei Baron Porphyrio Ockerodastes, genannt Corduanspitz,
  Sprößling jenes illüstren Stammes, den der überherrliche Gnome
  Tsilmenech im Bündnis schuf mit der edlen corduanischen Äbtissin,
  dieser Verruchte -- erfahr' es und sinke ohnmächtig nieder! -- er ist
  selbst ein Gnome, aber jenes niedrigsten Geschlechts, das die Gemüse
  bereitet! -- Jener Gnome Tsilmenech war von dem edelsten Geschlecht,
  nämlich von dem, dem die Pflege der Diamanten anvertraut ist. Dann
  kommt das Geschlecht derer, die im Reich des Metallkönigs die Metalle
  bereiten, dann folgen die Blumisten, die deshalb nicht so vornehm sind,
  weil sie von den Sylphen abhängen. Die schlechtesten und unedelsten
  sind aber die Gemüsegnomen, und nicht allein, daß der betrügerische
  Corduanspitz ein solcher Gnome ist, nein, er ist König dieses
  Geschlechts, und heißt Daucus Carota!« --
  Fräulein Ännchen sank keineswegs in Ohnmacht, erschrak auch nicht
  im allermindesten, sondern lächelte den lamentierenden Papa ganz
  freundlich an; der geneigte Leser weiß schon warum! -- Als nun aber
  der Herr Dapsul von Zabelthau sich darüber höchlich verwunderte und
  immer mehr in Fräulein Ännchen drang, doch nur um des Himmels Willen
  ihr fürchterliches Geschick einzusehen und sich zu grämen, da glaubte
  Fräulein Ännchen nicht länger das ihr anvertraute Geheimnis bewahren zu
  dürfen. Sie erzählte dem Herrn Dapsul von Zabelthau, wie der sogenannte
  Herr Baron von Corduanspitz ihr längst selbst seinen eigentlichen
  Stand entdeckt, und seit der Zeit ihr so liebenswürdig vorgekommen
  sei, daß sie durchaus gar keinen andern Gemahl wünsche. Sie beschrieb
  dann ferner all die wunderbaren Schönheiten des Gemüsreichs, in das
  sie König Daucus Carota der Erste eingeführt, und vergaß nicht, die
  seltsame Anmut der mannigfachen Bewohner dieses großen Reichs gehörig
  zu rühmen.
  Herr Dapsul von Zabelthau schlug einmal über das andere die Hände
  zusammen, und weinte sehr über die tückische Bosheit des Gnomenkönigs,
  der die künstlichsten, ja für ihn selbst gefährlichsten Mittel
  angewandt, die unglückselige Anna hinabzuziehen in sein finstres,
  dämonisches Reich. --
  So herrlich, erklärte jetzt Herr Dapsul von Zabelthau der aufhorchenden
  Tochter, so herrlich, so ersprießlich die Verbindung irgend eines
  Elementargeistes mit einem menschlichen Prinzip sein könne, so sehr
  die Ehe des Gnomen Tsilmenech mit der Magdalena de la Croix davon ein
  Beispiel gebe, weshalb denn auch der verräterische Daucus Carota ein
  Sprößling dieses Stammes zu sein behaupte, so ganz anders verhalte es
  sich doch mit den Königen und Fürsten dieser Geistervölkerschaften.
  Wären die Salamanderkönige bloß zornig, die Sylphenkönige bloß
  hoffärtig, die Undinenköniginnen bloß sehr verliebt und eifersüchtig,
  so wären dagegen die Gnomenkönige tückisch, boshaft und grausam; bloß
  um sich an den Erdenkindern zu rächen, die ihnen Vasallen entführt,
  trachteten sie darnach, irgend eines zu verlocken, das dann die
  menschliche Natur ganz ablege und, ebenso mißgestaltet wie die Gnomen
  selbst, hinunter müsse in die Erde und nie wieder zum Vorschein komme.
  Fräulein Ännchen schien all das Nachteilige, dessen Herr Dapsul von
  Zabelthau ihren lieben Daucus beschuldigte, gar nicht recht glauben zu
  wollen, vielmehr begann sie noch einmal von den Wundern des schönen
  Gemüsreichs zu sprechen, über das sie nun bald zu herrschen gedenke.
  »Verblendetes,« rief aber nun Herr Dapsul von Zabelthau voller Zorn,
  »verblendetes, törichtes Kind! -- Trauest du deinem Vater nicht so viel
  kabbalistische Weisheit zu, daß er nicht wissen sollte, wie alles, was
  der verruchte Daucus Carota dir vorgegaukelt hat, nichts ist als Lug
  und Trug? -- Doch du glaubst mir nicht; um dich, mein einziges Kind, zu
  retten, muß ich dich überzeugen, diese Überzeugung verschaffe ich dir
  aber durch die verzweifeltsten Mittel. -- Komm mit mir!« --
  Zum zweitenmale mußte nun Fräulein Ännchen mit dem Papa den
  astronomischen Turm besteigen. Aus einer großen Schachtel holte Herr
  Dapsul von Zabelthau eine Menge gelbes, rotes, weißes und grünes Band
  hervor, und umwickelte damit unter seltsamen Ceremonien Fräulein
  Ännchen von Kopf bis zu Fuß. Mit sich selbst tat er ein gleiches, und
  nun nahten beide, Fräulein Ännchen und der Herr Dapsul von Zabelthau,
  sich behutsam dem seidnen Palast des Königs Daucus Carota des Ersten.
  Fräulein Ännchen mußte auf Geheiß des Papas mit der mitgebrachten
  feinen Schere eine Naht auftrennen und durch die Öffnung hineingucken.
  Hilf Himmel! was erblickte sie statt des schönen Gemüsegartens,
  statt der Karottengarde, der Plümagedamen, der Lavendelpagen, der
  Salatprinzen und alles dessen, was ihr so wunderbar herrlich erschienen
  war? -- In einen tiefen Pfuhl sah sie hinab, der mit einem farblosen
  ekelhaften Schlamm gefüllt schien. Und in diesem Schlamm regte und
  bewegte sich allerlei häßliches Volk aus dem Schoß der Erde. Dicke
  Regenwürmer ringelten sich langsam durcheinander, während käferartige
  Tiere, ihre kurzen Beine ausstreckend, schwerfällig fortkrochen. Auf
  ihrem Rücken trugen sie große Zwiebeln, die hatten aber häßliche
  menschliche Gesichter, und grinsten und schielten sich an mit trüben
  gelben Augen, und suchten sich mit den kleinen Krallen, die ihnen dicht
  an die Ohren gewachsen waren, bei den langen krummen Nasen zu packen
  und hinunter zu ziehen in den Schlamm, während lange nackte Schnecken
  in ekelhafter Trägheit sich durcheinander wälzten und ihre langen
  Hörner emporstreckten aus der Tiefe. -- Fräulein Ännchen wäre bei dem
  scheußlichen Anblick vor Grauen bald in Ohnmacht gesunken. Sie hielt
  beide Hände vors Gesicht und rannte schnell davon. --
  »Siehst du nun wohl,« sprach darauf der Herr Dapsul von Zabelthau
  zu ihr, »siehst du nun wohl, wie schändlich dich der abscheuliche
  Daucus Carota betrogen hat, da er dir eine Herrlichkeit zeigte, die
  nur ganz kurze Zeit dauert? -- O! Festkleider ließ er seine Vasallen
  anziehen und Staatsuniformen seine Garden, um dich zu verlocken mit
  blendender Pracht! Aber nun hast du das Reich in Negligé geschaut,
  das du beherrschen wirst, und bist du nun einmal die Gemahlin des
  entsetzlichen Daucus Carota, so mußt du in dem unterirdischen Reiche
  bleiben und kommst nie mehr auf die Oberfläche der Erde! -- Und wenn --
  ach -- ach! was muß ich erblicken, ich unglücklichster der Väter!« --
  Der Herr Dapsul von Zabelthau geriet nun plötzlich so außer sich, daß
  Fräulein Ännchen wohl erraten konnte, es müsse noch ein neues Unglück
  im Augenblick hereingebrochen sein. Sie fragte ängstlich, worüber
  denn der Papa so entsetzlich lamentiere; der konnte aber vor lauter
  Schluchzen nichts als stammeln: -- O -- o -- To--ch--ter -- wie --
  si--ehst -- d--u a--u--s! Fräulein Ännchen rannte ins Zimmer, sah in
  den Spiegel und fuhr zurück, von jähem Todesschreck erfaßt. --
  Sie hatte Ursache dazu, die Sache war diese: eben als Herr Dapsul von
  Zabelthau der Braut des Königs Daucus Carota die Augen öffnen wollte
  über die Gefahr, in der sie schwebe, nach und nach ihr Ansehen, ihre
  Gestalt zu verlieren und sich allmählich umzuwandeln in das wahrhafte
  Bild einer Gnomenkönigin, da gewahrte er, was schon Entsetzliches
  geschehen. Viel dicker war Ännchens Kopf geworden und safrangelb ihre
  Haut, so daß sie jetzt schon hinlänglich garstig erschien. War nun auch
  Fräulein Ännchen nicht gar besonders eitel, so fühlte sie sich doch
  Mädchen genug, um einzusehen, daß Häßlichwerden das allergrößeste,
  entsetzlichste Unglück sei, das einen hienieden treffen könne. Wie oft
  hatte sie an die Herrlichkeit gedacht, wenn sie künftig als Königin mit
  der Krone auf dem Haupte in atlassenen Kleidern, mit diamantnen und
  goldnen Ketten und Ringen geschmückt, in der achtspännigen Karosse an
  der Seite des königlichen Gemahls Sonntag nach der Kirche fahren und
  alle Weiber, des Schulmeisters Frau nicht ausgenommen, in Erstaunen
  setzen, ja auch wohl der stolzen Gutsherrschaft des Dorfs, zu dessen
  Kirchsprengel Dapsulheim gehörte, Respekt einflößen werde; ja! -- wie
  oft hatte sie sich in solchen und andern exzentrischen Träumen gewiegt!
  -- Fräulein Ännchen zerfloß in Tränen! --
  »Anna -- meine Tochter Anna, komme sogleich zu mir herauf!« so rief
  Herr Dapsul von Zabelthau durch das Sprachrohr herab. --
  Fräulein Ännchen fand den Papa angetan in einer Art von
  Bergmannstracht. Er sprach mit Fassung: »Gerade wenn die Not am
  größten, ist die Hilfe oft am nächsten. Daucus Carota wird, wie ich
  soeben ermittelt, heute, ja wohl bis morgen Mittag nicht seinen Palast
  verlassen. Er hat die Prinzen des Hauses, die Minister und andere Große
  des Reichs versammelt, um Rat zu halten über den künftigen Winterkohl.
  Die Sitzung ist wichtig und wird vielleicht so lange dauern, daß wir
  dieses Jahr gar keinen Winterkohl bekommen werden. Diese Zeit, wenn
  Daucus Carota, in seine Regierungsarbeit vertieft, auf mich und meine
  Arbeit nicht zu merken vermag, will ich benutzen, um eine Waffe zu
  bereiten, mit der ich vielleicht den schändlichen Gnomen bekämpfe und
  besiege, so daß er entweichen und dir die Freiheit lassen muß. Blicke,
  während ich hier arbeite, unverwandt durch jenen Tubus nach dem Gezelt
  und meld' es mir ungesäumt, wenn du bemerkst, daß jemand hinausschaut
  oder gar hinausschreitet.« -- Fräulein Ännchen tat, wie ihr geboten,
  das Gezelt blieb aber verschlossen; nur vernahm sie, unerachtet Herr
  Dapsul von Zabelthau wenige Schritte hinter ihr stark auf Metallplatten
  hämmerte, oft ein wildes verwirrtes Geschrei, das aus dem Gezelt
  zu kommen schien, dann helle, klatschende Töne, gerade als würden
  Ohrfeigen ausgeteilt. Sie sagte das dem Herrn Dapsul von Zabelthau, der
  war damit sehr zufrieden und meinte, je toller sie sich dort drinnen
  untereinander zankten, desto weniger könnten sie bemerken, was draußen
  geschmiedet würde zu ihrem Verderben. --
  Nicht wenig verwunderte sich Fräulein Ännchen, als sie gewahrte, daß
  der Herr Dapsul von Zabelthau ein Paar ganz allerliebste Kochtöpfe
  und ebensolche Schmorpfannen aus Kupfer gehämmert hatte. Als Kennerin
  überzeugte sie sich, daß die Verzinnung außerordentlich gut geraten,
  daß der Papa daher die den Kupferschmieden durch die Gesetze auferlegte
  Pflicht gehörig beobachtet habe, und fragte, ob sie das feine Geschirr
  nicht mitnehmen könne zum Gebrauch in der Küche? Da lächelte aber
  Herr Dapsul von Zabelthau geheimnisvoll und erwiderte weiter nichts
  als: »Zur Zeit, zur Zeit, meine Tochter Anna; gehe jetzt herab, mein
  geliebtes Kind! und erwarte ruhig, was sich morgen weiteres in unserm
  Hause begeben wird.« --
  Herr Dapsul von Zabelthau hatte gelächelt, und =das= war es, was dem
  unglückseligen Ännchen Hoffnung einflößte und Vertrauen.
  Andern Tages, als die Mittagszeit nahte, kam Herr Dapsul von Zabelthau
  herab mit seinen Kochtöpfen und Schmorpfannen, begab sich in die Küche
  und gebot dem Fräulein Ännchen nebst der Magd hinauszugehen, da er
  allein heute das Mittagsmahl bereiten wolle. Dem Fräulein Ännchen legte
  er es besonders ans Herz, gegen den Corduanspitz, der sich wohl bald
  einstellen werde, so artig und liebevoll zu sein als nur möglich.
  Corduanspitz oder vielmehr König Daucus Carota der Erste kam auch
  wirklich bald, und hatte er sonst schon verliebt genug getan, so
  schien er heute ganz Entzücken und Wonne. Zu ihrem Entsetzen bemerkte
  Fräulein Ännchen, wie sie schon so klein geworden, daß Daucus sich ohne
  große Mühe auf ihren Schoß schwingen und sie herzen und küssen konnte,
  welches die Unglückliche dulden mußte trotz ihres tiefen Abscheus gegen
  den kleinen abscheulichen Unhold.
  Endlich trat Herr Dapsul von Zabelthau ins Zimmer und sprach: »O mein
  vortrefflichster Porphyrio von Ockerodastes, möchten Sie sich nicht
  mit mir und meiner Tochter in die Küche begeben, um zu beobachten, wie
  schön und wirtlich Ihre künftige Gemahlin alles darin eingerichtet hat?«
  Noch niemals hatte Fräulein Ännchen in des Papas Antlitz den hämischen,
  schadenfrohen Blick bemerkt, mit dem er den kleinen Daucus beim Arm
  faßte und beinahe mit Gewalt hinauszog aus der Stube in die Küche.
  Fräulein Ännchen folgte auf den Wink des Vaters.
  Das Herz kochte dem Fräulein Ännchen im Leibe, als sie das herrlich
  knisternde Feuer, die glühenden Kohlen, die schmucken kupfernen
  Kochtöpfe und Schmorpfannen auf dem Herde bemerkte. Sowie der Herr
  Dapsul von Zabelthau den Corduanspitz dicht heranführte an den Herd, da
  begann es stärker und stärker in den Töpfen und Pfannen zu zischen und
  zu brodeln, und das Zischen und Brodeln wurde zu ängstlichem Winseln
  und Stöhnen. Und aus einem Kochtopfe heulte es heraus: »O Daucus
  Carota! o mein König, rette deine getreuen Vasallen, rette uns arme
  Mohrrüben! -- Zerschnitten, in schnödes Wasser geworfen, mit Butter und
  Salz gefüttert zu unserer Qual, schmachten wir in unnennbarem Leid, das
  edle Petersilienjünglinge mit uns teilen!« Und aus der Schmorpfanne
  klagte es: »O Daucus Carota! o mein König! rette deine getreuen
  Vasallen, rette uns arme Mohrrüben! -- In der Hölle braten wir, und so
  wenig Wasser gab man uns, daß der fürchterliche Durst uns zwingt, unser
  eignes Herzblut zu trinken.« Und aus einem andern Kochtopf wimmerte es
  wieder: »O Daucus Carota! o mein König! rette deine getreuen Vasallen,
  rette uns arme Mohrrüben! -- Ausgehöhlt hat uns ein grausamer Koch,
  unser Innerstes zerhackt und es mit allerlei fremdartigem Zeug von
  Eiern, Sahne und Butter wieder hineingestopft, so daß alle unsere
  Gesinnungen und sonstige Verstandeskräfte in Konfusion geraten, und wir
  selbst nicht mehr wissen, was wir denken!« Und nun heulte und schrie
  es aus allen Kochtöpfen und Schmorpfannen durcheinander: »O Daucus
  Carota, mächtiger König, rette, o rette deine getreuen Vasallen, rette
  uns arme Mohrrüben!« Da kreischte Corduanspitz laut auf: »Verfluchtes
  dummes Narrenspiel!« schwang sich mit seiner gewöhnlichen Behendigkeit
  auf den Herd, schaute in einen der Kochtöpfe und plumpte plötzlich
  hinein. Rasch sprang Herr Dapsul von Zabelthau hinzu und wollte den
  Deckel des Topfs schließen, indem er aufjauchzte: »Gefangen!« Doch mit
  der Schnellkraft einer Spiralfeder fuhr Corduanspitz aus dem Topfe in
  die Höhe und gab dem Herrn Dapsul von Zabelthau ein paar Maulschellen,
  daß es krachte, indem er rief: »Einfältiger, naseweiser Kabbalist,
  dafür sollst du büßen! -- Heraus, heraus, Ihr Jungen allzumal!«
  Und da brauste es aus allen Töpfen, Tiegeln und Pfannen heraus wie
  das wilde Heer, und hundert und hundert kleine fingerlange garstige
  Kerlchen hakten sich fest an dem ganzen Leibe des Herrn Dapsul von
  Zabelthau und warfen ihn rücklings nieder in eine große Schüssel und
  richteten ihn an, indem sie aus allen Geschirren die Brühen über ihn
  ausgossen und ihn mit gehackten Eiern, Muskatenblüten und geriebener
  Semmel bestreuten. Dann schwang sich Daucus Carota zum Fenster hinaus,
  und seine Vasallen taten ein gleiches.
  Entsetzt sank Fräulein Ännchen bei der Schüssel nieder, auf der der
  arme Papa angerichtet lag; sie hielt ihn für tot, da er durchaus nicht
  das mindeste Lebenszeichen von sich gab. Sie begann zu klagen: »Ach,
  mein armer Papa -- ach, nun bist du tot, und nichts rettet mich mehr
  vom höllischen Daucus!« Da schlug aber Herr Dapsul von Zabelthau die
  Augen auf, sprang mit verjüngter Kraft aus der Schüssel und schrie
  mit einer entsetzlichen Stimme, wie sie Fräulein Ännchen noch niemals
  von ihm vernommen: »Ha, verruchter Daucus Carota, noch sind meine
  Kräfte nicht erschöpft! Bald sollst du fühlen, was der einfältige,
  naseweise Kabbalist vermag!« -- Schnell mußte Fräulein Ännchen ihm
  mit dem Küchenbesen die gehackten Eier, die Muskatenblüten, die
  geriebene Semmel abkehren, dann ergriff er einen kupfernen Kochtopf,
  stülpte ihn wie einen Helm auf den Kopf, nahm eine Schmorpfanne in die
  linke, in die rechte Hand aber einen großen eisernen Küchenlöffel und
  sprang so gewaffnet und gewappnet hinaus ins Freie. Fräulein Ännchen
  gewahrte, wie Herr Dapsul von Zabelthau im gestrecktesten Laufe nach
  Corduanspitzes Gezelt rannte und doch nicht von der Stelle kam. Darüber
  vergingen ihr die Sinne.
  Als sie sich erholte, war Herr Dapsul von Zabelthau verschwunden, und
  sie geriet in entsetzliche Angst, als er den Abend, die Nacht, ja
  den andern Morgen nicht wiederkehrte. Sie mußte den noch schlimmern
  Ausgang eines neuen Unternehmens vermuten.
  
  Sechstes Kapitel.
   Welches das letzte und zugleich das erbaulichste ist von allen.
  In tiefes Leid versenkt saß Fräulein Ännchen einsam in ihrem Zimmer,
  als die Tür aufging und niemand anders hineintrat als der Herr Amandus
  von Nebelstern. Ganz Reue und Scham, vergoß Fräulein Ännchen einen
  
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