🕥 35-minute read

Deutsche Humoristen, 2. Band (von 8) - 4

Total number of words is 4486
Total number of unique words is 1490
40.5 of words are in the 2000 most common words
53.2 of words are in the 5000 most common words
59.3 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  musterte alle die Herrlichkeiten, die darin waren, und suchte sich
  einen Raum aus, die Nadelbüchse des Martino bequem hinein zu legen.
  Ihr könnt euch meine Verwunderung nicht denken, als ich in dieser
  wüsten Zigeuner-Herberge die Kleine auf einmal in einem so zierlichen
  und reichgefüllten Schmuckkästchen kramen sah. Es sah nicht ganz so
  aus, als sei ein Affe hinter die Toilette seiner Herrschaft geraten,
  auch nicht, als richte der Satan einen Juwelenkasten ein, um einem
  unschuldigen Mädchen die Augen zu blenden; aber eine indianische
  Prinzessin, welche die Geschenke eines englischen Gouverneurs mustert,
  mag wohl so aussehen. Als sie so die Perlen- und Korallenschnüre, die
  brillantenen Ohrringe und die Zitternadeln durch die schwarzen Hände
  laufen ließ, konnte ich vor Augenlust gar nicht denken, daß dies
  gestohlenes Gut sein müsse. Nun stellte sie mehrere Kristall-Fläschchen
  mit Wohlgerüchen und Salben aus dem Kästchen auf den Block, zog feine
  Kämme und Zahnbürsten hervor und begann sich zu putzen und zu schmücken
  wie die Nacht, die mit dem Monde Hochzeit machen will. Sie nahm die
  kleine von buntem Stroh geflochtene Mütze von ihrem Kopf, und ein Strom
  von schwarzen Haaren stürzte ihr über die Schultern; sie gewann dadurch
  ein reizendes und wildes Ansehen, wenn ihre weißen Augäpfel und die
  blanken Zähne aus den schwarzen Mähnen hervor funkelten. Sie kämmte
  sich, schlängelte sich goldene Schnüre in die Zöpfe, die sie flocht
  und kunstreich wie eine Krone um das schöne runde Köpfchen legte. Sie
  wusch sich das Gesicht und die Hände, putzte die Zähne, beschnitt
  sich die Nägel und tat alles mit so unbegreiflicher Zierlichkeit,
  Anmut und hinreißender Schnelligkeit der Bewegungen, daß es mir vor
  den Augen zitterte und bebte. Als sie die brillantenen Ohrringe in
  den kleinen schwarzen Muschel-Öhrchen befestigte und die glitzernden
  Zitternadeln in den Flechtenkranz steckte, und die Korallen und
  Bernsteinschnüre um das braune Hälschen legte, und dabei hin und her
  zuckte wie ein Wunderwerkchen, gingen mir die Augen über. Sie begoß
  sich mit Wohlgerüchen, rieb sich die schwarzen Patschchen mit duftendem
  Öl und steckte sich ein blitzendes Ringlein um das andere an die
  schlanken Fingerchen. Nun stellte sie einen Spiegel auf und bleckte
  die Zähnchen so artig hinein, es ist nicht zu beschreiben. Und bei
  allem dem donnerte und blitzte es draußen, und ihre Eile ward immer
  größer. Ich verstehe mich auf Lichtwirkungen in der Nacht, aber ich
  habe mein Lebtag kein solches Feuerwerk gesehen, kein Blitzen auf so
  schönem dunkeln Grund, als das Spiel der Diamanten und Perlen auf ihr;
  denn sie war ein wunderschönes, frei, kühn, scheu und züchtig bewegtes
  Menschenbild.
  Flüchtig packte sie nun alle Geräte wieder in das Kästchen, steckte
  noch eine handvoll weißes Zuckerwerk in das Mäulchen und knupperte wie
  eine Maus, sah mit scheuen Blicken um sich her, ob wir auch schliefen,
  während sie das Kästchen wieder unter die alte Trommel stellte. Die
  schwarze Katze, die auf derselben schlief, erhob sich dabei und machte
  einen hohen Buckel, als wundere sie sich über sie, da sie ihr mit den
  funkelnden Händen über den Rücken strich. Nun brachte sie ein feines
  Hemd von weißer Seide, legte es über den Arm und fing an, ihr Mieder
  aufzuschnüren, wobei sie uns den Rücken kehrte. Es sah aus, als werfe
  sie Kußhändchen aus, wenn sie die Nestel zog. Nun aber schlüpfte
  sie in die Küche und trat in wenigen Minuten wieder herein in einem
  schneeweißen Röckchen und einem Mieder von rotem venetianischem Sammet.
  So stand sie mitten auf der Decke und betrachtete ihren Staat mit
  kindischem Wohlgefallen. Der Donner rollte heftiger, Martino wachte
  auf. Mitidika faßte den Teppich mit beiden Händen über die Schultern,
  stieß mit dem Fuße die Kienfackel aus, wickelte sich schnell ein wie
  eine Schmetterlings-Larve, ein heller Blitz erleuchtete die Kammer, sie
  schoß wie eine Schlange an die Erde nieder und krümmte sich zusammen.
  Martino hatte sie im Leuchten des Blitzes noch gesehen, aber er wußte
  nicht, was es war; er sprach: »Meister, saht Ihr etwas?« Ich war aber
  so erstaunt, daß ich stumm blieb. Da sprach er: »Mitidika, schläfst
  du?« aber sie schwieg, Martino drehte sich um und schlief auch wieder.
  Meine Gedanken über das, was ich gesehen, ließen mich nicht ruhen, der
  wunderbare Schmuck in dem Besitze der kleinen, braunen Bettlerin, und
  daß sie ihn jetzt so sorgsam und heimlich angelegt, befremdete mich
  ungemein. Alles kam mir wie Zauberei vor. Sie erwartet ein Waldgespenst
  und schmückt sich wie eine Braut. War dies gestohlenes Gut, ist sie
  eine verkleidete, versteckte Prinzessin, warum geht sie in dieser
  Pracht schlafen, und warum wickelt sie sich mit aller Herrlichkeit
  in den alten Teppich ein? Sollte alles dies geheim sein, wie war es
  möglich, da wir sie morgen früh doch in ihrem Putze finden mußten? So
  lag ich nachsinnend; das Gewitter war in vollem Grimm über uns, und das
  Licht der zuckenden Blitze zeigte mir öfters das Bild der Mitidika,
  welche wie eine Mumie, in den Teppich gehüllt, an der Erde ausgestreckt
  lag. Als ich aber durch das wilde Wetter ein Horn schallen hörte, stieß
  ich Martino an und flüsterte ihm zu: »Halte dich bereit, ich glaube,
  der wilde Jäger ist im Anzuge.« Wir hörten das Horn nochmals und
  Pferdegetrapp und Gewieher, und ich bemerkte, daß Mitidika aufstand.
  Ich kroch aber quer vor die offene Küchentür, und als sie mit dem Fuß
  an mich anstieß, glaubte sie umgegangen zu sein und wendete sich nach
  einer andern Seite: Martino stand auf, die Haustür öffnete sich, und
  es trat eine Gestalt mit raschem Tritte durch die Küche auf uns zu.
  Ich faßte sie bei den Beinen, daß sie niederschlug, und Martino drosch
  so gewaltig auf ihn los, daß der wilde Jäger zetermordio zu schreien
  begann. »Mitidika, Hilfe, Hilfe! man mordet mich!« schrie er. »Ha,
  ha! Herr wilder Jäger,« schrie nun Martino, »wir haben dich!« Und so
  zerrten wir ihn in die Stube herein und machten die Türe zu.
  Der Lärm ward allgemein; der Kerl wehrte sich verzweifelt. Meine
  Marinina erwachte und schrie: »Jesus, Maria, Josef! Licht her, Licht
  her, was ist das, o Baciochi, Martino!« Die Alte fuhr aus ihren Betten
  auf, warf die alten Bretter um, die vor ihr standen, und schrie:
  »Mörder, Hilfe, Mitidika!« Dabei wurden die Hühner auf dem Boden
  rebellisch, die Trommel kollerte brummend durch die Stube. Mitidika
  allein ließ sich nicht hören. »Martino, schlage Feuer!« rief ich, und
  drückte meinen fremden Gast fest in die Gurgel, daß er sich nicht
  rühren konnte. Da stieß Martino einen Schwärmer in die glühende Asche
  des Herdes, der leuchtend durch die Kammer zischte und dem ganzen
  Spektakel ein noch tolleres Ansehen gab. Mein Gefangener fing von
  neuem an zu ringen, und indem ich ihn gegen die Wand drückte, trat ich
  gegen einige Bretter, die auswichen, ich warf ihn nieder. Ein großer
  Bock, der hinter den Brettern geruht hatte, sprang auf und fing nicht
  schlecht an zu stoßen, und ich warf meinen wilden Jäger so kräftig zur
  Erde, daß er keinen Laut mehr von sich gab. Martino brachte nun eine
  brennende Kienfackel herein, und wir sahen die ganze Verwirrung. Der
  wilde Jäger war ein schöner, schlanker Kerl in galanter Jagduniform.
  Er rührte sich nicht. Der Gedanke, daß ich ihn gar totgedrückt hätte,
  fuhr mir unheimlich durch die Glieder, ich stürzte zur Küche nach
  Wasser. Martino faßte die Alte, die fluchend und schreiend aus dem
  Bette gesprungen war, und warf sie wieder in die Federn mit den Worten:
  »Schweig still, Drache! wir wollen dir kein Haar krümmen; wir haben
  nur den wilden Jäger abgefangen.« Nun trat ich mit einem Eimer Wasser
  hinein und goß ihn pratsch! über den leblosen wilden Jäger; da sprang
  er wie eine nasse Katze in die Höhe.«
  »Das Wasser, das kalte Wasser,« schrie hier Devillier aufspringend,
  »war das Allerfatalste!« Und die ganze Gesellschaft sah ihn verwundert
  an. »Nun, was schauen Sie,« fuhr er fort, »soll ich länger schweigen?
  Habe ich nicht schrecklich ausgehalten und mich hier in der Erzählung
  nochmals mißhandeln lassen?« Baciochi wußte nicht, was er vor Erstaunen
  sagen sollte über Devilliers Unterbrechung. Dieser aber sprach heiter:
  »Ja, Herr Baciochi, ich war der wilde Jäger, mich habt Ihr so kräftig
  zugedeckt, ich habe es von Anfang der Geschichte gewußt und hätte gern
  geschwiegen, aber das kalte Wasser lief mir wieder erweckend über den
  Rücken.« Da ward die ganze Gesellschaft vergnügt, der Feuerwerker
  reichte Devillier die Hand, und dieser sagte: »Es freut mich, Euch
  wieder zu sehen, alles ist längst vergessen, nur Mitidika nicht!«
  -- »Das will ich hoffen,« meinte der Zigeuner ernsthaft, »ich bitte
  mir das Ende der Geschichte aus.« Da tranken alle lustig herum, und
  Devillier trank die Gesundheit der Mitidika, wozu Michaly einen Tusch
  geigte und Lindpeindler das hochpoetische freie Leben der Zigeuner
  pries, der Vizegespann meinte jedoch: sie hätten nicht die reinsten
  Hände. Die Kammerjungfer aber fragte: »Wo hat sie nur den Schmuck
  hergehabt?« Der Tiroler sagte: »Den wilda Jaaga hobts maisterli
  zuagdeckt!« und alle drangen, Devillier möge weiter erzählen.
  »Wohlan!« sagte dieser: »Ich hatte damals Geschäfte mit der
  Contrebande, und manche andere politische Berührungen diesseits und
  jenseits auf der Grenze. Ich dirigierte den ganzen Schleichhandel
  und forschte auf höhere Veranlassung dem Orden der Carbonari nach.
  Auf meinen Streifereien hatte ich Mitidika kennen gelernt und mich
  leidenschaftlich in dies schöne, unschuldige und geistvolle wilde
  Naturkind verliebt. In bestimmten Nächten besuchte ich sie. Der
  Schmuck, den Ihr, Baciochi, sie anlegen sahet, war ein Geschenk von
  mir. Sie hatte den Glauben der Alten an den wilden Jäger benutzt, um
  sich unentdeckt einige Stunden von mir unterhalten zu lassen. Wenn
  ich kommen sollte, schmückte sie sich immer wie eine Zauberin; ich
  setzte sie dann auf mein Pferd und brachte sie nach einer Höhle,
  eine Viertelstunde von ihrer Hütte, welche das Warenlager meines
  Schleichhandels war. Da saß sie in einem mit dem feinsten englischen
  bunten Kattun ausgeschlagenen Raume mit mir, und ergötzte mich und
  meinen verstorbenen Freund mit Tanz, Gesang und freundlicher Rede.
  Gegen Morgen ging sie zurück, einen Bündel Holz in die Küche tragend,
  und wurde von der Großmutter wegen ihres Fleißes gelobt.
  Ich liebte sie unaussprechlich um ihrer Tugend und Schönheit, und
  ihr ganzes Wesen war so wunderbar, und bei allem Mutwillen und aller
  kindlichen Ergebenheit so gebieterisch, daß ich nie daran denken
  konnte, ihre Unschuld auch nur mit einem Gedanken zu verletzen. O, sie
  war gar nicht mehr wie ein Mensch, sie war wie eine Zauberin, wie ein
  Berggeist, wenn sie in dem Edelsteinschmucke vor uns tanzte, sang,
  lachte und weinte. Ich kann sie nie vergessen. In der Nacht, wo Ihr
  und Martino mich so häßlich zerprügeltet, ging die ganze Herrlichkeit
  zu Ende. Anfangs hielt ich meine Angreifer für italienische Gendarmen,
  die mir auf die Spur kamen; als wir uns aber erklärt hatten, nahm mir
  die Entdeckung vom Gegenteil allen Zorn hinweg, und unsere erste Sorge
  war: wo Mitidika hingekommen sei. Die alte Zigeunerin jammerte auch
  nach ihr, wir suchten alle Winkel aus und fanden sie nicht, bis die
  Alte die Leiter vermißte. Baciochi sagte: zur Türe könne sie nicht
  hinausgekommen sein, er habe davor gelegen. Da machte uns der Regen,
  der durch das Loch in der Decke hereinströmte, aufmerksam. Martino
  kletterte auf den Schultern Baciochis hinan und fand die Leiter.
  Aber Mitidika, welche die Leiter nach sich gezogen, war durch das
  Strohdach hinausgeklettert und nirgends zu finden. Ich eilte nach der
  Tür und vermißte mein Pferd, nun war ich gewiß, daß sie nach meinem
  Schlupfwinkel entflohen sein müsse und war ruhig. Ich durfte diesen
  weder an Baciochi noch an die Zigeunerin, die nichts von meinem
  Verhältnisse mit Mitidika wußte, verraten und suchte deshalb noch
  lange mit. Das Wetter war aber so abscheulich, daß wir bald wieder
  zurückkehrten, und die Alte jammerte nicht mehr lange, da hörten wir
  Hufschlag, und Mitidika stürzte in ihrem ganzen Schmucke mit wilder
  Gebärde in die Stube auf mich zu: »Geschwind fort, geflohen!« schrie
  sie. »Die italienischen Gendarmen streifen in der Nähe, Euren Freund
  haben sie mit einem ganzen Zuge Schleichhändler gefangen; es ist ein
  Glück, daß hier der Spektakel losging, ich bin aus Angst durch das Dach
  geschlüpft, dadurch habe ich die Gefahr zuerst entdeckt. Geschwind
  fort!« »Wohin?« schrie ich und Baciochi. Martino und Marinina, die
  sich auch vor der Entdeckung fürchteten, folgten alle mit mir der
  treibenden Mitidika zur Türe hinaus. Sie schwang sich auf mein Pferd,
  ich hinter sie, und so sprengten wir beide nach unserem Schlupfwinkel,
  unbekümmert um Euch, Herr Baciochi, und die Eurigen.«
  »Ja,« sagte der Feuerwerker, »Ihr rittet nicht schlecht, und wir hatten
  in dem wilden Wetter übles Nachsehen, übrigens war es Euch nicht zu
  verargen, daß Ihr uns nicht eingeladen mitzugehen, wir hatten Euch
  schlecht bewillkommt. Ich will mein Lebtag an den Mordweg denken. Meine
  Marinina ward krank und starb zwei Monate nachher in Kroatien. Gott
  habe sie selig! Martino ließ sich bei der österreichischen Artillerie
  anwerben und war neulich mit in Neapel, wenn er noch lebt. Ich fand
  mein Brot, Gott sei gelobt! bei unserem gnädigen Herrn. Es freut mich,
  daß Ihr so gut davon gekommen. Aber was ist denn aus der braunen
  Mitidika geworden?«
  »Ja, wer das wüßte!« sagte Devillier; »wir kamen vor der Höhle an und
  zogen das Pferd herein. Sie war voll Sorge um mich, wusch mir meine
  Kopfwunden und Beulen mit Wein und bewies mir unendliche Liebe. So
  brachten wir die Nacht in steter Angst und Sorge zu. Gegen Morgen hatte
  sie keine Ruhe mehr, sie verlangte nach der alten Mutter; sie beschwor
  mich, sogleich die Höhle zu verlassen und zu fliehen. Das Schicksal
  meines Freundes erschütterte mich tief, ich war entschlossen, ihn
  aufzusuchen. Sie schwur mir ewige Treue. Ich versprach ihr, wenn ich
  sie nach einiger Zeit hier wieder fände, sie zu meiner Frau zu machen.
  Sie lachte und meinte: sie wolle nie einen Mann, der kein Zigeuner sei,
  und nun auch keinen Zigeuner; sie wolle gar keinen Mann. Dabei scherzte
  und weinte sie, tanzte und sang sie noch einmal vor mir, und als ich
  sie umarmen wollte, schlug sie mich ins Gesicht und floh zur Höhle
  hinaus. Ich verließ den Ort gegen Abend.
  Als ich vom Tode meines Freundes gehört hatte und zu Mitidika
  zurückkehrte, war ihre Hütte abgebrannt; ich ging nach der Höhle, sie
  war ausgeplündert. Auf der Wand aber fand ich mit Kohle geschrieben:
  Wie gewonnen, so zerronnen! Ich behalte dich lieb, tue, was du kannst,
  ich will tun, was ich muß. Ich habe das holdselige Geschöpf durch
  ganz Ungarn aufgesucht, aber leider nicht wiedergefunden; hundert
  Mitidikas sind mir vorgestellt worden, aber keine war die rechte.«
  »Es gibt auch nur eine,« sagte hier Michaly, »und wird alle tausend
  Jahre nur eine geboren.« »Kennt Ihr sie?« sprach Devillier heftig.
  »Was geht es Euch an,« erwiderte Michaly, »ob ich sie kenne? Habt Ihr
  nicht die Ehe ihr versprochen und doch eine Ungarin geheiratet? Sie
  hat Euch Treue gehalten, bis jetzt, sie ist meine Schwester, und ich
  wollte sie abholen, da die Großmutter in Siebenbürgen gestorben, wo sie
  sich mit Goldwaschen ernährten, der Pest-Cordon hat mir aber den Weg
  abgeschnitten.«
  Da ward Devillier äußerst bewegt. Er sagte: »Ich habe sie lange gesucht
  und nicht gefunden, sie hatte mir ausdrücklich gesagt, sie werde nie
  einem Blanken die Hand reichen, und nun auch keinem Zigeuner; nur in
  der Hoffnung, sie wieder zu sehen, blieb ich jetzt in Ungarn, und ich
  würde nicht die Mittel gehabt haben, hier zu bleiben, wenn ich die
  alte Dame nicht geheiratet hätte, die mir jetzt mein schönes Gütchen
  zurückgelassen. Könnt Ihr mich mit Mitidika wieder zusammenbringen,
  so will ich sie gern heiraten und ihr alles lassen, was ich habe.«
  »Das ist ein nicht zu verachtender Vorschlag, Michaly,« sagte der
  Vizegespann, »schlagt das nicht so in den Wind, Ihr habt Zeugen!«
  Michaly aber lachte und sprach: »Mitidika wird nicht an dem Stückchen
  Erde kleben, sie wird nicht in einem gemauerten Hause gefangen sein
  wollen und sich um Abgaben und Zinsen zerquälen. Wer nichts hat, hat
  alles. Es war immer ihr Sprichwort: Der Himmel ist mein Hut; die Erde
  ist mein Schuh; das heilige Kreuz mein Schwert; wer mich sieht, hat
  mich lieb und wert.«
  »Das ist echt zigeunerisch gesprochen,« sagte der Vizegespann, »drum
  bleibt ihr auch immer vogelfreies Gesindel.« Michaly nahm seine Geige
  und wollte ein Lied auf die Freiheit singen, aber der Nachtwächter
  blies zwölf Uhr und mahnte die Gesellschaft zur Ruhe. Lindpeindler
  hatte mit dem Feuerwerker und der Kammerjungfer, welche durch die
  erwachte Neigung Devilliers für Mitidika sehr gekränkt worden war,
  denn sie spitzte sich selbst auf ihn, noch eine Viertelstunde nach
  dem Edelhof. Als sie sich der Gesellschaft empfahlen, bot Devillier
  der Zofe seine Begleitung an. Sie sagte aber: »Ich danke, ich möchte
  das werte Andenken an die unbeschreibliche Mitidika nicht stören.«
  Damit machte sie einen höhnischen Knicks und verließ die Stube mit
  Lindpeindler, der diese Nacht als eine der romantischsten seines
  Lebens pries. Der Kroate, der Tiroler und der Savoyarde waren bereits
  eingeschlummert, und der Vizegespann lud Wehmüllern, der mit seiner
  Arbeit ziemlich fertig war, wie auch den Zigeuner und Devillier zu
  sich in sein Haus ein. Sie nahmen es mit Freuden an, da sie dort doch
  ein Bett zu erwarten hatten. Frau Tschermack, die Wirtin, ward bezahlt
  und schloß die Türe mit der Bitte zu: wenn sie länger hier blieben,
  nochmals eine so schöne Gesellschaft bei ihr zu halten.
  Vor Schlafengehen wußten Devillier und der Zigeuner den Vizegespann
  zu bereden, am andern Morgen den Cordon mit durchschleichen zu dürfen,
  denn Michaly und Devillier sehnten sich ebensosehr nach Mitidika, die
  jenseits war, als Wehmüller nach seiner Tonerl. Sie schliefen bis zwei
  Uhr, da packte der Vizegespann jedem eine Jagdflinte auf, und sie
  zogen, als Jäger, einem Waldrücken zu. Aber kaum waren sie hundert
  Schritte vor dem Dorf, als sie seitwärts bei den Cordon-Piketten
  verwirrtes Lärmen und Schießen hörten, und bald einen Husaren, dem das
  Pferd erschossen war, querfeldein laufen sahen, welcher auf das Anrufen
  des Vizegespanns schrie: »+Cordonus est ruptus cum armis in manibus a
  pestiferatis loci vicini!+« »Der Cordon ist mit bewaffneter Hand von
  den Pestkranken des benachbarten Ortes durchbrochen!«
  Als der Vizegespann dies hörte, ließ er seine Gesellschaft im Stich und
  lief über Hals und Kopf nach dem Dorfe zurück, um seine Bauern unter
  die Waffen zu bringen. Wehmüller und der Zigeuner schrieen: »Gott sei
  Dank, nun laßt uns eilen!« Devillier besann sich auch nicht lange,
  und sie liefen spornstreichs nach dem verlassenen Pikett-Feuer hin,
  wo sie Bauern beschäftigt fanden, unter großem Geschrei das Brot und
  die andern Vorräte zu teilen, welche das Pikett zurückgelassen hatte.
  Als sie sich näherten, kam ihnen ein Reiter entgegen und schrie:
  »Steht, oder ich schieße Euch nieder!« Sie standen und warfen die
  Waffen hinweg. Sie wurden gefragt: wer sie seien? Und als sie erklärt,
  sie wollten über den Cordon, und der Reiter ihre Stimme vernommen,
  stürzte er vom Pferd und fiel dem Zigeuner und Devillier wechselweise
  um den Hals, und schrie immer: »Michaly! Devillier! Ich bin Mitidika!«
  Vor Freude des Wiedersehens ganz zitternd, riß das Mädchen sie in
  die Erdhütte des Piketts, wo sie dieselbe in männlicher Kleidung,
  mit Säbel und Pistole bewaffnet, erkannten, und sie wollte eben zu
  erzählen anfangen, als sie Wehmüllern scharf ansah und zu ihm sprach:
  »Bist du noch immer hier, Betrüger? ich meinte, du seiest gestern zu
  deiner angeblichen Frau nach Stuhlweißenburg gereist.« Alle sahen
  bei diesen Worten auf den bestürzten Wehmüller; dieser sperrte das
  Maul auf vor Verwunderung. »Ich?« fragte er endlich, »ich, gestern
  zu meiner angeblichen Frau?« »Ja, Du!« sagte Mitidika. »Du, der Du
  Dich Wehmüller nennst, und es nicht bist; Du, der Du deine Frau nicht
  einmal kennst.« »O, das ist um rasend zu werden!« schrie Wehmüller.
  »Welche tollen Beschuldigungen, und das von einer wildfremden Person,
  die ich niemals gesehen.« »Unverschämter Gesell!« schrie Mitidika, »Du
  kennst mich nicht? Hast du mir nicht seit mehreren Tagen mit deinen
  Liebes-Versicherungen zugesetzt? Hat der wirkliche Wehmüller dir
  nicht deswegen schon ins Gesicht bewiesen, daß du Wehmüller nicht sein
  könnest, weil der rechte Wehmüller an niemand denkt als an sein liebes
  Tonerl?« »Der rechte Wehmüller?« schrie nun Wehmüller, »wo haben Sie
  den je gesehen? er wenigstens kennt Sie nicht.« »Kennt mich nicht?«
  erwiderte Mitidika, »und reist mit mir?« »Ich werde verrückt!« schrie
  Wehmüller, »nun ist gar noch ein Dritter auf dem Tapet; wo sind die
  zwei andern? Geschwind, ich will sie sehen, ich will sie erwürgen!«
  »Den Dritten lügst Du hinzu,« versetzte Mitidika, »der echte wird
  nicht weit von hier sein; ich will ihn holen, da sollst du beschämt
  werden.« Nun lief sie schnell zur Hütte hinaus. Dieser Wortwechsel war
  so schnell und heftig, und die Veranlassung so wunderbar, daß Michaly
  und Devillier nicht Zeit hatten, dem verblüfften Maler zu bezeugen, daß
  er seit gestern in ihrer Gesellschaft sei und unmöglich der sein könne,
  welchen Mitidika kannte.
  Sie waren eben noch beschäftigt, den weinenden Wehmüller zu trösten,
  als eine ganz ähnliche Figur, wie er selbst, in die Hütte trat; bei
  dem erloschenen Feuer war es unmöglich, jemand bestimmter zu erkennen.
  Kaum hatte Wehmüller sein Ebenbild in derselben Gestalt und Kleidung
  erkannt, als er wie eine Furie darauf losstürzte; der andre tat ein
  Gleiches, und beide schrieen: »Ha, ertappe ich dich bei Deiner
  Buhlerei unter meinem ehrlichen Namen!« Sie rissen sich wie zwei Hähne
  herum. Devillier und Michaly brachten sie mit Gewalt auseinander,
  und Mitidika führte den dritten Wehmüller herein. Wie groß war die
  Bestürzung aller, da nun wirklich drei Wehmüller zugegen waren. »Nein,
  das ist zum verzweifeln!« rief der Wehmüller, den Mitidika mitgebracht
  hatte, »da ist noch einer!« »Herr Jesus!« schrie nun unser Wehmüller,
  »Tonerl, bist du es, bist du hier, Tonerl?« »Franzerl, lieber
  Franzerl?« schrie der andere, und sie sanken sich als Mann und Frau in
  die Arme. Da wurde es dem einen Wehmüller, den Devillier festhielt,
  nicht recht wohl, und er sank vor Schreck zur Erde. Michaly schürte
  nun das Feuer wieder an, daß man sehen konnte, und Mitidika bezeugte
  die größte Freude, daß Tonerl, die in einem ganz ähnlichen Kleide,
  wie ihr Mann, von Stuhlweißenburg mit ihr diesem entgegen gereist
  war, ihn endlich gefunden habe, nachdem sie zu ihrem großen Schrecken
  von dem falschen Wehmüller in dem Dorfe, das man wegen Pestverdacht
  eingeschlossen, sehr geplagt worden war, ohne sich ihm als Wehmüllers
  Weib zu entdecken, denn sie war auf einen alten Paß ihres Mannes
  gereist.
  Sie hatten sich kaum von der ersten Freude erholt, als Mitidika sagte:
  »Wir müssen doch den falschen Wehmüller, der die Sprache verloren
  hat, wieder zu sich bringen.« Da aber ihr Rütteln und Schütteln ganz
  vergeblich war, sagte sie: »Ich habe ein untrüglich Mittel von der
  seligen Großmutter gelernt; das Herz ist ihm gefallen, wir wollen es
  ihm wieder heraufziehen.« Da nahm sie ein Schoppenglas und gab es
  Michaly nebst einem Endchen Licht, -- das sie am Feuer anzündete, --
  und einem Scheibchen Brot. »Aha, ich weiß schon,« sagte Michaly, und
  öffnete dem Ohnmächtigen die Weste über dem Magen, setzte ihm das
  Licht, auf der Brotscheibe befestigt, auf den Leib und stülpte das
  Glas darüber. Das brennende Licht, welches die Luft unter dem Glase
  verzehrte, machte ihm den Leib, wie in einem Schröpfkopf in das Glas
  aufsteigen. Die ganze Gesellschaft lachte über dieses zigeunerische
  Kunststück, und der falsche Wehmüller kam bald zu Sinnen. Der echte
  ging auf ihn zu und sprach: »Wer sind Sie, der auf eine so unverschämte
  Weise meinen Namen mißbrauchte?« Da antwortete der Patient, welchen
  Devillier und Michaly an der Erde festhielten: »Was Kuckuck habe ich
  auf dem Leib? Es ist, als wollten Sie mir den Magen herausreißen; tun
  Sie mir die vermaledeite Laterne vom Leib, eher sage ich kein Wort;
  ich bin Wehmüller und bleibe Wehmüller!« »Gut,« sagte Mitidika, »wenn
  du noch nicht bei Sinnen bist, wollen wir dir etwas Süßes eingeben.«
  »Recht,« sagte Michaly, »Katzenkot mit Honig, Zigeunertheriak.« Auf
  dieses Rezept bekam der Patient andere Gesinnung und sprach: »Um
  Gotteswillen, laßt mich aufstehen, ich will alles bekennen! Ich bin der
  Maler Froschauer von Klagenfurt.«
  »Das habe ich gleich gedacht,« sagte Wehmüller, »jetzt habe ich Sie
  in meinen Händen, ich kann Sie als einen Falsarius bei der Obrigkeit
  angeben, aber ich will großmütig sein, wenn Sie mir einen körperlichen
  Eid schwören: daß Sie auf ewige Tage resignieren, ungarische
  Nationalgesichter in meiner Manier zu malen.« »Das ist sehr hart,«
  sagte Froschauer, »denn ich habe ganz darauf studiert und müßte
  verhungern; den Eid kann ich nicht schwören.« »Er ist noch hartnäckig!«
  sagte Michaly; »geschwind den Zigeunertheriak her!« Und da Mitidika
  sich stellte, als wolle sie ihm etwas eingeben, entschloß er sich kurz
  und schwor alles, was man haben wollte; worauf sie ihn losließen und
  ihm die Laterne vom Leibe nahmen.
  Die Freude und der Mutwille ward nun allgemein. Aber der Tag näherte
  sich, und Mitidika rief eben die Cordonbrecher zusammen, um mit ihrem
  erbeuteten Proviante sich dahin zurück zu ziehen, wo sie hergekommen
  waren. Aber der Vizegespann kam mit dem Kroaten, dem Feuerwerker,
  dem Gutsbesitzer und einigen Heiducken und Panduren herbei und
  brachte die freudige Nachricht, daß sie gar nicht nötig hätten,
  sich zurückzuziehen, denn der Cordon-Kommandant habe soeben bekannt
  gemacht: nur durch Mißverständnis sei das Dorf, in dem sie vierzehn
  Tage blockiert waren, in den Cordon eingeschlossen worden. Es solle
  ihnen deshalb verziehen sein, daß sie den Cordon durchbrachen, wenn sie
  dagegen auch keine Klage über den Irrtum erheben wollten. Der Cordon
  habe sich schon nach einer andern Richtung bewegt. Der Gutsbesitzer
  bestätigte dies und lud die Gesellschaft, von der ihm Baciochi, Nanny
  und Lindpeindler so viel Interessantes erzählten, sämtlich nach seinem
  Edelhof ein.
  Die Bauern und Zigeuner, die unter der Anführung Mitidikas den Cordon
  durchbrochen hatten, waren hoch erfreut über diese Nachricht, dankten
  ihrer Anführerin herzlich und kehrten singend nach ihrer Heimat zurück.
  Michaly aber nahm seine Violine und spielte lustig vor der Gesellschaft
  her, die dem Edelmanne folgte. Unterwegs gab es viele Aufklärungen und
  Herzensergießungen. Devillier und Mitidika hatten ihre Neigung bald
  zärtlich erneuert und gingen Arm in Arm, dann aber folgten die drei
  Wehmüller, Tonerl in der Mitte, und die anderen gingen hinterdrein über
  das Stoppelfeld. Mitidika sagte, daß sie Tonerl in Stuhlweißenburg
  kennen gelernt, die, sehr bekümmert über das Ausbleiben ihres Mannes,
  eine Reisegesellschaft nach Kroatien gesucht, und da sie selbst,
  nach dem Tode ihrer Großmutter, zu ihrem Bruder Michaly habe ziehen
  wollen, hätten sie sich entschlossen, zusammen zu reisen in männlicher
  Kleidung. Frau Tonerl sei in einem Habit ihres Mannes und sie als
  ungarischer Arzneihändler gereist, bis sie in dem Dorfe plötzlich von
  dem Cordon eingeschlossen worden seien, wo sie auch Froschauer, unter
  dem Namen Wehmüller, ganz in derselben Kleidung vorgefunden, was die
  arme Tonerl nicht wenig erschreckt habe. Nach vierzehn Tagen sei die
  Ungeduld und der Mangel der Einwohner, die wohl Hunger aber keine Pest
  gehabt, über alle Grenzen gestiegen, und so habe sie sich an ihre
  Spitze gesetzt und den Cordon durchbrochen; das sei ihr aber gar leicht
  geworden, denn die Cordonisten wären, aus Furcht angesteckt zu werden,
  gleich ausgerissen, als sie mit ihrem Haufen unter ihnen erschien.
  Nun mußte Froschauer erzählen. Er war eigentlich ein guter Schelm und
  sagte: »Lieber Herr Wehmüller, ich will Ihnen die Wahrheit sagen;
  der Spaß kostet mich 25 Dukaten und meine Braut. Ich bin der Maler
  Froschauer von Klagenfurt, und liebe die Tochter eines Fleischhauers;
  das Mädchen aber wählte immer zwischen mir und einem wohlhabenden
  Siebmacher, der auch um sie freite. Er setzte dem Vater des Mädchens
  
You have read 1 text from German literature.