Deutsche Humoristen, 2. Band (von 8) - 7

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nicht zu weiße Hand an die Lippen drückte, daß er weit entfernt sei,
dem lieben Papa und der schönsten Tochter auch nur die mindeste
Ungelegenheit zu verursachen. Er führe alles mit sich, was Küche und
Keller zu leisten habe; was aber die Wohnung betreffe, so verlange er
nichts als ein Stückchen Erde und den freien Himmel darüber, damit
seine Leute den gewöhnlichen Reisepalast bauen könnten, in dem er
mitsamt seiner ganzen Dienerschaft, und was derselben noch an Vieh
anhängig, hausen werde.
Über diese Worte des Baron Porphyrio von Ockerodastes wurde Fräulein
Ännchen so vergnügt, daß sie, um zu zeigen, es käme ihr auch eben
nicht darauf an, ihre Leckerbissen Preis zu geben, im Begriff stand,
dem Kleinen Krapfkuchen, den sie von der letzten Kirchweih aufgehoben,
und ein Gläschen Runkelrübengeist anzubieten, wenn er nicht doppelten
Bitter vorziehe, den die Großmagd aus der Stadt mitgebracht und als
magenstärkend empfohlen. Doch in dem Augenblick setzte Corduanspitz
hinzu, daß er zum Aufbau des Palastes den Gemüsegarten erkoren, und hin
war Ännchens Freude! -- Während aber die Dienerschaft, um des Herrn
Ankunft auf Dapsulheim zu feiern, ihre olympischen Spiele fortsetzte,
indem sie bald mit den dicken Köpfen sich in die spitzen Bäuche rannten
und rückwärts überschlugen, bald sich in die Lüfte schleuderten, bald
unter sich kegelten, selbst Kegel, Kugel und Kegler vorstellend u. s.
w., vertiefte sich der kleine Baron Porphyrio von Ockerodastes mit
dem Herrn Dapsul von Zabelthau in ein Gespräch, das immer wichtiger
zu werden schien, bis beide Hand in Hand sich fortbegaben und den
astronomischen Turm bestiegen.
Voller Angst und Schreck lief nun Fräulein Ännchen eiligst nach dem
Gemüsegarten, um zu retten, was noch zu retten möglich. Die Großmagd
stand schon auf dem Felde und starrte mit offnem Munde vor sich her,
regungslos, als sei sie verwandelt in eine Salzsäule wie Loths Weib.
Fräulein Ännchen neben ihr erstarrte gleichermaßen. Endlich schrieen
aber beide, daß es weit in den Lüften umherschallte: »Ach mein Herr
Jemine, was ist denn das für ein Unglück!« -- Den ganzen, schönen
Gemüsegarten fanden sie verwandelt in eine Wüstenei. Da grünte kein
Kraut, blühte keine Staude; es schien ein ödes, verwüstetes Feld.
»Nein,« schrie die Magd ganz erbost, »es ist nicht anders möglich, das
haben die verfluchten kleinen Kreaturen getan, die soeben angekommen
sind -- in Kutschen sind sie gefahren? Wollen wohl vornehme Leute
vorstellen? -- Ha ha! -- Kobolde sind es, glauben Sie mir, Fräulein
Ännchen, nichts als unchristliche Hexenkerls, und hätt' ich nur ein
Stückchen Kreuzwurzel bei der Hand, so sollten sie ihre Wunder sehen.
-- Doch sie sollen nur kommen, die kleinen Bestien, mit diesem Spaten
schlage ich sie tot!« Damit schwang die Großmagd ihre bedrohliche Waffe
hoch in den Lüften, indem Fräulein Ännchen laut weinte.
Es nahten sich indessen jetzt vier Herren aus Corduanspitzes Gefolge
mit solchen angenehmen, zierlichen Mienen und höflichen Verbeugungen,
sahen auch dabei so höchst wunderbar aus, daß die Großmagd, statt, wie
sie gewollt, gleich zuzuschlagen, den Spaten langsam sinken ließ, und
Fräulein Ännchen einhielt mit Weinen.
Die Herren kündigten sich als die den Herrn Baron Porphyrio von
Ockerodastes, genannt Corduanspitz, zunächst umgebenden Freunde an,
waren, wie es auch ihre Kleidung wenigstens symbolisch andeutete, von
vier verschiedenen Nationen, und nannten sich: Pan Kapustowicz aus
Polen, Herr von Schwarzrettig aus Pommern, Signor di Broccoli aus
Italien, Monsieur de Roccambolle aus Frankreich. Sie versicherten in
sehr wohlklingenden Redensarten, daß sogleich die Bauleute kommen und
dem allerschönsten Fräulein das hohe Vergnügen bereiten würden, in
möglichster Schnelle einen hübschen Palast aus lauter Seide aufbauen zu
sehen.
»Was kann mir der Palast aus Seide helfen,« rief Fräulein Ännchen
laut weinend im tiefsten Schmerz, »was geht mich überhaupt euer Baron
Corduanspitz an, da ihr mich um alles schöne Gemüse gebracht habt, ihr
schlechten Leute, und alle meine Freude dahin ist.« Die höflichen Leute
trösteten aber Fräulein Ännchen und versicherten, daß sie durchaus gar
nicht Schuld wären an der Verwüstung des Gemüsegartens, daß derselbe im
Gegenteil bald wieder in einem solchen Flor grünen und blühen werde,
wie ihn Fräulein Ännchen noch niemals und überhaupt noch keinen in der
Welt gesehen.
Die kleinen Bauleute kamen wirklich, und nun ging ein solches tolles,
wirres Durcheinandertreiben auf dem Acker los, daß Fräulein Ännchen
sowohl als die Großmagd ganz erschrocken davon rannten bis an die Ecke
eines Busches, wo sie stehen blieben und zuschauen wollten, wie sich
dann alles begeben würde.
Ohne daß sie aber auch nur im mindesten begriffen, wie das mit rechten
Dingen zugehen konnte, formte sich vor ihren Augen in wenigen Minuten
ein hohes prächtiges Gezelt aus goldgelbem Stoff mit bunten Kränzen
und Federn geschmückt, das den ganzen Raum des großen Gemüsegartens
einnahm, so daß die Zeltschnüre über das Dorf weg bis in den
nahgelegenen Wald gingen und dort an starken Bäumen befestigt waren.
Kaum war das Gezelt fertig, als der Baron Porphyrio von Ockerodastes
mit dem Herrn Dapsul von Zabelthau hinabkam von dem astronomischen
Turm, nach mehreren Umarmungen in die achtspännige Kutsche stieg,
und nebst seinem Gefolge in derselben Ordnung wie er nach Dapsulheim
gekommen, hineinzog in den seidenen Palast, der sich hinter dem letzten
Mann zuschloß.
Nie hatte Fräulein Ännchen den Papa so gesehen. Auch die leiseste Spur
der Betrübnis, von der er sonst stets heimgesucht, war weggetilgt
von seinem Antlitz; es war beinahe, als wenn er lächelte, und dabei
hatte sein Blick in der Tat etwas Verklärtes, das denn wohl auf ein
großes Glück zu deuten pflegt, das jemandem ganz unvermutet über
den Hals gekommen. -- Schweigend nahm Herr Dapsul von Zabelthau
Fräulein Ännchens Hand, führte sie hinein in das Haus, umarmte sie
dreimal hintereinander und brach dann endlich los: »Glückliche Anna
-- überglückliches Kind! -- glücklicher Vater! -- O Tochter, alle
Besorgnis, aller Gram, alles Herzeleid ist nun vorüber! -- Dich trifft
ein Los, wie es nicht so leicht einer Sterblichen vergönnt ist!
Wisse, dieser Baron Porphyrio von Ockerodastes, genannt Corduanspitz,
ist keinesweges ein feindseliger Gnome, wiewohl er von einem dieser
Elementargeister abstammt, dem es aber gelang, seine höhere Natur
durch den Unterricht des Salamanders Oromasis zu reinigen. Aus dem
geläuterten Feuer ging aber die Liebe zu einer Sterblichen hervor,
mit der er sich verband und Ahnherr der illüstersten Familie wurde,
durch deren Namen jemals ein Pergament geziert wurde. -- Ich glaube
dir, geliebte Tochter Anna, schon gesagt zu haben, daß der Schüler
des großen Salamanders Oromasis, der edle Gnome Tsilmenech -- ein
chaldäischer Name, der in echtem reinen Deutsch so viel heißt als
Grützkopf -- sich in die berühmte Magdalena de la Croix, Äbtissin eines
Klosters zu Cordua in Spanien, verliebte, und wohl an die dreißig Jahre
mit ihr in einer glücklichen, vergnügten Ehe lebte. Ein Sprößling
der sublimen Familie höherer Naturen, die aus dieser Verbindung sich
fortpflanzte, ist nun der liebe Baron Porphyrio von Ockerodastes, der
den Zunamen Corduanspitz angenommen, zur Bezeichnung seiner Abstammung
aus Cordua in Spanien, und um sich von einer mehr stolzen, im Grunde
aber weniger würdigen Seitenlinie zu unterscheiden, die den Beinamen
Saffian trägt. Daß dem Corduan ein Spitz zugesetzt worden, muß seine
besonderen elementarisch-astrologischen Ursachen haben; ich dachte noch
nicht darüber nach. Dem Beispiel seines großen Ahnherrn folgend, des
Gnomen Tsilmenech, der die Magdalena de la Croix auch schon seit ihrem
zwölften Jahre liebte, hat dir auch der vortreffliche Ockerodastes
seine Liebe zugewandt, als du erst zwölf Jahre zähltest. Er war so
glücklich, von dir einen kleinen goldnen Fingerreif zu erhalten, und
nun hast du auch seinen Ring angesteckt, so daß du unwiderruflich
seine Braut geworden.« -- »Wie,« rief Fräulein Ännchen voll Schreck
und Bestürzung, »wie? -- seine Braut? -- den abscheulichen kleinen
Kobold soll ich heiraten? Bin ich denn nicht längst die Braut des Herrn
Amandus von Nebelstern? -- Nein! -- nimmermehr nehme ich den häßlichen
Hexenmeister zum Mann, und mag er tausendmal aus Corduan sein oder aus
Saffian!« -- »Da,« erwiderte Herr Dapsul von Zabelthau ernster werdend,
»da sehe ich denn zu meinem Leidwesen, wie wenig die himmlische
Weisheit deinen verstockten irdischen Sinn zu durchdringen vermag!
Häßlich, abscheulich nennst du den edlen elementarischen Porphyrio von
Ockerodastes, vielleicht weil er nur drei Fuß hoch ist, und außer dem
Kopf an Leib, Arm und Bein und anderen Nebensachen nichts Erkleckliches
mit sich trägt, statt daß ein solcher irdischer Geck, wie du ihn dir
wohl denken magst, die Beine nicht lang genug haben kann der Rockschöße
wegen? O meine Tochter, in welchem heillosen Zustande bist du befangen!
-- Alle Schönheit liegt in der Weisheit, alle Weisheit in dem Gedanken,
und das physische Symbol des Gedankens ist der Kopf! -- Je mehr
Kopf, desto mehr Schönheit und Weisheit, und könnte der Mensch alle
übrigen Glieder als schädliche Luxusartikel, die vom Übel, wegwerfen,
er stände da als höchstes Ideal! Woraus entsteht alle Beschwerde,
alles Ungemach, alle Zwietracht, aller Hader, kurz alles Verderben des
Irdischen, als aus der verdammten Üppigkeit der Glieder? -- O welcher
Friede, welche Ruhe, welche Seligkeit auf Erden, wenn die Menschheit
existierte ohne Leib, Steiß, Arm und Bein! -- wenn sie aus lauter
Büsten bestünde! -- Glücklich ist daher der Gedanke der Künstler, wenn
sie große Staatsmänner oder große Gelehrte als Büste darstellen, um
symbolisch die höhere Natur anzudeuten, die ihnen inwohnen muß vermöge
ihrer Charge oder ihrer Bücher! -- Also! meine Tochter Anna, nichts
von Häßlichkeit, Abscheulichkeit oder sonstigem Tadel des edelsten der
Geister, des herrlichen Porphyrio von Ockerodastes, dessen Braut du
bist und bleibst! -- Wisse, daß durch ihn auch dein Vater in kurzem die
höchste Stufe des Glücks, dem er so lange vergebens nachgetrachtet,
ersteigen wird. Porphyrio von Ockerodastes ist davon unterrichtet, daß
mich die Sylphide Nehahilah (syrisch, so viel als Spitznase) liebt, und
will mir mit allen Kräften beistehen, daß ich der Verbindung mit dieser
höheren geistigen Natur ganz würdig werde. -- Du wirst, mein liebes
Kind, mit deiner künftigen Stiefmutter wohl zufrieden sein. -- Möge ein
günstiges Verhängnis es so fügen, daß unsere beiden Hochzeiten zu einer
und derselben glücklichen Stunde gefeiert werden könnten!« -- Damit
verließ der Herr Dapsul von Zabelthau, indem er der Tochter noch einen
bedeutenden Blick zugeworfen, pathetisch das Zimmer. --
Dem Fräulein Ännchen fiel es schwer aufs Herz, als sie sich erinnerte,
daß ihr wirklich vor langer Zeit, da sie noch ein Kind, ein kleiner
Goldreif vom Finger abhanden gekommen auf unbegreifliche Weise. Nun war
es ihr gewiß, daß der kleine abscheuliche Hexenmeister sie wirklich in
sein Garn verlockt, so daß sie kaum mehr entrinnen könne, und darüber
geriet sie in die alleräußerste Betrübnis. Sie mußte ihrem gepreßten
Herzen Luft machen, und das geschah mittels eines Gänsekiels, den
sie ergriff und flugs an den Herrn Amandus von Nebelstern schrieb in
folgender Weise:
»Mein herzliebster Amandus!
Es ist alles rein aus, ich bin die unglücklichste Person auf der
ganzen Erde und schluchze und heule vor lauter Betrübnis so sehr,
daß das liebe Vieh sogar Mitleid und Erbarmen mit mir hat, viel mehr
wirst du davon gerührt werden; eigentlich geht das Unglück auch dich
ebensogut an als mich, und du wirst dich ebenso betrüben müssen!
Du weißt doch, daß wir uns so herzlich lieben, als nur irgend ein
Liebespaar sich lieben kann, und daß ich deine Braut bin, und daß
uns der Papa zur Kirche geleiten wollte? -- Nun! da kommt plötzlich
ein kleiner garstiger gelber Mensch in einer achtspännigen Kutsche,
von vielen Herrn und Dienern begleitet, angezogen und behauptet, ich
hätte mit ihm Ringe gewechselt und wir wären Braut und Bräutigam!
-- Und denke einmal, wie schrecklich! der Papa sagt auch, daß ich
den kleinen Unhold heiraten müsse, weil er aus einer sehr vornehmen
Familie sei. Das mag sein, nach dem Gefolge zu urteilen und den
glänzenden Kleidern, die sie tragen, aber einen solchen greulichen
Namen hat der Mensch, daß ich schon deshalb niemals seine Frau
werden mag. Ich kann die unchristlichen Wörter, aus denen der Name
besteht, gar nicht einmal nachsprechen. Übrigens heißt er aber auch
Corduanspitz, und das ist eben der Familienname. Schreib' mir doch,
ob die Corduanspitze wirklich so erlaucht und vornehm sind, man wird
das wohl in der Stadt wissen. Ich kann gar nicht begreifen, was dem
Papa einfällt in seinen alten Tagen, er will auch noch heiraten,
und der häßliche Corduanspitz soll ihn verkuppeln an eine Frau, die
in den Lüften schwebt. -- Gott schütze uns! -- Die Großmagd zuckt
die Achseln und meint, von solchen gnädigen Frauen, die in der
Luft flögen und auf dem Wasser schwämmen, halte sie nicht viel, sie
würde gleich aus dem Dienst gehen und wünsche meinetwegen, daß die
Stiefmama womöglich den Hals brechen möge bei dem ersten Luftritt zu
St. Walpurgis. -- Das sind schöne Dinge! -- Aber auf dich steht meine
ganze Hoffnung! -- Ich weiß ja, daß du derjenige bist, der da soll
und muß, und mich retten wirst aus großer Gefahr. Die Gefahr ist da,
komm, eile, rette
deine bis in den Tod betrübte, aber getreueste Braut
Anna von Zabelthau.
N.S. könntest du den kleinen gelben Corduanspitz nicht herausfordern?
Du wirst gewiß gewinnen, denn er ist etwas schwach auf den Beinen.
N.S. Ich bitte dich nochmals, ziehe dich nur gleich an und eile zu
deiner unglückseligsten, so wie oben, aber getreuesten Braut Anna von
Zabelthau.«

Viertes Kapitel.
In welchem die Hofhaltung eines mächtigen Königs beschrieben,
nächstdem aber von einem blutigen Zweikampf und andern seltsamen
Vorfällen Nachricht gegeben wird.
Fräulein Ännchen fühlte sich vor lauter Betrübnis wie gelähmt an allen
Gliedern. Am Fenster saß sie mit übereinander geschlagenen Armen und
starrte hinaus, ohne des Gackerns, Krähens, Mauzens und Piepens des
Federviehs zu achten, das, da es zu dämmern begann, wie gewöhnlich von
ihr zur Ruhe gebracht werden wollte. Ja, sie ließ es mit der größten
Gleichgültigkeit geschehen, daß die Magd dies Geschäft besorgte und
dem Haushahn, der sich in die Ordnung der Dinge nicht fügen, ja sich
gegen die Stellvertreterin auflehnen wollte, mit der Peitsche einen
ziemlich derben Schlag versetzte. Der eigne Liebesschmerz, der ihre
Brust zerriß, raubte ihr alles Gefühl für das Leid des liebsten
Zöglings ihrer süßesten Stunden, die sie der Erziehung gewidmet, ohne
den Chesterfield oder den Knigge zu lesen, ja ohne die Frau von Genlis
oder andere seelenkennerische Damen zu Rate zu ziehen, die auf ein Haar
wissen, wie junge Gemüter in die rechte Form zu kneten. -- Man hätte
ihr das als Leichtsinn anrechnen können. --
Den ganzen Tag hatte sich Corduanspitz nicht sehen lassen, sondern war
bei dem Herrn Dapsul von Zabelthau auf dem Turm geblieben, wo sehr
wahrscheinlich wichtige Operationen vorgenommen sein mußten. Jetzt
aber bemerkte Fräulein Ännchen den Kleinen, wie er im glühenden Schein
der Abendsonne über den Hof wankte. Er kam ihr in seinem hochgelben
Habit garstiger vor als jemals, und die possierliche Art, wie er
hin und her hüpfte, jeden Augenblick umzustülpen schien, sich wieder
empor schleuderte, worüber ein anderer sich krank gelacht haben
würde, verursachte ihr nur noch mehr Gram. Ja sie hielt endlich beide
Hände vors Gesicht, um den widerwärtigen Popanz nur nicht ferner
zu schauen. Da fühlte sie plötzlich, daß jemand sie an der Schürze
zupfe. »Kusch, Feldmann!« rief sie, meinend, es sei der Hund, der
sie zupfe. Es war aber nicht der Hund, vielmehr erblickte Fräulein
Ännchen, als sie die Hände vom Gesicht nahm, den Herrn Baron Porphyrio
von Ockerodastes, der sich mit einer beispiellosen Behendigkeit auf
ihren Schoß schwang und sie mit beiden Armen umklammerte. Vor Schreck
und Abscheu schrie Fräulein Ännchen laut auf und fuhr von dem Stuhl
in die Höhe. Corduanspitz blieb aber an ihrem Halse hängen und wurde
in dem Augenblick so fürchterlich schwer, daß er mit einem Gewicht
von wenigstens zwanzig Zentnern das arme Ännchen pfeilschnell wieder
herabzog auf den Stuhl, wo sie gesessen. Jetzt rutschte Corduanspitz
aber auch sogleich herab von Ännchens Schoß, ließ sich so zierlich und
manierlich, als es bei einigem Mangel an Gleichgewicht nur in seinen
Kräften stand, nieder auf sein rechtes kleines Knie und sprach dann mit
einem klaren, etwas besonders, aber nicht eben widerlich klingenden
Ton: »Angebetetes Fräulein Anna von Zabelthau, vortrefflichste Dame,
auserwählteste Braut, nur keinen Zorn, ich bitte, ich flehe! -- nur
keinen Zorn, keinen Zorn! -- Ich weiß, Sie glauben, meine Leute hätten
Ihren schönen Gemüsegarten verwüstet, um meinen Palast zu bauen? O
Mächte des Alls! -- Könnten Sie doch nur hineinschauen in meinen
geringen Leib und mein in lauter Liebe und Edelmut hüpfendes Herz
erblicken! -- Könnten Sie doch nur alle Kardinaltugenden entdecken,
die unter diesem gelben Atlas in meiner Brust versammelt sind! -- O
wie weit bin ich von jener schmachvollen Grausamkeit entfernt, die
Sie mir zutrauen! -- Wie wäre es möglich, daß ein milder Fürst seine
eignen Unterta -- doch halt! -- halt! -- Was sind Worte, Redensarten!
-- Schauen müssen sie selbst, o Braut! ja schauen selbst die
Herrlichkeiten, die Ihrer warten! Sie müssen mit mir gehen, ja mit mir
gehen auf der Stelle; ich führe Sie in meinen Palast, wo ein freudiges
Volk lauert auf die angebetete Geliebte des Herrn!«
Man kann denken, wie Fräulein Ännchen sich vor Corduanspitzes
Zumutung entsetzte, wie sie sich sträubte, dem bedrohlichen Popanz
auch nur einen Schritt zu folgen. Corduanspitz ließ aber nicht
nach, ihr die außerordentliche Schönheit, den grenzenlosen Reichtum
des Gemüsegartens, der eigentlich sein Palast sei, mit solchen
eindringlichen Worten zu beschreiben, daß sie endlich sich entschloß,
wenigstens etwas hineinzugucken in das Gezelt, welches ihr denn doch
ganz und gar nicht schaden könne. -- Der Kleine schlug vor lauter
Freude und Entzücken wenigstens zwölfmal hintereinander Rad, faßte dann
aber sehr zierlich Fräulein Ännchens Hand und führte sie durch den
Garten nach dem seidnen Palast.
Mit einem lauten »Ach!« blieb Fräulein Ännchen wie in den Boden
gewurzelt stehen, als die Vorhänge des Einganges aufrollten und sich
ihr die Aussicht eines unabsehbaren Gemüsegartens erschloß von solcher
Herrlichkeit, wie sie auch in den schönsten Träumen von blühendem Kohl
und Kraut keinen jemals erblickt. Da grünte und blühte alles, was nur
Kraut und Kohl und Rübe und Salat und Erbse und Bohne heißen mag, in
funkelndem Schimmer und solcher Pracht, daß es gar nicht zu sagen. --
Die Musik von Pfeifen und Trommeln und Cymbeln ertönte stärker, und die
vier artigen Herrn, die Fräulein Ännchen schon kennen gelernt, nämlich
der Herr von Schwarzrettig, der Monsieur de Roccambolle, der Signor di
Broccoli und der Pan Kapustowicz, nahten sich unter vielen ceremoniösen
Bücklingen.
»Meine Kammerherrn,« sprach Porphyrio von Ockerodastes lächelnd, und
führte, indem die genannten Kammerherrn voranschritten, Fräulein
Ännchen durch die Doppelreihe, welche die rote englische Karottengarde
bildete, bis in die Mitte des Feldes, wo sich ein hoher prächtiger
Thron erhob. Um diesen Thron waren die Großen des Reichs versammelt,
die Salatprinzen mit den Bohnenprinzessinnen, die Gurkenherzoge
mit dem Melonenfürsten an ihrer Spitze, die Kopfkohlminister, die
Zwiebel- und Rübengeneralität, die Federkohldamen u. s. w., alle in
den glänzendsten Kleidern ihres Ranges und Standes. Und dazwischen
liefen wohl an hundert allerliebste Lavendel- und Fenchelpagen umher
und verbreiteten süße Gerüche. Als Ockerodastes mit Fräulein Ännchen
den Thron bestiegen, winkte der Oberhofmarschall Turneps mit seinem
langen Stabe, und sogleich schwieg die Musik und alles horchte in
stiller Ehrfurcht. Da erhob Ockerodastes seine Stimme und sprach sehr
feierlich: »Meine getreuen und sehr lieben Untertanen! Seht hier an
meiner Seite das edle Fräulein Anna von Zabelthau, das ich zu meiner
Gemahlin erkoren. Reich an Schönheit und Tugend, hat sie euch schon
lange mit mütterlich liebenden Augen betrachtet, ja euch weiche, fette
Lager bereitet und gehegt und gepflegt. Sie wird euch stets eine treue,
würdige Landesmutter sein und bleiben. Bezeigt jetzt den ehrerbietigen
Beifall, sowie ordnungsmäßigen Jubel über die Wohltat, die ich im
Begriff stehe euch huldvoll zufließen zu lassen!« Auf ein zweites
Zeichen des Oberhofmarschalls Turneps ging nun ein tausendstimmiger
Jubel los, die Bollenartillerie feuerte ihr Geschütz ab und die Musiker
der Karottengarde spielten das bekannte Festlied: Salat-Salat und grüne
Petersilie! -- Es war ein großer, erhabener Moment, der den Großen des
Reichs, vorzüglich aber den Federkohldamen Tränen der Wonne entlockte.
Fräulein Ännchen hätte beinahe auch alle Fassung verloren, als sie
gewahrte, daß der Kleine eine von Diamanten funkelnde Krone auf dem
Haupte, in der Hand aber ein goldnes Scepter trug. »Ei,« sprach sie,
indem sie voll Erstaunen die Hände zusammenschlug, »ei du mein Herr
Jemine! Sie sind ja wohl viel mehr, als Sie scheinen, mein lieber Herr
von Corduanspitz?« -- »Angebetete Anna,« erwiderte Ockerodastes sehr
sanft, »die Gestirne zwangen mich, bei Ihrem Herrn Vater unter einem
erborgten Namen zu erscheinen. Erfahren Sie, bestes Kind, daß ich einer
der mächtigsten Könige bin und ein Reich beherrsche, dessen Grenzen
gar nicht zu entdecken sind, da sie auf der Karte zu illuminieren
vergessen worden. Es ist der Gemüsekönig Daucus Carota der Erste, der
Ihnen, o süßeste Anna, seine Hand und seine Krone darreicht. Alle
Gemüsefürsten sind meine Vasallen, und nur einen einzigen Tag im Jahre
regiert nach einem uralten Herkommen der Bohnenkönig.« -- »Also,«
rief Fräulein Ännchen freudig, »also eine Königin soll ich werden und
diesen herrlichen, prächtigen Gemüsegarten besitzen?« König Daucus
Carota versicherte nochmals, daß dies allerdings der Fall sei, und
fügte hinzu, daß seiner und ihrer Herrschaft alles Gemüse unterworfen
sein werde, das nur emporkeime aus der Erde. So was hatte nun
Fräulein Ännchen wohl gar nicht erwartet und sie fand, daß der kleine
Corduanspitz seit dem Augenblick, als er sich in den König Daucus
Carota den Ersten umgesetzt, gar nicht mehr so häßlich war als vorher,
und daß ihm Krone und Scepter sowie der Königsmantel ganz ungemein
artig standen. Rechnete noch Fräulein Ännchen sein artiges Benehmen und
die Reichtümer hinzu, die ihr durch diese Verbindung zu teil wurden,
so mußte sie wohl überzeugt sein, daß kein Landfräulein hienieden eine
bessere Partie zu machen im stande sei als eben sie, die im Umsehn eine
Königsbraut geworden. Fräulein Ännchen war deshalb auch über alle Maßen
vergnügt und fragte den königlichen Bräutigam, ob sie nicht gleich in
dem schönen Palast bleiben, und ob nicht morgenden Tages die Hochzeit
gefeiert werden könne. König Daucus erwiderte indessen, daß, so sehr
ihn die Sehnsucht der angebeteten Braut entzücke, er doch gewisser
Konstellationen halber sein Glück noch verschieben müsse. Der Herr
Dapsul von Zabelthau dürfe nämlich für jetzt den königlichen Stand
seines Eidams durchaus nicht erfahren, da sonst die Operationen, die
die gewünschte Verbindung mit der Sylphide Nehahilah bewirken sollten,
gestört werden könnten. Überdem habe er auch dem Herrn Dapsul von
Zabelthau versprochen, daß beide Vermählungen an einem Tage gefeiert
werden sollten. Fräulein Ännchen mußte feierlich geloben, dem Herrn
Dapsul von Zabelthau auch nicht eine Silbe davon zu verraten, was sich
mit ihr begeben; sie verließ dann den seidnen Palast unter dem lauten,
lärmenden Jubel des durch ihre Schönheit, durch ihr leutseliges,
herablassendes Betragen ganz in Wonne berauschten Volks.
Im Traume sah sie das Reich des allerliebsten Königs Daucus Carota noch
einmal und schwamm in lauter Seligkeit. --
Der Brief, den sie dem Herrn Amandus von Nebelstern gesendet, hatte
auf den armen Jüngling eine fürchterliche Wirkung gemacht. Nicht lange
dauerte es, so erhielt Fräulein Ännchen folgende Antwort:
»Abgott meines Herzens, himmlische Anna!
Dolche, spitze, glühende, giftige, tötende Dolche waren mir die
Worte deines Briefes, die meine Brust durchbohrten. O Anna! Du
sollst mir entrissen werden? Welch ein Gedanke! Ich kann es noch
gar nicht begreifen, daß ich nicht auf der Stelle unsinnig
geworden bin und irgend einen fürchterlichen, grausamen Spektakel
gemacht habe! -- Doch floh ich ergrimmt über mein todbringendes
Verhängnis die Menschen, und lief gleich nach Tische, ohne wie sonst
Billard zu spielen, hinaus in den Wald, wo ich die Hände rang und
tausendmal deinen Namen rief! -- Es fing gewaltig an zu regnen, und
ich hatte gerade eine ganz neue Mütze von rotem Sammt mit einer
prächtigen goldnen Troddel aufgesetzt. Die Leute sagen, daß noch
keine Mütze so mir zu Gesicht gestanden als diese. -- Der Regen
konnte das Prachtstück des Geschmacks verderben, doch was frägt die
Verzweiflung der Liebe nach Mützen, nach Sammt und Gold! -- So lange
lief ich umher, bis ich ganz durchnäßt und durchkältet war und ein
entsetzliches Bauchgrimmen fühlte. Das trieb mich in das nahgelegene
Wirtshaus, wo ich mir excellenten Glühwein machen ließ und dazu
eine Pfeife deines himmlischen Virginiers rauchte. -- Bald fühlte
ich mich von einer göttlichen Begeisterung erhoben, ich riß meine
Brieftasche hervor, warf in aller Schnelle ein Dutzend herrliche
Gedichte hin und, o wunderbare Gabe der Dichtkunst! -- beides war
verschwunden, Liebesverzweiflung und Bauchgrimmen. -- Nur das letzte
dieser Gedichte will ich dir mitteilen, und auch dich, o Zierde der
Jungfrauen, wird wie mich freudige Hoffnung erfüllen!
Winde mich in Schmerzen
Ausgelöscht im Herzen
Sind die Liebeskerzen,
Mag nie wieder scherzen!
Doch der Geist, er neigt sich,
Wort und Reim erzeugt sich,
Schreibe Verslein nieder.
Froh bin ich gleich wieder,
Tröstend in dem Herzen
Flammen Liebeskerzen,
Weg sind alle Schmerzen,
Mag auch freundlich scherzen.
Ja, meine süße Anna! -- bald eile ich, ein schützender Ritter, herbei
und entreiße dich dem Bösewicht, der dich mir rauben will! -- Damit
du indessen bis dahin nicht verzweifelst, schreibe ich dir einige
göttliche trostreiche Kernsprüche aus meines herrlichen Meisters
Schatzkästlein her; du magst dich daran erlaben.
* * * * *
Die Brust wird weit, dem Geiste wachsen Flügel?
Sei Herz, Gemüt, doch lust'ger Eulenspiegel!
* * * * *
Liebe kann die Liebe hassen,
Zeit auch wohl die Zeit verpassen.
* * * * *
Die Lieb ist Blumenduft ein Sein ohn Unterlaß,
O Jüngling, wasch den Pelz, doch mach ihn ja nicht naß!
* * * * *
Sagst du, im Winter weht frostiger Wind?
Warm sind doch Mäntel, wie Mäntel nun sind!
* * * * *
Welche göttliche, erhabene, überschwengliche Maximen! -- Und wie
einfach, wie anspruchslos, wie körnig ausgedrückt! -- Nochmals also,
meine süßeste Maid! Sei getrost, trage mich im Herzen wie sonst. Es
kommt, es rettet dich, es drückt dich an seine im Liebessturm wogende
Brust dein getreuester
Amandus von Nebelstern.
N.S. Herausfordern kann ich den Herrn von Corduanspitz auf keinen
Fall. Denn, o Anna! jeder Tropfen Bluts, der deinem Amandus
entquillen könnte bei dem feindlichen Angriff eines verwegenen
Gegners, ist herrliches Dichterblut, der Ichor der Götter, der
nicht verspritzt werden darf. Die Welt hat den gerechten Anspruch,
daß ein Geist wie ich sich für sie schone, auf alle mögliche Weise
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