Deutsche Humoristen, 2. Band (von 8) - 5

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in den Kopf: es sei in den kaiserlichen Erblanden kein Maler, der eine
Frau ernähren könne, und der überhaupt Genie habe, als der Wehmüller
in Wien, der die ungarischen Nationalgesichter male, und der so und
so gekleidet gehe; dabei hörte er nicht auf, von Ihnen und Ihrer
Arbeit zu reden, so daß der alte Fleischhauer und seine Tochter mir
endlich erklärten: sie würden den Siebmacher vorziehen, wenn ich
Ihnen in Ungarn den Rang nicht abliefe. Und nun wettete ich mit dem
Siebmacher: daß ich ihm in Jahr und Tag das Mädchen abtreten und noch
25 Dukaten dazu geben wollte, wenn ich Ihnen den Rang nicht ablaufen
könne. Ich reiste nach Wien und nach Ungarn, forschte nach allen Ihren
Bildern und warf mich so in Ihre Manier, daß man unsere Bilder nicht
mehr unterscheiden konnte. Da ich nun erfuhr, daß Sie die Reise nach
Stuhlweißenburg machen würden, wo Sie noch nicht gewesen, und sich
auf dem Gute des Grafen Giulowitsch vorbereiteten, benutzte ich die
Gelegenheit, Ihnen vorzukommen, denn ich wußte durch einen Freund bei
der Hof-Kriegs-Kanzlei, daß die dortigen Regimenter verlegt werden
würden. Mit einem Vorrate von Nationalgesichtern in einer Blechbüchse,
und ganz gekleidet wie Sie, machte ich mich nun als neuer Wehmüller
auf, und als ich auf der Grenze an der Maut ein Päckchen liegen sah,
»An Herrn Wehmüller, wenn er durchreist,« überschrieben, ward es mir
von den Mautbeamten ausgeliefert. Es war dies das Bild Ihrer Gemahlin,
welches sie auf ihrer Reise in einem Posthause hatte liegen lassen,
ich nahm es mit, um es ihr einhändigen zu lassen, habe aber vergessen
es dem Boten abzunehmen, der es trug, als er mich durch den Cordon
brachte; denn meine Eile war groß, und ich triumphierte schon, daß ich,
indem der Cordon Sie aussperrte, Ihnen gewiß zuvorkommen würde. Aber
wie war mir zu Mute, da ich mich mit Ihrer Frau, als einem zweiten
Wehmüller, den ich auch nicht für den echten erkannte, weil er von der
Malerei gar nichts verstand, eingesperrt sah. Bald ward ich aber von
der Kühnheit und Schönheit Mitidikas, die es kein Hehl hatte, daß sie
eine verkleidete Jungfer sei, so hingerissen, daß ich gern auf meine
Braut und Wehmüllerschaft resigniert und alles gleich eingestanden
hätte, aber Ehrgeiz und die 25 Dukaten hielten mich zurück. Ihr
Erscheinen fuhr mir aber so durch alle Glieder, daß ich die Besinnung
verlor; die fatale Laterne auf dem Magen und der angedrohte Theriak
haben mich gänzlich hergestellt, und nun bleibt mir nichts übrig, als
Sie herzlich um Verzeihung zu bitten, mit dem Vorschlage: mich in Ihren
Unternehmungen zum Kompagnon zu machen. Sie können meine Arbeiten
untersuchen, und gehen Sie den Vorschlag ein, so glaube ich, daß wir
einen solchen Vorrat von Nationalgesichtern anfertigen, daß unser Glück
begründet ist, wenn wir redlich teilen.«
»Das läßt sich hören!« sagte Wehmüller. »Die ganze Geschichte macht
mir jetzt Spaß, und wenn ich meine Tonerl nicht so lieb hätte, so
möchte ich, um es Ihnen wett zu machen, nach Klagenfurt reisen und Ihre
Fleischerstochter und die 25 Dukaten Ihnen wegschnappen, aber so geht
es nicht.« Da umarmte er Tonerl herzlich und ward mit Froschauer eins:
daß er ihm, wenn er seine Arbeiten untersucht, ein eigenhändiges Attest
schreiben wolle: daß er ihn in allem sich gleich achte; gewänne er dann
seine Wette, so könne er sein Mädchen heiraten und sich mit ihm auf
gleichen Vorteil vereinigen. »Ja,« sagte Tonerl, »da habe ich doch eine
Gesellschaft an Frau Froschauer, wenn Ihr herumzieht.«
So ward der Friede gestiftet, und sie kamen auf dem Edelhof an.
Die Kammerjungfer und Lindpeindler standen unter der Tür und waren
in großem Erstaunen über die drei Wehmüller, noch mehr aber über
Mitidika. Schnell liefen sie, der gnädigen Frau und dem jungen Barone
die interessante Gesellschaft anzukündigen, und diese trat, von dem
Edelmanne geführt, in eine geräumige Weinlaube, wo die Hausfrau bald
mit einem guten Frühstück erschien, und alle die Abenteuer nochmals
berichtet werden mußten. Der Tiroler und der Savoyarde stellten sich
auch ein, und der Edelmann bat alle, bei der Weinlese ihm behilflich zu
sein, was zugesagt wurde.
Am Abend, als noch viel über die drei Wehmüller gescherzt worden war,
wollte Devillier der Gesellschaft eine Geschichte erzählen, die er
selbst erlebt, und bei welcher die Verwechselung zweier Personen noch
viel unterhaltender war -- als der Graf Giulowitsch und Lury, sein
Hofmeister, mit seinen Eleven bei dem Edelmanne zum Besuche kamen. Sie
freuten sich ungemein, den guten Wehmüller zu finden und die Aufklärung
seines Abenteuers zu hören. Die Erzählung Devilliers ward aufgeschoben,
aber nach dem Abendessen mußte die schöne Mitidika all ihren Schmuck,
den sie einst von Devillier empfing, anlegen; die Edeldame half ihr
selbst bei ihrer Toilette, denn Nanny, die Kammerjungfer, wurde
unpäßlich. So geschmückt trat das braune Mädchen wie eine Zauberin vor
die Gesellschaft; der Tiroler breitete seine Teppiche aus, und das
reizende Geschöpf tanzte, schlug das Tamburin und sang -- wozu Michaly
sie begleitete -- so ganz wunderbar hinreißend, daß alles vor Erstaunen
versteinert war. Sie schloß ihren Tanz damit, daß sie den Teppich
plötzlich erfaßte, sich schnell in ihn einpuppte und an die Erde
niederstreckte, wie damals in der Hütte. Ein lebhaftes Beifallklatschen
rauschte durch den Saal. Devillier aber kniete vor ihr, weinte wie ein
Kind und wurde ausgelacht. So schied die Gesellschaft für diesen Abend
auseinander. Die Erzählung, welche Devillier versprochen, eine andere
des Tirolers und eine des Savoyarden unterhielten an den folgenden
Tagen, und ich werde sie mitteilen, wenn ich Lust dazu habe.


E. Th. A. Hoffmann:
Die Königsbraut.

=Ernst Theodor Wilhelm= (durch einen Druckfehler in =Amadeus=
verwandelt) =Hoffmann= wurde am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren
und war im preußischen Justizdienst (zuletzt in Warschau) tätig, bis er
durch den Zusammenbruch des preußischen Staates 1806 brotlos wurde. Als
Musikdirektor half er sich durch, bis er 1816 wieder als Rat bei dem
Kgl. Kammergericht in Berlin angestellt werden konnte. Er starb am 24.
Juli 1822 an der Rückenmarksschwindsucht.
Seine Dichtungen sind fast alle von dem Humor durchzogen, mit dem er,
unterstützt durch seinen scharfen Verstand, den Menschen und Dingen
die lächerlichen Seiten absah. Aber wie er im Leben bei all seiner
beruflichen Tüchtigkeit wild, ungebunden, ein Nachtschwärmer war -- so
spielt auch in seinen Werken das Abenteuerliche, das Phantastische,
das Unheimliche die größte Rolle. Grauenerregend ist die Schilderung
der Spukgestalten, die in so vielen seiner Schriften vorkommen. Dabei
ist Hoffmann kein Meister der Sprache, sein Ausdruck ist ungelenk; nur
ihre unnachahmliche Anschaulichkeit verleiht seinen Schilderungen eine
solche Lebendigkeit, daß man glaubhaft versicherte, er hätte sich vor
seinen eigenen Spukgestalten gefürchtet.
»Die Königsbraut« ist viel freundlicher gehalten als die meisten
anderen Hoffmannschen Erzählungen; das Dämonische spielt aber selbst in
die hier geschilderte Philisterwelt hinein.
E. S.


Die Königsbraut.
Ein nach der Natur entworfenes Märchen.
(Aus den »Serapionsbrüdern«).

Erstes Kapitel.
In dem von verschiedenen Personen und ihren Verhältnissen Nachricht
gegeben, und alles Erstaunliche und höchst Wunderbare, das die
folgenden Kapitel enthalten sollen, vorbereitet wird auf angenehme
Weise.
Es war ein gesegnetes Jahr. Auf den Feldern grünte und blühte gar
herrlich Korn und Weizen und Gerste und Hafer; die Bauerjungen gingen
in die Schoten, und das liebe Vieh in den Klee; die Bäume hingen so
voller Kirschen, daß das ganze Heer der Sperlinge, trotz dem besten
Willen, alles kahl zu picken, die Hälfte übrig lassen mußte zu
sonstiger Verspeisung. Alles schmauste sich satt tagtäglich an der
großen, offnen Gasttafel der Natur. -- Vor allen Dingen stand aber in
dem Küchengarten des Herrn Dapsul von Zabelthau das Gemüse so über die
Maßen schön, daß es kein Wunder zu nennen, wenn Fräulein Ännchen vor
Freude darüber ganz außer sich geriet. --
Nötig scheint es, gleich zu sagen, wer Beide waren, Herr Dapsul von
Zabelthau und Fräulein Ännchen.
Es ist möglich, daß du, geliebter Leser, auf irgend einer Reise
begriffen, einmal in den schönen Grund kamst, den der freundliche
Main durchströmt. Laue Morgenwinde hauchen ihren duftigen Atem hin
über die Flur, die in dem Goldglanz schimmert der emporgestiegenen
Sonne. Du vermagst es nicht, auszuharren in dem engen Wagen, du
steigst aus und wandelst durch das Wäldchen, hinter dem du erst, als
du hinabfuhrst in das Tal, ein kleines Dorf erblicktest. Plötzlich
kommt dir aber in diesem Wäldchen ein langer, hagerer Mann entgegen,
dessen seltsamer Aufzug dich festbannt. Er trägt einen kleinen grauen
Filzhut, aufgestülpt auf eine pechschwarze Perücke, eine durchaus graue
Kleidung, Rock, Weste und Hose, graue Strümpfe und Schuhe, ja selbst
der sehr hohe Stock ist grau lackiert. So kommt der Mann mit weit
ausgespreizten Schritten auf dich los, und indem er dich mit großen,
tief liegenden Augen anstarrt, scheint er dich doch gar nicht zu
bemerken. »Guten Morgen, mein Herr!« rufst du ihm entgegen, als er dich
beinahe umrennt. Da fährt er zusammen, als würde er plötzlich geweckt
aus tiefem Traum, rückt dann sein Mützchen und spricht mit hohler,
weinerlicher Stimme: »Guten Morgen? O mein Herr! wie froh können wir
sein, daß wir einen guten Morgen haben -- die armen Bewohner von
Santa Cruz -- soeben zwei Erdstöße, und nun gießt der Regen in Strömen
herab!« -- Du weißt, geliebter Leser, nicht recht, was du dem seltsamen
Manne antworten sollst, aber indem du darüber sinnest, hat er schon
mit einem: »Mit Verlaub, mein Herr!« deine Stirn sanft berührt und in
deinen Handteller geguckt. »Der Himmel segne Sie, mein Herr, Sie haben
eine gute Konstellation,« spricht er nun ebenso hohl und weinerlich
als zuvor und schreitet weiter fort. -- Dieser absonderliche Mann war
eben niemand anders als der Herr Dapsul von Zabelthau, dessen einziges
ererbtes ärmliches Besitztum das kleine Dorf Dapsulheim ist, das in
der anmutigsten, lachendsten Gegend vor dir liegt und in das du soeben
eintrittst. Du willst frühstücken, aber in der Schenke sieht es traurig
aus. In der Kirchweih ist aller Vorrat aufgezehrt, und da du dich
nicht mit bloßer Milch begnügen willst, so weiset man dich nach dem
Herrenhause, wo das gnädige Fräulein Anna dir gastfreundlich darbieten
werde, was eben vorrätig. Du nimmst keinen Anstand, dich dorthin zu
begeben. -- Von diesem Herrenhause ist nun eben nichts mehr zu sagen,
als daß es wirklich Fenster und Türen hat, wie weiland das Schloß des
Herrn Baron von Tondertonktonk in Westfalen. Doch prangt über der
Haustür das mit neuseeländischer Kunst in Holz geschnittene Wappen
der Familie von Zabelthau. Ein seltsames Ansehen gewinnt aber dieses
Haus dadurch, daß seine Nordseite sich an die Ringmauer einer alten
verfallenen Burg lehnt, so daß die Hintertüre die ehemalige Burgpforte
ist, durch die man unmittelbar in den Burghof tritt, in dessen Mitte
der hohe, runde Wachtturm noch ganz unversehrt dasteht. Aus jener
Haustür mit dem Familienwappen tritt dir ein junges, rotwangiges
Mädchen entgegen, die mit ihren klaren blauen Augen und blondem Haar
ganz hübsch zu nennen, und deren Bau vielleicht nur ein wenig zu
rundlich derb geraten. Die Freundlichkeit selbst, nötigt sie dich ins
Haus, und bald, sowie sie nur dein Bedürfnis merkt, bewirtet sie dich
mit der trefflichsten Milch, einem tüchtigen Butterbrot und dann mit
rohem Schinken, der dir in Bayonne bereitet scheint, und einem Gläschen
aus Runkelrüben gezogenen Branntweins. Dabei spricht das Mädchen,
die nun eben keine andere ist als das Fräulein Anna von Zabelthau,
ganz munter und frei von allem, was die Landwirtschaft betrifft, und
zeigt dabei gar keine unebenen Kenntnisse. Doch plötzlich erschallt
wie aus den Lüften eine starke, fürchterliche Stimme: »Anna -- Anna!
Anna!« -- Du erschrickst, aber Fräulein Anna spricht ganz freundlich:
»Papa ist zurückgekommen von seinem Spaziergange und ruft aus seiner
Studierstube nach dem Frühstück!« -- »Ruft -- aus seiner Studierstube?«
frägst du erstaunt. »Ja,« erwidert Fräulein Anna oder Fräulein Ännchen,
wie sie die Leute nennen, »ja, Papas Studierstube ist dort oben auf
dem Turm, und er ruft durch das Rohr!« -- Und du siehst, geliebter
Leser! wie nun Ännchen des Turmes enge Pforte öffnet und mit demselben
Gabelfrühstück, wie du es soeben genossen, nämlich mit einer tüchtigen
Portion Schinken und Brot nebst dem Runkelrübengeist hinaufspringt.
Ebensoschnell ist sie aber wieder bei dir, und dich durch den schönen
Küchengarten geleitend, spricht sie so viel von bunter Plümage,
Rapuntika, englischem Turneps, kleinem Grünkopf, Montrue, großem Mogul,
gelbem Prinzenkopf und so fort, daß du in das größte Erstaunen geraten
mußt, zumal, wenn du nicht weißt, daß mit jenen vornehmen Namen nichts
anderes gemeint ist als Kohl und Salat. --
Ich meine, daß der kurze Besuch, den du, geliebter Leser, in Dapsulheim
abgestattet, hinreichen wird, dich die Verhältnisse des Hauses, von
dem allerlei seltsames, kaum glaubliches Zeug ich dir zu erzählen im
Begriff stehe, ganz erraten zu lassen. Der Herr Dapsul von Zabelthau
war in seiner Jugend nicht viel aus dem Schlosse seiner Eltern
gekommen, die ansehnliche Güter besaßen. Sein Hofmeister, ein alter
wunderlicher Mann, nährte nächstdem, daß er ihn in fremden, vorzüglich
orientalischen Sprachen unterrichtete, seinen Hang zur Mystik, oder
vielmehr besser gesagt, zur Geheimniskrämerei. Der Hofmeister starb
und hinterließ dem jungen Dapsul eine ganze Bibliothek der geheimen
Wissenschaften, in die er sich vertiefte. Die Eltern starben auch,
und nun begab sich der junge Dapsul auf weite Reisen, und zwar, wie
es der Hofmeister ihm in die Seele gelegt, nach Ägypten und Indien.
Als er endlich nach vielen Jahren zurückkehrte, hatte ein Vetter
unterdessen sein Vermögen mit so großem Eifer verwaltet, daß ihm
nichts übrig geblieben, als das kleine Dörfchen Dapsulheim. Herr
Dapsul von Zabelthau strebte zu sehr nach dem sonnegebornen Golde
einer höheren Welt, als daß er sich hätte aus irdischem viel machen
sollen; er dankte vielmehr dem Vetter mit gerührtem Herzen dafür,
daß er ihm das freundliche Dapsulheim erhalten mit dem schönen,
hohen Wartturm, der zu astrologischen Operationen erbaut schien,
und in dessen höchster Höhe Herr Dapsul von Zabelthau auch sofort
sein Studierzimmer einrichten ließ. Der sorgsame Vetter bewies nun
auch, daß Herr Dapsul von Zabelthau heiraten müsse. Dapsul sah die
Notwendigkeit ein und heiratete sofort das Fräulein, das der Vetter
für ihn erwählt. Die Frau kam ebensoschnell ins Haus, als sie es
wieder verließ. Sie starb, nachdem sie ihm eine Tochter geboren.
Der Vetter besorgte Hochzeit, Taufe und Begräbnis, so daß Dapsul auf
seinem Turm von alle dem nicht sonderlich viel merkte, zumal die Zeit
über gerade ein sehr merkwürdiger Schwanzstern am Himmel stand, in
dessen Konstellation sich der melancholische, immer Unheil ahnende
Dapsul verflochten glaubte. Das Töchterlein entwickelte unter der Zucht
einer alten Großtante, zu deren großer Freude, einen entschiedenen
Hang zur Landwirtschaft. Fräulein Ännchen mußte, wie man zu sagen
pflegt, von der Pike an dienen. Erst als Gänsemädchen, dann als Magd,
Großmagd, Haushälterin, bis zur Hauswirtin herauf, so daß die Theorie
erläutert und festgestellt wurde durch eine wohltätige Praxis. Sie
liebte Gänse und Enten, und Hühner und Tauben, Rindvieh und Schafe ganz
ungemein; ja selbst die zarte Zucht wohlgestalteter Schweinlein war ihr
keineswegs gleichgültig, wiewohl sie nicht wie einmal ein Fräulein in
irgend einem Lande ein kleines weißes Ferkelchen mit Band und Schelle
versehen und erkieset hatte zum Schoßtierchen. Über alles und auch weit
über den Obstbau ging ihr aber der Gemüsegarten. Durch der Großtante
landwirtschaftliche Gelehrsamkeit hatte Fräulein Ännchen, wie der
geneigte Leser in dem Gespräch mit ihr bemerkt haben wird, in der Tat
ganz hübsche theoretische Kenntnisse vom Gemüsebau erhalten; beim
Umgraben des Ackers, beim Einstreuen des Samens, Einlegung der Pflanzen
stand Fräulein Ännchen nicht allein der ganzen Arbeit vor, sondern
leistete auch selbst tätige Hilfe. Fräulein Ännchen führte einen
tüchtigen Spaten, das mußte ihr der hämische Neid lassen. Während nun
Herr Dapsul von Zabelthau sich in seine astrologischen Beobachtungen
und in andere mystische Dinge vertiefte, führte Fräulein Ännchen, da
die alte Großtante gestorben, die Wirtschaft auf das beste, so daß,
wenn Dapsul dem Himmlischen nachtrachtete, Ännchen mit Fleiß und
Geschick das Irdische besorgte.
Wie gesagt, kein Wunder war es zu nennen, wenn Ännchen vor Freude über
den diesjährigen, ganz vorzüglichen Flor des Küchengartens beinahe
außer sich geriet. An üppiger Fülle des Wachstums übertraf aber
alles andere ein Mohrrübenfeld, das eine ganz ungewöhnliche Ausbeute
versprach.
»Ei, meine schönen, lieben Mohrrüben!« so rief Fräulein Ännchen ein
Mal über das andere, klatschte in die Hände, sprang, tanzte umher,
geberdete sich wie ein zum heiligen Christ reich beschenktes Kind.
Es war auch wirklich, als wenn die Möhrenkinder sich in der Erde
über Ännchens Lust mitfreuten, denn das feine Gelächter, das sich
vernehmen ließ, stieg offenbar aus dem Acker empor. Ännchen achtete
nicht sonderlich darauf, sondern sprang dem Knecht entgegen, der,
einen Brief hoch emporhaltend, ihr zurief: »An Sie, Fräulein Ännchen,
Gottlieb hat ihn mitgebracht aus der Stadt.« Ännchen erkannte gleich
an der Aufschrift, daß der Brief von niemandem anders war als von
dem jungen Herrn Amandus von Nebelstern, dem einzigen Sohn eines
benachbarten Gutsbesitzers, der sich auf der Universität befand.
Amandus hatte sich, als er noch auf dem Dorfe des Vaters hauste und
täglich hinüberlief nach Dapsulheim, überzeugt, daß er in seinem ganzen
Leben keine andere lieben könne als Fräulein Ännchen. Ebenso wußte
Fräulein Ännchen ganz genau, daß es ihr ganz unmöglich sein werde,
jemals einem andern als dem braunlockigten Amandus auch nur was weniges
gut zu sein. Beide, Ännchen und Amandus, waren daher übereingekommen,
sich je eher desto lieber zu heiraten und das glücklichste Ehepaar
zu werden auf der ganzen weiten Erde. -- Amandus war sonst ein
heiterer, unbefangner Jüngling; auf der Universität geriet er aber
Gott weiß wem in die Hände, der ihm nicht nur einbildete, er sei ein
ungeheures poetisches Genie, sondern ihn auch verleitete, sich auf
die Überschwenglichkeit zu legen. Das gelang ihm auch so gut, daß er
sich in kurzer Zeit hinweggeschwungen hatte über alles, was schnöde
Prosaiker Verstand und Vernunft nennen, und noch dazu irriger Weise
behaupten, daß beides mit der regsten Phantasie sehr wohl bestehen
könne. -- Also von dem jungen Herrn Amandus von Nebelstern war der
Brief, den Fräulein Ännchen voller Freude öffnete und also las:
»Himmlische Maid!
Siehest du -- empfindest du -- ahnest du deinen Amandus -- wie er
selbst Blum' und Blüte vom Orangenblüthauch des duftigen Abends
umflossen, im Grase auf dem Rücken liegt und hinaufschaut mit Augen
voll frommer Liebe und sehnender Andacht! -- Thymian und Lavendel,
Rosen und Nelken, wie auch gelbäugigte Narzissen und schamhafte
Veilchen flicht er zum Kranz. Und die Blumen sind Liebesgedanken,
Gedanken an dich, o Anna! -- Doch geziemt begeisterten Lippen die
nüchterne Prose? -- Hör', o höre, wie ich nur sonettisch zu lieben,
von meiner Liebe zu sprechen vermag.
Flammt Liebe auf in tausend durst'gen Sonnen,
Buhlt Lust um Lust im Herzen ach so gerne,
Hinab aus dunklem Himmel strahlen Sterne
Und spiegeln sich im Liebestränenbronnen.
Entzücken, ach! zermalmen starke Wonnen
Die süße Frucht, entsprossen bittrem Kerne,
Und Sehnsucht winkt aus violetter Ferne,
In Liebesschmerz mein Wesen ist zerronnen.
In Feuerwellen tost die stürm'sche Brandung,
Dem kühnen Schwimmer will es keck gemuten,
Im jähen, mächtgen Sturz hinabzupurzeln.
Es blüht die Hyacinth' der nahen Landung;
Das treue Herz keimt auf, will es verbluten,
Und Herzensblut ist selbst die schönst' der Wurzeln!
Möchte, o Anna, dich, wenn du dieses Sonett aller Sonette liesest,
all' das himmlische Entzücken durchströmen, in das mein ganzes Wesen
sich auflöste, als ich es niederschrieb und es nachher mit göttlicher
Begeisterung vorlas gleichgestimmten, des Lebens Höchstes ahnenden
Gemütern. Denke, o denke, süßeste Maid, an deinen getreuen, höchst
entzückten Amandus von Nebelstern.
N.S. Vergiß nicht, o hohe Jungfrau, wenn du mir antwortest, einige
Pfund von dem virginischen Tabak beizupacken, den du selbst ziehest.
Er brennt gut und schmeckt besser als der Portoriko, den hier die
Bursche dampfen, wenn sie kneipen gehn.« --
Fräulein Anna drückte den Brief an die Lippen und sprach dann: »Ach wie
lieb, wie schön! -- Und die allerliebsten Verschen, alles so hübsch
gereimt. Ach wenn ich nur so klug wäre, alles zu verstehen, aber das
kann wohl nur ein Student. -- Was das nur zu bedeuten haben mag mit den
Wurzeln. Ach gewiß meint er die langen roten englischen Karotten, oder
am Ende gar die Rapuntika, der liebe Mensch!«
Noch denselben Tag ließ es sich Fräulein Ännchen angelegen sein, den
Tabak einzupacken und dem Schulmeister zwölf der schönsten Gänsefedern
einzuhändigen, damit er sie sorglich schneide. Fräulein Ännchen wollte
sich noch heute hinsetzen, um die Antwort auf den köstlichen Brief zu
beginnen. -- Übrigens lachte es dem Fräulein Ännchen, als sie aus dem
Küchengarten lief, wieder sehr vernehmlich nach, und wäre Ännchen nur
was weniges achtsam gewesen, sie hätte durchaus das feine Stimmchen
hören müssen, welches rief: »Zieh' mich heraus, zieh' mich heraus --
ich bin reif -- reif -- reif!« Aber wie gesagt, sie achtete nicht
darauf. --

Zweites Kapitel.
Welches das erste wunderbare Ereignis und andere lesenswerte Dinge
enthält, ohne die das versprochene Märchen nicht bestehen kann.
Der Herr Dapsul von Zabelthau stieg gewöhnlich mittags hinab von seinem
astronomischen Turm, um mit der Tochter ein frugales Mahl einzunehmen,
das sehr kurz zu dauern und wobei es sehr still herzugehen pflegte, da
Dapsul das Sprechen gar nicht liebte. Ännchen fiel ihm auch gar nicht
mit vielem Reden beschwerlich, und das um so weniger, da sie wohl
wußte, daß, kam der Papa wirklich zum Sprechen, er allerlei seltsames,
unverständliches Zeug vorbrachte, wovon ihr der Kopf schwindelte. Heute
war ihr ganzer Sinn aber so aufgeregt durch den Flor des Küchengartens
und durch den Brief des geliebten Amandus, daß sie von beiden
durcheinander sprach ohne Aufhören. Messer und Gabel ließ endlich Herr
Dapsul von Zabelthau fallen, hielt sich beide Ohren zu und rief: »O des
leeren, wüsten, verwirrten Geschwätzes!« Als nun aber Fräulein Ännchen
ganz erschrocken schwieg, sprach er mit dem gedehnten weinerlichen
Tone, der ihm eigen: »Was das Gemüse betrifft, meine liebe Tochter,
so weiß ich längst, daß die diesjährige Zusammenwirkung der Gestirne
solchen Früchten besonders günstig ist, und der irdische Mensch wird
Kohl und Radiese und Kopfsalat genießen, damit der Erdstoff sich mehre
und er das Feuer des Weltgeistes aushalte wie ein gut gekneteter Topf.
Das gnomische Prinzip wird widerstehen dem ankämpfenden Salamander,
und ich freue mich darauf, Pastinak zu essen, den du vorzüglich
bereitest. Anlangend den jungen Herrn Amandus von Nebelstern, so habe
ich nicht das mindeste dagegen, daß du ihn heiratest, sobald er von der
Universität zurückgekehret. Laß es mir nur durch Gottlieb hinaufsagen,
wenn du zur Trauung gehest mit deinem Bräutigam, damit ich euch
geleite nach der Kirche.« -- Herr Dapsul schwieg einige Augenblicke
und fuhr dann, ohne Ännchen, deren Gesicht vor Freude glühte über und
über, anzublicken, lächelnd und mit der Gabel an sein Glas schlagend
-- beides pflegte er stets zu verbinden, es kam aber gar selten vor
-- also fort: »Dein Amandus ist einer, der da soll und muß, ich meine
ein Gerundium, und ich will es dir nur gestehen, mein liebes Ännchen,
daß ich diesem Gerundio schon sehr früh das Horoskop gestellt habe.
Die Konstellationen sind sonst alle ziemlich günstig. Er hat den
Jupiter im aufsteigenden Knoten, den die Venus im Gesechstschein
ansiehet. Nur schneidet die Bahn des Sirius durch, und gerade auf dem
Durchschneidungspunkt steht eine große Gefahr, aus der er seine Braut
rettet. Die Gefahr selbst ist unergründlich, da ein fremdartiges Wesen
dazwischen tritt, das jeder astrologischen Wissenschaft Trotz zu bieten
scheint. Gewiß ist es übrigens, daß nur der absonderliche psychische
Zustand, den die Menschen Narrheit oder Verrücktheit zu nennen pflegen,
dem Amandus jene Rettung möglich machen wird. O meine Tochter (hier
fiel Herr Dapsul wieder in seinen gewöhnlichen weinerlichen Ton), o
meine Tochter, daß doch keine unheimliche Macht, die sich hämisch
verbirgt vor meinen Seheraugen, dir plötzlich in den Weg treten, daß
der junge Herr Amandus von Nebelstern doch nicht nötig haben möge, dich
aus einer andern Gefahr zu retten als aus der, eine alte Jungfer zu
werden!« -- Dapsul seufzte einigemal hintereinander tief auf, dann fuhr
er fort: »Plötzlich bricht aber nach dieser Gefahr die Bahn des Sirius
ab, und Venus und Jupiter, sonst getrennt, treten versöhnt wieder
zusammen.« --
So viel als heute sprach der Herr Dapsul von Zabelthau schon seit
Jahren nicht. Ganz erschöpft stand er auf und bestieg wieder seinen
Turm.
Ännchen wurde andern Tages ganz frühe mit der Antwort an den Herrn von
Nebelstern fertig. Sie lautete also:
»Mein herzlieber Amandus!
Du glaubst gar nicht, was dein Brief mir wieder Freude gemacht
hat. Ich habe dem Papa davon gesagt, und der hat mir versprochen,
uns in die Kirche zur Trauung zu geleiten. Mache nur, daß du
bald zurückkehrst von der Universität. Ach, wenn ich nur deine
allerliebsten Verschen, die sich so hübsch reimen, ganz verstünde!
-- Wenn ich sie so mir selbst laut vorlese, dann klingt mir alles so
wunderbar, und ich glaube dabei, daß ich alles verstehe, und dann ist
alles wieder aus, und verstoben und verflogen, und mich dünkt's, als
hätt' ich bloß Worte gelesen, die gar nicht zusammen gehörten. Der
Schulmeister meint, das müsse so sein, das sei eben die neue vornehme
Sprache, aber ich -- ach! -- ich bin ein dummes, einfältiges Ding! --
Schreibe mir doch, ob ich nicht vielleicht Student werden kann auf
einige Zeit, ohne meine Wirtschaft zu vernachlässigen? Das wird wohl
nicht gehen? Nun, sind wir nur erst Mann und Frau, da kriege ich wohl
was ab von deiner Gelehrsamkeit und von der neuen vornehmen Sprache.
Den virginischen Tabak schicke ich dir, mein herziges Amandchen.
Ich habe meine Hutschachtel ganz voll gestopft, soviel hineingehen
wollte, und den neuen Strohhut derweile Karl dem Großen aufgesetzt,
der in unserer Gaststube steht, wiewohl ohne Füße, denn es ist, wie
du weißt, nur ein Brustbild. -- Lache mich nicht aus, Amandchen,
ich habe auch Verschen gemacht, und sie reimen sich gut. Schreib
mir doch, wie das kommt, daß man so gut weiß, was sich reimt, ohne
gelehrt zu sein. Nun höre einmal:
Ich lieb' dich, bist du mir auch ferne,
Und wäre gern recht bald deine Frau.
Der heitre Himmel ist ganz blau,
Und abends sind golden alle Sterne.
Drum mußt du mich stets lieben
Und mich auch niemals betrüben.
Ich schick' dir den virginischen Tabak
Und wünsche, daß er dir recht wohl schmecken mag.
Nimm vorlieb mit dem guten Willen; wenn ich die vornehme Sprache
verstehen werde, will ich's schon besser machen. -- Der gelbe
Steinkopf ist dieses Jahr über alle Maßen schön geraten, und die
Kruppbohnen lassen sich herrlich an, aber mein Dachshündchen, den
kleinen Feldmann, hat gestern der große Gänsericht garstig ins Bein
gebissen. Nun -- es kann nicht alles vollkommen sein auf dieser Welt
-- hundert Küsse in Gedanken, mein liebster Amandus, deine treueste
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