Walther von der Vogelweide: Ein altdeutscher Dichter - 1

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Walther von der Vogelweide
Ein
=altdeutscher Dichter=,
geschildert
von
=Ludwig Uhland=.

Herr Walther von der Vogelweide,
Wer des vergässe, thät' mir leide.
=Der Renner=.
=Stuttgart und Tübingen,
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung.
1822.=


Vorrede.

Der Dichter, dessen Leben und Charakter darzustellen ich unternommen
habe, schien mir vorzüglich geeignet, diejenige Richtung für das
Erforschen der altdeutschen Poesie zu bezeichnen; welche, nach meinem
Dafürhalten, noch mit besondrem Eifer zu verfolgen ist, wenn ein
lebendiges und vollständiges Bild von dem dichterischen Treiben jenes
Zeitalters hervortreten soll.
Neben den gründlichen Bemühungen, welche der Sprachkenntniß, als
der ersten Bedingung des Verständnisses, zugewendet worden sind,
hat vornehmlich die Erforschung des Gemeinsamen, des poetischen
Gesammteigenthums in Sage, Bild und Wort, bedeutende Fortschritte
gemacht. Mit weniger Liebe und Erfolg ist das Besondre behandelt
worden, wie es aus der Eigenthümlichkeit von Zeit und Ort, aus der
persönlichen Anlage und Neigung des Dichters, hervorgeht.
Beiderlei Richtungen sind aber gleich nothwendig. Sowenig der
allgemeine Zusammenhang aller Poesie zu mißkennen ist, eben so wenig
kann die Schöpferkraft, die stets im Einzelnen Neues wirkt, geläugnet
werden. Es giebt eine Ueberlieferung von Geschlecht zu Geschlecht; es
gibt eine freie Dichtung begabter Geister. Beides muß die Geschichte
der Poesie zu würdigen wissen.
Die sorgfältige Beachtung dieses Besondern darf am wenigsten versäumt
werden, wenn in jene reichhaltigen Liedersammlungen aus dem deutschen
Mittelalter, welche noch als verworrene Masse vor uns liegen, Licht
und Ordnung kommen soll. Diese Sammlungen enthalten, bei allem
Gemeinsamen in Form und Gegenstand der Dichtung, gleichwohl eine große
Manigfaltigkeit von Dichtercharakteren, eigenthümlichen Verhältnissen
und Stimmungen, persönlichen und geschichtlichen Beziehungen. Gerade
diejenigen Lieder, welche sich mehr im Allgemeinen halten und darum
auch am leichtesten verstanden werden, sind vorzugsweise bekannt
geworden und mußten denn auch dieser ganzen Liederdichtung den Vorwurf
der Eintönigkeit und Gedankenarmuth zuziehen. Diejenigen dagegen, deren
Beziehungen eigenthümlicher und tiefer sind, blieben so ziemlich ihrem
Schicksal überlassen.
Davon will ich hier nicht ausführlicher sprechen, wie die
Zeitgeschichte überhaupt, das merkwürdige Zeitalter der Hohenstaufen,
das uns Jahrbücher und Urkunden nur in politischer Starrheit
darstellen, wie dieses erst die rechte Farbe und Lebenswärme gewinnt,
wenn wir es in der Einbildungskraft und dem Gemüthe der Dichter
abgespiegelt sehen.
Vom Thunersee bis zur Insel Rügen, vom adriatischen Meere bis nach
Brabant ziehen sich die Straßen des altdeutschen Gesanges. Ueberall
Fürstenhöfe und Ritterburgen, Städte und Klöster, wo Sänger und
Sangesfreunde hausen oder herbergen. Es ließe sich eine reiche
Landkarte des poetischen Deutschlands im Mittelalter entwerfen.
Von keinem aber aus der Zahl dieser Sänger dürfte die Forschung
zweckmäßiger ausgehen, als von =Walther von der Vogelweide=, der auf
seinen vielfachen Wanderungen allwärts Berührungen anknüpft und dessen
langes, liederreiches Leben einen für die Poesie so merkwürdigen
Zeitraum umfaßt.
Wenn ich den Werth dieses Dichters hervorhebe, so berühre ich nicht
etwas Neues und bisher Unbeachtetes. Von =Bodmer= (Proben der alt.
schwäb. Poesie &c. Zürich 1748. Vorber. S. 33 ff.) bis auf die
neueste Zeit haben manche Literatoren die dichterische Kraft und die
Vielseitigkeit desselben, sowie seine Bedeutung für die Zeitgeschichte,
mit mehr oder weniger tiefem Verständniß, erkannt und angerühmt[A].
Von =Gleim= (Gedichte nach Walth. v. d. Vogelw. 1779) bis auf
=Tieck= (Minnelieder &c. Berl. 1803) und Spätere ist manches seiner
Lieder durch Bearbeitung oder Uebertragung in die neuere Sprache den
Zeitgenossen näher gerückt worden. Gleichwohl fehlt es noch an einer
umfassenderen Darstellung seines Lebens und Wesens.
[ A] Das Treffendste, was mir bekannt ist, hat über ihn ein
Gelehrter gesprochen, dem man sonst die Ueberschätzung der
Dichterwerke des Mittelalters nicht vorwirft, =Bouterwek=,
in seiner Gesch. d. Poes. u. Beredsamk., Bd. IX S. 107 ff.:
»Einer der vorzüglichsten unter diesen ersten und unter allen
deutschen Minnesingern ist =Walther von der Vogelweide= aus
einer adeligen Familie im Thurgau. -- Aus seinen volltönenden,
kräftigen und lieblichen Gesängen spricht ein wahrhaft
lyrisches Genie. Selbst religiöse Gegenstände behandelt er
glücklicher, als die meisten seiner Zeitgenossen. Auch war er
reicher an Gedanken, als sie. Ihm schwebte, wie jedem großen
Dichter, auch ohne philosophische Meditation, das =Ganze= des
menschlichen Lebens vor. Gewöhnlich haben seine Darstellungen
etwas Mahlerisches. Einige seiner Gesänge in langen Zeilen
nähern sich dem metrischen Charakter des Sonetts. Einige nehmen
einen hohen feierlichen Schwung; andere gehen den leichten,
raschen Schritt des muntern Volksliedes; noch andere sind mit
einer fast epigrammatischen Feinheit ausgeführt. Weinerliche
Klage war nicht dieses Dichters Sache; aber im Preise der
Frauen ist er unerschöpflich. Doch das poetische Verdienst des
trefflichen Walthers von der Vogelweide ist einer ausführlichen
Analyse werth, zu der sich hier kein Raum findet. Noch
verdient sein =Vaterlandsgefühl= bemerkt zu werden. Einige
seiner Gedichte haben das öffentliche Wohl Deutschlands zum
Gegenstande. Im Volkstone hat er das Lob des deutschen Namens
gesungen.«
Man wird behaupten, durch eine kritische, mit den verschiedenen
Lesarten und den nöthigen Erklärungen ausgestattete, das Unächte vom
Aechten ausscheidende und den vielfach gestörten Rhythmus in seiner
Reinheit herstellende Ausgabe seiner Lieder würde das Beste für den
alten Dichter geschehen. Weit entfernt, das Verdienstliche und die
Wichtigkeit eines solchen Unternehmens zu mißkennen[B], bin ich doch
der Meinung, daß nur dann jedes Einzelne sein rechtes und volles
Licht erhalten könne, wenn erst der Geist und Zusammenhang des Ganzen
gehörig erkannt ist. Für eine Ausgabe der Lieder aber würde nicht die
Zusammenstellung nach der Zeitfolge, welche bei einem großen Theile
derselben ohnehin nicht bestimmbar ist, oder nach der Verwandtschaft
der Gegenstände, sondern vielmehr die Anordnung nach den =Tönen= die
schicklichste seyn.
[ B] Eine neue Ausgabe sämmtlicher Gedichte Walthers hat =Köpke=,
der Herausgeber von Barlaam und Josaphat, zugesagt. S.
=Büschings= Wöchentl. Nachrichten &c. Bd. IV 1819 S. 12.
Vorarbeiten hat auch =Lachmann=, in seiner Auswahl aus den
hochdeutschen Dichtern des 13. Jahrh. Berl. 1820 S. 178-203,
geliefert.
Weil übrigens der Dichter doch nur aus seinen Liedern vollständig
begriffen wird und weil Walthers Lieder gerade die Hauptquelle sind,
woraus wir über seine Lebensumstände Aufschluß erhalten, so habe
ich überall die Gedichte selbst oder doch bezeichnende Stellen aus
denselben in die Darstellung verwoben.
Die Form, in der ich diese Gedichte liefre, mußte durch den Zweck
der ganzen Arbeit bestimmt werden. Sie mußten vor Allem verständlich
seyn. Es war hier nicht sowohl um die sprachliche Beziehung, als um
die Aufklärung über Schicksal und Charakter des Dichters zu thun.
Darum wählte ich den Weg der Uebertragung aus der älteren Mund- und
Schreibart in die neuere.
Nicht unbekannt ist mir, wie wenig dieses Verfahren bei gründlichen
Kennern des deutschen Alterthums empfohlen ist. Es gehen dabei
manche Feinheiten der alten Sprache verloren und nicht geringere
Schwierigkeit, als die gänzlich veralteten Formen und Worte,
bieten häufig diejenigen dar, welche, noch jetzt gangbar, ihre
Bedeutung mehr oder weniger verändert haben und dadurch zum blossen
Scheinverständnisse verleiten können, wie solches besonders in
=Benecke's= trefflichem Wörterbuche zum =Wigalois= gezeigt ist.
Auf der andern Seite ist Manchen auch die leichteste Abweichung vom
gegenwärtigen Sprachgebrauche unerträglich.
So wenig ich nun hoffen durfte, zwischen diesen Klippen ohne Anstoß
hindurch zu schiffen, so konnte ich doch jene Behandlungsweise nicht
umgehen. Die Gedichte selbst in die Darstellung aufzunehmen, war
mir wesentlich; mit der alten Schreibart aufgenommen, würden sie
aber umständliche, den lebendigen Zusammenhang allzu sehr störende
Erläuterungen erfordert haben. Um jedoch überall die Vergleichung zu
erleichtern, ist bei jedem ganz oder theilweise ausgehobenen Liede
nachgewiesen, wo dasselbe in der Urschrift zu lesen sey.
Bei jener Uebertragung war es auch keineswegs auf eine Umarbeitung,
am wenigsten auf anmaßliche Verschönerung, angelegt. Ueberall habe
ich das Alterthümliche zu erhalten gesucht. Nur wenige, ganz veraltete
Formen sind umgangen worden. Veraltete Worte habe ich vorzüglich dann
vermieden, wenn sie den Eindruck des Ganzen zu stören drohten. Andre,
besonders solche, die sich zur Wiedereinführung empfehlen, habe ich
lieber erklärt, als mit neueren vertauscht. Manchen Lesern mag noch
jetzt Mehreres zu fremdartig lauten. Es gehört jedoch keine sehr
große Entäusserung dazu, hin und wieder einmal =Arebeit=, =Gelaube=,
=Pabest=, =unde=, =sicherlichen=, =meh=, =sach= &c. statt =Arbeit=,
=Glaube=, =Pabst=, =und=, =sicherlich=, =mehr=, =sah= &c. zu lesen oder
auch einige unvollständige Reime zu dulden, z. B. =schöne= auf =Krone=,
die sich aber in der alten Sprache vollkommen ausgleichen.
Absichtlich wurden meist solche Stücke ausgehoben, welche an sich
leichter verständlich sind, was glücklicher Weise gerade bei den besten
größtentheils der Fall ist. Von andern sind Auszüge oder auch nur eine
kurze Andeutung ihres Inhalts gegeben. Dabei darf ich nicht verhehlen,
daß einige Stücke, auch nach Einsicht der verschiedenen Handschriften,
mir noch räthselhaft geblieben sind. Die beigefügten Wort- und
Sacherklärungen habe ich meist nur auf das Nöthigste beschränkt und
mein Augenmerk darauf gerichtet, daß jedes Gedicht, so viel möglich,
schon durch den Zusammenhang in den es gestellt ist, seine Erläuterung
erhalte.
Im Verlaufe meiner Darstellung mußte ich auf Verschiedenes stossen,
was noch sehr einer genaueren Untersuchung bedarf, wie z. B. der Krieg
zu Wartburg, Nithart &c. Aber eben weil diesen Gegenständen noch
eigene, weitgreifende Forschung gewidmet werden muß, habe ich mich
auf dieselben nur soweit eingelassen, als sie den meinigen unmittelbar
berühren. Man wird sich ihnen noch von mehreren Seiten nähern müssen,
bevor man sich ihrer völlig bemächtigt.
Hauptquellen, die ich benützt habe, sind:
1) Die =Manessische= Sammlung, nach =Bodmers= Ausgabe, welche im
I. Thl. von S. 101-142 den reichsten Schatz von Gedichten Walthers
enthält. Sie ist im Folgenden durch =Man.= bezeichnet und, weil sie
am meisten zugänglich ist, auch da angeführt, wo Lesarten aus andern
Handschriften gewählt wurden.
2) Die =Weingartner= Handschrift von Minnesängern, (mit W. =Hds.= von
mir bezeichnet,) wahrscheinlich älter als die Manessische, jetzt in der
Königl. Privatbibliothek zu Stuttgart befindlich. Sie enthält von S.
140-170 112 Strophen unsres Dichters.
3) Die =Pfälzer= Handschrift Nr. 357 (=Pf. Hds.= 357), aus dem Vatikan
nach Heidelberg zurückgebracht. Von Bl. 5b bis 13b giebt sie unter
Walthers Namen 151 Strophen. Weiterhin, von Bl. 40 an, folgt, von
andrer Hand geschrieben, noch mehreres diesem Dichter Angehörige.
4) Die =Pfälzer= Handschrift Nr. 350 (=Pf. Hds.= 350), mit 18 Strophen.
Vermißt habe ich vorzüglich die =Würzburger= Liederhandschrift, jetzt
zu Landshut, und die (verschollene?) =Kolmarer=, in welchen gleichfalls
Gedichte von Walther enthalten sind.
Gegenwärtiger Versuch ist eine Vorarbeit zu einer größeren Darstellung
in diesem Fache. Um so erwünschter wird mir seyn, was dazu beiträgt,
den Gegenstand desselben vollständiger aufzuklären.
Walther von der Vogelweide.


Erster Abschnitt.
Einleitung. Des Dichters Herkunft. Die Sänger
des Thurgaus. Friedrich von Oesterreich.
Des Dichters Jugend.

=Walther von der Vogelweide= ist einer von den Meistern deutschen
Gesangs, die einst, wie die Sage meldet, auf der Wartburg wettgesungen.
Ebenso ist er Einer der Zwölfe, von denen spät noch die Singschule
gefabelt, daß sie in den Tagen Otto's des Großen gleichzeitig und doch
Keiner vom Andern wissend, gleichsam durch göttliche Schickung, die
edle Singkunst erfunden und gestiftet haben.
Wenn Einige, die auf ähnliche Weise mit ihm genannt werden, im
Halbdunkel solcher Ueberlieferung zurückgeblieben sind und höchstens
durch Vermuthung mit noch vorhandenen Dichterwerken in Verbindung
gesetzt werden können, so ist dagegen kaum einer von den Dichtern
des Mittelalters so mit seinem eigensten Leben in unsre Zeit herüber
getreten, als eben dieser Walther von der Vogelweide.
Nicht als ob die Geschichte seinen Wandel auf Erden in ihre Jahrbücher
aufgenommen hätte oder als ob alte Urkunden von seinen Handlungen
Zeugniß gäben, wie dieß bei andern seiner Kunstgenossen der Fall ist:
seine zahlreichen Lieder sind es, die sein Andenken, und mehr als
dieß, ein klares Bild seines äußern und innern Lebens, auf uns gebracht
haben.
Er hat nicht seine Persönlichkeit in der alten Heldensage des
deutschen Volkes untergehen lassen, noch hat er seine Kunst den
Ritter- und Zaubermähren vom heiligen =Gral=, von der Tafelrunde
u. s. w. zugewendet, sondern er hat die Gegenwart ergriffen. Und hiebei
hat er wieder nicht blos den Mai und die Minne gesungen, vielmehr
ist er gerade der vielseitigste und umfassendste unsrer älteren
Liederdichter, er behandelt die verschiedensten Richtungen und Zustände
der menschlichen Seele, er betrachtet die Welt, er spiegelt in seinem
besondern Leben das öffentliche, er knüpft seine eigenen Schicksale,
wenn auch in sehr untergeordnetem Verhältniß, an die wichtigsten
Personen und Ereignisse seiner Zeit.
Diese Zeit war eine bedeutende, vielfach und stürmisch bewegte. Die
Verwirrung des Reichs nach dem Tode Heinrichs VI., der verderbliche
Streit der Gegenkönige Philipp und Otto, Friedrichs II. heranwachsende
Größe, dessen Kämpfe gegen die päbstliche Allmacht, der Kreuzzüge
wogendes Gedräng!
Unscheinbar allerdings ist das Auftreten unsres Dichters auf der Bühne
dieser Weltbegebenheiten. Schon darüber könnten wir verlegen seyn, wie
wir ihn zuerst in die Welt einführen, denn sein Ursprung ist bis jetzt
nicht mit Sicherheit erhoben.
Im obern Thurgau stand, nach =Stumpf's= Schweizerchronik, ein altes
Schloß: =Vogelweide=. Im benachbarten Sankt Gallen hat das patrizische
Geschlecht der =Vogelweider= geblüht. Mit diesem Geschlecht und jenem
Schlosse wird Walther von der Vogelweide in Beziehung gesetzt[1].
[ 1] =Stumpf=, der gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts schrieb,
erwähnt im 5. Buche seiner Chronik eines Sankt Gallischen
Bürgers, =Hans Vogelweider=, und fügt das Wappen dieser
Vogelweider bei. Hierauf folgt in der, vierzig Jahre nach
des Verfassers Tod erschienenen Ausgabe von 1606 (Bl. 373b)
nachstehender Beisatz, welcher in der ersten Ausgabe von 1548
(II Bl. 31b) noch nicht befindlich ist: »Sonst ist Vogelweide
ein alt Schloß geweßt im oberen Turgow gelegen; davon berümpte
Leut kommen, an der Herzogen in Schwaben Hof bekannt. Walther
v. d. Vogelweid war ein frommer biderber, nothaffter Ritter,
an Keysers Philippi Hof: wie sölchs bezeuget sein selbst
eigen Lied in einem uralten Buch (sicherlich die Maness.
Handschr.) under Keyser Heinrich und König Cunraden dem jungen
geschrieben: darinnen auch sein Wappen abgemalet, hat aber
nichts mit diesem geleichs.« Dieses ist ohne Zweifel die
Hauptstelle, nach welcher =Bodmer= und nachher viele Andre den
Ursprung des Dichters in das obere Thurgau setzen.
In keinem deutschen Lande finden wir auch die ritterlichen Sänger so
gedrängt beisammen, als in jenen nachbarlichen Gebirgsthälern, die
von der Thur, der Sitter, der Steinach durchrauscht werden, und dort,
wo der Rhein dem Bodensee zueilt. Der Truchseß von =Singenberg=, der
Schenk Kunrad von =Landegg=, =Göli=, Graf Kraft von =Toggenburg=,
Heinrich und Eberhard von =Sar=, Friedrich von =Husen=, Kunrad von
=Altstetten=, Walther von =Klingen=, Heinrich von =Frauenberg=, Wernher
von =Tüfen=, Heinrich von =Rugge=, der von =Wengen=, der =Hardegger=,
der =Taler=, Rudolf von =Ems= u. A. m., von denen allen noch Lieder
vorhanden sind, gehören theils mit Gewißheit, theils mit größerer oder
geringerer Wahrscheinlichkeit, jener Gegend an[2].
[ 2] Von =Singenberg=, =Landegg= und =Göli= wird weiterhin die Rede
seyn. =Kraft= von =Toggenburg= ist in der Geschichte dortiger
Gegend hinlänglich bekannt. Die von =Sar=, ein ausgestorbenes
Geschlecht im Rheinthal, nach welchem noch die Landschaft
genannt wird. Ueber die Geschlechter von =Husen= und von
=Thal= s. v. =Arx= (=Geschichte des Kantons St. Gallen, 2 Bde.
St. Gallen= 1810-11) I 493, 498. Unter den Dienstleuten des
Gotteshauses St. Gallen um 1300 zählt ein altes Verzeichniß:
die von =Altstetten=, von =Hardegg=, von =Husen=, auf. =Ebd.=
I 482. Der Minnesänger =Friedrich= von =Husen=, ein Kreuzfahrer,
bezeichnet sich selbst als =um den Rhein= einheimisch. =Man.=
I 92b 94a (Im Elsaß sucht ihn =Oberlin=, _De poet. Alsat. erot.
p. 10_). Ein =Walther= von =Klingen= kömmt um 1271 urkundlich
vor, =Arx= I 395 (nach =Docen=, =Mus.= I 144 schon 1251);
ein H. _(Heinricus) miles de_ Frouunberch 1257 =Ebd.= I 544;
ein _Cuno miles de_ Tüfin 1279 =Ebd.= I 506. Die =Ruggen=
erscheinen noch um die Mitte des 15. Jahrh. als St. Gallische
Junker =Ebd.= II 296. Der von =Wengen= richtet ein Lied an
die Thurgäuer =Man.= II 99a. -- Anziehend und anschaulich hat
v. =Laßberg= in der Zueignung des 1. Bands seines =Liedersaals=
(1820) an die Sänger dortiger Gegend erinnert.
Mitten in jenen sangreichen Gauen lag das Stift Sankt Gallen, von
dem der Anbau der Gegend und die Bildung ihrer Bewohner ausgegangen.
Die dortigen Klosterbrüder waren im 9. und 10. Jahrhundert gepriesene
Tonkünstler. Ihre geistlichen Lieder, wozu sie selbst die Singweise
setzten, giengen in den allgemeinen Kirchengesang über. Eben so frühe
wurde zu St. Gallen in deutscher Sprache gedichtet, und hinwieder
das deutsche Heldenlied (=Walther= und =Hiltegund=) in lateinische
Verse übertragen. Namentlich aber waren diese Mönche beschäftigt, die
Söhne des benachbarten Adels überhaupt sowohl, als insbesondre in der
Tonkunst, zu unterrichten[3]. Und eben in diesen Verhältnissen mochten
Keime liegen, welche nachher im ritterlichen Gesang zur Blüthe gekommen
sind.
[ 3] Alles Obige hat v. =Arx= in seinem äußerst lehrreichen
Geschichtwerke umständlich ausgeführt und belegt. Von dem
Mönche =Tutilo= (st. 912) sagt Ekkehard. _Jan. de casib.
monast. St. Galli Cap. III_: »_filios nobilium in loco ab
Abbate destinato fidibus edocuit._«
Der von =Singenberg= war des Abtes zu St. Gallen Truchseß, der von
=Landegg= dessen Schenk, =Göli= (jedoch nur muthmaßlich) dessen
Kämmerer, und also sehen wir diesen fürstlichen Abt von einem
singenden Hofstaat umgeben. Auch die andern adelichen Geschlechter, aus
denen zuvor eine Reihe von Minnesängern namhaft gemacht wurde, sind
größtentheils als Lehens- und Dienstleute des Klosters bekannt[4].
Selbst das meldet =Hugo= von =Trimberg= in seinem =Renner= (um 1300),
daß ein Abt von St. Gallen schöne =Taglieder= gesungen, d. h. Lieder,
in welchen der Wächter verstohlene Minne warnt, daß sie nicht vom
Tageslicht überrascht werde.
[ 4] Ueber die St. Gallischen Erbämter s. =Arx= I 320. =Konrad=,
Schenk von Landegg, kömmt von 1281 (oder schon 1271, I 528) bis
1304 in den Urkunden vor. =Ebd.= I 476. Die Kämmerer hießen:
=Giele= »_Rudolf Gielo noster Camerarius_.« =Ebd.= I 320. Vgl.
=Mus.= I 162. Der Dichter =Göli= (=Man.= II 57a) singt:
=Bei dem Rheine= grünen Werde und Auen.
Ueber die andern Geschlechter s. Anm. 2.
Unsern Dichter von da ausgehen zu lassen, wo der Gesang so heimisch
war, wo vielleicht der eigentliche Quell der schwäbischen Liederkunst
zu suchen ist, hat an sich etwas Gefälliges. Auch darf nicht unbeachtet
bleiben, daß jener St. Gallische Truchseß von Singenberg sich
besonders viel mit Walthern zu schaffen macht. Er rühmt denselben
als Sangesmeister, betrauert dessen Tod, ahmt seine Lieder nach, und
wir finden auf diese Weise im Thurgau wenigstens einen Widerhall von
Walthers Gesange.
Gleichwohl bleibt der Ursprung des Dichters in jener Gegend noch immer
zweifelhaft. Das vormalige Daseyn einer Burg =Vogelweide= scheint
lediglich auf der Angabe der vorgenannten Chronik zu beruhen, und die
Urkunden des Stiftes St. Gallen, welche nicht leicht einen Weiler,
einen Thurm der Umgegend unberührt lassen, enthalten, so viel man
bis jetzt weiß, keine Spur von dem fraglichen Stammschloß[5]. Das
ausgestorbene St. Gallische Geschlecht der =Vogelweider= kömmt erst
im 15. Jahrhundert unter denjenigen vor, welche als Gerichtsherrn den
Junkertitel führen konnten, und es mag seinen Namen eher von einer
Bedienung, als von einer Burg, entnommen haben[6]. Rühmliche Erwähnung
des Dichters aber und vertraute Bekanntschaft mit seinen Liedern findet
sich nicht blos beidem Truchseß von Singenberg, sondern auch bei andern
gleichzeitigen und spätern Sängern, welche nicht dem Thurgau angehören.
[ 5] Die oftangeführte Geschichte des Kantons St. Gallen giebt eine
umständliche geschichtliche Ortsbeschreibung dortiger Gegend,
auf die reichhaltigen, in hohes Alterthum hinaufreichenden
Urkundensammlungen des St. Gallischen Archivs gegründet.
Nirgends aber erwähnt sie einer Burg =Vogelweide=. Um
desto sichrer zu gehen, habe ich an Herrn v. =Arx= selbst
mich schriftlich gewendet und von ihm die Bestätigung
erhalten, daß ihm von einem Schlosse dieses Namens nie eine
Meldung aufgestoßen sey. Möglich wäre eine Verwechslung
mit =Vögelinsberg= oder =Vögeliseck=. In dem St. Gallischen
Jahrszeitenbuche (Goldast, _Script. Rer. Alem. Tom. I_), das
1272 geschrieben wurde, kömmt ein _Ruodolfus dispensator
de Voegillinsberc_ vor. =Notker= III., Vorsteher der St.
Gallischen Klosterschulen, gest. 1022, hatte bei Speicher, in
der Gegend, wo jetzt das weitausschauende =Vögeliseck= steht,
ein Gehege (_vivarium_), worin er Wild und seltene Vögel,
die er am meisten liebte, verwahren und füttern ließ. Es ist
vermuthet worden, daß hier die Heimath des Geschlechtes v. d.
=Vogelweide= zu suchen sey, welcher Name im Munde des Volks in
=Vögeliseck= umgewandelt worden seyn möchte. Man überzeugt sich
leicht, wie sehr es hiebei an einem sichern Halt gebreche.
[ 6] Ueber die St. Gallischen _Vogelweider_ s. =Arx= II 196; =Leu=,
=Allgem. Helvet. Lexicon= Thl. 18 S. 676. Sie kommen zuerst
1430 vor. Das Schreiben des Herrn v. =Arx= besagt darüber
Folgendes:
»Ich bezweifle es sehr, ob Walther Vogelweider von St.
Gallen her sey. Denn nie kömmt dieses Geschlecht in
ältern Zeiten, sondern erst im 15. Jahrh. da vor, wo von
allen Orten her Leute sich in St. Gallen ansiedelten,
oder wieder abzogen. Mir scheint =Vogelweider= eher
eine Bedienung ausgedrückt zu haben, und von dieser in
einen Geschlechtsnamen übergegangen zu seyn. Nämlich so
wie =Kuchimeister= einen Proviantmeister, und =Füller=
(_impletor_), =Spiser=, andre Verrichtungen anzeigten,
und nachhin zu (St. Gallischen) Familiengeschlechtern
wurden, so war =Vogelweider= ohne Zweifel ein Mann, der
sich mit dem Fangen, Füttern, Abrichten der Vögel eines
Großen abzugeben hatte, denn _Fogilweida_ hieß eben das,
was _Aviarium_, _Glossar sec. 10. in. ab Ekhart_, und ohne
solches Vogelbehältniß und einen Wärter desselben konnte
der Falkenjagd wegen und des Finkenfangs kein Fürst oder
Graf seyn. Es mußte darum aller Orte =Vogelweider= geben.«
Im Würtembergischen ist der Name =Vogelwaid= nicht selten.
Ein Meistergesang über die Stifter der Kunst nennt Walthern einen
Landherrn aus Böhmen[7]. Anderwärts wird er dem sächsischen
Adelsgeschlechte =von der Heide= beigezählt[8]. Beides ohne
ersichtlichen Grund. Neuerlich ist seine Geburtsstätte in Würzburg
gesucht worden, wo er begraben liegt und wo vormals ein Hof »=zu
der Vogelweide=« genannt war[9]. Und nach Allem bleibt noch die
Frage übrig: ob nicht der Name ein dichterisch angenommener oder
umgewandelter sey? wovon man auch sonst in jener Zeit Beispiele findet.
[ 7] Bei =Wagenseil=, =Von der Meistersänger holdsel. Kunst=, S.
506:
Der Fünft Herr Walter hieß,
War ein Landherr aus Böhmen =gewiß=[?]
Von der Vogelweid &c.
In einem andern Meisterliede (=Görres=, =Altt. Volks- und
Meisterlieder &c. Frankf.= 1817 S. 224) heißt er: Herr Walther
=von der Wid=, der Ziervogel. (Vgl. =Man.= II 2b)
[ 8] S. =König=, =Genealog. Adelshistorie &c.= Thl. II S. 543.
[ 9] =Oberthür=, =Die Minne- und Meistersänger aus Franken &c.
Würzb.= 1818 S. 30.
Die Sprache von Walthers Gedichten leitet auf keine nähere Spur seiner
Herkunft, da sie in der weit verbreiteten oberdeutschen Mundart verfaßt
sind, in welcher die meisten Dichter des 13. Jahrhunderts gesungen
haben.
Der Dichter selbst, dessen Ausspruch entscheiden würde, gedenkt nur
einmal des Landes, wo er geboren ist, aber ohne es zu benennen. Er hat,
als er in späteren Jahren dorthin zurückgekommen, Alles fremd gefunden,
was ihm einst kundig war, wie eine Hand der andern, das Feld angebaut,
den Wald verhauen und nur das Wasser noch fließend, wie es weiland
floß. (=Man.= I 141b f.) Auch sonst ist in seinen Liedern nirgends
eine Beziehung auf die Gegend des Thurgaus, ob er gleich von den Orten
seines Aufenthalts und von seinen Wanderungen vielfältig Rechenschaft
giebt. Die erste bestimmtere Ortsbezeichnung ist es, wenn er meldet:
Zu =Oesterreich= lernte ich singen und sagen.
(=Ebd.= I 132a)
Aus diesen Worten ist übrigens noch keineswegs zu schließen, daß
er auch in Oesterreich geboren sey, eher das Gegentheil; denn
sie bezeichnen gerade nur das Land seiner Bildung zur Kunst.
In Oesterreich, wo die Kunst des Gesanges unter den Fürsten aus
babenbergischem Stamme so schön gepflegt wurde, konnten die Lehrlinge
derselben gute Schule finden. Auch =Reinmar= von =Zweter=, der um die
Mitte des 13. Jahrhunderts dichtete, berichtet von sich:
Von Rheine, so bin ich geboren,
In Oesterreiche erwachsen.
(Man. II 146b)
Nach allen Anzeigen war Walther von adelicher Abkunft. Mit dem Titel:
=Herr=, dem Zeichen ritterbürtigen Standes, redet er selbst sich
an, und so wird er auch von Zeitgenossen benannt. Spätere nennen ihn
=Ritter=[10]. Daß er ein Reichslehen erhalten hat, werden wir nachher
sehen.
[10] So wird er genannt im Leben der h. Elisabeth (Mencken. _Script.
Rer. Germ. T. II_) und in dem Meisterliede bei =Görres= S.
224. In der Nachricht, welche die Würzb. Handschr. von seiner
Grabstätte giebt, heißt er _Miles_. Doch ist es zweifelhaft, ob
er die Ritterwürde selbst erlangt habe, indem er sich in einem
seiner Gedichte mit den Rittern in Gegensatz zu stellen scheint
(=Man.= I 142a:
»Daran gedenket, Ritter, es ist euer Ding &c.«)

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